Julia Best of ... Band 182

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WINDING RIVER - HEIMAT MEINES HERZENS von WAY, MARGARET
Storm ist entsetzt: Sie soll die Ranch ihres Vaters zusammen mit dessen Ziehsohn Luke bewirtschaften. Während ihrer Zeit auf Winding River wächst die erotische Spannung zwischen Storm und dem attraktiven Rancher. Doch kann sie Luke trauen oder denkt er noch an seine Exverlobte?

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  • Erscheinungstag 23.12.2016
  • Bandnummer 182
  • ISBN / Artikelnummer 9783733709730
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Margaret Way

JULIA BESTSELLER BAND 182

PROLOG

Den Männern, die im Morgengrauen hinausritten, stand eine gefährliche Aufgabe bevor. Sie wollten „Psycho“ zur Strecke bringen, das wilde Kamel, das immer wieder die Rinderherden angriff und auf jeden Reiter losging, der ihm unerwartet in die Quere kam. Erst vor einigen Tagen hatte das angriffslustige Tier einen Viehhüter angefallen und ihm einen so gewaltigen Stoß vor die Brust versetzt, dass der Mann schwer verletzt ins Krankenhaus geflogen werden musste. Er wäre ums Leben gekommen, wären in letzter Minute nicht drei seiner Kameraden erschienen und hätten die wütende Bestie in die Flucht geschlagen.

Seit neuestem griff Psycho auch die Aborigines an, die Ureinwohner des Landes, die auf ihren Wanderungen das riesige Gebiet der McFarlane-Farm durchquerten. McFarlanes Leute waren über diese Vorfälle sehr beunruhigt und forderten Schutzmaßnahmen.

Kamele waren ursprünglich nicht in Australien beheimatet. Die frühen Siedler hatten sie ins Land geholt, um mit Hilfe dieser anspruchslosen Tiere ihre Handelsgüter durchs Outback zu transportieren. Unter den damaligen Bedingungen waren Kamele die idealen Lasttiere gewesen. Heutzutage hatten sie ausgedient, hatten jedoch eine Viertelmillion wilder Nachkommen hinterlassen, die eine zunehmende Bedrohung für Mensch und Umwelt darstellten. Auf ihren Streifzügen durch die Wüste richteten die wilden Kamele erhebliche Schäden an und störten das empfindliche Gleichgewicht der Natur.

McFarlane hatten die verwilderten Kamele bislang nicht weiter gestört. Mit der Zeit waren sie Teil des Outbacks geworden, und wenn sich bei Sonnenuntergang ihre Silhouetten auf den Sanddünen abzeichneten, boten sie einen friedlichen und malerischen Anblick. Doch nun war leider der Moment gekommen, wo Psycho getötet werden musste, bevor er selbst zum Killer wurde.

An jenem Morgen waren sie zu sechst: Der Farmer McFarlane, Gary Dingo, der beste Fährtensucher weit und breit, zwei Viehhüter, McFarlanes Aufseher Chas Branagan und dessen Sohn Luke, den die Männer aber schon als einen der ihren betrachteten. Mit vierzehn Jahren war Luke bereits über einen Meter achtzig groß. Er war ein erstklassiger Sportler, besaß Härte und Ausdauer und war ein ausgezeichneter Schütze. Und er galt als hochintelligent. Nicht mehr lange, und er würde ein so hervorragender Kenner des Buschs sein wie sein Vater Chas.

McFarlane hatte eine tiefe Zuneigung zu dem Jungen gefasst. Immer mehr sah er in Luke den Sohn, den er nie gehabt hatte. Seine Frau war bei der Geburt ihrer Tochter gestorben. In jener schicksalhaften Nacht, als der wildeste Sturm seit Menschengedenken über das Land gejagt war, hatte die schöne Storm McFarlane das Licht der Welt erblickt.

Storm war ein ebenso schwieriges wie hübsches Kind. Temperamentvoll und aufbrausend, hatte sie sich schon als kleines Mädchen gegen die Anweisungen des Vaters aufgelehnt, die doch nur ihrem Schutz dienen sollten. Doch Storm wollte sich so frei und ungehindert auf der Farm bewegen wie Luke Branagan, der immer wieder zur Zielscheibe ihres Zorns und ihrer Eifersucht wurde.

„Du behandelst ihn wie einen Sohn!“ hatte sie ihrem Vater zum Vorwurf gemacht. „Aber er ist es nicht, und mein Bruder ist er schon gar nicht!“

Luke gegenüber spielte Storm die Rolle der hochnäsigen Prinzessin und übertrieb es dabei oft. Doch er blieb von ihren theatralischen Ausbrüchen ziemlich unbeeindruckt und behandelte sie stets mit nachsichtiger Freundlichkeit.

Warum begreift Storm nicht, dass ich sie über alles liebe? fragte McFarlane sich nun. Dass es mir vor allem um ihre Sicherheit geht? Auch heute Morgen, bei der Jagd auf Psycho, wäre Storm nur zu gern dabei gewesen. Was für ein Gedanke: Ein kaum zwölfjähriges Mädchen in rauer Männerrunde auf der Jagd nach einem durchgedrehten Kamel! Auch wenn Storm den ganzen Tag im Sattel sitzen konnte – sie war ein Mädchen, dem allerdings die leitende und liebende Hand einer Mutter fehlte.

Als die Männer nun die Wüste erreichten, teilten sie sich in zwei Gruppen auf. Die Luft flimmerte vor Hitze, und der aufkommende Wind verwischte jede Spur sofort wieder. Hier war Niemandsland, es war unbewohnt und menschenfeindlich. Abgesehen von einigen Falken, die auf der Suche nach Beute am Himmel kreisten, und Schwärmen grün und golden schillernder Wellensittiche, die über die Reiter hinwegflogen, schienen sie hier die einzigen Lebewesen zu sein.

Nach zwei Stunden ergebnisloser Suche rastete die Gruppe. Von dem angriffslustigen Kamel war bislang keine Spur zu sehen gewesen. Die Männer waren enttäuscht und unzufrieden, doch aufgeben wollten sie noch lange nicht. Psycho musste hier irgendwo stecken.

Erbarmungslos brannte die Sonne vom wolkenlos blauen Himmel. McFarlane spürte, dass seine Konzentration nachließ. Er war noch keine fünfzig, doch das harte, gefährliche Leben, das er geführt hatte, forderte seinen Tribut. Außerdem machte eine schlimme Beinverletzung aus dem Krieg ihm sehr zu schaffen, vor allem dann, wenn er zu lange im Sessel saß. Ein müder Mann wurde leicht unvorsichtig.

Luke und Matt, einer der beiden Viehhüter, waren einige Meter hinter McFarlane. Um sie her herrschte völlige Stille. Wie ein endloses Meer aus riesigen Wellen breiteten sich die roten Dünen vor ihnen aus. Nichts deutete auf die Anwesenheit des wilden Kamels hin. Doch das Tier beobachtete die Reitergruppe aus einem Hinterhalt. Seine Silhouette wurde von dem knorrigen Stamm und den herabhängenden Ästen einer Akazie verborgen.

Der verschlagene Psycho lauerte auf seine Chance. Dann brach er urplötzlich aus seinem Versteck hervor und stürmte mit beängstigender Geschwindigkeit direkt auf McFarlane zu. Der gewaltige Höcker auf Psychos Rücken schwankte dabei hin und her, und er schnaubte durch die zornig geblähten Nüstern, rasend vor Wut, dass sein Revier bedroht wurde. In der kristallklaren Wüstenluft war der Lärm Furcht einflößend.

McFarlane, zu Tode erschrocken, riss die Zügel seines Pferdes herum. Doch das angreifende Kamel versetzte das Pferd in Panik, sodass es sich schrill wiehernd aufbäumte. McFarlane wurde aus dem Sattel geschleudert und stürzte hart zu Boden.

Entsetzt verfolgte Luke das Geschehen, und sein Schrei blieb ihm in der Kehle stecken. Für den Bruchteil einer Sekunde war er wie gelähmt, dann handelte er schnell und entschlossen, ohne einen Gedanken an die eigene Sicherheit zu verlieren. Jede verlorene Sekunde konnte verheerende Folgen haben. Ihm blieb nur Zeit für einen einzigen Schuss, und der musste sitzen.

Luke legte den Finger an den Abzug, zielte und wartete ab. Seine Miene war konzentriert und entschlossen. Schon konnte er den schäumenden Speichel sehen, der dem Kamel vom Maul flog, schon roch er den animalischen Gestank, den Psycho verströmte …

Die Schussdetonation zerriss die Stille. Das Echo hallte zwischen den gewaltigen Felsbrocken wider, die in der Wüste verstreut lagen. Das Kamel bäumte sich noch einmal auf und fiel dann tödlich getroffen auf die Seite.

Luke sprang vom Pferd und stürzte auf den reglos am Boden liegenden Farmer zu. „Mr. McFarlane!“, rief er. Seine Stimme klang heiser vor Angst um den Farmer und die vielen Menschen, die auf Winding River lebten und deren Existenz von diesem Mann abhing.

McFarlane blieb einen Moment liegen und rang vor Schmerz nach Atem. Haare und Gesicht waren über und über mit rotem Wüstenstaub bedeckt. „Es geht schon, Junge“, brachte er schließlich keuchend hervor. „Das war verdammt knapp.“

Luke schob sich den Hut in den Nacken und nickte. „Um ein Haar hätte das Biest Sie niedergetrampelt.“ Jetzt, da die Gefahr vorüber war, zitterte seine Stimme.

„Nicht, solange du in der Nähe bist. Du bist ein Mann, und ich bin stolz auf dich.“ Mühsam stützte McFarlane sich auf, streckte den Arm aus und ließ sich von Luke aufhelfen. „Ich glaube, du hast mir das Leben gerettet“, sagte er bewegt und legte dem Jungen seine große, starke Hand auf die Schulter. „Du hast der Angst tapfer ins Auge geblickt. Das werde ich dir nie vergessen.“

Der Junge wurde rot. An diesen Augenblick würde er sich sein Leben lang erinnern.

1. KAPITEL

Als sie die Wildpferde endlich in die Koppel getrieben hatten, war Lukes Gesicht völlig mit rotem Wüstenstaub bedeckt. Nach einem langen Arbeitstag unter der sengend heißen Sonne sehnte er sich nach einer Dusche und einem kalten Bier. Heute Abend erwartete der Farmer ihn zum Abendessen und einer anschließenden Schachpartie. Seit Langem waren die beiden Männer durch eine herzliche Freundschaft miteinander verbunden.

Athol McFarlane, inzwischen Anfang sechzig, war einst ein Bär von einem Mann gewesen, doch in letzter Zeit hatte Luke besorgt mit ansehen müssen, wie sein väterlicher Freund körperlich immer mehr verfiel. Der Major war der einzige Mensch, der Luke nach dem Tod seiner Eltern geblieben war. Major McFarlane verdankte seinen Spitznamen seiner Dienstzeit in der Armee, die er als hoch dekorierter Offizier beendet hatte. Doch es war eine Zeit gewesen, über die er niemals sprach und der er seine alte Kriegsverletzung verdankte, mit der es immer schlimmer geworden war. Doch nie beschwerte er sich über die ständigen Schmerzen. Die einzige Klage, die ihm jemals über die Lippen kam, galt seiner Tochter: „Wann kommt Storm endlich nach Hause?“

Der Major vermisste sie schrecklich, und Luke erging es nicht anders. Bis zum heutigen Tag hatte er sich über seine Gefühle für Storm nicht klar werden können. Er wusste nur, dass es besser für ihn war, nicht zu intensiv darüber nachzudenken.

Storm war Schmuckdesignerin. Ihre Schmuckstücke wurden bis nach New York verkauft. Aus allen Teilen der Welt reiste die Schickeria an, um den von Storm McFarlane entworfenen Schmuck zu erwerben. Als junge Frau von siebenundzwanzig Jahren hatte sie sich bereits einen beachtlichen Ruf erworben.

Zu einer Heirat hatte Storm sich bisher jedoch nicht entschließen können. Sie war zweimal verlobt gewesen, aber weder der eine noch der andere Bräutigam hatten es geschafft, Storm vor den Altar zu bringen. Wahrscheinlich könnte nicht einmal Superman ihren Ansprüchen gerecht werden, dachte Luke mit bitterem Humor und betrat den luxuriösen Bungalow, in dem er schon mit seiner Familie gewohnt hatte, ging ins Bad und streifte die staubige Arbeitskleidung ab. Er drehte die Dusche auf und gab sich ganz dem erfrischenden Gefühl hin, das das kalte Wasser auf der erhitzten Haut hervorrief. So weit war es also schon gekommen – für ihn, einen Mann von neunundzwanzig Jahren, war eine kalte Dusche der Gipfel des Genusses.

Meine Güte!

Nicht, dass es keine Abenteuer für ihn gegeben hätte. Einige Male hatte er sogar geglaubt, die Richtige gefunden zu haben, doch nach einigen Monaten hatte sich die anfängliche Begeisterung immer gelegt, und er verlor das Interesse. Umso erstaunlicher war, dass einige seiner Exfreundinnen ihm noch immer nachtrauerten. Carla war mit Abstand die Hartnäckigste. Sie war charmant, attraktiv und gut im Bett. Was also war los mit ihm? Es wurde Zeit, dass er eine Familie gründete – mit der richtigen Frau. Aber wer war sie, und wie sollte sie sein?

Bestimmt nicht wie Storm McFarlane, die es wie keine andere verstand, ihn immer wieder aus der Fassung zu bringen.

Luke trocknete sich ab und strich sich das Haar aus der Stirn. Manchmal erkannte er in seinem Spiegelbild die Züge seines Vaters wieder: die hohen Wangenknochen, den Schnitt der Augen und des Mundes. Die Farbe seines Haars, der Augen und der Haut jedoch hatte Luke von seiner Mutter. Es verging kaum ein Tag, an dem er seine Eltern nicht vermisste. Noch immer stand ihm lebhaft jener schreckliche Tag vor Augen, als er ins Büro des Schuldirektors gerufen worden war. Er hatte sofort gewusst, dass etwas Schlimmes geschehen war, aber nie hätte er damit gerechnet, Major McFarlane im Büro vorzufinden.

Luke erfuhr, dass seine Eltern auf dem Rückweg von Alice Springs bei einem schweren Autounfall ums Leben gekommen waren. Er war damals fünfzehn gewesen und hatte eine der renommiertesten Privatschulen des Landes besucht. Seine Eltern hätten sich ein solches Eliteinternat niemals leisten können, doch der Major hatte darauf bestanden, für die Kosten aufzukommen. Ein Nein hatte er nicht gelten lassen.

Als Ausdruck der Achtung wurden Lukes Eltern auf dem kleinen Familienfriedhof der McFarlanes beigesetzt, ungefähr fünf Kilometer vom Herrenhaus des Majors entfernt. Luke erinnerte sich noch, wie Storm auf dem Sanctuary Hill mit aschfahlem Gesicht neben ihm gestanden und seine Hand gehalten hatte. Dieses eine Mal hatte sie ihm wirklich Trost gespendet, und alle Feindseligkeiten waren vergessen gewesen.

Nachdem Luke das College als einer der Jahrgangsbesten beendet hatte, drängte der Major darauf, dass er – wie Storm – die Universität besuchte, was durchaus Lukes Wünschen entsprach. Er arbeitete hart und schloss das Studium der Wirtschaftswissenschaften mit Auszeichnung ab, sodass ihm beruflich sämtliche Türen offen standen. Doch er wollte Rinderzüchter werden wie sein Vater.

Die Leitung einer so riesigen Farm wie Winding River jedoch war ein hartes und schwieriges Geschäft, bei dem Lukes Hochschulwissen allein nicht ausreichte. Aber er liebte das Leben im Outback. Es lag ihm im Blut. In der Stadt hatte er nie heimisch werden können. Das alles wusste der Major und machte Luke das Angebot, die Stelle seines Vaters zu übernehmen. Aufseher von Winding River und seiner beiden Außenstationen! Ein Spitzenjob mit einem großen und interessanten Verantwortungsbereich!

Luke nahm das Angebot nur zu gern an.

Inzwischen war er die rechte Hand des Majors. Besucher von außerhalb hielten ihn häufig für McFarlanes Sohn. Binnen kurzer Zeit hatte er eine steile Karriere gemacht, doch in diesem Teil der Welt, in der ein harter Konkurrenzkampf herrschte, gab es niemanden, der ihm seine Kompetenz absprach. Der Major übertrug ihm nach und nach immer mehr Aufgaben, bis Luke praktisch das gesamte Unternehmen allein leitete.

In frischem Hemd und sauberen Jeans ging Luke jetzt auf das Herrenhaus zu. Wie immer blieb er einen Moment davor stehen und betrachtete es bewundernd. Essex McFarlane hatte es um das Jahr achtzehnhundertachtzig erbauen lassen, als er aus Neusüdwales gekommen war, um das riesige Pachtland im Südwesten von Queensland zu übernehmen. Das wunderschöne zweistöckige Sandsteingebäude besaß ein Schieferdach, und die breiten Veranden wurden von schlanken weißen Säulen gestützt, die mit ihren ungewöhnlichen Kapitellen eine zauberhafte Kolonnade bildeten. Halbrunde Steinstufen führten zum Haupteingang hinauf.

Luke nahm schwungvoll je zwei Stufen auf einmal und betrat die geräumige, mit Orientteppichen ausgelegte Eingangshalle. Noni Mercer, die kleine, mollige Haushälterin, kam ihm lächelnd entgegen. „Wie geht’s, Luke? Schrecklich heiß heute, nicht wahr?“

Luke erwiderte ihr Lächeln. „Genau das richtige Wetter, um Wildpferde zu fangen.“ Luke mochte Noni sehr. Sie war eine liebenswürdige Frau von Ende fünfzig, hatte graue Löckchen, sanfte dunkle Augen und ein gütiges Herz.

„Ich muss dich warnen, Noni“, erklärte Luke. „Ich verzehre mich nach deinen Kochkünsten!“

„Das tust du doch immer.“ Noni errötete erfreut und betrachtete voller Zuneigung den großen, gut gebauten Luke. Sie kannte ihn von Kindesbeinen an und hatte miterlebt, wie er sich in einen hinreißenden jungen Mann verwandelt hatte. Sein rotbraunes Haar und die leuchtend blauen Augen hatte er von seiner Mutter Rose geerbt, die Noni als bezaubernde Frau in Erinnerung hatte.

Noni hatte eine große Schwäche für Luke Branagan, der seine Sonderstellung beim Major niemals zu seinem persönlichen Vorteil ausnutzte. Er war ein durch und durch anständiger Kerl, und es war Noni unbegreiflich, warum er und Storm nicht die besten Freunde waren. Sie vermutete, dass Luke insgeheim für die temperamentvolle Storm schwärmte, aber das würde er natürlich niemals zugeben.

„Dem Major geht es heute nicht besonders gut, Luke, aber er freut sich schon darauf, dich zu sehen. Du bist ihm ja fast wie ein Sohn.“

„Ich schätze, genau da liegt Storms Problem, Noni.“

Noni konnte nur zustimmend nicken. „Ich wünschte, sie würde nach Hause kommen“, sagte sie seufzend und hob den Kopf, als auf der oberen Galerie die schweren, schleppenden Schritte des Majors erklangen. „Aber ich weiß, dass sie zurzeit sehr viel zu tun hat. Sie hat großen Erfolg, und das freut mich von Herzen. Weißt du noch, wie sie die Gegend nach Opalen und Quarz abgesucht hat?“

„So hat alles angefangen. Jetzt steht sie vor einer großen Karriere.“

„Ja, ist das nicht wundervoll?“, pflichtete Noni ihm lächelnd bei. Sie besaß selbst einige kleine, sehr schöne Stücke aus Storms Kollektion. „Sie ist jedes Mal hellauf begeistert, wenn jemand sich in ihre Arbeiten verliebt.“

„Aber wenn jemand sich in sie verliebt, hält ihre Begeisterung sich in Grenzen“, bemerkte Luke leicht spöttisch. „Immerhin war sie schon zweimal verlobt, und keiner der beiden Männer hat es geschafft, sie zum Altar zu schleifen.“

„Willst du es ihr zum Vorwurf machen? Du bist ja auch nicht verheiratet“, erinnerte Noni ihn verschmitzt. „Ihr seid mir schon ein Paar!“

Inzwischen war Athol McFarlane auf dem oberen Treppenabsatz erschienen und ging langsam die Stufen hinunter, wobei er sich schwer auf seinen Stock stützte. Luke und Noni unterließen es wohlweislich, ihm ihre Hilfe anzubieten. Sie wussten, dass der Major sehr stolz und auf seine Unabhängigkeit bedacht war.

„Luke!“, rief er mit dröhnender Stimme, und seine hageren Züge hellten sich auf. „Wie war dein Tag? Noni ist schon seit Stunden damit beschäftigt, dir deine Leibgerichte zu kochen.“

„Oh ja, sie verwöhnt mich.“ Luke musste lächeln, denn er wusste, dass der Major nicht übertrieb.

„Und du hast dir jeden Bissen verdient. In den letzten Jahren warst du mir eine unschätzbare Hilfe. Komm, gehen wir ins Arbeitszimmer. Kann sein, dass du am Wochenende nach Kingston fliegen musst. Höchste Zeit, dass man denen mal einen kleinen Überraschungsbesuch abstattet. Noni gibt uns Bescheid, wenn das Abendessen fertig ist.“

„Zu Befehl, Major.“ Noni salutierte zum Spaß und verschwand in der Küche.

Die Männer begaben sich ins Arbeitszimmer, einen alten, stilvollen Raum voller Bücher und Trophäen. Über dem Kamin hing ein Porträt von Storm, das der Major zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag in Auftrag gegeben hatte. Luke betrachtete es nachdenklich. Es zeigte Storm in einer weißen Seidenbluse und einer engen beigefarbenen Reithose. Um die schmale Taille trug sie einen auffallenden Gürtel mit einer opalbesetzten Silberschnalle, den sie selbst entworfen hatte, und das lange schwarze Haar fiel ihr offen über die Schultern. Ihr makelloser Teint wirkte frisch und strahlend, und ihre mandelförmigen Augen leuchteten in demselben Smaragdgrün wie das kleine, nachlässig um ihren Hals geknotete Tuch. Die eine Hand ruhte auf ihrer Hüfte, in der anderen hielt sie einen weißen, mit einem breiten Schlangenlederband verzierten Cowboyhut. Wie oft hatte Luke sie schon in dieser Haltung dastehen sehen? Storm wirkte so lebendig, als könnte sie jeden Augenblick aus dem Bilderrahmen steigen.

In Lukes Arme.

Und dann?

Wann immer Luke das Gemälde betrachtete, erlag er dem erotischen Reiz, den es auf ihn ausübte. Das sexuelle Verlangen, das Storm in ihm auslösen konnte, war größer, als ihm lieb war.

Während Athol McFarlane seinen gewohnten Platz einnahm, beobachtete er Luke wachsam. „Darf ich dir eine persönliche Frage stellen?“, wollte er wissen, als ihre Blicke sich begegneten.

„Sicher, Major, wenn es nicht um Storm geht“, konterte Luke schlagfertig.

McFarlane lachte. „Ist es nicht erstaunlich, dass keiner von euch beiden einen passenden Partner finden kann, solange der andere in der Nähe ist?“

Vor Überraschung wusste Luke nicht, was er antworten sollte.

„Ich will sie sehen, Luke“, fuhr McFarlane leise fort. In seiner Stimme lag eine solche Sehnsucht, dass Luke betroffen aufblickte. „Sorg dafür, dass Storm hierher kommt.“

„Was ist los mit Ihnen, Major? Warum vertrauen Sie sich mir nicht an?“

„Da gibt es nichts anzuvertrauen“, wich McFarlane aus. „Ich bin bloß alt und müde, und es ist mindestens vier Monate her, dass ich Storm das letzte Mal gesehen habe.“ Es waren genau vier Monate, eine Woche und drei Tage.

„Ihr Leben ist sehr ausgefüllt“, hielt Luke ihm vor Augen. „Sie ist eine schöne, begabte junge Frau aus bester Familie. Da kann es nicht ausbleiben, dass sie oft eingeladen wird. Außerdem nimmt ihre Arbeit sie sehr in Anspruch.“

Der Major zog die dichten Brauen zusammen. „Sie könnte hier arbeiten. In diesem Haus gibt es genügend leere Räume, die man zu einer Werkstatt umbauen könnte.“

„Haben Sie mit Storm darüber gesprochen?“

McFarlane seufzte bekümmert. „Vielleicht habe ich nicht die richtigen Worte gefunden.“

Luke betrachtete das hagere Gesicht des Majors, und seine Miene wurde sorgenvoll. „Wollen Sie, dass ich nach Sydney fliege und Storm hole?“

McFarlane blickte rasch auf. „Du bist doch sicher viel zu beschäftigt“, erwiderte er, doch seine Züge hatten sich unwillkürlich aufgehellt, und seine Schultern strafften sich.

„Wir haben hier alles unter Kontrolle“, versicherte Luke ihm. „Sandy ist gut eingearbeitet und kann mich für ein oder zwei Tage vertreten.“

„Wann kannst du aufbrechen?“ McFarlanes Stimme gewann zunehmend an Kraft.

„Was schlagen Sie vor?“

„Wie wär’s mit Freitag?“

Das war schon übermorgen! So gut der Major seine Sorgen auch verbergen mochte – irgendetwas stimmte nicht, das spürte Luke deutlich. Er hätte gern mit Tom Skinner darüber gesprochen, dem Arzt des Majors, doch abgesehen davon, dass McFarlane dies als unverzeihlichen Vertrauensbruch betrachtet hätte, war bisher jeder Versuch gescheitert, etwas aus Tom herauszubekommen.

Doch Luke hatte selbst Augen im Kopf. Der Major war ein sehr kranker Mann, und auch Storm wusste das. Weshalb, zum Teufel, kam sie dann nicht? War ihr die Sorge um ihren Vater nicht viel wichtiger als ihr kalter Krieg mit ihm, Luke?

„Was ist nun?“, riss McFarlane ihn aus seinen Gedanken.

„Kein Problem“, versicherte Luke und lächelte ihn aufmunternd an.

„Was ist eigentlich mit Carla?“, erkundigte der Major sich vielsagend.

„Wie meinen Sie das?“, fragte Luke zögernd. Er hatte keine große Lust, über Carla zu reden.

„Das weißt du ganz genau. Spielt sich noch etwas zwischen euch ab?“

Luke beschäftigte sich eingehend mit einem Briefbeschwerer. „Carla und ich sind gute Freunde, mehr nicht.“

„Sie sieht aber sehr viel mehr in dir, mein Junge“, spöttelte der Major. „Das Mädchen ist bis über beide Ohren in dich verliebt, und ihr Vater würde dich mit Kusshand zum Schwiegersohn nehmen. Ich mag Carla übrigens auch. Sie ist ein hübsches, aufgewecktes Mädchen. Doch ich glaube, du könntest etwas Besseres bekommen.“

„Eine Frau wie Storm?“

Der Major war plötzlich sehr ernst geworden. „Ich weiß, dass Storm es dir immer sehr schwer gemacht hat, aber sie weiß, was du wert bist, Luke, auch wenn sie es nie zugeben würde.“

„Das ist doch nur ein Traum von Ihnen, Major. Ein Traum, der sich nie erfüllen wird.“

Doch der Major ließ nicht locker. „Sieh mir in die Augen“, forderte er Luke auf, „und dann sag mir, dass Storm dir nichts bedeutet. Schließlich kenne ich dich.“

„Dann müssten Sie wissen, dass ich meine Zeit nicht damit verschwende, mein Herz an eine Frau zu hängen, die mich nicht will“, entgegnete Luke heftig, wohl wissend, dass er genau das tat.

„Hol sie nach Hause, Luke“, beschwor der Major ihn. „Mehr verlange ich nicht. Und wenn es den Alten Herrn da oben noch gibt, wird er die Dinge schon richten.“

2. KAPITEL

Lukes Maschine landete am späten Nachmittag in Sydney. Vom Flughafen nahm er ein Taxi in die Stadt, wo er ein Hotelzimmer gebucht hatte. Am Abend zuvor hatte Storm den Major angerufen und dabei erwähnt, dass sie an diesem Wochenende in der Stadt blieb. Ihre Freundin Sara Lambert hatte sie gebeten, auf ihrer Hochzeit Brautjungfer zu sein. Der Major kannte die junge Frau von gelegentlichen Besuchen auf der Farm. Auch Luke kannte Sara. Eine Zeit lang hatte sie ihn leidenschaftlich angehimmelt – eine Schwärmerei, die sich zum Glück nach einer Weile wieder gelegt hatte.

Lukes Chancen, Storm zu Hause anzutreffen, standen gut. Er ertappte sich dabei, dass dieser Gedanke ihn in Hochstimmung versetzte. Doch es war besser, er machte sich auf eine von Storms Launen gefasst.

Als er die exklusive Wohnanlage betrat, erkannte ihn der Wachmann, der hinter seinem Schalter saß, auf Anhieb wieder. Er hatte Luke schon einige Male in Begleitung von Storm und dem Major gesehen und schien ihn für Storms Bruder zu halten.

„Fahren Sie nur hinauf, Mr. McFarlane“, rief er munter. „Miss McFarlane ist vor ein paar Stunden gekommen. Seitdem habe ich sie das Haus nicht verlassen sehen. Allerdings musste ich ein paar Mal vom meinem Platz fort und weiß deshalb nicht, ob sie noch da ist.“

Luke hob dankend die Hand und ging zum Aufzug. Als er an Storms Gesicht dachte, wenn sie ihn gleich vor der Tür stehen sehen würde, musste er lächeln.

Wie sich herausstellte, war sie doch nicht zu Hause. Eine attraktive Frau mittleren Alters, die aus dem gegenüberliegenden Apartment trat, teilte Luke mit, dass Storm eine Party besuche.

„Kennen Sie die Drysdales?“, erkundigte sie sich interessiert, offensichtlich einem Schwätzchen nicht abgeneigt.

„Nur vom Hörensagen“, erwiderte Luke lächelnd. Seit Jahren standen die Drysdales ganz oben auf Sydneys Prominentenliste. „Ich bin im Auftrag von Storms Vater hier.“

„Warum fahren Sie nicht einfach hin?“, schlug die Frau vor. „Die Drysdales hätten bestimmt nichts dagegen. Erst recht nicht, wenn es sich um einen Freund von Storm handelt.“ Sie lächelte. „Die Drysdales sind ganz vernarrt in das Mädchen.“

„Wer ist das nicht?“, bemerkte Luke mit leiser Ironie.

Die Frau musterte Luke neugierig. „Sie scheinen Storm gut zu kennen.“

„Wir sind zusammen aufgewachsen“, erklärte er beiläufig. Damit kein falscher Eindruck entstand, fügte er hinzu: „Ich bin Aufseher von Winding River, der Farm der McFarlanes.“

Die Frau blickte ihn beeindruckt an. „Wirklich? Da müssen Sie ein viel beschäftigter Mann sein.“

„Sie sagen es. Spätestens übermorgen muss ich zurückfliegen.“

Die Frau spürte, dass es um etwas Dringendes ging. „Dann gehen Sie doch zu der Party“, legte sie ihm nochmals nahe.

„In diesem Aufzug?“ Luke deutete auf seine lederne Bomberjacke.

„Warum nicht? Sie sehen fantastisch aus.“ Die Frau lächelte und nannte ihm die Adresse.

Das eindrucksvolle, im Stil eines italienischen Palazzo erbaute Haus der Drysdales war strahlend hell erleuchtet. Als Luke auf die massiven schmiedeeisernen Tore zuging, entdeckte er unter den eintreffenden Gästen auch Sara Lambert.

„Na, so was! Luke!“, rief sie erfreut. „Wie schön, dich zu sehen! Es ist eine Ewigkeit her.“

„Hallo, Sara.“ Er neigte sich zu ihr, um ihre erhitzte Wange zu streicheln. „Morgen ist dein großer Tag, habe ich gehört. Ich wünsche dir alles Glück der Welt.“

Sara, eine bezaubernde Blondine mit himmelblauen Augen, sah ihn strahlend an. „Ich hätte dich ja eingeladen, aber ich hatte Angst, dein Anblick würde mich aus dem Lot bringen“, zog sie ihn auf. „Keine Sorge, ich mache nur Spaß. Ich liebe Michael über alles.“

„Davon bin ich überzeugt.“

„Storm hat mir gar nicht erzählt, dass du auch kommst.“

„Genau genommen weiß sie es gar nicht. Ich bin wegen ihres Vaters hier. Dem Major geht es nicht gut.“

„Oh Luke, das tut mir leid. Storm sagte mir, er hätte Probleme mit seinem Bein …“

„Könntest du Storm nicht rasch sagen, dass ich hier bin, Sara? Ich muss sie nur kurz sprechen, dann bin ich wieder weg.“

„Warum so eilig, Luke? Du musst mir erzählen, was du so treibst. Wie geht es deiner Freundin Carla?“ Sie winkte ihm. „Nun komm schon mit.“

„Sei mir nicht böse, Sara, aber es geht nicht“, sagte er entschlossen. „Ich habe keine Einladung. Außerdem bin ich völlig unpassend angezogen.“

„Ach was, du siehst blendend aus! Schicke Jeans und eine elegante Lederjacke kann man immer tragen.“

Von den nachdrängenden Gästen wurden Sara und Luke jetzt förmlich durchs Eingangsportal geschoben. Die Empfangshalle war für Lukes Geschmack entschieden zu protzig, und unversehens fühlte er sich in das Foyer eines Luxushotels versetzt. Sämtliche Gäste trugen elegante Abendkleidung. Wohin man auch blickte, funkelten kostbare Juwelen. In der Mitte der Halle stand ein gut aussehendes Paar mittleren Alters, bei dem es sich um die Drysdales handeln musste.

Luke zog Sara auf die Seite. „Ich wäre dir wirklich dankbar, wenn du Storm für mich auftreiben könntest.“

Sara ignorierte seine Bitte. „Willst du denn nicht zuerst Stephanie und Gill Drysdale kennen lernen?“

„Ich glaube, das wird sowieso gleich der Fall sein.“ Tatsächlich steuerten die Gastgeber geradewegs auf die beiden zu.

„Sara, Liebes“, rief Stephanie Drysdale.

Die beiden Frauen tauschten Luftküsschen.

„Das ist Luke Branagan“, stellte Sara ihn stolz vor. „Die rechte Hand von Storms Vater.“

„Oh ja, natürlich!“ Die Gastgeber nickten erfreut, und man schüttelte einander die Hände.

„Bitte verzeihen Sie, dass ich uneingeladen erscheine“, entschuldigte sich Luke. „Es ist auch nur für ein paar Minuten. Ich bin nach Sydney gekommen, um Storm eine Nachricht von ihrem Vater zu überbringen. Dem Major geht es nicht gut.“

„Ich hoffe, es ist nichts Ernstes?“, erkundigte Stephanie Drysdale sich besorgt.

„Leider gibt sein Gesundheitszustand Grund zur Sorge, Mrs. Drysdale.“

„Ich werde Storm sofort holen.“ Stephanie Drysdale wandte sich ihrem Mann zu. „Gill, warum führst du Mr. Branagan nicht ins Arbeitszimmer? Die beiden wollen sicher ungestört miteinander reden.“

Gilbert Drysdale führte Luke durch einen der eleganten Empfangsräume und von dort über einen Flur zum Arbeitszimmer. Liebenswürdig wie seine Frau, leistete Drysdale ihm noch einen Augenblick Gesellschaft, um sich näher nach Athol McFarlanes Befinden zu erkundigen. Nach einigen Minuten entschuldigte er sich, um sich wieder seinen Pflichten als Gastgeber zu widmen. Luke setzte sich in einen dunkelgrünen Ledersessel und ließ den Blick durchs Zimmer schweifen, während er nervös der bevorstehenden Begegnung entgegensah.

Als er das Klappern hoher Absätze auf dem Flur hörte, atmete er tief durch. Im nächsten Moment betrat Storm den Raum, und ein verführerischer Duft nach Gardenien, Orangenblüten und Freesien breitete sich aus. Sie trug ein enges, mit limonengrünen Pailletten besetztes Oberteil und einen dazu passenden langen Seidenrock, der an einer Seite hoch geschlitzt war. Ihre vollen rabenschwarzen Locken ließen ihr hübsches Gesicht frei und fielen ihr üppig auf die nackten Schultern. Luke bemerkte sofort, wie blass sie war. Ihre grünen Augen funkelten mit ihren Smaragdohrringen um die Wette. Zum Greifen nah stand sie vor ihm und war doch unerreichbar. Bei ihrem Anblick hatte Luke das Gefühl, in seinem Magen würden Schmetterlinge flattern.

„Luke, was ist los?“, fragte sie drängend und zog die Tür hinter sich zu.

„Hallo, Storm.“ Er stand langsam auf. „Es freut mich sehr, dich zu sehen. Dein Vater hat mich geschickt.“

Im ersten Moment war sie so überrascht, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. „Warum? Ist er krank?“ Ihre Worte klangen herausfordernd, doch eine plötzliche Angst ließ ihr Herz schneller schlagen.

„Überrascht dich das?“, erwiderte er kurz angebunden. „Dein Vater ist seit Jahren krank.“

Der Vorwurf, der dabei in seinen leuchtend blauen Augen stand, ärgerte sie. „Ich habe erst gestern mit ihm telefoniert, und da ging es ihm noch ausgezeichnet.“

Luke spürte, wie die vertraute Spannung Besitz von ihm ergriff. „Mach dich nicht lächerlich, Storm. Sein Bein bereitet ihm Höllenqualen, das weißt du genau.“

„Was wirfst du mir eigentlich vor, Luke?“, fuhr sie hitzig auf.

„Dass du ihn vernachlässigst.“

Die Zornesröte, die Storm in die Wangen stieg, machte sie noch schöner. „Ich liebe meinen Vater, Luke, und rufe ihn regelmäßig an.“

„Aber du besuchst ihn nicht.“

Mit einer heftigen, temperamentvollen Bewegung warf sie ihr langes schwarzes Haar zurück. „Ich habe einen Beruf, Luke. Kannst du das nicht verstehen? Ich habe Aufträge, die ich erfüllen muss. Und diese Aufträge bekomme ich von Leuten, die genug Geld haben, um sich fast alles leisten zu können. Leute wie die Gäste, die heute Abend hier sind. Ich kann hier nicht so einfach verschwinden.“

Luke blickte sie mit unbewegter Miene an. „Dein Vater möchte, dass du nach Hause kommst. Du solltest zu ihm fahren, Storm.“

Sie lachte freudlos. „Ach, wirklich? Und du entscheidest selbstverständlich auch, was zu tun ist?“

„Fang nicht wieder damit an“, bat er sie. „Ich finde, das reicht jetzt. Ob du beruflich eingespannt bist oder nicht, ich möchte, dass du mit mir kommst. Morgen geht es nicht wegen der Hochzeit, das sehe ich ein, aber am Sonntag.“

Sie sah ihn an und spürte seine Entschlossenheit. „Das kann doch nicht dein Ernst sein?“

„Ich meine es immer ernst, wenn ich mit dir rede. Dein Vater verlangt nach dir.“

Das war typisch! Ihr Vater hielt es für sein Recht, sie einfach so nach Hause holen zu lassen. Sie war siebenundzwanzig, und er behandelte sie immer noch wie ein kleines Kind. „Wenn es wirklich so schlimm wäre, Luke, hätte er es mir bestimmt gesagt.“

„Bist du dir da sicher?“

„Hast du jetzt hier das Oberkommando übernommen oder was?“ Unversehens fand Storm sich in ihrer altbekannten Verteidigungshaltung wieder.

„Ich handle ausschließlich im Interesse deines Vaters. Du hast ihn jetzt vier Monate lang nicht gesehen, und seitdem ist es gesundheitlich steil bergab mit ihm gegangen.“

„Oh nein!“ Storm ließ sich auf einen Stuhl sinken. Der Schlitz ihres Rockes öffnete sich dabei und enthüllte ein langes, schlankes Bein. „Ich rufe ihn doch mindestens einmal die Woche an. Warum sagt er mir nie etwas? Warum tut er so geheimnisvoll?“

„Du kennst doch deinen Vater.“ Luke seufzte. „Er ist sehr verschlossen und will auf keinen Fall, dass du dir Sorgen machst. Es tut mir leid, wenn es sich mit deinen beruflichen und gesellschaftlichen Verpflichtungen überschneidet, aber du solltest wirklich nach Hause kommen, und wenn es nur für ein paar Tage ist.“

„Ist das ein Befehl?“

„Eine Bitte. Hör auf dein Herz, Storm!“

„Dann ist es so schlimm?“ In ihren Mandelaugen schimmerten plötzlich Tränen.

„Sonst wäre ich nicht hier. Auch wenn du und ich uns niemals gut verstehen werden, Storm – dein Vater bedeutet mir sehr viel“, erklärte Luke, während er gegen das heftige Verlangen kämpfte, sie in die Arme zu schließen.

„Und er liebt dich. Warum sind Söhne eigentlich so viel mehr wert als Töchter?“

„Der Meinung bin ich nicht.“ Luke stellte sich vor, wie wundervoll es wäre, eine kleine Tochter wie Storm zu haben.

„Aber Dad denkt so. Als Kind habe ich mir immer gewünscht, ein Junge zu sein. Ich wollte sein wie du.“ Wahrscheinlich würde nie jemand verstehen, wie sehr sie damals verletzt worden war.

„Es tut mir leid, Storm. Ich habe das nie gewollt.“

„Natürlich nicht.“ Ein wehmütiges Lächeln umspielte ihre Lippen. „Es war ja dein Schicksal. Was willst du eigentlich wirklich, Luke? Du bist ehrgeizig, das wissen wir beide. Geht es um Winding River? Ich verspreche dir, du wirst es nicht bekommen.“ Storms Gefühle für Luke, kompliziert und widersprüchlich, trieben sie dazu, ihn zu kränken.

Luke blitzte sie zornig an. „Sollte deinem Vater je etwas zustoßen, Storm, verlasse ich die Farm. Unter keinen Umständen würde ich für dich arbeiten.“ Er zwang sich, tief durchzuatmen. „Bitte, Storm, können wir das Kriegsbeil nicht für eine Weile begraben? Ich bin nicht gekommen, um mit dir zu streiten, sondern aus Sorge um deinen Vater. Ich habe ihm viel zu verdanken und werde tun, was in meiner Macht steht, um mich dafür erkenntlich zu zeigen.“

„Wie ich immer schon sagte, Luke“, spöttelte sie, „du bist der geborene Held. Der Sohn, den Dad sich stets gewünscht hat.“

„Du weißt, dass ich nie versucht habe, dir etwas wegzunehmen“, hielt Luke ihr heftig entgegen. „Es war ein Zufall, der unser Leben bestimmt hat.“

„Und der jede normale Beziehung zwischen uns unmöglich machte“, fügte sie mit einem ungewollt traurigen Unterton hinzu. „Als kleines Mädchen habe ich immer geglaubt, du und Dad würdet mich absichtlich ausschließen.“

„Jetzt weißt du es besser.“ Lukes Gesichtszüge wirkten plötzlich weicher.

„Wann fliegst du zurück?“

„Sobald du gepackt hast.“

Sie blickte ihm fest in die Augen. „Glaubst du wirklich, dass es so dringend ist? Dad würde uns am liebsten beide an sich binden. Er behauptet zwar, stolz auf meinen Erfolg zu sein, aber ich weiß, dass es ihm lieber wäre, ich würde zu Hause bleiben und den ganzen Tag für ihn da sein. Ich hatte viel Zeit, um darüber nachzudenken. Dad ist in erster Linie ein Mann in einer Männerwelt. Athol McFarlane, der Rinderbaron. Der Major. Er sagt, er habe wegen seiner Trauer um Mom nie wieder geheiratet. Aber wer weiß? Die Aussicht auf einen Sohn hätte ihn eines Tages vielleicht dazu gebracht, seine Meinung zu ändern. Aber dann bist du auf der Bildfläche erschienen. Und als wäre alles Teil eines großen Plans, hast du einige Zeit später deine Eltern verloren.“

Nachdenklich lehnte Storm sich im Sessel zurück. „Vielleicht ist das Ganze ja nur ein Trick, um mich nach Hause zu locken. Jetzt, da Dad zur Untätigkeit verdammt ist, sitzt er herum und schmiedet Pläne. Auch wenn ich ihn liebe – ich weiß, dass er mit uns beiden macht, was er will.“

„Mag sein, dass du recht hast. Ich bin ja auch nicht auf den Kopf gefallen. Trotzdem bin ich überzeugt, dass er ernstlich krank ist, und Noni ist derselben Ansicht. Du meine Güte, Storm, ich fliege doch nicht die weite Strecke hierher, nur um mir eine psychologische Analyse anzuhören, und sei sie noch so fundiert. Du bist verbittert und fühlst dich betrogen. Es mag ja sein, dass dein Vater viel von dir verlangt, aber er tut es in bester Absicht.“

„In bester Absicht für wen?“ Storms schöne, volle Lippen umspielte ein spöttisches Lächeln.

Luke wandte den Blick ab. „Wenn du deinen Vater so sehr liebst, wie du behauptest, wirst du mitkommen. Niemand verlangt von dir, immer in Winding River zu bleiben. Nur ein paar Tage – was ist das schon? Verdammt, Storm, kannst du nicht wenigstens das für ihn tun?“

Insgeheim zuckte Storm bei diesem Vorwurf der Mitleidlosigkeit zusammen. Dabei fühlte sie sich bereits besiegt. Besiegt durch die Liebe zu ihrem Vater und besiegt durch die chaotischen Gefühle, die sie für Luke empfand.

„Also gut.“ Mit einer anmutigen Bewegung stand sie auf und sah ihm direkt in die Augen. „Es wird nicht einfach sein, aber am Sonntag bin ich reisefertig. Passt das?“

„Bestens“, erwiderte Luke. „Du wirst es nicht bereuen.“ Er schaffte es einfach nicht, den Blick von ihr zu wenden. Ihre grünen Mandelaugen glänzten vor ungeweinten Tränen. „Ich sollte jetzt gehen“, meinte er und achtete sicherheitshalber darauf, Storm nicht zu nahe zu kommen.

„Stephanie würde dich liebend gern zum Bleiben überreden. Du kannst der Star des Abends sein, wenn du willst.“

„Jetzt mach dich nicht lächerlich, Storm“, stieß er hervor.

„Das Sympathische an dir ist, Luke – du bist kein bisschen eitel.“

„Sonst noch was?“ Er folgte ihr zur Tür.

„Carla sagt dir doch sicher andauernd, wie wundervoll du bist.“ Plötzlich waren sie einander ganz nahe. Storms Herz begann wild zu klopfen, und eine Hitzewoge überflutete sie. Die herbe, maskuline Ausstrahlung Lukes, der so ganz anders war als die Männer aus der Stadt, überwältigte sie beinahe.

„Was würde wohl geschehen, wenn wir jetzt auf einer einsamen Insel gestrandet wären?“ Schon das Aufblitzen seines hinreißenden Lächelns verzauberte sie. „Ohne den Major, ohne Winding River …“

„Und ohne Vergangenheit“, ergänzte sie. Doch gleich darauf schaltete ihr innerer Schutzmechanismus sich wieder ein, und finster fügte sie hinzu: „Aber vor der Vergangenheit können wir nicht davonlaufen.“

Lukes eben noch so verführerisches Lächeln wich einer undurchdringlichen Miene. Wie dumm von ihm zu glauben, es könnte sich jemals etwas an ihrer Beziehung ändern! „Würdest du Mrs. Drysdale in meinem Namen für die Einladung danken?“

Zu ihrem eigenen Erstaunen war Storm enttäuscht. „Komm schon!“, drängte sie. „Lass mich jetzt nicht hängen und Ausreden für dich erfinden. Außerdem scheint Sara ihr früheres Ferienglück mit dir wieder neu zu erleben. Hast du sie schon geküsst?“

Schuldbewusst senkte Luke den Kopf. „Ich habe heute schon so viele geküsst, dass ich mich nicht mehr erinnern kann.“

„Das kann ich mir vorstellen“, erwiderte Storm lebhaft. „Immerhin hast du den Ruf eines Herzensbrechers.“

Auf dem Flur kam ihnen ein großer, gut gebauter junger Mann in elegantem Smoking und mit weichem blondem Haar entgegen. Sara hatte sich bei ihm eingehakt. „Storm, Darling! Ich habe dich überall gesucht, aber dann hat Sara mir erzählt, dass du im Arbeitszimmer festsitzt.“

„Habe ich nicht“, protestierte Sara energisch.

„Sieh mal einer an, ist das nicht dein Exverlobter Alex?“, raunte Luke Storm zu. „Scheint immer noch die gleiche Nervensäge zu sein wie damals.“

Der Exverlobte hatte Luke ebenfalls erkannt. „Na, so was!“, rief er wenig begeistert. „Ist das nicht …“, er schien angestrengt nachzudenken, „… Luke?“

Luke nickte liebenswürdig. „So nennt man mich schon mein Leben lang. Wie geht’s, Alex?“

„Ausgezeichnet! Als Sara mir sagte, Sie seien hier, hielt ich es zuerst für einen ihrer Scherze.“

„Es ist ein Überraschungsbesuch“, erwiderte Luke lakonisch.

„Wieso denn das?“, fragte Alex ohne Umschweife. Seine selbstsichere Fassade hatte einen kleinen Riss bekommen.

„Familienangelegenheiten, Alex“, verwies Storm ihn kühl in die Schranken. „Ich glaube, Luke muss das nicht näher erklären.“

„Nein, natürlich nicht“, lenkte Alex rasch ein und lächelte liebenswürdig. „Nett, Sie getroffen zu haben, Luke. Ich nehme an, jetzt, da die Nachrichten überbracht sind, werden Sie uns wieder verlassen, oder?“

„Nichts da, er wird schön hier bleiben!“ Sara schwebte an Lukes Seite und hakte sich bei ihm ein. „Stephanie ist ganz hin und weg von ihm.“

„Dieser Typ hier weiß wirklich, wie man’s macht“, verkündete Alex mit gespielter Bewunderung. Zugleich registrierte er mit Unbehagen Lukes blendendes Aussehen. „Ich muss sagen, Sie bringen einen Hauch unverfälschter Natur hierher in die Zivilisation“, fügte er gönnerhaft lächelnd hinzu.

„Jetzt weißt du wenigstens, wie ein Rinderzüchter aussieht“, rief Sara, die übers ganze Gesicht strahlte. „Fantastisch, wenn ihr mich fragt. Alle sind beeindruckt von ihm … Vielleicht mit Ausnahme von dir, Alex“, setzte sie spitz hinzu.

„Ihr habt mich völlig missverstanden.“ Alex gab seinen gelangweilten Tonfall auf und nahm Storms Hand. „Storm, Liebste, darf ich dich entführen? Alle vermissen dich!“

„Wohl kaum.“ Storm lachte kurz auf und entzog ihm sanft die Hand. „Ich bringe Luke zur Tür. Wir haben noch ein paar Dinge zu besprechen.“

„Du gehst doch nicht wirklich, oder?“ Sara stand die Enttäuschung im hübschen Gesicht geschrieben.

„Du hast ja gehört, was die Lady gesagt hat“, witzelte Luke mit einem Seitenblick auf Storm. „Man wirft mich hinaus.“

„Unsinn.“ Storm schüttelte den Kopf.

„Nein, im Ernst, Sara. Ich habe noch viel zu erledigen, aber es war wirklich schön, dich wieder zu sehen.“ Luke beugte sich zu ihr herab und küsste sie auf die Wange. „Alles Gute für morgen. Du wirst eine hinreißende Braut sein.“

„Worauf du dich verlassen kannst“, versprach Sara lächelnd.

Luke hob grüßend die Hand. „Also dann, gute Nacht. Und noch viel Spaß.“

Als sie vor dem Ausgang stehen blieben, erinnerte er Storm: „Bitte vergiss nicht, mich bei den Drysdales zu entschuldigen.“

Die vorbeischlendernden Gäste warfen ihnen neugierige Blicke zu, doch Storm schien sie nicht zu bemerken. Mit einer Handbewegung forderte sie Luke auf, mit ihr vor die Tür zu treten. Die nächtliche Brise spielte mit ihrem Haar und wehte ihm den betörenden Duft ihres Parfüms zu. „Ja, sicher“, versprach sie. „Wann wollen wir am Sonntag aufbrechen?“

Er zuckte die breiten Schultern. „Am liebsten bei Morgengrauen, aber nach der Hochzeitsfeier wirst du sicher nicht so früh aufstehen wollen. Ist dein Ex auch eingeladen?“

„Was meinst du?“ Storm überkam der unerklärliche Wunsch, die Hand auszustrecken und ihn zu berühren. Bestimmt war es die Atmosphäre dieser Nacht, die ihr Streiche spielte.

„Scheint so, als würde da wieder etwas laufen.“ Luke imitierte perfekt Alex’ blasierten Tonfall: „Storm, Liebste! Ich habe überall nach dir gesucht!“

Storm lachte hell auf. „Es geht dich zwar nichts an, aber mit Alex läuft nichts.“

„Übrigens, wir müssen kurz in Mingari zwischenlanden. Ich habe dort Fracht abzuladen.“

„Bist du sicher, dass das nicht nur ein Vorwand ist, um Carla zu sehen?“ Sie musterte ihn mit ihren grünen Augen. „Wie geht es ihr überhaupt?“

„Du wirst es ja selbst sehen“, meinte er und zuckte die Schultern. „Sie fragt jedes Mal nach dir.“

Storm verzog das Gesicht. „Das hat wohl mehr mit dir als mit mir zu tun. Also, um wie viel Uhr am Sonntag?“, fragte sie und blickte dabei zum nächtlichen Sternenhimmel auf.

Schwungvoll sprang Luke die Treppe hinunter. Unten drehte er sich noch einmal nach Storm um. Ihre schlanke Silhouette zeichnete sich gegen das strahlende Licht des großen Kronleuchters in der Eingangshalle ab. Warum ist mein Leben so kompliziert? fragte er sich. Ausgerechnet diese Frau will nichts von mir wissen. „Ich werde um acht Uhr vor deinem Haus sein, und das ist ein Zugeständnis“, rief er ihr zu.

„Du glaubst also, ich hätte es verlernt, im Morgengrauen aufzustehen?“

„Eine rein rhetorische Frage, Miss McFarlane“, erwiderte er und deutete eine Verbeugung an. „Ich bin sicher, du schaffst alles, was du dir in den Kopf gesetzt hast. Was dabei herauskommt, ist eine ganz andere Frage. Mit anderen Worten: Du hast mit Sicherheit genauso viel falsch gemacht wie ich. Genieß morgen den großen Tag. Gute Nacht.“

Storm blickte ihm nach, wie er die Auffahrt hinunterschlenderte. Wenn es um Luke ging, war sie äußerst verletzlich. Das hatte sie schon immer gewusst.

3. KAPITEL

Als Luke den Mietwagen vor Storms Haus parkte, erwartete sie ihn bereits.

„Alles klar?“ Er glitt aus dem Wagen und kam forschen Schritts auf sie zu. Storm betrachtete unauffällig seinen schlanken, gut gebauten Körper. Er kann anziehen, was er will, dachte sie, er sieht immer zum Verlieben aus.

Sie trug eine purpurrote Seidenbluse, eine enge schwarze Hose und schwarze Stiefel. Ihre Armani-Lederjacke hatte sie sich locker über die Schultern gelegt.

Beide verhielten sich ein wenig distanziert, was Storm nur recht war, denn sie hatte von der Hochzeitsfeier noch heftige Kopfschmerzen. Gegen Ende hatte das Fest sich zunehmend zu einer Art Zirkusveranstaltung entwickelt, wovon sie Luke kurz berichtete, während er ihre beiden Gepäckstücke im Kofferraum verstaute. Dann schlüpfte sie auf den Beifahrersitz und versuchte, sich von sämtlichen körperlichen Empfindungen zu lösen. Trotzdem empfand sie Lukes Ausstrahlung so intensiv, dass sie Mühe hatte, ruhig zu atmen. Sie musste daran denken, wie lange sie hatte kämpfen müssen, aus dem Schatten der beiden einflussreichsten Männer in ihrem Leben herauszutreten. Seitdem sie mit ihren Schmuckstücken als eine der Preisträgerinnen aus dem „De Beers Diamonds International Award“ hervorgegangen war, war ihr Name in aller Munde. Bei einer Konkurrenz von mehr als zweitausendfünfhundert Teilnehmern aus aller Welt war das eine beeindruckende Leistung. Merkwürdigerweise hatte ihr Vater nie den Wunsch geäußert, ihr preisgekröntes Stück, einen eleganten Haarschmuck, zu sehen. Später hatte Storm erfahren, dass Luke sehr gern gekommen wäre, um ihre Arbeit zu bewundern. Er hatte es nie getan. Schade!

„Was ist los mit dir?“, erkundigte Luke sich schließlich, als sie sich der Autobahn näherten. Um diese Zeit war alles noch friedlich und ruhig.

„Ich war in Gedanken.“ Storm warf ihm einen kurzen Seitenblick zu und hoffte, er würde nicht genauer nachfragen.

„Sollen wir lieber nicht reden?“

„Du bist doch schon fleißig dabei, Luke.“

„Überhaupt nicht.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich möchte bloß, dass du deinem Vater Auge in Auge gegenüberstehst und mir deine Meinung über ihn sagst. Und dass du ihm den Trost gibst, den nur du ihm geben kannst.“

„Du hättest Politiker werden sollen“, bemerkte Storm spöttisch.

„Ich wollte nie etwas anderes sein als Rinderzüchter, so wie mein Vater. Wenn ich mal nicht mehr auf Winding River gebraucht werde, gründe ich meine eigene Ranch.“

„Wirklich?“, fragte sie spöttisch. Sie wusste nur zu genau, wie unentbehrlich Luke auf Winding River war. Mit seiner Intelligenz und seiner erstklassigen Ausbildung war er ein glänzender Geschäftsmann – bei der harten Konkurrenz heutzutage ein absolutes Muss. Er wusste alles über Rinderzucht und besaß darüber hinaus eine glückliche Hand im Umgang mit Menschen. Luke war eben Luke. Er war einzigartig.

„Das ist schon lange mein Traum“, fuhr er fort. „Der Major und ich sind zwar fast immer einer Meinung, aber ab und zu würde ich doch lieber meine eigenen Entscheidungen treffen.“

„Gütiger Himmel, eine Kritik an Dad!“ Storm lachte auf und warf ihr seidiges Haar über die Schulter.

„Versuch doch, mich zu verstehen, Storm. Sicher, ich sage nicht immer, was ich denke, aber du darfst nicht vergessen, wie gut der Major zu mir gewesen ist. Das könnte ich nie vergessen.“

Storm seufzte. „Dad hat immer schon genau gewusst, was er wollte, Luke. Er hat die Möglichkeiten, die in dir steckten, genau erkannt, und dich von vornherein für einen Spitzenjob vorgesehen. Er ist ein weit vorausschauender Mann, und das muss er auch sein, aber er mischt sich eben auch ins Leben anderer Menschen ein. Damit will ich ihn weder zum Bösewicht abstempeln noch die Geister meiner Vergangenheit austreiben, aber man muss wirklich kein Genie sein, um Dad zu durchschauen.“

Luke runzelte die Stirn „Manchmal hörst du dich an, als würdest du deinen eigenen Vater hassen.“

„Red keinen Unsinn.“ Storm gab sich gelangweilt, doch mit ihrer inneren Ausgeglichenheit war es vorbei. Blieb sie nicht deshalb von zu Hause weg? Ihre Intuition sagte ihr unmissverständlich, dass der Major etwas plante, was sie und Luke betraf. Was immer es sein mochte – er würde Gehorsam von ihnen erwarten.

Nach dem mehrstündigen Flug setzte ihre Maschine auf der Landebahn von Mingari auf. Trotz des starken Gegenwinds legte Luke eine perfekte Landung hin. Er war ein erstklassiger Pilot. Bei ihm gab es keine halben Sachen, egal, was er tat. Für ihn galt die Devise: ganz oder gar nicht. Sein kurzer Auftritt auf der Party der Drysdales war keiner der anwesenden Damen entgangen. Storm konnte es kaum fassen, dass es noch keine Glückliche gab, die ihn sich geschnappt hatte.

Der Hangar von Mingari erschien.

Meine Heimat, dachte Storm, als sie aus dem Fenster blickte. Dieses weite rote Land, das sich unter dem strahlend blauen Himmel ausbreitete. Was für ein befreiendes Gefühl davon ausging! Der Geruch des Busches, die Bäume im klaren Sonnenlicht, der Anblick der Pferde und der Viehhüter, der Hunde und der gewaltigen Rinderherden in der weiten Landschaft. Hier schlug Storms Herz, und von hier hatte man sie vertrieben. Die Art und Weise, wie ihr Vater sie von ihrem Erbe abgeschnitten hatte, bedrückte sie nach wie vor. Er hatte sie von allem ausgeschlossen, was die weit verzweigten Geschäfte der McFarlanes betraf. Frauen sollten ihre hübschen, kleinen Köpfe nicht mit solchen Dingen belasten. Ihre Aufgabe war, sich um ihren Mann zu kümmern, Kinder zur Welt zu bringen und großzuziehen und den Haushalt zu führen. Im Haus war die Frau uneingeschränkte Herrscherin und konnte schalten und walten, wie sie wollte – solange sie nicht auf die Idee kam, etwas über Geschäfte lernen zu wollen.

Storm hatte es jahrelang versucht und zu ihrem Erschrecken feststellen müssen, dass ihr Vater für die heutige Zeit unglaublich veraltete Ansichten vertrat. Warum sollten männliche Nachkommen mehr wert sein als weibliche? Storm musste allerdings zugeben, dass Luke sie in dieser Hinsicht nicht nur als gleichberechtigt behandelt, sondern sie eher noch auf ein Podest gehoben hatte. Aber das hatte sie nur noch mehr gegen ihn aufgebracht. Einige ihrer Gefühle für Luke lagen so tief in ihr verborgen, dass sie ihr selbst nicht mehr zugänglich waren.

Carla wartete in der Nähe des Hangars auf sie. Lächelnd schwenkte sie die Arme und hüpfte vor Aufregung wie ein kleines Mädchen hin und her. Anders als Storm hatte Carla großen Anteil an der Leitung des Familienbetriebs, obwohl sie noch zwei ältere Brüder besaß, die gemeinsam mit ihrem Vater die Geschäfte führten. Mingari war der nächste Nachbar von Winding River an der nordwestlichen Grenze der Farm. Hier war bereits das Channel Country, das sagenumwobene Gebiet der riesigen Rinderimperien, bewässert von einem Labyrinth unzähliger Wasserläufe, die in die Flüsse Diamantina, Georgina, Barcoo und Coopers Creek mündeten, die den größten Salzsee der Erde mit Wasser versorgten, den Lake Eyre oder Mowana Mowana, wie die Aborigines ihn nannten. Er erreichte kaum einmal seinen höchsten Wasserstand, vielleicht ein oder zwei Mal in jedem Jahrhundert. Aber wenn es geschah, bot sich ein spektakuläres Naturschauspiel, das die Wildblumenblüte nach den Regenfällen an paradiesischer Schönheit noch übertraf.

„Storm! Wie schön, dich zu sehen!“ Carla eilte ihnen zur Begrüßung entgegen. Sie war eine große, sportliche Frau. Mit ihren kurzen dunklen Locken, den hübschen goldbraunen Augen, dem reinen Teint und der guten Figur wirkte sie ausgesprochen attraktiv. „Wie dünn du geworden bist!“

„Findest du?“ Sie küssten sich flüchtig auf die Wangen. Storm wusste schon lange, dass Carla nicht zu ihrem Fanclub gehörte. Der Grund dafür war natürlich Luke, was nicht einer gewissen Ironie entbehrte.

Auch Luke bekam einen Kuss, jedoch mitten auf den Mund, wobei Carla ihre geöffneten Lippen fest auf seine drückte. Der Stich der Eifersucht, den Storm dabei verspürte, machte ihr aufs Neue klar, wie widersprüchlich ihre Beziehung zu Luke war.

Als Carla sich schließlich von ihm löste, funkelten ihre Augen, und sie hakte sich bei ihm ein. „Sicher sterbt ihr vor Hunger. Lasst uns ins Haus gehen und etwas essen.“

„Nett von dir, Carla“, beeilte Storm sich zu versichern, „aber Dad wartet bestimmt schon auf uns.“

„Na, ein Stündchen wird er uns wohl nicht verübeln, oder?“ Carla schien bester Laune zu sein und machte keine Anstalten, Lukes Arm loszulassen. „Außerdem haben Mom und ich schon alles vorbereitet. Nichts Besonderes, nur Aufschnitt und Salat. Dad und die Jungs kommen auch. Sie werden ganz aus dem Häuschen sein, dich zu sehen, Storm. Jason hat dir bis heute nicht verziehen, dass du dich mit einem anderen verlobt hast.“

Als hätte sie je Interesse an Jason Prentice gezeigt!

„In Ordnung, Storm?“ Luke hielt ihren Blick für einen Moment fest und überließ es ihr, die Entscheidung zu treffen.

Was konnte sie schon sagen, ohne die Regeln der Höflichkeit zu verletzen? „Also gut, Carla, wenn du dir schon so viel Mühe gemacht hast. Natürlich freue ich mich, deine Familie wieder zu sehen, aber ich will mich nicht zu sehr verspäten. In letzter Zeit hatte ich so viel zu tun, dass meine Besuche zu Hause Seltenheitswert bekommen haben.“

„Du bleibst also? Dann ist das ja geregelt!“ Carla blickte Luke strahlend an. „Du hast mich viel zu lange allein gelassen“, schmollte sie dann in eindeutig provozierender Absicht. „In zwei Wochen geben Amy und Wes Richards eine Party. Kommst du auch?“

„Eingeladen haben sie mich jedenfalls“, erwiderte Luke lächelnd. „Ich werde es versuchen, aber letztlich hängt es davon ab, was zu Hause los ist.“

Zu Hause! Wie selbstverständlich sich das anhört, ging es Storm durch den Kopf.

Der Familiensitz von Mingari konnte sich zwar nicht mit den gewaltigen Dimensionen von Winding River messen, doch er besaß durchaus seinen Charme. Das große, im Kolonialstil erbaute Haus war weiß gestrichen und hatte dunkelgrüne Fensterläden und ein grünes Wellblechdach. Im Lauf der Jahrzehnte war es immer wieder ausgebaut und erweitert worden, sodass es sich jetzt über eine beachtliche Fläche ausdehnte. Auf einer Koppel in der Nähe grasten Pferde. Als sie mit dem Wagen in die Einfahrt einbogen, hüpfte ein Känguru mit seinem Jungen vorbei und verschwand geräuschlos in dem leicht bewaldeten Gelände, das mit blühenden Bauhinias übersät war.

Karen Prentice erwartete sie bereits auf der breiten Veranda. Sie war noch immer so schlank und attraktiv, dass sie ohne weiteres als Carlas Schwester hätte durchgehen können. Mutter und Tochter verfolgten ein gemeinsames Ziel, und das hieß Luke. Carla hoffte, ihn als Ehemann zu gewinnen, und Karen tat, was sie konnte, um ihre Tochter dabei zu unterstützen. Und keine der beiden gab so leicht auf. Sie waren wild entschlossen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die ihnen zur Verfügung standen. Wenn ihnen nur nicht immer wieder Storm in die Quere käme!

Storm spürte die unterschwellige Rivalität der beiden Frauen deutlich, doch Höflichkeit war oberstes Gebot für sie, auch wenn ihr Lächeln ein bisschen dünn ausfiel.

Clive Prentice erschien pünktlich in Begleitung seiner beiden gut aussehenden Söhne Jason und Daniel. Die Männer begrüßten die beiden Gäste mit zünftigem Handschlag und klopften Luke freundschaftlich auf die Schulter. Danach hatte Jason nur noch Augen für Storm.

Schließlich gingen alle auf die hübsch bepflanzte Terrasse an der Rückseite des Hauses, wo das Mittagessen angerichtet war. Entgegen Carlas Ankündigung war es überaus üppig: Auf großen Platten häuften sich dick geschnittener Schinken, Truthahn und kaltes Roastbeef. Dazu gab es mehrere köstliche Salate, knuspriges, noch ofenwarmes Brot und Rosmarinkartoffeln. Weißwein wurde angeboten, doch die Männer mussten noch arbeiten und beschränkten sich auf ein kühles Bier. Storm lehnte ebenfalls dankend ab. Ihre Kopfschmerzen machten ihr noch zu schaffen.

„Aber du hast ja kaum einen Bissen angerührt!“ Carla ließ es sich nicht entgehen, die allgemeine Aufmerksamkeit auf Storms halb vollen Teller zu lenken, als handle es sich bei ihr um einen eindeutigen Fall von Magersucht.

„Vielen Dank, Carla. Alles, was ich probiert habe, war ganz köstlich“, versicherte Storm ihr. „Aber ich habe schlimme Kopfschmerzen. Bitte nimm es mir nicht übel.“

„Du hast heute Morgen sicher schrecklich früh aufstehen müssen, oder?“ Carla machte ein mitfühlendes Gesicht.

„Wann wäre das je anders gewesen?“, erwiderte Storm lachend. „Gestern war ich bis ein Uhr morgens auf einer Hochzeit als Brautjungfer. Deshalb konnte ich nicht früher verschwinden.“

„Ich wette, du warst der Star des Abends“, mischte sich Jason ein. Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, hatte er gerade ein sehr verlockendes Bild Storms vor Augen.

„Das war eher die Braut“, bemerkte Storm spöttisch. Sara hatte tatsächlich strahlend schön ausgesehen.

Allem Anschein nach hätte die Familie ihre Gäste gern noch länger dabehalten, doch schließlich kam Luke Storm zu Hilfe. Als der Kaffee gebracht wurde, winkte er ab. „Vielen Dank für die Gastfreundschaft und den netten Empfang, Leute“, sagte er und lächelte unwiderstehlich in die Runde. „Aber wir dürfen den Major nicht länger warten lassen.“

„Ich bringe euch zum Flugzeug“, erbot Carla sich eifrig. Im nächsten Moment war sie schon aufgesprungen und nahm Lukes Hand.

Karen Prentice erschien mit einigen Schmerztabletten und einem Glas Wasser in der Hand. „Hier, Storm, schluck das. Warum hast du mir nicht gleich gesagt, dass du Kopfschmerzen hast?“

„So schlimm ist es auch wieder nicht“, wehrte Storm ab, nahm die Tabletten aber ein. „Danke, Karen.“

„Wie lange wirst du diesmal bleiben, meine Liebe?“, erkundigte sich Karen, augenscheinlich in der Hoffnung, es möge sich nur um einen kurzen Aufenthalt handeln.

„Das hängt von Dads Gesundheitszustand ab. Er selbst spricht ja nicht darüber, aber Luke meinte, ich müsse unbedingt nach Hause kommen.“

Karen zog die schön geschwungenen Brauen hoch. „Deswegen ist er bis nach Sydney geflogen?“

„Es war Dads Idee, Karen.“

„Natürlich“, lenkte Karen rasch ein. „Ich kann mir gut vorstellen, wie sehr der Major dich vermisst, aber dein Beruf zwingt dich ja praktisch, in Sydney zu leben.“

„Nein, im Grunde könnte ich überall arbeiten“, widersprach Storm aus einer unwillkürlichen Trotzreaktion heraus. „Ich könnte meine Kollektionen von Galerien oder ausgewählten Juwelieren verkaufen lassen. Zurzeit mache ich ohnehin fast nur Auftragsarbeiten.“

„Du überlegst also, für immer nach Hause zu kommen?“ Karen rang sich ein Lächeln ab.

„Wie ich schon sagte, Karen, das hängt alles von Dad ab“, erinnerte Storm sie freundlich.

Wieso ist es für Carla und ihre Mutter so schwer zu begreifen, dass ich und Luke keinerlei Interesse füreinander haben? fragte sich Storm. Wir passen doch überhaupt nicht zusammen.

Bei ihrer Ankunft auf Winding River stellte Storm überrascht und gerührt fest, wie viele Leute zu ihrer Begrüßung gekommen waren: Viehhüter, von denen sie einige schon ihr Leben lang kannte, die neuen jungen Hilfskräfte, „Jackeroos“ genannt, einige Ehefrauen von Farmangestellten mit ihren Kindern und viele Freunde aus der Aborigine-Gemeinde. Storm gab allen die Hand, und die Kinder bekamen ein Küsschen. Ein lange vermisstes Gefühl der Freude und Geborgenheit überkam Storm. Hier gab es Menschen, die sich wirklich etwas aus ihr machten und sich aufrichtig über ihre Heimkehr freuten. Dieses Wissen gab ihr Auftrieb und verjagte ihren Anflug von Depression und ihre Kopfschmerzen.

Als sie mit Luke zum Herrenhaus ging, eilte Noni ihnen mit ausgestreckten Armen entgegen. „Storm, mein Mädchen, da bist du ja endlich!“

„Noni!“ Storm umarmte herzlich die Frau, an deren Schulter sie sich so oft ausgeweint hatte.

„Dein Vater erwartet dich im Wintergarten“, verkündete Noni überglücklich. „Er ist schon ganz aufgeregt. Hallo, Luke, wie geht’s?“ Über Storms Kopf hinweg lächelte sie dem jungen Mann zu, der lässig an eine Säule gelehnt die Szene verfolgt hatte. Wie er so dastand, war er die Verkörperung von Eleganz und geballter Kraft – eine verführerische Kombination.

„Hallo, Noni.“ Luke erwiderte gelassen ihr Lächeln. „Wir haben noch einen kurzen Zwischenstopp auf Mingari eingelegt. Ich musste dort Fracht abladen, und Karen hat uns zum Mittagessen eingeladen.“

„Es war gut gemeint, aber wir hatten ziemliche Mühe, uns wieder loszueisen“, fügte Storm hinzu. „Hoffentlich ist Dad nicht ungeduldig geworden.“

„Nur ein kleines bisschen“, gestand Noni und betrachtete Storm liebevoll. „Wollt ihr eine Tasse Tee?“

„Dazu sage ich niemals Nein“, erwiderte Storm. „Schwarz und mit einer Scheibe Zitrone, wie immer.“

„Ich muss jetzt los“, sagte Luke und wandte sich zum Gehen. „Es gibt viel zu tun.“

„Ich glaube, der Major erwartet dich ebenfalls“, teilte Noni ihm ein wenig widerstrebend mit. Ihrer Meinung nach hätte der Major seine Tochter ruhig einmal allein empfangen können.

„Ein anderes Mal, Noni“, erwiderte Luke ein wenig erstaunt. „Bestimmt möchte er jetzt mit Storm allein sein.“

„Wie kommst du darauf?“ Storm musterte ihn spöttisch. „Warum sollte es diesmal anders ablaufen als sonst? Nein, Luke, du kommst mit.“

„Du kannst dem Major sagen, dass eine Menge Arbeit liegen geblieben ist, um die ich mich kümmern muss.“

„Oh, sicher, selbstverständlich“, sagte Storm honigsüß. Sie wusste, dass sie jetzt besser den Mund gehalten hätte, fügte jedoch hinzu, wie von einem inneren Zwang getrieben: „Am Ende läuft es noch darauf hinaus, dass der Major dir etwas schuldet.“

Lukes Miene erstarrte. „Bis später“, sagte er nur und ging davon.

„Das war nicht nötig, Liebes.“ Noni seufzte bekümmert. „Luke ist ein anständiger Kerl.“

Storms schönen Mund umspielte ein wehmütiges Lächeln. „Er ist genauso, wie ein Mann sein sollte, Noni. Das meine ich ernst.“ Sie sagte es ohne jede Ironie. „Lass mir ein paar Minuten Zeit, um mich frisch zu machen, dann komme ich herunter. Wie geht es Dad heute?“ Sie nahm Nonis Arm, als sie die Eingangshalle betraten. „Luke hat mir erzählt, dass ihr euch Sorgen um ihn macht.“

Noni seufzte. „Ich fürchte, er hat ständig schlimme Schmerzen, aber er beklagt sich nie. Du wirst die beste Medizin für ihn sein, die es gibt.“

Storm umarmte die Haushälterin, und es glitzerte verräterisch in ihren Augen. „Du überschätzt mich, Noni“, sagte sie. „Weißt du denn nicht, dass Dad zwei Kinder hat?“

Athol McFarlane erhob sich aus dem Sessel, als seine Tochter ins Zimmer kam. „Storm, mein Schatz!“ In seinem Blick lag eine solch kindliche Freude, dass es ihr ins Herz schnitt.

„Dad!“ Storm lief ihm entgegen, und in ihren grünen Augen schimmerten Tränen. Trauer und Schuldgefühle überkamen sie, als sie sah, dass seine Krankheit ihn in den letzten vier Monaten um mindestens zehn Jahre hatte altern lassen. Seine einst so fest und entschlossen blickenden grauen Augen waren eingesunken, tiefe Falten durchfurchten sein sonnengebräuntes Gesicht, und sein früher so kräftiger Körper war erschreckend abgemagert.

„Es tut gut, dich wieder hier zu haben.“ Er schloss sie so fest in die Arme, als wollte er sie nie wieder loslassen. Storm spürte, wie ihr Herz sich öffnete, dann aber fragte der Major: „Wo ist Luke?“

Sie löste sich aus seiner Umarmung und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. „Er ist wieder an die Arbeit gegangen. Er macht sich Sorgen, weil hier so viel liegen geblieben ist.“

„Ich wollte ihn aber hier bei uns haben“, erklärte McFarlane stirnrunzelnd.

„Bin ich allein dir nicht genug, Dad?“, fragte Storm leise, jedoch ohne Ironie und rang sich ein Lächeln ab.

„Du bist mir das Liebste auf der Welt, Storm“, sagte McFarlane, ohne zu begreifen, dass er es war, der eine Mauer zwischen ihnen errichtet hatte. „Ich dachte nur, Luke sollte ebenfalls dabei sein. Komm, Liebling, setz dich zu mir, und erzähl, was du in letzter Zeit gemacht hast.“ Als er sich wieder in seinem hochlehnigen Ledersessel niederließ, der mit einer Fußstütze versehen war, biss er vor Schmerz die Zähne zusammen.

„Erzähl mir lieber von dir.“ Storm zog ihren Sessel dicht an seinen heran. „Du siehst schlecht aus, Dad.“ Das war eine grobe Untertreibung, doch sie kannte ihren Vater und wagte es nicht, deutlicher zu werden. „Was sagt der Arzt?“

„Immer dasselbe. Meine Kräfte lassen allmählich nach, und das Bein macht mir hin und wieder zu schaffen.“

„Vielleicht sollte ich selbst einmal mit Tom reden?“ Wohlweislich verschwieg sie ihm, dass sie es schon oft versucht hatte.

Der Major presste die Lippen zusammen. „Das wäre das Dümmste, was du tun könntest. Ich werde dich schon auf dem Laufenden halten.“

„Aber du wolltest unbedingt, dass ich nach Hause komme, Dad“, hakte Storm vorsichtig nach. „Was hat das zu bedeuten?“

Eine steile Falte erschien zwischen seinen buschigen dunklen Brauen. „Ist es denn so ungewöhnlich, dass ein Vater seine einzige Tochter sehen will? Wie oft habe ich dir schon angeboten, dir hier eine Werkstatt einzurichten? Du könntest sie ganz nach deinen Wünschen gestalten. Ich verlange ja nicht, dass du ständig mit mir zusammen bist. Meinetwegen kannst du für eine Woche verreisen, wohin du willst. Besuch deine Freunde, mach Urlaub, amüsier dich. Aber ich brauche dich hier, Storm. So einfach ist das.“

Das Zittern in seiner sonst so gebieterischen Stimme ließ Storm aufhorchen. „Hier stimmt doch etwas nicht, Dad. Warum willst du es mir nicht sagen?“

„Was würde das schon ändern?“, erwiderte er gereizt und fuhr sich mit der Hand über die Nase, als wollte er ein lästiges Insekt verscheuchen.

„Eine ganze Menge. Ich liebe dich doch, Dad.“

McFarlane warf ihr einen langen, versonnenen Blick zu. „Wenn du mich wirklich liebtest, Storm, würdest du nie mehr fortgehen.“

Storm schüttelte langsam den Kopf. „Sag so was nicht, Dad“, bat sie leise. „Ich habe einen Beruf, in dem ich sehr erfolgreich bin. Ich führe mein eigenes Leben.“

„Dein Platz ist hier!“, stieß er aufgebracht hervor.

„Das sehe ich anders.“ Storm hatte sich noch nie leicht einschüchtern lassen, und so war es auch jetzt. Dennoch nahm der Anblick ihres Vaters sie furchtbar mit. „Bitte, lass uns nicht streiten“, lenkte sie ein. „Ich bin doch gerade erst nach Hause gekommen.“

Doch sein Zorn war noch immer nicht verraucht. „Wie lange möchtest du diesmal bleiben?“

„So lange ich kann.“

McFarlane wurde unruhig und sank plötzlich zusammen. „Was sagtest du, wo Luke ist?“

Auf einmal waren Storms Kopfschmerzen wieder da. „Was hat denn Luke damit zu tun, Dad? Ich bin dein Kind.“

„Das kommt mir irgendwie bekannt vor.“ McFarlane hob den Kopf und musterte seine Tochter teils erheitert, teils zornig. „Verflixt noch mal, Storm, ich habe deine Eifersucht auf Luke nie begriffen.“

Storm rieb sich nervös die Schläfen. „Ich kann es nicht erklären, Dad. Es … ist einfach so.“

„Aber das ist doch nicht normal!“, fuhr McFarlane auf. „Luke ist ein großartiger Kerl!“ Verständnislos blickte er seine Tochter an. „Von all den jungen Männern, die du im Lauf der Jahre hierher gebracht hast, einschließlich deiner Verlobten, konnte ihm keiner das Wasser reichen“, erklärte er verächtlich.

Storm wusste, dass es zwecklos war, sich jetzt aufzuregen. Also sagte sie nur: „Damals war ich verliebt, Dad. Zumindest habe ich es geglaubt.“

McFarlane stieß ein abfälliges Schnauben aus. „Es wird höchste Zeit, dass du heiratest. Aber dann bitte den Richtigen.“

„Und der wäre?“ Sie blickte ihm herausfordernd in die Augen. Kein Wunder, dass die Leute reden, dachte sie. Kein Wunder, dass Carla ihr nicht über den Weg traute.

Um Zeit zu gewinnen, fuhr McFarlane sich bedächtig durch den dichten Haarschopf. „Ein Mann, dem du bedingungslos dein Herz schenken kannst“, erklärte er schließlich. „Den du achtest und bewunderst. Ein richtiger Mann, Storm. Einer, der dich im Griff hat“, fügte er augenzwinkernd hinzu.

„Du glaubst also, Frauen müsse man im Griff haben?“

„Langfristig schon. Für dich gilt das ganz besonders. Du bist immer schon beim leisesten Anzeichen väterlicher oder sonstiger Autorität auf die Barrikaden gegangen.“

Plötzlich hatte Storm ein schlechtes Gewissen. „So ist es sicher mal gewesen, Dad. Aber ich bin nicht gekommen, um mich gegen dich zu stellen, sondern um dir zur Seite zu stehen.“ Sie beugte sich vor und nahm seine Hand. „Es ist, wie ich sagte. Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch, meine Kleine.“ Tränen traten McFarlane in die Augen, und er verstummte.

Tränen bei ihrem Vater! Storm sprang erschrocken auf, nahm ihn in die Arme, schmiegte zärtlich die Wange an seine. „Dad … Dad“, flüsterte sie immer wieder.

Der Major tätschelte ihr die Hand. Seine Stimme klang sanft, doch es lag ein verräterisch triumphierender Unterton darin: „Sorg bitte dafür, dass Luke zum Essen herüberkommt. Es wird großartig – wir drei zusammen!“

Storm sah ihn traurig an, doch sie versuchte, betont munter zu klingen, als sie antwortete: „Natürlich, Dad. Ich werde es ihm heute Nachmittag sagen, wenn ich ausreite.“

Einen Augenblick später erschien Noni mit Tee und Gebäck. Erfreut nahm sie die Einladung der beiden an, sich zu ihnen zu setzen, und sofort entspannte sich die Atmosphäre. Storm lehnte sich zurück und unterhielt die beiden mit Anekdoten von der gestrigen Hochzeitsfeier und dem neuesten Klatsch. Dabei wünschte sie sich, es wäre immer so einfach, ihren Vater zum Lachen zu bringen.

Am späten Nachmittag ritt Storm auf Rising Star aus, einem ihrer Lieblingspferde. Ein ausgedehnter Ritt würde ihre trüben Gedanken sicher vertreiben. Storm liebte Pferde und das Reiten. Schon als kleines Mädchen hatte sie sich im Sattel sicher und voller Selbstvertrauen gefühlt.

Sobald sie auf freiem Gelände war, ritt sie mit verhängten Zügeln. Ungefähr eine halbe Stunde später, als die sinkende Sonne den Himmel in ein wunderschönes Farbenspiel aus Rosa, Purpurrot und Gold tauchte, entdeckte sie Luke, der von einem der Lager her auf sie zugeritten kam. Er war ein hervorragender Reiter, und für einige Minuten gab sie sich ganz der Freude hin, ihm beim Galoppieren zuzusehen.

Manchmal verstand Storm selbst nicht, warum sie die Probleme, die sie mit ihrem Vater hatte, jedes Mal an Luke ausließ. Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, hätte ihre Mutter noch gelebt. Es war nicht leicht für ein kleines Mädchen, in einer Männerwelt aufwachsen zu müssen.

Inzwischen hatte Luke sie erreicht und brachte sein Pferd zum Stehen. Seine leuchtend blauen Augen bildeten einen wundervollen Kontrast zu seiner sonnengebräunten Haut, und wieder einmal wunderte sich Storm, dass er keine einzige Sommersprosse hatte.

„Geht’s dir gut?“, erkundigte er sich, während er den Blick über Storms windzerzauste Mähne und ihre funkelnden grünen Augen gleiten ließ.

„Ja, danke“, erwiderte sie ein wenig steif.

„Wie war es mit deinem Vater?“

„Na ja, er wollte wissen, wo du warst.“

Luke schwieg einen Moment. „Lass uns in den Schatten reiten. Und du solltest dir den Hut aufsetzen.“ Der war ihr wie immer auf den Rücken gerutscht.

„Wie kommt es eigentlich, dass du keine Sommersprossen hast?“

Ein Lächeln huschte über Lukes Gesicht. „Diese Frage stellst du mir schon, seit wir uns kennen.“

Storm lachte. „Und jedes Mal hast du geantwortet, du hättest keine Ahnung.“

„Habe ich auch nicht.“

Sie ritten gemächlich auf eine Lagune zu, auf deren Oberfläche rosa- und cremefarbene Wasserlilien schwammen, die wie wunderschöne, zerbrechliche Porzellanfiguren aussahen.

„Hast du deinem Vater gesagt, wo ich war?“, fragte er nach einer Weile.

„Ich habe nur gesagt, dass du wieder an die Arbeit gegangen bist“, meinte Storm, nachdem sie abgesessen waren. „Er möchte, dass du heute zum Abendessen kommst.“

Luke warf ihr einen prüfenden Blick zu, dann wandte er sich ab. „Nein.“

„Wie wär’s, wenn du ihm das selbst sagst?“, forderte sie ihn mit einem kessen Lächeln heraus.

„Kein Problem.“ Er bückte sich und hob einige Kieselsteine auf. Während er einen nach dem anderen über die Wasseroberfläche hüpfen ließ, verging er beinahe vor Sehnsucht, Storm zu berühren. „Schließlich ist es dein erster Abend zu Hause.“

„Aber ohne dich wird dieser Abend für Dad nur halb so schön.“

Luke richtete sich auf und blickte über das smaragdgrüne Wasser der Lagune. „Das alles hat gar nicht so viel mit mir persönlich zu tun. Dein Vater sehnt sich nach einem Sohn, das ist der Punkt.“

„Warum hat er dann nicht wieder geheiratet?“

Lukes Antwort ließ eine Weile auf sich warten. Schließlich blickte er Storm offen in die Augen. „Du wolltest die ungeteilte Aufmerksamkeit deines Vaters.“

„Ist das denn nicht ganz normal?“, fuhr sie auf und erwiderte kampflustig seinen Blick.

„Ganz normal für ein einsames kleines Mädchen, wie du es gewesen bist, ja. Du hättest deine Mutter gebraucht.“

Autor

Margaret Way
Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
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Margaret Way
Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
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