Julia Collection Band 84

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

ZURÜCK AUF DER INSEL DER LIEBE von PARV, VALERIE
Einst brach er ihrer Schwester das Herz: Romain, Vicomte de Aragon. Jahre schon verachtet Restauratorin Kirsten den berüchtigten Playboy allein deswegen, obwohl sie ihm selbst nie begegnet ist. Da tritt er ihr unvermittelt bei einer Führung im Inselschloss entgegen …

MASKENBALL AUF DER INSEL DER LIEBE von PARV, VALERIE
Beim Maskenball auf dem Inselschloss entdeckt Prinzessin Giselle ihren Traummann. Nachtschwarzes Haar hat er, und seine Augen hinter der Maske sind so intensiv blau, dass sie ihr Innerstes prickelnd berühren. Doch um Mitternacht ist der Fremde spurlos verschwunden …

HAPPY END AUF DER INSEL DER LIEBE von PARV, VALERIE
Nur eine standesgemäße Braut darf auf den Thron von Carramer - Prinz Maxim weiß, was für eine Frau ihm der Champagner-Pakt vorschreibt. Bis bei einem Interview die sehr schöne - aber sehr unadelig eingestellte - Journalistin Greta sein ganzes Denken ins Wanken bringt …


  • Erscheinungstag 21.08.2015
  • Bandnummer 84
  • ISBN / Artikelnummer 9783733703400
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Valerie Parv

JULIA COLLECTION BAND 84

MINISERIE VON VALERIE PARV

Der Champagner-Pakt

Zurück auf der Insel der Liebe

Wie kann sie es wagen? Bloß, weil er sich unangemeldet unter ihre Touristen mischt, heißt das doch nicht, dass Kirsten Bond ihn nun ungeniert als ortskundigen Fremdenführer präsentieren darf! Gerade erst zurückgekehrt auf die Insel, würde Romain, Vicomte de Aragon, der offenbar neuen Schlossangestellten sofort kündigen – fände er sie nur nicht so anziehend …

Maskenball auf der Insel der Liebe

Eine unmögliche Liebe? Fasziniert flirtet Bryce auf dem Inselmaskenball mit Prinzessin Giselle. Sie kennt ihn nicht, nur er weiß sofort, wer sie ist. Aber so sehr sie sein Begehren weckt: Als Wildhüter kann er ihr als Adliger keine Zukunft bieten, glaubt Bryce. Darum verschweigt er ihr seine Identität und verschwindet, ehe die Masken fallen, in der Nacht …

Happy End auf der Insel der Liebe

Im marineblauen Seidenkleid, mit frechem Kurzhaarschnitt und den Kopf selbstbewusst erhoben – so betritt Greta West, die Moderatorin der Show „Hinter verschlossenen Türen“, das Inselschloss. Ihr Plan: Ein kritisches Interview zum Champagner-Pakt mit dem blaublütigen Hausherrn führen. Der will zwar erst nicht – hat aber gleich viel mehr Charme als gedacht …

1. KAPITEL

Kirsten Bond atmete tief durch und versuchte standhaft, den stummen Protest ihrer Füße gegen die neuen Schuhe zu ignorieren, die sie dummerweise angezogen hatte.

Zum Glück war dies die letzte Führung für heute, und so schenkte sie der Gruppe um sich herum ihr strahlendstes Lächeln. Nur noch fünfzehn Minuten! Sobald alle gegangen waren, würde sie in ihr Büro flüchten, die quälenden Dinger von den Füßen schleudern und sich mit einem kühlen Drink belohnen!

Selbst schuld! Energisch unterdrückte sie den Drang, vor Schmerz laut aufzustöhnen. Aber mit einem Meter sechzig Körpergröße war sie natürlich leicht zu überreden gewesen, als die Verkäuferin ihr versichert hatte, die zwölf Zentimeter High Heels der schicken schwarzen Sandalen würden Kirstens Beine optisch verlängern und unglaublich attraktiv aussehen lassen.

Trotzdem hätte sie die neuen Traumschuhe erst nach und nach in ihrer Wohnung einlaufen sollen, anstatt sie gleich während ihrer Arbeitszeit im Schloss zu tragen. Zumal sie hier den größten Teil des Tages stehend verbrachte.

Wie auch immer: Sie war nicht zimperlich und kam einigermaßen zurecht.

Bis … ja, bis sich dieser große, gut aussehende Mann ihrer Gruppe anschloss. An sich kein Vergehen, da die Führungen im Château Merrisand kostenfrei waren und es häufiger passierte, dass sich Nachzügler hinzugesellten.

Normalerweise nickte Kirsten ihnen freundlich zu und fuhr einfach in ihrem Vortrag über das Schloss und dessen wundervolle Kunstschätze fort. Alle waren Eigentum der Fürstenfamilie von Carramer. Doch Kirsten, wie die meisten Kunstkenner eine glühende Bewunderin der Sammlung, betrachtete sie insgeheim als ihre Schätze. Und deshalb erzählte sie gern, kompetent und voller Begeisterung davon.

Mit der Ankunft dieses speziellen Zuhörers stockte allerdings ihr gewohnt flüssiger Vortrag. Ihr Mund war plötzlich ganz trocken.

Was hatte Romain Sevrin hier zu suchen? Er kam nie ins Château Merrisand. Sonst hätte sie niemals in Erwägung gezogen, hier einen Job anzunehmen. Das letzte Mal hatte sie ihn auf einem Sportkanal gesehen, als er in einem Formel-1-Wagen mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf einer der europäischen Rennstrecken unterwegs war. Auf der Jagd nach Medaillen, die er mit der gleichen Leidenschaft und Energie sammelte wie Supermodels.

Warum er dabei so einen Erfolg hatte, konnte sie leicht nachvollziehen. Romain, oder Rowe, wie er von den meisten genannt wurde, war ein wahres Prachtexemplar von Mann. Groß, breitschultrig, auf eine raue Art ausgesprochen attraktiv, mit dunklem Teint und dichtem schwarzen Haar, wie es fast alle männlichen Mitglieder der Fürstenfamilie hatten.

Seine Augen, die er die ganze Zeit auf Kirsten gerichtet hielt, strahlten in einem tiefen Ozeangrün, unter dichten schwarzen Wimpern, um die ihn manche Frau beneidet hätte. Als er leicht den Kopf wandte, präsentierte er ihr ein arrogantes, klassisches Profil, das jeder antiken Statue zur Ehre gereicht hätte.

Kirsten selbst konnte keine der Supermodelqualitäten aufweisen, die seinen interessierten Blick gerechtfertigt hätten, der so intensiv und durchdringend war, als wolle er sich jedes winzige Detail ihrer Erscheinung einprägen.

Neben ihrer wenig spektakulären Größe war eigentlich nur ihr überschulterlanges glänzendes Haar bemerkenswert, das eine recht ungewöhnliche Farbe aufwies. Es leuchtete in einem lebhaften Rot, durchzogen von goldfarbenen Strähnchen, und wirkte dadurch wie tanzende Flammen. Sich selbst überlassen, strebten die widerspenstigen Locken in alle Richtungen, sodass Kirsten sie meist mit einer Spange im Nacken zusammenhielt, wobei ihr grundsätzlich die eine oder andere Strähne entwischte. Das ließ ihre Gesichtszüge noch feiner und zarter wirken, als sie es ohnehin waren. Große, silbergraue Augen komplettierten ihren ungewöhnlichen Look, den sie gern gegen blondes Haar und blaue Augen eingetauscht hätte.

Nach Aussage ihrer Freunde entsprach ihr Temperament durchaus ihrer feurigen Haarfarbe, was Kirsten selbst allerdings für eine bodenlose Übertreibung hielt. Okay, sie geriet vielleicht ziemlich schnell in Rage, wenn man sie über die Maßen reizte, doch normalerweise hatte sie sich ganz gut im Griff.

Wäre es anders, würde sie auf der Stelle von Rowe Sevrin Aufklärung darüber fordern, was er hier zu suchen hatte!

Denn es gab keinen Grund dafür, dass sich ein Vicomte de Aragon, der diesen Titel zwar selten benutzte, ihrer Führung anschloss, wenn er sich die Kunstschätze anschauen wollte, zwischen denen er aufgewachsen war.

Und selbst dann musste er sie nicht so unverschämt anstarren! Das vermittelte ihr den Eindruck, als sei er mehr an ihrer Person als an ihrem Vortrag interessiert. Aber warum?

Kirsten trat unbehaglich von einem Bein auf das andere, was nur eine neue Schmerzwelle auslöste, die von ihren armen Füßen bis ins Hirn ausstrahlte. Doch diesmal nahm sie es kaum wahr, weil sie durch ganz andere, verwirrende Emotionen abgelenkt wurde, die Romains eindringliche Inspektion in ihrem Innern auslöste.

Erst jetzt registrierte Kirsten, dass ihr Pulsschlag bedenklich in die Höhe schoss. Und die Raumtemperatur, die zum Schutz des kostbaren Interieurs gleichbleibend war, schien sich massiv erhöht zu haben. Kirsten widerstand der Versuchung, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen, da dieser sicher nur ein Produkt ihrer Einbildung war – ebenso wie die Interpretation von Romains unablässigem Starren.

Trotzdem! Was wollte er hier?

Einer der Besucher verlangte nach ihrer Aufmerksamkeit. „Betrifft die Legende ausschließlich Mitglieder der Herrscherfamilie?“

Mit Rowe als Zuhörer wünschte Kirsten, sie hätte diesmal auf die Merrisand-Legende verzichtet. Aber dazu war es zu spät.

Sie räusperte sich leise, um den Kloß in ihrem Hals loszuwerden. „Die Legende besagt, dass jeder, der dem Merrisand-Trust aufrichtig dient, seine wahre Liebe finden wird. Also betrifft es nicht ausschließlich das Adelsgeschlecht.“

Rowe schien diesen Teil ihres Vortrags ganz besonders aufmerksam zu verfolgen, deshalb mied Kirsten tunlichst seinen Blick und wandte sich einem Mann zu, der offenbar auch noch eine Frage loswerden wollte.

„Wie groß ist das Merrisand-Anwesen?“

Erleichtert stürzte Kirsten sich auf ein Thema, das ihr im Moment weit weniger verfänglich erschien. Dennoch konnte sie Rowe, wie sie ihn inzwischen auch für sich nannte, nicht ganz aus ihrem Bewusstsein verbannen. Er musste unauffällig an sie herangerückt sein, denn den maskulinen Duft dieses herben Rasierwassers, kombiniert mit etwas Frischem, Erdigem, hatte sie bisher nicht wahrgenommen.

Ich bilde mir das ganz sicher nur ein! rief sie sich zur Ordnung und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Der Raum, oder besser Prunksaal, in dem sie sich befanden, war über hundert Quadratmeter groß, mit einer unglaublich hohen, gewölbten Decke, da würde sich jedes Aroma sofort verflüchtigen. Und trotzdem verursachte ihr dieses Gemisch aus Sandelholz, Limone und etwas nicht Greifbarem eine wohlige Gänsehaut. Verärgert über sich selbst und ihre ausschweifende Fantasie strich Kirsten eine vorwitzige Strähne hinter ihr Ohr und räusperte sich.

„Als das Schloss im Jahre 1879 von Honoré de Marigny, dem ersten Marquis de Merrisand, erbaut wurde, umfasste der Grundbesitz etwa achthundert Hektar Hügelland, Waldflächen und kleine Farmen, die von Pächtern betrieben wurden. Über die Jahre und Jahrhunderte wuchs die Fläche auf sechzehn Millionen Hektar an, zu denen inzwischen ein großes Naturschutzgebiet gehört, um heimischen Tierarten einen möglichst natürlichen Lebensraum zu bieten. Das Emblem zum Schutz der Fauna findet sich auch im Familienwappen wieder.“

Honoré müsste Rowes Ur-ur-urgroßvater gewesen sein, hätte Kirsten am liebsten hinzugefügt, konnte sich aber gerade noch bremsen.

Der Fragesteller nickte nachdenklich und schien die Information erst einmal verdauen zu müssen. Dann meldete sich ein Mädchen im Teenageralter, das wie in der Schule die Hand hob und mit den Fingern schnipste.

„Wie sind Sie an diesen Job hier im Schloss gekommen?“

Das war eine ungewöhnliche Frage, doch Kirsten ließ sich nicht irritieren.

„Château Merrisand ist wie eine Stadt im Miniaturformat angelegt“, erklärte sie freundlich. „Mit Karrierechancen in vielerlei Hinsicht. Das reicht von der Landwirtschaft über Verwalterposten, von der Tierpflege über die Geschichtsforschung bis hin zum modernen Medienbereich. Am besten ist es, sich zuerst im Beruf seiner Wahl zu qualifizieren, dann in der Personalabteilung vorzusprechen und nach vakanten Stellen zu fragen.“

„Wollten Sie schon immer Fremdenführerin werden?“

Ohne hinzuschauen wusste Kirsten sofort, dass die Frage von Rowe kam. Trotzdem richtete sie sich mit ihrer Antwort an die gesamte Gruppe. Nur ihre Stimme hatte plötzlich einen leicht rauen Klang. „Ich bin nicht hauptberuflich als Fremdenführerin tätig, wie etliche unserer Mitarbeiter, sondern springe nur bei Bedarf ein. Meine Berufsbezeichnung lautet korrekt: Kunst-Kuratorin des Merrisand-Trustes. Ich habe Kunstgeschichte studiert, mit dem Schwerpunkt auf Restaurierung alter Substanz, und während des Studiums ein praktisches Semester im Château Merrisand absolviert. Als ich später erfuhr, dass jemand zur Betreuung der gesamten Kunstsammlung gesucht wurde, habe ich mich um die Stelle beworben und bin angenommen worden.“

„Einfach so …“, stellte Rowe halblaut fest.

Diesmal begegnete sie seinem Blick direkt, weil sie die unterschwellige Herausforderung in seiner Bemerkung nicht einordnen konnte. Was wollte er nur von ihr?

Kirsten beschloss, in die Offensive zu gehen. „Haben Sie damit ein Problem, Vicomte de Aragon?“

Wie beabsichtigt führte die Nennung seines Titels dazu, dass sich ihm schlagartig alle Köpfe zuwandten. Neugieriges Gemurmel brandete auf.

Rowes dunkle Brauen, die er angesichts ihrer Ansprache zusammengezogen hatte, bildeten eine harte, schwarze Linie. Sein gesamter Gesichtsausdruck erinnerte an eine Gewitterwolke kurz vor der Entladung.

Kirsten lächelte breit und wandte sich an ihre Gruppe. „Meine Damen und Herren, da wir heute das große Privileg genießen, ein Mitglied der Fürstenfamilie in unserer Mitte begrüßen zu dürfen, bietet sich Ihnen die Gelegenheit, ihm alle Fragen zu stellen, die Ihnen noch am Herzen liegen. Ich bin sicher, er wird sie ebenso kompetent wie gern beantworten. Nicht wahr, Eure Lordschaft?“

Nun gibt es kein Zurück mehr! dachte Kirsten schadenfroh. Sein sengender Blick, der Eis zum Schmelzen hätte bringen können, prallte wirkungslos an ihr ab. Oder doch nicht so ganz, musste Kirsten sich eingestehen, als sie spürte, dass ihr Blut plötzlich wie glühende Lava durch die Adern floss.

Aber wenn Rowe lieber inkognito geblieben wäre, hätte er sich eben nicht so weit aus dem Fenster lehnen dürfen!

„Liebend gern …“, log er dreist, und Kirsten hätte beinahe applaudiert für dieses Glanzstück an Schauspielkunst, obwohl in den meergrünen Augen eine unmissverständliche Warnung stand: Wir sprechen uns später!

Kirsten schluckte trocken und fragte sich, warum sie so heftig auf seine Provokation reagiert und ihn quasi bloßgestellt hatte. Es geschah durchaus ab und zu, dass Mitglieder der königlichen Familie auftauchten, während sie eine Führung veranstaltete. Und normalerweise respektierte sie deren Privatsphäre, wenn sie nicht eindeutig zu verstehen gaben, dass sie angesprochen werden wollten.

Nach ihrer Ermutigung hatte ihre Gruppe jedenfalls keine Scheu, Rowe für den Rest der Besichtigungstour mit Fragen zu löchern. Zwei junge Mädchen baten ihn sogar um ein Autogramm in ihrem Reiseführer.

Unwillkürlich fragte Kirsten sich, ob sie dabei eher an den Vicomte de Aragon oder an den Rennfahrer und Playboy dachten. Während er sich immer noch den Besuchern widmete, fühlte sich Kirsten zunehmend schlechter, weil sie ihn so unvorbereitet ins Rampenlicht gezerrt hatte. Dass sie ein Problem mit ihm hatte, gab ihr noch lange nicht das Recht dazu, ihn so zu behandeln. Und genau das würde sie ihm, verbunden mit einer Entschuldigung, mitteilen, sobald sie die Gelegenheit dazu bekam.

„Ich bin sicher, Sie alle sind dankbar für die Zeit und Aufmerksamkeit, die der Vicomte de Aragon uns geschenkt hat, aber ich denke, wir dürfen ihn nicht länger für uns beanspruchen. Die Führung ist hiermit offiziell beendet. Einige von Ihnen werden von Ihren Reiseleitern zum Bustransfer am Ostausgang erwartet, deshalb lassen Sie uns dem Vicomte für die interessanten Ausführungen danken …“

Durch die fantastische Akustik im Saal hallte der begeisterte Applaus von den Wänden wider, während Rowe höflich lächelte und eine elegante Verbeugung andeutete.

„Sobald Sie hier fertig sind, möchte ich Sie im Kuratoriumsbüro sehen“, raunte er Kirsten zu, als er an ihr vorbeiging.

Nicht dass es sie besonders überraschte nach ihrem Fauxpas, dennoch fiel es ihr schwer, die Fassung zu wahren, während sie die Teilnehmer der Führung um sich versammelte.

„Wenn Sie mir jetzt bitte folgen würden …“

Nachdem der letzte Besucher das Schloss verlassen hatte, machte sich Kirsten ohne Hast zunächst auf den Weg in ihr kleines Privatbüro. Was hätte sie darum gegeben, dort bleiben zu können und ihre schmerzenden Füße zu massieren. Doch diesen Genuss hatte sie sich leider selbst verbaut.

Rowe war Mitglied des Kuratorium-Vorstandes. Auch wenn er nicht an den regelmäßigen Sitzungen teilnahm, war er doch so etwas wie ihr Boss. Kirsten wusste, dass ihr Verhalten Kritik verdiente. Denn ihr persönliches Problem mit dem Vicomte de Aragon konnte ihr unprofessionelles Benehmen keineswegs rechtfertigen. Wenn sie doch nur den unangenehmen Auftritt bereits hinter sich hätte!

Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem Tag, an dem sie das erste Mal von Romain Sevrin gehört hatte …

Damals hatte sie gerade ihr praktisches Semester im Schloss angetreten und musste sich zudem auch noch um ihre jüngere Schwester kümmern. Beides war schwer zu vereinbaren gewesen und funktionierte nicht besonders gut. Doch wie sehr sie versagt hatte, erkannte Kirsten erst, als Natalie ihr eines Tages eröffnete, sie sei schwanger.

Kirsten wusste zwar, dass Nat sich öfter auf dem Autorennkurs bei den Angel Falls herumtrieb, wo sogar internationale Grand-Prix-Rennen stattfanden, doch sie hatte ihr plötzliches Interesse für den Rennsport als eine mädchenhafte Schwärmerei für heiße Typen in schnellen Autos abgetan.

Leider!

Seit dem Unfalltod der Eltern, als Kirsten gerade mal zwanzig war, hielt Nat ihr immer wieder vor, sie sei viel zu streng mit ihr. Außerdem ließ sie nie durchblicken, dass zu einem der Rennfahrer eine engere Beziehung bestand, und Kirsten war der Meinung, je weniger Widerstand sie dem launischen Teenager entgegenhielt, desto schneller würde der Spleen vorübergehen.

Sich nachträglich Vorwürfe zu machen, die Zügel nicht strenger angezogen zu haben, brachte dann auch nichts mehr.

Was allerdings ein weltgewandter Mann wie Rowe Sevrin, dazu noch Mitglied einer königlichen Familie, in einem blutjungen Mädchen wie Natalie gesehen hatte, war ihr ein Rätsel. Erst als sie versuchte, ihre Nat nicht mit schwesterlichem Blick, sondern ganz objektiv zu betrachten, bekam sie eine Ahnung davon.

Der frühe Tod der Eltern hatte sie beide schneller erwachsen werden lassen.

Die bereits gefestigtere Kirsten schlüpfte zwangsläufig in die Mutterrolle, während sich Natalie wie ein hübsches Füllen aufführte, das vor der Zeit auf die Weide gelassen wurde, und vor Unsicherheit und Übermut die verrücktesten Kapriolen veranstaltete. Viel zu früh kleidete, sprach und benahm sie sich wie ihre weit älteren Geschlechtsgenossinnen. Dazu setzte sie die unschuldige Koketterie und den mädchenhaften Charme ihres wahren Alters ein. Eine gefährliche Mischung, von der sich Männer leicht den Kopf verdrehen ließen.

Sogar Rowe Sevrin?

Natalie blieb eisern bei ihrer Version der Geschichte, und Kirsten sah keinen Anlass, ihr nicht zu glauben. Daher rührte ihre Verachtung und Wut auf den Vicomte und seine Rolle in dieser unglücklichen Affäre. Obwohl er damals selbst kaum älter als zweiundzwanzig gewesen sein konnte, hätte er sich auf jeden Fall erwachsener und verantwortungsvoller zeigen müssen. Denn trotz der gerade erreichten Volljährigkeit und ihrem erwachsenen Aussehen war Natalie nicht mehr als ein verletzlicher Teenager gewesen, der die Trauer um die Eltern noch nicht wirklich verarbeitet hatte.

Als Kirsten vorschlug, den Vicomte anzurufen und ihn von der Lage der Dinge zu unterrichten, führte ihre jüngere Schwester einen Tanz auf, der ihrer Unreife alle Ehre machte.

„Die meisten Frauen würden sich darum reißen, mit einem Mitglied der königlichen Familie liiert zu sein“, hatte Kirsten verwundert angeführt.

Doch Natalies Antwort kam völlig unerwartet und haute sie förmlich um. „Die meisten Frauen hätten ihm ja auch kein falsches Alter und einen falschen Namen genannt und dann noch behauptet, sie würden die Pille nehmen.“

Nur mit übermenschlicher Selbstbeherrschung und psychologischem Geschick war es Kirsten gelungen, ihrer Schwester den Rest der Geschichte zu entlocken. Wie es aussah, hatte Natalie versucht, sich unter falschem Namen den Zugang zur Siegesfeier des Rennteams zu erschleichen, zu dem auch der Vicomte gehörte.

Rowe hätte ihre lebhafte Verhandlung mit seinen Sicherheitsleuten von einer beschatteten Terrasse aus verfolgt, sich amüsiert eingemischt und selbst dafür gesorgt, dass sie bleiben konnte. Eigentlich wollte sie ihm nur dafür danken, da er ihr aber sehr deprimiert vorkam, begann sie ein Gespräch mit ihm, und irgendwann erzählte sie ihm von ihrem eigenen Unglück.

Er schlug Natalie vor, ihn später zum Dinner zu begleiten, und irgendwie verpasste sie die Gelegenheit, ihm doch noch ihren richtigen Namen zu nennen. Eins führte zum anderen … und dann war sie mit seinem Kind schwanger.

Wenn er jetzt davon erfahren sollte, würde er unter Garantie annehmen, sie habe ihn absichtlich in eine Falle gelockt, was absolut nicht ihre Absicht war, wie Nat beteuerte. Rowe sei ein ausgesprochen netter Typ, der ihr in ihrem Schmerz sehr geholfen habe und es nicht verdiene, jetzt die Quittung für den wundervollen Trost, den er ihr gespendet hatte, serviert zu bekommen.

Kirsten beurteilte die Affäre eher von der praktischen Seite her. Die Wahrheit musste dem werdenden Vater ja nicht gefallen, er sollte nur seinen Teil der Verantwortung übernehmen.

Doch als sie versuchte, ihn ans Telefon zu bekommen, wurde ihr kühl mitgeteilt, der Vicomte de Aragon weile inzwischen mit dem ganzen Rennzirkus längst im Ausland und sei in den nächsten Monaten auch nicht zu sprechen. Alle weiteren Versuche, ihn telefonisch zu erreichen, scheiterten tatsächlich. Deshalb besorgte sich Kirsten, die ja bereits im Château Merrisand arbeitete, seine postalische Adresse und zwang ihre Schwester, einen Brief zu schreiben. Zunächst weigerte sich Natalie rundheraus, dann gab sie schließlich nach, und der Brief wurde abgeschickt.

Doch eine Antwort erfolgte nie.

Dann hörten die Schwestern, dass Rowe den Rennsport aufgegeben habe und inzwischen eine internationale Event-Agentur betreibe. Dass er damit einen Bombenerfolg haben würde, bezweifelte Kirsten nicht im Geringsten. Mit seinen Verbindungen, dem Aussehen und der Energie? Ganz abgesehen von der königlichen Herkunft …

Wieder hatte sie versucht, ihre Schwester zu überreden, noch einmal zu versuchen, Kontakt zu ihm zu bekommen, doch diesmal blieb Nat standhaft und erklärte, sie wolle mit einem Mann, der es vorziehe, die Geburt seines Babys zu ignorieren, nichts zu tun haben. Und Kirsten hatte nachgegeben.

Leider zeigte sich Natalie auch als Mutter ebenso unzuverlässig und sprunghaft wie zuvor. Sobald das Baby, ein zauberhafter kleiner Junge, auf der Welt war, überließ sie ihrer großen Schwester den Hauptteil der Fürsorge und Arbeit, um erneut in die Rennszene einzutauchen. Sosehr Kirsten dieses Verhalten missfiel, war sie doch froh darüber, dass Rowe aus dieser verschwunden war und Nat nicht noch mehr mit seiner indifferenten Haltung verletzen konnte, als ohnehin schon geschehen.

Kirsten wusste, dass sie eigentlich hätte versuchen müssen, ihrer Schwester als Mutter des kleinen Jeffrey mehr Pflichterfüllung abzufordern, doch sie hatte nicht das Herz dazu. Nat hatte in ihrem jungen Leben bereits so viel erleiden müssen – erst den Verlust der Eltern, dann die Ignoranz und das mangelnde Interesse von Jeffreys Vater …

Sie hatte ihre Jugend gar nicht wirklich auskosten können. Und so tat Kirsten ihr Bestes, dem Baby die Mutter zu ersetzen, in der Hoffnung, Nat würde zu ihrer Verantwortung stehen, wenn sie sich erst ausgetobt hätte. Man musste ihr nur ein wenig Zeit lassen.

Wie sich dann tragischerweise herausstellte, war Zeit ein Faktor, der Natalie nur noch sehr begrenzt zur Verfügung stand. Bei einem Qualifikationsrennen machte sich ein Reifen selbstständig, flog über die Schutzbarriere in die Zuschauermenge und traf Natalie direkt am Kopf. Sie war sofort tot.

Jeffrey war zu diesem Zeitpunkt sechs Monate alt gewesen. Inzwischen hatte er bereits seinen sechsten Geburtstag gefeiert. Kirsten wusste nicht, wie sie den erneuten Verlust ohne ihn verkraftet hätte. Doch die Sorge um das mutterlose Baby lenkte sie von ihrem Kummer ab und half ihr, eine ganz neue Stärke zu entwickeln.

Um Jeffreys willen kämpfte sie sich durch die dunkle Zeit nach Natalies Tod und schaffte ihren Abschluss mit Auszeichnung via Fernstudium, als Jeffrey seinen ersten Geburtstag feierte. Obwohl er noch zu klein war, um es wirklich honorieren zu können, hatte sie ihm einen Kuchen gebacken, diesen mit Zuckerguss garniert und eine Kerze in die Mitte gesteckt. Ihre kleine Feier war allerdings überschattet von den Erinnerungen an ihre Lieben, die nicht mehr bei ihnen sein konnten.

Im Laufe der Zeit war Jeffrey ihre neue Familie geworden, ebenso wie Kirsten seine. Sie war die einzige Mutter, die er kannte, und sie liebte ihn wie ihr eigenes Kind.

Mit seinem Schweigen hatte Rowe in ihren Augen jedes Recht auf seinen Sohn verloren. Wenn er Nats Brief beantwortet oder wenigstens später auch nur einen Funken Interesse bekundet hätte, wäre sie verpflichtet gewesen, das Sorgerecht mit ihm zu teilen, aber darauf hatte er verzichtet, indem er sich nicht meldete.

Ob er überhaupt wusste, dass Natalie eine Schwester hatte, die nach ihrem Tod die Mutterrolle für sein Kind übernommen hatte? Selbst wenn er zu dem Zeitpunkt dem Rennzirkus bereits den Rücken gekehrt hatte, musste er doch von Natalies Tod in der Zeitung gelesen haben.

Aber wahrscheinlich hatte sie ihm nicht mehr bedeutet, als irgendein One-Night-Stand, obwohl Nat ihm doch noch ihren richtigen Namen im Brief genannt hatte. Würde er sich überhaupt an sie erinnern, bei der Menge von Frauen, die sein Leben streiften, ohne große Spuren zu hinterlassen?

Kirsten bezweifelte das ernsthaft und spürte, wie der altvertraute Groll auf den Comte de Aragon ihr Blut zum Sieden brachte. Und die Tatsache, dass die unverhohlene Bewunderung in seinen meergrünen Augen sie auch noch erregt hatte, obwohl er der letzte Mann auf Erden war, mit dem sie etwas zu tun haben wollte, machte sie nur noch wütender.

Als Mitglied des Vorstandes von Château Merrisand durfte er Respekt von ihr erwarten, aber dem Privatmann Romain Sevrin schuldete sie gar nichts!

Erst jetzt wurde Kirsten bewusst, dass sie bereits seit zwanzig Minuten, völlig den traurigen Ereignissen der Vergangenheit hingegeben, in ihrem Büro saß. Die mörderischen High Heels hatte sie zwar gleich von den schmerzenden Füßen gestreift, doch den Erfrischungsdrink wollte sie sich erst nach dem Treffen mit Rowe gönnen.

Da sie keine anderen Schuhe im Büro hatte, quälte sie sich wieder in die hochhackigen schwarzen Sandalen, wobei ihre Füße sich anfühlten, als würden sie von Tausenden von Nadelstichen malträtiert. Vorsichtig ging Kirsten zur Tür.

Sie hoffte nur, dass Rowe die Zusammenkunft nicht unnötig in die Länge zog, damit sie so bald wie möglich Jeffrey aus der Schlossschule abholen und mit ihm zusammen nach Hause gehen konnte.

Während die Chefkuratorin, Lea Landon, in Europa weilte, wo sie eine Wanderausstellung mit besonders kostbaren Exponaten aus der Adelskollektion betreute, lag die Hauptlast der Arbeit und Verantwortung auf Kirstens Schultern.

Wenn Rowe nur nicht ausgerechnet heute im Château Merrisand aufgetaucht wäre!

Aber kein Zeitpunkt wäre günstig, was diesen Mann betrifft, überlegte Kirsten auf dem Weg zum Kuratoriumsbüro. Seine Vergangenheit mit ihrer Schwester schloss von vornherein aus, dass sie ihm jemals unvoreingenommen gegenübertreten würde.

2. KAPITEL

Rowe Sevrin konnte sich nur mit äußerster Willensanstrengung davon abhalten, unruhig im Kuratoriumsbüro auf- und abzutigern.

Seine Reaktion auf die Frau, die Maxim ihm als Mitarbeiterin zugedacht hatte, war derart heftig, dass sie ihn völlig verwirrt und erschüttert hatte. Einziger Trost war, dass sein Cousin Maxim nicht mitbekommen hatte, wie diese Kirsten Bond, der er nie zuvor begegnet war, ihn vorgeführt hatte!

Sie war unbestreitbar attraktiv. Doch gerade während seiner Zeit als Rennfahrer hatten ihn Horden von Frauen belagert, die viel spektakulärer aussahen.

Aber diese Kirsten strahlte etwas aus, das er bei den konventionellen Schönheiten vermisst hatte. Vielleicht war es die spürbare Begeisterung für ihre Arbeit. Während sie sprach, hatte er sich kaum von ihren fein geschnittenen Zügen losreißen können, denn sie schien von innen heraus zu strahlen.

Da er selbst ein sehr leidenschaftlicher Typ war, berührte ihn diese hemmungslose Hingabe durchaus positiv. Nicht umsonst wuchs in ihm der Wunsch, diese Frau auszuführen und dazu zu bringen, ihre Leidenschaft mit ihm zu teilen – eine Vorstellung, die mehr als erregend war.

Rowe schüttelte instinktiv den Kopf. Hatte er sich nicht geschworen, sich auf keinerlei romantische Verwicklungen mehr einzulassen? Zu viele seiner Affären machten keinen Hehl daraus, mindestens ebenso auf den Titel der Vicomtesse versessen zu sein wie auf ihn. Und wenn er ehrlich war, hatte er es einfach satt, überflüssige Energie in Beziehungen zu stecken, die doch zu nichts führten. Mit neunundzwanzig Jahren hatte er die Hoffnung fast aufgegeben, doch noch eine Frau zu finden, die er lieben und respektieren konnte, eine befriedigende Ehe zu führen, Kinder zu bekommen … eben das volle Programm.

Nicht, dass er sich vorgenommen hatte, für den Rest seines Lebens im Zölibat zu leben! Jede zukünftige Beziehung würde eine rein physische sein. Ein Deal zur Befriedigung der körperlichen Gelüste, zum Nutzen beider Parteien. Glücklicherweise gab es gerade innerhalb der emanzipierten und erfolgsorientierten Weiblichkeit eine Menge aufgeklärte, intelligente und weltgewandte Vertreterinnen, die genauso dachten wie er.

Und wer weiß … vielleicht würde er auf dem Weg eines Tages sogar doch noch seiner Seelenverwandten begegnen. Bekam man nicht oft das, was man sich am brennendsten wünschte, genau dann, wenn man es am wenigsten erwartete?

Wie er von Kirsten Bond ausgerechnet auf dieses Thema gekommen war, konnte Rowe sich selbst nicht erklären. Eingedenk der Erbarmungslosigkeit, mit der sie ihn den Wölfen zum Fraß vorgeworfen hatte, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, schien sie ihm keine große Sympathie entgegenzubringen. Und erst recht nicht in die Kategorie einer Seelenverwandten zu gehören. Warum also mit ihr Zeit vertrödeln?

Weil sie ihn reizte! Ihn beunruhigte, provozierte und herausforderte. Deshalb!

Es lag nicht nur an ihrer spürbaren Energie. Auch ihr überwältigendes Selbstbewusstsein ließ einen vergessen, dass Kirsten Bond nicht mehr als eine kleine Angestellte des Château Merrisand war.

Sein Titel schien sie jedenfalls kein bisschen zu beeindrucken. Während er sich mit der Touristengruppe abquälte, war er überrascht gewesen festzustellen, dass er ihre Indifferenz, oder besser gesagt die gelinde Unverschämtheit, ihn in die Rolle eines Fremdenführers zu drängen, sogar als eine angenehme Abwechslung zur Anhimmelei ihrer Geschlechtsgenossinnen empfand. Und dabei war ihm durchaus bewusst, dass sie ihm nur in einen kleinen Winkel ihrer Persönlichkeit Einblick gegeben hatte.

Wenn er seine erwachte Neugierde befriedigen wollte, gab es wohl nur einen Weg, um herauszufinden, ob noch mehr Überraschendes hinter der spröden Fassade von Kirsten Bond steckte: Er musste sie näher kennenlernen …

Auf dem großen Schreibtisch stand ein eleganter Laptop. Rowe zog ihn zu sich heran und rief die interne Personaldatei auf. Nachdem er das Passwort eingegeben hatte, dauerte es nur Sekunden, bis Kirstens Datei auf dem Monitor erschien. Auf dem Bewerbungsfoto sah sie jünger aus und trug auch das rote Haar kürzer als heute. Es umrahmte das zarte Gesicht wie ein feuriger Heiligenschein. Sie wirkte unglaublich frisch und anziehend. Und irgendwie … unschuldig. Unberührt von den Verlockungen der Welt. Ein absoluter Kontrast zu den Frauen, mit denen er es für gewöhnlich zu tun hatte.

Rowe überflog ihre Personalakte und hielt automatisch den Atem an, als er bei der Zeile landete, die besagte, dass Kirsten Bond Mutter eines sechsjährigen Jungen sei.

Die Enttäuschung, die er bei der Vorstellung, sie könne verheiratet sein, empfand, überraschte Rowe nicht nur, sie ärgerte ihn. Was gingen ihn die Lebensumstände einer kleinen Angestellten an, die er heute zum ersten Mal sah?

Und wieso war er nicht gleich auf den Gedanken gekommen, dass es einen Mr Bond geben könnte? Der Akte nach war Kirsten siebenundzwanzig … sah nicht übel aus, also …?

Mit zusammengezogenen Brauen suchte er nach weiteren Indizien und wunderte sich über seine wachsende Aggression gegenüber einem Mann, von dem er bis dato nie etwas gehört oder gar gesehen hatte. Dabei sollte er doch froh darüber sein, dass Kirsten in festen Händen war. Wenigstens ersparte es ihm, darüber nachzugrübeln, welche Rolle diese beunruhigende Frau wohl in seinem Leben spielen könnte!

Doch schon in der nächsten Sekunde machte sein Herz einen unerwarteten Satz, als er in der Sparte für den Familienstand das Wort alleinstehend entdeckte.

Nicht verwitwet. Nicht geschieden.

Laut seinen Unterlagen war Kirsten Bond in Carramer geboren. Und hier, in diesem traumhaft schönen, aber sehr traditionellen und konservativen Inselstaat inmitten des Pazifiks, unweit der australischen Küste, war Scheidung immer noch nicht legalisiert. Also war der hübsche Rotschopf eine unverheiratete Mutter.

Rowe lehnte sich in seinem Stuhl zurück, strich sich gedankenverloren übers Kinn und versuchte, seine wirren Emotionen zu analysieren. Solange er noch dachte, Kirsten sei verheiratet, hatte es ihn in den Fingern gejuckt, ihrem Ehemann den Hals umzudrehen. Und wie fühlte er sich jetzt, da er wusste, dass sie frei war?

Die ungeheure Erleichterung über diese Tatsache nötigte ihm ein Schmunzeln ab. Sie war Single, also verfügbar. Und sie hatte ein Kind, deshalb musste er besonders darauf achten, ihr keine Hoffnungen auf eine feste Beziehung zu machen, sondern sie einfach von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen.

Und sollte ihm das nicht gelingen … dann war er nicht der Mann, für den er sich bisher gehalten hatte!

Ein leises Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Er schaffte es gerade noch, den Laptop zu schließen, bevor Kirsten unaufgefordert eintrat und womöglich ihr eigenes Konterfei auf dem Monitor sah!

Ihr misstrauischer Blick wanderte vom Computer zu seinem Gesicht und wieder zurück, sodass Rowe sich fragte, ob sie vielleicht doch noch etwas mitbekommen hatte. Ihre beherrschte Miene gab absolut nichts preis.

Sie war tatsächlich eine echte Herausforderung, diese Kirsten Bond …

Hatte Rowe gerade wirklich ihre Personalakte studiert? Kirsten ließ ihn keine Sekunde aus den Augen, während sie ihm gegenüber Platz nahm. Sie hätte schwören können, ihr Bewerbungsfoto auf dem Monitor gesehen zu haben, bevor er bei ihrem Eintritt mit verdächtiger Hast den Laptop zuklappte. Auch die kaum verhohlene Neugier, mit der er ihren Blick erwiderte, schien darauf hinzudeuten.

Aber warum? Sie hatten nichts miteinander zu tun. Es sei denn …

Kirsten schluckte trocken. Eine kalte Faust griff nach ihrem Herzen.

Es sei denn, er hatte herausgefunden, wer sie war, und wollte nun seinen Sohn von ihr fordern. Doch das würde nicht so einfach sein, wie er es sich vielleicht vorstellte. Kurz nach Jeffreys Geburt hatte ihre Schwester ein Testament aufgesetzt, in dem sie Kirsten im Falle ihres Todes als seinen Vormund bestimmte. Eine der wenigen Handlungen, mit denen Nat ihrem Baby gegenüber Verantwortung gezeigt hatte.

Ohne Gerichtsverfahren würde Rowe ihr den Jungen nicht wegnehmen können. Allein die Möglichkeit zu erwägen, ließ Kirsten schaudern. Sie war sehr sparsam und kam mit ihrem Gehalt ganz gut über die Runden. Aber einen Prozess inklusive Anwalts- und Gerichtskosten würde sie sich niemals leisten können.

Erst recht nicht mit einem Gegner, der nicht nur königlichen Geblüts, sondern auch noch überaus vermögend war! Und so … verflixt irritierend und anziehend.

Selbst jetzt, mit dem schwebenden Damoklesschwert über ihr, konnte sie sich seiner Ausstrahlung, die sie schon während der Führung ganz durcheinandergebracht hatte, nicht entziehen – sosehr sie sich auch darum bemühte.

Doch ihre eigene Familiengeschichte, ganz abgesehen von Rowes unglücklicher Rolle im Leben ihrer Schwester, sollte eigentlich Warnung und Abschreckung genug sein, sich mit einem Mann wie ihm einzulassen.

Egoistisch, wankelmütig und absolut rücksichtslos, wenn es um Frauen ging! Automatisch verglich sie Rowes weithin bekannte Attribute mit denen ihres Vaters.

Felix Bond … Künstler! Ebenso attraktiv und von umwerfendem Charme, den er bevorzugt vor blutjungen Frauen spielen ließ. Anfangs hatte Kirsten gedacht, ihre Mutter toleriere seine Affären nur um Natalies und ihretwillen, doch das erklärte nicht, warum sie auch noch bei ihm blieb, als ihre Töchter längst im Teenageralter waren. Hatte sie ihrem Mann wirklich geglaubt, wenn er ihr hoch und heilig schwor, sie sei die einzige Frau, die er liebe?

Möglich wäre es. Kirsten hatte sich ja auch über Jahre von ihm einwickeln lassen, hatte ihrem Vater geglaubt, wenn er darüber lamentierte, dass er mit seiner Kunst der Zeit einfach zu weit voraus war und deshalb kaum etwas verkaufte. Und natürlich hatte auch sie die Frage, ob er sein Talent etwa mit niederen Arbeiten gefährden solle, verneint.

Mit sechzehn sah sie die Sache ganz anders, als sie ihren heimlichen Wunsch, Schriftstellerin zu werden, aufgeben und die Schule verlassen musste, um mit für den Unterhalt der Familie zu sorgen. Es war ihr großes Glück, dass sie die Stelle als Rezeptionistin in einem Kunst-Auktionshaus bekam. Das brachte sie auf die Idee, eine Karriere als Konservatorin anzustreben.

Ihr Boss unterstützte Kirsten nach besten Kräften und machte ihr Mut, eine Abendschule zu besuchen. Außerdem gestattete er ihr, alle eintreffenden Exponate als Studienobjekte unter die Lupe zu nehmen.

Ihr Wunsch nach einer eigenen Wohnung wurde von ihrer Mutter boykottiert, die jammerte und sie anflehte zu bleiben, da sie allein nicht zurechtkomme.

So lebte Kirsten immer noch bei ihren Eltern, als sich an jenem folgenschweren Nachmittag ein furchtbarer Sturm zusammenbraute. Ihr Vater bestand darauf, von seiner Frau zu einer Galerie chauffiert zu werden, die einige Meilen entfernt lag. Er wollte unbedingt noch ein bestimmtes Werk in einer Ausstellung unterbringen, bevor der Laden schloss. Wie gewöhnlich setzte er seinen Willen durch. Auf dem Heimweg stürzte ein entwurzelter Baum auf das Auto der beiden und machte Natalie und Kirsten zu Vollwaisen.

Ironischerweise brachten Felix Bonds Werke nach seinem Tod doch noch so viel ein, dass Kirsten damit ihr Studium finanzieren konnte und inzwischen einen ausgezeichneten Ruf in der Kunstwelt genoss.

Damit hatte sie erreicht, was sie wollte, und brauchte ganz sicher nicht noch einen Mann wie ihren Vater, der ihr Leben nur unnötig komplizieren würde.

Doch selbst diese unliebsame Erinnerung half nicht gegen ihren rasenden Puls und das leichte Zittern in den Knien, als Rowe sie völlig unerwartet anlächelte.

„Ich muss mich noch bei Ihnen entschuldigen“, erklärte er zu ihrer Verblüffung.

Das wäre eigentlich mein Part gewesen, schoss es Kirsten durch den Kopf, eingedenk ihrer mehr als fragwürdigen Idee, den Vicomte de Aragon in die Rolle eines gewöhnlichen Fremdenführers zu drängen.

„Ich hätte mich Ihrer Gruppe nicht so einfach ohne Warnung anschließen dürfen. Meine Gegenwart hat Sie offensichtlich völlig aus der Bahn geworfen.“

Und das auf mehr als nur eine Weise! dachte Kirsten bei sich, hütete sich aber, es auch laut auszusprechen.

„Nicht so schlimm“, sagte sie leichthin. „Die Touristen haben es jedenfalls genossen, einem echten Vicomte in Fleisch und Blut zu begegnen.“

„Sie offensichtlich weitaus weniger.“

„Das war nicht persönlich gemeint, Eure Lordschaft“, entgegnete sie rasch.

„Wirklich nicht? Als ich mich zu der Gruppe gesellte, hatte ich das untrügliche Gefühl, Sie hätten lieber Jack the Ripper in Ihrem Kreis begrüßt als mich.“

Da sie es nicht wirklich leugnen konnte, senkte Kirsten den Blick auf ihre Hände. „Es ist das erste Mal, dass ich Sie persönlich treffe“, sagte sie langsam. „Und ich weiß nur sehr wenig von Ihnen.“ Zumindest das entsprach der Wahrheit. Aber anstatt es dabei bewenden zu lassen, ritt sie plötzlich ein kleines Teufelchen. „Doch nach dem, was ich weiß, könnten Sie durchaus Jack the Ripper sein, Eure Lordschaft.“

Zu ihrer Überraschung warf er den Kopf in den Nacken und lachte laut heraus. Der dunkle, warme Ton erschien ihr wie eine Liebkosung, und Kirsten spürte heiße Röte in ihre Wangen steigen.

„Sie haben eine sehr erfrischende Art, Kirsten! Ich weiß von Ihnen zwar auch nur wenig, aber eines steht fest: Ich will Sie!“

Ihre Röte vertiefte sich schlagartig. Nie zuvor hatte ihr jemand einen so unverblümten Antrag gemacht. Möglicherweise fielen ihm andere Frauen aufgrund seines Titels so einfach in die Arme, aber sie gehörte ganz bestimmt nicht dazu!

„Was immer Sie über mich zu wissen glauben, Sie liegen falsch“, sagte sie kalt.

Doch wenn Kirsten gehofft hatte, ihn damit in die Schranken gewiesen zu haben, sah sie sich bitter enttäuscht. Falls möglich, erschien Rowe noch amüsierter als zuvor. Die grünen Augen funkelten herausfordernd. „Wirklich? Dann gehören diese verführerischen Blicke, die Sie mir ständig zugeworfen haben, also zu Ihrem normalen Repertoire?“

„Ich habe Sie nicht verführerisch … Unsinn!“ Oder hatte sie etwa doch …?

Erst jetzt sah sie sein Schmunzeln und wusste, dass Rowe sie nur necken wollte.

„Was Sie mir tatsächlich vermittelt haben, waren Ihr Enthusiasmus, Ihre Leidenschaft und Hingabe für das Schloss und seine Kunstschätze, Kirsten. Und genau das ist es, was ich von Ihnen will.“

Jetzt war sie noch verwirrter als zuvor. „Ich bin nicht sicher … Ich glaube …“

„Entspannen Sie sich“, riet Rowe ihr freundlich. „Wir haben offensichtlich beide einen Fehler gemacht. Ich, indem ich mir einbildete, ich könnte mich einfach dadurch, dass ich Ihrem Vortrag lausche, wieder mit Château Merrisand vertraut machen, und Sie, weil Sie mein Interesse an Ihnen … sagen wir, missgedeutet haben. Wollen wir nicht einfach noch mal ganz von vorn beginnen?“

„Wie Sie wünschen, Eure Lordschaft“, murmelte Kirsten steif und erntete dafür ein Stirnrunzeln.

„Fangen wir damit an, dass Sie den Titel weglassen. Mein Name ist Rowe.“

Ahnte er etwa, dass sie damit bewusst Abstand zwischen ihnen hatte halten wollen? „Okay … also Rowe.“

Er nickte zufrieden. „Aus Ihrer Reaktion schließe ich, dass Max Ihnen nicht gesagt hat, warum ich hier bin?“

Rowe sprach von seinem Cousin, dem Prinzen Maxim – Schlossbesitzer und Geschäftsführer der Merrisand-Stiftung in einer Person.

„Vielleicht wollte mich der Prinz anlässlich des wöchentlichen Meetings davon unterrichten, das allerdings erst morgen stattfindet“, mutmaßte Kirsten. „Ich springe momentan für Lea Landon, meine Chefin, ein.“

„Die mit der Wanderausstellung durch Europa tourt“, ergänzte Rowe, offensichtlich gut informiert. „Kein Wunder, dass Sie sich durch mein plötzliches Auftauchen überrumpelt fühlten, wenn Sie keine Ahnung davon hatten, dass ich Leas Büro besetze, bis sie wieder zurück ist.“

Das Pochen hinter Kirstens Stirn war der erste Vorbote einer Migräne. „Sie übernehmen den Posten als Chef-Konservator während ihrer Abwesenheit?“

Rowe lächelte schief und schnitt eine Grimasse. „Das würde unter Garantie in einem Desaster enden. Was ich über die Merrisand-Sammlung weiß, ließe sich in zwei Sätzen zusammenfassen.“

Das bezweifelte sie zwar, war aber dennoch erleichtert, dass Rowe nicht ihr Boss sein würde. Nicht einmal vorübergehend! Sie konnte wirklich keine zusätzlichen Belastungen in ihrem Leben gebrauchen. „Ich verstehe nur nicht ganz, was das mit mir zu tun hat“, formulierte Kirsten vorsichtig.

Rowe lehnte sich vor und stützte die Hände auf die lederne Unterlage, die den antiken Schreibtisch schützte. „Meine Firma ist auf Event-Management spezialisiert. Dabei rede ich von großen Veranstaltungen.“

„Wie die Olympischen Spiele …“ Kirsten wollte wenigstens zeigen, dass sie nicht ganz uninformiert war, was seinen Hintergrund betraf. Und wenn er auch nur den Hauch einer Ahnung hätte, was sie noch von ihm wusste, wäre er sicher mehr als erstaunt.

„Exakt. Maxim ist der Ansicht, das Château Merrisand braucht einen großen Event, um mehr Geld für die Stiftung einzunehmen.“

„Ich dachte, der Stiftung geht es gut?“

„Es könnte besser sein. In der heutigen Zeit wachsen die Anfragen um Unterstützung an Stiftungen wie Merrisand stetig. Die Einnahmen aus den Schlossführungen, Spendensammelaktionen und Wanderausstellungen mit Exponaten aus Château Merrisand können den Bedarf allein nicht mehr befriedigen. Sollte nicht schnellstens eine neue Einnahmequelle gefunden werden, müssen wir Hilfsleistungen einschränken oder ganz verweigern.“

Die Aussicht, bedürftige Menschen eines Tages womöglich abweisen zu müssen, war wirklich alarmierend. Bisher hatte Kirsten geglaubt, der Schlossbetrieb bringe mehr als genügend Geld für den Wohltätigkeitsfonds ein.

„Davon hatte ich keine Ahnung.“

Rowe warf ihr einen scharfen Blick zu. „Niemand weiß davon, also behalten Sie es bitte für sich. So ironisch sich das anhören mag, aber Menschen sind schneller bereit, eine erfolgreiche Institution mit Spenden zu unterstützen als ein angeschlagenes Unternehmen.“

„Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg selbst“, zitierte Kirsten, und Rowe neigte zustimmend den Kopf.

„Absolut. Allerdings ist Château Merrisand noch längst nicht am Ende. Maxim ist nur klug genug, rechtzeitig den Kurs zu wechseln, ehe es zu einem Engpass kommen könnte.“

„Und an was für einen Event hat er in diesem Zusammenhang gedacht?“

„Die Entscheidung überlässt er allein mir. Und ich habe mich für ein Radrennen entschieden. Die Tour de Merrisand – ein Rundkurs um den Schlossgrund. Allein die Fernsehrechte werden Millionen für die Stiftung bringen.“

Die Vorstellung, dass eine Horde von Radfahrern um oder sogar über den wundervollen Grund und Boden preschten, der zum Schloss gehörte, ließ sie innerlich schaudern. Aber lange nicht so, wie die Erinnerung an ihre lebenslustige jüngere Schwester, die am Rand der Formel-1-Strecke von einem fliegenden Autoreifen tödlich getroffen wurde. Mit diesem Teil von Rowes Leben wollte Kirsten nichts zu tun haben.

„Das kann nicht Ihr Ernst sein“, sagte sie heiser. Ihre Stimme bebte vor unterdrückten Emotionen.

„Warum nicht? Haben Sie ein Problem, das Château Merrisand mit einem sportlichen Event in Einklang zu bringen?“

Es war mehr als nur ein Problem für sie. Allein der Gedanke daran machte sie krank. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Prinz Maxim einer derartigen … Schändung zustimmen würde.“

„Es ist ja nicht so, als würde ich jahrhundertealte Gemäuer mit dem Bulldozer platt walzen, um einen Radrennkurs an deren Stelle zu errichten“, erklärte er völlig ungerührt von ihrer extremen Reaktion. „Die Rennstrecke wird zwischen den einzelnen Gebäuden hindurch und durch das Waldgebiet verlaufen. Danach wird alles wieder so restauriert, dass kein Unterschied zu vorher besteht. Derartige Rennen werden auch in Roms Innenstadt, um das Kolosseum herum, abgehalten, und niemand sieht darin eine Ketzerei.“

Kirsten stand abrupt auf. Der scharfe Schmerz in den Füßen erinnerte sie unsanft an ihre mörderischen High Heels, die sie im Eifer des Gefechts gar nicht mehr gespürt hatte. „Da Ihre Pläne offensichtlich bereits feststehen, brauchen Sie mich ja glücklicherweise nicht mehr.“

„Sie werden mir dabei helfen, die Tour de Merrisand zu realisieren.“

„Ich bin Kunst-Restauratorin und kein …“ Fast hätte sie Sport-Groupie gesagt, aber dafür war sie zu gut erzogen. Außerdem war die Verbindung zwischen diesem Thema und Natalie viel zu eng und schmerzhaft. „Ich weiß nicht das Geringste über Radrennen“, endete sie kläglich.

„Aber Sie kennen das Schloss und den dazugehörigen Betrieb besser als jeder andere. Ausgenommen Lea Landon, die erst in sechs Monaten zurück sein wird.“

„Ein Grund mehr, dass ich mich lieber darauf konzentrieren sollte, sie auf ihrem Posten adäquat zu vertreten.“

Rowe stand auf und kam um den Schreibtisch herum auf sie zu, wie eine Raubkatze, deren Käfigtür sich unversehens geöffnet hatte. Trotz ihrer High Heels war Kirsten gezwungen, den Kopf zu heben, wenn sie ihm in die Augen schauen wollte.

„Ich suche hier nicht nach Freiwilligen“, knurrte Rowe gereizt.

Kirsten hob das Kinn noch ein Stückchen höher und erwiderte unerschrocken seinen sengenden Blick. „Sie meinen, wenn ich mich weigere, Ihr Radrenn-Projekt zu unterstützen, verliere ich meinen Job?“

„Das haben Sie gesagt, nicht ich.“

Dieser Mann war tatsächlich so dominant und ichbezogen, wie es in einschlägigen Klatschblättern zu lesen stand. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, sie zu seiner Assistentin zu machen, und was Kirsten selbst davon hielt, war ihm völlig egal.

„Und wer soll inzwischen die Galerie leiten, neue Ausstellungen planen und die täglichen Schlosstouren führen?“

„Laut Max verfügen Sie über ein ausgezeichnetes Mitarbeiterteam, das einen Großteil dieser Pflichten übernehmen kann. Sicher besteht keine Notwendigkeit, dass Sie die Touristengruppen persönlich betreuen.“

„Ich tue das sehr gerne“, gab Kirsten spitz zurück. „Zu beobachten, wie die Besucher auf die Ausstellungsstücke reagieren, hilft mir bei der Planung für die weitere Zukunft.“

„Dann behalten Sie diese Aufgabe bei und delegieren andere Sachen, die Sie weniger reizvoll finden.“

3. KAPITEL

Seine Sturheit und Uneinsichtigkeit erhöhte nur noch Kirstens Antipathie gegen den Vicomte de Aragon und alles, wofür dieser arrogante Kerl stand. Doch sosehr sie seine Idee mit dem Radrennen rund ums Schloss verabscheute, war sie gezwungen, ihm aus logischen Erwägungen heraus recht zu geben. Wenn die Finanzkraft der Stiftung tatsächlich so dezimiert war, wie er behauptete, musste alles unternommen werden, um das so schnell wie möglich zu ändern. Denn sobald sie die ersten Hilfsbedürftigen abweisen würden, hätte der Merrisand-Trust seine Existenzberechtigung verloren.

Wenn sie ehrlich war, musste sich Kirsten eingestehen, dass sie insgeheim nichts gegen eine Zusammenarbeit mit Rowe hatte. Denn die körperliche Anziehung und das aufregende Prickeln, sobald er auch nur in ihre Nähe kam, waren zwar gefährlich, aber auch verlockend. Und glücklicherweise hatte sie genug Verstand, mit derart verstörenden Emotionen auf eine subtile und erwachsene Weise umzugehen. Also zwang sie sich zu einem knappen Nicken. „Wie es aussieht, habe ich keine andere Wahl, als mich Ihrem Diktat zu beugen.“

„Absolut keine Wahl.“

Plötzlich stand er so dicht vor ihr, dass sein warmer Atem ihre bereits erhitzten Wangen noch mehr zum Glühen brachte. Einen verrückten, atemlosen Moment befürchtete sie sogar, er würde sie küssen.

Wie sie darauf wohl reagiert hätte?

Kirsten gefiel die Vorstellung, dass sie ihm eine kräftige Ohrfeige verpassen würde, um zu demonstrieren, was sie von einem Mann wie ihm hielt. Ein anderer, gefährlicher Impuls zwang sie allerdings dazu, sich vorzustellen, wie sich sein fester, klassisch geschnittener Mund auf ihrem anfühlen mochte, und was sie tun würde, wenn …

Ohne Vorwarnung brachte Rowe ihre Hand an seine Lippen, wobei er Kirsten keine Sekunde aus den Augen ließ. Sein eindringlicher Blick schien die tiefsten Tiefen ihrer Seele erfassen zu wollen, und Kirsten zitterte bei der Vorstellung, er könne tatsächlich ihre Gedanken lesen. Doch bereits im nächsten Moment wurde ihr klar, dass sie sich alles nur einbildete.

Der Vicomte de Aragon deutete, wie es in Adelskreisen wohl immer noch üblich war, den flüchtigsten aller Handküsse an und gab ihre Finger frei, noch ehe Kirsten sie ihm entziehen konnte. Also kein Grund für ihren verräterischen Körper, darauf zu reagieren, als hätte Rowe Sevrin mit animalischer Wildheit ihre bebenden Lippen erobert!

Offensichtlich hatte er das nie vorgehabt, und wenn, dann hätte sie ihm das selbstverständlich auf keinen Fall gestattet! Oder vielleicht doch …?

„Ich freue mich, dass wir zu einer Einigung gekommen sind“, murmelte er höflich.

Das Ganze wirkte auf Kirsten nachträglich so kalkuliert, dass sie sich noch mehr ihrer ausschweifenden Fantasie schämte als ohnehin schon.

Sie mochte keine Wahl haben, was die gemeinsame Arbeit betraf. Auf jeden Fall aber lag es in ihrer Macht, nicht auf seine albernen Spielchen zu reagieren und cool zu bleiben. Sollte er ruhig merken, dass seine altmodische Galanterie bei ihr zu gar nichts führte!

„Ich wünschte, ich könnte behaupten, mir gehe es ebenso“, sagte sie steif.

Rowe lachte. „Sie halten mich immer noch für einen Kulturbanausen, oder?“

Kirsten erwiderte seinen herausfordernden Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Und dann gab sie ihm mit Genuss eine kleine Retourkutsche: „Das haben Sie gesagt, nicht ich.“

Touché! Solange wir zusammen arbeiten, gebe ich mich ganz in Ihre Hände, was die Themen Kultur und Kunst anbetrifft. Sie werden mir alles über die Geschichte von Château Merrisand, seine Kunstschätze und Ausstellungen beibringen, einverstanden?“

„Haben Sie das denn nicht quasi mit der Muttermilch aufgesogen, als Sie hier aufwuchsen?“, fragte sie bewusst zurückhaltend.

Sein Gesicht verfinsterte sich. „Ich bin nicht im Schloss aufgewachsen.“

Rasch versuchte Kirsten sich im Kopf den Stammbaum der de Marignys ins Gedächtnis zu rufen. Rowes Großmutter war eine Schwester des Großvaters von Carramers regierendem Monarchen gewesen …

„Aber als Sohn von Angelique und James sind Sie doch sicher …“

„Wenn Sie schon so detailliert mit meiner Familiengeschichte vertraut sind, dann müssten Sie auch wissen, dass ich gerade mal acht Jahre alt war, als mein Vater zum Sporttauchen aufbrach und nie wiederkehrte.“

Kirsten hatte tatsächlich von der tragischen Geschichte gehört. Bis zum heutigen Tag wurde darüber spekuliert, dass James Sevrin, der vorherige Vicomte de Aragon, gar nicht wirklich tot war, sondern möglicherweise als Spion für ein anderes Land gearbeitet hatte und irgendwo auf der Welt untergetaucht war … im wahrsten Sinne des Wortes.

Sie selbst glaubte nicht an derartige Fantasiegebilde. Wahrscheinlich war er einfach von einer der immer wiederkehrenden, gefährlichen Springfluten vor Carramers Küste aufs offene Meer hinausgetrieben worden.

„Eine schreckliche Tragödie …“

Rowe warf ihr einen scharfen Blick zu. „Keine internationale Verschwörung?“

„Daran glaube ich nicht“, sagte Kirsten offen.

„Dann gehören Sie zu einer Minderheit. Nachdem mein Vater verschwunden war, zog mich meine Mutter allein auf einem der königlichen Anwesen groß, das in Valmont lag. Sie achtete darauf, dass ich eine exzellente Erziehung genoss, weigerte sich aber, je wieder das Schloss zu betreten, in der Hoffnung, so den Gerüchten um meinen Vater entfliehen zu können. Doch sie verfolgten uns bis in die Provinz.“

Eingedenk ihrer eigenen, ähnlich tragischen Familiengeschichte wusste Kirsten nur zu gut, wie sehr der Verlust einer geliebten Person schmerzte. Aber wenigstens musste sie sich nicht noch zusätzlich mit reißerischen Schlagzeilen und Denunziationen auseinandersetzen.

„Das tut mir leid.“

„Klingt fast aufrichtig.“

Der hörbare Zweifel in seiner Stimme ließ Kirsten die Stirn runzeln. „Ob Sie es glauben oder nicht, ich weiß sehr gut, wie es ist, geliebte Menschen zu verlieren. Und dabei spielen weder die Umstände eine Rolle noch welchen Namen man trägt.“

„Damit haben Sie allerdings recht.“

Rowe wandte sich halb ab und präsentierte ihr sein klassisch geschnittenes Profil. Er mochte ja in der Provinz aufgewachsen sein, aber Aussehen und Körpersprache zeugten unmissverständlich von seiner königlichen Herkunft. Es war eine gewisse Aura, die man sich nicht einfach aneignen konnte und die nur sehr wenige Menschen besaßen, auch in adligen Kreisen.

„So betrachtet hätte ich vermutet, Château Merrisand wäre der letzte Ort auf der Welt, wo Sie sich freiwillig aufhalten würden.“

„Als Rowe Sevrin habe ich damit kein Problem. Max und seine Familie waren unglaublich mitfühlend und hilfsbereit, als mein Vater spurlos verschwand. Ihnen jetzt auszuhelfen, ist das Mindeste, was ich tun kann, um mich dafür zu revanchieren.“

Am liebsten hätte Kirsten ihn gefragt, ob er seine persönliche Geschichte genauso leicht ignorieren konnte wie seinen Titel, aber erstens ging es sie nichts an und zweitens wollte sie nicht womöglich noch schlafende Hunde wecken. Rowe Sevrin, der Vicomte de Aragon, hatte ihrer kleinen Familie schon genug angetan. Das durfte sie bei allem Verständnis für sein Schicksal auf keinen Fall vergessen!

Doch es frustrierte Kirsten zutiefst, dass es ihr immer schwerer fiel, ihn von ganzem Herzen zu hassen …

„Ich würde gern während des Dinners meine Pläne mit Ihnen durchgehen, Kirsten. Was halten Sie davon?“

Bei der Vorstellung, ihm womöglich noch bei Kerzenschein – der seine harten Züge viel weicher erscheinen lassen würde – an einem festlich gedeckten Tisch gegenüberzusitzen, wurde ihr plötzlich ganz heiß. Die Versuchung, seine Einladung anzunehmen, war ungeheuer groß, ungeachtet aller guten Vorsätze, die sie sich immer wieder im Stillen einhämmerte.

Wie es wohl sein mochte, im Mittelpunkt seines Interesses zu stehen, seine Hand auf ihrer zu spüren, wenn er im Eifer des Gefechts über den Tisch griff und …

„Kirsten?“

„Ja?“

Hatte sie ihm schon geantwortet oder nicht? Nein, denn sonst würde er sie nicht so fragend anschauen. Kirsten zwang sich, an Jeffrey zu denken, den sie gleich aus der Schlossschule abholen und mit dem sie diesen Abend zusammen verbringen würde, wie alle anderen auch.

„Vielen Dank für die Einladung, aber ich habe bereits etwas vor.“

„Ein Rendezvous?“, fragte Rowe mit einem Augenzwinkern.

Fast war sie geneigt, ihm barsch mitzuteilen, dass ihr Privatleben ihn nicht das Geringste angehe, doch dann riss Kirsten sich zusammen. Sie musste vorsichtig sein, um Jeffrey und sich zu schützen. „Eine Familienangelegenheit.“

„Ah, ja, Ihr Sohn.“

Also hatte er doch in ihrer Personalakte gestöbert! Woher sonst sollte er wissen, dass sie ein Kind hatte? „Ja, ich muss Jeffrey in zehn Minuten von der Schule abholen.“

Rowe nahm einen Ordner vom Schreibtisch auf und klemmte ihn sich unter den Arm. „Ich begleite Sie.“

„Mein Arbeitstag hat vor einer halben Stunde geendet“, erinnerte sie ihn kühl.

„Meiner auch.“ Er lief voraus und hielt ihr die Tür auf. „Ich wohne in einem der Schlossapartments, also liegt die Schule auf dem Weg.“

Da er die Klinke nicht losließ, musste Kirsten sich an ihm vorbeidrängen. Dabei war eine leichte Berührung nicht zu vermeiden, die ihr allerdings wie ein Stromschlag durch sämtliche Glieder fuhr.

Himmel noch mal, hoffentlich hatte sie sich nicht überschätzt! Wie sollte sie mit Rowe Sevrin Seite an Seite arbeiten und dabei ihren Gleichmut bewahren, wenn schon der flüchtigste Körperkontakt sie fast umwarf? Und dann auch noch seine fatale Anhänglichkeit! Wie es aussah, blieb ihr nichts anderes übrig, als seine Begleitung zu dulden, da sie ihm kaum verbieten konnte, sich frei auf dem Schlossgrund zu bewegen. Leider!

Vielleicht konnte sie ihn ja höflich verabschieden, sobald sie die Schule erreicht hatten.

Aber dieses Vorhaben scheiterte genauso wie der verzweifelte Versuch, sich Rowes beunruhigender Ausstrahlung zu entziehen. Der Komplex, der den Kindern der Schlossangestellten als Schule diente, war ein großer, zweistöckiger Bau aus gelbem Carramer-Sandstein, im Stil des späten neunzehnten Jahrhunderts gehalten. Mit schmalen hohen Fenstern, schweren Holztüren und schmiedeeisernen Gitterelementen.

Eine große Rasenfläche, die von einem Rosengarten begrenzt wurde, diente den Schülern als Spiel- und Sportplatz. Ein anderes, eingezäuntes Areal war für die kleineren Kinder reserviert. Hier hielt sich Jeffrey meistens auf und spielte am liebsten mit seinen Plastikautos im Sand. Doch heute schienen alle drinnen zu sein.

„Ich will Sie nicht aufhalten“, erklärte Kirsten mit einem gezwungenen Lächeln und hielt Rowe die Hand zum Abschied hin.

Doch der verschränkte nur lässig die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen die sonnenwarme Sandsteinmauer. „Ich bin nicht in Eile … Sonderbar, an dieses Gebäude erinnere ich mich noch sehr gut.“

„Sie sind hier zur Schule gegangen?“

Er nickte. „Bis ich sieben war. Wegen des Tumults um meinen Vater habe ich im drauffolgenden Schuljahr eine Menge verpasst. Nach unserem Umzug wurde ich zunächst von Hauslehrern unterrichtet, später besuchte ich erst die Schule, dann die Universität in Valmont. Sie waren wirklich gut, hatten aber nicht die Atmosphäre dieser Schlossschule, die ich damals sehr genossen habe.“

Kirsten fühlte genauso und war froh über das Privileg, Jeffrey an einem so wundervollen Platz untergebracht zu sehen. Und dies zählte zu einem der Hauptgründe, warum sie entschlossen war, ihre Stellung im Château Merrisand auf keinen Fall mutwillig zu gefährden.

„Sie haben doch sicherlich Wichtigeres zu tun, als auf eine Horde von Schulkindern zu warten“, versuchte sie noch einmal ihr Glück.

„Zweifellos, aber ich möchte gern Ihren Sohn kennenlernen“, bekannte er offen und versetzte Kirsten damit erneut in Panik. Sie durfte sich jetzt auf keinen Fall etwas anmerken lassen. Rowe hielt Jeffrey für ihren Sohn. Und mit Natalie brachte er sie offenbar gar nicht in Verbindung. Wieso denn auch? Bond war ein ziemlich häufiger Nachname, und wer sagte denn, dass Seine Lordschaft sich überhaupt an das junge Mädchen erinnerte, das seinen Sohn zur Welt gebracht hatte?

Eigentlich hätte Kirsten sich nach diesen Überlegungen sicher fühlen müssen, aber so war es nicht.

Weitere Eltern tauchten auf, um ihre Kinder abzuholen. Von einigen wurde sie herzlich gegrüßt, doch anders als sonst hielten sie Abstand zu ihr und ihrem Begleiter. Dafür warf man ihnen verstohlene Blicke zu, und Kirsten nahm das leise Getuschel ebenso wahr wie die unbewussten Gesten von Frauen in Gegenwart eines attraktiven, bedeutenden Mannes – Kleider und Haare wurden gerichtet, man brachte sich in Positur und probte ein kokettes Lächeln.

Kirsten versuchte, sich nicht geschmeichelt zu fühlen, weil sie den Mann an ihrer Seite hatte, der so viel Aufmerksamkeit erregte. Insgeheim hatte sie sich öfter gewünscht, mit einer der anderen Mütter zu tauschen, um Jeffrey eine richtige Familie bieten zu können. Und Rowes Gegenwart gab ihr einen kleinen Vorgeschmack davon, wie es wäre, wenn …

Eine Glocke schrillte. Gleichzeitig flogen die Türen der Schule auf, und eine Gruppe Sechsjähriger drängte lachend und johlend ins Freie. Kirsten reckte den Hals und erspähte in ihrer Mitte Jeffrey, zusammen mit seinem besten Freund Michael, ein rothaariger Wildfang, dessen Vater der Hauptplatzwart im Château Merrisand war.

Als Jeffrey aufsah und seine Mutter erspähte, erhellte ein strahlendes Lächeln sein schmales Gesicht. Kirsten spürte einen heftigen Stich in ihrem Herzen und hätte sich am liebsten einen Weg durch die anderen Kinder gebahnt, um ihren geliebten Sohn in die Arme zu schließen und ganz fest zu drücken. Doch sie wusste, dass er sich selbst als schon großen Jungen sah und über diese unangebrachte Demonstration von Mutterliebe, vor all seinen Klassenkameraden, kaum erbaut gewesen wäre.

Der Ausdruck von absolutem Mutterstolz und offensichtlicher Liebe auf Kirstens zarten Zügen erfüllte Rowe unerwartet mit Eifersucht. Als er hier zur Schule gegangen war, wurde er von einer Nanny gebracht und abgeholt. Seine Mutter hatte er nur ein einziges Mal an diesem Ort gesehen … am Tag, als sein Vater verschwand. Und deshalb war das Bild für immer mit dieser Tragödie verbunden. Bis heute löste jedes unangekündigte Auftauchen seiner Mutter eine Art Angstreflex in ihm aus, den er stets aufs Neue rational bekämpfen musste, um sich klarzumachen, dass nichts Schlimmes passiert sei.

Kirstens Sohn hatte offensichtlich kein derartiges Problem.

Nicht, wenn Rowe das breite Grinsen des rothaarigen Knirpses richtig interpretierte, der zusammen mit seinem dunkelhaarigen Freund auf sie beide zugesteuert kam. Doch bevor er Kirsten erreichte, bog der Rotschopf plötzlich ab und warf sich in die Arme eines Mannes in Schlossuniform, der gleich neben ihnen stand. Er hielt seinem Vater ein buntes Gebilde aus Papier unter die Nase.

„Daddy, Daddy! Schau, was ich gemacht habe!“

Das dunkelhaarige Kind lief direkt auf Kirsten zu und präsentierte ihr voller Stolz sein farbenfrohes Gebilde. „Ich habe auch einen Drachen gebastelt, Mommy! Wir haben sie schon im Garten steigen lassen! Und meiner flog am besten!“

„Ganz bestimmt tat er das, Sweetheart.“ Mit leuchtenden Augen ging Kirsten in die Knie und umarmte den kleinen Jungen.

Während Rowe die beiden unter gefurchten Augenbrauen beobachtete, machte sich ein seltsames Gefühl in seinem Innern breit. Sein Blick wanderte noch einmal zu dem rothaarigen Jungen, der mit dem Mann plauderte, den er Daddy nannte, und zurück zu Kirstens flammender Lockenpracht. Ihr dunkelhaariger Sohn hatte weder ihren Teint noch ihre Haarfarbe geerbt, doch das spürbare Band zwischen ihnen sprach für sich.

Rowe unterdrückte ein Lächeln, als er sah, wie sich der Kleine in der Umarmung seiner Mutter wand. Er war in einem Alter, in dem man mütterliche Liebkosungen in der Öffentlichkeit nur peinlich und überflüssig fand. Genauso war es Rowe damals auch gegangen. Mit einem schiefen Lächeln gab Kirsten ihren Sohn frei und richtete sich wieder auf.

Erst jetzt schien sie sich Rowes Gegenwart wieder bewusst zu werden. Mit roten Wangen umfasste sie die Hand ihres Sohnes. Es erschien Rowe wie eine beschützende Geste und vermittelte ihm das Gefühl, ausgeschlossen zu sein. Und das gefiel ihm gar nicht, wie er überrascht feststellte.

Kirsten Bond und er hatten nicht den besten Start hingelegt, aber seitdem bemühte er sich doch redlich, die angespannte Atmosphäre zwischen ihnen zu entschärfen. Warum gab sie sich dann immer noch so spröde? Ja, fast feindselig.

„Jeffrey, sag dem Vicomte de Aragon Guten Tag“, forderte Kirsten ihren Sohn auf.

„Hallo, Vicomte Aragon“, begrüßte ihn der Kleine pflichtschuldig, aber ohne den geringsten Anflug von Schüchternheit, da den Kindern in der Schlossschule der höfliche Umgang mit königlichen Hoheiten vom ersten Tag an beigebracht wurde.

„Hallo, Sohn“, antwortete Rowe und stutzte, als Kirsten daraufhin die schmalen Schultern des Jungen umfasste und ihn an sich zog. Als müsse sie ihn vor mir beschützen, ging es ihm durch den Kopf, doch dann verwarf er den albernen Gedanken gleich wieder.

Autor

Valerie Parv
Valerie Parv hatte schon 18 Sachbücher verfasst und schrieb für eine Zeitung beliebte Kolumnen, bevor sie die Welt der Romances entdeckte.
Im Nachhinein ist sie froh, dass sie vorher nicht wusste, wie anstrengend das Schreiben von Liebesromanen sein kann. Aber nach 50 Romances kann sie von sich behaupten, dass es...
Mehr erfahren