Historical Saison Band 55

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EINE ROSE FÜR DEN MAJOR von ALLEN, LOUISE
Ohne Adam wäre sie nicht mehr hier, das spürt Rose genau. In seinen Armen fühlt sie sich sicher, auch wenn sie jede Erinnerung verloren hat. Doch als bei dem heißen Kuss ihres Helden ihr Gedächtnis endlich erwacht, erkennt sie verzweifelt: Ihre Liebe ist nicht standesgemäß - sie können niemals glücklich werden!

DIE WIDERSPENSTIGE TOCHTER DES EARLS von JUSTISS, JULIA
"Ich verspreche Ihnen, ich werde alles tun, um Sie glücklich zu machen." Benedicts Worte sind wie ein Schwertstich in Alyssas stolzem Herzen. Niemals wollte sie ihre Unabhängigkeit aufzugeben. Doch ein drohender Skandal zwingt sie, ihren Schwur zu brechen: Sie muss Benedict, den Mann mit den feurigen Augen, heiraten …


  • Erscheinungstag 29.05.2018
  • Bandnummer 0055
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734220
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Louise Allen, Julia Justiss

HISTORICAL SAISON BAND 55

1. KAPITEL

19. Juni 1815, Schlachtfeld von Waterloo

Die Zweige der Wildrose zerrten an ihr, als sie sich rückwärts bewegte. Boshaft stachen die Dornen. Der Schmerz war echt. Also war dies alles wohl echt.

Oder war alles nur ein böser Traum?

Der anhaltende Schrei in ihrem Kopf machte ihr das Denken beinahe unmöglich. Wenn es doch endlich aufhören würde! Es quälte sie, seit sie Gerald gefunden hatte. Besser gesagt: das, was von Gerald übrig war. Auf den ersten Blick schien er unverletzt gewesen zu sein. Doch dann hatte sie seine Schulter gepackt und ihn umgedreht.

Der Schrei im Kopf schmerzte mehr als die Dornen. Sie wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, es zum Schweigen zu bringen. Dann würde sie wieder klar denken können. Dann würde sie wissen, was sie unternehmen sollte wegen …

Sie versuchte, sich zu bewegen. Es war unmöglich. Die Dornen hielten sie umklammert, Schmerz und Angst hatten sie fest im Griff.

Ihr Blick glitt über den Wildrosenbusch und über die Gestalten, die sich ihr vom schlammigen, durch Granateinschläge aufgewühlten Feld näherten. Eine Landschaft wie aus einer Gruselgeschichte. Aber es gab sie wirklich.

Wahrscheinlich befinde ich mich in der Hölle. Und das da vorn sind Dämonen.

Die dämonischen Gestalten lachten. Es waren vier. Blutverschmiert, dreckig und zerlumpt machten sie Jagd auf sie. Ihre bösen Augen verrieten, was sie vorhatten.

Ja, sie wusste genau, was die vier wollten! Zwar erinnerte sie sich weder an ihren eigenen Namen noch daran, warum sie hier war inmitten des Grauens. Aber sie wusste, was sie erwartete, und es erfüllte sie mit Angst.

Weg mit euch! Hilfe! Jemand muss mir helfen!

Aber da war niemand außer den Dämonen.

Plötzlich jedoch entdeckte sie eine weitere Gestalt. Ein Mann bahnte sich einen Weg durch das Dickicht am Rande des Felds. Blutverschmiert auch er. Groß war er, und er hielt einen Degen in der einen und eine Pistole in der anderen Hand. Er brüllte die Dämonen an.

Der Teufel!

Die Dämonen gingen auf ihn los.

Er erschoss den ersten.

Zitternd vor Angst schloss sie die Augen. Noch hörte sie das Gebrüll der Dämonen. Dann blieb nur der Schrei in ihrem Kopf.

Ich habe gesündigt und erhalte nun meine Strafe.

„Öffnen Sie die Augen! Schauen Sie mich an! Sie sind in Sicherheit. Die Männer sind fort.“ Flint warf einen Blick auf den blutigen Degen, ehe er ihn in die Scheide schob. Ich habe getan, was ich musste. Ich habe die Marodeure getötet. Erneut wandte er seine Aufmerksamkeit der Frau zu. „Sehen Sie mich an!“

Sie war groß und schlank. In ihrem zerrissenen Kleid hatten sich Rosenblätter verfangen. Ein paar hingen auch in ihrem nassen braunen Haar, das wirr das blasse Gesicht umrahmte. Ihr Atem ging viel zu schnell. Sie hatte schreckliche Angst.

In ihrer Furcht hatte sie sich die Unterlippe blutig gebissen. Der Anblick weckte Gefühle in Flint, die er nicht zulassen wollte. Nicht zulassen durfte.

„Ich befreie Sie jetzt von den Dornenzweigen“, sagte er. Die Arbeit bescherte ihm blutige Fingerkuppen. Doch nach den drei grausamen Tagen auf dem Schlachtfeld war es ein beinahe willkommener Schmerz. Ich lebe noch.

Die Frau rührte sich nicht, sondern blieb leicht schwankend stehen, als er sie befreit hatte. Vorsichtig berührte er mit dem Finger ihre bleiche Wange. Sie zuckte zusammen und öffnete endlich die Augen. Ihre Pupillen waren so riesig, dass Flint die Farbe der Augen nicht erkennen konnte.

„Wie heißen Sie?“, fragte er. „Mein Name ist Flint.“

Keine Reaktion.

„Quel est votre nom?“, versuchte er es auf Französisch.

Nichts.

„Ich bin Major Adam Flint. Sind Sie verletzt?“ Er wusste, dass sie nicht vergewaltigt worden war. Das hatte er verhindern können. Er hatte das Lachen der Männer gehört und es sogleich richtig gedeutet. Oh ja, er kannte dieses Lachen. Es war typisch für Soldaten, die eine Schlacht überlebt, aber ihre Moral verloren hatten. Sie nahmen sich, was sie bekommen konnten: Frauen, Mädchen, Kinder … Nicht immer war er rechtzeitig gekommen, um das Schlimmste zu verhindern.

Die Unbekannte war wie erstarrt. Dabei hatte sie vermutlich schon mehr als ein Schlachtfeld gesehen. Sie musste zu den Frauen gehören, die dem Heer folgten. Eine Marketenderin oder die Geliebte irgendeines Soldaten. Er konnte sie hier nicht zurücklassen. Denn auch wenn sie einen Mann oder einen Liebhaber hatte, der noch lebte, würde der sie nicht finden. Andere würden sie finden. Männer wie die vier, die er gerade getötet hatte. Entschlossen legte er ihr einen Arm um die Schultern und schob den anderen unter ihre Knie. So hob er sie hoch. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn. Verflixt, die Degenwunde, die ein Franzose ihm zugefügt hatte! Sie hatte wohl wieder zu bluten begonnen. Aber das war jetzt egal.

Die Frau schlang ihm die Arme um den Nacken.

Er trug sie über das Schlachtfeld dorthin, wo seine Männer auf ihn warteten. Sie war nicht besonders schwer. Schlank, ohne knochig zu wirken, wohlgerundet, aber nicht drall. Sie war weiblich, sehr weiblich. Und zu jeder anderen Zeit an einem anderen Ort hätte er es genossen, ihren Körper an seinem zu spüren.

Seine Männer warteten, wie er befohlen hatte, bei dem Munitionswagen, den sie am Morgen notdürftig repariert hatten. Keiner von ihnen ließ sich die Überraschung darüber anmerken, dass Flint eine Frau mitbrachte.

„Haben Sie Jakes gefunden, Major?“, fragte Sergeant Hawkins.

„Er ist tot. Ich habe ihn begraben.“ Tatsächlich hatte er den Leichnam nur dünn mit Erde bedeckt, nachdem er ihn in ein von einer Granate gerissenes Loch gelegt hatte. Das musste genügen, um Leichenfledderer fernzuhalten.

Flüche wurden gemurmelt. Dann sagte Hawkins: „Wir können also los.“ Jetzt erst musterte er die Frau. „Keine von unseren.“

Flint nickte. Er wusste, dass die Frauen, die zu seinen Männern gehörten, in dem kleinen Weiler Roosbos zurückgeblieben waren. Dort hatte es keine Kämpfe gegeben. Sie befanden sich also in Sicherheit.

Rasch zählte er seine Soldaten. Mit ihm selbst waren es dreizehn. Er unterdrückte ein Seufzen. Die meisten seiner Leute waren bereits unterwegs nach Brüssel. Die Verwundeten würde man in ein Lazarett oder ein Kloster bringen. Die noch Kampftauglichen hatten den Befehl, sich im Hauptquartier zu melden. Die Toten waren begraben worden

„Was ist mit ihr?“, erkundigte sich Hawkins, dem die Regungslosigkeit der Frau aufgefallen war.

„Verwundet scheint sie nicht zu sein. Aber sie spricht nicht. Als ich sie fand, wurde sie von vier Deserteuren bedroht.“

Hawkins hob fragend die Brauen. Jeder Soldat wusste, was mit Frauen geschah, die von Marodeuren überrascht wurden.

„Ich kam gerade noch rechtzeitig“, sagte Flint.

„Gut“, murmelte einer der Verwundeten.

Und ein anderer meinte: „Ob Sie sie wohl schneller wieder loswerden, Major, als das letzte Lebewesen, das Sie aufgegabelt haben?“

Ein paar der Männer lachten. Alle kannten den riesigen struppigen Hund, den der Major vor einiger Zeit gefunden hatte und der ihm seitdem auf Schritt und Tritt folgte. Flint hatte ihn in Roosbos an einen Baum gebunden, um ihn vom Schlachtfeld fernzuhalten.

Ich hoffe, Dog hat alles unbeschadet überstanden, dachte er. Dann schalt er sich einen sentimentalen Dummkopf.

Hawkins’ Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

„Llewellyn und Hodge können laufen“, erklärte der Sergeant. „Aber was machen wir mit der Frau?“

Der Major musterte die Männer, die sich auf dem Wagen befanden. Drei waren so schwer verwundet, dass sie mit geschlossenen Augen auf dem Boden lagen. Die anderen saßen dicht an dicht.

„Potts“, sagte Flint, „Sie können auf meinem Pferd reiten. Ich gehe zu Fuß.“

Gehorsam kletterte Potts vom Wagen. Doch als Flint die Frau auf den frei gewordenen Platz setzen wollte, klammerte sie sich an ihn und begann wieder zu zittern.

Woher nimmt ein so zerbrechliches, hilfloses Wesen diese Kraft?

„Es sind gute Männer“, versuchte er sie zu beruhigen, „auch wenn sie im Moment etwas wild aussehen.“

„Sie ist halb verrückt vor Angst, Major“, bemerkte einer der Soldaten. „Ich glaube, das Blut erschreckt sie. Oder vielleicht Jimmy … Wir haben für ihn getan, was wir konnten. Aber er ist kein Anblick für eine junge Frau.“

Jimmy lag bewusstlos auf dem Boden des Wagens. Und man konnte ihm nur wünschen, dass er diese Welt verließ, ohne noch einmal aufzuwachen.

„Gehen Sie wieder auf Ihren Platz, Potts“, befahl Flint. „Ich nehme die Frau vor mich aufs Pferd. Wir müssen aufbrechen.“ Die Verwundeten brauchten frische Verbände und einen Platz zum Ausruhen. Für Jimmy allerdings würde jede Hilfe zu spät kommen. Doch immerhin musste er nicht allein auf dem Schlachtfeld zurückbleiben. Randall’s Rogues – das war der Spitzname der draufgängerischen Soldaten, die unter Colonel Randall dienten – ließen nie einen Kameraden im Stich.

Hawkins griff nach dem Zaumzeug des klapprigen Gauls, der vor den Wagen gespannt war, und zog das Tier vorwärts.

Flint rief nach seinem eigenen Pferd. Old Nick war ein riesiger schwarzer Hengst, der sich seit Spanien in seinem Besitz befand. Das für den Krieg ausgebildete Tier fürchtete sich vor nichts und niemandem, brachte aber auch niemandem Sympathie entgegen. Es biss und trat, wann immer sich die Gelegenheit ergab.

Widerwillig ließ es sich zu einem umgestürzten Wagen führen, den Flint wie eine Leiter benutzte, um in den Sattel zu steigen und die Frau vor sich zu platzieren. „Los jetzt!“, befahl er.

Bis Brüssel waren es ungefähr zwölf Meilen. Gesunde Männer konnten die Entfernung auf einer akzeptablen Straße innerhalb einiger Stunden zurücklegen. Doch eine solche Straße gab es nicht. Außerdem waren sowohl die Pferde als auch die Männer unglaublich erschöpft.

Aber wir werden es schaffen, dachte Flint. Es beruhigte ihn ein wenig, dass die meisten Überlebenden seiner Kompanie sich bereits in Brüssel befanden. Auch Colonel Randall, sein Vorgesetzter, würde dort sein. Zwar hatte er von Randall seit dem vergangenen Tag nichts mehr gehört, aber er war sicher, dass er es irgendwie erfahren hätte, wenn der Feind den Colonel verwundet oder gar getötet hätte. Das Gleiche galt auch für Bartlett, den wildesten der Rogues, der das Talent besaß, überall eine willige Frau, ein gutes Fässchen Wein und etwas Anständiges zu essen aus dem Hut zu zaubern.

Randall und Bartlett, das waren zwei Offiziere und Gentlemen … Ein Offizier war er selbst natürlich auch, allerdings ganz und gar kein Gentleman. Das war die unabänderliche Folge seiner unehelichen Geburt.

Nun, immerhin lebte er noch. Der junge Gideon hingegen war bei Quatre Bras gefallen. Aber er wollte jetzt nicht an seinen toten Halbbruder denken. Er hatte mehr als genug damit zu tun, sich um die Lebenden zu kümmern.

„Wie heißen Sie?“, fragte er die von ihm gerettete Frau noch einmal.

Sie reagierte nicht.

Er versuchte es mit Französisch, Flämisch und Deutsch.

Nichts.

Ein paar der Rosenblätter lösten sich aus ihrem Haar und wurden vom Wind davongetragen. Flint seufzte. „Also gut, ich werde Sie Rose nennen.“

Sie kamen nur langsam vorwärts, was einerseits an den beiden Verwundeten lag, die zu Fuß gehen mussten, und andererseits daran, dass das vor den Wagen gespannte Pferd alt und erschöpft war. Tatsächlich grenzte es an ein Wunder, dass Hawkins überhaupt ein Tier aufgetrieben hatte, das in der Lage war, einen Wagen zu ziehen. Flint hegte den Verdacht, dass der Sergeant es einem Bauern gestohlen hatte. Die Vorstellung gefiel ihm nicht. Noch weniger allerdings gefiel ihm die Vorstellung, dass er die Verwundeten nicht vom Schlachtfeld hätte fortbringen können.

Inzwischen waren sie auf andere Fußsoldaten gestoßen, die Richtung Brüssel marschierten, und auch auf andere Gefährte, die sich durch hohes Gras und Schlamm quälten. Von allen Seiten war das Stöhnen der Verwundeten zu hören. Manche schrien vor Schmerz, wenn der Karren, mit dem man sie transportierte, durch ein Loch rumpelte. Leichen lagen auf dem Boden und mussten umfahren werden. Da seit der Schlacht inzwischen einige Zeit vergangen war, boten sie einen schrecklichen Anblick. In der Luft hing ein Ekel erregender Geruch.

Es war ein Albtraum!

Als erfahrene Soldaten waren Flint und seine Männer natürlich an solche Situationen gewöhnt. Trotzdem war es schwer, das Grauen zu ertragen.

Als sie ein besonders schlammiges, unebenes Stück Land erreichten, nahm Flint die Füße aus den Steigbügeln, damit Llewellyn und Hodge sich daran festhalten konnten. Old Nick hatte gelernt, sich mit dem zusätzlichen Gewicht abzufinden. Schon oft hatte er Verwundeten beim Verlassen des Schlachtfelds helfen müssen.

Kurze Zeit später gelangten sie in ein Dorf, das von den Kampfhandlungen weitgehend verschont geblieben war. Als sie die Kirche passierten, sah Flint einen Priester, der auf den Stufen saß und die Hände vors Gesicht geschlagen hatte. Vielleicht weinte er, weil ein riesiger Berg von Toten vor ihm aufgeschichtet worden war und noch immer weitere Gefallene dazu gelegt wurden.

„Major!“ Hawkins wies auf die Tür einer Kate, auf die jemand den Namen Ponsonby geschrieben hatte. „Ponsonby lebt!“

Aber er ist verwundet, dachte Flint, sonst hätte man ihn nicht hier untergebracht. Er hegte große Achtung für den Offizier, der sowohl ein talentierter Stratege als auch ein guter Menschenführer war.

Dann hatten sie das Dorf hinter sich gelassen, und Flint wandte seine Aufmerksamkeit noch einmal Rose zu. Sie hatte sich kaum gerührt, seit er sie zu sich aufs Pferd gehoben hatte. Da sie mit dem Rücken zum Kopf des Tieres saß, hatte sie die Arme um Flints Taille geschlungen und den Kopf an seine Brust gebettet. Anscheinend störte es sie nicht, dass ihr Retter durchdringend nach Schweiß, Blut und Schießpulver roch.

Als Flint tief Luft holte, stieg ihm Roses Geruch in die Nase. Er nahm Angst wahr und auch, dass die Kleidung der Frau feucht und schlammig war. Aber zu seinem Erstaunen war da auch ein Duft nach Kräutern und Zitrone. Sie musste sich das Haar mit leicht parfümiertem Wasser gewaschen haben. Die Vorstellung weckte seltsame Gefühle in ihm. Es war so typisch weiblich, selbst unter den schlimmsten Umständen schön und begehrenswert erscheinen zu wollen. Vielleicht hatte sie vor sich hin gesummt, als sie in einem Zelt ihr Haar wusch und kämmte. Vielleicht hatte sie dabei aus den Augenwinkeln beobachtet, wie ihr Mann seine Waffen reinigte. Während er sich auf die Schlacht vorbereitete, hatte sie so getan, als gäbe es keinen Krieg.

„Was wollen Sie mit ihr machen, Major?“

Flint runzelte die Stirn. „Am besten wäre es, wenn eine Frau sich um sie kümmern könnte.“ Aber hier gab es weit und breit keine dafür geeignete Frau. Also würde er sie wohl mitnehmen müssen nach Brüssel. Doch dann fiel ihm ein, dass sie auf dem Weg dorthin an einem Kloster vorbeikommen würden. „Wir sollten sie bei den Nonnen lassen.“ Gut, dann war er sie los! Seine Wunde schmerzte, und er war furchtbar müde.

„Jimmy lebt nicht mehr“, verkündete in diesem Moment einer der Soldaten auf dem Wagen.

Auch um ihn sollen die Nonnen sich kümmern. „Wir machen beim Kloster Rast“, erklärte Flint.

„Sicherheit … Rose … Kloster …“

Sie verstand nur Bruchstücke von dem, was der Teufel zu ihr sagte. Der Schrei in ihrem Kopf war zu laut. Aber sie sah deutlich, wie eine der armen Seelen, die dem Teufel bisher gefolgt waren, an ein großes Tor klopfte. Es wurde geöffnet, und riesige schwarze Krähen kamen mit den Flügeln flatternd heraus. Oh Gott, eine der Krähen griff nach ihr!

„Ma pauvre petite …“

Sie klammerte sich noch fester an den Teufel.

Die Krähen nahmen einen blutverschmierten Mann mit. Er war offensichtlich tot. Genau wie Gerald. Nur, dass der Unbekannte noch sein Gesicht hatte, während Gerald ….

Rose schrie.

„Der Teufel sagte etwas zu den Krähen, die daraufhin zurück zum Tor flatterten.“

„Was soll ich bloß mit Ihnen machen, Rose“, murmelte er.

Rose? Wer ist Rose? Ich heiße anders.

Dummerweise konnte sie sich nicht an ihren Namen erinnern. Der Teufel hieß Adam, das hatte er ihr gesagt. Seltsam, Adam war kein Teufelsname. Er hätte Luzifer oder Beelzebub heißen müssen. Und es gab noch mehr Ungereimtheiten. Ein Teufel – gleichgültig wie er hieß – hätte heiß sein müssen, unangenehm heiß. Doch Adams Körper strahlte eine wundervolle Wärme aus. Zudem passten seine blauen Augen überhaupt nicht zu einem Teufel.

Vielleicht, dachte Rose, vielleicht ist er gar kein Teufel. Schließlich roch er auch nicht nach Schwefel.

Ich bin so müde. Ob ich ein wenig schlafen darf?

Verschwommen erinnerte sie sich daran, dass sie sehr lange nicht geschlafen hatte. Erst war da dieser Ball gewesen. Dann hatte sie Gerald in den Armen gehalten. Und noch später hatte eine schreckliche Schlacht getobt, während es in Strömen regnete.

Was verbindet mich mit Gerald? Und wer bin ich?

Sie wusste, dass sie gesündigt hatte. Aber welcher Sünde hatte sie sich schuldig gemacht? Sie würde dafür bestraft werden. Doch nicht jetzt. Adam war nicht der Teufel.

Der Schrei in ihrem Kopf wurde ein bisschen leiser. Sie schlief ein.

2. KAPITEL

Um Himmels willen!“ Maggie Moss stand in der Tür und starrte die Männer an. Ihre Hände und ihre Schürze waren weiß von Mehl. Ihre Wangen waren weiß vor Schreck.

„Wir sind in eine Rauferei geraten, Maggie“, versuchte Flint zu scherzen. Er war unglaublich froh, Mrs. Moss zu sehen, die gemeinsam mit ihrem Mann ein Gasthaus in Brüssel betrieb. Sie stand für all das, was es auf dem Schlachtfeld nicht gab: gutes Essen, anregende Getränke, Wasser zum Waschen und erholsame Ruhe. „Habt ihr Platz für uns? Wir sind insgesamt zwölf Mann und dann noch Rose.“

Natürlich hatte Maggie die dunkelhaarige Frau längst bemerkt. Sie schluckte, weil sie beim Anblick der Verwundeten den Tränen nahe gewesen war, und erklärte dann ruhig: „Selbstverständlich könnt ihr bleiben. Für Randall’s Rogues ist bei uns immer Platz. Ein paar Leute mussten sich eine andere Unterkunft suchen, da wir euch erwartet haben.“ Sie wandte sich um und rief: „Moss, wo steckst du?“ Und dann leiser: „Warum ist dieser Mann nie da, wenn man ihn braucht?“

Unwillkürlich huschte ein Lächeln über Flints Gesicht.

Maggie hatte sich unterdessen wieder den Neuankömmlingen zugewandt. „Kommt herein! Am besten erst einmal in die Küche. Ich koche gleich Tee für uns alle.“ Zunächst jedoch trat sie an den Wagen, um einem der Verwundeten beim Absteigen zu helfen.

Als nahezu alle in der Küche versammelt waren, hinkte ein Mann mit einem Holzbein herein. Moss. Er hatte als Sergeant unter Flint gedient, bis er in Badajoz ein Bein verlor. Er und Maggie, die während des Feldzugs stets in seiner Nähe geblieben war, hatten nach seiner Genesung beschlossen, sich gemeinsam in Brüssel niederzulassen. Dort hatten sie sich ihren Traum erfüllt und ein Gasthaus eröffnet.

„Im Nebengebäude gibt es genug Strohmatratzen für alle“, verkündete Moss, während seine Frau Wasser aufsetzte und Tee in eine riesige Kanne füllte. „Dort ist es kühl und trocken, und niemand muss irgendwelche Treppen hinaufsteigen. Zu voll wird es wohl auch nicht werden.“ Er wandte sich an Flint. „Es muss schlimm gewesen sein, wenn Sie nur so wenige Männer herbringen.“

„Es hätte noch schlimmer kommen können. Immerhin haben wir gesiegt. Aber es war ein harter Kampf. Hawkins, die zehn Männer hier und ich sind sozusagen die Nachhut. Einen Teil meiner Leute konnte ich schon gestern nach Brüssel schicken. Die Kampffähigen müssen sich im Hauptquartier melden. Die Verwundeten haben hoffentlich alle einen Platz in einem Lazarett oder einem Kloster gefunden.“ Er schaute sich nach Hawkins um. „Können Sie sich eine Weile um alles kümmern? Ich kann nicht viel tun, solange ich beide Hände voll habe.“

Alle Augen waren jetzt auf Rose gerichtet, die sich noch immer an Flint klammerte.

„Wir kommen zurecht“, verkündete Moss und wechselte einen Blick mit Hawkins. „Sie, Major, sollten sich von Maggie helfen lassen.“

„Allerdings.“ Maggie nickte. „Kommen Sie mit nach oben, Major. Wie geht es Ihrem Bru… Colonel Randall?“

Auf der Treppe hörten sie, wie Moss zu den weniger schwer Verwundeten sagte: „Im Hof gibt es eine Pumpe. Ziehen Sie sich aus und waschen Sie sich gründlich. Dann können wir auch besser erkennen, welche Wunden behandelt werden müssen.“

„Soweit ich weiß“, sagte Flint, der mit Maggie und Rose das obere Stockwerk erreicht hatte, „geht es dem Colonel gut. Gideon allerdings ist gefallen.“ Sein jüngerer Halbbruder war ein mutiger, doch leider nicht sehr kluger Kavallerie-Offizier gewesen, der eigentlich nicht bei den Artillerie-Soldaten hätte sein sollen. Flint machte sich Vorwürfe, weil er ihn nicht davon hatte abhalten können.

„Der arme Junge“, murmelte Maggie. „Es tut mir so leid …“

„Ich habe ihn kaum gekannt“, erinnerte Flint sie. Tatsächlich war er den ehelich geborenen Kindern seines Vaters stets so weit wie möglich aus dem Weg gegangen. Schwierig war das erst geworden, als sein älterer Halbbruder Colonel Randall sich aus unerfindlichen Gründen dafür eingesetzt hatte, dass Flint zum Major befördert wurde. Randalls Interesse an ihm erschien Flint unbegreiflich. Ihr gemeinsamer Vater hatte doch so viele Bastarde gezeugt …

Maggie hatte nicht die Absicht, ein Thema zu vertiefen, dass Flint offenbar unangenehm war. „Sie können wieder das Zimmer links haben“, meinte sie und betrachtete dann die Frau, die offenbar nicht bereit war, ihn loszulassen. „Wer ist sie?“

„Keine Ahnung. Ich habe sie auf dem Schlachtfeld aufgelesen und vor ein paar Marodeuren gerettet.“

„Ehe die …“

„Ja. Trotzdem muss sie etwas Schreckliches erlebt haben. Sie spricht nicht. Sie scheint nicht zu verstehen, was ich zu ihr sage – ganz gleich in welcher Sprache. Und sie will nicht von mir weichen, was ich inzwischen doch etwas störend finde.“

Mit sanfter Stimme wandte Maggie sich an die Fremde: „Sie sind in Sicherheit, Liebes. Ich kümmere mich um Sie. Sie können den Major jetzt loslassen.“

Vergeblich. Erst als Flint sich aus seinem Uniformrock schälte, in den Rose die Finger gekrallt hatte, war es möglich, sie auf das Bett in der Kammer rechts vom Flur zu legen.

„Arme Kleine“, murmelte Maggie.

„Klein ist sie nicht“, stellte Flint fest. Sie war auch nicht so jung, wie er zunächst gedacht hatte. Wahrscheinlich hatte sie seit einiger Zeit mit irgendeinem Soldaten zusammengelebt. Allerdings wirkte sie erstaunlich unschuldig und zerbrechlich. „Warmes Wasser“, überlegte der Major laut. „Dann können Sie sie waschen und sie hoffentlich davon überzeugen, dass niemand hier ihr etwas Böses will.“

Aus einer Ecke im Flur trug er einen zinnernen Zuber herbei. Vor dem Ball der Duchess of Richmond hatte er selbst darin gebadet. „Ich brauche Sie an meiner Seite, Major“, hatte Lord Randall gesagt. „Ziehen Sie Ihre Galauniform an und versuchen Sie, ausnahmsweise mal auszusehen wie ein Gentleman.“

Dem Befehl eines Vorgesetzten gehorchte man. Also hatte Flint ein Bad genommen und sich von Moss die Haare schneiden lassen. Maggie hatte darauf bestanden, dass er sich parfümierte. Dann hatte er seine bisher kaum getragene Galauniform angezogen. Widerwillig und im Bewusstsein, in den Kampf gegen die Dämonen der Vergangenheit zu ziehen, hatte er das Gasthaus des Ehepaars Moss verlassen.

Rückblickend dachte er, dass es die Mühe wert gewesen war. Sonst hätte er niemals erlebt, wie entsetzt der gut aussehende Justin Randall gewesen war, als einige der Damen, die ihn zu umschwirren pflegten, sich lieber seinem wortkargen Halbbruder zuwandten.

„Es überrascht mich immer wieder, wie vornehm Sie auftreten können“, hatte Randall später gesagt. Um seine Lippen hatte ein Lächeln gespielt, das die Augen nicht erreichte.

„Und nicht nur das“, hatte Flint erwidert und sich angehört wie jemand, der die besten Schulen und Universitäten besucht hatte. Oh ja, er konnte durchaus den hochwohlgeborenen Gentleman spielen, wenn er es darauf anlegte. „Haben Sie Angst, Mylord, dass ich Sie bei den Ladys ausstechen könnte?“

Beide wussten, dass er dazu durchaus in der Lage war. Beweise dafür gab es genug. Die Frauen flogen auf ihn, selbst wenn er sich nicht schick machte und sich nicht ausdrückte wie jemand, der der Oberschicht angehörte. Justin Randall hatte vermutlich auch das eine oder andere Herz gebrochen. Aber er war der Ansicht, dass es unter seiner Würde war, sich mit seinen Geliebten in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Ich sollte mich konzentrieren, rief Flint sich selbst zur Ordnung, als er jetzt die Treppe hinabstieg, um zwei Eimer voll warmem Wasser für Rose zu holen. Er durfte seine Pflichten als Offizier nicht vergessen. Also zwang er sich, nicht länger an jenen Abend bei der Duchess of Richmond zu denken.

In der Küche stieß er auf Moss, der gerade einen der schwerverwundeten Soldaten medizinisch versorgte. Die anderen Männer waren im Hof, nackt wie Gott sie erschaffen hatte, und wuschen sich an der Pumpe.

Hawkins schien noch keine Zeit gefunden zu haben, sich zu waschen. „Ich habe eine Nachricht ans Hauptquartier geschickt, Sir, um den Colonel darüber zu informieren, wo wir untergekommen sind“, teilte er Flint mit. „Außerdem habe ich einen Wundarzt angefordert. Vorerst sollen die Männer ihre Wunden, so gut es geht, selbst säubern. Mit Salbe und Verbandszeug kann Maggie uns versorgen. Ist sie noch oben bei dem Mädchen? Wie geht es der Kleinen?“

„Ich habe sie Rose getauft.“ Aufmerksam musterte Flint seine Männer. Sie wirkten zuversichtlich. Das allein würde schon einiges zu ihrer Genesung beitragen. Trotz der schrecklichen Verluste hatten sie den Feind zum Schluss besiegt. Und nun waren sie im Gasthof der Moss’ gut aufgehoben. Wahrscheinlich würden sie ohne die Hilfe des Wundarztes zurechtkommen. „Maggie kümmert sich um Rose. Ich habe versprochen, den beiden warmes Wasser zu bringen.“

„Gut. Aber dann müssen Sie endlich auch an sich selbst denken. Sie sind verwundet.“

Und dreckig!

In der Küche goss Flint warmes Wasser in die zwei Eimer und ging rasch wieder nach oben. Sobald er die Wanne gefüllt hatte, begab er sich zu seinen Männern auf den Hof. Hawkins hatte begonnen, sich auszuziehen, und Flint tat es ihm nach. Als der Sergeant ihm ein Stück Seife reichte, wusch er sich und säuberte die Degenwunde trotz der Schmerzen, so gut er konnte.

Die verwundeten Soldaten hatten sich unterdessen gegenseitig verbunden. „Zeit zum Schlafen“, rief Moss und begann, die herumliegenden blutigen und schmutzverkrusteten Uniformen einzusammeln. „Die müssen gereinigt werden.“ Er ging mit seiner Last in die Küche, und man hörte ihn nach dem Dienstmädchen rufen.

„Sie brauchen auch etwas Schlaf“, sagte Flint zu Hawkins.

Der hob kurz den Kopf und fuhr fort, seine Füße zu waschen.

„Schlafen Sie, Sergeant! Das ist ein Befehl.“

„Jawohl, Major. Sie sollten ebenfalls schlafen.“

Flint schaute sich um. Alles schien geregelt zu sein. „Das werde ich“, sagte er. „Sie finden mich oben, wenn Sie mich brauchen.“ Er trocknete sich ab, schlang sich das Handtuch um die Hüften, kehrte zurück ins Haus, stieg die Treppe hinauf und warf einen Blick auf die geschlossene Tür des Zimmers, in dem Rose untergebracht war. Zufrieden stellte er fest, dass der Boden der Zinkwanne, die wieder im Flur stand, mit schmutzig-grünem Wasser bedeckt war

Gut, wenn Maggie Rose gewaschen hat, muss sie mögliche Verletzungen bemerkt haben.

Plötzlich fühlte Flint sich so erschöpft, dass er kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Er ging zu Bett, und kaum hatte er die Decke über sich gezogen, da war er auch schon eingeschlafen.

Rose erwachte. Wie von weither hörte sie noch immer den Schrei in ihrem Kopf. Gleichzeitig wusste sie, dass es um sie her still war. Still und friedlich.

Zögernd öffnete sie die Augen. Sie befand sich in einer sauberen Kammer in einem sauberen Bett. Und sie trug ein Nachthemd, das ihr nicht gehörte. Ihr fiel ein, dass eine Frau ihr geholfen hatte, sich zu waschen. Sie kannte jene Frau nicht. Sie war auch nie zuvor in diesem Zimmer gewesen. Verwirrt setzte sie sich auf – und heftige Schmerzen durchzuckten ihren Körper. Verflixt, jede Bewegung tat weh.

Was ist passiert?

Sie konnte sich nicht erinnern, was geschehen war. Vor einiger Zeit – so viel wusste sie – hatte sie in einem großen Haus gelebt. Später in einem kleineren. Vor Kurzem erst hatte sie ein wunderschönes Kleid getragen und einen Ball besucht. Aber wo? Und mit wem? Es gab einen gut aussehenden jungen Mann, ja. Mit ihm hatte sie getanzt. Später hatte er sie geküsst. War das in einem Zelt gewesen? Wie seltsam! Und dann …

Rose fuhr zusammen. Irgendetwas Schreckliches war geschehen. Aber was? Der Schrei in ihrem Kopf wurde lauter. Zitternd sank sie in die Kissen zurück.

Es dauerte eine Weile, bis sie wieder in der Lage war nachzudenken.

Ein paar Dämonen hatten sie in Angst und Schrecken versetzt. Dann war der Teufel selbst erschienen.

Er hat mich gepackt und mich weggetragen. Er hat mich vor sich auf sein schwarzes Höllenross gehoben. Aber dies ist nicht die Hölle. Oder etwa doch? Was werde ich sehen, wenn ich die Tür öffne? Vielleicht bin ich dann mitten unter den armen Seelen, die im Höllenfeuer brennen.

Sie nahm all ihren Mut zusammen, stand auf und ging zur Tür. Ihre Hand bebte, als sie die Klinke hinunterdrückte.

Kein Höllenfeuer! Gut!

Ihr Blick wanderte über einen Kamin, in dem kein Feuer brannte, und blieb an einem Bett hängen. In dem Bett lag der Teufel. Er schlief.

Vorsichtig trat sie näher, um den Schlafenden zu mustern. Breite Schultern, muskulöse Arme, raue Hände. Er musste oft verwundet worden sein. Selbst auf seiner Stirn sah sie, halb verdeckt vom dunklen Haar, eine Narbe. Obwohl er fest schlief, ging von dem Mann etwas Gefährliches aus.

Sie runzelte die Stirn. Der Teufel hatte sie gerettet. Also gehörte sie ihm. Wenn er im Bett lag, sollte sie bei ihm liegen. Vorsichtig hob sie die Decke und schlüpfte darunter. Der Teufel murmelte etwas im Schlaf, drehte sich auf die Seite und schlang den Arm um sie. Sie spürte, dass er nackt war. Sein Körper strahlte Wärme aus. Das war beruhigend. Der Schrei in ihrem Kopf war kaum noch zu hören. Aufseufzend schloss sie die Augen und schlief ein.

„Rose? Verflucht, was machen Sie hier?“

Rose? Wer ist Rose?

Sie wollte sich enger an den starken warmen Männerkörper schmiegen. Erst als zwei kräftige Hände sie bei den Schultern packten, öffnete sie die Augen. Der Teufel hatte sie ein Stück von sich fortgeschoben und starrte sie an.

Ruhig erwiderte sie seinen Blick. Angst empfand sie seltsamerweise nicht. Dann wurde ihr klar, dass sie mit ihm allein war. Also musste er wohl sie gemeint haben, als er Rose sagte. Er sah ärgerlich aus. Warum? Sie hatte doch nichts Falsches gemacht. Vorsichtig legte sie ihm die flache Hand auf die Brust. Jetzt konnte sie spüren, wie sein Herz schlug.

Er sieht unglaublich gut aus. Dunkel. Sehr männlich und so, als wäre er fähig, die verruchtesten Dinge zu tun.

Sie gestand sich ein, dass sie nichts dagegen gehabt hätte, wenn er diese Dinge mit ihr getan hätte.

„Rose“, sagte er, „Sie müssen zurück in Ihr eigenes Bett. Sie brauchen keine Angst vor dem Alleinsein zu haben. In diesem Haus sind Sie sicher.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Verstehen Sie mich überhaupt?“

Sie nickte.

„Dann reden Sie doch endlich mit mir!“

Reden? Nein, das konnte sie nicht. Wegen Gerald …

Gerald? Was ist mit ihm? Was habe ich mit ihm zu tun?

„Rose, so sagen Sie doch etwas!“

Sie schüttelte den Kopf.

„Verflixt! Erinnern Sie sich an mich? Ich bin Adam Flint.“

Natürlich erinnerte sie sich an ihn! Es tat gut, seinen Herzschlag zu spüren. In diesem Moment begriff sie, dass er nicht der Teufel war, sondern ein Mensch wie sie selbst. Das bedeutete auch, dass sie nicht tot und trotz all ihrer Sünden nicht in der Hölle war.

Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

„Rose, Sie müssen zurück in Ihr Zimmer!“, wiederholte Flint. Und als sie sich nicht rührte, fügte er hinzu: „Einer von uns muss gehen. Entweder Sie oder ich. Verdammt, ich bin nackt!“

Nackt? Rose begriff, dass sie hätte entsetzt sein sollen. Aber sie war nicht entsetzt. Sie war neugierig. Sie wollte mehr über Flint herausfinden. Und mehr darüber, was es hieß, wenn ein Mann nackt war. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie wohl noch nie das Bett mit einem nackten Mann geteilt hatte.

Da sie sich nicht rührte, warf Flint ihr einen zornigen Blick zu. Dann stieß er einen Fluch aus, schwang die Beine aus dem Bett und wandte Rose den Rücken zu.

Es war ein beeindruckender Rücken. Muskulös und von Narben überzogen. Die Hüfte war schmal, das Gesäß fest und rund, die Beine waren behaart und kräftig. Um Flints Rippen war ein Verband gewickelt.

Rose schluckte. Adam Flint gefiel ihr. Er wirkte so lebendig, sein Körper war umwerfend männlich. Außerdem war ihr noch nie ein so furchtloser Mensch begegnet. Mein Mann!

Der Name Gerald formte sich in ihrem Kopf. Ein hübsches Gesicht. Blondes Haar. Augen, die noch nichts vom Leben gesehen hatten. Er war so jung gewesen, so voller Zuversicht. Und am Schluss halb wahnsinnig vor Angst. War Gerald ihr Mann gewesen? Sie entsann sich, dass sie ihn in den Armen gehalten hatte, als er vor Furcht zitterte. Später …

Der Schrei in ihrem Kopf wurde so laut, dass sie nicht mehr klar denken konnte. Mit aller Kraft versuchte sie, sich auf Flint zu konzentrieren.

Er hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und eine zerrissene Uniformhose angezogen. Jetzt drehte er sich um. Der Verband um seine Rippen war blutig.

Er ist verwundet.

Rose sprang aus dem Bett.

Flint sprang vom Stuhl auf.

Sie bedeutete ihm, sich wieder zu setzen. Er zögerte. Doch als sie ihm mit dem Finger gegen die Brust stieß, gehorchte er.

Es kostete Rose einige Mühe, den Verband zu lösen, doch schließlich gelang es ihr. Als sie die lange Wunde mit den roten Wundrändern sah, erschrak sie. Eine Entzündung würde sich nur verhindern lassen, wenn die Wunde schnellstmöglich gereinigt und behandelt wurde.

Mit Zeichen gab sie Flint zu verstehen, dass er warten sollte, bis sie zurückkäme. Aber er stand auf, als sie den Raum verlassen wollte. Sie prallte mit ihm zusammen, verlor beinahe das Gleichgewicht. Unwillkürlich hielt sie sich an ihm fest.

Ach, seine nackte Haut fühlte sich gut an! Und es war so angenehm, den Kopf an seine Schulter zu betten! Tief holte Rose Luft. Flint roch ein wenig nach Blut, ein wenig nach Schweiß und Schießpulver, vor allem aber nach Mann.

„Es gefällt Ihnen wohl, andere herumzukommandieren“, meinte er vorwurfsvoll. Offenbar war er es nicht gewohnt, Anweisungen entgegenzunehmen.

Sie wollte den Kopf schütteln und berührte dabei unabsichtlich mit den Lippen Flints Brustwarze.

Ein Schauer überlief ihn.

Rose riss die Augen auf. Sie konnte sehen und spüren, wie erregt Flint war. Sie war verantwortlich für seine Reaktion. Das war ein berauschendes Gefühl.

Langsam hob sie den Kopf. Ihre Blicke trafen sich. Seine blauen Augen blitzten. Roses Atem beschleunigte sich.

„Warum wollen Sie nicht mit mir reden? Sie können mir wirklich vertrauen.“

Hatte er denn noch immer nicht begriffen, dass sie nicht sprechen konnte? Wie konnte sie ihm mitteilen, dass sie Vertrauen zu ihm hatte? Sie wich einen Schritt von ihm zurück, setzte eine strenge Miene auf und wies auf den Stuhl.

Flint nahm Platz.

Mit einem kleinen Lächeln verließ Rose den Raum. Irgendwo würde sie sicher die freundliche Frau finden, die ihr geholfen hatte, sich zu waschen.

Stattdessen fand sie eine Gruppe von halb bekleideten Männern, die sich um einen großen Tisch drängten.

„Hölle und Teufel!“, rief jemand.

„Oh Mist!“

Humpelnd und fluchend drängten die Männer aus der Küche in den Hof.

Jetzt erst entdeckte Rose die freundliche Frau, die am Herd stand und in einem riesigen Topf rührte. Ein wundervoller Duft erfüllte den Raum.

Rose wurde ganz schwach vor Hunger. Wann habe ich zuletzt gegessen?

„Sie hätten im Bett bleiben sollen, Liebes“, sagte die Frau. „Ich wollte Ihnen gleich eine Tasse Tee nach oben bringen.“

Rose trat an den Tisch, auf dem sie Verbandszeug entdeckt hatte. Alles in diesem Raum wirkte so vertraut wie eine Kindheitserinnerung. Nur, dass sie weder den Namen der Frau kannte, noch wusste, wer der Mann mit dem Holzbein war, der einen Kessel mit dampfendem Wasser in der Hand hielt.

Immerhin hatte sie nicht vergessen, warum sie hier war. Sie griff nach zwei Bandagen sowie einer Schüssel und zeigte auf den Kessel.

„Sie wollen den Major neu verbinden?“, erkundigte die Frau sich. „Ich helfe Ihnen.“

„Moss, sieh bitte nach dem Stew“, sagte sie zu dem Mann und nahm ihm den Kessel ab.

Gleich darauf betraten die beiden Frauen Flints Zimmer. Der Major musterte sie mit einer Mischung aus Amüsement und Gereiztheit. „Als ich wach wurde“, sagte er zu Maggie, „war sie hier. Sie hat mir befohlen, hier sitzen zu bleiben, bis sie zurück ist.“

„Hm …“ Maggie betrachtete die Wunde. „Das sieht nicht gut aus“, murmelte sie. Dann wandte sie sich Rose zu. „Sie wissen, was zu tun ist?“

Rose nickte.

„Nun, wie es scheint, Major, haben Sie jetzt eine eigene Krankenpflegerin.“

„Ich brauche weder eine Krankenpflegerin“, schimpfte Flint, „noch sonst eine Frau!“

Oh doch, dachte Rose. Sie war seine Frau. Sie gehörte zu ihm. Denn er war das Einzige, was ihr in dieser Welt Halt gab.

Vorsichtig begann sie mit der Reinigung der Wunde.

3. KAPITEL

Sie machen das nicht zum ersten Mal“, bemerkte Adam Flint, während Rose seine Wunde säuberte. „Ihr Mann ist wohl mehrmals verwundet worden?“

Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte fast keine Erinnerungen an Gerald, aber sie wusste, dass sie ihn nicht nach einer Verletzung gepflegt hatte.

Wo habe ich Erfahrungen in der Versorgung von Wunden gesammelt? Dann fiel es ihr ein. Unsere Pächter. Wir waren für sie verantwortlich. Die Wunden, die sie verbunden hatte, waren also keine gewesen, die der Krieg den Menschen zugefügt hatte. Dessen war sie sich sicher. Doch warum, um alles in der Welt, wusste sie nicht, wo das gewesen war und wie sie hieß?

„Ich habe Sie schon früher einmal gesehen“, stellte Adam in diesem Moment fest. „Vielleicht in Quatre Bras? Gehörte Ihr Mann dem 73. Regiment an? Dann könnte ich Ihnen helfen, ihn zu finden.“

Er ist tot. Und er war auch niemals wirklich mein Mann. Wie dumm von mir zu glauben, dass ich ihn liebe!

Sie musste Adam irgendwie begreiflich machen, dass es unnötig war, nach Gerald zu suchen. Also führte sie eine kurze Pantomime auf. Sie zeigte auf den Boden, schlug dann die Hände vors Gesicht und tat schließlich so, als wischte sie sich Tränen von den Wangen.

„Er ist tot?“

Rose nickte. Dann widmete sie sich wieder Adams Wunde. Erinnerungen schossen ihr durch den Kopf. Sie hatte Gerald ein Versprechen gegeben. Das musste sie halten. Auch als ihr klar geworden war, dass sie sich in ihm getäuscht hatte. Deshalb war sie bei ihm geblieben, hatte versucht, ihm beizustehen, als er vor Angst zitterte. Seltsam, wie rasch er sich von einem schneidigen Offizier in einen verängstigten Jungen verwandelt hatte.

Noch seltsamer war jedoch die Tatsache, dass sie sich nicht erinnern konnte, wann und wo sie Gerald kennengelernt hatte. Ihr Gedächtnis ließ sie einfach im Stich.

Ich wünschte, ich wüsste wenigstens, wer ich bin.

Nun, sie würde es herausfinden. Später. Zunächst einmal musste sie sich damit zufriedengeben, dass sie lebte und in der Lage war, Wunden zu versorgen.

Adam zuckte leicht zusammen, als sie die Wundränder auseinanderschob, um nachzuschauen, ob nun wirklich alles sauber war. „In meinem Bündel habe ich ein Töpfchen Wundsalbe“, stieß er zwischen den Zähnen hervor.

Sie fand es sofort und verteilte eine großzügige Portion der grünen Paste auf der Wunde. Zu ihrem Erstaunen rührte Adam sich nicht. Er musste entweder erstaunlich schmerzunempfindlich sein oder über eine bewundernswerte Selbstbeherrschung verfügen. Erst als sie ihm einen neuen Verband anlegte, spürte sie, wie seine Muskeln sich verkrampften.

Rose verknotete die Enden der Binde und fuhr dann mit den Fingerspitzen ganz leicht über Adams Wange.

Es war nicht nur der Hinweis darauf, dass sie ihre Arbeit beendet hatte. Es war auch eine zärtliche kleine Geste. Adam warf Rose einen kurzen Blick zu. Glaubte sie etwa, er brauche Trost und Zuspruch? Das hatte bisher niemand geglaubt. Er konnte sich auch nicht erinnern, dass ihn jemals irgendwer zärtlich berührt hatte, sofern es nicht um Sex gegangen war. Er war ein bisschen stolz darauf gewesen, dass er sich aus Mitleid dieser Frau und zuvor des Hundes angenommen hatte. Doch plötzlich fragte er sich, ob Dog und Rose womöglich meinten, sie hätten ihn adoptiert.

„Danke.“

Sie betrachtete ihn nachdenklich.

„Ich fühle mich schon viel besser“, versicherte er, obwohl die Salbe heftig brannte. „Am besten gehen Sie zurück in Ihr Zimmer. Ich werde Maggie bitten, Ihnen etwas zum Anziehen zu bringen. Ich selbst muss mich jetzt erst einmal waschen und rasieren.“ Er bemühte sich, ruhig und freundlich zu sprechen, obwohl er eher daran gewöhnt war, Befehle zu erteilen. Doch Rose gegenüber wollte er sich so sanft wie möglich zeigen.

Ihre Blicke trafen sich.

Man möchte die Welt vergessen, wenn man in ihre braunen Augen sieht. Man verspürt den Wunsch zu erfahren, was in ihr vorgeht. Schade, dass sie nicht redet! Trotzdem weiß ich bereits einiges über ihren Charakter. Sie ist – darauf würde ich wetten – unglücklich, dickköpfig und tapfer. Sie bemüht sich, sich ihre Angst und Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. Sie …

Verflixt, er hatte keine Zeit, über ihre Gefühle und ihren Charakter nachzugrübeln. Er musste sich um Wichtigeres kümmern. Also sagte er noch einmal: „Gehen Sie zurück in Ihr Zimmer!“

Wenn er so mit Dog sprach, schaute der Hund ihn vorwurfsvoll an. Rose hingegen senkte den Blick und nickte. Das hätte demütig wirken müssen. Doch er spürte, dass sie alles andere als eine demütige Frau war. Sie hatte ihn wahrscheinlich durchschaut und gab sich jetzt gehorsam, damit er sich nicht aufregte.

Anmutig ging Rose zur Tür. Das viel zu große Nachthemd, das sie trug, schwang um ihren schlanken Körper. Es sah aus, als würde es ihre wohlgerundete Hüfte und die festen kleinen Pobacken liebkosen.

Flint murmelte einen Fluch. Dann griff er nach seinem Hemd und zog es an. Der Schmerz, den die Bewegung weckte, war ihm willkommen. Denn er lenkte ihn von den Gedanken an diese so geheimnisvolle und so reizvolle Frau ab.

Wenig später trat Adam auf den Hof. Er überquerte ihn und öffnete die Tür zum Nebengebäude, in dem seine Männer untergebracht waren. Zufrieden stellte er fest, dass es allen besser ging, als am Tag zuvor. Die nur leicht Verwundeten kümmerten sich um diejenigen, die sich ihrer Wunden wegen schonen mussten.

Hinten im Raum entdeckte er Maggie. Sie begrüßte ihn mit den Worten: „Sie haben doch wohl nicht vergessen, dass Sie eine komplette Uniform hiergelassen haben?“

„Durchaus nicht. Aber ich weiß nicht, wo Sie sie aufbewahren.“ Er lächelte. „Lassen Sie, bitte, warmes Wasser für Rose hinaufbringen. Außerdem wäre es schön, wenn Sie ihr etwas zum Anziehen borgen könnten.“

„Das kann ich. Sie hat in etwa die gleiche Größe und Figur wie meine Schwester Susan. Da die mich recht häufig besucht, lässt sie immer einiges an Kleidung hier.“

„Wenn Sie für Rose doch etwas kaufen müssen, begleiche ich die Rechnung“, erklärte Adam. „Ihr Mann ist gefallen. Sein Tod hat sie mitgenommen, wobei sie allerdings nicht allzu sehr zu trauern scheint. Dabei halte ich sie für einen Menschen, der durchaus tiefer Gefühle fähig ist.“

„Wahrscheinlich hat er sie schlecht behandelt. Mit Ihnen jedenfalls scheint sie recht glücklich zu sein.“

Wenn ein wild aussehender, Angst einflößender Bastard Rose glücklich machte, dann musste ihr gefallener Mann ein wahres Ekel gewesen sein. Adam spürte, wie Zorn in ihm aufstieg, als er sich vorstellte, dass der Kerl Rose herumkommandiert und sie womöglich gar geschlagen hatte. Ihm fiel ein, wie sie sich an ihn geschmiegt hatte. Sofort reagierte sein Körper darauf.

Verdammt, er musste sich wohl erst einmal kalt waschen.

Während er sich an der Pumpe wusch, achtete er sorgfältig darauf, den Verband nicht nass zu machen. Nachdem er sich abgetrocknet und rasierte hatte, begab er sich in die Küche, um etwas zu trinken.

Doch was er auch tat, seine Gedanken wanderten immer wieder zu Rose zu. Sie war nicht nur hübsch, sie bewegte sich auch mit einer Anmut, die Adams Herz schneller schlagen ließ. Doch er wusste genau, dass es besser war, sich zurückzuhalten. Einerseits musste Rose sich erst einmal erholen. Andererseits brauchte er ganz bestimmt keine Lebensgefährtin. Sex, ja, dagegen hatte er nichts einzuwenden. Aber eine Beziehung? Nein. Jede Frau begann irgendwann, Ansprüche zu stellen. Auch Rose würde erwarten, dass er ihr Gefühle entgegenbrachte, die er nicht zu bieten hatte.

Er hatte den Becher mit Tee gerade geleert, als Maggie mit seiner Galauniform hereinkam. Voller Abneigung musterte er das Kleidungsstück. So etwas sollten nur wohlhabende, gebildete, einer angesehenen Familie entstammende Offiziere tragen. Zu einem Bastard wie ihm passte diese Uniform überhaupt nicht. Kein Wunder, dass er sich auf dem Ball der Duchess of Richmond darin unglaublich unwohl gefühlt hatte! Überhaupt hatte keiner der Rogues – außer Colonel Randall und vielleicht Major Bartlett – etwas auf einem solchen Fest zu suchen.

Schlecht gelaunt griff Adam nach der Uniform. Doch dann gab er sie Maggie zurück. „Hängen Sie das weg. Ich würde mich lieber in Unterwäsche zum Hauptquartier aufmachen.“ Damit ging er in sein Zimmer, um sich zum Ausgehen fertig zu machen.

Seine Stimmung hatte sich nicht gebessert, als er wenig später wieder in den Hof trat. „Hawkins!“, brüllte er.

„Major!“ Der Sergeant eilte herbei. Auch er hatte sich inzwischen rasiert und umgezogen. Woher das weiße Hemd stammte, wollte Adam lieber gar nicht wissen.

„Wir gehen zum Hauptquartier, um Bericht zu erstatten, Informationen einzuholen und unsere neuen Befehle entgegenzunehmen.“

„Jawohl.“

Sie begaben sich auf die Straße, wo sich Fußsoldaten, Reiter, Straßenhändler, Dienstboten und Hausfrauen drängten. Unter Zeltplanen, die wo immer möglich gespannt waren, lagen Verwundete auf Strohsäcken. Nonnen, Sanitätssoldaten und Wundärzte kümmerten sich um sie.

Auf dem Weg zum Hauptquartier schnappten Adam und Hawkins bereits die wichtigsten Neuigkeiten auf. Wellington hatte sein Haus in Brüssel anscheinend verlassen, um sich nach Nivelles zu begeben, wo der größte Teil der Armee biwakierte.

„Im Hauptquartier werden wir Näheres erfahren“, meinte Adam. „Mit etwas Glück treffen wir dort sogar den Colonel.“

„Wie geht es Miss Rose?“, wechselte Hawkins das Thema.

„Miss?“

„Sie benimmt sich wie eine Lady, behauptet Maggie.“

„Sie hat mit einem Soldaten des 73. Regiments zusammengelebt. Das dürfte sie wohl kaum zu einer Lady machen.“

„Ich denke, Maggie hat recht, Major“, beharrte Hawkins. „Rose ist ein nettes und zudem hübsches kleines Ding.“

„Ach? Ich dachte, Sie hätten sie nur als verwahrloste, schmutzige Frau gesehen, die kein Wort über die Lippen brachte, sondern sich an mich klammerte wie eine Verrückte. Übrigens habe ich sie heute Morgen in meinem Bett gefunden. Wollen Sie das nett, hübsch und damenhaft nennen?“

„Wahrscheinlich brauchte sie nur ein bisschen menschliche Wärme. So sind die Frauen. Wenn sie unglücklich oder aufgeregt sind, sehnen sie sich nach einem Küsschen auf die Wange und nach einer Umarmung. Wenn man nett zu ihnen ist, dann …“

„Ich habe keine Lust, Ihre Verführungstechniken zu diskutieren, Hawkins.“

Sie erreichten das Hauptquartier und erwiderten den Gruß des davor stehenden Wachpostens.

„Man sagt“, stellte Adam leise fest, als sie durch die Tür traten, „der Duke sei im Bett ein sehr sanfter Mann.“

„Tatsächlich?“ Hawkins hob die Brauen.

Beide Männer schauten sich suchend um. Vor Kurzem noch waren hier all jene ein-und ausgegangen, die über Geld oder Einfluss oder einen Adelstitel verfügten und darauf hofften, dass Wellington ihnen Beachtung schenken würde. Auch heute herrschte reges Treiben. Doch jetzt waren es übermüdete Adjutanten, gehetzt wirkende Sanitätssoldaten und ganze Gruppen von Offizieren, die sich über Landkarten oder schriftliche Anordnungen beugten.

„Major!“

Flint drehte sich um und entdeckte Lieutenant Forster, den Arzt der Brigade, der so erschöpft aussah, dass Flint Mitleid mit ihm empfand.

„Ich wollte Sie heute noch aufsuchen“, sagte Forster, „um Ihnen die Liste zu bringen, auf der der Aufenthaltsort all Ihrer Männer vermerkt ist. Es fehlen nur diejenigen, die gestern mit Ihnen in Brüssel eingetroffen sind.“

„Wie viele hat der Sensenmann geholt?“

„Bisher achtzig, aber ich fürchte, es werden noch mehr. Die meisten Schwerverwundeten habe ich bei den Nonnen untergebracht. Dort werden sie am besten versorgt.“

„Hawkins“, wandte Adam sich an seinen Sergeant, „nehmen Sie den Lieutenant mit zu Maggie. Er soll sich dort um die Verwundeten kümmern. Sie kopieren unterdessen die Liste.“ Dann sagte er zu Forster: „Leider gibt es zwei weitere Gefallene zu beklagen. Jakes habe ich begraben, und Jimmy ist auf dem Weg nach Brüssel gestorben. Sie, Lieutenant, begeben sich in Ihr Quartier, sobald sie nach den Männern in Maggies Gasthaus gesehen haben. Schlafen Sie mindestens acht Stunden! Das ist ein Befehl.“

„Aber der Colonel …“

„Er kann warten, bis ich alle Informationen zusammen habe.“ Damit trat Flint an einen Tisch, hinter dem ein Adjutant vor riesigen Papierstapeln saß.

„Sir!“ Der Mann salutierte. „Die kampffähigen Männer Ihres Regiments sind mit den Geschützen auf dem Weg nach Paris. Jeder, der in den nächsten Tagen so weit genesen ist, dass er sich der Truppe anschließen kann, soll sich in Roosbos melden. Dort erhält er seinen Einsatzbefehl. Für Sie und Ihren Sergeant, Major, habe ich hier einen Umschlag.“ Er reichte Flint einen versiegelten Brief.

Adam machte einen Schritt zur Seite, erbrach das Siegel und las. Er und Hawkins sollten in Brüssel bleiben, um dort die Ordnung aufrechtzuerhalten. Für ihn war der Krieg also vorbei. Er würde in nächster Zeit nicht mehr marschieren, nicht mehr biwakieren und nicht mehr kämpfen. Er würde nicht mehr tun können, wozu er ausgebildet war. Er würde sich mit Papierkram herumschlagen und Verwaltungsarbeiten erledigen müssen.

Verflucht!

„… wenn Sie Neuigkeiten bezüglich Lord Randalls Zustand …“, hörte er den Adjutanten sagen.

„Was? Ist Randall verwundet?“

„Eine Kugel hat seine Brust getroffen und ein Schlag seinen Kopf. Ich dachte, das sei Ihnen bekannt.“

Hölle und Teufel!

„Tut mir leid, wenn ich Ihnen einen Schreck eingejagt habe, Sir. Es besteht keine Lebensgefahr, soweit der Arzt das bisher einschätzen kann. Ich habe gehört, dass vorerst keine Operation geplant ist.“

Ein Steckschuss in der Brust oder auch anderswo war schlimm genug. Aber meist war es noch viel schlimmer, wenn die Kugel entfernt werden sollte. Adam erinnerte sich noch sehr deutlich daran, welche Schmerzen er hatte ausstehen müssen, als man ihm eine Kugel aus der Schulter herausoperiert hatte.

„Wegen der Gehirnerschütterung muss der Colonel sowieso ein paar Tage lang das Bett hüten“, fuhr der Adjutant fort.

„Wo finde ich ihn?“

„In seinem Quartier in der Rue Ducale.“

„Danke.“ Mit großen Schritten verließ Adam das Haus. Sein Vorgesetzter war verwundet, und er hatte nichts davon gewusst! Das war nahezu unglaublich. Hatte er selbst seine Pflichten vernachlässigt? Als Offizier war er für die Soldaten verantwortlich, die seinem Befehl unterstanden. Aber er musste auch seinen Colonel schützen. Wann, zum Teufel, war Randall verletzt worden? Und wie hatte er sich die Gehirnerschütterung zugezogen?

Es dauerte nicht lange, bis Adam vor dem Haus in der Rue Ducale stand und den Türklopfer betätigte. Kaum wurde die Tür geöffnet, da drängte er sich auch schon an dem protestierenden Bediensteten vorbei. Da er aus dem ersten Stock Stimmen hörte, stieg er, ohne zu Zögern, die Treppe hinauf. Randall war offenbar bei Bewusstsein. Gut!

Ohne anzuklopfen stürmte er in das Krankenzimmer des Colonels.

Randall, der im Bett lag, ließ keine Überraschung erkennen, sondern sagte: „Wo, zum Henker, haben Sie gesteckt?“

„Ich habe die Gefallenen begraben. Und Sie, Mylord?“ Er sieht schlecht aus. Und seine Stimme ist längst nicht so kräftig wie sonst. „Was ist Ihnen …“

Es raschelte hinter Adams Rücken, und jemand fasste nach seinem Arm. „Verlassen Sie sofort den Raum!“, befahl eine weibliche Stimme.

Adam drehte sich um. Eine zierliche Brünette in einem schmucklosen Kleid schaute ihn streng an. Sie sprach wie eine Lady, sah jedoch eher aus wie eine Gesellschafterin. Oder vielleicht gehörte sie ja einer Religionsgemeinschaft an, die elegante Kleidung verbot. Es gab eine Menge Puritaner und Quäker. Nun, an Selbstbewusstsein schien es der Frau jedenfalls nicht zu mangeln.

Da sie ihn nicht losließ, sondern ihn Richtung Tür zog, gab Adam nach.

Kaum waren sie im Flur, flüsterte sie ihm zu: „Lord Randall wurde in einer Scheune in der Nähe von La Haye Sainte gefunden, und niemand weiß, wie er dorthin kam. Er selbst konnte uns auch keine Auskunft geben, vermutlich weil er eine Gehirnerschütterung erlitten hatte. Er braucht dringend Ruhe. Deshalb muss ich Sie bitten, uns allein zu lassen.“

„Madam, er ist mein Vorgesetzter. Es ist meine Pflicht, ihm Bericht zu erstatten. Wenn er mich fortschickt, werde ich gehen. Aber Befehle nehme ich nur von ihm entgegen.“

„Ich bin Miss Endacott“, informierte sie ihn in einem Ton, als wäre allein ihr Name Grund genug, ihr zu gehorchen.

Tatsächlich hatte er ihren Namen bereits gehört. Adam wusste, dass Randall sich bereit erklärt hatte, eine Gouvernante von England nach Brüssel zu begleiten. Und auf dem Ball der Duchess hatte der Colonel jeden Tanz mit dieser Miss Endacott getanzt. Da hatte sie allerdings ein bezauberndes Ballkleid getragen. Hatte Randall womöglich eine Affäre mit ihr?

„Sie sehen ihm ähnlich“, stellte sie in diesem Moment fest. „Sind Sie womöglich sein Halbbruder?“

„Ja, Adam Flint. Und jetzt muss ich mit ihm sprechen.“

Nach kurzem Zögern meinte sie: „Einverstanden. Vorausgesetzt, Sie helfen mir, ihm seine Medizin zu verabreichen. Er ist kein guter Patient.“

„Selbstverständlich.“ Hauptsache er fand Gelegenheit, mit Randall zu reden.

Wieder im Krankenzimmer erteilte Miss Endacott ihm detaillierte Anweisungen. Und tatsächlich gelang es ihnen, dem unwilligen Verwundeten seine Medizin zu geben. Der schloss daraufhin die Augen. Sein Gesicht war sehr blass.

Er hat große Schmerzen und will nicht, dass wir es merken, dachte Adam. Und laut sagte er. „Haben Sie irgendwelche Befehle für mich, Mylord? Im Hauptquartier hat man nach Ihnen gefragt. Ich werde berichten, dass Sie ein wenig Ruhe brauchen. Wir haben hier alles unter Kontrolle.“

„Kümmern Sie sich um die Rogues.“ Randall sprach mit schwacher Stimme und ohne die Augen zu öffnen.

„Natürlich.“ Es beunruhigte Adam, wie nah ihm Randalls Leiden ging. Verflixt, er hatte sich schon mit gänzlich ungewohnten Gefühlen herumplagen müssen, als er sah, wie sein jüngerer Halbbruder Gideon auf dem Schlachtfeld gestorben war.

Als könnte er Gedanken lesen, sagte Randall: „Gideon …“

„Ich lasse seinen Leichnam nach Brüssel bringen.“

„Danke.“

Miss Endacott griff schon wieder nach seinem Arm.

Adam folgte ihr in den Flur.

4. KAPITEL

An diesem Morgen fühlte Rose sich besser. Sie hatte gut geschlafen, und der Schrei in ihrem Kopf war kaum noch zu hören. Sie wusch sich, zog die Kleidungsstücke an, die sie von Maggie erhalten hatte, und begab sich in die Küche.

Heute hielt sich keiner der Verwundeten dort auf. Maggie stand am Herd und rührte wieder in diesem riesigen Topf. Flint und Hawkins hatten es sich am Tisch bequem gemacht. Sie wirkten erschöpft, gleichzeitig jedoch viel entspannter als am Vortag.

Zögernd blieb Rose stehen, bis Maggie ihr mit einer Kopfbewegung bedeutete, dass sie sich setzen sollte.

„Nehmen Sie sich eine Tasse Tee!“

Rose warf ihr ein dankbares Lächeln zu.

Bedächtig griff Hawkins das Gespräch wieder auf, das anscheinend von Roses Auftauchen unterbrochen worden war.

„Wenn wir Boney geschlagen haben, ist der Krieg vorbei. In Wien versammeln sich die einflussreichsten Männer unserer Zeit, um zu beraten, wie alles weitergehen soll. Und der französische König soll gebeten worden sein, zurück nach Paris zu kommen.“

„Für uns gibt es hier also keine sinnvolle Aufgabe mehr“, stellte Adam fest.

„Ich bin nicht alt genug, um mich zur Ruhe zu setzen.“

„Wir könnten uns als Soldaten auf den Westindischen Inseln verdingen.“

„Dort erwartet einen der sichere Tod, heißt es. Ich bin bereit, im Kampf zu sterben. Aber am Gelbfieber? Nein!“

„Wir könnten nach England zurückgehen, um uns Prinnys Soldaten anzuschließen. Wir würden ein ruhiges Leben führen und bei den Festen, die der Prinzregent gibt, zur Belustigung der Gäste Kanonen abfeuern.“

„Ich würde mich schämen“, entgegnete Hawkins. „Und ich möchte auch nicht den Befehl erhalten, auf streikende Arbeiter zu schießen.“

„Mir geht es genauso.“ Adam seufzte.

Sie reden miteinander wie Gleichgestellte, dachte Rose verwundert. Dabei war der eine ein Major, der andere ein ihm unterstellter Sergeant.

Maggie zog den Topf vom Feuer und setzte sich mit einer Flickarbeit an den Tisch.

„Es gibt immer noch die Ostindien-Kompanie“, bemerkte Hawkins. „Dort braucht man gute Artillerie-Offiziere.“

Adam nickte. „Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Auch die kleinen deutschen Staaten suchen angeblich ständig fähige Offiziere.“

„Da hätten Sie die Chance, schnell General zu werden.“

„Und als Erstes würde ich Sie zum Major machen. Malen Sie sich nur aus, welch schicke Uniformen wir tragen würden.“

Hawkins schnaubte verächtlich.

„Dann bleibt wohl nur die Ostindien-Kompanie. Wir wären richtige Soldaten mit richtigen Uniformen, richtigen Schlachten und richtigem Geld.“

Rose spürte, wie ihr das Herz schwer wurde. Verflixt! Es hätte sie gar nicht berühren sollen, dass Adam nach Indien gehen wollte. Schließlich waren sie kein Paar.

„Indien? Ja, das hört sich gut an“, pflichtete Hawkins seinem Vorgesetzten zu. „Für mich ist es in der Tat unvorstellbar, das Soldatenleben aufzugeben.“

„Auch ich kann mir ein Leben als Zivilist nicht vorstellen“, brummte Adam.

In diesem Moment wurde die Tür zum Hof aufgestoßen, und Moss humpelte in die Küche. Er bedachte die beiden Männer am Tisch mit einem prüfenden Blick, hob die Brauen und fragte: „Schlechte Laune?“

„Wir machen uns Gedanken über die Zukunft. Vermutlich werden wir uns bei der Ostindien-Kompanie verdingen.“

„Ein guter Plan.“

„Die beiden könnten ebenso gut ihren Abschied nehmen“, meinte Maggie.

„Der Major soll die Armee verlassen? Wo denkst du hin, Frau? Er hat alles dafür gegeben, Offizier zu werden. Er gehört an den Platz, den er jetzt innehat. Bei mir war das anders. Erstens war ich nie besonders ehrgeizig, zweitens gibt es nicht viele einbeinige Sergeanten und drittens hatte ich dich.“ Moss sah seine Frau liebevoll an. „Ich bin sehr zufrieden mit dem, was wir gemeinsam erreicht haben.“ Er ließ sich auf einen Stuhl sinken. „Hallo, Miss Rose. Sie sehen gut aus heute. Fühlen Sie sich wohl genug, um mir ein bisschen mit den Verwundeten zu helfen?“

Noch einmal füllte Rose einen Becher mit Wasser aus dem Krug. Dann schaute sie kurz zu dem einzigen Verwundeten hin, dem sie noch nichts zu trinken gebracht hatte. Er litt an einer Kopfverletzung und lag still auf seiner Matratze aus Stroh.

Rose hatte bisher absichtlich einen Bogen um ihn gemacht. Denn jedes Mal, wenn ihr Blick auf den Verband um seinen Kopf fiel, wurde der Schrei in ihrem eigenen Kopf lauter.

Feigling, schalt sie sich selbst. Sie hatte sich doch freiwillig bereit erklärt, Moss zur Hand zu gehen. Sie war dem Ehepaar, das sich so freundlich um sie kümmerte, etwas schuldig. Darüber hinaus tat es ihr gut zu sehen, wie dankbar die Soldaten waren. Jeder von ihnen behandelte sie mit Respekt. Eigentlich hatte sie allen Grund, zufrieden zu sein.

Sie hockte sich neben die regungslose Gestalt auf der Matratze und berührte den Mann leicht an der Schulter. Er wandte den Kopf, wobei der Verband ein wenig verrutschte. Eine gefährlich aussehende Wunde kam zum Vorschein.

Irgendetwas schepperte.

Der Schrei in Roses Kopf wurde unerträglich.

„Miss Rose!“, schrie jemand.

Jemand schlug ihr ins Gesicht und schüttelte sie.

Maggie stürzte aus der Küche.

Dann fand Rose sich am ganzen Körper zitternd, aber aufrecht stehend zwischen mehreren verwundeten Soldaten wieder. Ein Unbekannter hielt ihre Schulter so fest umklammert, dass es schmerzte. Was würde er als Nächstes tun? Sie hatte Angst. Schreckliche Angst. Sie wollte um Hilfe rufen. Doch kein Laut kam ihr über die Lippen. Verzweifelt schloss sie die Augen.

„Ich musste ihr eine Ohrfeige geben“, meinte der fremde Offizier. „Sie war außer sich. Man sollte ihr kaltes Wasser ins Gesicht gießen.“

„Nein!“ Die Stimme kam Rose bekannt vor. „Ich kümmere mich um sie.“

Starke Arme schlossen sich um ihren Körper. Und aufatmend legte Rose den Kopf an Adams Brust.

„Was ist passiert?“, fragte er.

„Dixons Verband ist verrutscht“, berichtete jemand. „Und dann ist im Hof etwas umgefallen. Da ist sie durchgedreht.“

„Kopfverletzungen scheinen sie aus der Fassung zu bringen“, stellte Adam fest. Er strich Rose beruhigend über den Rücken, führte sie in die Küche und drückte sie auf einen Stuhl. „Öffnen Sie die Augen!“

Rose gehorchte. Verwirrt schaute sie sich um. Sie befand sich nicht auf dem Schlachtfeld, sondern in einer Küche. In Maggies Küche.

„Soll ich sie ins Bett bringen?“, erkundigte Maggie sich. „Sie zittert ja wie Espenlaub.“

Adam schüttelte den Kopf. „Rose“, sagte er eindringlich, „Sie sind in Sicherheit. Die Kampfhandlungen sind vorbei. Lieutenant Forster kümmert sich um die Verwundeten. Beruhigen Sie sich!“

Sie begriff, was er von ihr erwartete: Sie sollte vernünftig sein. Bestimmt würde er nichts von ihr verlangen, was sie nicht schaffen konnte. Also atmete sie ein paar Mal tief ein und aus.

„Kommen Sie!“ Adam hielt ihr die Hand hin.

Sie ließ sich von ihm aufhelfen und folgte ihm zögernd über den Hof und dann ins Nebengebäude. Jeder Schritt kostete sie Überwindung, aber sie bemühte sich sehr, Adam nicht zu enttäuschen. Dann standen sie neben Dixon, dem der Arzt gerade einen neuen Verband anlegte. Rose kniete sich neben den Verwundeten und berührte mit den Fingern sanft seinen Arm.

Forster erhob sich, und Dixon schaute zu Rose hin. „Es tut mir leid, Miss“, murmelte er.

Er entschuldigt sich? Rose lächelte ihn an, hob die Hand und strich ihm vorsichtig über die Wange. Ich sollte mich entschuldigen.

„Fühlen Sie sich jetzt besser, Miss?“, fragte der Arzt.

Sie runzelte die Stirn. Er war es, der sie geschlagen und geschüttelt hatte. Aber offensichtlich wollte er ihr nichts Böses. Also nickte sie.

„Sie sind stumm?“ Er fasste sie am Ellbogen und wollte sie in Richtung des Hauses ziehen.

Rose schüttelte seine Hand ab. Ich kann zwar nicht sprechen, doch gehen kann ich allein. Sie folgte Lieutenant Forster und Adam in die Küche.

„Vielleicht ist es ein angeborener Defekt“, überlegte der Arzt laut. „Setzten Sie sich, Miss, und machen Sie den Mund auf.“

Rose biss die Zähne zusammen und blieb stehen.

„Da sie hören kann“, meinte Forster zu niemandem im Besonderen, „leidet sie vielleicht unter einer Deformation des Rachens.“ Er schloss die Finger um Roses Kinn.

„Das lassen Sie besser, wenn Sie nicht gebissen werden wollen“, riet Adam ihm. „Ich bin sicher, dass sie bald wieder sprechen wird.“

Danke! Sie warf Adam einen kurzen Blick zu und sah, dass seine Mundwinkel sich kaum merklich nach oben bogen. Anscheinend wusste er genau, was in ihr vorging. Er musste ein guter Menschenkenner sein. Jemand, dem man vertrauen konnte. Bestimmt würden seine Männer ihm bis in die Hölle folgen. Nun, tatsächlich waren sie mit ihm bereits durch die Hölle gegangen.

„Wie Sie meinen, Major.“ Dr. Forster zuckte mit den Schultern.

Maggie reichte ihm einen Becher Tee.

Er trank einen Schluck und holte dann ein Notizbuch aus der Tasche. „Ich habe Sergeant Hawkins bereits mitgeteilt, dass im Großen und Ganzen alles recht gut aussieht. Nur um Major Bartlett mache ich mir echte Sorgen.“

„Um Bartlett?“, fragte Adam erstaunt. „Ich wusste gar nicht, dass er verwundet worden ist.“

„Sein Kopf … Er hat das Gedächtnis verloren. Auch sein logisches Denkvermögen ist eingeschränkt. Und die Umstände, unter denen er gepflegt wird … Offen gesagt, Sir, ich weiß nicht, was genau ich dem Colonel sagen soll.“

„Wenn Bartlett in einer Scheune untergebracht ist, müssen wir ihn hierher transportieren lassen.“ Adam sah besorgt und zugleich zornig drein. „Sind noch andere unserer Offiziere verwundet?“

„Nein, Major. Und was Bartlett betrifft … Er befindet sich in Brüssel. Die Wohnung ist sauber, es gibt ausreichend frisches Wasser. Nur … es ist die Wohnung einer … einer Lady.“

„Zum Teufel, Mann! Sagen Sie schon, was Sie so beunruhigt! Fürchten Sie einen Skandal, oder was?“

„Ich …“

„Geben Sie mir die Adresse. Ich kümmere mich selbst darum.“

Der Arzt wurde rot, schien jedoch erleichtert zu sein. Er schrieb ein paar Worte auf ein Blatt Papier und gab es Adam.

„Rose“, sagte er, „ich bin bald zurück.“

„Ich wüsste zu gern“, gestand Maggie, „warum Sie so rot wie ein Schuljunge geworden sind, Lieutenant. Befindet Major Bartlett sich etwa in einem Freudenhaus?“

„Keineswegs, Mrs. Moss!“ Forster wurde noch röter. „Ich muss mich jetzt verabschieden. Morgen komme ich wieder, um nach den Verwundeten zu sehen.“

„Wenn ich nicht wüsste, dass Randall’s Rogues nie vor etwas davonlaufen, würde ich sagen, dass Lieutenant Forster den Rückzug angetreten hat“, stellte Moss fest, als der Arzt das Haus verlassen hatte. „Tatsächlich frage ich mich ernsthaft, was es mit Tom Bartlett auf sich hat.“

Adam Flint fand die angegebene Adresse in der Rue de Regence ohne Probleme. Es handelte sich um ein großes vornehmes Haus. Adam klopfte, und eine ehrbar wirkende Frau mittleren Alters öffnete.

„Ich bin Major Flint und möchte Major Bartlett sprechen.“

Die Frau machte keine Anstalten, ihn einzulassen.

„Meinen Informationen zufolge ist er verwundet. Also wird er wohl nicht ausgegangen sein“, meinte Adam.

„Er ist daheim. Aber Ihre Ladyschaft hat jeden Besuch untersagt. Ich darf nur den Arzt zu ihm lassen.“

Ihre Ladyschaft? Es würde zu Bartlett passen, selbst als Verwundeter eine Eroberung gemacht zu haben. Hoffentlich hat er sich nicht die Gattin eines hohen Offiziers ausgesucht, der gerade damit beschäftigt ist, Boney zu verfolgen.

„Ich bin Dr. Forsters Vorgesetzter.“

Sie musterte ihn. „Bitte, Sir, treten Sie ein.“ Anscheinend war sie zu dem Schluss gekommen, er müsse ebenfalls Arzt sein. „Sie finden Major Bartlett im ersten Stock, zweite Tür links. Ich muss zurück in die Küche.“

„Danke!“ Er eilte die Treppe hinauf. Ich bin es leid, dass Bartlett mit seinen Frauengeschichten immer wieder Ärger macht! Er muss endlich lernen, Verantwortung zu übernehmen!

Wütend riss Adam die Tür auf, kaum dass er einmal kurz geklopft hatte. „Bartlett, ich habe eben erst erfahren …“ Abrupt hielt er inne. Denn auf dem Bett lag nicht nur der verwundete Major. Neben ihm hatte sich eine Frau ausgestreckt, deren Brüste halb entblößt waren. Aus blauen Augen warf sie Adam einen wütenden Blick zu.

Verflucht! Er kannte dieses Blau! Er selbst hatte die gleichen blauen Augen. Genau wie seine Halbbrüder. Und deren Schwester Lady Sarah Latymor.

Hölle und Teufel, ich wünschte, ich wäre meiner Halbschwester unter anderen Umständen zum ersten Mal begegnet!

„Was, in aller Welt, tun Sie hier?“, entfuhr es ihm.

Lady Sarah sprang auf und zupfte ihr Kleid zurecht.

Bartlett schloss die Augen.

Adam bemühte sich, den Blick nicht zu lange auf dem Dekolleté seiner Schwester ruhen zu lassen.

„Sie!“, stieß Lady Sarah hervor und stemmte die Hände in die Hüften. „Sie sind Adam Flint, nicht wahr? Mein Bruder Justin hat sich geweigert, mich mit Ihnen bekannt zu machen.“

„Er hat sich zweifellos geweigert, Sie mit irgendeinem der Rogues bekannt zu machen. Und das mit gutem Grund.“

„Ich weiß sehr genau, warum er Sie mir nicht vorstellen wollte. Sie sind mein Halbbruder. Und für eine Dame gehört es sich nicht, Kenntnis von diesen Dingen zu haben. Justin wollte nicht, dass wir gesellschaftlichen Umgang miteinander pflegen.“

„Er wollte und will nicht, dass Sie gesellschaftlichen Umgang mit irgendeinem der Rogues pflegen. Ganz besonders nicht mit ihm!“ Adam wies auf Bartlett. Habe ich nicht mehr als genug am Hals? Muss ich mich jetzt auch noch um die Moral meiner Halbschwester kümmern? Nie zuvor hatte er die Verantwortung für eine Dame übernehmen müssen. Verflucht, jetzt war gewiss nicht der richtige Zeitpunkt, damit anzufangen.

„Hören Sie auf, hier herumzubrüllen. Der arme Tom leidet unter schlimmen Kopfschmerzen.“

„Ich werde dem armen Tom den Kopf abreißen, sobald der Idiot wieder auf eigenen Füßen stehen kann!“ Und am besten schneide ich ihm auch gleich seine Kronjuwelen ab. „Mylady, rufen Sie Ihr Mädchen, ziehen Sie Ihren Mantel an und begeben Sie sich nach Hause. Sofort!“

„Dies, Major, ist mein Haus.“

Zum Henker! „Dann werde ich Sie jetzt zu Ihrem Bruder bringen.“

„Zu Justin? Miss Endacott sagte, er dürfe nicht gestört werden.“

„Dann stören Sie ihn eben nicht!“

„Ich würde Justin gern sehen. Geht es ihm wirklich so schlecht?“ Sie klang jetzt leise und bedrückt. „Man hat mir mitgeteilt, dass Gideon gefallen ist. Aber ich kann es nicht glauben.“

„Leider besteht kein Zweifel daran, dass er tot ist.“ Ich habe gesehen wie er in Randalls Armen starb. Adam straffte die Schultern. „Wenn Sie nicht bereit sind, das Haus zu verlassen, werde ich dafür sorgen, dass Bartlett von hier fortgebracht wird.“

„Mit seiner Kopfwunde ist er nicht transportfähig.“ Sie wandte sich zum Bett um. „Tom, mach die Augen auf!“

Er gehochte und starrte Adam an, ohne ihn zu erkennen.

„Major …“, begann Adam.

„Sir?“

„Sprechen Sie mich nicht mit Sir an. Wir bekleiden den gleichen Rang.“

„Oh …“ Wie von selbst schlossen sich seine Augen wieder. Vielleicht wusste er nicht einmal, was ein Rang war.

„Haben Sie ihm seine Uniform gezeigt?“, erkundigte Adam sich.

„Er war nackt, als ich ihn fand“, gab Lady Sarah zurück. „Offenbar waren Plünderer …“ Sie presste die Lippen zusammen und schien gegen eine heftige Übelkeit anzukämpfen.

Sie haben ihn gefunden?“

„Ja. Leider erst, nachdem Marodeure …“

„Marodeure?“, murmelte Bartlett.

„Da hören Sie es.“ Lady Sarahs Augen funkelten zornig. „Er erinnert sich an überhaupt nichts. Lassen Sie ihn in Ruhe!“

Einerseits war es nicht ungewöhnlich, dass ein Soldat durch einen Schlag auf den Kopf das Gedächtnis verlor. Andererseits hätte es durchaus zu Bartlett gepasst, wenn er, um eine schöne Frau zu erobern, nur so getan hätte, als wäre er schwer verletzt. Zu seinem Erstaunen verspürte Adam so etwas wie den brüderlichen Wunsch, seine Schwester vor einer schlimmen Enttäuschung zu bewahren. „Haben Sie die Kopfverletzung selbst gesehen, Mylady?“

Sie nickte. Ihre Wangen waren jetzt sehr blass. „Es sah furchtbar aus. Ich habe die Wunde gesäubert und sie mit mehreren Stichen genäht. Als Lieutenant Forster ihn später untersuchte, sagte er, es müsse sich um eine Degenverletzung handeln.“ Sie schluckte. „Tom wird wieder gesund. Das muss er!“

Adam nickte. Wenn keine unerwarteten Komplikationen auftraten, hatte Bartlett gute Chancen zu genesen. Zumal er bekanntermaßen einen starken Überlebenswillen hatte.

Von der Tür her war ein Geräusch zu hören.

„Das ist Ben“, sagte Sarah und öffnete die Tür.

Herein stürmte ein riesiger struppiger Hund, der sich sogleich auf Adam stürzte.

„Dog!“, rief er. „Sitz!“

Der Hund gehorchte.

„Wie kommt Dog hierher?“

„Er heißt Ben. Der Ärmste war an einen zerschossenen Munitionskarren gebunden, als ich ihn fand. Er tat mir leid, also machte ich ihn los. Er war es, der mich zu Justin führte und auch zu Tom. Ein so kluger und tapferer Hund! Ohne ihn hätte ich die Plünderer, die mein Pferd stehlen wollten, nicht in die Flucht schlagen können.“

„Braver Dog!“ Adam kraulte den Hund hinter den Ohren. „Er kommt mit mir. Und Sie auch, Mylady. Ich bringe Sie zu Randall.“

„Ich bleibe hier!“, beharrte sie dickköpfig. „Sie können mir nichts befehlen.“ Plötzlich standen ihr Tränen in den Augen. „Warum sind Sie so sicher, dass Gideon tot ist?“

„Ich war dabei, als er starb.“

Sie schluckte. „Wurde er erschossen?“

„Er hatte mehrere Degenwunden. Mindestens eine davon war tödlich.“

Einen Moment lang fürchtete Adam, seine Schwester würde in Ohnmacht fallen. Doch ihre Reaktion war eine vollkommen andere und vollkommen unerwartete.

Sarah schaute ihn aus blitzenden Augen an und schrie: „Hinaus mit Ihnen! Und wagen Sie nicht, je wieder herzukommen! Wenn Sie Tom noch einmal belästigen, werde ich Sie mit seiner Pistole erschießen.“

5. KAPITEL

Adam schlug die Tür mit solcher Wucht zu, dass das ganze Haus erzitterte.

Vor Schreck ließ Rose, die auf einem Stuhl in der Ecke saß, das Hemd fallen, das sie gerade flickte. Aus großen Augen starrte sie Adam an.

Er hatte sie noch nicht bemerkt und fluchte laut vor sich hin. Dabei wechselte er zwischen Französisch und Englisch hin und her. Rose, die nur wenig Französisch sprach, verstand hauptsächlich die englischen Passagen.

„… meine eigene verfluchte Schwester … der wollüstige Schurke … die Eier abschneiden …“

Obwohl sie nur ahnen konnte, was er meinte, presste Rose sich die Hände auf die Ohren. Sie war bleich geworden.

Autor

Louise Allen

Louise Allen lebt mit ihrem Mann  – für sie das perfekte Vorbild für einen romantischen Helden – in einem Cottage im englischen Norfolk. Sie hat Geografie und Archäologie studiert, was ihr beim Schreiben ihrer historischen Liebesromane durchaus nützlich ist.

Foto: ©  Johnson Photography

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Julia Justiss
Julia Justiss wuchs in der Nähe der in der Kolonialzeit gegründeten Stadt Annapolis im US-Bundesstaat Maryland auf. Das geschichtliche Flair und die Nähe des Meeres waren verantwortlich für zwei ihrer lebenslangen Leidenschaften: Seeleute und Geschichte! Bereits im Alter von zwölf Jahren zeigte sie interessierten Touristen das historische Annapolis, das für...
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