Historical Lords & Ladies Band 49

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SERAFINAS DOPPELTES SPIEL von ANDREW, SYLVIA
Kurz nicht aufgepasst - schon stürzt Lady Serafina aus der Baumkrone, in die sie tollkühn geklettert ist, direkt auf Lord Aldworth. Wie unangenehm! Aber vor allem: Wie kann sie ihrem eleganten Verehrer aus London ihr undamenhaftes Benehmen erklären, ohne all ihre Chancen auf eine Heirat mit ihm zu ruinieren? Impulsiv gibt sich Serafina für ihre Schwester Sally aus - und ein verführerisches Verwirrspiel beginnt …

ERFÜLLEN SIE MEINEN HERZENSWUNSCH, MYLORD! von NICHOLS, MARY
England, 1817: Dem Schicksal hat Viscount Darton es zu verdanken, dass er die betörende Charlotte Hobart kennenlernt. Sie ist nicht nur leidenschaftlich und wunderschön, sondern auch edelmütig. Als er erfährt, welch ehrbaren Herzenswunsch sie hegt, weiß er sofort: Diese Frau will er zur Seinen machen. Doch ein teuflischer Plan ihrer geldgierigen Verwandten droht seine Hoffnung auf die große Liebe zu zerstören


  • Erscheinungstag 08.05.2015
  • Bandnummer 0049
  • ISBN / Artikelnummer 9783733761271
  • Seitenanzahl 352
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sylvia Andrew, Mary Nichols

HISTORICAL LORDS & LADIES BAND 49

SYLVIA ANDREW

Serafinas doppeltes Spiel

Welche Feverel-Tochter ist die Richtige für ihn? Serafina oder Sally? Schwierig! Eigentlich hat Charles sich für die wohlerzogene Serafina entschieden. Mehr Zauber aber geht von Sally aus, die Serafina wie ein Zwilling gleicht, nur weit frecher und ungestümer ist. Und sonderbarerweise verspürt er immer mehr den Wunsch, Serafina möge mehr von Sally haben …

MARY NICHOLS

Erfüllen Sie meinen Herzenswunsch, Mylord!

Charlotte Hobart, die schöne Witwe von Easterley Manor, führt ein rechtes Aschenputtelleben, da sie mittellos und obendrein ihren ruchlosen Verwandten ausgeliefert ist. Als sie die Bekanntschaft des attraktiven Viscount Darton macht, scheint sich alles zum Guten zu wenden. Doch ihr verdorbener Schwager fürchtet um sein Erbe und spinnt ein Netz aus Intrigen …

1. KAPITEL

Obwohl der Sommer schon fast vorüber war, schien die Sonne so hell durch das dichte Laub des alten Eichenbaumes, dass Mr Hartley Pennyworth sich die Augen mit der Hand beschatten musste, als er nach oben blickte. Nur vage nahm er die schemenhafte Gestalt wahr, die auf einem kräftigen Ast saß und sich bequem an den mächtigen Stamm lehnte. Hartley trat näher. Jetzt konnte er erkennen, dass die Gestalt einen angebissenen Apfel in der einen und ein aufgeschlagenes Buch in der anderen Hand hielt.

„Miss Feverel!“

Die junge Dame im Baum seufzte und beugte sich ein wenig vor. „Ach, du bist es, Hartley. Wer hat dir gesagt, wo ich bin?“

„Rafe.“

Miss Feverels Stirnrunzeln verhieß nichts Gutes für ihren jüngsten Bruder, aber Mr Pennyworth ließ sich dadurch nicht einschüchtern. „Miss Feverel, ich bin hier, um Sie um Ihre Hand zu bitten.“

„Oh Hartley, darüber haben wir doch schon gesprochen. Ich will dich nicht heiraten, und wenn ich es täte, würdest du es bestimmt bereuen. Hat deine Mutter dich wieder hergeschickt? Wie dumm von ihr.“

Mr Pennyworth ignorierte diese Bemerkung. Er war gekommen, um – wie seine Mutter es ausdrückte – „wie ein Mann zu handeln“ und als Serafina Feverels Bräutigam nach Pennyworth Lodge zurückzukehren. „Miss Feverel …“

„Ich wünschte, du würdest mich nicht ständig Miss Feverel nennen. Wir kennen uns seit einer Ewigkeit, und bis zu diesem Sommer hast du immer Serafina zu mir gesagt. Warum bist du auf einmal so förmlich?“

„Weil wir nicht länger Kinder sind“, erklärte Mr Pennyworth würdevoll. „Ich bin ein Mann mit den Bedürfnissen eines Mannes, Miss Feverel, und ich liebe Sie.“ Er räusperte sich und bat ein wenig einfältig: „Komm doch herunter, Serafina. Es ist sehr peinlich, dich um deine Hand zu bitten, wenn ich dich kaum sehen kann.“

„Aber ich will deinen Antrag nicht! Habe ich dir das nicht bereits klargemacht? Na schön, dann klettere ich eben hinunter. Meine Lesestunde ist ohnehin gründlich verdorben.“

Serafina warf den Apfel fort, steckte das Buch in die ausgebeulte Tasche ihres altmodischen Jacketts und machte sich an den Abstieg. Dabei rutschte ihr ein Stiefel vom Fuß und verfehlte Mr Pennyworth nur um Haaresbreite. Ein etwas humorvollerer Mann hätte sich vermutlich über den Kontrast amüsiert, den ihr zierlicher, weiß bestrumpfter Fuß und der klobige Männerstiefel boten.

Mr Pennyworth hingegen hatte keinerlei Sinn für Humor – und überdies war er verliebt. Er umfasste die schmale Fessel und drückte seine Lippen darauf, als Serafina sich herabließ. „Oh Miss Feverel“, rief er. „Mein Leben liegt in Trümmern, wenn Sie nicht die Meine werden.“

„Dein Leben wäre ruiniert, wenn ich einwilligen würde. Hör endlich auf, wie in einem billigen Liebesroman zu reden, Hartley“, erwiderte sie kühl, riss sich los und sprang anmutig zu Boden. „Wenn du so etwas Albernes noch einmal machst, werde ich mich bei deiner Mama beschweren.“

„Sie würde mich verstehen. Mutter weiß, wie sehr ich dich verehre. Sie war es auch, die mir empfohlen hat, dir meine Gefühle zu offenbaren.“ Er musterte betrübt Serafinas empörtes Gesicht. „Ich fürchte, jetzt habe ich dich verärgert.“

Sie seufzte erneut. „Es tut mir leid, wenn ich dir wehgetan habe, Hartley. Aber wir beide passen nicht zueinander. Du bist ein viel zu … würdevoller Mann für einen Wildfang wie mich. Im Gegensatz zu dir liebe ich Bücher und Diskussionen. Du bist immer gleich beleidigt, sobald ich mit dir debattiere, und du magst es überhaupt nicht, wenn ich über dich lache. Wie soll das erst werden, wenn wir verheiratet sind?“

„Mutter meint, dann würde sich das ändern. Als meine Frau würdest du dich natürlich meinen Wünschen beugen.“

„Verstehe. Nun, da ich nicht bereit bin, mich meinem Ehemann zuliebe zu ändern – ganz egal, was deine Mama behauptet –, solltest du den Gedanken aufgeben, mich zu heiraten, und dir eine andere suchen. Wie wäre es mit Lizzie Beaminster? Sie würde viel besser zu dir passen, und außerdem bewundert sie dich.“

„Tut sie das?“ Da Hartley von niemandem, mit Ausnahme seiner Mutter, bewundert wurde, war er von dieser Auskunft sichtlich beeindruckt. Doch dann verdüsterte sich seine Miene wieder. „Aber ich liebe dich! Ich kann nicht schlafen und nicht essen, weil ich pausenlos an dich denke. Mutter sagt, ich schwinde förmlich dahin. Niemand außer dir kann mich glücklich machen.“

„Unsinn!“ Serafina betrachtete Mr Pennyworth’ wohlgenährte Gestalt. „Ich habe keine Zeit und keine Geduld mehr für solche Torheiten. Mich wundert allerdings, dass sie deine Wahl billigt. Ich habe kein Vermögen, und der Feverel-Besitz wird eines Tages an Gabriel fallen.“

„Sie sagte, dass wir es uns leisten können, über deine fehlende Mitgift hinwegzusehen. Ihrer Meinung nach müsstest du entzückt sein, so eine vorteilhafte Partie zu machen, denn sonst würdest du als Blaustrumpf enden …“ Mr Pennyworth verstummte unbehaglich. Er ahnte, dass der letzte Satz nicht unbedingt dazu beitrug, seine Werbung zu unterstützen.

Serafinas Augen funkelten gefährlich. „Wie überaus freundlich von ihr, sich solche großen Sorgen um meine Zukunft zu machen. Richte ihr bitte meinen Dank aus.“

Mr Pennyworth blickte zweifelnd drein. „Und … äh … was soll ich noch sagen, Serafina?“

„Dass ich dich … nicht … heiraten werde. Nicht heute, nicht morgen und unter gar keinen Umständen! Außerdem will ich dich nicht wiedersehen, bis du deine Sinne wieder beisammenhast. Leb wohl, Hartley.“

Mr Pennyworth’ Gesicht rötete sich bedrohlich. „Du bist zu klug für eine Frau, Serafina Feverel. Bilde dir nur nicht ein, ich würde dich noch einmal fragen. Meine Mutter hatte recht: Wer will schon eine aufsässige Gelehrte als Gattin?“ Zutiefst entrüstet stolzierte er davon.

Serafina blickte ihm ohne Bedauern nach. Mrs Pennyworth würde zweifellos erleichtert sein, wenn ihr Sohn seine Absichten änderte. Als liebende Mutter würde sie ihr Möglichstes tun, um ihn über die gescheiterte Romanze hinwegzutrösten. Serafina wünschte ihr dabei von ganzem Herzen Erfolg und machte sich auf den Weg zum Haus.

An der Auffahrt traf sie mit einem Mädchen zusammen, das von einem kleinen Jungen begleitet wurde. „Ah, Rafe! Mit dir habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen.“

„Also, ehrlich, Sally … ich wollte ihm nichts sagen! Es ist mir einfach herausgerutscht.“

„Wirst du Hartley Pennyworth heiraten?“, fragte das Mädchen.

„Nein, das werde ich nicht. Und was dich betrifft, Rafe, so wünsche ich, dass du mir zuliebe darüber den Mund hältst. Gentlemen schätzen es gar nicht, wenn über gescheiterte Heiratsanträge geklatscht wird. Habt ihr mich verstanden – alle beide? Versprochen?“

Rafe legte ernst den Finger auf den Mund, und Angelica, als gesetzte junge Dame von fünfzehn Jahren, nickte zustimmend. Gemeinsam gingen die drei weiter.

„Wo ist Michael?“, erkundigte Serafina sich.

„Er hat Colonel Smithers zum Exerzierplatz begleitet“, erwiderte Angelica. „Sally, wo ist dein anderer Stiefel?“, rief sie dann erschrocken aus.

Serafina starrte auf ihre Füße – einer im schweren Männerschuh, der andere nur mit einem weißen Strumpf bekleidet. „Der liegt noch unter dem Baum, wo ich ihn verloren habe. Schaut euch nur meinen Strumpf an.“

„Ich hole dir den Stiefel.“ Rafe eilte zurück zur Eiche.

„Mama wird mit mir schimpfen, und Hetty wird sich über die Löcher beschweren.“ Serafina seufzte, als sie sich den Schuh wieder anzog.

„Mama hat dir oft genug gesagt, du sollst Michaels Stiefel nicht tragen“, erinnerte Angelica sie. „Sie sind viel zu groß. Darin wirst du nie lernen, dich wie eine Dame zu bewegen.“

„Man kann mit ihnen aber viel besser durch die Gegend wandern, auf Bäume klettern und über Zäune steigen. Die dünnen Slipper taugen dafür nicht.“

„Damen klettern auch nicht auf Bäume oder über Zäune“, mahnte Angelica würdevoll. „Ich fürchte, Mama hat recht, Sally. Du bist ein Wildfang.“

Rafe beeilte sich, seine geliebte ältere Schwester zu verteidigen. „Du bist ja nur neidisch, weil sie gewandter darin ist, auf Bäume zu klettern. Außerdem kann sie besser reiten. Eigentlich ist sie in allen Dingen geschickter als du.“

„Ist sie nicht! Sie ist nur älter, das ist alles.“

„Ist sie doch! Ist sie doch!“

Der Streit zwischen den Geschwistern dauerte an, bis sie das Haus erreichten. Serafina maß dem Geplänkel keinerlei Bedeutung bei, denn die Unstimmigkeiten wurden stets schnell beigelegt. Alle Feverel-Sprösslinge waren dazu erzogen worden, ihre Meinung frei zu äußern, wodurch niemals Langeweile aufkam.

Lucius Feverel, Serafinas Vater, war ein Gelehrter, der zudem die seltene Gabe besaß, seine Begeisterung auf die Kinder zu übertragen. Bis auf Gabriel, den ältesten Sohn, der derzeit in Oxford weilte, unterrichtete Lucius seine Kinder selbst. Bei den Nachbarn galt er als exzentrischer Kauz, da er sich weigerte, zwischen Jungen und Mädchen zu unterscheiden.

Mit zwölf Jahren hatte Serafina lateinische und griechische Texte fließend gelesen. Als sie fünfzehn gewesen war, hatte die Witwe eines französischen Emigranten für ein Jahr bei den Feverels Unterschlupf gefunden – seither sprach Serafina perfekt französisch. Sie hatte sich außerdem solide Kenntnisse in anderen europäischen Sprachen angeeignet und wusste in Geografie genauso gut Bescheid wie in Naturgeschichte und Mathematik. Mr Feverel war auf alle seine Kinder stolz, doch Serafina, seine älteste Tochter, bereitete ihm besondere Freude.

Obwohl die fünf jungen Feverels allesamt hübsch und wohlgeraten waren, galten sie im gesamten Umkreis als undisziplinierte, laute Bande, die wie blonde Zigeuner durch die Gegend streiften. Die Damen in der Nachbarschaft waren schockiert über die Tatsache, dass beide Töchter nicht eine einzige Stunde im Tanzen oder gutem Benehmen unterrichtet worden waren und Serafina keinerlei Interesse an gepflegter Garderobe zeigte. Die Gentlemen hingegen, obwohl von ihrer Schönheit fasziniert, fühlten sich durch ihre fatale Neigung abgestoßen, sich zu Themen zu äußern, die für junge Damen höchst unpassend waren. In den Augen der Außenstehenden war Serafina ein eigenwilliger Wildfang, zwar talentiert, belesen und atemberaubend attraktiv – aber nichtsdestotrotz ein Wildfang. Das allgemeine Bedauern galt der armen Mrs Feverel.

Mrs Feverel war eine begabte Künstlerin, die jedoch aufgrund einer kräftezehrenden Krankheit häufig an ihr Bett oder das Sofa gefesselt war. Sie wurde von der ganzen Familie, einschließlich ihres Gatten, innig verehrt und umsorgt. Die Kinder verbrachten viel Zeit damit, die Mutter zu unterhalten und zu zerstreuen. An jedem Samstagabend präsentierten sie ihr die neuesten Nachrichten aus dem Ort, indem sie daraus ein ebenso dramatisches wie amüsantes Schauspiel inszenierten.

Es war nicht leicht, in diesem sonderbaren Haushalt Ordnung zu halten, und Mrs Feverel hatte schon vor langer Zeit entschieden, dass dies nur mit viel Liebe möglich war. Dennoch sorgte sie sich um ihre Familie. Gabriel war seit etlichen Monaten in Oxford, schien sich aber trotz seiner Jugend dort gut zu machen. Und die Mädchen müssten eigentlich bald in die Gesellschaft eingeführt werden. Genau genommen war Serafina längst in dem entsprechenden Alter. Mrs Feverel erschauerte indes bei der Vorstellung, was passieren würde, wenn ihre Töchter ohne eine entsprechende kostspielige Vorbereitung dem nichts ahnenden Ton präsentiert wurden. Bald würde man sich auch über die Zukunft von Michael und Rafe Gedanken machen müssen. Ja, Mr Feverel wäre erstaunt gewesen, hätte er geahnt, wie viele Sorgen seine Frau hatte. Leider hatte er keinen Sinn für finanzielle Belange.

Mrs Feverel seufzte, als ihre älteste Tochter das Zimmer betrat. Serafina hatte zwar das fadenscheinige Kleid und die schäbige Jacke gegen ordentliche Sachen getauscht, doch sie trug noch immer keine Schuhe, und einer ihrer Strümpfe war restlos ruiniert.

„Was ist passiert, Serafina?“

„Ich fürchte, ich habe einen Strumpf verdorben, Mama.“

„Das ist schon der zweite in dieser Woche. Wie hast du es diesmal angestellt?“

„Ich … äh … ich habe einen Schuh verloren.“

„Einen von Michaels Stiefeln?“

„Äh … ja. Er ist mir einfach vom Fuß gerutscht, und ich habe ihn vergessen. Das wäre bestimmt nicht passiert, wenn ich nicht so wütend auf Hartley Pennyworth gewesen wäre. Er hat mich in der Eiche aufgestöbert und mir wieder einen Antrag gemacht. Ich glaube, heute habe ich ihm endgültig alle Illusionen geraubt. Warum ist er nur so hartnäckig, Mama?“

„Er glaubt, in dich verliebt zu sein.“

„Verliebt! Wie lächerlich!“

„Hartley mag nicht deinen Idealen entsprechen, Serafina, aber an seinen Gefühlen ist nichts Lächerliches. Liebe ist mitunter sehr schmerzhaft und überhaupt nicht komisch.“

„Vermutlich hast du recht.“ Serafina schüttelte den Kopf. „Es ist schon sonderbar, dass Menschen durch ein so irrationales Gefühl leiden können. Das macht ihnen das Leben nur unnötig schwer. Am besten geht man solchen Emotionen gänzlich aus dem Weg.“

„Willst du denn gar nicht heiraten?“

„Oh doch, natürlich – einen verständnisvollen Mann. So jemanden wie Papa vielleicht. Einen intelligenten Mann, der mich nicht beherrschen will, sondern mich und meine Meinung ernst nimmt. Jemand, der meine Interessen teilt und bereit ist, mich als menschliches Wesen zu betrachten, nicht als eine Kreuzung aus einer Puppe und einer Art Göttin. Aber ganz gewiss würde ich nicht aus Liebe heiraten! Die Weltliteratur ist voll von Beispielen, was geschehen kann, wenn das Herz über den Verstand siegt.“

Mrs Feverel musterte ihre Tochter eindringlich. „Und dir ist so etwas noch nie passiert?“

„Ich glaube nicht … Zumindest hat es mich nicht zu derartigen Torheiten veranlasst wie Hartley.“ Serafina lächelte. „Aber ich liebe dich, Mama. Für dich könnte ich die größten Dummheiten begehen.“

„Mir wäre es lieber, wenn du dich vernünftig benehmen würdest, Kind, und beispielsweise deine eigenen Schuhe tragen würdest – und sie anbehältst.“

„Das werde ich.“

Angesichts Serafinas nüchterner Betrachtung ihrer Zukunft gelangte Mrs Feverel zu dem Schluss, dass eine solche Ehe tatsächlich der beste Ausweg war. Serafina war ein sachliches, intelligentes Mädchen, das sich stets von seinem Verstand leiten ließ. Eine anspruchslose Verbindung mit einem Mann, der sie respektierte, wäre genau das Richtige für sie – falls sie überhaupt jemals heiratete. Mrs Feverel seufzte. Wenn Serafina nicht bald in die Gesellschaft eingeführt wurde, würde sie ohnehin keine Chancen mehr haben.

Um dieses Problem zu lösen, lud Mrs Feverel Serafinas inzwischen verwitwete, kinderlose Patentante zu einem Besuch ein. Lady Chilham war sowohl von Serafinas Schönheit als auch von ihrer innigen Zuneigung zur Mutter beeindruckt.

Für das samstägliche Schauspiel hatten die Kinder die Verlobung des Hilfspfarrers mit Miss Twitch als Thema gewählt. Lady Chilham amüsierte sich köstlich über Serafinas Darstellung der schüchternen Jungfer, die einerseits mit gesenkten Lidern und sittsam gefalteten Händen auf ihrer Tugend beharrte, andererseits jedoch den Wunsch kaum zu verhehlen vermochte, den Antrag ihres Verehrers anzunehmen.

Ihre Ladyschaft war so gut gelaunt, dass Mrs Feverels Hoffnungen, die Patin möge etwas für Serafina tun, erheblich stiegen.

Leider äußerte Lady Chilham ihr Missfallen über die Art und Weise, wie die beiden Mädchen erzogen worden waren. „Wozu brauchen sie Latein und Griechisch? Und Politik!“ Sie verzog verächtlich die Lippen. „Sarah, ich warne dich. Die beiden laufen Gefahr, unverheiratete Blaustrümpfe zu werden – besonders Serafina.“

Mr Feverel war empört und hätte beinahe mit seinem Gast darüber gestritten. Nur mit Rücksicht auf die Hausherrin kam es nicht zu einem offenen Zerwürfnis. Mrs Feverel schwieg betroffen und wartete bis zum Tag vor Lady Chilhams Abreise, ehe sie erneut einen Versuch unternahm, sich deren Hilfe zu versichern. Dabei verriet sie weit mehr von den finanziellen Nöten der Familie, als sie eigentlich beabsichtigt hatte.

„Ich mache mir wirklich Sorgen um die Mädchen, Elizabeth. Nachdem wir Gabriels Aufenthalt in Oxford bezahlt haben, und Michael …“

„Will Michael denn auch studieren?“

„Nein, er strebt eine Karriere in der Armee an. Du weißt, wie teuer das ist. Und wer kann schon sagen, was Rafe machen möchte, wenn er älter ist.“

„Nun, ich bin froh, dass du mich ins Vertrauen gezogen hast, Sarah. Ich werde natürlich etwas für Serafina tun. Hättest du diesen sonderbaren Kauz nicht geheiratet, würdest du dich jetzt nicht mit solchen Problemen herumplagen müssen.“

„Du hast Lucius nie verstanden, Elizabeth. Er ist ein Idealist“, erklärte Mrs Feverel lächelnd.

„Damit kann er keine Rechnungen bezahlen“, lautete Lady Chilhams vernichtendes Urteil. „Meine Meinung zu diesem Thema ist dir ja bekannt. Wie dem auch sei – der größte Aktivposten in eurer Familie ist Serafina. Ich muss nur noch herausfinden, wie viel Schaden durch ihre ungewöhnliche Erziehung entstanden ist.“

„Serafina?“ Mrs Feverel ignorierte geflissentlich den Seitenhieb.

„Das Mädchen ist hübsch genug, um eine hervorragende Partie zu machen. Stell dir einmal vor, was ein wohlhabender Schwiegersohn für euch tun könnte … Allerdings sollte sie ihre Schönheit nicht auf dem Land vergeuden. Wie viele Anträge hat sie bis jetzt erhalten?“

„Nur einen“, gestand Mrs Feverel. „Und zwar von jemandem, den sie als Narr bezeichnet. Die anderen jungen Männer in der Nachbarschaft meiden sie.“

„Was habe ich dir gesagt? In London ist es gewiss nicht schwer, einen vernünftigen Mann mit einem ansehnlichen Vermögen zu finden, den sie respektieren kann. Sie wird jedoch nie einen akzeptablen Verehrer finden, solange sie sich nicht ein wenig Schliff zulegt. Serafina muss lernen, dass Intelligenz bei einer Frau ein Handicap und keinen Vorzug darstellt. Sie bewegt sich recht anmutig und hat eine angenehme Stimme – mit ein wenig Mühe könnte ich eine Dame aus ihr machen. Sie könnte in der nächsten Saison großen Erfolg haben. Wenn du es wünschst, werde ich mich darum kümmern.“

Nach Lady Chilhams Abreise wurde Mr Feverel von den Plänen seiner Gattin informiert. Trotz seines anfänglichen Sträubens willigte er schließlich ein, zumal er sah, wie sehr seiner Frau die Sorge um ihre anderen Kinder am Herzen lag. Serafina indes war von der Aussicht, nach London zu reisen, begeistert.

Einige Wochen später traf ein Brief von Lady Chilham ein. Sie hatte sich entschlossen, Serafina noch vor Weihnachten zu einem kurzen Besuch zu ihr einzuladen.

Die Stadt bietet in dieser Jahreszeit zwar wenig Abwechslung, doch ich finde, Serafina und ich sollten uns ein bisschen besser kennenlernen. Die Saison beginnt erst im nächsten Mai, doch falls ich mich entscheiden sollte, Serafinas Debüt auszurichten, müssen wir mit den Vorbereitungen bereits im März anfangen. Wir wollen schließlich möglichst erfolgreich sein …

Trotz des freundlichen Tones war unverkennbar, dass Serafina zunächst vor ihrer Patin bestehen musste, ehe diese bereit war, das Debüt des Mädchens zu finanzieren. Ängstlich wartete Mrs Feverel auf die Reaktion ihres Gatten. Zu ihrem größten Erstaunen erhob der Hausherr keine Einwände, er bemerkte lediglich, obwohl Serafina ihm natürlich fehlen würde, solle sie sich die Gelegenheit, das Britische Museum zu besichtigen, nicht entgehen lassen.

Sogleich wurde alles für Serafinas Reise Erforderliche in die Wege geleitet. Allerdings fand sie trotz der zahlreichen Einkaufsfahrten nach Brighton noch Gelegenheit, ihre Lieblingsplätze aufzusuchen.

Jenseits des Hügels hinter Feverel Place und dem Ort Hardington lag ein Herrenhaus, das schon lange leer stand. Blanchards war einst ein ansehnlicher Besitz gewesen, leider war es in den vergangenen dreißig Jahren sträflich vernachlässigt worden. Die letzte Bewohnerin, Mrs Dacre, war so etwas wie eine Einsiedlerin gewesen und hatte den größten Teil der Ländereien verpachtet. Nach ihrem Tod verfiel Blanchards immer weiter.

Mrs Dacre war mit den Aldworths verwandt gewesen, die das Gut schließlich erbten. Eine Zeit lang hatte man gehofft, Lord Aldworth würde das Haus wieder herrichten lassen, doch dann hatte das Schicksal zweimal kurz hintereinander zugeschlagen: Zunächst war der alte Lord Aldworth verstorben, und wenig später erlag sein Sohn Gervase einer schweren Krankheit. Sein jüngerer Bruder Charles war nunmehr Inhaber des Titels, allerdings verbrachte er als Diplomat die meiste Zeit im Ausland. Keiner der Aldworths hatte sich je um Blanchards gekümmert, und so blieb Sam Eckford, der Verwalter, der einzige Angestellte.

Für zwei der Feverels war die andauernde Vernachlässigung von Blanchards ein wahrer Segen. Sam Eckford war nicht besonders eifrig und begnügte sich mit einem kurzen morgendlichen Rundgang ums Haus. In den Gärten tauchte er nie auf. Diese Tatsache erlaubte den Feverel-Kindern, sich dort nach Belieben zu vergnügen.

Vor geraumer Zeit hatten Serafina und Michael den ummauerten Obstgarten hinter dem Gebäude entdeckt. Die Johannisbeersträucher und Himbeerbüsche waren zwar völlig verwildert, trugen aber dennoch Früchte. Am besten gedieh jedoch ein alter Weinstock, der im Gewächshaus an der Südmauer rankte – der letzte Überlebende einer Vielzahl exotischer Obstbäume. Die Kinder hatten den Wein das ganze Jahr über gepflegt, und nun reiften die Früchte ihrer Arbeit. Mrs Feverel hatte bereits mehrere Körbchen mit süßen, aromatischen Trauben erhalten.

Kurz nach dem Eintreffen von Lady Chilhams Brief hielten sich Serafina und Michael in dem Gewächshaus auf Blanchards auf. Serafina trug wieder das schäbige Kleid mit der alten Jacke – und Michaels Stiefel. Eine leichte Brise wehte durch die zerbrochenen Scheiben im Dach und ließ die bereits herbstlich gefärbten Blätter rauschen. Serafina hob den Kopf, um das im Sonnenlicht schimmernde bunte Weinlaub zu bewundern. Ihrer Mutter würde es bestimmt Freude machen, diese Pracht zu malen … Die schönsten Blätter befanden sich indes hoch oben, direkt unter der Kuppel. Und die reifsten Trauben ebenfalls.

Entschlossen stopfte Serafina ihr Haar unter die Wollmütze, die sie heute aufgesetzt hatte, schürzte die Röcke und begann, Michaels Warnungen ignorierend, den dicken Weinstock hinaufzuklettern. Schon bald erreichte sie den Querbalken, der das Dach trug und die ganze morsche Konstruktion zusammenhielt. Die Sonne schien warm herab, und die Luft war stickig. Serafina zog die Jacke aus und legte sie auf eine der Streben. Hier oben gab es weit mehr Wein, als sie vermutet hatte.

„Sally, beeil dich. Wir sind spät dran!“

Hastig schnitt sie noch eine Dolde ab und machte sich an den Abstieg. Dann schlüpfte sie durch die Tür hinaus ins Freie zu ihrem ungeduldig wartenden Bruder.

„Du weißt, wie enttäuscht Papa ist, wenn wir nicht am Nachmittagsspaziergang teilnehmen“, erinnerte er sie. „Lass mich zuerst über die Mauer steigen, dann kann ich dir den Korb abnehmen.“

Als sie Michael über die hohe Steinbrüstung folgen wollte, fiel ihr auf, dass sie ihre Jacke auf dem Balken vergessen hatte. „Du musst allein vorlaufen, Michael. Ich hole nur meine Jacke und komme so schnell wie möglich nach. Entschuldige mich bitte bei Papa … hier, nimm den Wein.“

Michael machte sich hastig davon, und Serafina kehrte zum Gewächshaus zurück. Sie kletterte den Weinstock hoch, ergriff die Jacke und wollte schon den Rückweg antreten, als sie plötzlich Stimmen hörte. Vorsichtig spähte sie hinunter, konnte jedoch durch das dichte Laubwerk nichts erkennen. Die Stimmen näherten sich unaufhaltsam, und zwei Personen betraten das Glashaus. Einer davon war Sam Eckford, der sonst nie hier auftauchte. Die andere Männerstimme war tiefer und klang befehlsgewohnt.

„Das muss alles abgerissen werden, Eckford. Es ist viel zu gefährlich. Sie hätten längst dafür sorgen müssen. Mich wundert, dass der Wein hier überdauert hat.“

Der Sprecher bewegte sich vorwärts, und Serafina erhaschte einen Blick auf ihn. Groß, muskulös und schwarzhaarig – er war der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte, und obendrein offenbar reich. Unter seinem aufgeknöpften Reisemantel waren eine schneeweiße Krawatte und rehbraune Pantalons zu erkennen. Er musste einen weiten Weg hinter sich haben … Unwillkürlich fragte Serafina sich, wie es ihm wohl gelungen war, trotzdem so makellos sauber zu sein.

„Aber Mylord“, entgegnete Eckford, „man hat mir nur gesagt, ich sollte mich um das Haus kümmern. Und das war schon schwer genug. Mit Verlaub, es muss viel daran getan werden.“

„Ja, ja. Wir werden eine ganze Armee von Handwerkern beschäftigen, damit es noch vor Weihnachten bewohnbar ist. Lassen Sie den ganzen Kram herausreißen, bevor ich wiederkomme.“ Die Männer wandten sich zum Gehen, aber der Gentleman hielt abrupt inne. „Was, zum Teufel …?“ Ehe Serafina wusste, wie ihr geschah, hatte eine Hand ihre Fessel ergriffen. „Was tust du hier? Komm sofort herunter!“

Serafina hielt sich am Balken fest und trat kräftig zu.

„Autsch! Warum …“

Sam eilte seinem Herrn zu Hilfe. „Komm herunter, du kleiner Taugenichts“, schrie er und zerrte an den Ranken.

„Nein, tun Sie das nicht, Eckford. Sie werden …“

Zu spät. Die gesamte Konstruktion knackte und ächzte, bevor sie in sich zusammensackte. Die beiden Männer wurden unter dem mächtigen Weinstock begraben, während Serafina unaufhaltsam den sich neigenden Balken herabrutschte und außerhalb des Gewächshauses landete. Erschrocken drehte sie sich um und begutachtete den Schaden. Die Glasscheiben waren glücklicherweise an ihrem Platz geblieben, sodass den beiden Männern keine unmittelbare Gefahr drohte. Allerdings lagen sie unter einem Gewirr von Weinranken und Stützstreben … Entschlossen kehrte sie zu dem Trümmerfeld zurück.

„Sind Sie in Ordnung?“, fragte sie.

„Gütiger Himmel, ein Mädchen!“ Ein wütendes Gesicht mit funkelnden grauen Augen und zorngeröteten Wangen tauchte zwischen den Zweigen auf. Das Haar des Gentlemans war völlig zerzaust, und seine Krawatte zeigte deutliche Spuren von Spinnweben und Staub. Trotzdem war der Mann noch immer höchst attraktiv.

Serafina verschwendete allerdings keine Zeit darauf, ihn zu bewundern, sondern floh durch den Garten und über die angrenzende Mauer hinweg zurück nach Hause.

Später am Nachmittag, nachdem Serafina sich längst gesäubert und umgekleidet hatte, leistete sie ihrer Mutter Gesellschaft, als die Kinder hereinplatzten und von ihrem Spaziergang berichteten.

„Mama, Lord Aldworth wird bald nach Blanchards kommen“, erzählte Michael. „Miss Twitch hat uns das gesagt. Ob er uns wohl einmal besuchen wird?“

„Das glaube ich nicht, Michael“, erwiderte Mrs Feverel zu Serafinas großer Erleichterung und wandte sich zu ihrer Tochter um. „Nun, Serafina, die Weinlese ist also vorüber. Obwohl mir die Trauben köstlich geschmeckt haben, hatte ich immer ein schlechtes Gewissen. Vielleicht kultiviert er den Wein weiterhin und gibt dir sogar etwas davon ab.“

„Das bezweifle ich, Mama“, murmelte Serafina.

Irgendetwas in Serafinas Stimme und in ihrem scheinbar unschuldigen Gesichtsausdruck veranlasste Mrs Feverel, ihre Tochter misstrauisch zu mustern. Wie schon so oft in der Vergangenheit zog sie es jedoch auch dieses Mal vor, nicht weiter nachzufragen.

Lord Aldworth trat nicht mehr in Erscheinung. Offenbar hatte er nur einen Abstecher nach Blanchards gemacht und dort übernachtet, ehe er zu seinem eigenen Besitz nach Berkshire weiterreiste.

Serafina war froh, dass sie nun nicht mehr Gefahr lief, ihm noch einmal zu begegnen. Es war nur befremdlich, wie hartnäckig Lord Aldworths Bild durch ihre Träume geisterte.

2. KAPITEL

Lord Aldworth zügelte sein Pferd auf der Kuppe des Hügels und blickte auf die Landschaft hinab, die sich unter ihm wie ein bunter Flickenteppich in der Septembersonne erstreckte. Obwohl es seiner Meinung nach in ganz Europa kein schöneres Fleckchen Erde als Berkshire gab, konnte er es nicht erwarten, wieder abzureisen. Drei Wochen in Gesellschaft seiner Schwägerin, seiner Stiefmutter sowie seiner drei Stiefschwestern hatten die Geduld Seiner Lordschaft aufs Äußerste strapaziert. Er verzog gequält das Gesicht.

Es gab nur eine einzige Person, die über seine Absicht, nach Wien zurückzukehren, nicht begeistert sein würde. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie seine Großmutter auf diese Nachricht reagieren würde …

Die Sonne versank am Horizont, als er sich dem Witwensitz näherte, wo ihn seine Großmutter, die Dowager Lady Aldworth, im Salon erwartete. Trotz ihres hohen Alters von fast achtzig Jahren war der gebürtigen Französin ihre einstige Schönheit noch immer anzusehen. Normalerweise pflegte sie mit ihrem Lieblingsenkel in ihrer Muttersprache zu plaudern, heute verzichtete sie jedoch darauf, weil ihr ein ernstes Thema am Herzen lag.

„Ich habe mich nie in deine Belange eingemischt, Charles. Seit du Oxford verlassen hast, bist du stets deinen Neigungen nachgegangen. Zugegeben, deine Karriere ist beispielhaft, doch dein Privatleben steht auf einem ganz anderen Blatt.“ Sie zögerte kurz, ehe sie fortfuhr. „Natürlich ist es dein gutes Recht, dir so viele Mätressen zu nehmen, wie du möchtest. Schließlich bist du Junggeselle und in der Blüte deiner Jahre.“

„Ich danke dir für deine großherzige Einstellung, aber ich versichere dir, dass ich nie mehr als eine Mätresse zur gleichen Zeit hatte. Es hätte sonst zu unnötiger Verwirrung führen können“, erklärte er schmunzelnd.

Die alte Dame ließ sich nicht beirren. „Du bist nicht länger der unverheiratete, charmante Diplomat Charles Dacre, sondern der fünfzehnte Baron Aldworth und trägst neben dem Titel die Verantwortung für riesige Ländereien. Dein einfältiger Bruder war so leichtsinnig, zu sterben, ehe er einen Erben in die Welt gesetzt hat. Als wären deine Stiefmutter und deren Töchter nicht Strafe genug für uns, müssen wir uns nun mit einer weiteren verwitweten Lady Aldworth herumplagen.“

„Gervase war bei seinem Tod kaum sechs Monate verheiratet“, erinnerte sie Charles.

„Er war ein unfähiger Trottel“, lautete das vernichtende Urteil der Dowager. „Gervase war weit über dreißig, als er endlich eine Frau nahm. Er hätte eine ganze Horde von Kindern zeugen können, wenn er sich nur etwas mehr Mühe gegeben hätte. Dein Vater war erst zweiundzwanzig, als Gervase geboren wurde. Und was diese Megäre betrifft, die er uns ins Haus gebracht hat …“

„In diesem Punkt stimme ich dir völlig zu. Ich würde auch nicht sonderlich am Leben hängen, wenn ich dazu verdammt wäre, ihre Gegenwart allzu lange zu ertragen. Sie hat eine Stimme wie eine Schleiereule.“

„Was gedenkst du also zu unternehmen?“

„Mit meiner Schwägerin? Was bleibt mir anderes übrig, als sie dort zu lassen, wo sie ist – und ihr möglichst aus dem Weg zu gehen.“

„Du weißt genau, dass ich das nicht meinte. Schließlich bist du auch schon fast dreißig. Mich interessiert, was du hinsichtlich eines Erben tun willst.“

„Dieses Thema haben wir seit meiner Rückkehr aus Wien bereits mehrfach diskutiert, Großmama. Ich sage dir noch einmal, dass ich nicht den Wunsch verspüre, meinen derzeitigen Lebensstil zu ändern. Wozu überhaupt diese Eile? Noch bin ich kein Greis.“

„Das habe ich auch nie behauptet.“ Sie musterte wohlgefällig die gepflegte Erscheinung ihres Enkels. Trotz der modischen Garderobe und des perfekt geschlungenen Krawattentuches hatte er nichts Geckenhaftes an sich. Hochgewachsen und breitschultrig bewegte er sich mit lässiger Eleganz. Charles Dacre war von den dichten schwarzen Haaren bis zu den auf Hochglanz polierten Stiefeln ein Bild von einem Mann.

Widerstrebend riss sich die Dowager von seinem Anblick los. „Du bist es der Familie schuldig, Charles. Was ist nur mit der heutigen Jugend los? Dein Vater hat seine Pflicht erfüllt und zwei Söhne in die Welt gesetzt, ehe er in deinem Alter war. Jetzt ist die Reihe an dir. Unfälle können selbst dem Gesündesten unter uns zustoßen, und du kannst mir nicht einreden, dass dein Lebensstil auf dem Kontinent ungefährlich ist. Nach dem, was ich gehört habe, gibt es einige Ehemänner, die dich gern los sein würden.“

„Das sollen sie ruhig versuchen“, erwiderte ihr Enkel gelassen. „Ich habe mir nie genommen, was mir nicht freiwillig gegeben wurde, Grand-mère.“

„Als ob das irgendetwas ändern würde. Und was diese Südamerika-Sache angeht …“

„Was meinst du damit?“

„Mach mir nichts vor, Charles. Ich bin ebenfalls nicht senil und habe meine Quellen. Sei unbesorgt, ich werde nicht versuchen, dir die Geschichte auszureden. Allerdings kannst du nicht leugnen, dass ein erhebliches Risiko damit verbunden ist.“

„Doch, das kann ich. Es handelt sich um eine reine Routineangelegenheit. Mich wundert nur, dass du darüber Bescheid weißt – und wer noch?“

„Niemand. Mein Informant ist diskret, und ich bin es auch. Wir wollen nicht mehr darüber reden, wenn du es nicht möchtest. Aber warum heiratest du nicht vorher?“ Als er vehement den Kopf schüttelte, fragte sie: „Warum stehst du der Ehe so abgeneigt gegenüber? Hast du diesen Schritt bisher nie in Erwägung gezogen?“

„Doch, gelegentlich“, entgegnete er mit einem bitteren Lachen, „und immer voller Entsetzen. Oder hältst du die zweite Ehe meines Vaters für einen Anreiz? Diese Szenen und das Gezeter … der arme Mann hatte keine Minute Ruhe! Die vier Furien, meine Stiefmutter und deren entsetzliche Töchter, stellten pausenlos Forderungen und lagen ihm mit ihrem Gejammer in den Ohren. Und Gervase und seine Frau …“ Seine Lordschaft verließ seinen Platz am Kamin und wanderte ruhelos durch den Salon. „Hast du eigentlich eine Ahnung, wie es momentan auf Aldworth aussieht? Ich lebe in einem … Hühnerstall, umgeben von gackernden, flügelschlagenden Hennen. Eher gehe ich freiwillig ins Tollhaus, als dass ich ein weiteres Weib dazuhole, das dann mich angiftet, mir ihre Launen aufdrängt und mich schließlich der Selbstsucht bezichtigt.“

„Du bist verwöhnt, Charles. Zu meiner Zeit haben die Männer erst geheiratet und dann ihr Vergnügen gesucht. Dein unbeschwertes Junggesellendasein dauert schon zu lange.“

„Nun, ich glaube, ich habe mir in meiner Zusammenarbeit mit Castlereagh einige Verdienste erworben“, sagte Lord Aldworth ruhig.

„Niemand bestreitet, dass du in Wien und auf dem übrigen Kontinent wahre Wunder für dein Land vollbracht hast. Aber was ist mit deiner Familie? Solange du der jüngere Sohn warst, hatte es einen Sinn, dass du dir einen eigenen Namen machst. Und später in Wien, als du dem, was von meinem armen Frankreich übrig geblieben ist, Handelsverträge abgepresst und die Frauen derer verführt hast, die ebenfalls ihren Nutzen aus der Niederlage ziehen wollten …“

„Die Kommission war mehr als gerecht mit deinem armen Frankreich“, unterbrach sie der Enkel. „Und was den Rest betrifft, so überschätzt du meine Kräfte, Grand-mère.“

„Das bezweifle ich“, entgegnete die Dowager trocken. „Du solltest endlich sesshaft werden. Erzähl mir nicht, dass ein paar hysterische Engländerinnen dich einschüchtern können, während Metternich und seiner Bande dies nicht gelungen ist. Du bist schließlich Diplomat!“

„Mit Diplomatie erreicht man bei den Aldworth-Witwen überhaupt nichts – dich natürlich ausgenommen, Großmama.“

„Dann wirf sie raus.“ Allmählich verlor die alte Dame die Geduld. „Wenn du heiratest, müssten sie ohnehin ausziehen. Gervase war gegenüber Almeria und ihren drei Harpyien viel zu nachsichtig. Sie hätten gleich nach seiner Hochzeit ihre Sachen packen sollen. Der Schleiereule sollte ebenfalls ein anderer Wohnort zugewiesen werden – aber nicht dieses Haus“, fügte sie hastig hinzu. „Wie wäre es mit Sussex? Gibt es da nicht ein Anwesen namens Blanchards, das seit Jahren leer steht?“

„Auf dem Heimweg nach Berkshire habe ich einen Abstecher nach Blanchards gemacht. Es ist in einem schlechten Zustand, da der Verwalter nachlässig war. Außerdem wird das Gelände von Zigeunern bevölkert. Wenn man das Haus renovieren würde …“

„Du weißt, dass ich recht habe, Charles.“ Die Stimme der alten Dame klang sanft. „Die Familie braucht einen Erben, und ein abwesender Grundbesitzer tut dem Land nichts Gutes.“

„Ja, natürlich … aber nicht gleich, Grand-mère.“ Er seufzte.

„Du kannst es nicht länger hinauszögern“, mahnte sie. „Was hältst du von einem Kompromiss? Ich könnte dir ein nettes, fügsames Mädchen suchen, kein mondänes Wesen, das unerwünschte Ansprüche an deine Aufmerksamkeit stellt, sondern ein einfaches Geschöpf, das seine Pflicht kennt und bereit ist, dir die nötigen Erben zu schenken, während du deiner Wege gehst …“

Charles’ Interesse war geweckt. „Ein solches Muster an Tugend wirst du nicht finden.“

„Es wäre möglich. Frankreich war früher voll davon, warum sollte es so etwas nicht auch in England geben? Sie muss selbstverständlich aus guter Familie stammen, braucht indes nicht reich zu sein.“

„Eine Mitgift ist wirklich nicht vonnöten“, pflichtete Lord Aldworth ihr zynisch bei. „Sie soll wenigstens einen Nutzen aus der Ehe ziehen. Ach, Großmama, es ist aussichtslos. Ein Mädchen müsste schon so simpel sein, dass es an Schwachsinn grenzt, um einer solchen Verbindung zuzustimmen.“

Mon dieu! Habe ich dich etwa missverstanden? Wünschst du dir eine Frau mit Verstand?“

„Himmel, nein! Eine intelligente Frau ist das Letzte, was ich will.“ Allmählich freundete Charles sich mit dem Gedanken an. „Nun, Grand-mère, wenn du so ein fügsames, wohlerzogenes, bescheidenes, sanftmütiges Wesen ausfindig machen kannst …“

„… das einen reichen Ehemann sucht …“

„… und obendrein außergewöhnlich hübsch ist …“

„Davon war nicht die Rede!“

„Warum eigentlich nicht? Wenn wir schon derart unerfüllbaren Träumen nachhängen, sollte sie auch schön sein.“ Charles lachte. „Abgemacht, Großmama. Falls du diese perfekte Frau findest, werde ich sie heiraten.“

Im Gegensatz zu Lord Aldworth nahm seine Großmutter die Angelegenheit sehr ernst. Nachdem er in seinen „Hühnerstall“ zurückgekehrt war, saß sie noch lange sinnend im Salon. Wenn dies die einzige Möglichkeit war, ihren Lieblingsenkel vor dem Altar zu sehen, würde sie ihm ein entsprechendes Mädchen suchen – obwohl es ihr gar nicht behagte. Sie hatte immer gehofft, dass Charles eines Tages eine Frau finden würde, die er respektieren und mit der er sein Leben wirklich teilen könnte. Es gab so vieles, das er in einer solchen Partnerschaft geben und gewinnen könnte. Nicht zum ersten Mal verfluchte sie im Stillen die unselige zweite Ehe von Charles’ Vater. Und was Gervase betraf … Nun, die einzige vernünftige Tat, die dieser je vollbracht hatte, war die, diese Welt zu verlassen und den Weg für Charles freizumachen.

Aber wo sollte sie eine Frau für Charles auftreiben? Es war zu riskant, bis zur nächsten Saison zu warten, da er vermutlich nicht so lange in England weilen würde. Nach Gervases unerwartetem Tod war er nur in die Heimat zurückgekehrt, um die Familienangelegenheiten zu regeln. Anschließend würde er wieder nach Wien reisen, um dort erneut seine Arbeit aufzunehmen. Entweder erlag er dort dem Charme irgendeiner eleganten Marquise, oder – was noch schlimmer wäre – er wurde mit einer wirklich gefährlichen Mission betraut. Nein, er musste so bald wie möglich heiraten!

Die Dowager verbrachte die nächsten Tage damit, ihren Freunden und Bekannten zu schreiben. Außerdem gab sie Anweisung, ihre Räumlichkeiten in der Stadtresidenz am Berkeley Square herzurichten. Sie war entschlossen, keine Mühe zu scheuen, um ihrem Enkel zu einer Frau zu verhelfen und den Weg für einen Aldworth-Erben zu ebnen …

Zur gleichen Zeit wurde achtzig Meilen weiter südlich Serafinas Vorfreude auf den Besuch in London durch beunruhigende Neuigkeiten aus Oxford getrübt. Gabriels Tutor hatte in einem Brief sein Missfallen geäußert, und Mr Feverel war sogleich zu seinem ältesten Sohn gereist. Bei seiner Rückkehr brachte er erschreckende Nachrichten mit: Gabriel war in schlechte Gesellschaft geraten. Der unerfahrene Sechzehnjährige hatte sich von den wesentlich älteren Müßiggängern zum Kartenspiel verleiten lassen und beträchtliche Schulden gemacht, deren genaue Höhe nicht zu ermitteln war. Obwohl die Feverels eine angesehene, alte Familie waren, standen Lucius nur sehr begrenzte Mittel zur Verfügung.

Serafina verließ ihre Angehörigen nur ungern zu diesem kritischen Zeitpunkt, doch ihre Mutter wies sie taktvoll darauf hin, dass nunmehr Lady Chilhams Bemühungen, eine vorteilhafte Partie für das Mädchen zu arrangieren, von höchster Bedeutung waren.

Serafina wurde von Lady Chilham in deren Haus an der Curzon Street warmherzig empfangen und schon bald in die gesellschaftlichen Spielregeln eingeweiht. Serafina fand die unzähligen Vorschriften ebenso kompliziert wie die lateinische Grammatik.

Wie Lady Chilham erwartet hatte, erwies sich Serafina als gelehrige Schülerin, wenn es auch schwer war, sie von der Notwendigkeit zu überzeugen, ihre Bildung und Intelligenz zu verleugnen. Sie erinnerte Serafina stets daran, welches Ziel sie letztendlich verfolgten.

Allmählich weckte die bloße Erwähnung einer „vorteilhaften Partie“ Serafinas Widerwillen. Es war ihr unbegreiflich, dass Männer, die sich etwas auf ihren Verstand zugutehielten, ein so unnatürliches Verhalten von ihren künftigen Gattinnen erwarteten. Sollte tatsächlich die Wahl ihrer Lebenspartnerinnen davon abhängen, wie die Betreffende knickste und welches Urteil seine Mutter oder Patronessen von Almack’s über sie fällten? Seufzend fügte Serafina sich in ihr Schicksal und nahm sich vor, ihre Patin zufriedenzustellen.

Eines Tages, als sie von einem heimlichen Besuch im Britischen Museum zurückkehrte, teilte der Butler Serafina mit, dass Ihre Ladyschaft sie unverzüglich zu sehen wünschte. Voller Sorge, ihre Patentante könnte von dem Ausflug erfahren haben, betrat sie den Kleinen Salon im ersten Stock.

Lady Chilham schien indes keineswegs entrüstet, sondern freudig erregt zu sein. Sie saß in ihrem Lieblingssessel am Kamin und hielt einen Brief in der Hand. „Ich habe wundervolle Nachrichten, Serafina. Meine alte Freundin Lady Carstairs hat mir geschrieben.“ Strahlend las sie vor:

„Unterrichte mich bitte sofort, sobald es Neuigkeiten über Lady Aldworths Suche nach einer Braut für ihren Enkel gibt. Obwohl die Sache natürlich sehr diskret gehandhabt wird, muss sie unweigerlich einiges Aufsehen erregen. Ich hatte immer gedacht, Charles Dacre wäre attraktiv genug, um selbst ein Mädchen zu finden, doch nun scheint die Dowager mit dieser Aufgabe betraut zu sein. Vielleicht ist er in Wien im wahrsten Sinne des Wortes zu beschäftigt! Aber er braucht einen Erben. Was für eine Partie … Das Aldworth-Vermögen ist immens. Ich wünschte, meine Enkeltochter wäre alt genug. Halte mich unbedingt auf dem Laufenden, wenn Du etwas erfährst.“

Lady Chilham faltete den Brief sorgfältig zusammen. „Der Rest ist unwichtig, Serafina. Weißt du, was das bedeutet? Hast du schon von den Aldworths gehört? Sie sind märchenhaft reich, und Charles ist einer der begehrtesten Junggesellen Englands. Es wäre fast zu schön, um wahr zu sein.“

Serafina räusperte sich nervös. „Ich glaube, sie haben ein Anwesen in Sussex. Blanchards liegt in der Nähe unseres Hauses.“

„Demnach kennst du die Familie?“

„Nein“, beteuerte Serafina und verdrängte hastig die plötzlich vor ihrem inneren Auge aufsteigende Vision von wütend blickenden grauen Augen unter einem Kranz von Weinlaub. „Solange ich mich erinnern kann, ist Blanchards unbewohnt.“

„Wunderbar. Dann brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, dass er mit deinen Familienverhältnissen vertraut ist.“

Serafina richtete sich kerzengerade auf. „Ich bitte um Verzeihung, Madam?“

„Sehr schön. Diese würdevolle Haltung war perfekt. Ich glaube, du lernst es allmählich, Serafina.“

So leicht ließ Serafina sich jedoch nicht besänftigen. „Sie haben eine Andeutung über meine Familie gemacht, Lady Chilham. Unser Name ist genauso alt und ehrenwert wie der von Lord Aldworth – wenn wir auch nicht so reich sind“, fügte sie bissig hinzu.

„Es tut mir leid, wenn ich dich gekränkt habe, Kind. Euer Stammbaum ist makellos, doch eure Erziehung … Ich schätze deine Loyalität den Eltern gegenüber, aber wir wissen beide, dass Lady Aldworth nach etwas anderem sucht. Ich werde mich diskret erkundigen, welche Anforderungen sie an das Mädchen stellt.“

Das Ergebnis dieser Nachforschungen wurde Serafina ein paar Tage später von einer sehr nachdenklichen Lady Chilham mitgeteilt. „Wie ernst ist es dir mit dem Wunsch, deiner Familie zu helfen?“, fragte sie.

Serafina zog sogleich ihre eigenen Schlüsse. „Was stimmt mit der Hochzeit nicht?“

„Alles ist in bester Ordnung, wirklich. Es wäre der Traum vieler junger Mädchen, nur …“

„Nur?“

„Lady Aldworth hat sehr genaue Vorstellungen, nach was für einer Art von Mädchen sie sucht. Ihr Enkel wird keine andere heiraten …“ Ihre Ladyschaft zögerte. „Du erfüllst ihre Ansprüche nur in zwei Punkten – vielleicht in drei, wenn du dir Mühe gibst.“

Serafina hätte eigentlich erleichtert sein müssen, dass sie offenbar als Kandidatin nicht infrage kam. Die Furcht, er könnte in ihr den Eindringling aus dem Gewächshaus wiedererkennen, verfolgte sie Tag und Nacht. Andererseits fühlte sie sich ein wenig in der Ehre gekränkt. „Und welche Punkte sind das?“

„Du bist schön und stammst aus einer respektablen Familie. Mit einiger Anstrengung könntest du ihn sogar davon überzeugen, dass du dich in der Gesellschaft zu benehmen weißt.“

Serafinas Augen funkelten. „Und in welcher Hinsicht entspreche ich nicht Lord Aldworths unerbittlichen Vorstellungen?“

„Unter anderem in deiner Ausdrucksweise“, erklärte Lady Chilham unumwunden. „Lady Aldworth sucht jemanden, der ihrem Enkel einen Erben schenkt. Das Mädchen soll sanftmütig sein, anderen das Denken überlassen und Seiner Lordschaft erlauben, seinen gewohnten Lebensstil fortzusetzen …“

„Genug“, rief Serafina. „Demnach will er eine Heilige von überragender Schönheit und mit einem tadellosen Stammbaum. Ich würde niemals seinem Wunschbild entsprechen.“

„Sei nicht so voreilig, Kind. Denk einmal daran, dass deine Familie aller finanziellen Sorgen enthoben wäre, wenn es dir gelänge, ihn dir zu angeln. Aber wahrscheinlich werden wir ihn – oder Lady Aldworth – niemals von deinen Tugenden überzeugen können.“

„So?“ Serafinas Augen glänzten übermütig. „Ich wette, Madam, ich könnte es schaffen, genau so ein hübsches Püppchen zu spielen, wie es Lord Aldworth vorschwebt. Es würde mir sogar Spaß machen.“

Lady Chilham blickte ihre Patentochter wohlwollend an. „Nun ja … beinahe hätte ich deine Vorstellung als schüchterne Jungfer vergessen. Du warst sehr gut …“ Sie nickte zufrieden. „Es wäre wirklich ein Triumph, das Aldworth-Vermögen zu erobern.“

„Und mir wäre es ein Vergnügen, Seiner arroganten Lordschaft einen Dämpfer zu versetzen.“

„Was meinst du damit? Du willst doch nicht etwa in letzter Minute die Hochzeit absagen, oder?“, fragte Lady Chilham scharf.

„Um Himmels willen, nein! Lord Aldworth soll erst merken, was er sich eingehandelt hat, wenn es zu spät ist. Schlimmstenfalls wird er mich auf seinen Landsitz verbannen, und ich hätte endlich Gelegenheit, so viel zu studieren, wie ich möchte. Oder er findet sich damit ab, einen Blaustrumpf zur Frau zu haben. Wie immer er sich jedoch entscheiden mag – bis dahin werde ich ihm sein Leben äußerst unbehaglich machen.“

Lady Aldworth konnte derweilen keinerlei Erfolge vorweisen. Wie es schien, litten die besten Familien Englands einen beklagenswerten Mangel an geeigneten, heiratsfähigen Töchtern. Alle der infrage kommenden Mädchen wiesen den einen oder anderen Makel auf. Obwohl die Dowager selbst diese Vernunftehe vorgeschlagen hatte, behagte ihr der Gedanke, Charles könnte eines dieser Geschöpfe heiraten, überhaupt nicht. Um ihn für den Rest seines Lebens glücklich zu machen, bedurfte es mehr als einer seelenlosen Verbindung.

Ziemlich entmutigt willigte Lady Aldworth ein, Lady Chilham einen Besuch abzustatten. Offenbar lebte in deren Haus eine Patentochter … Unwillkürlich fragte sich die alte Dame, was wohl mit diesem jungen Ding nicht stimmen würde.

Der erste Eindruck war erstaunlich gut. Das Kind war engelhaft schön – und erfüllte somit die erste Bedingung. Silberblondes Haar, klare blaue Augen unter entzückend geschwungenen Brauen, eine perfekt geformte Nase und ein voller, rosiger Mund. Das Mädchen war schlank und bewegte sich mit natürlicher Anmut, ihr Knicks war eine Augenweide. Trotz ihrer überirdischen Erscheinung schien sie sich bester Gesundheit zu erfreuen, und ihre Zähne waren ebenmäßig. Das hellblaue Musselinkleid war weder zu schlicht noch zu überladen. Schmale Hände und zierliche Füße. Sehr vielversprechend!

„Lady Chilham erwähnte, dass Sie in Sussex leben, Miss Feverel.“

„Ja, Lady Aldworth.“

„Wo genau?“

„Hardington Feverel, unweit von East Bourne.“

„So? Kennen Sie Blanchards, unseren Besitz in dieser Gegend?“

„Ja, Mylady.“

„Erzählen Sie mir mehr, Kind. Wie weit ist Ihr Heim von dort entfernt?“

„Es liegt ganz in der Nähe, Lady Aldworth.“

„Ach wirklich? Hat mein Enkel Ihren Vater besucht, als er unlängst auf Blanchards war?“

„Nein, Mylady.“ Das Mädchen schien zunehmend nervös zu werden.

Vielleicht ist sie doch etwas zu schlichten Gemütes, dachte die Dowager. Charles würde sich bei dieser einsilbigen Konversation zu Tode langweilen. Trotzdem … die reizende Feverel-Tochter war einen weiteren Versuch wert. „Lassen Sie mich nachdenken … Feverel. Ach, ja, Lucius Feverel, der Gelehrte.“

„Sie kennen ihn?“ Plötzlich kam Leben in das Gesicht des Mädchens. Seine Augen glänzten, und der Mund verzog sich zu einem Lächeln. Lady Chilham räusperte sich, und sogleich nahm ihr Schützling wieder die gewohnte ausdruckslose Miene an.

Lady Aldworths Neugier war geweckt. Dieser wundersamen Wandlung wollte sie auf den Grund gehen. „Er ist natürlich ein Verrückter“, stellte sie provozierend fest. Die Kleine musste ihr jetzt entweder zustimmen, was Mangel an töchterlichem Respekt verraten würde, oder dem Gast offen widersprechen.

Lady Chilham rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her, während Miss Feverel völlig gelassen blieb. „Ich weiß nicht, was die anderen Leute von Papa denken. Bis vor Kurzem habe ich auf dem Land gelebt. Möglicherweise haben Sie ja recht, Mylady …“

Die Dowager lächelte selbstzufrieden. Also wollte das Mädchen den eigenen Vater opfern, um das ersehnte Ziel zu erreichen. Doch Lady Aldworths Heiterkeit schwand bei den nächsten Worten der jungen Schönheit.

„… allerdings schulde ich ihm die größte Hochachtung. Er war meinen Geschwistern und mir stets ein liebender, fürsorglicher Vater.“ Miss Feverel hob den Blick und schaute den Gast gleichermaßen gekränkt und vorwurfsvoll an. Glücklicherweise ahnte die alte Dame nicht, dass dieser Blick von jeher eine von Serafinas stärksten Waffen war.

Erst im letzten Moment unterdrückte Lady Aldworth die Entschuldigung, die ihr bereits auf der Zunge lag. „Geschwister … soso. Mögen Sie Kinder?“

„Ich liebe meine Brüder und meine Schwester, Madam.“

Die Unterhaltung plätscherte dahin, während Serafinas Manieren einer gründlichen Prüfung unterzogen wurden. Sie blieb unverändert höflich, und trotzdem … Kurz bevor sie sich verabschiedete, schoss die Dowager ihren letzten Pfeil ab, der dieses Muster an Tugend aus der Fassung bringen sollte.

„Nun, Miss Feverel, Sie wissen, warum ich hier bin, und haben sich vermutlich schon gefragt, ob Sie wohl die nächste Lady Aldworth werden könnten. Was würden Sie sagen, wenn mein Enkel sich für Sie entscheiden sollte?“

Die großen blauen Augen wurden vor Erstaunen rund. Serafina lächelte schüchtern. „Es wäre nicht recht, würde ich mich dazu äußern, ehe dieser Fall eingetreten ist. Jedes Mädchen muss sich geschmeichelt fühlen, wenn Seine Lordschaft sich dazu herablässt, es zu bemerken.“

Lag da nicht eine leise Ironie in der Stimme? Natürlich nicht. Dennoch war die Dowager misstrauisch. Die Kleine hatte mehr Ausstrahlung als die anderen. Ehe sie sie indes Charles vorstellte, wollte sie mit Miss Feverel noch einmal plaudern, denn sie hatte die dunkle Ahnung, dass sie während der vergangen halben Stunde gründlich gefoppt worden war. Sollte das der Fall gewesen sein, so war dieses engelhafte Geschöpf eine der kaltblütigsten, raffiniertesten Frauen, der Ihre Ladyschaft seit Langem begegnet war.

3. KAPITEL

Wenige Tage später erhielt Serafina die Einladung, die Dowager Lady Aldworth in deren Haus am Berkeley Square zu besuchen. Aus dem Schreiben ging zudem hervor, dass Seine Lordschaft nicht zugegen sein würde.

„Sie will dich Wiedersehen, Serafina“, rief Lady Chilham entzückt. „Du hast den ersten Test bestanden. Ich wünschte, ich könnte dich begleiten … leider wird mein Name in dem Billett nicht erwähnt. Wir müssen unverzüglich noch einmal alle Höflichkeitsregeln für einen Anstandsbesuch durchsprechen und deine Garderobe inspizieren.“

Ausgerüstet mit Lady Chilhams Ratschlägen, bot Serafina am Berkeley Square ein Bild perfekter Eleganz und Gelassenheit. Sie trug eine fliederfarbene Samtpelisse über einem weißen Musselinkleid und dazu passende Schuhe mit weißen Bändern. Marbury, der ältliche Butler der Aldworths sagte später zu Mrs Philipps, der Haushälterin, er hätte niemals zuvor ein so liebreizendes Wesen durch die Tür treten sehen.

Lady Aldworth’ Gemächer lagen im ersten Stock. Serafina folgte Marbury die breite Treppe hinauf in den Salon Ihrer Ladyschaft.

„Miss Feverel! Wie zauberhaft! Kommen Sie näher, und nehmen Sie Platz.“

Nachdem sie artig geknickst hatte, setzte Serafina sich ihrer Gastgeberin gegenüber an den Kamin. Es dauerte eine Weile, bis sämtliche Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht waren.

Schließlich meinte die Dowager: „Würden Sie wohl einer alten Frau einen Gefallen tun, Miss Feverel? Meine Augen sind nicht mehr die besten, und in der ‚Times‘ steht ein Artikel, der mich sehr interessiert. Wie Sie vielleicht erraten haben, stamme ich aus Frankreich und halte mich noch immer über die Ereignisse dort auf dem Laufenden. Wären Sie so nett, mir vorzulesen?“

Serafina konnte unmöglich ablehnen. Ergeben nahm sie die Zeitung und begann vorzulesen. Anfangs gelang es ihr, ihre Rolle weiterzuspielen. Sie zögerte bei Worten mit mehr als einer Silbe, stolperte über ausländische Begriffe und schaute jedes Mal verzeihungsheischend zu Lady Aldworth hinüber. Mit der Zeit wuchs ihr Interesse an dem Bericht und Namen wie Metternich, Talleyrand oder Aix-la-Chapelle kamen ihr leicht über die Lippen.

Als sie endete, hob sie den Blick und bemerkte, dass Lady Aldworth sie ironisch anlächelte. Himmel, sie hatte sich verraten! Wie hatte sie nur so leichtsinnig sein können! „Ich … ich habe viel mit Papa gelesen“, stammelte sie.

Zu Serafinas Überraschung erwiderte die Dowager nur: „Natürlich. Sie lesen sehr gut, Miss Feverel, wenn sich Ihre anfängliche Nervosität erst einmal gelegt hat. Danke.“

Es wurde Zeit, sich zu verabschieden. Obwohl Lady Aldworth kein Wort über die wundersame Wandlung ihres Gastes verloren hatte, so musste es ihr doch aufgefallen sein. Daher war Serafina zutiefst verwundert, dass ein weiteres Treffen vorgeschlagen wurde.

„Vielleicht ist Lady Chilham so freundlich, Sie zu Lady Carterets Abendgesellschaft mitzunehmen, die in einer Woche im Marchant House stattfindet. Ich werde dafür sorgen, dass Sie Einladungen dafür erhalten, und versuchen, meinen Enkel ebenfalls zum Kommen zu überreden. Vorerst werde ich ihm nichts verraten und Sie erst auf dem Ball miteinander bekannt machen.“ Völlig überrumpelt wandte Serafina sich zum Gehen. Sie hatte kaum die Tür erreicht, als Lady Aldworth ihr nachrief: „Miss Feverel, Ihre Art ist genau richtig – exakt das, was Charles sucht. Aber übertreiben Sie es nicht … ein bisschen mehr Temperament könnte nicht schaden.“ Die alte Dame kicherte leise. „Allerdings müssen Sie sich mehr Mühe geben, um durchzuhalten. Leben Sie wohl, Miss Feverel, wir sehen uns im Marchant House.“

Als Serafina gegangen war, wurde die Dowager wieder ernst. Das Mädchen war beinahe perfekt in seiner Rolle als Naive, dennoch hatte es sich verraten. Die wahre Miss Feverel war weitaus intelligenter und gebildeter, als sie sich den Anschein gab. Ein cleveres kleines Ding! Wenn nicht alle Stricke rissen, konnte Serafina Feverel die passende Antwort auf Charles’ Einwände gegen eine Ehe sein. Und in der Zwischenzeit wollte Lady Aldworth in aller Ruhe die kleine Komödie genießen.

Die Abendgesellschaft im Marchant House fand alljährlich im November zu Ehren von Lady Carterets Geburtstag statt und galt nicht unbedingt als herausragendes Ereignis, da die Carterets nicht zu den Spitzen des Ton zählten. Trotzdem war die Veranstaltung gut besucht und bot der in diesen Dingen unerfahrenen Serafina genügend Aufregung.

Serafina bemühte sich, so würdevoll wie möglich zu erscheinen und nicht zu neugierig zu wirken, während sie durch eine Flucht elegant möblierter Räume zu dem im hinteren Teil des Hauses gelegenen Ballsaal schlenderte. Da sie ihr Debüt noch nicht absolviert hatte, trug sie nur eine bescheidene Abendrobe aus weich fließender weißer Seide. Dennoch lenkte sie zahlreiche bewundernde Blicke auf sich, und Lady Chilham sah sich bald von jungen Gentlemen umlagert, die um einen Tanz mit Miss Feverel baten.

Lady Aldworth war ebenfalls zugegen, von ihrem Enkel hingegen war keine Spur zu entdecken. Sie begrüßte Serafina freundlich, ließ sich indes nicht anmerken, dass das Mädchen ihre bevorzugte Kandidatin war.

Der Abend war schon halb verstrichen, als eine Gruppe elegant gekleideter Damen und Herren den Saal betrat. Serafina erkannte Lord Aldworth sofort. An seinem Arm hing eine lebhafte dunkelhaarige Frau, die ein geranienrotes Kleid aus schwerer Seide trug. Kostbare Diamanten schmückten ihren Hals und ihre Frisur. Serafina sah, wie sie den Fächer aufklappte und über dessen Rand Lord Aldworth kokett zuzwinkerte.

„Dort drüben ist Lord Aldworth, Serafina“, meinte Lady Chilham. „Der große Mann mit der Frau in Rot. Wenn ich mich nicht täusche, ist das Louisa Paget. Seltsam, ich dachte, die Pagets wären noch in Wien. Wo wohl Sir Robert ist?“

„Sir Robert?“

„Der Gatte dieser Dame. Er befindet sich nicht unter den anderen.“

Nach einer Weile teilte sich die Gruppe und bummelte getrennt durch den Saal. Lord Aldworth begrüßte kurz seine Großmutter, während Lady Paget nicht von seiner Seite wich. Serafina beobachtete, wie er seine Begleiterin geschickt durch die Menge führte, sie anlächelte, den Arm um ihre Taille legte und sie dann im Walzertakt über das Parkett wirbelte.

„Sieh dir die beiden an – sie umarmen sich praktisch in aller Öffentlichkeit. Egal, wie beliebt dieser Tanz auch in Wien sein mag, ich habe dem Walzer nie etwas abgewinnen können. Er leistet nur solch skandalösem Benehmen Vorschub“, erklärte Lady Chilham.

„Sie wirken sehr anmutig, Madam, und der Gentleman hält genau den vorgeschriebenen Abstand zu seiner Partnerin ein“, erwiderte Serafina.

Ihre Patentante runzelte die Stirn. „Mag sein, aber sie vermitteln einen ganz anderen Eindruck.“

Serafina seufzte. Lord Aldworth war noch attraktiver, als sie ihn in Erinnerung hatte. Wie sollte sie ihn für sich gewinnen? Sie würde nie so weltgewandt und elegant sein wie die Frau, die er gegenwärtig in seinen Armen hielt. Auf einmal bemerkte sie, dass die Dowager ihr zuwinkte. Serafina entschuldigte sich bei Lady Chilham und begab sich zu der alten Dame.

Lady Aldworth war sichtlich wütend. Serafina hätte wetten mögen, dass sie über das Auftauchen ihres Enkels mit Lady Paget empört war. Sie folgte gehorsam der Einladung Ihrer Ladyschaft, sich zu ihr zu setzen.

„Miss Feverel, wenn Sie damit einverstanden sind, werde ich Sie meinem Enkel vorstellen. Ich bin sicher, er würde gern Ihre Bekanntschaft machen.“

Serafina warf einen vielsagenden Blick auf das tanzende Paar. „Ach, wirklich, Mylady?“, fragte sie zweifelnd.

Die Dowager presste die Lippen zusammen. „Ich hätte ihm wohl sagen sollen, dass Sie heute Abend hier sind. Andererseits wollte ich ihn überraschen. Sobald er merkt, dass ich jemanden bei mir habe, wird er herüberkommen, davon bin ich überzeugt.“

Die alte Dame hatte sich nicht getäuscht. Als der Walzer endete, geleitete Lord Aldworth seine Partnerin zu ihren Freunden, verbeugte sich galant und machte sich auf den Weg zu seiner Großmutter.

Panik befiel Serafina. Lord Aldworth zeigte indes keinerlei Anzeichen des Erkennens, sondern schaute seine Großmutter fragend an.

„Mein Enkel, Lord Aldworth … Miss Feverel.“

Man tauschte die üblichen Höflichkeitsfloskeln aus, ehe Lord Aldworth einen kleinen Schritt zurücktrat und Serafina musterte. „Ich gratuliere, Grand-mère“, sagte er. „Miss Feverel ist charmant.“

Wahrscheinlich war sein herablassender Tonfall der Situation angemessen, schließlich wussten sie alle, dass Serafina eine mögliche Ehekandidatin war, trotzdem regte sich ihr Stolz. Eine leichte Zornesröte überzog ihre Wangen, die Lord Aldworth glücklicherweise als mädchenhafte Scheu deutete.

„Entzückend“, murmelte er.

„Miss Feverel wohnt bei ihrer Patin, Charles.“

„Ach? Das ist ja eine wundervolle Nachricht.“ Seine Stimme klang unverändert überheblich, und Serafina verspürte das brennende Verlangen, ihn zu ohrfeigen. Um diesem Impuls nicht nachzugeben und nicht ihre Chancen zu ruinieren, faltete sie sittsam die Hände.

„Finden Sie es derzeit nicht schrecklich langweilig in London, Miss Feverel? Es gibt so wenige Vergnügungen für eine so hübsche junge Dame.“

Sie hob den Blick und sah, dass er sie anlächelte, und für einen Moment war sie versucht, seinem Charme zu erliegen. „Mir macht es Spaß, Mylord“, erwiderte sie stockend.

„Das ist schön. Äh … Woher kommen Sie?“

Trotz seiner scheinbaren Freundlichkeit war unverkennbar, dass Lord Aldworth Konversation pflegte, und Serafina fragte sich, ob ihm an ihrer Antwort ernsthaft gelegen war. Trotzdem war sie bereit, ihm alles zu verzeihen, solange er sie nur weiterhin anlächelte.

„Sie stammt aus Sussex, Charles“, warf die Dowager ein.

„Wie interessant.“ Sein Blick wanderte durch den Saal. Serafina merkte, dass er Lady Paget beobachtete, die mit einem gut aussehenden Mann in den Vierzigern tanzte. „Äh … möchten Sie tanzen, Miss Feverel?“

Das Orchester spielte gerade eine Folge von Reigen und anderer ländlicher Melodien. Widerstrebend folgte Serafina Charles auf das Parkett. Es war offensichtlich, dass er danach trachtete, Lady Paget im Auge zu behalten. Der Form halber zwang er sich, mit Serafina zu plaudern.

„Meine Großmutter erwähnte, Sie kämen aus Sussex, Miss Feverel, aus welchem Ort?“

„Feverel Place bei Hardington.“

„Verstehe.“

Serafina wartete vergeblich auf einen Kommentar. Hätte er ihr aufmerksam zugehört, wäre die Frage, ob sie Blanchards kenne, unvermeidlich gewesen.

„Und wie verbringen Sie Ihre Zeit in London?“, erkundigte er sich geistesabwesend und schenkte ihr ein weiteres strahlendes Lächeln.

Ehe sie etwas erwidern konnte, klang Lady Pagets perlendes Lachen durch den Raum, und Charles wandte sogleich den Kopf in die betreffende Richtung. Serafina holte tief Luft und erklärte heiter: „Ich fege die Straßen und säubere Kamine.“

„Fein, fein. Ich bin sicher, Ihre Patentante hat in dieser Hinsicht einiges arrangiert.“

Um ein Haar wäre sie in schallendes Gelächter ausgebrochen. Wie unglaublich unhöflich dieser Mann doch war! Allem Anschein nach hatte er sie als geistloses Nichts eingestuft und behandelte sie dementsprechend.

Nach einer Weile unternahm er einen weiteren halbherzigen Versuch, sich mit ihr zu unterhalten, und Serafina spielte perfekt die Rolle der Naiven. Seine Lordschaft äußerte nichts, was nicht auch eine Fünfjährige auf Anhieb begriffen hätte. Als der Reigen endete, brachte er sie zu seiner Großmutter zurück, die in der Zwischenzeit mit Lady Chilham gesprochen hatte.

„Danke, Miss Feverel. Ich habe diesen Tanz sehr genossen. Wir müssen das unbedingt irgendwann einmal wiederholen. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden … Ihr Diener, Lady Chilham … Grand-mère.“ Damit eilte er von dannen. Fünf Minuten später verließ er mit Lady Paget den Saal.

Als Serafina am nächsten Tag herunterkam, teilte ihr der Butler mit, die Dowager Lady Aldworth sei eingetroffen und warte im Salon auf sie. Verwundert trat Serafina ein und fand ihre Patin in ein ernstes Gespräch mit dem Gast vertieft. Kurz darauf zog sich Lady Chilham unter einem Vorwand zurück und ließ Serafina mit der alten Dame allein.

„Ich bin gekommen, um mit Ihnen über meinen Enkel zu reden“, begann Lady Aldworth unvermittelt. „Lady Chilham sagte mir, dass Ihr Vater keine Einwände erheben würde, falls Charles um Ihre Hand anhalten sollte. Mich interessiert, wie Ihre Meinung zu einem solchen Antrag lautet.“ Serafina wollte etwas erwidern, doch die Dowager brachte sie mit einer gebieterischen Geste zum Schweigen. „Ich weiß, dass ich Sie das bereits einmal gefragt habe, Miss Feverel, und Sie mir darauf die Antwort verweigerten. Damals war ich bereit, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Inzwischen hat sich die Situation drastisch verändert. Wenn ich nicht schnell handle, wird diese neue Liaison Aldworth von seinen Pflichten der Familie gegenüber ablenken. Sie sehen, mir bleibt gar nichts anderes übrig, als ehrlich zu Ihnen zu sein. Gewiss ist Ihnen sein Benehmen mit dieser … Person gestern Abend aufgefallen.“

„Sie meinen Lady Paget?“

„Also kennen Sie sie. Sie trägt einen alten, ehrenwerten Namen. Weder sie noch Charles sollten den Leuten Anlass zu Klatsch geben. Warum, zum Teufel, kann er seine Affären nicht diskret in Wien abwickeln?“ Sie verstummte und warf Serafina einen prüfenden Blick zu, ehe sie fortfuhr. „Aber ich bin nicht gekommen, um mit Ihnen darüber zu sprechen, sondern um Sie zu fragen, ob Sie es ernst meinen.“

„Ernst? Ich bin nicht sicher, worauf Sie hinauswollen, Mylady“, entgegnete Serafina mit großen Augen.

„Um Gottes willen, Kind, hören Sie mit der Komödie auf. Dieser unschuldige Blick kann mich nicht täuschen, Miss Feverel, wir beide wissen, dass Sie cleverer sind, als Sie tun. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, in Ihnen das geeignete Mädchen für meine Pläne gefunden zu haben.“

„Welche Pläne, Madam?“, fragte Serafina ruhig.

„Charles zu verheiraten. Ein lammfrommes Geschöpf würde ihn binnen fünf Minuten zu Tode langweilen und in die Flucht schlagen, ehe er ihr einen Antrag macht. Ich brauche jemanden, der scheinbar alle Anforderungen erfüllt und trotzdem klug genug ist, auch später sein Interesse zu fesseln – jemand wie Sie. Sind Sie ernstlich gewillt, Aldworths Frau zu werden?“

„Nun … meiner Familie zuliebe muss ich einen wohlhabenden Mann ehelichen, ob es sich dabei um Ihren Enkel handelt, ist eine andere Sache.“

„Papperlapapp. Reiche Junggesellen wachsen nicht auf den Bäumen – oder sind Sie vielleicht in einen anderen verliebt?“ Als Serafina den Kopf schüttelte, nickte Lady Aldworth zufrieden. „Gut. Aldworth ist ein Mann, der sein Wort hält, und er hat mir versprochen, zu heiraten. Ich glaube, ich kann ihn davon überzeugen, dass Sie die passende Kandidatin sind. Er vertraut mir.“

Serafina lachte. „Warten Sie! So ungewöhnlich es klingen mag – zunächst müssen Sie mich überzeugen, dass Ihr Enkel zu mir passt. Eine Ehe mit einem so unwilligen Verehrer ist wenig reizvoll.“

„Er ist der Mühe wert, Miss Feverel. Charles stammt aus einer respektablen Familie, ist attraktiv und reich. Außerdem ist er nicht nur der charmante Lebemann, für den die meisten Leute ihn halten, sondern auch ein geschickter Diplomat, der seinem Land aufopferungsvoll dient. Mit der richtigen Partnerin wird er eine harmonische Ehe führen.“

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