Julia Bestseller Band 153

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HERZ UM HERZ von GREY, INDIA
Von ihrem Liebreiz betört, genießt der Millionär Olivier Moreau die leidenschaftliche Affäre mit der bezaubernden Bella - dennoch darf er sein Vorhaben nicht aus den Augen verlieren: Rache an Bellas Familie zu nehmen, die seinen Vater vor Jahren ins Unglück stürzte!

SÜßE SEHNSUCHTSMELODIE von GREY, INDIA
Auf der Flucht vor ihrem jähzornigen Verlobten landet Rachel auf dem Anwesen von Lord Orlando Winterton. Der Adlige gewährt ihr nicht nur Unterschlupf, er weckt auch zärtliche Gefühle in ihr. Doch Orlandos Exfreundin setzt alles daran, dieses junge Glück zu zerstören…

VERFÜHRUNG IN FLORENZ von GREY, INDIA
Atemberaubend! Raphael Di Lazaro, Erbe eines schillernden Modeimperiums, ist sofort von Eve hingerissen. Auch das Model scheint sich stark zu ihm hingezogen zu fühlen. Aber warum sieht sie der jungen Frau so ähnlich, die durch die Schuld seines Halbbruders starb?


  • Erscheinungstag 19.09.2014
  • Bandnummer 0153
  • ISBN / Artikelnummer 9783733703028
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

India Grey

JULIA BESTSELLER BAND 153

INDIA GREY

Herz um Herz

Nie zuvor hat Bella sich derart frei, begehrt und geliebt gefühlt wie in Oliviers Armen. Wie gern würde sie für immer bei dem attraktiven Kunsthändler in Frankreich bleiben! Doch die Aristokratentochter ahnt nicht, dass die Verführung zu Oliviers düsterem Plan gehört, in dem ihre Verwandten und ein geheimnisvolles Gemälde die tragischen Hauptrollen spielen …

Süße Sehnsuchtsmelodie

Als Orlando Winterton die schöne Rachel beim nächtlichen Klavierspiel überrascht, erkennt er: Er will sie, diese Nacht und jede, die folgt! Der zurückhaltende Lord spürt, dass Rachel, die vor einer arrangierten Ehe geflohen ist, und ihn eine tiefe Sehnsucht nach Liebe verbindet – aber könnte sie die Wahrheit über seine drohende Erblindung verkraften?

Verführung in Florenz

Eine prickelnde Sommerromanze mit einem feurigen Italiener – das Leben könnte so leicht sein! Allerdings hat die hübsche Eve mehr im Sinn als lustvolle Stunden mit Raphael Di Lazaro. Sie ist in Florenz, um alles über den plötzlichen Tod ihrer Schwester herauszufinden. Und nur ein einziger Mann weiß, was damals wirklich geschah: ihr heißblütiger Geliebter!

1. KAPITEL

Seichte Wellen, die auf einen weißen Sandstrand rollen … eine warme Brise, die durch grüne Palmwedel streicht … oder wie wäre es mit einem endlosen blauen Himmel voller bauschig weißer Schäfchenwolken?

Nein! Gar nicht gut.

Bella Lawrence öffnete die Augen, biss sich auf die Unterlippe und konzentrierte sich lieber auf den exquisiten französischen Kerzenhalter, der gerade zur Auktion angeboten wurde. Es hatte absolut keinen Zweck, sich krampfhaft ablenken zu wollen. Nicht solange ihr Herz mit doppelter Geschwindigkeit das Blut durch ihre Adern pumpte und ihre Hände unangenehm feucht waren. Nicht solange sie seinen Blick auf sich spürte …

Dabei war Bella sich nicht sicher, wann genau er den Raum betreten hatte. Als sie zu Beginn der Auktion ihren Platz einnahm, war er zumindest noch nicht da gewesen. Aber dann hatte sie plötzlich Anflüge von Hitze bekommen und ein nervöses Kribbeln in der Magengegend verspürt. Sie drehte sich halb um, und dort war er – und betrachtete sie.

Bestimmt habe ich Lippenstiftreste auf den Zähnen, schoss es ihr durch den Kopf. Eilig fuhr sie sich mit der Zunge über die Vorderzähne und erlaubte sich einen letzten neugierigen Blick. Er stand lässig an die Wand gelehnt und versuchte nicht einmal, Interesse für den Auktionator aufzubringen, der lautstark und mit rasender Geschwindigkeit die Gebote in den überfüllten Saal rief.

Den Besucher umgab eine eindrucksvolle Ruhe. Gern hätte Bella ihn ausführlich gemustert, denn bis jetzt hatte sie nur seine breiten Schultern und das markante, braun gebrannte Gesicht gesehen.

Ich muss mir seinen Mund genauer betrachten, überlegte sie und starrte auf den Kerzenhalter vor sich. Der erste Eindruck ist nahezu perfekt, aber gibt es tatsächlich einen Mann mit so schönen Lippen? Möglicherweise kenne ich ihn irgendwoher. Ach, Quatsch, daran würde ich mich erinnern!

Um sich zu sammeln, atmete Bella ein paar Mal tief durch und drehte das zusammengerollte Auktionsprogramm in den Händen. So hatte es ihr der kostspielige Therapeut empfohlen, dessen Dienste ihrem Bruder so ungeheuer wichtig gewesen waren. Wenn Emotionen sie zu überwältigen drohten, sollte sie an etwas Entspannendes denken. Gehorsam versuchte sie es erneut mit den Bildern vom Traumstrand.

Er starrte sie immer noch an.

Unauffällig löste sie die kurzen Haarsträhnen ihres Bobs, die sie hinter das Ohr geklemmt hatte, sodass ihr Haar wie ein Vorhang vor ihr Gesicht fiel. Hinter den dunklen Strähnen versteckte sie sich vor seinen prüfenden Blicken. Traumhafte Strände mit weißem Glitzersand waren so unerträglich klischeehaft! Und würde sie sich tatsächlich eines Tages an einem solchen Ort wiederfinden, wäre Bella vermutlich sofort zutiefst gelangweilt. Zwischen beruhigend und sterbenslangweilig gab es immerhin einen deutlichen Unterschied.

Über diesen Umstand hatte sie während der letzten fünf Monate oft nachgedacht.

Ruhelos rutschte Bella auf dem unbequemen Stuhl hin und her und strich dabei das Programm auf ihrem Schoß wieder glatt. Endlich wurde das Gemälde präsentiert, das hoffentlich in wenigen Momenten ihr gehörte. Wie gebannt richtete sie ihren Blick auf das altehrwürdige Gebäude, das vor einem sattgrünen Hintergrund abgebildet war. Alles war besser, als dem Fremden ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

Dieses Gemälde war ohne jeglichen Zweifel das perfekte Geschenk für Grandmère. Endlich schien das Schicksal sich auf Bellas Seite zu schlagen.

Obwohl Aberglaube eigentlich zu den Dingen gehörte, die sie sich unbedingt abgewöhnen wollte. Der teure Therapeut sagte, es wäre wichtig, die Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, anstatt vagen metaphysischen Phänomenen wie Bestimmung oder Horoskopen die Schuld an allem zuzuschieben.

Bella seufzte. Das war gar nicht so einfach. In schwachen Momenten hatte sie das Gefühl, diese Gepflogenheiten, die sie aufgeben sollte, waren keine schlechten Angewohnheiten, sondern feste Teile ihrer Persönlichkeit.

Was würde anschließend von ihr übrig bleiben?

Der Auktionator kündigte das Bild an, und Bella setzte sich kerzengerade auf.

„Laufnummer vier-sechs-fünf“, schnarrte er mechanisch, so als würde er nicht in diesem Augenblick einen unglaublich wichtigen Teil von Bellas Familiengeschichte auf den Markt werfen. „Reizende Amateurmalerei in Öl auf Leinwand, die ein wunderschönes französisches Landhaus zeigt. Wer eröffnet mit einem Gebot von zwanzig Pfund?“

In der ersten Reihe hörte man leises Rumoren. Eine Frau mit rot gefärbten Haaren hob zögernd die Hand.

„Zwanzig Pfund hier vorn. Dreißig für Sie, Sir …“

Es folgte eine ganze Reihe schneller Gebote, die den Preis auf neunzig Pfund hochtrieben.

Seit sie die Kunsthochschule verlassen hatte und in Celias Antiquitätengeschäft in Notting Hill arbeitete, war Bella durchaus geübt im Umgang mit Auktionsstrategien. Man musste auf den geeigneten Zeitpunkt warten, um sich in die Versteigerung einzuklinken. Und dieser Zeitpunkt war gekommen. Der Auktionator verkündete das Gebot von einhundert Pfund und sah fragend in die Menge. Die Rothaarige aus der ersten Reihe schüttelte abwehrend den Kopf.

„Irgendjemand für einhundert Pfund?“

Entschlossen meldete Bella sich – und wurde sofort von einem ihr bekannten Händler überboten, der zwei Reihen vor ihr saß.

„Einhundertzwanzig?“, fragte der Auktionator, und Bella nickte zufrieden, als der andere Händler langsam den Kopf schüttelte und damit ein weiteres Gebot ablehnte.

„Dann sind es einhundertzwanzig Pfund für die junge Lady mit den dunklen Haaren. Einhundertzwanzig zum Ersten …“

Sie schob die Hände tief in die Taschen ihres schwarzen Leinenjacketts und kreuzte die Finger so fest, dass sie wehtaten. Noch höher konnte sie nicht bieten.

„Zum Zweiten …“

Jetzt mach schon! beschwor sie den Mann im Stillen.

„Und zu guter Letzt zum …“ Überrascht brach er ab. „Sir? Gerade noch rechtzeitig, vielen Dank. Dann sind es einhundertdreißig Pfund für Sie, Sir?“

Bella brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, wer dieses Gebot abgegeben hatte. Irgendwie schaffte sie es, einen frustrierten Aufschrei zu unterdrücken, und ballte stattdessen die Hände zu Fäusten. In Augenblicken wie diesen lohnte es sich nicht, auf das Schicksal der Glückseligen zu vertrauen. Hier brauchte es Mut zum geschickten Bluff!

Mit gespieltem Selbstvertrauen warf sie den Kopf in den Nacken und vermied es tunlichst, auch nur einen Seitenblick in die Richtung ihres Gegenspielers zu werfen. So etwas hatte sie vorher schon gesehen. Man musste vollständige Unbekümmertheit zur Schau stellen und so wirken, als würde man das Objekt ohnehin zu jedem erdenklichen Preis erstehen. Bella wollte wie eine Frau wirken, die bekam, was sie verlangte.

Zum Glück hatte sie keine Zeit, über die Ironie dieser Situation nachzudenken!

„Einhundertvierzig.“

War das wirklich meine Stimme? dachte sie verblüfft. Exzellent! Es klingt tatsächlich so, als wüsste ich, was ich tue.

Ein zuversichtliches Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Doch der Moment ihrer Euphorie fand ein jähes Ende.

„Zweihundert.“

Schockiert wandte sie sich um und starrte ihren Widersacher an, der sie seelenruhig musterte.

„Miss? Höre ich zweihundertzehn?“

Einen Sekundenbruchteil lang hatte Bella den Auktionator ganz vergessen, genau wie das Bild. Im Grunde fiel es ihr sogar schwer, sich an ihren eigenen Namen zu erinnern. Die Augen des Fremden waren unfassbar dunkel, fast schwarz. Und selbst auf diese Distanz konnte Bella ein gefährliches Glitzern darin erkennen. Eine Augenbraue hatte er fragend hochgezogen – oder eher herausfordernd.

„Ja.“

„Zweihundertzehn dann zum Ersten …“

„Dreihundert.“

Bella schloss kurz die Augen, als die Stimme ihres Widersachers dem Auktionator das Wort abschnitt. Er sprach tonlos mit einem leichten Anflug von Ungeduld in der Stimme. Scheinbar wollte er dieses Geschäft so schnell und unkompliziert wie möglich hinter sich bringen.

„Dreihundertzehn.“

Die Summe verließ ihre Lippen, ehe Bella sich darüber klar war, in was für eine Lage sie sich damit brachte. Zwar fühlte sie sich provoziert, andererseits musste sie jedoch im Auge behalten, was sie sich überhaupt leisten konnte. Zudem regte sie die offensichtliche Gleichgültigkeit dieses Mannes maßlos auf. Er hatte das Bild kaum eines Blickes gewürdigt, deshalb kam es Bella so vor, als würde er sie mit seinen Geboten persönlich reizen wollen.

„Fünfhundert.“

Wie hypnotisiert starrte Bella ihn nun an und verlor sich im Anblick seiner schlanken Figur und der attraktiven, steinernen Miene. Ein Teil von ihr wollte rational und misstrauisch bleiben, während der Rest wild darauf war, sich in diese unbekannte, aufregende Situation zu stürzen.

Interessiertes Gemurmel erfüllte den Saal, und buchstäblich jeder Anwesende wandte sich ihr zu und sah sie erwartungsvoll an. Pures Adrenalin schoss durch ihre Adern, als sie ihren Blick von dem Fremden losriss und sich wieder auf das Gemälde konzentrierte. Sie war erfahren genug, um zu erkennen, dass es sich um kein außergewöhnliches Stück handelte, aber ihr ging es ums Prinzip. Dieses anonyme, halb vergessene Bild zeigte das Familienanwesen ihrer Großmutter. Es war Teil ihres Erbes, und diese Vorstellung verpflichtete …

„Fünfhundertfünfzig.“

Wie in Zeitlupe drehte sie sich zu ihm um und bemerkte, wie sich seine Schultern hoben und senkten, als er laut seufzte. „Sechshundert.“

„Sechshundertfünfzig.“

„Siebenhundert.“

Sein dunkler, funkelnder Blick hatte etwas höchst Faszinierendes. Bella schauderte. Aber hier ging es nicht mehr um ein bloßes Ölgemälde oder um Geld – dies war etwas Persönliches.

„Siebenhundertfünfzig.“

Die Summen hatten jede Bedeutung verloren. Der Rest ihrer Umgebung hätte zu Staub zerfallen können, soweit es Bella anging. Für sie gab es nur noch den arroganten Unbekannten und seine intensiven Blicke – und natürlich ihren Wettkampf um das alte Bild.

Bella wurde es immer heißer. Unwirsch fuhr sie sich mit der Zunge über ihre trockenen Lippen und streifte hastig das Jackett ab. Ihr Zeitgefühl war gänzlich abhandengekommen. Wie hypnotisiert vertiefte sie sich in die Betrachtung dieser herausfordernd maskulinen Aura, die ihren Konkurrenten umgab. Er hatte einen leicht zynischen Zug um den Mund, und ihr kam sofort das Bild vom Wolf im Schafspelz in den Kopf.

Er beugte sich leicht zurück, öffnete den Mund und sprach laut und deutlich, damit man ihn leicht bis in die erste Reihe verstehen konnte.

„Eintausend Pfund.“

Bella stockte der Atem.

„Miss?“ Die Stimme des Auktionators war vor Schreck ganz brüchig und schien von weit, weit herzukommen. „Irgendeine Steigerung von eintausend Pfund? Eintausendzehn?“

Ein gefährlicher Übermut packte Bella. So musste es sich anfühlen, wenn man aus einem Flugzeug sprang, kurz bevor sich der Fallschirm öffnete: schwindelerregend, beängstigend … und trotzdem von einem seltsamen inneren Frieden durchdrungen. Sie hatte keine andere Wahl, als diesem Impuls einfach nachzugeben.

Das Gemälde war verloren, so viel war sicher. Auf keinen Fall konnte sie bei diesem Marathon ernsthaft mithalten, aber mittlerweile stand etwas mehr auf dem Spiel als das. Jetzt wollte sie ihn nur noch ein wenig weiter hochpuschen, um ihn endlich aus seiner widerlich anmaßenden Ruhe zu reißen. Er sollte etwas fühlen – irgendetwas! Und wenn es nur Wut war.

Entschlossen verengte sie die Augen zu schmalen Schlitzen und drehte sich wieder nach vorn. „Ja, eintausend und zehn Pfund.“

Mit einem inneren triumphierenden Lächeln wartete sie darauf, dass er die Summe aufstockte. Um sie herum herrschte Totenstille.

„Sir? Eintausendzehn?“

Bella wandte sich um, und ihr Hals wurde unerträglich trocken, als der fremde Mann sie nur schweigend anstarrte. Ein kaum sichtbares Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Und Bellas Augen weiteten sich vor Horror, als er langsam den Kopf schüttelte.

„Dann bleibt es bei eintausendzehn“, stellte der Auktionator fest. „Beendet bei eintausendzehn? Zum Ersten …“

Mit einem eleganten Schwung stieß der Unbekannte sich von der Wand ab und trat vor. Plötzlich war der amüsierte Ausdruck gänzlich aus seinem Gesicht verschwunden.

„Zum Zweiten bei eintausendzehn …“

Bellas Herz setzte einen Schlag aus, und ihre Lippen fühlten sich blutleer an. Sie hatte schreckliche Angst, das Bewusstsein zu verlieren und vor aller Augen ohnmächtig zusammenzusacken. Mühsam stand sie auf, um nach vorne zu gehen, als der Mann dem Auktionator plötzlich kurz zunickte.

„Sie steigen noch einmal ein, Sir, bei eintausendzwanzig?“, erkundigte sich der ältere Mann. Wieder nickte der Fremde. Bella hielt den Atem an, und erst der ohrenbetäubende Hammerschlag, der die Auktion beendete, brach den Bann. Ihre Schultern sackten nach vorn, und mit eingezogenem Kopf duckte sie sich zwischen den anderen Gästen hindurch, um nach draußen zu eilen.

Olivier Moreau blickte ihr neugierig nach.

Interessant, dachte er grimmig. Äußerst interessant, und das in vielerlei Hinsicht.

Als notorischer Zyniker und mit dem Hang, sich rasch zu langweilen, war er kein Mann, dessen Interesse leicht geweckt wurde. Aber diese ungewöhnliche Frau hatte es geschafft, indem sie eine Summe für dieses durchschnittliche Gemälde geboten hatte, die ungefähr zehnmal höher als der tatsächliche Wert lag.

Ihm war auch der hektische Zug um ihren Mund aufgefallen. Sie wollte dieses Bild unbedingt haben, so sehr, dass sie dabei weder Vernunft walten ließ, noch ihren Sinn fürs Rationale bemühte. Er hatte es beobachtet … es gespürt.

Jetzt wollte er natürlich wissen, woher ihre Entschlossenheit rührte.

Sie war so eilig davongestürmt, dass sie ihre Jacke auf dem Stuhl vergessen hatte. Auf seinem Weg nach draußen hatte er sich kurz vorgebeugt und das Kleidungsstück an sich genommen. Es war aus weichem, schwarzem Leinen gearbeitet, und er vernahm einen zarten Jasminduft, der das unerklärliche Interesse an dieser Frau – das von der ersten Sekunde an in seinem Innern entfacht worden war – immens verstärkte.

Am Zahltisch überreichte er seine Auktionsnummer und zahlte in bar. Während er auf die Quittung wartete, sah er auf die Jacke in seinen Händen hinunter und lächelte wissend, als ihm das Emblem eines berühmten Designers ins Auge stach. Teuer, aber auch ausgesprochen konservativ. Schade. Gern hätte er etwas Ausgefallenes an ihr gesehen.

Unbewusst zerknüllte er den Stoff leicht in einer Hand und trat hinaus in einen typischen Londoner Sommertag. Dieses Jahr schien es fast ununterbrochen zu regnen, aber Olivier schenkte den tiefgrauen Wolken, die die Sonne vom Himmel verdrängt hatten, keinerlei Beachtung. Unruhig blieb er auf den Stufen stehen, während ihn das Gefühl beschlich, etwas sehr Bedeutsames würde vor ihm liegen. Etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte.

Vielleicht ging es um dieses Bild. Möglicherweise war es das, nach dem er all die Jahre gesucht hatte.

Oder vielleicht war es auch dieses Mädchen …

Mitten auf dem Bürgersteig verharrte Bella und fluchte leise. So ein Mist! Sie hatte ihre Jacke im Auktionssaal liegen lassen!

Gerade wollte sie auf dem Absatz kehrtmachen, da zögerte sie. Das Stück war von Valentino und gehörte ihrer Großmutter. Und wenn schon? Sie hätte längst zu Hause sein müssen. Miles rief grundsätzlich an, um sicherzugehen, dass sie gut angekommen war. Er machte sich Sorgen, wenn Bella sich verspätete, also sollte sie sich wirklich beeilen.

Trotzdem bewegte sie sich keinen Millimeter. Gelähmt von ihrer eigenen Unentschlossenheit wurde ihr klar, dass nicht Zeitmangel, sondern fehlender Mut dafür verantwortlich war, dass sie auf keinen Fall zurück in diesen Saal gehen wollte. Ihre Nerven lagen blank, und alles wegen eines unbekannten, verstörend attraktiven Mannes mit gefährlichen dunklen Augen.

Allerdings hatte er sie nicht nur schweigend angestarrt, er hatte sie öffentlich herausgefordert und mit seinen Blicken buchstäblich ausgezogen. Wenn sie jetzt daran dachte, stellten sich ihr noch immer die Nackenhaare auf. In jenen wenigen Momenten hatte sie sich lebendiger gefühlt als in den letzten fünf trostlosen Monaten zusammen.

Endlich fühlte sie sich wieder lebendig!

Sie schloss die Augen, um auf einen entspannenden Gedanken zu kommen, doch anstelle des weißen Sandstrands drängte sich das markante Gesicht des Fremden in ihr Bewusstsein.

„Sagen Sie nichts! Bestimmt versuchen Sie gerade, sich zu erinnern, wo Sie die hier gelassen haben?“

Der Mann stand direkt vor ihr und lächelte träge. Über seinem ausgestreckten Arm hing ihre schwarze Jacke.

Bella lief dunkelrot an. Wie lange hatte er wohl vor ihr gestanden und sie dabei betrachtet, wie sie mit geschlossenen Augen mitten auf der Straße vor sich hinträumte? Er musste sie für ziemlich verwirrt halten.

Schnell versteckte sie ihre Unsicherheit hinter einer kühlen Maske und griff nach der Jacke. „Verstehe. Es reicht Ihnen wohl nicht, mir mein Bild wegzuschnappen, jetzt haben Sie es auch noch auf meine Kleider abgesehen?“

Das war natürlich eine alberne Behauptung. Nahezu peinlich! Genau so würde Miles sich ausdrücken und es einen typischen Bella-Klassiker nennen.

„Das kommt darauf an“, sagte der Mann und lachte. „Gedenken Sie denn, noch mehr auszuziehen?“

Ein Gefühl verbotener Lust mischte sich in Bellas aufflackerndes Schamgefühl. Sie öffnete den Mund, um einen entsprechenden Kommentar abzufeuern, hatte jedoch alle Mühe, die richtigen Worte zu finden. Eine Sekunde zögerte sie, dann zügelte sie ihr Temperament, dachte an sanft dahinplätschernde Wellen und verkniff sich eine beleidigende Antwort. Sie versteckte ihre wahren Gefühle hinter einem kalten Lächeln.

„Selbstverständlich nicht. Danke für die Jacke. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden … ich bin spät dran.“

Ohne ihn noch einmal direkt anzusehen, machte sie auf dem Absatz kehrt, um sich so schnell wie möglich von ihm zu entfernen. Doch bevor sie wirklich dazu kam, ergriff er ihren Arm und hielt sie zurück. Seine Finger berührten ihre nackte Haut, und Bella zuckte vor Schreck heftig zusammen.

„Warten Sie!“, sagte er ruhig. „Sie nannten es Ihr Bild. Wie haben Sie das gemeint?“

Stocksteif verharrte sie neben ihm und starrte vor sich auf den Boden. „Es ist natürlich nicht meines“, wehrte sie ab. „Das war eine blöde Bemerkung. Das Gemälde gehört jetzt Ihnen. Das ist mir natürlich klar.“

„Aber darüber sind Sie alles andere als glücklich, stimmt’s?“

Sie antwortete nicht, sondern starrte nur stumm auf die breite Brust vor ihren Augen. Seine Finger umschlossen noch immer ihren Arm, aber Bella fehlte die Kraft, sich loszureißen.

„Sie wollten es unbedingt besitzen“, sagte er ruhig. Es war eine Feststellung, keine Frage.

„Ja“, wisperte sie.

„Wieso?“

„Es ist … hübsch“, entgegnete sie tonlos und versuchte verzweifelt, sich auf neutrale, beruhigende Dinge zu konzentrieren. Das sollte sie in erster Linie von seinen anziehenden Lippen ablenken – mit denen er bestimmt unglaublich gut küssen konnte.

„Hübsch?“ Er ließ sie los und trat fast angewidert einen Schritt zurück. „Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein?“

„Bitte?“

Oliviers Augen wurden schmal. Von Nahem erkannte er an Bella eine makellose Schönheit, die ihn für gewöhnlich nicht sonderlich beeindruckte: einen kurz geschnittenen, glänzend braunen Bob, zarte vanilleeisfarbene Haut und feine Gesichtszüge. Zuvor im Auktionssaal hatte er in Bella eine ungeschliffene Leidenschaft erahnt, von der er tief beeindruckt gewesen war. Aber auf den zweiten Blick musste er sich eingestehen, dass er sich geirrt hatte.

„Man muss kein Experte sein, um zu erkennen, dass es Schrott ist“, behauptete er kalt. „Es ist nicht ein Viertel von dem wert, was ich gerade dafür bezahlt habe.“

Das traf bei Bella einen wunden Punkt. „Warum haben Sie dann geboten?“, wollte sie wissen. „Sie hätten es schließlich auch mir überlassen können! Ich bin nicht an seinem Sammlerwert interessiert, ich wollte es aus Gründen, die nichts mit Geld zu tun haben.“

„Was bedeutet …?“

Sie hob ihr Kinn ein Stück höher. „Meine Großmutter ist in dem Haus auf dem Gemälde aufgewachsen. Deshalb wollte ich es für sie kaufen.“

Der Himmel hatte sich weiter zugezogen, und allmählich fielen die ersten Regentropfen auf den warmen Asphalt. Alles schien plötzlich sehr still zu sein, so als wäre der Lauf der Welt für ein paar Sekundenbruchteile unterbrochen worden. Beinahe hätte Olivier eine Hand ausgestreckt, um sich abzustützen, so sehr brachte ihn dieses Phänomen aus dem Gleichgewicht. Aber natürlich war es nur ein Gefühl, das seine Selbstkontrolle, auf die er seit jeher angewiesen war, für einen Moment ins Wanken brachte.

Er atmete tief durch und zwang sich zu einem Lächeln. „Ach, wirklich? Und Sie heißen …?“

„Bella. Bella Lawrence.“

Lawrence. Dieser Name jagte Olivier Adrenalin durch die Adern. Schmerzhaft, aber auch berauschend. Er biss die Zähne zusammen. „Nun, Bella, was für ein Zufall, dass Sie über dieses Bild gestolpert sind. Sie müssen ja begeistert gewesen sein.“

Falls ihr sein scharfer Unterton auffiel, ließ sie es sich nicht anmerken. „Allerdings“, gab sie freundlich zurück. „Vor allen Dingen weil meine Großmutter morgen Geburtstag hat. Es wäre das perfekte Geschenk gewesen.“ Sie schenkte ihm ein künstliches Lächeln. „Allerdings hatte ich nicht mit einem millionenschweren Städter gerechnet, der bereit ist, eine Unsumme dafür zu zahlen. Mein Fehler!“

Millionenschwerer Städter? Sie unterschätzte ihn, und weil sie eine Lawrence war, störte ihn das ungemein.

Bella wandte sich zum Gehen, aber Olivier hatte nicht vor, sich jetzt schon von ihr zu verabschieden.

„Wie kommen sie darauf, ich wäre ein schwerreicher Stadtbewohner?“

Er rührte sich nicht, hob nicht einmal die Stimme. Trotzdem wirbelte sie ruckartig auf dem Absatz herum, und Olivier verspürte einen kleinen Triumph. Mit einer schnellen Handbewegung holte er sein Handy hervor und wählte eine Nummer, ohne dabei auf die Tasten zu blicken.

Bella zuckte die Achseln. „Der Anzug. Die Schuhe. Liege ich da etwa falsch?“

„Teilweise.“ Mit dem Kopf wies er auf einen dunkelgrünen Bentley, der gerade am Gehweg hielt. „Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen?“

Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe. „Sehr beein­druckend“, bemerkte sie trocken. „Also nicht nur Millionär, sondern auch noch Zauberer. Was haben Sie noch zu bieten?“

Sein Grinsen glich einer tödlichen Waffe. „Unglücklicherweise, Mademoiselle Lawrence, sind meine Talente zu umfangreich, um sie hier im Einzelnen aufzuzählen. Wir würden nass bis auf die Knochen werden, und ich komme zu spät zu einem Meeting. Aber wenn Sie in den Wagen steigen möchten, kläre ich Sie nur allzu gern auf.“

Er öffnete die Autotür und trat abwartend einen Schritt zurück. Inzwischen regnete es stärker, und es roch nach nasser Erde und feuchtem Asphalt. Trotzdem rührte Bella sich keinen Millimeter.

„Nein, danke“, sagte sie höflich. „Das wäre wohl keine so gute Idee.“

„Nun, gut“, brummte er und klopfte gereizt mit den Fingern aufs Autodach. „Vermutlich halten Sie es für einen schlauen Schachzug, sich hier den Elementen auszusetzen, was?“ Seufzend trat er von einem Bein aufs andere. „Sie haben doch selbst gesagt, Sie hätten es eilig. Wenn Sie sich dabei besser fühlen, überlasse ich Ihnen den Wagen ganz. Mein Büro ist gleich hier um die Ecke. Teilen Sie Louis, meinem Chauffeur, nur mit, wo er Sie hinbringen soll.“

Damit entfernte er sich ein paar Schritte und hoffte inständig, sie würde seinen Vorschlag annehmen. Für ihn bedeutete es zwar keinerlei Problem herauszufinden, wo sie lebte, aber es auf diese Art zu erfahren, war der einfachste Weg. Auf dem Bürgersteig waren kaum noch Menschen unterwegs, dennoch blieb Bella unschlüssig neben dem Auto stehen, während das Regenwasser aus ihren Haaren tropfte.

Sie runzelte die Stirn. „Wieso geben Sie sich so viel Mühe mit mir?“

„Nach der Sache mit dem Bild … sagen wir einfach, es ist das Mindeste, was ich tun kann. Bitte!“

Zögernd warf sie einen Blick gen Himmel. Dann traf sie spontan eine Entscheidung, ließ sich auf den Rücksitz der Limousine gleiten und schlug energisch die Tür hinter sich zu. Dabei würdigte sie ihren selbstlosen Kavalier keines Blickes.

„Gern geschehen“, murmelte Olivier ironisch, als der Wagen an ihm vorbeifuhr. Dann schob er seine Hände in die Hosentaschen und spazierte durch den Regen. Er war mit sich zufrieden. Das hatte er wirklich gut hinbekommen.

2. KAPITEL

Genevieve Delacroix’ Gesicht war blass mit einem Hauch von Rosé auf den Wangen, vielleicht ein Zeichen vorangegangener Leidenschaft. Auf ihren vollen Lippen lag ein verführerisches Lächeln. Splitternackt rekelte sie sich auf einer samtbezogenen Couch und trug nur ein schweres, mit Juwelen besetztes Kreuz an einem dunkelroten Satinband um den Hals.

Ihre dunkelblauen Augen waren wachsam und schienen Oliviers breiten Rücken durchbohren zu wollen, während er an der voll verglasten Außenwand seines Apartments stand und auf die Stadt hinunterblickte. Acht Stockwerke unter ihm schlängelten sich lautlos unzählige Autos über die Park Lane, und über ihm sanken beleuchtete Flugzeuge in die Einflugschneise von Heathrow und flackerten am dunklen Abendhimmel mit den aufgehenden Sternen um die Wette.

Doch Olivier hatte keinen Blick für all dies. Vor seinem inneren Auge sah er nur das Gemälde. Sein Instinkt hatte ihn also nicht getäuscht. Obwohl das Bild unsigniert war, hatten der Name – Le Manoir St Laurien – und der außergewöhnliche Pinselstrich zu einer eindeutigen Schlussfolgerung geführt: Dieses Bild hatte sein Vater gemalt.

Allerdings war Julien Moreau kein Amateur. Unter anderen Umständen wäre er einer der bedeutendsten Maler seiner Generation geworden.

Olivier nahm einen tiefen Schluck aus dem Cognacschwenker in seiner Hand, so als müsste er sich zuerst Mut antrinken, bevor er sich umdrehte und das Kunstwerk betrachtete: das Gemälde, das sich hinter der anderen Arbeit verborgen hatte.

La Dame de la Croix.

Jahrelang hatte er danach gesucht. Seine Kontakte in der Kunstwelt umspannten den ganzen Globus und schlossen zahlreiche große Auktionshäuser, Galerien und Privatsammlungen ein. Doch da er vermutete, dass sich Genevieve Delacroix’ Porträt hinter einem der minderwertigen, jüngeren Arbeiten seines Vaters verbarg, nützten ihm diese Verbindungen herzlich wenig. Schließlich hatte er sich auf die Kataloge kleinerer Verkäufer konzentriert, aber diese Vorgehensweise glich einer Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen. Die Karten standen schlecht für ihn.

Trotzdem hatte er es geschafft. Endlich war das Bild in seinem Besitz, gegen die Lehne eines Edelstahlhockers aufgestellt, so frisch und lebendig, als wäre es eben erst gemalt worden.

Olivier Moreau konnte sich rühmen, ein Mann zu sein, der bekam, was er begehrte – sogar in diesem speziellen Fall. Die Kombination aus Intelligenz, Zielstrebigkeit und Entschlossenheit machten normalerweise seinen Erfolg aus, doch in diesem Fall kam noch eine gute Portion Glück hinzu. Oder vielleicht war das Schicksal nach all den Jahren endlich gerecht geworden. Manche Menschen nannten das wohl Karma.

Jedenfalls war es an der Zeit, dass sich die erfolgsverwöhnten Mitglieder der Lawrence-Familie dem stellten, was sie angerichtet hatten. Jetzt, nachdem das Gemälde wieder in Oliviers Besitz war, konnte der Rachefeldzug seinen Lauf nehmen.

In einem Zug leerte er das Cognacglas in seiner Hand und ließ seinen Blick über Genevieve Delacroix’ entblößten Körper gleiten. In seiner Vorstellung, während er darauf gewartet hatte, das Bild in die Finger zu bekommen, hatte sein Plan immer mehr Gestalt angenommen. Das Gemälde zur Schau stellen und den damit verbundenen Skandal publik machen, um vor der Öffentlichkeit einen möglichst zerstörerischen Effekt zu erzielen. Das war sein Ziel!

Aber das schien jetzt nicht mehr ausreichend zu sein.

Oliviers Erfolgsrezept basierte auch auf seiner Fähigkeit, aus jeder sich bietenden Gelegenheit den maximalen Profit zu schöpfen. Und in diesem Fall war das Schicksal ihm einmal gnädig. La Dame de la Croix und Bella Lawrence waren ihm beide an diesem Morgen in den Schoß gefallen. Er wäre nicht der Mann, der er war, wenn er sich diese einmalige Chance entgehen lassen würde.

Auge um Auge, Zahn um Zahn. Herz um Herz.

Genevieve Lawrence stand in der Eingangshalle und arrangierte Blumen, die gerade von einem der teuersten Floristen Londons geliefert worden waren. In diesem Augenblick kam Bella die Treppe hinunter.

„Guten Morgen“, sagte sie mit einem entschuldigenden Lächeln und küsste ihre Großmutter auf die stark parfümierte Wange.

Genevieve warf einen amüsierten Blick auf ihre schmale, goldene Armbanduhr. „Von Morgen kann kaum noch die Rede sein“, bemerkte sie mit seidenweicher Stimme. Es war zwar schon eine Ewigkeit her, dass die junge Genevieve Delacroix Frankreich verlassen hatte, um den begehrten, kultivierten Lord Edward Lawrence zu heiraten, aber ihr Akzent war so stark ausgeprägt wie eh und je. „Ich nehme an, du hast gut geschlafen?“

„Ja, danke“, log Bella. Wozu Genevieve erzählen, dass sie eine schlaflose Nacht hinter sich hatte? Am Ende saß Bella auf ihrer Fensterbank und versuchte sich im Mondschein an einer Skizze. Aber das Gesicht des Mannes, der ihr bei der Auktion begegnet war, war nicht so einfach zu Papier zu bringen. Es wurde bereits hell, als sie endlich wieder ins Bett kroch. „Gibt es für heute Abend noch viel zu tun?“

Seufzend zog die alte Dame eine langstielige Lilie aus der Vase. „So wie es aussieht, müssen wir uns tatsächlich noch kurzfristig um diverse Einzelheiten kümmern. Zuerst einmal sind diese Blumen hier völlig falsch. Jetzt weiß ich, warum ich seit dem Tod deines Großvaters nicht mehr Gastgeberin gespielt habe.“

Bella lächelte sie tröstend an. Vor zwei Jahren war Genevieve nach fünfzig Jahren Ehe zur Witwe geworden. „Wird es sehr schlimm für dich sein, ohne ihn zu feiern?“

„Schlimm? Nein, ganz und gar nicht“, antwortete Genevieve mit fester Stimme und betrachtete kritisch das Blumenarrangement. Sie ging nicht weiter darauf ein, und Bella fiel plötzlich auf, wie wenig sie ihre Großmutter eigentlich kannte.

Bis vor fünf Monaten war sie für Bella nichts weiter als eine elegante, zurückgezogen lebende alte Dame gewesen, die während ihrer gesamten Ehe immer still an Edward Lawrence’ Seite gestanden hatte – im Schatten seiner eindrucksvollen Persönlichkeit.

Erst seit Bella auf ausdrücklichen Wunsch ihres Bruders Miles in das Haus am Wilton Square eingezogen war – nach der Sache mit Dan Nightingale – hatte sie den Menschen hinter der makellosen Fassade von Genevieve Delacroix kennen und schätzen gelernt.

„Allerdings ist es eine Schande, dass deine Eltern nicht hier sein können“, fuhr ihre Großmutter fort und zupfte an ein paar glänzenden, dunkelgrünen Blättern herum. „Deine Mutter hat heute Morgen angerufen und berichtet, es hätte nachts größeren Aufruhr gegeben. Offenbar ist die diplomatische Situation zu angespannt, als dass dein Vater jetzt ausreisen könnte.“

Bella schämte sich für die Erleichterung, die sie verspürte. Nachdem sie es gewohnt war, ein eher unscheinbares Mitglied innerhalb der dynamischen, erfolgreichen Lawrence-Familie zu sein, erstickte sie die unwillkommene Aufmerksamkeit, die ihr nach der Angelegenheit mit Dan Nightingale zuteilwurde. Und vor einem Treffen mit ihren Eltern hatte sie die größten Bedenken gehabt. Miles machte ihr mit seinen Vorhaltungen schon genug zu schaffen.

„Sie müssen wahnsinnig enttäuscht sein“, murmelte Bella schuldbewusst.

Genevieve zuckte mit den schmalen Schultern. „Du kennst doch die Männer der Familie Lawrence, chérie. Die Arbeit kommt immer zuerst. Aber ich wage zu behaupten, wir werden auch ohne sie gut zurechtkommen. Und? Hast du dich schon entschieden, was du heute anziehen möchtest?“

Bellas Augen leuchteten auf. „Ich habe mir dieses kurze seidene Etuikleid auf dem Portobello Market gekauft. Es ist knallrot mit schrillen pinkfarbenen Blüten am Saum und goldenen Verzierungen …“ Voller Begeisterung sprudelten die Worte aus ihr heraus, und mit den Händen versuchte sie, das Modell in der Luft nachzumalen. „Es geht ungefähr bis hier. Natürlich ist es nicht so kurz, dass es billig wirken würde. Es hat tief angesetzte kleine Ärmel und so einen süßen Stehkragen im Nacken.“

„Das klingt toll, Liebes.“

„Ja.“ Bella machte eine kurze Pause. „Allerdings, wenn ich es mir richtig überlege, wäre es vielleicht doch besser, ich würde mir dein kleines Schwarzes von Armani borgen.“

Fragend hob die ältere Dame ihre Augenbrauen. „Darf man fragen warum?“

„Ich glaube, dass es Miles lieber wäre … Ach, ich weiß auch nicht. Vielleicht sollte ich mich einfach etwas zurückhalten. Nach allem, was geschehen ist …“

Energisch riss Genevieve ein geknicktes Blatt ab und drehte sich auf dem Absatz zu ihrer Enkelin um. „Bella, ma chère, du kannst dein Leben nicht damit verbringen, den Erwartungen deines Bruders zu entsprechen.“

Bella lächelte schief. „Natürlich nicht. Andererseits bringe ich mich auf diese Art vielleicht nicht gleich wieder in Schwierigkeiten. Schließlich habe ich lautstark darauf bestanden, mein eigenes Leben führen zu dürfen. Und du weißt ja, wohin mich das gebracht hat.“

„Du hast einen Fehler gemacht“, sagte Genevieve milde. „Was ist so schlimm daran?“

Unwillkürlich fröstelte Bella. „Schlimm war, dass es beinahe einen Skandal gegeben hätte, durch den Papa und Miles ihre Jobs hätten verlieren können. Und ich will Miles das Leben nicht noch schwerer machen, als ich es ohnehin schon getan habe. Für ihn stehen die Wahlen vor der Tür, und da kann er wirklich keine Schwester gebrauchen, die sein geordnetes Leben auf den Kopf stellt.“

„Aber, chérie, dies ist eine private Party zu meinem Geburtstag, keine Wahlkampfveranstaltung für Miles. Du kannst tragen, was du willst.“

„Ich weiß. Trotzdem musst du zugeben, dass einige deiner Freunde ziemlich einflussreich sind. Deswegen finde ich, ich sollte mich so weit wie möglich im Hintergrund halten.“ Sie lachte kurz auf. „Wahrscheinlich wäre es das Beste, ich würde überhaupt nicht kommen.“

Ohne es zu bemerkten, zerrupfte Bella ein heruntergefallenes Palmenblatt in ihren Händen.

„Hör auf damit, Bella!“

„Entschuldige. Es ist ja nicht so, dass ich nicht gern auf deiner Feier dabei wäre. Aber du musst zugeben, dass meine Anwesenheit ein gewisses Risiko darstellt“, erklärte Bella mit einem schiefen Lächeln. „Selbst Ashley, als PR-Genie und wirklich gute Freundin, hätte ihre liebe Mühe, aus einer abgebrochenen Kunststudentin und therapiebedürftigen Verkäuferin einen politischen Verkaufsschlager zu zaubern.“

„Oh, Bella“, seufzte Genevieve traurig. „Du hast so viel Talent. Wenn du das doch nur sehen könntest.“

„Für Kunst vielleicht“, gab Bella nüchtern zurück. „Das ist alles. Und dieser Weg ist ziemlich schmal geworden, seit …“

Ihre Großmutter fiel ihr ins Wort. „Nein, nicht nur für Kunst. Du hast Mitgefühl, kannst Menschen einschätzen und hinter ihre Fassaden blicken. Du hast Liebe in dir.“

Bellas Lachen klang bitter. „Miles würde das eher als mein Problem und nicht als Talent bezeichnen.“

„Nein! So etwas darfst du dir niemals einreden lassen!“

Der harte Unterton in Genevieves Stimme ließ Bella aufhorchen.

„Ich werde nicht dabei zusehen, wie du dein Glück wegwirfst, um deiner Familie zu gefallen“, fuhr die alte Dame eindringlich fort und zog ihre Enkelin fest an sich. „Bitte, chérie, sag mir, dass du so etwas nie tun wirst! Mach nicht den gleichen Fehler wie ich!“

Als der Wagen an dem Sicherheitsposten vorbei durch das Eingangstor am Wilton Square glitt, schienen die Geräusche und das geschäftige Treiben der Stadt zu verstummen. Olivier hatte das Gefühl, in eine verzauberte Welt einzutauchen. Unter den dunklen Silhouetten der Bäume im Hauptgarten schimmerte das elfenbeinfarbene Anwesen von Genevieve Delacroix in warmem Licht. Aus den geöffneten Fenstern drang Musik hinaus in die stickige Abendluft. Die Party war seit ungefähr einer Stunde im Gang. Olivier hatte diesen Zeitpunkt sorgfältig gewählt, um sich so unauffällig wie möglich unter die Gäste mischen zu können.

Die riesige schwarze Eingangstür wurde ihm von einem uniformierten Butler geöffnet, und Olivier reichte ihm stumm seine goldumrandete Einladungskarte. Die hatte er über einen Bekannten organisiert, der ihm noch einen Gefallen schuldete. Der Butler nickte knapp und wies Olivier höflich an, das Geschenk, das er im Arm hielt, auf einem Tisch in der Eingangshalle abzustellen. Nachdem Olivier das Gemälde Le Manoir St Laurien, das er behutsam wieder in seinen Rahmen gefügt hatte, losgeworden war, folgte er dem diffusen Stimmengemurmel durch das Haus.

Im geräumigen Wohnzimmer wimmelte es nur so von Staatsministern, einflussreichen Prominenten und altem Adelsgeschlecht. Im großen Salon spielte eine Liveband auf, und die allgemeine Stimmung war recht locker und angenehm. Dies ist also die Welt von Bella Lawrence, dachte Olivier, während er sich von der Tür aus einen ersten Überblick verschaffte. Luxuriös, extravagant, exklusiv … Ohne Zweifel nahm sie diese Umgebung als selbstverständlich hin, weil sie in jene Kreise hineingeboren worden war.

Unbewusst suchte er nach einem ganz bestimmten Gesicht in der Menge von Politikern und TV-Größen. Nur das unerwartete Verlangen, das er verspürte, als er sie endlich sah, machte ihn leicht nervös.

Sie trug ein schlichtes, schmales schwarzes Kleid, das ihre Figur eher verbarg als betonte, und wirkte auf ihren hohen Hacken etwas unsicher, als sie mit einem Tablett voller Kanapees auf eine kleine Menschengruppe zusteuerte.

Das Gesicht wurde von ihren dunklen Haaren umrahmt, fast verdeckt, aber die starre Haltung ihrer Schultern verriet, dass sie ganz sicher nicht lächelte.

Dies war doch ihre Welt. Warum wirkte sie dann so deplatziert?

„Kaviarhäppchen?“, hörte er sie murmeln und beobachtete, wie ein bekannter Fernsehjournalist nach dem Tablett griff, ohne sie dabei anzusehen oder sein Gespräch zu unterbrechen.

Aus schmalen Augen starrte Olivier sie an.

Warme Wellen, sandige Strände, an denen sich Nachrichtensprecher aalen, denen ich ein Tablett mit Kaviarhappen auf den Kopf schlage …

Mit einem eisigen Lächeln setzte Bella ihren Weg fort und fragte sich im Stillen, wie bald sie sich in ihr Zimmer zurückziehen konnte, um dort ein gutes Buch zu lesen. Nachdem sie kaum jemand beachtete, konnte sie ihrer Meinung nach eigentlich jederzeit unbemerkt verschwinden.

Weiter hinten im Raum hörte sie Miles’ Stimme, wie er selbstsicher und mondän vor sich hin tönte. Wieder einmal fragte sie sich, warum die Gene so ungerecht verteilt waren. Wie konnte er derart selbstbewusst sein, obwohl Bella sich noch keinen Tag in ihrem Leben so gefühlt hatte? Mit gesenktem Kopf drehte sie ihm den Rücken zu und hoffte, auf diese Weise zu verhindern, dass er auf sie aufmerksam wurde und sie irgendjemandem vorstellen wollte.

„Ah, Bella, das bist du ja! Ich habe gerade von dir gesprochen.“

Ihr Herz überschlug sich beinahe vor Schreck. Trotzdem setzte sie eine freundliche Miene auf und wandte sich ihrem Bruder zu.

„Dies ist meine kleine Schwester Bella“, verkündete er und zwinkerte dabei dem Mann zu, der direkt neben ihm stand. Er kam Bella vage bekannt vor. „Benannt nach der Suffragette Christabel Pankhurst.“

Der Mann nahm sich ein Kanapee und lächelte höflich. „Natürlich. Und als Mitglied der geschätzten Familie Lawrence machen Sie ihrer Namensvetterin bestimmt alle Ehre.“

Bellas Miene wurde starr. Aber ja, absolut, wollte sie sagen. Ich bin die Erste aus meiner Familie, die völlig versagt hat und eine echte Aussteigerin ist. Und während sie noch darüber nachgrübelte, wie man einen solchen Satz möglichst salonfähig formulieren konnte, schaltete sich die attraktive Brünette an Miles’ Seite ein.

„Bella ist die Künstlerin in der Familie, Herr Premierminister. Sie ist unglaublich talentiert. Und obwohl Miles der Hang zur Kunst fehlt, hege ich die Hoffnung, unsere zukünftigen Kinder könnten mit ein wenig künstlerischer Begabung gesegnet sein.“

Der Premierminister! dachte Bella bestürzt. Kein Wunder, dass er ihr so bekannt vorkam.

Sie warf der Frau, die sie in Schutz genommen hatte, einen dankbaren Blick zu. Ashley McGarry war Miles’ Verlobte. Eine fantastische Frau, die ihre eigene PR-Agentur besaß, und so ziemlich das netteste Wesen war, das Bella kannte. Was ein Segen war, da ihre Perfektion und Vollkommenheit sonst schwer zu ertragen gewesen wäre.

„Auf welchen Bereich der Kunst haben Sie sich denn spezialisiert?“, wollte der Premierminister wissen.

Bella wand sich. „Ich bemale Möbel.“

Der Premier schien überrascht. Ganz offensichtlich hatte er etwas anderes erwartet, und wieder kam ihr Ashley zur Hilfe. „Bella hat einen der beneidenswertesten Berufe in ganz England. Sie arbeitet in einem entzückenden Geschäft in Notting Hill, das mit französischen Antiquitäten und dergleichen handelt.“ Mit einem strahlenden Lächeln wandte sie sich an Bella. „Ich war gerade vor ein paar Tagen dort, um nach dem herrlichen Spiegel zu schauen, aber Celia hatte ihn schon verkauft. Das war eine riesige Enttäuschung.“

„Keine Sorge“, beruhigte Bella sie. „Die Zwillinge ihrer Tochter kommen bald zur Welt, deshalb übernehme ich im Herbst die Einkaufstour nach Frankreich. Wenn ich mich auf den Märkten in Paris und der Umgebung umsehe, werde ich nach einem vergleichbaren Stück für dich Ausschau halten.“

Miles blickte auf. „Du fährst nach Frankreich, Bella? Ganz allein?“

Mit einem Mal war die Atmosphäre zum Zerreißen gespannt. Ashley legte zwar eine Hand auf Bellas Arm, sagte jedoch nichts. Und Bella spürte einen unbehaglichen Schauer über den Rücken rinnen. Wie konnte ihr Bruder nur so einen Ton anschlagen. Und dann auch noch vor dem Premierminister persönlich?

„Ja, Miles“, sagte sie etwas kleinlaut und sah auf den Boden. Dann straffte sie die Schultern. „Ich komme schon zurecht.“

„Darüber reden wir später.“

„Nicht nötig. Ich habe gesagt, ich fahre, und damit ist es eine beschlossene Sache.“

Mit bemüht guter Laune wandte Miles sich wieder an den Minister. „Meiner Schwester … ging es eine Weile nicht gut. Sie erholt sich noch und sollte unter Beobachtung bleiben.“

Es war zu demütigend. Ständig versuchte Bella, das Geschehene zu vergessen, was unmöglich war, solange jedermann sie mit genau dieser Sache in Verbindung brachte. Sprachlos vor Wut wirbelte sie herum, hielt das Tablett wie eine Waffe vor ihre Brust und prallte gleich beim ersten Schritt gegen einen Mann, der gerade auf sie zugehen wollte.

Wie in Zeitlupe sah sie die Kanapees durch die Luft segeln und um sie herum zu Boden regnen. Das Tablett war einen Sekundenbruchteil schmerzhaft zwischen ihr und dem Mann eingeklemmt. Zutiefst erschrocken kniete Bella sich auf den Boden, um die Häppchen aufzusammeln und so schnell wie möglich den Schaden zu begrenzen.

Der Mann hockte sich dicht neben sie.

„Ist schon gut“, murmelte sie, ohne hochzusehen. „Bitte machen Sie sich keine Umstände. Ich erledige das hier.“

„Lassen Sie es!“

Seine Stimme war tief, leise und hatte einen französischen Akzent. Außerdem schien er verärgert zu sein.

Verwundert hob sie den Kopf und schnappte verblüfft nach Luft, als sie in die dunklen Augen des Fremden blickte, der ihr im Auktionshaus begegnet war.

„Wie bitte? Ich verstehe nicht ganz“, wisperte sie heiser. „Was machen Sie denn hier?“

„Sie entführen.“ Er nahm ihr das Tablett aus der Hand, stellte es zur Seite und half Bella behutsam auf die Füße.

Ihr war bewusst, dass Miles hinter ihr stand und sich darüber ärgerte, wie sie sich zum Idioten gemacht hatte – wieder einmal. Aber Bella konnte es ihm noch nicht einmal verübeln. Immerhin stand sie über und über mit Kaviar beschmiert einen Meter neben dem Premierminister, einer der wichtigsten, berühmtesten und einflussreichsten Persönlichkeiten ihres Landes.

Und vor dem bestaussehenden Mann auf diesem Planeten!

Ohne Vorwarnung schossen heiße Tränen in ihre Augen, doch bevor sie die Wangen hinunterrinnen konnten, nahm der Fremde ihr Kinn in eine Hand und sah Bella tief in die Augen.

„Oh, nein, meine Hübsche! Du wirst jetzt nicht weinen!“, befahl er, bevor er für einen Moment seinen warmen, festen Mund auf ihren presste.

Im ersten Augenblick versteifte Bella sich, doch dann rückten die Stimmen und die Musik in den Hintergrund, zusammen mit der erniedrigenden Szene vor dem Premierminister. Sie befand sich in einer dunklen, geheimen Welt, die nur Herzen, Küsse und Hände kannte …

Nach einer Sekunde, einer Minute oder auch einer Ewigkeit ließ er von ihr ab, legte eine Hand auf ihren Rücken und bewegte seine Lippen dicht an ihrem Ohr.

„Okay, chérie, und jetzt lächle und gehe zur Tür!“

Sie öffnete den Mund, um zu protestieren, doch er legte einen mahnenden Finger auf ihre weichen Lippen.

„Kein Wort!“, murmelte er heiser. „Nicht jetzt. Danken kannst du mir später.“

Olivier folgte ihr durch den überfüllten Raum.

Ihm fiel auf, dass sie schon wesentlich gerader ging und den Kopf ein Stück höher trug. Ihre Hüften hatten einen schon fast provokativen Schwung. Kurzum, ein Funke des Feuerwerks, das er am Vortag im Auktionshaus erleben durfte, war zurückgekehrt.

Durch einen einzigen Kuss. Mon dieu, was könnte er alles mit ihr in einer ganzen Nacht anstellen?

Allein die Vorstellung zauberte ein leises Lächeln auf seine sonst regungslose Miene. Er hatte bereits beschlossen, dass eine gekonnte Verführung von Genevieve Lawrence’ Enkelin die geeignete Rache war, um eine alte Rechnung zu begleichen. Und wenn Olivier danach gehen konnte, was er gerade eben beobachten durfte, würde diese Aktion so süß werden, dass man sie kaum noch als kalte Rache bezeichnen konnte.

Wie es wohl sein mochte, die Haut einer französischen Adeligen zu berühren, was seinem Vater verwehrt geblieben war? Eine derart unbezahlbare Perle zu besitzen … die Tochter der Delacroix-Dynastie … und sie dann fortzuwerfen, als wäre sie vollkommen wertlos? Konnte das wiedergutmachen, was damals geschehen war?

Vor dem Eingang zum Wohnzimmer blieb Bella stehen und drehte sich zu Olivier um. Rote Flecken leuchteten auf ihren Wangen, und ihre klaren Augen hatten einen beinahe fiebrigen Glanz.

„Danken?“, herrschte sie ihn an. „Dafür soll ich dir auch noch dankbar sein?“

Alle Förmlichkeit war vergessen, als sie an sich herunterschaute. Der Kaviar schimmerte dunkel auf der blassen Haut ihrer Arme und ihres reizvollen Dekolletés. „Aber klar! Körperbemalung mit Kaviar steht mir fantastisch!“

Olivier grinste animiert. Sie mochte es sarkastisch gemeint haben, dabei hatte sie sogar recht. Bella sah einfach zum Anbeißen aus. „Glaub mir“, sagte er gedehnt und verzichtete ebenfalls auf eine förmliche Anrede. „Das ist allemal besser, als öffentlich von einem Bastard erniedrigt zu werden, der dich wie ein kleines Kind behandelt.“

„Was geht es dich an?“, fuhr sie dazwischen. „Das war mein Bruder!“

„Und deswegen darf er dich so demütigen?“, erkundigte Olivier sich kühl.

„Es liegt an seinem Beschützerinstinkt. Er ist eben …“ Bella brach ab und schüttelte verwirrt den Kopf. „Ich weiß wirklich nicht, was das alles mit dir zu tun haben soll.“

„Ein derart selbstherrliches Verhalten missfällt mir. Also, wo ist dein Zimmer?“

„Warum?“

Nachdenklich betrachtete er sie. Mit ihren blitzenden Augen wirkte sie einfach hinreißend, und er konnte nicht umhin, sie für ihr Temperament zu bewundern. Der Gedanke, sie in naher Zukunft zu verführen, wurde zunehmend reizvoller. „Weil ich Menschen, die ihre Position ausnutzen, um andere zu unterdrücken, nun mal nicht mag“, erklärte er, worauf Bella laut auflachte.

Es war ein hohes, helles Lachen, das die Spannung durchbrach. „Davon habe ich gar nicht gesprochen. Ich meinte, warum willst du wissen, wo mein Zimmer ist?“

„Weil ich finde, du solltest dieses Kleid ausziehen.“

Sofort wurde ihr Gesicht wieder ernst.

Ganz vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, fuhr er mit einem Finger über ihr Dekolleté und leckte anschließend den Kaviar von seiner Fingerspitze ab.

Zitternd atmete sie durch. „Oben“, murmelte sie erstickt. „Im ersten Stock.“

„Dann erlaube mir …“ Bevor sie protestieren konnte, nahm er ihre Hand und führte sie die Treppe hinauf. Obwohl sie ihm bereitwillig folgte, schien es unter der anscheinend glatten Oberfläche gefährlich zu brodeln. Dieses reiche, junge Mädchen war offensichtlich sehr gut erzogen. Trotzdem konnte all die Etikette das Feuer in ihrem Inneren kaum verhehlen.

Genau wie bei ihrer Großmutter, der originalen Dame de la Croix.

Im ersten Stock angekommen, gingen sie über einen dicken Teppich den Flur entlang. Dann öffnete Bella eine Tür, die in ein hübsches Zimmer führte, in dessen Dachschräge riesige Fenster eingesetzt waren. Auf der Türschwelle drehte sie sich zu Olivier um.

„Warte!“, sagte sie bestimmt. „Ich weiß überhaupt nichts von dir. Ich kenne noch nicht einmal deinen Namen.“

„Olivier Moreau.“ Geflissentlich streckte er seine Hand aus und fügte ironisch hinzu: „Millionenschweres Stadtjüngelchen.“

Dafür wurde er mit einem amüsierten Lächeln belohnt, das allerdings gleich wieder verschwand. „Du sagtest, ich würde damit nur teilweise richtigliegen. Wer bist du also wirklich?“

„Ich bin Fondsmanager.“

„Und was bedeutet das genau?“

Einen Moment lang zögerte er. „Ich kaufe und verkaufe … Dinge.“

„Was für Dinge?“

Er zuckte die Achseln. „Alles Mögliche. Meistens sind es komplexe Anlagen, eher undefinierbare Sachen. Regen, Luftqualität, Vertrauen …“

„Auch das Erbe anderer Menschen?“, fragte sie bissig.

Er nahm diese Anspielung mit einem Kopfnicken hin. „Exakt. Solange es sich als gewinnbringende Investition erweist. Was könnte ich dir sonst noch über mich erzählen? Ich bin Franzose, lebe aber seit vier Jahren hauptsächlich in London. Ich bin Kunstsammler, nicht verheiratet und habe auch keine Kinder. Gibt es noch mehr, das du wissen möchtest?“

„Zum Beispiel, warum du heute hier bist.“

Während Bella ihr Zimmer betrat, blieb er ruhig stehen und lehnte sich gegen den Türrahmen. Er wollte sie nicht bedrängen oder unnötig unter Druck setzen. Das war gar nicht nötig.

„Ich wollte dich wiedersehen“, erklärte er schlicht.

Ohne ihn anzusehen, blieb sie vor ihrem Kleiderschrank stehen und mühte sich mit den Knöpfen ihres Kleides ab. Dabei neigte sie den Kopf nach vorn und präsentierte ihm ihren schmalen Nacken in der Farbe zarter Lilienblüten. „Wozu?“

Ihre Offenheit kam unerwartet, aber genau das gefiel Olivier an ihr. Ganz langsam durchschritt er das Zimmer und kämpfte gegen das Begehren, das immer stärker wurde. Entschlossen atmete er durch und hob die Hände, um ihr mit den Knöpfen im Rücken zu helfen. Dabei ärgerte er sich darüber, wie wenig seine Libido sich um Familiengeschichte und Loyalität scherte.

Bella zuckte nur kurz zusammen, blieb aber stumm, während er für sie die winzigen Satinknöpfchen öffnete.

„Ich wollte dir geben, was dir rechtmäßig zusteht“, antwortete er.

„Das Gemälde?“ Ihr Kleid rutschte wie von selbst von ihren schmalen Schultern, und Bella hielt es wie einen Schutzschild vor ihre Brüste, als sie sich zu Olivier umdrehte. Ihre Haut schimmerte im Mondlicht, und er hatte Mühe, sich auf das Gespräch mit Bella zu konzentrieren.

„Selbstverständlich.“

Mit ihren hochhackigen Schuhe und dem ruinierten Kleid sah sie unendlich verführerisch aus. Doch der kalte Klang ihrer Stimme zerstörte dieses Bild im gleichen Moment.

„Nein, danke.“

Schnell verbarg er seine Überraschung und blickte Bella ausdruckslos an. „Warum nicht? Du sagtest, es wäre das Haus deiner Großmutter. Wenn dem so ist, solltest du das Bild bekommen.“

„Es ist zu teuer.“

Mit einem neugierigen Gesichtsausdruck trat er auf sie zu. Dass eine Frau ein Geschenk ablehnte, weil es zu teuer war, kam ihm so vor, als würde ein Fisch auf dem Trockenen das rettende Aquarium ablehnen, weil es ihm zu nass war. Olivier war fasziniert.

„Gestern war es dir noch egal, wie viel das Bild wert ist.“

„Stimmt“, gab sie zu. „Nur darum geht es jetzt nicht mehr. Du bist Geschäftsmann, Olivier Moreau. Um erfolgreich zu sein, musst du den jeweiligen Markt gut kennen und einschätzen können. Glaub nur nicht, dies alles …“ Sie machte eine ausladende Handbewegung und hätte dabei um ein Haar einen unanständig großen Teil ihrer zauberhaft weichen, hellen Haut entblößt. „Na ja, es bedeutet auf jeden Fall nicht, dass ich eine verwöhnte, reiche Prinzessin bin.“ Nachdrücklich schüttelte sie den Kopf. „Ich kann nur hoffen, dass du in deinem Job eine bessere Menschenkenntnis an den Tag legst, denn deine Einschätzungen über mich sind vollkommen falsch. Es macht keinen Unterschied, wie gern ich das Gemälde besitzen würde, da ich es mir so oder so nicht leisten kann.“

Sie stockte, und in ihrem Blick schienen Ärger und Leidenschaft miteinander zu kämpfen. Einen Augenblick lang sagte keiner von beiden ein Wort. Man hörte nur die gedämpfte Musik der Band aus dem Untergeschoss und Bellas angestrengten Atem.

„Eine große Rede“, bemerkte er schließlich trocken. „Trotzdem völlig unnötig. Ich sagte, ich will es dir geben – einfach so.“

„Warum solltest du das tun?“

Diese Frage hing eine Weile unbeantwortet im Raum, und Olivier wurde klar, dass ihre scheinbare Feindseligkeit von einer tief verwurzelten Unsicherheit rührte. Und woher die kam, war nicht schwer zu erraten, nachdem er den Auftritt ihres großen Bruders miterlebt hatte.

Behutsam schob er einen Träger ihres Kleids, der heruntergerutscht war, wieder zurück auf die Schulter. Dabei achtete er peinlichst darauf, ihre nackte Haut nicht zu berühren. Trotzdem überlief Bella ein leichter Schauer.

„Du willst es“, sagte er, so als wäre das Erklärung genug. Dann betrachtete er sie nachdenklich und registrierte das aufflackernde Feuer in ihren Augen. Wie er erwartet und beabsichtigt hatte, dachte sie bei seinen Worten offenbar längst nicht mehr an das Bild.

Um sein triumphierendes Lächeln zu verstecken, drehte er sich um und durchquerte lässig das Zimmer. „Ich habe es unten auf den Tisch gestellt. Hoffentlich gefällt es deiner Großmutter“, setzte er hinzu und schloss leise die Tür hinter sich.

Während er langsam die Treppe hinunterging, zählte er jede einzelne Stufe. Wie lange würde es wohl dauern, bis sie hinter ihm hereilte?

Oder sollte sie tatsächlich warten, bis er unten angekommen war?

Für Bella kam es natürlich nicht infrage, Olivier zu folgen.

Als er schließlich durch die Haustür ins Freie trat, ohne dass Bella ihm gefolgt war, verwunderte und amüsierte ihn dann doch ihr Durchhaltevermögen. Sie reizte ihre Grenzen tatsächlich aus. Ohne Eile ging er über die Auffahrt auf seinen Wagen zu, den sein Chauffeur hinter den Luxuskarossen der übrigen Gäste geparkt hatte. Gerade als er den Türgriff berührte, hörte er hinter sich das Klicken ihrer Absätze auf dem Pflaster und lächelte in sich hinein.

„Warte! Bitte warte noch!“

Er setzte eine fragende Miene auf und drehte sich zu Bella um.

Sie war in ein grelles, kurzes Seidenkleid geschlüpft, das wild um ihre schlanke Gestalt schwang, als sie hastig auf ihn zulief. Die Verwandlung von dem verbindlichen, pflichtbewussten Mädchen, das er auf der Party gesehen hatte, zu dieser strahlenden Schönheit war einfach atemberaubend. Als hätte man Bella endlich wieder Leben eingehaucht.

Atemlos blieb sie vor ihm stehen.

„Es tut mir leid, wie misstrauisch und zynisch ich mich verhalten habe“, keuchte sie. „Das liegt wahrscheinlich an den schlechten Erfahrungen, die ich in letzter Zeit machen musste. Dabei vergisst man schnell, dass es auch gute Menschen gibt. Entschuldige bitte und vergib mir diesen Patzer!“

„Entschuldigung angenommen“, sagte er freundlich. Dann hob er eine Augenbraue. „Gibt es sonst noch irgendetwas?“

„Ja.“ Sie hob das Kinn und trat dicht an ihn heran. Bellas Augen glänzten wie Diamanten und spiegelten ihre aufgewühlten Gefühle wider. „Ich habe mich noch nicht bedankt.“

Damit stellte sie sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Sie schwankte leicht in ihren hohen Schuhen, und automatisch schloss Olivier seine Arme um sie, als ihre warmen Lippen seine Haut berührten.

Er ließ sie nicht gleich wieder los. „Dafür nicht“, brummte er ein wenig spöttisch. „Deiner Ansicht nach stand dir das Bild ja ohnehin zu.“

Bella lachte kurz auf und trat einen Schritt zurück. „Gut, dann eben nicht nur für das Gemälde. Du hast mich aus einer unangenehmen Situation gerettet und meinem Bruder gezeigt, dass ich kein kleines Kind mehr bin.“

Er sah zu der Reihe hell erleuchteter Fenster hinauf, die von schmiedeeisernen Balkongittern umsäumt waren. Auf einem dieser Balkone stand Miles und sah zu ihnen hinunter. Olivier verspürte ein Gefühl von Triumph, als er den ärgerlichen Ausdruck auf dem Gesicht des anderen Mannes bemerkte.

„Es war mir ein außerordentliches Vergnügen …“, murmelte er steif.

Bella, die seinem Blick gefolgt war, fragte sich unwillkürlich, an wen dieses Statement in erster Linie gerichtet war.

„Er macht sich ganz einfach Sorgen um mich“, versuchte sie zu erklären. „Unglücklicherweise verläuft zwischen Sorge und unnötiger Kontrolle nur ein schmaler Grad, ganz besonders, wenn es um mein Liebesleben geht. Natürlich ist kein Mann gut genug für seine kleine Schwester.“

Unwillkürlich schnürte sich Oliviers Kehle zu. Nicht gut genug!

Die Zeiten hatten sich inzwischen geändert. Das war eben der Lauf der Dinge.

Aber Miles Lawrence hielt offenbar an den überholten, elitären Prinzipien seiner Vorfahren fest. Und eben diese Prinzipien hatten Julien Moreaus Leben ruiniert.

„Ganz der fürsorgliche große Bruder …“, murmelte Olivier grimmig, und Bella zuckte zusammen, als er mit seinem Handrücken ihr Gesicht streichelte. „Na, dann wollen wir ihn auch nicht enttäuschen, oder?“

Ihre Augen weiteten sich, als ihr klar wurde, was das bedeutete. Jetzt konnten sie gemeinsam ein Exempel statuieren. Sie ließ zu, dass Olivier ihr Gesicht zu ihm anhob und ihren Mund mit seinen Lippen verschloss. Dann spürte sie seine Zungenspitze, und ein Kribbeln rührte sich in ihrer Magengegend.

Wie selbstverständlich schob sie ihre Hände unter sein Jackett und konnte so Oliviers Wärme und seinen starken Herzschlag fühlen. Er hatte einen festen, kräftigen Körper – überraschend muskulös – und roch einfach herrlich nach maskulinem Aftershave. Bella schmolz regelrecht dahin, eingehüllt in das fahle Licht des Wohnhauses und in die gedämpften Geräusche der warmen Augustnacht. Die Band spielte gerade eine ruhige, verträumte Melodie, und Bella schwang unbewusst unter Oliviers Händen ihre Hüften im Takt dazu.

Sie war erfüllt von einem sehnsüchtigen Begehren, so ruhig und unaufhaltsam, als wäre die Befriedigung der Lust durch nichts und niemanden mehr abzuwenden. Die Panik, die Bella noch vor wenigen Momenten empfunden hatte, war völlig verschwunden. Plötzlich interessierte es sie nicht mehr, was ihre Familie von ihr dachte oder was Miles dazu sagen würde. Vermutlich hielt er sie ohnehin für absolut verantwortungslos und unbelehrbar.

Olivier bewegte seine Lippen über ihre Wange zu ihrem Hals hinunter.

Was für ein herrliches Gefühl, sich unverantwortlich zu benehmen! dachte Bella verträumt und bekam eine Gänsehaut.

Unbeschwert gab sie ihren Impulsen nach und genoss jede einzelne Sekunde dieses zauberhaften Augenblicks.

„Oh.“ Enttäuscht blickte sie auf, als Olivier seinen Kopf hob und Bella sanft von sich schob.

Augenblicklich sehnte sich ihr Körper nach seiner Wärme und den leidenschaftlichen Küssen. Oliviers Gesichtsausdruck war nicht zu deuten, aber in seiner Stimme schwang ein amüsierter und fast triumphierender Ton mit. „Wir haben es ihm ganz schön gezeigt, was?“

Zuerst verstand sie ihn gar nicht, doch dann fühlte Bella heiße Röte in ihre Wangen steigen, als ihr klar wurde, dass er mit dieser Szene nur Miles hatte provozieren wollen. Sie ließ ein unsicheres Lachen hören und kämpfte verzweifelt gegen die Lust an, die sich wie ein riesiges Feuer in ihr ausgebreitet hatte.

„Ich bin mir nicht ganz sicher“, sagte sie herausfordernd. „Wie wäre es noch mit etwas Sex auf dem Rücksitz deines Autos? Nur um ganz sicherzugehen, dass er die Botschaft auch verstanden hat?“

Einerseits war Bella entsetzt über das, was sie gerade gesagt hatte, doch es war ohnehin zu spät, die spontane Herausforderung zurückzunehmen. Ihr Therapeut würde sicherlich einen Anfall bekommen, wenn er wüsste, wie sie sich aufführte.

Andererseits beschlich Bella langsam das Gefühl, sich eine unpassende Maske heruntergerissen zu haben, um endlich sie selbst zu sein. Und es fühlte sich unbeschreiblich gut an. Sie hatte es einfach satt, ständig unsichtbar zu sein. Sie wollte bemerkt und beachtet werden.

Oliviers Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. „Das würde meinem Fahrer bestimmt gut gefallen.“

Provozierend hob sie die Augenbrauen. „Ich meinte natürlich nicht mit ihm!“

Zuerst sagten beide nichts, dann begannen sie herzhaft zu lachen, und die Luft zwischen ihnen war gereinigt, wie nach einem Gewitter. Hinter ihnen im Haus ertönte Applaus, da die Band zu spielen aufgehört hatte – danach Stille.

Oliviers Augen waren so dunkel, dass es praktisch unmöglich war, einen Unterschied zwischen Pupille und Iris zu erkennen. Die Band stimmte ein neues Lied an, und Bella ließ verträumt ihre Hand an Oliviers Revers hinuntergleiten.

Mit ernster Miene fing er ihre Hand ein, und eine Weile blieben sie schweigend voreinander stehen und sahen sich nur erwartungsvoll an. Bella verschränkte ihre Finger mit seinen, und dann tanzten sie. Olivier legte seinen Arm fest um ihre Taille und presste Bella sanft gegen seine Hüften, während sie sich zur Musik bewegten.

Das Geräusch ihrer Absätze auf dem Pflaster hallte über den Vorplatz des Landhauses und die leere Straße hinunter. Über ihnen erstreckte sich der dunkelblaue Nachthimmel, und die Geräusche der Stadt schienen meilenweit entfernt zu sein. Für Bella gab es nur die Melodie der Band und die ruhige, starke Ausstrahlung des Mannes, der sie in seinen Armen hielt.

Er besitzt das regloseste Gesicht, das ich je gesehen habe, überlegte sie. Seine Schönheit überdeckt einfach alles wie ein Schutzschild. Wie wohl der Mann hinter dieser Maske aussieht?

„Ich muss gehen.“

Seine abrupte Ankündigung riss sie aus ihren Gedanken. Er ließ sie los und wandte sich zum Gehen.

„Warum denn? Wo willst du hin?“

„Ich muss einen Empfang im Tate besuchen. Für die kommende Ausstellung habe ich ein Bild gestiftet, und heute ist eine erste private Präsentation. Leider konnte ich nicht absagen.“ Er machte eine Pause und betrachtete Bella abschätzend. „Aber du kannst mitkommen, wenn du willst.“

„Ich kann nicht. Meine Großmutter … immerhin ist es ihre Geburtstagsfeier.“

Sie brach ab, als Miles plötzlich auf den Eingangsstufen des Hauses erschien. „Bella, komm sofort wieder rein!“, rief er schon von Weitem und schickte ein nervöses, aufgesetztes Lachen hinterher. „Dieses Kleid ist nicht gerade dafür geeignet, um hier draußen herumzustehen. Du wirst dir noch den Tod holen.“

Oliviers Blick ruhte immer noch auf ihr, und Bella konnte das herausfordernde Funkeln in seinen Augen deutlich erkennen. Sie sah zu Miles hinüber, dessen angespanntes Gesicht im Lichtschein der Fenster gut zu erkennen war, dann schaute sie erneut Olivier an und ließ seine kraftvolle Aura auf sich wirken. Genevieves Worte vom Morgen kamen ihr wieder in den Sinn.

Ich werde nicht dabei zusehen, wie du dein Glück wegwirfst, um deiner Familie zu gefallen. Mach nicht den gleichen Fehler wie ich!

Ihre Großmutter würde es verstehen.

Zögernd machte Bella einen Schritt auf Olivier zu und ergriff seine Hand, um sich selbst Mut zu machen. „Ich würde sehr gern mitkommen.“ Er nickte kurz, und weil sie sich zu Miles umdrehte, entging Bella der triumphierende Ausdruck auf Oliviers Gesicht.

3. KAPITEL

„Ich bin froh, dass du deine Meinung geändert hast.“

Olivier schaute stur geradeaus. Bella schien sich in die letzte Ecke ihres Autositzes gedrängt zu haben. Stocksteif saß sie da, die zitternden Hände zwischen die Knie gepresst.

„Ich denke, Miles sieht das ganz anders. Ich werde ihm später einiges zu erklären haben.“

Die unbeschwerte Sinnlichkeit, mit der Bella sich ihm eben noch hingegeben hatte, war verschwunden. Stattdessen nahm Olivier eine seltsame Starre an ihr wahr – wie schon zuvor auf der Party –, die ihn irritierte und ärgerte.

„Wieso?“

„Er macht sich aufrichtige Sorgen um mich.“

Olivier biss die Zähne zusammen. „Natürlich …!“ Seine Stimme troff vor Sarkasmus. „Ich bin nicht gut genug, um seine kleine Schwester auszuführen.“

Verlegen schüttelte sie den Kopf. „Nein, es ist nicht nur das. Es ist, weil ich …“ Hastig biss sie sich auf die Unterlippe.

„Erzähl weiter!“, drängte er.

„Ach, nichts.“ Sie drehte den Kopf und sah aus dem Fenster, sodass Olivier ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte. „In der Vergangenheit habe ich ihm wirklich Grund zur Sorge gegeben“, gestand sie. „Und der gute, alte Miles musste mich retten und den Scherbenhaufen hinter mir aufräumen.“

„Was ist mir deinen Eltern? Wo leben sie?“

„Mein Vater ist Diplomat. Momentan ist er in Kairo tätig, aber meine Eltern haben schon immer im Ausland gelebt. Und da Miles neun Jahre älter ist als ich, hat er automatisch die Beschützerrolle übernommen.“

Ungeduldig trommelte Olivier mit seinen Fingern auf das mit Leder bezogene Lenkrad. Beschützerrolle. So nannte man das also! Seiner Ansicht nach war Miles lediglich der Nachfahre einer Generation von arroganten Bastarden und behandelte seine Schwester wie sein Eigentum. Wie ein Objekt ohne eigene Rechte, eigene Gefühle oder eine eigene Meinung.

Tiefer Abscheu schnürte seinen Hals zu, heiß und bitter, bevor ihm die Ironie der Situation bewusst wurde. So etwas nannte man wohl „mit den eigenen Waffen geschlagen zu werden …“

Vor der Galerie staute sich bereits eine Autoschlange, und der Chauffeur musste abrupt bremsen. Dabei stieß Bella leicht gegen Olivier, und er streckte automatisch einen Arm aus, um sie zu stützen. Ihr Körper fühlte sich durch die dünne Seide ihres Kleids überraschend heiß an.

Sobald der Wagen hielt, sprang Olivier hinaus, ohne darauf zu warten, dass Louis ihm die Tür öffnete. Sofort sah er sich in einem Blitzlichtgewitter. Wie üblich ignorierte er die aufdringlichen Paparazzi und drehte sich um, damit er Bella eine Hand reichen konnte. Ihr Gesicht wirkte unsicher und angespannt, und Olivier konnte sich nicht gegen einen plötzlich aufflammenden Beschützerinstinkt wehren. Schnell zog er sie eng an seinen Körper und schirmte ihr Gesicht mit einer Hand gegen die Blitzlichter ab, während er sich mit Bella durch die Meute der Fotografen drängelte. Dabei spürte er ihren heftigen Herzschlag durch das feine Material ihres Kleides.

Allmählich sah er sich selbst in der Rolle des rettenden Helden, anstatt sich auf seine Rachepläne zu konzentrieren. Vielleicht sollte er seinen Bentley gegen eine schillernde Rüstung und ein weißes Ross eintauschen.

In der mit Marmor ausgelegten Eingangshalle ließ er Bella sofort los. Insgeheim war er froh, von ihrem warmen, pulsierenden Körper Abstand zu gewinnen. Es bestand kein Zweifel, dass ein erotisches Rencontre mit ihr das pure Vergnügen werden würde. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, zuerst in ihre Familienprobleme hineingezogen zu werden. Er wollte Bella gar nicht näher kennenlernen. Das fügte einer glasklaren, schwarz-weißen Angelegenheit nur unnötig viele, verwirrende Grauschattierungen hinzu …

Zwischen ihren Familien gab es noch eine alte offene Rechnung, die beglichen werden musste. Und Bella würde ein Teil der Lösung sein, so einfach war das. Sie zu besitzen und dann fallen zu lassen, als wäre sie ein Niemand, war eine Transaktion, wie er sie – zumindest im Business – jeden Tag durchführte.

Außerdem durfte er nie vergessen, dass sie kein weiteres Opfer der selbstherrlichen Lawrences mit ihren widerwärtigen Vorurteilen war, sondern eine von ihnen.

Daran musste er sich stets erinnern. Und daran, was diese Familie seinem Vater angetan hatte. Er musste diese Gelegenheit, die das Schicksal ihm vor die Füße gelegt hatte, beim Schopfe packen. Und das einzige Gefühl, das Olivier sich in dieser Hinsicht gestatten würde, war Genugtuung, sobald er seinen Plan vollendet hatte.

Bella blinzelte im hellen Licht der riesigen Halle. Der ganze Abend hatte traumähnliche Dimensionen angenommen, nichts kam ihr mehr real vor. Zudem ging alles so wahnsinnig schnell. Zuerst fielen ihr die Kanapees vom Tablett, die sie den prominenten Gästen servieren sollte, und im nächsten Augenblick brannte sie mit einem ihr fremden Mann durch – weg von der Party, von ihrem Zuhause und ihrer Familie.

Und dieser Unbekannte gab ihr das Gefühl, endlich sie selbst zu sein, mehr als es die Menschen, die Bella eigentlich am besten kennen sollten, jemals getan hatten. Plötzlich sehnte sie sich zurück in Oliviers Arme, wollte gegen seine harte Brust gepresst werden, aber er entfernte sich bereits von ihr und durchquerte die Halle.

Hungrig schaute sie ihm hinterher und bewunderte seine breiten Schultern und die schmalen Hüften. Es kostete Bella einige Mühe, ihren Blick loszureißen und sich etwas umzusehen.

Der achteckige Raum war voller Besucher: ältere, wohlhabende Damen, die ihre üppigen Erbstücke zur Schau stellten, bis hin zu angesagten Prominenten und auffällig modisch gekleideten, exzentrischen Künstlern. Die ganze Szenerie wirkte wie eine Seite aus einem Klatschmagazin, von Zauberhand zum Leben erweckt. Plötzlich verunsichert, zupfte Bella mit zitternden Fingern ihr auffallendes Kleid zurecht.

Auf dieser Veranstaltung war Schwarz die dominierende Farbe, und Bella wünschte sich unwillkürlich zurück in das Kleid von Armani, das nur leider zu diesem Zeitpunkt mit Kaviar bekleckert auf dem Fußboden ihres Schlafzimmers lag. Ihre Errungenschaft vom Portobello-Markt kam ihr vor diesem Hintergrund ziemlich grell, kurz und dürftig vor.

Mit zwei Champagnergläsern in den Händen kehrte Olivier zu ihr zurück und schien nicht zu merken, dass ihm beinahe jedes Paar Augen im Saal folgten. Andererseits war die allgemeine Aufmerksamkeit nicht gerade überraschend: Für Bella war Olivier mit Abstand der attraktivste Mann, den sie jemals zu Gesicht bekommen hatte. Außerdem umgab ihn eine beeindruckend starke, selbstsichere Aura, die ihr schon während der Auktion aufgefallen war.

Der Champagner kribbelte auf ihrer Zunge. Inmitten der anderen Leute hatte Oliviers Nähe einen wesentlich stärkeren, berauschenden Effekt auf Bella als der Alkohol. Sie spürte noch genau, wo Olivier sie vor wenigen Minuten berührt hatte, so als hätte er durch die Seide Abdrücke auf ihrer Haut hinterlassen.

Hastig nahm sie noch einen Schluck aus ihrem Glas, aber ihre Hand zitterte inzwischen so stark, dass es selbst Olivier auffiel. Beruhigend schloss er seine Hand um ihre Finger.

„Alles okay?“, erkundigte er sich.

Sie nickte und lief rot an. „Ich bin zwar vollkommen falsch angezogen, aber das ist ja auch egal.“

Seine Miene blieb reglos. „Finde ich überhaupt nicht. Du bist perfekt gestylt. Deine Ausstrahlung und deine Schönheit sollte man nicht hinter zu viel schwarzem Stoff verstecken. Also, Kopf hoch und lächeln!“

Ein angenehm warmes Kribbeln machte sich in ihrer Magengegend breit. Ausstrahlung und Schönheit. Das klang genau nach der Person, die sie sein wollte.

„Das bringt nichts“, sagte sie lachend. „Ich trage nicht einmal Lippenstift.“

In diesem Moment drängelte sich jemand hinter Bella vorbei und stieß sie dabei ein Stück nach vorn, sodass Oliviers Hand versehentlich ihre Brust streifte. Augenblicklich versteifte sich Bella, und ihre Lockerheit schlug um in heißes Begehren.

„Sieh mich an!“, verlangte Olivier mit rauer Stimme, und Bella gehorchte ohne zu zögern.

Er küsste sie mit einer vertrauten Intensität, als wären sie seit Langem ein Paar und ganz allein auf dieser Welt. Die Gäste um sie herum waren vergessen, als er von Bella abließ und mit dem Daumen fest über ihre Lippen rieb, als wäre es eine Geste der Zärtlichkeit.

„So, jetzt siehst du aus, als würdest du Lippenstift tragen.“

„Danke.“ Um ihre Lust und ihre Verlegenheit zu überspielen, trank sie eilig noch einen Schluck. In Oliviers Nähe fühlte sie sich sexy, willig und erschreckend unberechenbar … „Jetzt sollten wir uns vielleicht mal die Bilder ansehen“, schlug sie vor.

Er nickte zustimmend. „Ich nehme an, du bist schon einmal hier gewesen?“, fragte er und legte schützend einen Arm um ihre Schultern.

„Aber ja. Es ist sogar einer meiner liebsten Orte. Allerdings war ich noch nie nachts hier.“ Bella legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die majestätische Kuppel über ihnen. „Alles ist so anders …“

„Anders? Inwiefern?“

Weil ich mit dir zusammen bin, antwortete sie in Gedanken.

„Aufregender.“ Sie sah ihn direkt an. „Irgendwie intimer.“

Verwundert zog er eine Augenbraue hoch. „Intimer? Mit all diesen Leuten hier um uns herum?“

„Es liegt an der Dunkelheit. Im Dunkeln ist alles intimer.“

Auf wackligen Beinen folgte sie ihm durch die Menge. Teilweise mussten sie richtig aufpassen, nicht voneinander getrennt zu werden, und zum Glück ließ Olivier Bellas Hand nicht ein einziges Mal los. Endlich erreichten sie die Tür zu der langen Galerie. Hier war es schon entschieden ruhiger, und nur vereinzelte kleine Menschengruppen standen herum und bewunderten die ausgestellten Bilder.

„Ich habe mich noch gar nicht erkundigt“, begann Bella atemlos und strich mit beiden Händen über ihr Kleid. „Was ist das überhaupt für eine Ausstellung?“

„Sie heißt Fünfhundert Jahre nackter Haut“, erklärte er und schenkte ihr einen Blick, der ihr ebenfalls unter die Haut ging. „Es handelt von der Nacktheit in der Kunst.“

Bellas Augen weiteten sich, als ihr plötzlich auffiel, wie viele unbekleidete Gestalten als Figuren oder auf Bildern ausgestellt waren. Dieses Ambiente half ihr nicht gerade dabei, ihr Verlangen unter Kontrolle zu bringen.

Dicht an ihrem Ohr flüsterte Olivier: „Wo würdest du gern anfangen?“

Wieder so eine verlockende Zweideutigkeit, die Bella gequält aufstöhnen ließ. Was war nur los mit ihr? Sie hatte doch sonst nicht so hilflos auf männliche Aufmerksamkeiten reagiert.

Der Bann wurde gebrochen, als plötzlich eine Frau neben Olivier auftauchte, die einen Presseausweis um den Hals trug. „Monsieur Moreau? Bitte entschuldigen Sie! Könnten Sie mir wohl ein paar Fragen für eine Reportage beantworten, die ich für die Wochenendausgabe schreibe?“

Eilig nutzte Bella diese Gelegenheit, um allein ein wenig durch die Ausstellung zu schlendern und ihre Fassung wiederzuerlangen. Was gerade eben mit ihr geschehen war, zeigte deutlich, wie wenig sie sich im Griff hatte, wenn es um Olivier Moreau ging. Er gab ihr das Gefühl, als könnte sie die ganze Welt erobern. Seit jener Zeit, als sie noch nicht das Geringste über Sex wusste, hatte Miles ihr vermittelt, es wäre etwas Beängstigendes und Gefährliches.

Aber seit heute hatte sie keine Angst mehr davor, was mit ihr geschehen könnte, wenn sie ihrer Leidenschaft nachgab. Endlich fühlte Bella sich durch und durch lebendig. Sie begehrte Olivier Moreau – das war schlicht eine Tatsache.

Miles und ihr Therapeut hatten unrecht. Verlangen zu empfinden war weder erschreckend noch ungesund. Es hatte etwas mit Stärke und nicht mit Schwäche zu tun. Man musste nicht die Kontrolle über sich verlieren, man konnte die Kontrolle sogar übernehmen, wenn man nur mutig genug war.

Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie Olivier sich noch immer mit der Reporterin unterhielt, während eine kleine Menschengruppe unter fröhlichem Gelächter den Gang entlangkam. Eine Stimme fiel Bella besonders auf, und sie sah interessiert in die Richtung.

Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht, und plötzlich erschien es ihr unmöglich, auch nur einen weiteren Atemzug zu tun. Ein paar Schritte neben ihr stand Dan Nightingale.

Olivier war mit seiner Geduld am Ende. Die paar Fragen hatten sich zu einem tiefschürfenden Interview ausgeweitet, und dafür war er nicht gerade in Stimmung. Es fiel ihm leicht, die unterschiedlichen Bereiche seines Lebens voneinander getrennt zu halten und sich vollkommen und total auf seine jeweiligen Aufgaben zu konzentrieren. Und er wollte keine bedeutungslosen Fragen zu seiner Sammlung von Kunstgegenständen des Zwanzigsten Jahrhunderts beantworten, während er im Stillen nur daran dachte, wie er Bella – die am anderen Ende des Raums stand – ihr aufregendes Seidenkleid von den Schultern ziehen würde.

Gestern auf der Straße und auch noch heute auf der Feier hatte er sie als verwöhnte Göre abgestempelt. Doch inzwischen war er eines Besseren belehrt worden. In kostbare Seide gehüllt wirkte ihre aristokratische Perfektion nicht mehr abstoßend, sondern anziehend und wahnsinnig verlockend. Es brachte ihre Leidenschaft zum Vorschein und verlieh ihr einen Hauch von Boheme, der absolut unwiderstehlich war.

Oder vielleicht war es auch gar nicht dieses Kleid. Möglicherweise war sie es die echte Bella Lawrence. Eine junge Frau, die von ihrer steifen, konventionellen Familie unterdrückt wurde. Sie erinnerte Olivier an einen Schmetterling, den jemand so fest in seiner Faust hielt, dass die wunderschönen, farbenfrohen Flügel zerquetscht und unbrauchbar wurden. Trotzdem wollte das Tier fliegen.

„Also, Monsieur Moreau. Können Sie mir etwas über Ihre letzte Anschaffung verraten?“, fragte die Journalistin mit einem hingebungsvollen Augenaufschlag.

Er dachte an das Gemälde, das er gestern gekauft hatte. Das Haus von St Laurien und das versteckte Bild darunter. La Dame de la Croix hätte hier zwischen all den Meistern ohne Schwierigkeiten einen Platz einnehmen können.

Hätten die Dinge anders gelegen …

Seine Antwort fiel angespannt aus. „Über derartige Details möchte ich im Augenblick nicht sprechen.“

Die Frau nickte und warf einen scharfen Blick hinüber zu Bella. „Vielleicht könnte ich ihr ein paar Fragen stellen? Sie ist übrigens sehr hübsch.“

Sein Gesichtsausdruck wurde finster, als er sich Bella zuwandte und sah, wie sie sich mit einem blonden, jungen Mann unterhielt. Er trug die typische Kluft eines Langzeit-Kunststudenten: einen schrecklich geschnittenen, schlecht sitzenden schwarzen Anzug und ein halb offenes schwarzes Hemd.

Etwas an der Art, wie er sich halb über Bella lehnte und ihr so nahe kam, als wäre das eine Selbstverständlichkeit, störte Olivier.

„Ich habe nichts weiter zu sagen“, brummte er und entließ die Reporterin mit einem kaum merklichen Kopfnicken. Dann ging er an ihr vorbei auf Bella und den blonden Mann zu.

Auf den zweiten Blick konnte man den Kerl kaum als Mann bezeichnen. Es war eher ein hübscher, blonder Bengel – etwas skurril und nichtssagend, obwohl Bella das offensichtlich anders einschätzte. Die Augen, die vor wenigen Minuten noch schmachtend auf Olivier gerichtet waren, starrten nun mit der gleichen Faszination in das Gesicht dieses … Jungen.

Autor

India Grey
India Grey liebte schon als kleines Mädchen romantische Liebesgeschichten. Mit 13 Jahren schrieb sie deshalb das erste Mal an den englischen Verlag Mills & Boon, um die Writer's Guidelines anzufordern. Wie einen Schatz hütete sie diese in den nächsten zehn Jahren, begann zu studieren … und nahm sich jedes Jahr...
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