In den Armen des Duke

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Was für ein erregender Kuss! Frederick, Duke of Falconwood, ist erstaunt über die Leidenschaft der jungen Debütantin Minette Rideau. Woher hat sie bloß diese Erfahrung? Die französische Schönheit fasziniert ihn so sehr, dass er sie so schnell wie möglich wiedersehen will. Auf dem nächsten Ball lässt er sich erneut zu einer gewagten Zärtlichkeit hinreißen. Doch da schnappt die Falle zu: Sie werden überrascht, und Frederick, der niemals an Ehe dachte, muss Minette einen Antrag machen! Nichtsahnend, dass die vermeintliche Unschuld ein skandalöses Geheimnis verbirgt …


  • Erscheinungstag 25.10.2016
  • Bandnummer 0571
  • ISBN / Artikelnummer 9783733765187
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der durchdringende Gestank raubte ihr nahezu den Atem. Mit einer Hand raffte Minette ihren Rock, mit der anderen hielt sie sich an Granbys Arm fest, während sie über das glitschige Kopfsteinpflaster der Brigde Alley im verrufenen Stadtviertel St Giles eilte. Diese Gasse führte zu Londons berüchtigtem Sündenpfuhl, der ausgerechnet einem Mann mit herzoglichem Titel gehörte – dem Duke of Falconwood. Um diesen Mann endlich aufzuspüren, setzte Minette heute Nacht ihren guten Ruf aufs Spiel.

Auf beiden Seiten der Straße befanden sich heruntergekommene Mietshäuser. Flackerndes Licht, das durch das Ölpapier vor den Fensteröffnungen schien, verlieh diesem Ort eine bedrohliche Atmosphäre. In den Schatten der Häuser tummelten sich Unheil verkündende Gestalten. Minette vernahm ihr Rufen und Fluchen über den Musikfetzen, die aus den Tavernen auf die Straße hinausdrangen. Dazu war vereinzelt der Klang von weinenden, lachenden und hustenden Menschen zu hören.

Was für ein Gegensatz zu dem eleganten Londoner Stadtviertel Mayfair, dachte Minette, aber schließlich war sie in ihrem Leben schon an wesentlich gefährlicheren Orten gewesen.

Vor einer niedrigen eisenbeschlagenen Holztür blieb Granby stehen. Das Licht der darüber angebrachten Laterne spiegelte sich matt auf der ölig glänzenden Oberfläche der Straßenrinne wider.

„Hier ist es also?“, fragte Minette. „The Fool’s Paradise?“

„Ja – das Paradies der Narren“, stieß Granby heiser hervor und sah sich besorgt um, als erwarte er jeden Augenblick einen Überfall.

Minette hatte all ihren Charme aufwenden müssen, um Lieutenant Laurence Granby dazu zu bewegen, sie zu diesem Etablissement zu begleiten. Sollte ihr kleines Abenteuer jemals bekannt werden, würde er sich eine ganze Menge Ärger aufhalsen.

Er räusperte sich. „Sie können doch nicht wirklich von mir erwarten, dass ich Sie dorthinein begleite“, sagte er flehentlich.

Schuldbewusst sah Minette ihn an. Sie wusste sehr wohl, was sie ihrem Begleiter mit dieser Expedition in Londons Sündenpfuhl zumutete. Sie hatte ihn auch nur dazu bewegen können, indem sie an sein Ehrgefühl appelliert hatte. Eigentlich war der Ehrenwerte Mr. Laurence Granby ein netter junger Mann. Offen und ehrlich – und schrecklich anfällig für die geschickten Manipulationen einer Frau. Doch ihr blieb keine andere Wahl, und sie ließ sich von seinem Flehen nicht erweichen.

Allerdings stand zu befürchten, dass ihre Unternehmung vielleicht vergebens sein würde. Der Mann, der sich hinter dieser Scharade des Sündentempels versteckte und den Minette um Hilfe bitten wollte, ging ihr bereits seit Jahren aus dem Weg. Trotz ihres sorgfältig überlegten Plans war es also durchaus möglich, dass er ihre Bitte ablehnte und ihrem Schwager Gabe verriet, was sie getan hatte.

Doch so leicht ließ sie sich nicht abschrecken. Falls er sich weigerte, würde sie sich eben eine andere Strategie überlegen müssen, um das drohende Unheil abzuwenden.

Ein Unheil, das sie vor einigen Jahren selbst verschuldet hatte, als sie sehr jung, verliebt und ausgesprochen naiv gewesen war.

Ermutigend berührte sie Granbys Arm. „Sie werden doch jetzt nicht von Ihrem Ehrenwort zurücktreten, oder?“, fragte sie und sah ihn enttäuscht an.

Der junge Mann straffte die Schultern. „Selbstverständlich nicht, Miss Rideau. Sie wissen ja, dass ich ein Gentleman bin. Aber meinen Sie wirklich …“

Courage, mon ami. Nur Mut. Klopfen Sie. Es wird sicher très amusant, meinen Sie nicht auch? Und niemand wird je etwas davon erfahren.“ Sie schenkte ihm ihr reizendstes Lächeln, das seine Wirkung nicht verfehlte. Granby klopfte daraufhin gehorsam mit dem Knauf seines Spazierstocks gegen die Tür.

Kurz darauf wurde ein quadratisches Sichtfenster geöffnet, und ein Pförtner sah misstrauisch zu ihnen hinaus. Männer, dachte Minette leicht amüsiert – immer dieser Hang zur Geheimniskrämerei.

„Ach, Sie sind’s, Sir“, sagte der Türsteher, bevor er das Sichtfenster wieder verschloss und ihnen Zutritt gewährte. Dabei würdigte er Minette nur eines flüchtigen Blickes. Im Gegensatz zu den honorigen Londoner Herrenclubs waren Frauen im Fool’s Paradise nicht unerwünscht. Streng genommen machte ihre Anwesenheit sogar einen beträchtlichen Reiz dieser Spielhölle aus. Minette hoffte inständig, dass es noch andere Frauen heute Nacht hierher verschlagen hatte, denn auf keinen Fall wollte sie unnötiges Aufsehen erregen. Viel Zeit würde sie gar nicht benötigen, denn sie wünschte einzig und allein, ein paar Worte mit dem Besitzer dieses Etablissements zu wechseln – mit Seiner Gnaden, dem Duke of Falconwood.

In einem Anfall von rührendem Heldenmut umfasste Granby galant ihren Arm. Er führte sie einen kurzen, nur schwach beleuchteten Gang entlang bis zu einem Durchgang, vor dem ein roter Samtvorhang hing.

Ein etwa fünfzehnjähriger Junge in livrierter Uniform zog den Vorhang beiseite, sodass sie den niedrigen Clubraum betre ten konnten. Der Rauch von unzähligen Zigarren hing schwer in der Luft. Minette unterdrückte nur mühsam den Hustenreiz, während sie die Männer jedes Alters und jeder gesellschaft lichen Schicht an den Spieltischen musterte. Deren Interesse war ausschließlich auf das Glücksspiel gerichtet, dem sie sich gerade hingaben – wie etwa den Kartenspielen Pharo und Basset oder ihren Würfeln. Die Atmosphäre im Raum schien zum Zerreißen angespannt, während die Spieler wie gebannt auf eine Glückssträhne warteten.

Vom Duke of Falconwood, seinen Freunden – zu denen Minette allerdings nicht zählte –, unter dem Namen Freddy bekannt, war allerdings keine Spur zu sehen.

Ein sorgfältig frisierter muskulöser Mann um die dreißig und in makelloser Kleidung kam ihnen entgegen. Offenbar handelte es sich um den Geschäftsführer des Etablissements. „Lieutenant Granby. Was kann ich heute Abend für Sie tun?“, fragte er. Scheinbar beiläufig blickte er zu ihr, doch Minette bemerkte den überraschten Ausdruck in seinen blauen Augen.

Angespannt wartete sie darauf, dass er sie abwies, doch stattdessen musterte er ihren Begleiter prüfend. Erleichtert atmete sie aus.

„Eine Partie Vingt-et-un – Siebzehnundvier, Barker“, erwiderte Granby, wie Minette es ihm aufgetragen hatte.

Der Mann führte sie an einen Tisch, an dem sie Platz nahmen, und gab einem Kellner durch ein Fingerschnippen zu verstehen, sich um die Neuankömmlinge zu kümmern. In der Zwischenzeit sah Minette sich auf der Suche nach dem Gentleman um, dessentwillen sie hierhergekommen war. Dabei wurde sie das Gefühl nicht los, von jemandem beobachtet zu werden.

„Willkommen, meine Teure“, sagte ein Herr, der an einem Nebentisch saß und sich entspannt zurücklehnte, während er Minette förmlich mit den Blicken auszog. Nur kurz musterte er Granby, als überlegte er, ob der junge Mann einen ernst zu nehmenden Gegner darstellte.

Kaum merklich neigte sie den Kopf und rutschte ein Stück näher an Granby heran. Schulterzuckend wandte der Fremde sich wieder seinem Spiel zu.

Nach einer Stunde hatte Granby zwar eine beträchtliche Summe an sie verloren, doch der Duke hatte sich immer noch nicht blicken lassen. Minette kam zu dem Schluss, dass ihrem Vorhaben offenbar kein Erfolg beschieden war. Das verwirrte und enttäuschte sie gleichermaßen, denn sie hatte fest damit gerechnet, ihn heute Abend hier anzutreffen. Mehrere Tage lang hatte sie ergebnislos versucht, in seinem Stadthaus mit ihm zu sprechen. Dann war ihr die Idee mit dem Fool’s Paradise gekommen. Allmählich gingen ihr die Ideen aus.

„Warum bin ich eigentlich nicht überrascht?“, ertönte eine wohlbekannte, tiefe Männerstimme neben ihr, bei deren Klang Minette unwillkürlich wohlig erschauerte. Er hatte schon immer diese Wirkung auf sie gehabt, doch das hatte sie stets geschickt zu verbergen verstanden – so, wie jetzt auch.

Bedächtig legte sie die Karten auf dem Tisch ab und sah in die vertrauten dunkelblauen Augen.

Nie würde sie dieses attraktive Gesicht vergessen, ausdrucksstark und geheimnisvoll zugleich. Seit ihrer letzten Begegnung hatte er sich allerdings verändert. Sein Ausdruck war kälter und unnahbarer als je zuvor. Noch immer war er schlank, doch seine Schultern schienen breiter geworden zu sein. Mit funkelnden Augen sah er sie an.

Sein zorniger Blick überraschte sie keineswegs – immerhin war sie in sein Allerheiligstes eingedrungen.

„Guten Abend, Eure Gnaden“, erwiderte sie gelassen und hatte plötzlich den Eindruck, dass der tiefe Ausschnitt ihres Kleides möglicherweise doch etwas zu gewagt war. Aber auf keinen Fall wollte sie ihrem Gegenüber ihre Verlegenheit eingestehen. Stolz streckte sie das Kinn vor. „Quelle suprise – was für eine Überraschung.“

Ungnädig musterte er ihren Begleiter.

„Zu Ihren Diensten, Eure Gnaden“, beeilte Granby sich zu sagen, während er hastig aufstand und sich verbeugte.

„Das ist wohl kaum der geeignete Ort für eine Lady, Lieutenant“, stellte der Duke fest und runzelte missbilligend die Stirn.

Verlegen zupfte Granby an seinem Krawattentuch herum. „Eine Wette“, stieß er hervor. Auf seiner Stirn zeigten sich bereits kleine Schweißperlen. „Die Lady wollte einen Blick in die Hölle werfen. Natürlich kann ich einer Dame keinen Wunsch verwehren.“

„Natürlich nicht.“ Misstrauisch sah der Duke zu den Karten und dem Stapel Münzen, der vor Minette auf dem Tisch lag. „Wie ich sehe, ist Fortuna Ihrer Begleiterin hold.“

Er achtete darauf, nicht ihren Namen zu nennen, wofür Minette ihm dankbar war. Lächelnd sah sie ihn an. „Glück spielt dabei keine Rolle, Sir“, bemerkte sie. „Vielmehr Können.“

„Etwas, das Sie sich erst seit Kurzem angeeignet zu haben scheinen.“

Wie erhofft, hatte er in den zwei Jahren also nicht vergessen, dass sie an Bord des Schiffes gegeneinander Karten gespielt hatten. Damals hatte sie alles daran gesetzt, seine Aufmerksamkeit auf ihre weiblichen Reize zu lenken, doch er hatte sie lediglich wie ein ungezogenes Kind behandelt. Bei ihrer letzten Begegnung auf dem Anwesen ihres Schwagers hatte er sie sogar eine verwöhnte Göre genannt.

„Ich habe bei den Besten gelernt, Sir“, erwiderte sie nonchalant und sah zufrieden, wie der Duke kaum merklich lächelte. Das nahm seinem Gesichtsausdruck die Strenge – und machte ihn noch attraktiver.

Was für ein Unsinn, dachte Minette verärgert. Als ob sie den Duke oder sein Lächeln vermisst hätte. Damals hatte er sie unentwegt geärgert und sich über sie lustig gemacht. Es bestand überhaupt kein Grund dafür, ihn anzuhimmeln. Er hatte ihr ungefähr genauso sehr gefehlt wie ein Steinchen in einem Schuh.

Der Geschäftsführer, der immer noch wartend an ihrem Tisch stand, hüstelte verlegen. Augenblicklich verschwand jeder Ausdruck von Heiterkeit aus dem Gesicht des Dukes, und er wandte sich an ihren Begleiter. „Lieutenant, darf ich Ihnen einen Privatsalon anbieten, in dem Sie Ihr Spiel ungestört fortsetzen können?“, fragte er mit eisiger Stimme.

Diesen befehlsgewohnten Tonfall hatte Minette ganz bestimmt auch nicht vermisst. Wieder einmal versuchte Freddy, sich wie ihr älterer Bruder aufzuführen und das Kommando an sich zu reißen. Allerdings verkniff sie sich eine schnippische Bemerkung, denn insgeheim hatte sie auf diesen Beschützerinstinkt gehofft.

Erleichtert sah Granby ihn an. „Sehr freundlich von Ihnen, Eure Gnaden“, erwiderte er und bedachte Minette mit einem flehentlichen Blick. „Vielleicht sollten wir jetzt besser aufbrechen?“

Einige der Spieler an den Nebentischen, unter ihnen auch der Mann, der Minette bei ihrer Ankunft so begehrlich gemustert hatte, unterbrachen ihr Spiel, um interessiert zuzuhören.

„Oh, nein“, sagte sie und stand auf. „Wir sollten das großzügige Angebot von Seiner Gnaden annehmen.“

„Wirklich?“, fragte Granby entsetzt.

„Naturellement.“

Spöttisch verbeugte Freddy sich vor ihnen. „Wenn Sie so gut sein möchten, mir jetzt zu folgen.“

Er führte sie in einen kleinen Nebenraum. Als Minette an ihm vorüberging, beugte er sich zu ihr. „Ich frage mich“, sagte er so leise, dass nur sie es hören konnte, „was wohl Gabe zu deinen Eskapaden sagen wird.“

„Ich habe Sie eigentlich für verschwiegener gehalten, Eure Gnaden“, erwiderte sie und sah ihn unschuldig an.

Granby rang nach Luft.

Seine Gnaden betrachtete sie finster.

Minette bemühte sich um einen unschuldigen Gesichtsausdruck und setzte ihren Weg in den Salon fort. Ihr Wetteinsatz hatte sich ausgezahlt. Jetzt konnte sie sich der vollen Aufmerksamkeit Freddys gewiss sein.

Allerdings folgte nun erst der schwierige Teil ihres Plans.

Während Freddy dem verlegenen Lieutenant Granby und der aufsässigen Miss Rideau folgte, bändigte er nur mühsam seinen Zorn. Der hatte nichts mit der magischen Anziehungskraft zu tun, die er schon immer für die hinreißend schöne Französin mit den haselnussbraunen Augen und der zarten Haut – von der sie heute Abend in diesem verführerischen Kleid mehr als genug entblößte –, empfunden hatte.

Nein, es war Minettes Mangel an Respekt vor den Gefühlen seines Freundes Gabe, dem Marquess of Mooreshead, und dessen Gattin Nicky. Wie töricht von der jungen Französin, an einen Ort wie diesen zu kommen, dachte Freddy zutiefst verärgert.

Glücklicherweise war Barker ein aufmerksamer Mann mit einer außerordentlichen Beobachtungsgabe. Ihm war sofort aufgefallen, dass Minette der höheren Gesellschaftsschicht angehörte und daher nicht in dieses Etablissement gehörte. Natürlich kamen auch Damen aus besten Kreisen hierher, doch dann handelte es sich meist um ältere, verheiratete Frauen auf der Suche nach etwas Aufregung in ihrem tristen Eheleben. Solange sie diskret dabei vorgingen, kümmerte sich Freddy nicht darum, was sie trieben. Doch noch nie zuvor hatte eine Debütantin wie Minette Rideau die Pforten zu dieser Spielhölle durchschritten.

Sie konnte von Glück sagen, dass niemand außer ihm sie erkannt hatte. Wäre das der Fall gewesen, hätte noch nicht einmal Gabe ihren Ruf retten können.

Minette bedeutete Ärger. Sie war leichtsinnig und unbekümmert. Das hatte er bereits an ihrem ersten gemeinsamen Tag an Bord des Schiffs erkannt. Offenbar besaß sie nicht mehr Verstand als ein neugeborenes Kätzchen. Er verspürte den unbändigen Drang, diesem milchgesichtigen Granby etwas Verstand einzuprügeln. Wie konnte ein Mann sich bloß derart von Minette den Kopf verdrehen lassen?

Er führte das Paar einen Gang entlang, an dessen Wänden zahlreiche Gemälde mit anzüglichen Motiven hingen. Sie ließen nicht den geringsten Zweifel offen an der Verwendung der Zimmer im hinteren Gebäudetrakt. Einige Besucher zogen es vor, sich hier diskret ihren Vergnügungen hinzugeben – zumal dann, wenn sie hohe politische Ämter bekleideten. Andere wiederum legten weniger Wert auf das Glücksspiel, sondern gaben den körperlichen Freuden den Vorzug.

Obwohl Minette den Blick züchtig gesenkt hielt, wusste Freddy, dass sie die Bilder bemerkt hatte.

Er öffnete die Tür zu einem Raum, der für diejenigen Gentlemen reserviert war, die ohne Rücksicht auf die finanziellen Folgen dem Kartenspiel frönten. In dem dunkelvertäfelten Zimmer gab es zwar einen Kamin, aber keine Fenster.

Nachdem er seinen Besuchern in den Salon gefolgt war, schloss Freddy die Tür und drehte den Schlüssel herum. Verschreckt starrte Granby ihn an.

Beschwichtigend hob Freddy eine Hand. „Nur, um sicherzugehen, dass wir ungestört bleiben.“

Das schien den Lieutenant zu beruhigen.

„Sagen Sie, Mann, haben Sie eigentlich den Verstand verloren?“, fuhr Freddy ihn an. „Was fällt Ihnen ein, ein unschuldiges Mädchen aus gutem Hause hierher mitzunehmen, Lieutenant?“

Pardonnez-moi – verzeihen Sie bitte“, erwiderte Minette an Stelle ihres Begleiters mit eisigem Tonfall. „Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht.“

„Nun, dann glauben Sie falsch“, entgegnete Freddy. „Aber um auf Sie zurückzukommen, Granby. Sind Sie wirklich so einfältig? Haben Sie sich denn gar keine Gedanken darüber gemacht, dass einer Ihrer Freunde Miss Rideau erkennen könnte?“

Der arme Kerl sah ihn unglücklich an. „Wie ich schon sagte, Sir, es war eine Frage der Ehre. Eine Wettschuld.“

Freddy lehnte sich gegen den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann erzählen Sie mal von dieser Wette.“

„Lady Cargyles al fresco Frühstück“, stieß der junge Mann hervor.

Geduldig wartete Freddy auf weitere Informationen.

„Krocket“, ließ der Lieutenant ihn endlich wissen. „Eine Wette. Der Ball soll mit einem Schlag durch drei Tore gelangen.“ Er errötete. „Das ist nicht möglich.“

„Hat sie es trotzdem geschafft?“

„Durch das letzte Tor hat sie den Ball schließlich mit dem Fuß befördert.“ Schwach lächelnd sah Granby zu Minette herüber. „Fair. Es gibt keine Regel bezüglich des Tretens.“

Stolz schob Minette das Kinn vor.

Unwillkürlich verspürte Freddy den unbändigen Drang zu lachen, und nur mit größter Mühe gelang es ihm, die Beherrschung nicht zu verlieren. Dieses Mädchen war ein ausgekochtes kleines Biest. Nach außen hin wirkte die junge Dame wie ein Unschuldslamm, aber sie bekam immer, was sie wollte – mit ehrlichen als auch unehrlichen Mitteln, wie ihm der geplagte Gabe mehrfach mitgeteilt hatte.

Zu schade, dass sie nicht … Doch rasch unterbrach er seinen Gedanken, bevor er ihn zu Ende denken konnte. Er hatte kein Interesse an respektablen jungen Damen – und selbst wenn er es gehabt hätte, wäre es hoffnungslos gewesen, denn Minette hatte von ihrer ersten Begegnung an keinen Hehl daraus gemacht, wie wenig sie ihn leiden konnte.

Herausfordernd sah sie ihn an, doch er war noch nicht fertig mit Granby.

„Was um alles auf der Welt hat Sie dazu bewogen, sich auf so eine schwachsinnige Wette einzulassen?“

Minette war ihre Wut deutlich anzusehen. Ihre dunklen Augen schienen Funken zu sprühen. Sie war nicht einfach nur schön, sondern wirkte wie eine himmlische Kriegsgöttin. Gabe täte gut daran, die junge Dame an die Kandare zu nehmen. Sonst würde sie sich vermutlich selbst ins Unglück stürzen, bevor sie respektabel verheiratet wäre.

Seltsamerweise berührte ihn die Vorstellung, dass Minette heiraten könnte, unangenehm. Dabei schirmte er für gewöhnlich sein Herz sorgfältig gegen solche Gefühle ab. Nein, er empfand nichts für sie. Es kümmerte ihn überhaupt nicht, was diese Frau tat, solange sie keine Bedrohung für seine Freundschaft mit Gabe darstellte. Der war einer der wenigen Menschen, an denen ihm wirklich etwas lag. Rasch richtete Freddy die Aufmerksamkeit wieder auf den Narren an Minettes Seite. Der junge Mann sah so aus, als würde er am liebsten augenblicklich vor Scham im Boden versinken. Zwar empfand er Mitleid mit Minettes neuestem Opfer, doch so leicht würde er ihn nicht vom Haken lassen.

„Sie können von Glück reden, dass ich nicht beabsichtige, Ihrem Colonel Meldung von Ihrem ungebührlichen Verhalten zu machen.“

„Ja, Sir“, erwiderte Granby kleinlaut.

„Sie können jetzt gehen“, sagte Freddy. „Als Freund der Familie spreche ich später mit Minette über ihr Verhalten und begleite sie nach Hause.“

Fragend sah Granby zu seiner Begleiterin hinüber, die, wie Freddy mit großem Erstaunen feststellte, für einen kurzen Augenblick äußerst zufrieden wirkte. Vermutlich eine Täuschung, dachte er, denn ganz bestimmt freute sie sich nicht darauf, von ihm nach Hause begleitet zu werden und eine Strafpredigt anzuhören.

Sie schien sich in ihr Schicksal widerstandslos zu ergeben und nickte Granby als Zeichen ihres Einverständnisses zu.

Freddy beschloss, Gabe nichts von ihrer neuesten Eskapade zu berichten. Das würde Minettes Schwester Nicky unnötige Aufregung ersparen. Wie er gehört hatte, war sie nämlich guter Hoffnung. Nein, Miss Rideau würde sich stattdessen von ihm die Leviten lesen lassen müssen.

Er öffnete die Tür und stieß sie weit auf. „Lieutenant?“, sagte er streng. „Kein Wort über das, was an diesem Abend vorgefallen ist – zu niemandem. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?“

Eifrig salutierte der junge Mann. „Selbstverständlich nicht, Sir“, erwiderte er errötend. „Kein Sterbenswort!“ Hastig verließ er den Salon.

Nachdem Freddy die Tür wieder ins Schloss gezogen hatte, drehte er sich zu der eigentlichen Übeltäterin um, die ihn unschuldig ansah.

Er mochte sich gar nicht ausmalen, was ihr alles hätte widerfahren können, wenn sie sich einen anderen Club ausgesucht hätte, um ihre Abenteuerlust zu befriedigen. „Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht? Wolltest du den armen Kerl heiraten oder einfach nur seine Karriere ruinieren?“

Die Farbe wich aus ihrem Gesicht, doch sie straffte entschlossen die Schultern. „Ich wollte dich treffen.“

„Warum?“, erkundigte er sich misstrauisch.

Aufsässig sah sie ihn an, und wie bei ihrer ersten Begegnung war er überwältigt von ihrer Schönheit und dem geheimnisvollen Ausdruck in ihren braunen Augen. Geheimnisse und Schmerz schien ihr Blick zu spiegeln. Wieder einmal wurde ihm bewusst, wie sehr er sich wünschte, dieses Mädchen von der bitteren Realität dieser Welt zu bewahren. Dabei wusste er, dass sie während ihrer Flucht durch das von der Revolution gebeutelte Frankreich wesentlich mehr gesehen hatte, als es sich für eine junge Dame aus gutem Haus gehörte.

Er bedeutete ihr, sich zu setzen, und während sie seiner Aufforderung folgte, schenkte er aus einer Karaffe Cognac in zwei Gläser. Wie stets in der Gegenwart einer schönen Frau, war er sich seiner etwas unbeholfenen Gehweise bewusst, als er die Gläser zum Tisch hinübertrug. Mit den Jahren hatte er gelernt zu überspielen, dass sein linker Fuß nicht so war, wie er sein sollte. Doch in manchen Situationen kostete es ihn immer noch viel Kraft, sich nichts anmerken zu lassen.

Überrascht sah Minette auf das Glas, das er vor ihr auf den Tisch gestellt hatte.

„Das ist ein sehr edler Cognac“, sagte Freddy.

„Zweifellos geschmuggelt.“

Achselzuckend setzte er sich an die gegenüberliegende Tischseite. „Natürlich. Wie sollte man sonst an französischen Cognac kommen?“

Sie entspannte sichtlich, als sie an ihrem Getränk nippte und anerkennend nickte. „Exzellent.“

„Es freut mich, dass er deine Zustimmung findet.“

Aufmerksam sah sie ihn an, als ob sie herausfinden wollte, ob seine Bemerkung sarkastisch gemeint war. Doch Freddy versuchte, sich nichts von seinen wirklichen Gefühlen anmerken zu lassen – dafür war er viel zu vorsichtig. Wie konnte sie nur so leichtsinnig sein, ihren guten Ruf aus einer albernen Laune heraus aufs Spiel zu setzen? Er war nur froh darüber, dass sie sich ausgerechnet das Fool’s Paradise für ihre Spielchen ausgesucht hatte – zumindest war sie hier in Sicherheit.

„Was glaubst du eigentlich, was Gabe zu dieser Eskapade sagen wird?“, fragte er. „Oder deine Schwester?“

Damit traf er genau ins Schwarze. Obwohl auch sie sich darauf verstand, sich ihre Gedanken nicht anmerken zu lassen, nestelte sie nervös an ihrem Ridikül herum. Fasziniert beobachtete Freddy, wie sie mit den schlanken Fingern ihrer zierlichen Hände das zarte Samtband des Handbeutels zuknotete, um es gleich darauf wieder zu lösen. Diese Hände würden sich ganz bestimmt herrlich auf seiner Haut anfühlen, während sie ihn streichelte und zärtlich … Rasch versuchte er, an etwas anderes zu denken, und wandte den Blick von ihren Fingern ab.

„Weiß Gabe denn, dass dir so ein verruchtes Etablissement gehört?“, erkundigte sie sich.

Verrucht … Freddy spürte, wie sehr ihn die Vorstellung erregte, sich ihr zu nähern und sie unschicklich zu berühren. Seit ihrer letzten Begegnung war aus dem Mädchen eine junge Frau geworden – eine wunderschöne, begehrenswerte junge Frau, der nahe zu sein er kein Recht besaß. Allerdings sprach sie sicher vom Glücksspiel und nicht von den anderen sündigen Sinnlichkeiten, die unter diesem Dach ebenfalls stattfanden.

„Wie kommst du darauf, dass es mir gehört?“, fragte er.

„Das tut nichts zur Sache. Außerdem bin ich nicht dumm. Dein Geschäftsführer hat dir sofort Bescheid gegeben, nachdem er uns gesehen hat. Und er hat die ganze Zeit darauf gewartet, von dir neue Anweisungen zu bekommen.“

Nein, dumm war sie ganz bestimmt nicht. „Mir gehört ein Anteil an diesem Geschäft.“ Er fragte sich, ob sie jetzt wissen wollte, wer den anderen Teil besaß. Sceptre hatte es für eine großartige Idee gehalten.

Sie neigte den Kopf. „Ein seltsames Geschäft für einen Duke.“

Sechs oder sieben Monate, nachdem er ins Fool’s Paradise investiert hatte, hatte er seinen Titel geerbt. Er trank einen großen Schluck Cognac. „Warum bist du hier, Minette? Ich hoffe nur, du erwartest nicht, dass ich auf dieses Märchen mit der Wette hereinfalle.“

Seiner Erfahrung nach hatten Frauen stets einen Grund für ihr Handeln – zumindest die intelligenten. Er bezweifelte nicht, dass Minette zu denen zählte.

Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Wahrscheinlich dachte sie darüber nach, ob sie ihm die Wahrheit anvertrauen konnte. Natürlich konnte sie das nicht, aber das wollte er ihr gegenüber nicht näher ausführen.

„Entweder erklärst du es mir“, meinte er, „oder Gabe. Du hast die Wahl.“

Sie sah auf ihre Hände, während sie das Band ihres Ridiküls abermals entwirrte.

Anscheinend hat sie beschlossen, mir nicht zu trauen, dachte Freddy enttäuscht. Er leerte sein Glas, stand auf und machte Anstalten, nach dem Diener zu läuten.

„Warte“, bat sie. „Ich muss jemanden finden und habe gehofft, dass du mir dabei helfen kannst.“

Überrascht sah er sie an. Sie hatte sich tatsächlich hierher gewagt, um ihn um Hilfe zu bitten. Seltsamerweise berührte ihn diese Vorstellung, und beinahe fand er Gefallen daran, dass sie ausgerechnet zu ihm damit kam. Dabei war er bei Weitem der denkbar am wenigsten geeignete Mann, um einer respektablen Frau helfend beizustehen.

Er kehrte an den Tisch zurück und sah fragend zu Minette hinunter. „Wen?“

„Erst musst du mir versprechen, weder Gabe noch Nicky etwas davon zu erzählen.“

„Nur nicht erzählen, oder auch nicht schreiben?“, fragte er nach. Wenn man ein Etablissement wie das Fool’s Paradise betrieb, musste man mit allen Wassern gewaschen sein. Minette sollte wissen, dass er nicht so ein Narr wie der arme Granby war.

Ernst sah sie ihn an. „In keiner Weise erzählen, schreiben oder auf einer anderen Art davon zu berichten – durch dich oder andere Menschen.“

Beinahe hätte er wieder gelacht. Es war so lange her, dass ihm zum Lachen zumute gewesen war. Allerdings war diese Angelegenheit sehr ernst. „Ich schätze, du würdest eine gute Advokatin abgeben.“

„Frauen dürfen diesen Beruf nicht ausüben. Im Grunde dürfen sie nichts wirklich Nützliches machen.“

Oh, das dachte sie also? „Glaube mir, sie sind zu allerhand nützlich“, erwiderte er heiser und ließ keinen Zweifel daran, an welche Dinge er dabei gerade dachte.

Abfällig zuckte Minette mit der Schulter. „Männer“, sagte sie verächtlich.

Fasziniert stellte Freddy fest, dass sie noch nicht einmal errötete. Vielleicht war es genau diese Kühnheit, die ihn so sehr in den Bann schlug, denn normalerweise ergriff er bei dem Anblick von Debütantinnen lieber die Flucht. „So abgebrüht?“, erkundigte er sich amüsiert.

Doch als sie ihn kurz darauf für einen winzigen Moment gequält ansah, stockte ihm der Atem. Er besaß kein Recht, sie so zu necken, dafür standen sie sich nicht nahe genug. „Ich bitte um Verzeihung, aber mit solchem männlichen Humor muss man rechnen, wenn mal als Frau hierherkommt.“

„Vielen Dank für deine Besorgnis, ich bin allerdings völlig imstande, auf mich selbst aufzupassen.“

„Tatsächlich?“ Er zog sie auf die Füße und fasste sanft unter ihr Kinn, damit sie ihm in die Augen sah. Ihm entging nicht, wie wütend ihr Blick war. Mit der freien Hand zog er sie fest an sich heran. Ihre sinnlichen Kurven wirkten wie ein Aphrodisiakum auf seinen Körper. Besitzergreifend presste er die Lippen auf ihren Mund. Komm schon, meine Süße, dachte er, widersteh mir. Plötzlich hörte er nichts mehr außer dem wilden Rauschen seines Blutes in den Ohren.

Einen winzigen Augenblick lang schien sich seine Hoffnung zu erfüllen und Minette sich ihm zu widersetzen. Als er sich jedoch gerade darauf vorbereitete, sie loszulassen, schmiegte sie sich unerwartet an ihn und erwiderte seinen Kuss mit einer süßen Leidenschaft, die seine Seele berührt hätte – wenn er eine besessen hätte.

Mit einem Mal konnte er an nichts mehr denken, nahm nichts mehr wahr außer den überwältigenden Empfindungen, die ihn durchströmten. Minettes weicher, warmer Körper so dicht an seinem, der Geschmack des Cognacs auf ihrer Zunge, als sie die seine berührte, der faszinierende Duft nach Jasmin und verführerischen Sommernächten. Köstlich. Unwiderstehlich.

Sinnlich und … nicht für ihn bestimmt. Hastig schob er sie fort von sich, bevor er völlig die Beherrschung über sein brennendes Verlangen verlor.

Minette errötete. Aus Verlegenheit oder Scham?

Plötzlich verachtete Freddy sich zutiefst. „Siehst du, wie wehrlos du bist?“, fragte er zornig und gleichzeitig zitternd vor Verlangen. „Keine Frau kann einen Mann davon abhalten, sich das zu nehmen, was er will. So, wie du angezogen bist, geht jeder in diesem Etablissement davon aus, dass du willig bist.“

Verletzt sah sie ihn an. Gut, dachte er. Dann hatte sie jetzt ihre Lektion gelernt – so, wie er seine gelernt hatte. Und die lautete: auf Abstand bleiben.

„Gib mir dein Wort darauf, dass du so etwas nie wieder versuchst – dann bringe ich dich nach Hause“, sagte er und griff nach ihrem Arm.

Doch sie schüttelte seine Hand ab. „Wenn du mir versprichst, Gabe nichts von heute Abend zu erzählen, dann verspreche ich, ihm dein beleidigendes Verhalten mir gegenüber zu verschweigen.“

Ihre Worte verletzten ihn mehr als eine schallende Ohrfeige, doch Freddy ließ sich nichts anmerken. Natürlich hatte sie recht. Sein Verhalten war eine Beleidigung und auch als solche gemeint gewesen. Immerhin wurde er von den respektablen Angehörigen der feinen Gesellschaft verachtet. Seinen schlechten Ruf hatte er genutzt, um das Vertrauen von Informanten und Spionen zu gewinnen – und den Zorn seiner Standesgenossen auf sich zu ziehen.

„Erpressung“, sagte er und zog die Augenbrauen hoch. „Dass du so weit gesunken bist … Was denkst du, würde Gabe tun? Mich zu einem Duell herausfordern? Viel wahrscheinlicher würde er darauf bestehen, dass wir heiraten.“

Einen winzig kleinen Moment lang wurde er nicht schlau aus ihrem Gesichtsausdruck, doch dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, vielen Dank“, entgegnete sie verbittert.

„Genau meine Meinung“, entgegnete er ungerührt. Er beabsichtigte, niemals zu heiraten – und ein kleines Biest wie Minette würde ihn ganz sicher nicht davon abbringen.

„Ich hätte übrigens überhaupt nicht hierherkommen müssen, wenn du meine Nachrichten beantwortet hättest“, setzte sie kampflustig hinzu.

Nachrichten, die er besser ungeöffnet zurückgesendet hätte, anstatt sie in seinem Schreibtisch zu sammeln. „Eine junge Lady bittet einen Gentleman nicht zu einem Treffen. Das gehört sich nicht.“

„Oh, und ich vermute, du weißt ganz genau, was sich gehört“, flüsterte sie, bevor sie aufsah und ihm in die Augen blickte. „Du bist mir aus dem Weg gegangen.“

Ja – und zwar so, wie ein vernünftiger Mann einer Henkersschlinge aus dem Weg ging. Minette war schöner, als ihr guttat. „Nun, jetzt bin ich ja hier“, antwortete er kühl – kein leichtes Unterfangen, denn sein Körper schien vor Begierde immer noch zu glühen. „Sag mir, wen ich finden soll, und dann bringe ich dich nach Hause.“

„Du hast bestimmt gehört, dass Moreau wieder in England ist“, erwiderte Minette und sah ihn herausfordernd an.

Der Spion Moreau, der im Auftrag des französischen Polizeiministers Fouché in England tätig gewesen war, hätte beinahe mit seinem Attentatsversuch auf King George Erfolg gehabt. Er hatte Minette als Köder benutzt, um ihre Schwester Nicky, die inzwischen Gabes Frau geworden war, dazu zu bringen, ihm zu helfen. Beinahe wäre sein Unterfangen von Erfolg gekrönt gewesen, doch Gabe und Nicky war es schließlich gelungen, ihn zu überlisten. Anschließend hatte man Moreau in Madrid gesehen, wo er geholfen hatte, Napoleons Bruder auf den spanischen Thron zu bringen. Zweifellos hatte er dadurch die Gunst seiner Auftraggeber wiedergewonnen. Jetzt half er dabei, das einzige Land in die Knie zu zwingen, das Napoleon noch davon abhielt, ganz Europa zu beherrschen: England.

„In der Tat, das wusste ich bereits“, sagte Freddy. „Und außerdem geht es dich nichts an.“

„So?“, fragte sie drohend, und ihre dunklen Augen funkelten angriffslustig. „Und was ist, wenn er Nicky verfolgt? Schließlich hat sie ihn hereingelegt …“ Sie machte eine bedeutungsvolle Geste, die keinen Zweifel daran offenließ, was ein Mann wie Moreau mit einem Feind tun würde.

Was für eine Frau, dachte Freddy überrascht. Sie wirkte so zart und zerbrechlich wie eine Elfe – und in ihren Adern floss das Blut einer Kriegsgöttin. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz, doch nach außen hin ließ er sich nichts anmerken.

„Man wird ihn finden und mit ihm abrechnen.“

„So wie schon einmal? Du weißt ja noch nicht einmal, wie er aussieht. Ich hingegen weiß es. Wenn du mir nicht dabei hilfst, ihn zu finden, dann mache ich es eben allein“, erklärte sie mutig.

Ein törichtes Unterfangen, das wusste Freddy, denn der Franzose verfügte in England über ein großes Netzwerk an Informanten. Trotzdem beeindruckte ihn Minettes Mut mehr, als zuzugeben er bereit war. „Was hast du gehört?“, fragte er ruhig.

„Du musst mir versprechen, dass ich helfen darf, ihn zur Strecke zu bringen.“

Beinahe hätte er laut aufgelacht. „Mach dich nicht lächerlich.“

Stolz streckte sie das Kinn vor. „Jemand, den ich kenne, hat ihn gesehen. Ich dachte, das würde dich interessieren. Wenn du mich nicht mitmachen lässt, dann unternehme ich eben selbst etwas.“

Freddy fröstelte bei dem Gedanken. Moreau war ein gefährlicher Mann. Ein Mörder, wenn er in die Enge getrieben wurde.

„Woher kommt dieses plötzliche Interesse an Moreau?“, erkundigte er sich.

„Weil er mich schon einmal benutzt hat, um Nicky zu schaden. Ich muss aus erster Hand wissen, dass er keine Gefahr mehr darstellt.“

Trotz ihrer Entschlossenheit ahnte er, dass sie ihm nur einen Teil der Wahrheit verriet. Schon zu lange arbeitete er für Sceptre, als dass er eine Halbwahrheit nicht erkannt hätte. „Vertrau mir. Ich erledige meine Arbeit und lasse dich wissen, wenn man sich um Moreau gekümmert hat. Komm jetzt, ich bringe dich nach Hause.“ Und in der Zwischenzeit würde er herausfinden, was sie noch vor ihm geheim hielt.

Als sie zögerte, sah er sie so vernichtend an, dass Granby sicher vor Schreck zu Stein erstarrt wäre. Auf Minette hingegen hatte der bewährte böse Blick überhaupt keine Wirkung.

Stattdessen starrte sie unverwandt zurück. „Du hast mich schon immer wie ein Kind behandelt.“

Ja, um sich selbst davon abzubringen, in ihr die begehrenswerte Frau zu sehen, die sie war. Das musste er ihr aber nicht unbedingt auf die Nase binden. „Mein Phaeton steht am Hinterausgang bereit.“

„Würde es dir etwas ausmachen, mich an den Stallungen abzusetzen?“, fragte sie leichthin. „Als ich mich vorhin hinausgeschlichen habe, habe ich ein Tor offen stehen lassen.“

Freddy unterdrückte einen Fluch. Damit würde er sich zwangsläufig noch tiefer in ihre Pläne verstricken lassen.

2. KAPITEL

Während Minette auf der Sitzbank des Zweispänners saß, beobachtete sie Freddy, wie er mit einer fließenden Bewegung neben sie stieg und gekonnt die Zügel in die Hand nahm. Ihr war bereits aufgefallen, dass er sich trotz seines leichten Hinkens keine Schwäche anmerken ließ. Er verlor einzig und allein dann die Fassung, wenn man aufgrund seiner Beinverletzung ihn wie einen Invaliden behandelte. Dann konnte er wirklich unausstehlich werden.

Sie bogen in die Broad Street ein. Zu dieser Nachtzeit waren die Straßen kaum belebt und – zumindest in diesem Stadtviertel – nur kärglich beleuchtet. Zwielichtige Gestalten verbargen sich in den Schatten und beobachteten aufmerksam den vorbeifahrenden Wagen. Es sagte einiges über den gefährlichen Ruf des Mannes aus, der den Phaeton lenkte, dass sie unbehelligt die sicheren Straßen von Mayfair erreichten.

„Warum besuchst du eigentlich Gabe und Nicky überhaupt nicht mehr?“, fragte Minette. „Bist du dir zu fein dafür, seitdem du Duke geworden bist?“

Im Licht der Straßenlaternen sah sie den grimmigen Ausdruck auf seinem Gesicht. „Gabe hat mit seinem alten Leben abgeschlossen. Es ist besser, wenn niemand von unserer früheren Verbindung weiß.“ Früher hatte auch Gabe als Spion gearbeitet. „Er hat das Leben des Königs gerettet.“

Über das versuchte Attentat war in den Zeitungen nie berichtet worden, und Moreau befand sich immer noch auf freiem Fuß. Wenn Minette an ihn dachte, empfand sie eine Mischung aus Bedauern und Schuld. Dieser Mann hatte mehr Leben zerstört, als die Engländer vermuteten – und die Angehörigen der Opfer vergaßen nicht so schnell. Minette hatte ihre französische Kammerzofe Christine damit beauftragt, unauffällig Erkundigungen unter den französischen Emigranten, der jetzt in England lebte, anzustellen.

„Mit meiner Hilfe würden wir ihn sicher viel schneller finden“, sagte sie.

„Weißt du, was dir fehlt? Jemand, der dich übers Knie legt und dir den Hintern versohlt“, erwiderte Freddy zwar leise, nichtsdestotrotz wenig galant.

Sie wandte sich zu ihm und strich mit den Fingerspitzen sacht über seinen Schenkel. „Ist es das, was du dir unter Vergnügen mit einer Frau vorstellst?“

Lächelnd beobachtete sie, wie er sich verschluckte und zu husten begann. „Du kleines Biest“, sagte er schließlich, als er wieder zu Atem gekommen war. „Eigentlich solltest du es besser wissen.“

„Ich habe einen Kontakt, der uns den Namen einer Person geben kann, die Moreau gesehen hat“, erwiderte sie ungerührt.

„Uns?“, wiederholte er verächtlich, als wäre sie ein Kind, das soeben etwas Dummes gesagt hatte. Offenbar hatte ihr Kuss ihn immer noch nicht davon überzeugen können, dass sie inzwischen eine erwachsene Frau geworden war. Mühsam widerstand sie der Versuchung, ihre Lippen zu berühren, auf denen sie immer noch den Nachklang ihres leidenschaftlichen Kusses zu spüren glaubte.

Wenn Freddy oder einer der anderen jemals erfahren sollte, was sie getan hatte …

Niemals hätte sie Nicky gestatten dürfen, sie als Debütantin in die Gesellschaft einzuführen. Alle hielten sie für süß und unschuldig – wie sollte sie jemals die Wahrheit gestehen? Nicky hatte ihre eigenen Träume aufgegeben, um ihre kleine Schwester zu retten. Sie hatte den brutalen Comte de Vilandry geheiratet, um sie vor seinen körperlichen Übergriffen zu schützen – doch dieses Opfer war völlig überflüssig gewesen. Nun blieb Minette nichts anderes übrig, als die Heiratsanträge von respektablen und wohlhabenden Männern auszuschlagen. Sie zweifelte nicht daran, dass es Anträge geben würde, schließlich war sie hübsch, charmant und darüber hinaus von Gabe mit einer beachtlichen Mitgift ausgestattet worden.

Doch wie sie Heiratskandidaten abwimmelte, war allein ihr Problem. Viel schlimmer war die Tatsache, dass sie Moreau eine Waffe an die Hand gegeben hatte. Wann immer der Franzose es wünschte, konnte er sie, Gabe und Nicky durch das Geschenk auslöschen, das sie ihm überlassen hatte. Sie wusste, dass er keinen Moment zögern würde, das zu tun. Dieser Gedanke war ihr einfach unerträglich. „Ich komme dir auch nicht in die Quere“, versprach sie. „Ich würde nur dabei helfen, ihn ausfindig zu machen – und ich muss ihm eine Frage stellen. Nicht mehr.“

„Nein.“

Männer. Nie hörten sie zu. „Wie du wünschst“, entgegnete sie betont liebenswürdig und faltete die Hände auf dem Schoß.

Daraufhin warf Freddy ihr einen verärgerten Blick zu. Einen Augenblick lang glaubte sie, noch etwas anderes darin erkennen zu können, doch sie konnte es nicht einordnen.

„Wenn es auch nur den Hauch einer Chance gäbe, Moreau allein aufzuspüren, dann wärst du nicht zu mir gekommen“, bemerkte er.

Dieser Mann hatte wirklich Verstand. Gabe hatte erzählt, dass Freddy an der Universität brillant gewesen war. Neunmalklug, hatte Minette immer gedacht, wenn sie versucht hatte, ihn beim Kartenspiel zu betrügen. „Ich brauche Geld, um meinen Informanten zu bezahlen.“

Erleichtert stellte Minette fest, dass er die Kutsche in die Straße hinter den Stallungen am Grosvenor Square lenkte. Bis eben hatte sie befürchtet, dass er sie doch an Gabe verraten würde. Zumindest heute Nacht würde er es nicht tun. Vielleicht machte sie ja einige Fortschritte in ihrer Beziehung.

„Du willst also Geld.“ Er klang gekränkt, als hätte er etwas anderes erwartet. „Wer ist dieser Kontakt, von dem du sprichst?“

„Warum sollte ich dir das verraten, wenn du mir sowieso nicht helfen willst?“ Ihre Kammerzofe war sehr vage geblieben, was Informationen betraf. „Bitte, Freddy.“

„Du hast dir den Falschen für deine Spielchen ausgesucht. Morgen will ich die Wahrheit wissen – oder ich erzähle Gabe alles.“

Er befestigte die Zügel, bevor er vom Kutschbock sprang, um ihr beim Absteigen behilflich zu sein. Dabei sah er zum Garten tor hinüber, das sie beim Weggehen offen gelassen hatte. „Verschließe es wieder, sobald du durchgegangen bist.“

Als sie davor stand, blickte sie zu Freddy auf und legte eine Hand auf seinen Arm. Sofort spürte sie, wie er sich anspannte. „Gleichgültig, wie sehr du oder Gabe mich unter Druck setzt – ich werde euch nichts verraten, solange ihr mich nicht dabei helfen lasst, Moreau das Handwerk zu legen. Das ist wirklich wichtig.“ Mehr wagte sie nicht zu sagen, und es überraschte sie, wie viel sie Freddy bereits anvertraute. Doch obwohl sie seinetwegen so häufig verärgert gewesen war, hatte sie sich in seiner Gegenwart stets sicher gefühlt.

Mit einer Hand stützte er sich an der Ziegelmauer hinter ihr ab und sah zu ihr hinunter. „Warum?“

„Das habe ich doch schon gesagt. Ich war seine Gefangene. Ich muss einfach wissen, dass er weder mir noch Nicky jemals wieder etwas zuleide tun kann. Und wenn ich ihn dafür töten müsste.“ Gespannt hielt sie die Luft an.

„Das wirst du nicht“, entgegnete er zornig.

„Richtig – wenn du mit meinem Vorschlag einverstanden bist.“

Verärgert stöhnte er auf.

„Morgen früh brauchst du noch nicht hierherzukommen“, erklärte sie. „Ich weiß erst morgen Abend mehr. Triff mich auf dem Ball der Gosports, dann können wir miteinander reden.“ Rasch ging sie in den Garten und schloss das Tor hinter sich.

Freddy schlug von außen mit der Faust gegen das Tor.

„Hör auf!“, sagte sie leise. „Sonst weckst du noch jemanden auf.“

Eilig ging sie den Gartenweg entlang zum Haus, weil sie befürchtete, dass der wütende Freddy ihr doch noch folgen konnte. Bevor sie jedoch durch die Verandatür den Frühstücksraum betrat, hörte sie, wie der Phaeton wegfuhr.

Jetzt hing alles davon ab, ob sie Freddy ausreichend davon hatte überzeugen können, ihr Vorhaben Gabe gegenüber nicht zu erwähnen.

Nickys Zukunft hing davon ab.

Mit einem Finger berührte sie ihre Lippen und dachte an den Kuss von vorhin. Wie schnell sie ihn erwidert und wie gut er sich angefühlt hatte. Es war so berauschend gewesen; anscheinend hatte auch Freddy etwas zwischen ihnen gespürt, das mehr als Leidenschaft war.

Lächerlich. Er hatte lediglich versucht, sie einzuschüchtern – mehr nicht. Nie hatte sie daran gezweifelt, wie wenig er sie mochte. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie Französin war – immerhin widmete Freddy sein Leben der Verteidigung seines Vaterlandes gegen eine französische Invasion.

„Piekfein siehst du aus, liebe Güte.“

Freddy erwiderte Barkers Blick im Spiegel und lächelte. „Elegant wolltest du wohl sagen.“

Zu gern verschleierte Barker, dass er nicht aus der Arbeiterschicht, sondern einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie stammte. „Wohl kaum“, erwiderte er und betrachtete ihn stirnrunzelnd. „Zu schade, dass du mit so einem Gesichtsausdruck herumläufst. Du siehst aus, als wärst du auf dem Weg zu deiner eigenen Beerdigung.“

Um ehrlich zu sein, hätte Freddy diese tatsächlich seinen Plänen für den heutigen Abend vorgezogen. „Bist du sicher, dass niemand ihn gesehen hat?“

„Todsicher, aber wir finden ihn noch, versprochen.“

Freddy fluchte. Wenn Minette mit im Spiel war, dann blieb ihm keine Zeit. Am liebsten hätte er sich gar nicht auf ihre Forderung eingelassen und wäre gleich am Morgen zu Gabe gegangen. Doch dann würde er nie herausfinden, was Minette wusste. Außerdem riskierte er damit, dass Minette sich unüberlegt auf die Suche nach Moreau begab. Auf diese Weise würde sie jede Chance zunichtemachen, dem Schurken noch rechtzeitig das Handwerk zu legen. Sie war genauso eigensinnig, wie sie schön war. Kurz schloss er die Augen, als er an den Kuss vom gestrigen Abend dachte und daran, wie sich ihr weicher Körper verführerisch gegen seinen geschmiegt hatte. Augenblicklich erwachte Verlangen in ihm. Verdammt, das war wirklich das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte.

Er wandte sich vom Spiegel ab und ließ sich von Barker in den teuren Mantel helfen. Bewundernd strich der über den erlesenen Stoff. „Wirklich sehr nett. Von Weston?“

„Ja“, entgegnete Freddy und wartete, bis Barker die Schulterpartien glatt gestrichen hatte. Er kam sich vor, als schlüpfte er in eine Verkleidung. Jetzt war er nicht der Besitzer einer Lasterhöhle, sondern ein Aristokrat.

Er hoffte nur, dass die Gosports ihren ungeladenen Gast nicht einfach ihres angesehenen Hauses verwiesen. Zwar war er ein Duke, sein Ruf hingegen nicht besonders ehrenwert. „Steht die Kutsche bereit?“, erkundigte er sich.

Autor

Ann Lethbridge

Ann Lethbridge wuchs in England auf. Dort machte sie ihren Abschluss in Wirtschaft und Geschichte. Sie hatte schon immer einen Faible für die glamouröse Welt der Regency Ära, wie bei Georgette Heyer beschrieben. Es war diese Liebe, die sie zum Schreiben ihres ersten Regency Romans 2000 brachte. Sie empfand das...

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