Julia Collection Band 91

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ZU ALLEM BEREIT von JAMESON, BRONWYN
Schon als Teenager war Angie in den verschlossenen Tomas Carlisle verliebt. Als er ihr nun einen verführerischen Vorschlag macht, fällt es ihr schwer, abzulehnen. Er will eine gemeinsame Nacht mit ihr - die hoffentlich einen Erben für ihn hervorbringt. Doch Angie will mehr …

ENTSCHEIDUNG IN LAS VEGAS von JAMESON, BRONWYN
Sie hat ihm das Leben gerettet - dafür lädt Rafe Carlisle die verschuldete Catriona nach Las Vegas ein. Auf dem Weg bietet der Multimillionär ihr eine heiße Wette an: Sollte sie im Casino gewinnen, bezahlt Rafe alle ihre Schulden. Verliert sie jedoch, muss sie ihn heiraten …

DREI MAGISCHE WORTE von JAMESON, BRONWYN
"Ich liebe dich." Diese drei Worte will Zara hören. Doch Alex Carlisle schweigt. Hat der attraktive Unternehmer sich etwa nur in diese Affäre gestürzt, um den letzten Willen seines Vaters zu erfüllen und einen Erben zu zeugen? Zara beschließt, ihn auf die Probe zu stellen …


  • Erscheinungstag 04.03.2016
  • Bandnummer 91
  • ISBN / Artikelnummer 9783733707712
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Bronwyn Jameson

JULIA COLLECTION BAND 91

PROLOG

Charles Carlisle wusste, dass er bald sterben würde, auch wenn seine Familie es sich nicht einzugestehen wagte. Der Schwarm von Fachärzten, den sie engagiert hatte, umging die Wahrheit wie gut trainierte Hirtenhunde, die eine Schafherde in Schach hielten. Aber Charles war klar, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb.

Was der Gehirntumor nicht schaffte, würde ganz sicher die Strahlentherapie zu Ende bringen, die Charles in Kürze über sich ergehen lassen sollte. Nur sein bester Freund Jack Konrads machte sich nichts vor und akzeptierte, dass Charles’ Lebensuhr abgelaufen war. Das war auch nicht weiter verwunderlich, denn als Nachlassverwalter hatte Jack Tag für Tag mit dem Tod zu tun.

Wahrscheinlich sind ihm deshalb auch die seltsamsten Testamentsklauseln vertraut, ging es Charles durch den Kopf. Jack verzog nämlich keine Miene, als Charles ihn über seine neuesten Änderungswünsche informierte. Er legte nur schweigend das Blatt Papier beiseite und sah seinen Freund lange an. „Du hast darüber doch sicher mit deinen Söhnen gesprochen?“

„Natürlich nicht! Sie würden mir meine letzten Lebensmonate nur zur Hölle machen!“, gab Charles heftig zurück. „Sie erfahren es erst, wenn ich unter dem Rasen liege.“

„Findest du nicht, dass du sie vorwarnen solltest? In einem Jahr ein Baby vorzeigen zu können, das ist ein bisschen viel verlangt. Selbst wenn einer von ihnen bereits verheiratet wäre.“

„Damit sie wieder eine Möglichkeit finden, sich geschickt aus der Affäre zu ziehen?“ Seine Söhne waren alles andere als dumm, manchmal sogar schlauer, als gut für sie war. „Alex und Rafe sind schon über dreißig. Denen muss man schon tüchtig Dampf machen, sonst entschließen sie sich nie zum Heiraten.“

Jack überflog den Text noch einmal und runzelte dann die Stirn. „Offenbar hast du Tomas nicht ausgeschlossen.“

„Nein, die Auflage gilt auch für ihn.“

„Warum denn? Alex und Rafe musst du doch nichts beweisen“, fing Jack wieder an. „Sie wissen genau, dass du Tomas nicht vorziehst. Du hast sie alle drei immer wie leibliche Söhne behandelt. Und sie haben dich nicht enttäuscht, du kannst stolz auf sie sein.“

Ja, sie waren zu verantwortungsvollen jungen Männern herangewachsen. Dennoch hatten sie sich in den letzten Jahren auseinander entwickelt. Jeder schien viel zu sehr mit seinen eigenen Dingen beschäftigt. Aber die Testamentsklausel würde das ändern. Sie würden wieder mehr den Kontakt mit den anderen suchen und sich so gut verstehen wie früher, als sie auf ihren Ponys gemeinsam über die flache Grassteppe galoppiert waren. Später hatten sie unter Einsatz ihrer ganzen Kräfte die Bullen mit dem Lasso eingefangen, und mit der gleichen Entschiedenheit waren sie gegen Konkurrenten im Geschäftsleben vorgegangen. Charles hoffte, dass sie mit eben dieser hartnäckigen Entschlossenheit auch seinen letzten Willen erfüllen würden.

„Für alle drei müssen dieselben Regeln gelten“, betonte er. Weder konnte er Tomas ausschließen, noch wollte er es.

„Aber Brooke ist doch nicht mal zwei Jahre tot!“

„Das schon. Aber je länger Tomas sich in seinem Kummer vergräbt, desto schwerer wird er wieder herausfinden.“ Charles sah seinen Freund eindringlich an und beugte sich vor. „Das weiß ich aus eigener Erfahrung.“

Wenn sein eigener Vater ihn damals nicht gezwungen hätte, in der Firma mitzuarbeiten, hätte Charles sich nach dem Tod seiner ersten Frau wohl für immer auf seiner Ranch vergraben. Und wenn der Vater ihn nicht geschäftlich nach England geschickt hätte, wäre ihm nie eine irische Schönheit namens Maura Keane mitsamt ihren zwei kleinen Jungen begegnet.

Und dann hätte er sich auch nie so unsterblich verliebt. Dann hätte er sie nie geheiratet und ihren zwei Söhnen noch einen dritten gemeinsamen hinzugefügt, Tomas. Und dieser Sohn schien sich nun nach dem Tod seiner Frau genauso verkriechen zu wollen. Er musste dringend eine neue Liebe finden, bevor es zu spät war.

„Weiß Maura von der ganzen Sache?“, fragte Jack vorsichtig.

„Nein, und so soll es auch bleiben. Du weißt genau, dass sie dagegen wäre.“

Jack musterte den Freund lange über den Rand seiner schmalen Lesebrille hinweg. „Warum tust du das? Willst du damit erreichen, dass sie von ihrem Kummer über deinen Tod abgelenkt werden?“

„Aber nein. Ich möchte nur, dass sie gemeinsam nach einer Lösung suchen. Meine Familie braucht einen Anstoß, damit sie wieder weiß, was es bedeutet, eine Familie zu sein. Das gilt besonders für Tomas.“

„Und wenn die Sache nun nach hinten losgeht? Wenn deine Söhne lieber auf das Erbe verzichten, als sich deinen Bedingungen zu unterwerfen? Willst du, dass der Besitz der Carlisles zerstückelt und verkauft wird?“

„Das wird nicht passieren.“

„Aber die Sache wird ihnen nicht gefallen.“

„Es muss ihnen auch nicht gefallen. Ich werde ihre Einwände von meiner himmlischen Wolke schon noch verfolgen, aber sie werden tun, was ich von ihnen erwarte, und zwar nicht wegen der Erbschaft.“ Charles fixierte den Freund, ohne mit der Wimper zu zucken. „Sie werden es um ihrer Mutter willen tun.“ Das war der eigentliche Grund für die ungewöhnliche Testamentsklausel. Charles Tomas McLachlan Carlisle hatte dabei nicht so sehr die Bruderliebe der Söhne im Sinn oder seine eigene Überzeugung, dass man erst mit einer Familie wirkliche Erfüllung findet. Er dachte vor allem an Maura. Ein Enkelkind, das spätestens zwölf Monate nach seinem Tod geboren wurde, würde sie über den großen Verlust hinwegtrösten und sie aus ihrer Einsamkeit erlösen.

Er wollte wenigstens durch seinen Tod das erreichen, was er nach dem Tod seiner Tochter zu Lebzeiten nie hatte vollbringen können, nämlich seine geliebte Frau wieder glücklich machen.

„Das ist meine Hinterlassenschaft für Maura, Jack.“

Er wusste, es war das Einzige, was für sie wirklich zählte.

1. KAPITEL

Sechs Monate später

Angelina Mori hatte nicht lauschen wollen. Sie hatte nur wie sonst ohne zu zögern die Tür aufstoßen wollen, als ihr gerade noch einfiel, dass am Nachmittag die Testamentseröffnung gewesen war. Wahrscheinlich saßen die drei Erben hier in der Bibliothek von Kameruka Downs zusammen und wollten nicht gestört werden. Gerade noch rechtzeitig blieb Angelina vor der Tür stehen und holte tief Luft.

Da hörte sie die drei männlichen Stimmen, die Angie so vertraut waren wie die ihrer eigenen beiden Brüder.

„Ihr habt doch gehört, was Konrads sagte. Wir müssen nicht alle drei tun, was Vater verlangt.“ Das war Alex, der älteste, der wie immer ruhig und gelassen klang. „In diesem Fall bin ich gefragt.“

„Sieh mal einer an!“ Rafes spöttischer Tonfall war unverkennbar. Er hatte sich in der Zeit, in der Angelina fort gewesen war, kein bisschen verändert. „Dein fortgeschrittenes Alter macht dich hier nicht automatisch zum Experten oder zur Hauptperson. Ich würde sagen, wir werfen eine Münze. Bei Kopf musst du …“

„Das geht uns alle an“, meldete sich jetzt Tomas zu Wort, und Angelina sah sofort sein ausdrucksloses Gesicht vor sich. Seine Stimme klang tonlos, ganz anders als damals … Wie lange war das jetzt her? Fünf Jahre nur? Ihr kam es fast wie eine Ewigkeit vor.

„Das ist gut gesagt, Brüderchen“, ließ sich Rafe jetzt wieder vernehmen. „Aber vergisst du dabei nicht etwas? Ein Baby produziert man nicht allein. Dazu gehören immer noch zwei.“

Angelina hätte fast das Tablett mit den Sandwiches fallen gelassen. Ihr Herz klopfte wie verrückt, und sie umfasste die Griffe fester. Doch sie rührte sich nicht vom Fleck. Jetzt erst bemerkte sie, dass die Tür leicht offen stand, und da sie keine Hand frei hatte, um anzuklopfen, schob sie die Tür vorsichtig mit dem Knie auf. Sie räusperte sich. Einmal, zweimal. Doch keiner achtete auf sie, denn die Brüder waren jetzt in einen lautstarken Disput darüber verstrickt, wer von ihnen … was tun sollte? Heiraten? Ein Kind zeugen? Um die Erbschaft antreten zu können? Aber wie?

Wieder räusperte Angelina sich vernehmlich, und diesmal drehten sich die Gebrüder Carlisle um, die „Prinzen vom Outback“, wie sie gerade eine Wochenzeitschrift genannt hatte. Den Titel wurden sie nicht mehr los, seit irgendjemand mal Charles Carlisles große Besitzungen im australischen Outback als das „Königreich der Carlisles“ bezeichnet hatte.

Angelina war quasi mit den Brüdern zusammen aufgewachsen und wusste, wie heftig es bisweilen zwischen ihnen herging. Auch wenn sie so aussahen, wie sich die Presse Männer von königlichem Geblüt vorstellte, sie kannte die drei besser.

Prinzen? Von wegen!

„Was ist los?“, fuhren zwei der Prinzen sie an.

„Tut mir leid, wenn ich störe. Aber ihr sitzt hier schon ewig zusammen, und da dachte ich, ihr könntet etwas Nahrhaftes gebrauchen.“ Sie stellte das Tablett auf den großen Eichenschreibtisch und setzte sich halb auf eine Ecke. Als sie nach der Flasche Glenfiddich griff und die goldgelbe Flüssigkeit prüfend vor die Augen hielt, wiegte sie überrascht den Kopf. Die Flasche war noch mehr als halb voll. Erstaunlich. „Ich dachte, ihr hättet schon kräftiger zugelangt.“

Alex blickte das Glas in seiner Hand so überrascht an, als habe er ganz vergessen, was er da festhielt. Rafe reagierte schneller und hielt Angelina seins zum Nachfüllen hin. Tomas hatte Angelina den Rücken zugewandt, die Hände in den Hosentaschen, und schien sich weder für sie noch für seinen Whisky zu interessieren.

Die Sandwiches fanden gar keine Beachtung. Offenbar wollten sie nichts essen, sondern ihre Diskussion fortsetzen, sobald Angelina den Raum verließ.

Auch gut. Angelina machte es sich auf dem Schreibtisch bequem, suchte sich in aller Ruhe ein Sandwich aus und hob dann den Kopf, ohne einen der Brüder direkt anzusehen. „Also, was ist das nun für eine Geschichte mit dem Baby?“

Tomas zog die Schultern hoch. Alex und Rafe wechselten einen Blick.

„Ihr braucht gar nicht so zu tun“, sagte sie, biss ab und kaute. „Ich habe alles gehört.“

Für ein paar Sekunden dachte sie, die drei würden wieder die alte Männermasche abziehen und sich in Schweigen hüllen. Aber diese Frau war als Mädchen zusammen mit ihren beiden Brüdern mit den Carlisle-Jungen durch dick und dünn gegangen. Als einziges Mädchen hatte sie lernen müssen, allerlei einzustecken und sich dennoch nie unterkriegen zu lassen.

Sie musterte Tomas’ breiten Rücken. „Nun?“

Rafe gab schließlich als erster nach. „Was hältst du denn davon, Angie? Ich meine, würdest du …?“

„Das geht außer uns niemanden etwas an“, unterbrach Alex sofort.

„Aber Angies Meinung könnte wichtig sein. Sie ist schließlich eine Frau.“

„Danke, dass du das bemerkt hast“, sagte sie leise. Aus den Augenwinkeln musterte sie Tomas, der sie nie als Frau betrachtet hatte, weshalb sie auch jetzt wieder mit zwei widerstreitenden Empfindungen kämpfte. Einerseits wollte sie auf Tomas zugehen und fest die Arme um ihn legen. Andererseits hätte sie ihm am liebsten eine geknallt, weil er so hartnäckig die Frau in ihr übersah.

„Ich meine“, fuhr Rafe zögernd fort, „würdest du gegen Geld ein Kind austragen?“

„Was?“ Angie fuhr herum und sah Rafe fassungslos an. „Von irgendjemandem?“

„Ja.“ Rafe grinste leicht. „Von unserem kleinen Bruder hier zum Beispiel, unserem Einsiedler. Er verspricht zu zahlen, und da das …“

„Hör auf!“, fuhr Alex ihn an.

In selben Augenblick hatte Tomas sich umgedreht und den mittleren Bruder beim Hemd gepackt. Er fluchte leise, aber alles andere als fein.

Schnell trennte Alex die beiden. Tomas machte sich heftig frei und starrte die Brüder wütend an. „Ihr könnt das so handhaben, wie ihr wollt. Ich mache es auf meine Weise, auch ohne eure Zustimmung.“ Damit ging er zur Tür.

Überraschenderweise warf er sie nicht zu, sondern zog sie leise hinter sich ins Schloss. Wahrscheinlich ist er zu solchen Gefühlsausbrüchen gar nicht mehr fähig, dachte Angie, die seit ihrer Rückkehr in dem abweisenden, ernsten Fremden ihren Jugendfreund Tomas kaum wiederzuerkennen vermochte.

„Dann ist meine Meinung jetzt wohl nicht mehr von Interesse“, sagte Angelina leise und rutschte vom Schreibtisch.

Rafe lachte trocken auf. „Nur dann nicht, wenn du Tomas zutraust, allein eine Frau aufzugabeln.“

Angies Herz schlug schwer. Und ob er das konnte. Da hatte sie nicht den geringsten Zweifel. Tomas Carlisle mochte vergessen haben, wie man lächelte. Aber er brauchte nur mit seiner prachtvollen Erscheinung in irgendeine Bar zu gehen und den unverstandenen, verletzten, einsamen Wolf zu mimen, und schon hatte er die freie Auswahl unter allen anwesenden Frauen. Und das, ohne die Carlisle-Milliarden auch nur zu erwähnen.

Mit bebenden Fingern legte sie den Rest ihres Sandwiches wieder auf den Teller. „Aber er wird doch nicht irgendeine Dummheit machen?“

„Nicht, wenn wir ihn daran hindern.“

Alex hob abwehrend die Hände. „Lass ihn doch, Rafe.“

„Glaubst du wirklich, ihm ist danach zumute, irgendetwas Unvernünftiges zu tun?“ Rafe schüttelte unwillig den Kopf. „Was hat sich Dad nur dabei gedacht? Er hätte Tomas aus der ganzen Sache herauslassen sollen.“

„Vielleicht wollte er ihn aufrütteln“, meinte Alex langsam.

„Damit er sich mit dem erstbesten Betthäschen einlässt, das ihm in der Bar vor die Füße hopst?“

Um Himmels willen! Angie wurde ganz elend bei dem Gedanken, und sie musste sich gegen den Schreibtisch lehnen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Aber dann fiel ihr ein, dass Kameruka Downs mindestens zwei Autostunden auf unebenen staubigen Straßen von der nächsten Bar entfernt lag. Und selbst wenn Tomas sich sofort in Richtung Koomah Crossing aufmachte, würde er die Bar nicht vor der Sperrstunde erreichen.

Sie atmete langsam durch und setzte sich wieder auf den Schreibtisch. „Nun sagt doch schon, was eigentlich los ist. Ich habe nur einen Bruchteil von dem gehört, was ihr besprochen habt. Worum geht es überhaupt?“

Vor fünfzehn Jahren war Angie mit Tomas und ihrem Bruder Carlo um die Wette gelaufen, vom Haus bis zum Wasserloch, und zwar mit verbundenen Augen. Im Vergleich zu diesem Wettlauf war dieser Weg durch die Nacht trotz des steinigen Abhangs nur ein Spaziergang. Der fast volle Mond beleuchtete den Pfad, sodass Angelina genau sehen konnte, wo sie hintrat. Damals mit der Binde vor den Augen war alles pechschwarz gewesen, aber sie war trotzdem so schnell gelaufen, wie sie konnte. Immer wieder hatte sie beweisen wollen, dass sie als Mädchen nicht weniger wert war als die Jungen.

Du bist ja eine richtige Wildziege, hatten die Jungen gemeint und ihr widerstrebend den Preis überreicht. Erst nach vielen Jahren war Angelina aufgegangen, dass das nicht unbedingt eine Schmeichelei war.

Sie lächelte traurig, wurde jedoch ernst, als sie sich ihrem Ziel näherte. Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit. Fröstelnd strich sie sich über die Arme. Warum hatte sie ihr dünnes Seidenkleid nicht gegen eine Jeans vertauscht? Die Nächte waren kühl. Und sicher benahm sich Tomas noch genauso kalt und unnahbar wie ein paar Stunden zuvor. Aber wenn ich ihn finde, dann werde ich sagen, was ich zu sagen habe, und er wird mir zuhören müssen. Ob ihre Vermutung richtig war und er sich vor der Welt und den Menschen hier bei diesem Wasserloch verborgen hielt?

Seit sie vor einer Woche aus Italien zurückgekommen war, war ihr Tomas ein paar Mal begegnet. Zuerst im Krankenhaus, bevor sein Vater starb, dann bei dem Gottesdienst, der im Wesentlichen für die Geschäftsfreunde gedacht war, und später in Alex’ Haus in Sydney. Doch eine kurze Umarmung und ein paar belanglose Worte waren alles gewesen.

Aus diesem Grund war sie nach der Beerdigung im engsten Kreis nicht mit den anderen Trauergästen in einem gecharterten Flugzeug von Kameruka Downs nach Sydney zurückgekehrt. Stattdessen hatte sie darum gebeten, später mit dem kleinen Firmenjet mitgenommen zu werden. Sie musste unbedingt mit Tomas unter vier Augen reden. Sie wollte wissen, woran sie war.

Das hatte allerdings nichts mit dieser verwirrenden Testamentsklausel zu tun, von der sie erst jetzt erfahren hatte. Nein, sie wollte mit ihm über ihr schlechtes Gewissen reden und ihr Bedauern darüber, dass sie für ihn nicht die Freundin sein konnte, die er sich wünschte. Das musste einmal ausgesprochen werden, damit dieses Kapitel abgeschlossen war und sie einen neuen Lebensabschnitt beginnen konnte.

Das war sicher sehr schwer, schwerer noch als der Entschluss damals, Tomas zu sagen, dass sie nichts von seiner Verlobung mit Brooke hielt.

Im Grunde hatte sie Brooke durchaus gemocht. Während der Schulzeit waren sie sogar eng befreundet gewesen. Tomas hatte seine spätere Frau Brooke auf Angies Party zu ihrem achtzehnten Geburtstag kennen gelernt. Und gerade an diesem Tag hatte Angie sich so viel Mühe gegeben, damit Tomas sie endlich als Frau wahrnahm und nicht mehr nur als die wilde Gefährtin ihrer Kindheit.

Aber das Schicksal hatte es nicht gut mit ihr gemeint, denn genau an diesem Tag hatte Tomas sich Hals über Kopf in Angies zierliche hübsche Freundin verliebt. Anderthalb Jahre später waren die beiden dann verlobt, und Tomas weigerte sich, mit Angie über Brooke zu sprechen. Angie kannte ihre Freundin und wusste, dass sie in den Weiten des australischen Outbacks nicht glücklich werden würde. Aber Tomas wollte nichts davon hören. Er liebte Brooke, und er heiratete sie.

Darüber war Angie nie hinweggekommen. Sie lehnte es ab, Trauzeugin zu sein, packte ihre Sachen und flog nach Europa. An der Hochzeit teilzunehmen, hätte sie nicht ertragen können, und sie war nicht sicher, ob sie nicht vor dem Jawort aufgesprungen wäre und in die Menge gerufen hätte: „Er kann sie nicht heiraten! Er gehört mir!“

Also hatte sie die Hochzeit verpasst und ebenso, schlimmer noch, Brookes Beerdigung. Aber jetzt war sie wieder da, und sie musste die Angelegenheit unbedingt klären. Allerdings war sie im Zweifel, ob das in einem Gespräch mit diesem unnahbaren Fremden würde geschehen können, zu dem Tomas geworden war. Aber sie musste es versuchen.

„Die Stunde der Wahrheit“, sagte sie laut, als sie unter einem herunterhängenden Ast hindurch auf die kleine Lichtung in der Nähe des Wasserlochs trat.

Vorsichtig sah sie sich nach allen Seiten um und stieg auf die großen Felsblöcke, die das Wasserloch umgaben. Mit klopfendem Herzen sah sie von oben in die Höhle und atmete enttäuscht aus.

Nichts.

Langsam stieg sie wieder hinab. Sie war so sicher gewesen, ihn hier zu finden, und hatte sich fest vorgenommen, noch an diesem Abend alles zu klären.

Vielleicht wollte er nicht, dass sie ihn fand?

Das war durchaus eine Möglichkeit. Schließlich war er nicht in jeder Beziehung ein anderer Mensch geworden. Auch früher war er hier nicht immer allein hergekommen. Vielleicht war er auch jetzt da unten nicht allein.

Na warte. Angie spitzte die Lippen und pfiff.

Tomas hatte sich schon gedacht, dass ihn jemand suchen würde, höchstwahrscheinlich Angie. Aber er hatte sich darauf verlassen, dass er in der Nacht nicht gefunden werden konnte. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass sie nach seiner Hündin pfeifen würde.

Ajay reagierte auch sofort mit einem hellen misstrauischen Bellen, als wolle sie sagen: Gut gepfiffen, aber so schnell lasse ich mich nicht überzeugen. Ich verteidige mein Herrchen auf Leben und Tod. Also Vorsicht, wenn du näher kommst.

Aber Angie achtete nicht darauf.

Steinchen fielen von oben ins Wasser, und Tomas sah, wie sich Ajays Rückenhaare aufstellten. Er legte der Hündin beruhigend die Hand auf den Rücken und konnte spüren, wie sie vor Anspannung zitterte.

„Bleib, wo du bist!“, stieß er leise hervor. Das galt dem Hund, Angie würde sich sowieso nicht abhalten lassen.

Als wollte sie genau das beweisen, erschien sie im Zugang zur Höhle, ging in die Hocke, stützte sich ohne zu zögern auf Tomas’ Schulter ab und sprang hinunter. Ihr Rock blähte sich kurz auf und fiel dann weich um ihre langen schlanken Beine.

„Dir ist wohl gar nicht in den Sinn gekommen, dass ich vielleicht allein sein möchte?“, fragte er und war selbst überrascht, wie gelassen seine Stimme klang. Denn seit Jack Konrads das Testament verlesen hatte, hatte Tomas sich nur mit Mühe bezähmen können. Die Trauer um den Verlust des Vaters hatte einem blinden Zorn Platz gemacht. Wie konnte ein Vater seinen Söhnen nur so etwas antun?

„Oh doch“, sagte sie schnell und lächelte kurz.

Das Lächeln hätte allerdings auch dem Hund gelten können. Ihre Hand glitt über Tomas nackten Unterarm, als sie sich vorbeugte. „Beim Aufstieg habe ich überlegt, ob Sergeant wohl noch lebt.“

„Er ist gestorben.“

Sie schwieg kurz, dann drückte sie ihm mitfühlend den Arm. „Das tut mir leid.“

„Er war alt geworden.“

„Wie wir alle.“ Sie ging in die Hocke. „Was bist du doch für ein schönes Tier.“ Als sie die Hand ausstreckte, pfiff Tomas warnend durch die Zähne. „Das solltest du lieber nicht tun.“

„Ich will sie doch nur begrüßen.“

Zu Tomas’ Überraschung ließ sich Ajay bereitwillig streicheln, aber im Grunde hätte er sich das denken können. Angie konnte schon immer gut mit Hunden umgehen. Erleichtert atmete er auf, aber nur ein bisschen. Denn immer noch hatte er Schwierigkeiten, die elegante Frau hier vor ihm mit der jungenhaften Angie seiner Kindertage in Verbindung zu bringen.

Sie trug jetzt Kleider, und ihre ehemals wilden Locken hatte sie glätten lassen, sodass das Haar schwarz und glänzend auf ihre Schultern fiel. Und bei jeder Bewegung hörte er das leise Klirren der Goldkettchen, die sie am Hand- und am Fußgelenk trug.

Trug sie nicht auch einen kleinen Ring an einem Zeh? Und erst das Parfüm …

„Was ist mit dem Parfüm?“

„Wieso?“ Er schaute sie verwirrt an, bis ihm klar wurde, dass er laut gesprochen hatte, was ihm durch den Kopf ging. Schon bei ihrer ersten Begegnung nach der langen Zeit war es ihm aufgefallen. Sie war durch den Krankenhausflur auf ihn zugestürzt – war das wirklich erst vor einer Woche gewesen? – hatte ihn umarmt und ihren Tränen und Worten freien Lauf gelassen.

Aber anstatt daraus Trost zu schöpfen, hatte er nur ihr Parfüm wahrgenommen, hatte ihre weichen Kurven nur zu deutlich registriert und sich verkrampft. Er hatte die Frau einfach beiseite geschoben, die sich so anders anfühlte als die Angie, die er kannte.

Sie hatte sich sehr verändert, und er sehnte sich nach einem Menschen, der so war wie immer, um mit der Erinnerung an eine glückliche Vergangenheit die grausame Gegenwart besser ertragen zu können.

„Du riechst so anders“, sagte er jetzt mit leisem Vorwurf. Und nicht nur das. Sie sah auch anders aus, und sie schaute ihn auch anders an als früher. „Du hast dich sehr verändert, Dash.“

Als sie den alten Spitznamen aus der Kindheit wieder vernahm, musste sie lachen. „Das ist wirklich eine Stimme aus der Vergangenheit.“ Sie nahm endlich die Hand von seinem Arm. „Dash hat mich schon seit Ewigkeiten keiner mehr genannt.“

Seit Ewigkeiten, das konnte hinkommen.

Denn es kam ihm schon wie eine Ewigkeit vor, dass sie ihm hierher gefolgt war, um ihm zu sagen, dass Brooke sich im Outback nie wohl fühlen würde. Als ob er das nicht selbst gewusst hätte. Aber er war so jung und überheblich gewesen zu glauben, dass sich das ändern würde.

„Ich war nur fünf Jahre fort, aber du hast recht. Ich habe mich verändert, du hast dich verändert, alles hat sich verändert.“ Ihre Stimme klang leise und sanft, und plötzlich schaffte die Dunkelheit um sie herum eine fast intime Atmosphäre.

Tomas wurde es heiß und kalt zugleich.

„Das mit deinem Vater tut mir so leid“, fuhr Angelina fort. „Dass er krank werden musste und in den letzten Wochen noch so gelitten hat. Das war für euch alle sicher sehr schwer. Dass ich in der Zeit nicht hier war, bedauere ich sehr, und ich hoffe …“

„Deshalb hättest du nicht herzukommen brauchen. Das habe ich in der letzten Woche oft genug gehört.“

„Aber nicht von mir. Zumindest nicht, ohne mich mitten im Satz zu unterbrechen und mir den Rücken zuzukehren.“ Sie hob den Kopf in ihrer typischen Art und sah Tomas unbeeindruckt an. „Außerdem habe ich dir noch einiges mehr zu sagen. Und diesmal möchte ich, dass du mir zuhörst.“

Da war etwas in ihrem Tonfall und dem Ausdruck ihrer dunklen Augen, das ihn beunruhigte. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte die Höhle verlassen, aber Angie legte ihm die Hand aufs Knie. Da war wieder die alte Spielkameradin von früher, die nicht nachgab, wenn sie etwas erreichen wollte.

„Hast du meinen Brief bekommen?“, fragte sie.

Ja, er hatte den Brief bekommen, den sie nach Brookes Tod geschrieben hatte. Doch was erwartete sie von ihm? Sollte er sagen: Vielen Dank für deine mitfühlenden Gedanken? Sie waren eine große Hilfe, als ich fürchtete, ich könne den brutalen Schmerz nicht ertragen?

„Es hat mir sehr leid getan, dass ich nur einen lächerlichen Brief schicken konnte“, fuhr sie fort. „Ich wäre in dieser Situation gern bei dir gewesen. Oder hätte wenigstens tröstlichere Worte gefunden.“

„Das hätte mir auch nicht geholfen.“

„Aber mir.“ Sie legte ihre Hand auf seine geballte Faust, und er überlegte, ob sie früher auch immer das Bedürfnis gehabt hatte, ihren Gesprächspartner zu berühren. Oder gehörte das zu der neuen Angie? „Ich war nicht hier, als du mich gebraucht hättest, als ich bei dir hätte sein sollen. Das hättest du doch von einer guten Freundin erwarten können, oder?“

Erwartete sie eine Antwort? Oder war sie zufrieden, wenn er wie ein Priester still neben ihr saß und ihr quasi die Beichte abnahm, damit sie sich hinterher besser fühlte? Hoffentlich erwartete sie keine Absolution, denn die konnte er ihr nun wirklich nicht geben.

„Deine Freundschaft ist mir sehr wichtig. Wir sind doch noch Freunde, T. J.?“

Das war nun sein Spitzname aus der Kindheit, aber irgendwie war er hier fehl am Platze. Denn sie lehnte sich weiter vor, bis ihr Arm gegen seinen drückte, dann strich sie ihm liebevoll über die Hand, und ihr sehr weibliches Parfüm stieg ihm in die Nase. Vielleicht wollte sie damit erreichen, dass er sich entspannte. Aber das Gegenteil war der Fall: Sein Körper verkrampfte sich immer mehr.

Er griff nach ihrer Hand und legte sie in ihren Schoß zurück. „Wenn du dich dabei besser fühlst, warum nicht?“

Sie stieß verärgert die Luft aus. „Kannst du nicht wenigstens so tun, als täte dir das Mitgefühl einer Freundin wohl? Ist das zu viel verlangt?“

Er schwieg, und als sie sacht den Kopf schüttelte und ihr langes weiches Haar über seinen nackten Unterarm strich, rückte er ein Stück zur Seite. Er fühlte sich ausgesprochen unwohl in ihrer Gegenwart, vor allem weil die kleine Angie sich in eine aufregende Frau verwandelt hatte, auf die sein Körper nur zu deutlich reagierte.

„Gut, ich habe gesagt, was ich sagen wollte.“ Angelina stand auf und wandte sich zum Gehen. „Mach damit, was du willst. Ich lasse dich jetzt allein, damit du dich wieder deinem Weltschmerz hingeben und deine Wunden lecken kannst.“

Tomas hätte sie gehen lassen sollen, aber irgendeine innere Stimme zwang ihn zu fragen: „Das ist alles? Deshalb bist du hergekommen?“

„Oh Mann!“ Sie lachte leise auf. „Ich weiß, ich sollte sagen: Ja, das ist alles.“

„Und? Ist es nicht alles?“

„Nein. Denn ich weiß, du hättest mich nicht gefragt, wenn du nicht den Wunsch hättest, ich solle bleiben. Weil du mit mir reden willst.“ Sie setzte sich wieder neben ihn und sah ihn forschend an. „Über diese seltsame Testamentsklausel, oder?“ Als er schwieg, fügte sie hinzu: „Die ist irgendwie bedrohlich, das finde ich auch. Wäre es nicht das Beste, wenn du das Ganze in Ruhe mit deinen Brüdern durchsprichst?“

„Was gibt es denn da zu besprechen?“

„Na ja, zum Beispiel die Tatsache, dass ihr eine Mutter für das Baby finden müsst, das ihr glaubt, zeugen zu müssen.“

„Von glauben kann keine Rede sein. Es ist eine eindeutige Forderung.“

„Aber muss nicht nur einer von euch ein Kind haben?“

„Das schon, aber glaubst du, ich überlasse das meinen Brüdern? Und damit auch all das hier?“ Er machte eine weite Geste, und sie wusste, was das bedeutete. Ihm ging es nicht darum, die Unternehmensholding zu erben. Aber Kameruka Downs war sein Zuhause. Hier wollte er leben, nirgendwo anders würde er sich wohl fühlen. Kameruka Downs war ihm als Einziges geblieben, nachdem seine Frau bei dem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war und er keine Hoffnung mehr auf eine glückliche Zukunft hatte.

„Wissen deine Brüder, dass diese Ranch dir alles bedeutet?“

Falsch, Kameruka war nicht alles für ihn, es war das Einzige, das ihm geblieben war.

„Alex sagt, dass er Susannah heiraten wird.“

„Falls es irgendwo in ihren Terminkalender passt. Und was Rafe betrifft …“ Tomas machte eine wegwerfende Handbewegung.

Angelina wusste, was er damit sagen wollte. Sie kannte Rafe gut genug, um zu wissen, das er sein Playboyleben nie aufgeben würde, um den notwendigen Erben zu produzieren. „Was meinst du, warum hat dein Vater diese Bedingung gestellt? Ich begreife ihn ehrlich gesagt nicht.“

„Ich schon. Er hat es für Maura getan.“

„Wieso? Das ergibt doch keinen Sinn. Euer Vater wusste zwar, dass ihr Jungs alles für Maura tun würdet. Aber ihm musste doch auch klar sein, dass Maura mit dieser Regelung nie einverstanden sein würde. Denn sie will, dass ihr glücklich seid und nicht durch die Klausel zu etwas gezwungen werdet, was ihr nicht wollt.“

„Das schon. Deshalb darf sie auch nichts davon erfahren. Konrads hat uns über diesen Testamentszusatz informiert, als sie nicht dabei war.“

„Na, dann viel Vergnügen!“ Sie lachte kurz auf, wurde jedoch schnell wieder ernst. „Andererseits, wahrscheinlich war das ziemlich klug von eurem Vater. Denn auf diese Weise hat er euch schnell von eurem Kummer abgelenkt.“

Tomas sah sie wütend an. So etwas konnte auch nur Angie einfallen. „Klug?“ Er hätte es unüberlegt genannt. Hatten sie nicht das Recht, um einen Vater zu trauern, der so viel für sie getan hatte?

„Aber es hat funktioniert, oder etwa nicht?“, hakte sie nach.

Ja, verdammt, er musste ihr Recht geben. Sie hatten ihren Vater gerade erst begraben, als Konrads diese Besprechung in der Bibliothek einberufen hatte und ihre Trauer sich in Zorn verwandelte. „Wie dem auch sei, wir müssen trotzdem tun, was er von uns erwartet.“

Angelina schwieg und sah Tomas ernst an.

„Was ist? Warum siehst du mich so an?“, fragte er aufgebracht.

„Rafe sagt, dass du momentan mit niemandem … ich meine, keine Freundin hast.“

Ihr Zögern machte ihm klar, dass sein lieber Bruder einen anderen Ausdruck gewählt hatte. „Woher will Rafe das denn wissen?“

Angelina senkte den Blick. Okay, wenn er nicht darüber sprechen wollte, mit wem er ins Bett ging, nicht mit seinem Bruder und nicht mit ihr, dann musste sie das akzeptieren. Sie atmete ein paar Mal tief durch und hob wieder den Kopf. „Was ganz anderes: Hast du schon einen Plan, wie du das Problem lösen könntest? Ich meine, wie du zu einem Kind kommst? Mal abgesehen von der verrückten Idee, eine Frau dafür zu bezahlen.“

„Was ist so verrückt daran?“

„Also, Tomas, möchtest du wirklich, dass eine solche Frau dein Kind zur Welt bringt?“

„Was heißt, eine solche Frau?“

„Na ja, die Art von Frau, die so etwas für Geld macht.“

„Ich rede hier doch nicht von Prostitution.“

„Wirklich nicht?“

Irgendetwas an ihrem Tonfall ging ihm gegen den Strich. „Hast du eine bessere Idee?“, fuhr er sie an. „Glaubst du etwa, die Frauen stehen Schlange, um mein Baby zur Welt zu bringen?“

„Bist du wirklich so ahnungslos oder tust du nur so? Sieh dich doch an.“ Sie lehnte sich zurück und musterte ihn aus leicht zusammengekniffenen Augen. Wieder wurde ihm ganz heiß unter ihrem Blick. „Deine Ausstrahlung als einsamer Wolf hat auf Frauen eine sehr stimulierende Wirkung.“

„Was für ein Unsinn!“

„Aber ja! Du kommst doch manchmal in die Stadt, oder? Zumindest war das früher der Fall. Du musst doch gespürt haben, wie die Frauen dich ansehen. Du bist ihr absoluter Traummann.“

Traummann? Das nützte ihm jetzt herzlich wenig. Er brauchte eine wirkliche Frau, und zwar schnell. Eine, die sofort verfügbar war. „Dann nenn mir doch eine“, sagte er mit brutaler Deutlichkeit. „Eine, die bereit ist, ein Kind von mir zur Welt zu bringen.“

Sie sah ihn lange an, und erst als sie sich ein wenig zurücklehnte, bemerkte er, dass er sich vorgebeugt hatte und ihr so nahe war, dass er wieder ihren Duft wahrnehmen konnte. Sie holte tief Luft.

„Ich wäre dazu bereit.“

2. KAPITEL

In Angelinas Kopf hallten die vier Worte nach. Ich wäre dazu bereit. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? War sie verrückt geworden?

Ganz offensichtlich.

Denn wenn sie bewusst einen Scherz gemacht hätte, dann würde sie jetzt doch lachen und damit Entwarnung geben. „Nicht schlecht, was?“, würde sie sagen, und Tomas könnte erleichtert aufatmen.

Stattdessen schwieg sie. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals, und sie spürte, wie sehr sie sich danach sehnte, ihm endlich die Wahrheit zu sagen.

Also, Tomas, das ist so … Irgendwie habe ich dich mein ganzes Leben lang geliebt. Seit ich dreizehn war, wollte ich dich heiraten. Mit vierzehn wusste ich schon, wie unsere Kinder heißen sollten, drei Jungen mit deinen blauen Augen …

Aber das konnte sie ihm unmöglich sagen. Diese Teenagerliebe war Vergangenheit. Jetzt war sie hier, weil sie ihre Freundschaft retten wollte. Sie lächelte angestrengt. „Da habe ich dich ganz schön verwirrt, was?“

„Kann man so sagen.“ Er senkte kurz den Blick, sah Angie aber dann wieder an. „War das deine Absicht?“

„Nein.“

„Warum hast du es dann gesagt?“

Leider fiel ihr keine scherzhafte Erwiderung ein. Als sie seine blauen Augen ernst auf sich gerichtet sah, konnte sie weder lachen noch lügen. Doch die volle Wahrheit konnte sie ihm auch nicht gestehen. „Das weiß ich leider auch nicht. Aber eins muss ich dir sagen: Deine lauwarme Reaktion auf mein Angebot ist nicht gerade schmeichelhaft. Wäre es denn so schlimm? Ich meine, du und ich?“

Er starrte sie immer noch an, als würde er die Möglichkeit doch in Betracht ziehen. Er und sie, Haut an Haut, während sie miteinander taten, was notwendig war, um ein Baby auf die Welt zu bringen. Eine glühende Hitze überfiel sie, und sie schaute schnell weg.

„Du kannst dir das unmöglich genau überlegt haben“, sagte er leise.

Großer Irrtum. Wie oft hatte sich Angie eine solche Situation ausgemalt, vor allem mit Tomas, im Grunde seit der ersten Stunde Sexualkunde in der Schule. „Ehrlich gesagt habe ich schon häufiger darüber nachgedacht“, sagte sie langsam. „Über den Sex, meine ich, nicht so sehr über die Sache mit dem Baby.“

Ihm stockte hörbar der Atem. Die Vorstellung, mit Angie zu schlafen, schien ihm so widerwärtig zu sein, dass er sie noch nicht einmal ansehen konnte. Denn er sprang auf und lehnte sich gegen den großen Felsen. Offenbar war er schockiert und in seiner Mannesehre zutiefst gekränkt.

„Aber, Angie, das kannst du doch nicht ernst meinen“, stieß er schließlich hervor. „Du bist doch …“

„Du meinst, ich bin so unattraktiv, dass du es nicht über dich bringen könntest, mit mir zu schlafen? Selbst wenn Kameruka Downs auf dem Spiel steht?“

„Dreh mir nicht das Wort im Mund herum. Du weißt doch gar nicht, was ich denke.“

Das stimmte. Und in der Dunkelheit konnte sie auch seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen. Auf keinen Fall wollte sie ihren ältesten Freund verlieren und ihren Stolz dazu, ohne zu wissen, was in Tomas vorging.

Sie stand schnell auf, und während sie auf ihn zuging, klopfte sie sich den Sand vom Rock. Die Stunde der Wahrheit. „Dann sag es mir. Warum erscheint dir mein Vorschlag, dein Kind auszutragen, so absolut unannehmbar?“

„Himmel, Angie, begreif doch! Es geht hier nicht um Gedankenspiele, sondern um die Wirklichkeit. Ich brauche ein Baby.“ Er sah sie mit reglosem Gesicht an. „Ich brauche ein Baby, auch wenn die Mutter es aller Wahrscheinlichkeit nach allein aufziehen muss.“

Sie glaubte ihren Ohren nicht trauen zu können und starrte ihn entgeistert an. „Willst du damit sagen, dass du mit deinem Kind nichts zu tun haben willst?“

„Genau.“

„Aber warum nicht? Hier auf Kameruka Downs aufzuwachsen muss wunderbar für ein Kind sein, und außerdem …“

„Nicht jeder ist dieser Meinung.“

„Aber ich! Und dein Vater offenbar auch, denn er hat euch alle drei hier aufwachsen lassen. Kannst du dir wirklich vorstellen, dass er lediglich an die Zeugung dachte, als er die Testamentsklausel formulierte? Das sein Enkelkind irgendwo anonym …“

„Es ist mir egal, was er dachte.“

„Tatsächlich? Dann hast du dich wirklich verändert.“

„Stimmt.“

Einen langen Augenblick lang starrten sie sich schweigend an. Da merkte Angie, dass seine Gleichgültigkeit nur aufgesetzt war. Wollte er damit seinen Frust, den Zorn und die Trauer verbergen? Vielleicht auch die Sorge, dass er sein Zuhause, seinen Beruf und den Lebensraum verlor, den er so liebte, wenn er und seine Brüder den Wunsch des Vaters nicht erfüllen konnten? Und das, wo er doch gerade erst diesen Vater und vor nicht allzu langer Zeit seine Frau verloren hatte?

Ihr Herz schmerzte vor Mitgefühl, und ihr wurde wieder einmal bewusst, dass sie, was Tomas betraf, mit ihrer Vergangenheit noch längst nicht abgeschlossen hatte. So sehr sie sich in den letzten fünf Jahren auch verändert hatten, eins galt heute wie damals. Sie liebte diesen Mann und würde alles tun, um seinen Schmerz zu lindern.

Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie strich ohne nachzudenken Tomas tröstend über die Wange. Doch er hob abwehrend beide Hände.

„Hör auf, Angie. Ich brauche dein Mitleid nicht. Diese ganze Unterhaltung ist lächerlich.“

Angie ließ die Hand sinken. Gut, wenn er es nicht anders wollte. Sie konnte so tun, als sei er ihr gleichgültig, auch wenn ihr das verdammt schwer fiel. Aber vielleicht wurde es Zeit, dass sie lernte, sich nicht immer alles anmerken zu lassen.

„Das glaube ich nicht“, sagte sie ruhig und trat ein paar Schritte zurück. „Dazu kenne ich dich zu gut. Lass uns die Sache doch mal durchsprechen. Was für Alternativen hast du? Nehmen wir einmal an, du findest eine Frau, die bereit ist, dein Kind gegen Geld auszutragen. Glaubst du nicht, dass Sex mit einer Fremden ziemlich riskant ist? Andererseits gibt es die Möglichkeit der künstlichen Befruchtung. Damit gehst du kein gesundheitliches Risiko ein und umgehst außerdem die peinliche Situation, intim werden zu müssen. Das ist sicher ein Vorteil.“

Tomas biss die Zähne so fest zusammen, dass sein Kiefer zuckte. Das bedeutete wohl, dass er weder auf die sonst notwendige Intimität noch auf ein Gespräch darüber erpicht war. Aber da er Angelina vorhin daran gehindert hatte fortzugehen, würde sie jetzt sagen, was sie zu sagen hatte.

„Aber die ganze Sache ist ziemlich zeitaufwendig. Ich meine, die Gesundheitschecks, die Tests, dann die Wartezeit, bis man einen Termin bei einem Spezialisten bekommt. Und du hast doch nur drei Monate Zeit. Das ist wenig, schon weil künstliche Befruchtung nicht immer auf Anhieb klappt.“

„Wieso denn nicht? Bei den Rindern gibt es nie Probleme.“

Angie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich habe mich mit dem Thema nie befasst, habe nur ein paar Artikel darüber gelesen. Ich will ja auch nur die verschiedenen Möglichkeiten durchsprechen.“

„Bist du sicher, dass du nicht auch gleich die Entscheidung für mich fällen willst?“

„Als ob du dich jemals nach meinen Vorschlägen gerichtet hättest.“

„Was dich aber nie daran gehindert hat, sie zu machen.“

Sie sah ihn stirnrunzelnd an. Bezog er sich da auf ihre früheren Äußerungen in Bezug auf Brooke? Dem zornigen Ausdruck in seinen Augen nach zu urteilen ganz sicher. „Ich dachte, du wolltest über die Sache reden. Aber das hat offenbar keinen Sinn, zumindest nicht mit mir. Vielleicht solltest du dich lieber mit der Felswand unterhalten. Die gibt dir wenigstens keine Antworten, die dir nicht passen.“

Er öffnete den Mund und sah dabei so aggressiv aus, dass Angelina ihm zuvorkam. „Ich wollte dir helfen, Tomas. Aber wenn du meinst, dass diese ganze Unterhaltung ‚keinen Sinn hat‘, dann sollten wir sie beenden.“

Sie hob die Hand. „Ich gehe dann jetzt. Auf Wiedersehen sage ich dir morgen, wenn ich nicht mehr das dringende Bedürfnis habe, dir eine zu knallen.“

Tomas stand wie versteinert da und schaute Angelina hinterher, die schnell von der Dunkelheit verschluckt wurde. Er dachte an das letzte Treffen hier an diesem Wasserloch. Als sie ihm einen Ratschlag gab, den er nicht hören wollte.

Ich weiß, du glaubst, sie zu lieben, T. J., aber lass dir Zeit mit dem Heiraten. Erst musst du ganz sicher sein, dass Brooke sich hier draußen auch wohl fühlt.

Er hatte ihren Ratschlag nicht befolgt, und er und Brooke hatten die Folgen tragen müssen. Drei konfliktreiche Jahre lang hatten sie immer wieder versucht, ein gemeinsames Leben zu führen, hatten sich getrennt, waren wieder zusammengekommen, bis Brooke ums Leben kam und der Kampf zu Ende war.

Tomas hatte keinerlei Interesse, eine neue Frau zu finden, aber das Testament des Vaters hatte ihn vor eine neue Situation gestellt. Er musste ein Kind zeugen, für seine Mutter, für Kameruka Downs, für seine Brüder, für sich selbst. Und er musste eine Frau finden, die mit der von ihm vorgeschlagenen Methode einverstanden war.

Diese Frau war ganz sicher nicht Angie, auf keinen Fall. Sie war viel zu sehr daran gewöhnt, ihren eigenen Willen durchzusetzen. Dass sie unberechenbar war, war das einzig Berechenbare an ihr. Deshalb hätte er sich von ihrem Angebot, sein Kind auszutragen, gar nicht so beeindrucken lassen sollen. Schon früher hatte sie nie die Konsequenzen einer Entscheidung durchdacht.

Im Grunde war es auch nicht dieser Vorschlag gewesen, der ihn so durcheinander gebracht hatte. Denn schlichtweg umgehauen hatte ihn ihre Bemerkung, dass sie sich schon früher oft vorgestellt habe, mit ihm ins Bett zu gehen.

Seitdem schlug sein Herz schneller und sehr eindeutige Bilder gingen ihm durch den Kopf. Frustriert schlug er mit der flachen Hand gegen die Felswand und machte sich dann auf den Heimweg.

Er würde nie mit ihr schlafen, nicht mit Angie. Im Zusammenhang mit Sex an sie zu denken, verbot sich einfach. Sie nackt, in seinen Armen, in seinem Bett, unter ihm, nein und noch mal nein!

Sie hatte ihr Angebot, sein Baby auszutragen, sicher nicht ernst gemeint. Und wenn, dann würde sie sicher in kürzester Zeit ihre Meinung wieder ändern. Eine Frau, die es in einem Job selten länger als drei Monate aushielt, eignete sich nicht als Mutter. Sicher, sie hatte sich geändert, war erwachsener geworden. Aber sie war immer noch nirgendwo wirklich angekommen. Stattdessen war sie die letzten Jahre durch die Welt zigeunert. So ein Mensch würde sich nie ändern.

Rafe wartete draußen neben der Haustür auf Tomas. Im Schatten des großen Verandadaches hätte Tomas ihn fast übersehen. Am liebsten wäre er ihm ausgewichen, denn zu viele Dinge gingen ihm nach dem Gespräch mit Angie durch den Kopf, aber es war zu spät.

„Ist Alex schon im Bett?“, fragte er, als er die Stufen hochstieg.

„Er telefoniert. Geschäftlich, wie immer.“

Typisch Alex. Selbst am Begräbnistag seines Vaters musste er arbeiten, sogar nach Mitternacht.

Rafe hob das Glas, das er in der Hand hielt. „Möchtest du auch einen?“

„Nein danke, heute nicht.“

Als Tomas die Eingangstür aufmachen wollte, trat Rafe ihm in den Weg. „Ist dir da draußen zufällig Angie begegnet?“

Tomas wusste nicht gleich, was er darauf antworten sollte, und sah seinen Bruder betont gleichgültig an. Angie musste längst zu Hause sein. Entweder hatte Rafe sie hineingehen sehen und hatte vielleicht schon mit ihr gesprochen, oder sie hatte schlauerweise den Seiteneingang benutzt. „Ist sie nicht im Haus?“

„Als ich vorhin nachsah, war sie nicht in ihrem Zimmer.“

Tomas schwieg, verschränkte die Arme vor der Brust und schaute seinen Bruder abwartend an. Rafe würde ihm schon von selbst erzählen, was er von Angie wollte.

„Irgendwie musste ich die ganze Zeit über diese verdammte Testamentsklausel nachdenken“, sagte Rafe langsam und ließ die goldbraune Flüssigkeit in seinem Glas kreisen. Der Tokaier hatte die gleiche Farbe wie Angies Augen. „Ich glaube, Angie ist die Lösung.“

„Sie hat mit der ganzen Sache nichts zu tun“, sagte Tomas schnell. „Lass sie in Ruhe.“

„Sie kennt die Familie und weiß von der Klausel. Und Maura liebt sie wie eine eigene Tochter.“

Und genau da lag das Problem. Angie und ihre Brüder waren als Teil der Familie Carlisle aufgewachsen. Ihr Vater war der Koch der Carlisles gewesen und mit seinen Kindern nach Kameruka Downs gezogen, nachdem seine Frau gestorben war. Charles Carlisle hatte alles daran gesetzt, ihn zu überreden, denn Vater Mori war Chefkoch von Mauras Lieblingsrestaurant in Sydney gewesen. Die Familie war in eins der Farmarbeiterhäuser gezogen, doch die Kinder waren in dem großen Herrenhaus ein- und ausgegangen. Die sechs Kinder der Familien Carlisle und Mori waren zusammen aufgewachsen, hatten zusammen gespielt und waren auch in dieselbe Schule gegangen.

„Ich finde“, unterbrach Rafe Tomas’ Gedanken, „Angie ist die ideale Lösung.“

„Ich finde, sie gehört viel zu sehr zur Familie, als dass sie dafür infrage kommt.“

„Du meinst, weil sie wie eine Schwester ist?“ Rafe sah seinen Bruder belustigt an. „Das Gefühl habe ich eigentlich nicht, schon gar nicht seit sie aus Italien zurück ist. Ich meine, mit der neuen Frisur und der fabelhaften Figur. Und dann ihr Gang.“ Rafe musterte den Bruder kurz. „Hast du ihren Gang bemerkt?“

Die verführerische Art und Weise, in der sie die Hüften bewegte? Wie dabei der leichte Stoff ihre Beine umschmeichelte? Das Glitzern des Goldkettchens an ihrer schmalen Fessel? „Nein.“

„Leider glaube ich dir das sogar.“ Rafe schüttelte missbilligend den Kopf und nahm einen Schluck. „Obwohl es die Dinge vereinfacht.“

„Wieso?“

„Du brauchst dich nicht zu opfern.“

„Wie meinst du das?“

Rafe sah den Bruder lauernd an. „Angie ist die Lösung für unser Dilemma. Wenn du nicht an ihr interessiert bist, frag ich sie.“

Angie sollte Rafes Kind zur Welt bringen? Tomas schüttelte energisch den Kopf, noch bevor er wusste, was er sagen wollte. „Du und Angie? Kommt gar nicht infrage!“

„Warum denn nicht?“

Tomas beherrschte sich nur mit Mühe. „Wie kommst du überhaupt auf die Idee, dass sie uns bei der ganzen Sache helfen würde?“

„Sie hat irgendwie das Gefühl, unserer Familie etwas schuldig zu sein. Maura hat sie wie eine Tochter behandelt, als Angie eine Mutter brauchte. Und Dad hat ihr das teure Internat bezahlt. Außerdem hat er ihrem Vater auch dann noch Gehalt bezahlt, als der alte Mori zu krank war, um zu arbeiten.“

„Das ist doch Blödsinn.“ Nicht was die Eltern für die Moris getan hatten, aber die Vermutung, dass Angie sich deswegen verpflichtet fühlte. „Angie ist zu nichts verpflichtet.“

„Aber sie ist dieser Meinung.“

„Das kann doch nicht dein Ernst sein. Sie zu fragen, ob …“ Tomas konnte den Satz nicht zu Ende bringen.

„Ich kann mir niemanden vorstellen, den ich lieber um diesen Gefallen bitten würde.“

„Ich dachte, dein Erbe sei dir vollkommen egal.“

„Ist es auch.“ Rafe trank das Glas aus und legte dann dem Bruder die Hand auf die Schulter. Er blickte ihm ernst in die Augen. „Aber ich weiß, wie viel dir dein Erbteil bedeutet.“

„Du willst dich doch nicht etwa für mich aufopfern?“

„Das geht uns alle an. Hast du das nicht selbst gesagt, kleiner Bruder? Und ich biete mich an und fühle mich dabei keineswegs als Märtyrer. Aber irgendeiner muss die Sache ja in die Hand nehmen.“

„Lass Angie dabei aus dem Spiel“, sagte Tomas drohend.

„Denk doch noch mal darüber nach, Brüderchen. Sie ist ideal für den Job.“ Rafe nickte ihm zu und verschwand im Haus.

Die bewegungslosen Umrisse von Pferd und Reiter zeichneten sich klar gegen den weiten blauen Himmel ab. Trotzdem konnte es sich nur um eine Fata Morgana gehandelt haben, denn als Angie die Hand über die Augen legte und noch einmal angestrengt in dieselbe Richtung sah, war nur eine einzige hohe Fichte in der weiten Ebene zu sehen.

„Das gibt’s doch nicht!“ Sie rutschte auf dem Beifahrersitz weiter nach vorn und musterte noch einmal durch die staubige Windschutzscheibe des Landrovers das vor ihr liegende Land. Nichts. Nur der Baum ragte einsam in den blauen Himmel. Verrückt. Nicht nur, dass sie letzte Nacht diverse übereilte Angebote gemacht hatte, jetzt hatte sie auch noch Halluzinationen. Enttäuscht ließ sie sich in den Sitz zurückfallen.

Der Rancharbeiter Jeremy, der sie zum Flugplatz fuhr, warf ihr einen besorgten Blick zu. „Alles okay?“

„Ja, ja“, sagte sie schnell. „Ich dachte nur, ich hätte dahinten vor dem Hügel jemanden gesehen.“

„Könnte der Boss sein.“

„Ach so?“, fragte Angelina so gleichgültig wie möglich. „Ist er mit dem Pferd unterwegs?“

„Der ist schon bei Sonnenaufgang los. Das könnte er gut sein.“

Gut zu wissen, dass sie nicht unter Wahnvorstellungen litt. Dass Tomas schon seit Sonnenaufgang unterwegs war und den Hügel da vorn sicher längst hinter sich gelassen hatte, gefiel ihr weniger. Denn dann konnte er keinesfalls vor dem Start der kleinen Maschine nach Sydney auf dem Flugfeld sein.

Schade, aber was hatte sie denn erwartet? Hatte sie sich nur von ihm verabschieden wollen, oder hatte sie gehofft, er würde ihr Angebot doch noch in Betracht ziehen?

Wollte sie das überhaupt?

In der letzten Nacht hatte sie kaum schlafen können, hatte sich hin und hergewälzt und die Situation von allen Seiten beleuchtet. Schließlich war sie zu dem Schluss gekommen, dass die ganze Sache sie überhaupt nichts anging.

Dass sie Tomas diesen verrückten Vorschlag gemacht hatte, hatte eher damit zu tun, wie orientierungslos sie sich seit ein paar Monaten fühlte. Sie wusste nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte, wo und wie sie leben wollte. Weil Charles Carlisle im Sterben lag, war sie nach Australien zurückgekehrt. Nun wusste sie immerhin, dass sie bleiben wollte.

Aber ein Kind in die Welt zu setzen, selbst wenn es Tomas’ Kind war …

Der Landrover rumpelte durch ein paar Schlaglöcher, und Angelina hielt sich krampfhaft fest.

„Tut mir leid, hab ich nicht gesehen.“ Aber der knapp siebzehnjährige Jeremy dachte gar nicht daran, langsamer zu fahren. Im Gegenteil, er gab noch Gas und kam dann mit einem kühnen Schwung neben der Startbahn zum Stehen. Angie schüttelte nur den Kopf, aber sie musste zugeben, dass sie früher ganz genauso gefahren war.

Während sie vom Beifahrersitz rutschte, suchte sie den Horizont noch einmal mit den Augen ab. Nichts. Aber ihr Magen meldete sich, denn da sie erst morgens in einen unruhigen Schlaf gefallen war, hatte sie prompt den Wecker überhört.

Rafe hatte sie wecken müssen. Sie hatte kaum Zeit für eine Dusche gehabt und sich nur hastig verabschieden können. Für ein Frühstück hatte die Zeit nicht mehr gereicht.

Sie holte einen Müsliriegel aus ihrer Handtasche und rümpfte leicht angewidert die Nase. „Du hast nicht zufällig etwas weniger Gesundes dabei?“, fragte sie Jeremy.

„Leider nicht.“

Während Jeremy ihr Gepäck verstaute, aß Angelina missmutig den Müsliriegel, aber das hohle Gefühl im Magen wollte nicht verschwinden. „Starten wir bald?“

„Ganz sicher in den nächsten Minuten.“

Irgendwie ging Angelina das alles zu schnell. Sie war hergekommen, um an der Beerdigung teilzunehmen, aber nicht nur das. Sie wollte auch von ihrer Kindheit Abschied nehmen und von ihren Teenagerträumen. Aber das schien nicht gelungen zu sein, denn sie war so unruhig und nervös wie vorher.

Als ob sie irgendetwas zurückließ, irgendetwas Unerledigtes.

„Bis dann, Angie.“ Jeremy winkte ihr kurz zu.

Angelina hatte plötzlich Tränen in den Augen. Sie wollte nicht fort. Und bevor sie wusste, was sie tat, hatte sie den Arm um Jeremy gelegt und küsste den verblüfften Jungen auf die Wange.

Jeremy wurde knallrot und machte sich schnell davon, aber Angelina fühlte sich besser. „Pass gut auf dich auf. Und fahr vorsichtig!“

Du liebe Zeit! Das klang wie eine Mutter.

Bedeutete das etwa, dass sie sich bereits in die Mutterrolle einfühlte? Und damit für sie die Sache der Carlisles entschieden war?

Warum nur war sie so aufgewühlt? Waren es die fünf langen Jahre weg von zu Hause? Oder die Begegnung mit Tomas? Oder nur der Schlafmangel der letzten Nacht?

Wahrscheinlich alles zusammen.

Sie nahm ihre Tasche und kletterte ins Flugzeug. Die Motoren wurden angeworfen, und der Wind presste ihr den Rock an die Beine und wehte ihr das schulterlange Haar ins Gesicht. Sie strich es zurück und warf einen letzten Blick auf die Ebene.

Ein Pferd mitsamt Reiter galoppierte direkt auf das Flugzeug zu.

3. KAPITEL

Angelina drückte sich die Hand aufs Herz, das zu zerspringen schien. Beruhige dich, redete sie sich gut zu. Selbst wenn es Tomas ist, hat das nichts zu bedeuten. Er will sicher nur Auf Wiedersehen sagen, oder er hat noch irgendeine wichtige Nachricht für seine Brüder.

Oder es war etwas ganz anderes.

Rafe rief ihr nach, sie solle sich beeilen. Alex saß wahrscheinlich schon auf dem Pilotensitz. Sie hob die Hand und ließ den Reiter nicht aus den Augen, der immer näher kam. Es war eindeutig Tomas. Keiner saß wie er zu Pferde. Ihn zu sehen und zu wissen, dass sie sich von ihm verabschieden konnte, hatte eine beruhigende Wirkung auf sie. Ihr Puls jedoch raste, als er jetzt abstieg und ohne Hast auf das Flugzeug zukam.

Keiner sah in Jeans so gut aus wie Tomas. Die abgetragenen Lederstiefel hatte er schon vor fünf Jahren besessen. Er blieb unten an der Treppe stehen, und drei Stufen über ihm genoss Angelina den Anblick. Sie beugte sich vor und schob Tomas den breitrandigen Akubra aus der Stirn, der sein Gesicht beschattete.

„Fast wärst du zu spät gekommen“, sagte sie leise.

Rafe schaute leicht verärgert aus der Flugzeugtür. „Nett, dass du noch Auf Wiedersehen sagen willst, Brüderchen.“

„Ich wollte sicher sein, dass ihr auch abfliegt, großer Bruder.“

Rafe lachte, und auch Angie musste lächeln. Das war ein typischer Schlagabtausch der beiden und ihr so vertraut. Aber dann sah Tomas sie an, und sie wurde sofort ernst.

„Außerdem wollte ich noch kurz mit Angie sprechen.“

„In Ordnung, aber halte sie nicht so lange auf. Alex ist schon ganz scharf darauf, an seinen Schreibtisch zurückzukehren.“

Rafe verschwand wieder im Flugzeug, und Angie und Tomas sahen sich eine Weile an. Zumindest ihr kam es wie eine Ewigkeit vor, und sie wurde mit jeder Sekunde nervöser.

Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. „Wenn es um das geht, was ich gestern Nacht sagte …“

„Ich habe darüber nachgedacht, was du letzte Nacht …“

Sie sprachen gleichzeitig, und sie brachen gleichzeitig wieder ab. Als sie sich dann direkt in die Augen sahen, stockte Angie der Atem. „Sag du …“, stieß sie hastig hervor. „Was wolltest du sagen?“

„Als du gestern, natürlich rein hypothetisch, sagtest, du wärst bereit, das Baby auszutragen, war das ein … na ja, eingeschränktes Angebot?“

Was?

Angie überlief es eiskalt. „Ich hoffe, du gehst nicht davon aus, dass ich dieses Angebot jedem Hans und Franz mache.“

Tomas sah kurz zur Flugzeugtür. „Nicht Hans und Franz, aber vielleicht Alex und Rafe?“ Er trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. „Rafe geht davon aus, dass du dazu bereit bist, weil dich uns verpflichtet fühlst.“

„Du hast über mich mit Rafe gesprochen?“

„Er hat damit angefangen. Du bist für ihn die ideale Lösung.“

„Aber wie denkst du darüber, Tomas? Hast du noch einmal darüber nachgedacht?“

„Ich habe die ganze Nacht darüber gegrübelt.“ Er kniff die Augen leicht zusammen und fixierte Angelina, ohne die Miene zu verziehen. „Würdest du mir helfen, Angie?“

Das klang so ernst und beinahe flehend, dass Angelina sich ihm am liebsten in die Arme geworfen hätte. Sie wusste, was für ihn von der Erfüllung der Testamentsklausel abhing, wie hätte sie da widerstehen können. „Ja.“

Seine Augen leuchteten kurz auf. „Aber warum?“

Weil du mich brauchst. Weil ich dich liebe. „Weil ich es kann.“

Er wandte den Blick ab und murmelte etwas vor sich hin, das ganz sicher nicht für ihre Ohren bestimmt war. Er sah wieder auf. „Immer noch so impulsiv wie früher?“

Angie zuckte leicht mit den Achseln. „Offenbar.“

Schweigend sahen sie sich an, bis Angie wieder die Initiative ergriff. „Wie geht es nun weiter?“, fragte sie leise und wusste nur zu genau, was sie selbst sich wünschte. Sie wartete auf ein Zeichen von ihm, dass er ihren Vorschlag voll akzeptierte. „Soll ich bleiben?“

„Nein“, sagte er schnell. Er zog seinen Cowboyhut etwas tiefer, um seine Augen vor der Sonne zu schützen. „Ich komme nächste Woche nach Sydney und mache einen Termin bei einem Spezialisten.“

„Aber du brauchst doch keinen …“ Sie unterbrach sich selbst, weil ihr das Gespräch von gestern wieder einfiel. Sie hatten über das Risiko gesprochen, das bestand, wenn Tomas seinen Sexpartner nicht kannte. Aber jetzt ging es um sie und ihn. Aber wenn er meinte … „Gut, wir können uns ja testen lassen, damit wir absolut sicher sind, dass wir gesund sind.“

Er runzelte die Stirn. „Darum geht es nicht. Ich möchte einen Termin mit einer Klinik machen.“

„Aber das ist doch nicht nötig.“

„Aber ja. Wegen der künstlichen Befruchtung.“

Angie blieb der Mund offen stehen. „Das ist doch nicht dein Ernst?“

Tomas war nicht nach einem Scherz zumute, das konnte sie an seinen versteinerten Gesichtszügen erkennen. Nur die Wangenmuskeln zuckten leicht. „Die Befruchtung muss auf künstlichem Wege vorgenommen werden.“

„Aber warum?“ Angie bemühte sich um einen gelassenen Tonfall. „Ich bin immer davon ausgegangen, dass das Ganze auf natürlichem Weg geschieht.“

„Nein“, stieß er gepresst hervor, „das kommt überhaupt nicht infrage.“

Am liebsten hätte Angie aus lauter Frust laut losgeschrien oder geheult oder hysterisch gelacht. Die ganze Situation, die Unterhaltung, bei der sie wie die Katzen um den heißen Brei herumschlichen, anstatt das Thema direkt anzusprechen, war einfach lächerlich und absurd. Angelina kam ihr eigener Vorschlag plötzlich unwirklich vor.

Seine vehemente Ablehnung schmerzte sie mehr, als sie sich eingestehen wollte. „Ist denn die Vorstellung, mit mir ins Bett zu gehen, so unerträglich, dass du die künstliche Methode vorziehst? Die meisten Männer …“

„Lass gut sein, Angie“, sagte er kühl. „Das kann nicht klappen.“

„Du meinst, es kann nicht funktionieren?“ Sie trat eine Stufe tiefer, bis sie ihm auf gleicher Höhe ins Gesicht sehen konnte. Er war hochrot angelaufen und hatte die Lippen er zu einem schmalen Strich zusammengepresst. „Nein, ich meine, dass bei dir und mir nur die künstliche Befruchtung infrage kommt.“

„Aber es ist doch nur Sex!“, gab sie heftig zurück. Sie war mit ihrer Geduld fast am Ende. „Lehn dich doch einfach zurück, schließ die Augen und denk an Kameruka.“

Entnervt starrten sie sich an und hatten vollkommen vergessen, wo sie sich befanden. Als Rafe sich räusperte, zuckten sie zusammen. „Tut mir leid, dass ich euch unterbreche. Aber wir müssen nun wirklich los.“

„Noch zwei Minuten.“ Angie hob die Hand, sah Rafe dabei aber nicht an. Sie hatte keine Ahnung, was sie in diesen kostbaren zwei Minuten tun konnte, ob sie Tomas schütteln oder ihn küssen würde. Sie musste ihm beweisen, dass sie eine Frau war und dass er sich irrte, weil es sehr wohl zwischen ihnen klappen konnte, wenn er ihnen nur eine Chance gab.

Aber er sah so gequält aus, dass sich ihr Herz zusammenzog. Ach, Tomas …

Zorn und Ärger schmolzen dahin wie Butter unter der heißen australischen Sonne. „Wie sehr wünschte ich, dass du nicht in diese Situation gekommen wärst.“

Sie hob die Hand, strich ihm kurz über die stoppelige Wange und spürte, unter welcher Spannung er stand. Wie gern hätte sie sich an ihn geschmiegt und ihren Kopf an seine Brust gelegt. Sie sehnte sich danach, ihn zu küssen, so sehr, dass sie ihm das Gesicht entgegen hob, aber er machte einen Schritt zurück. Doch sie war entschlossen, ihn so nicht gehen zu lassen. Schnell legte sie ihm die Hand in den Nacken, machte einen Schritt auf ihn zu und drückte ihm die Lippen auf den Mund.

Da sie die Augen offen hielt, sah sie den Schock, der sich auf seinem Gesicht abzeichnete. Sie spürte seine harten Lippen und öffnete leicht den Mund. Doch Tomas schob ihre Hände zur Seite und drehte sich weg, sodass Angelina ihm über die Mundwinkel und dann über die raue Wange strich.

Wieder trat er einen Schritt zurück und musterte sie aus seinen eisblauen Augen.

„Kannst du noch nicht einmal einen Kuss von mir ertragen?“, fragte sie leise.

Er zog sich den Hut noch tiefer in die Stirn. „Verdammt noch mal, Angie, warum bestehst du darauf? Wenn du mir helfen willst, dann können wir es doch so machen, wie ich vorgeschlagen habe. Warum bist du denn so dagegen?“

Weil das ihre einzige Chance war, ihn zu lieben, mit ihm zu schlafen und ihm das Kind zu schenken, das er brauchte. Vielleicht konnte sie ihn so aus seiner Einsamkeit und seiner Verzweiflung erlösen. Sie wusste zwar nicht, ob das überhaupt möglich war, aber sie wollte es wenigstens versuchen. Doch eins war ihr klar: Wenn sie ihm gestand, was sie für ihn empfand, dann war in Sekundenschnelle nur noch eine Staubwolke von ihm zu sehen.

Also verschränkte sie die Arme vor der Brust, legte den Kopf schief und wippte auf den Absätzen hin und her. „Wenn ich mich schon opfere, um dieses Baby zur Welt zu bringen, dann will ich wenigstens mein Vergnügen haben.“

Für ein paar Sekunden schien ihm das die Sprache verschlagen zu haben. Dann machte er einen Schritt zurück. „Hier geht es um etwas, das getan werden muss, Angie, und nicht ums Vergnügen.“

„Wieso kann man nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden?“

„Nein.“ Er drehte sich auf dem Absatz um und ging zu seinem Pferd.

„Gut gemacht, Angie.“ Rafe stand feixend hinter ihr.

Sie drehte sich nicht um, sondern verfolgte Tomas mit ihrem Blick. Die breiten Schultern hochgezogen entfernte er sich mit gesenktem Kopf so gehetzt, als könne er ihrer Einflusssphäre gar nicht schnell genug entkommen.

Gut gemacht?

„Um einen guten Freund zu verlieren, ganz bestimmt“, sagte sie leise.

Rafe legte ihr kurz die Hand auf die Schulter, aber diese freundschaftliche Geste konnte sie nicht trösten. „Auf alle Fälle hat er einiges nachzudenken bis nächste Woche“, meinte Rafe.

Sie drehte sich um. „Nächste Woche? Was ist denn nächste Woche?“

„Wir treffen uns in Sydney.“

„Wir? Wer ist wir?“

„Alex, Tomas und ich. Wir haben einen Termin mit Konrads. Wegen des Testaments.“

Angelina warf noch einen Blick auf den Mann, der jetzt bewegungslos auf seinem Pferd saß und sie aufmerksam beobachtete. Er wollte wohl absolut sicher sein, dass sie auch mitflog. „Willst du damit sagen, dass er möglicherweise seine Meinung ändern könnte?“

„Mit ein bisschen Hilfe.“

„Hilfe? Was für eine Hilfe?“

„Als ich ihm gegenüber gestern Abend erwähnte, dass du vielleicht mir zur Verfügung stehen könntest, hat er ausgesprochen heftig protestiert.“

„Das kommt auch überhaupt nicht infrage!“

Rafe zwinkerte ihr zu. „Okay, okay, aber das braucht er ja nicht zu wissen.“

„Was meinst du damit?“

„Es kann deiner Sache nur nützen, wenn er den Eindruck hat, ich hätte es auf dich abgesehen.“

Damit mochte er recht haben. Die Brüder hatten sich gegenseitig immer als Konkurrenz empfunden und hassten nichts mehr, als vom anderen ausgestochen zu werden. Wieder schaute sie zu dem einsamen Reiter hinüber, der sich immer noch nicht vom Fleck bewegt hatte und sie weiter ansah. Wenn sie ihm doch nur sagen könnte, was sie für ihn empfand.

„Wenn man dann noch bedenkt, was du eben zu ihm gesagt hast …“ Rafe grinste.

„Was habe ich denn gesagt?“

„Lehn dich doch einfach zurück, schließ die Augen und denk an Kameruka.“ Rafe nickte anerkennend. „Gut gemacht, Angie.“

„Habt ihr mal überlegt, was für Möglichkeiten es sonst noch gibt?“ Noch bevor Tomas den Kopf hob und seine Brüder ansah, spürte er, dass er sie mit seiner Frage vollkommen überrascht hatte.

Sie hatten sich zu einem späten Lunch im Grandhotel Carlisle in Sydney getroffen. Es war noch eine ganze Menge los, aber Tomas nahm die Betriebsamkeit um sich herum kaum wahr.

Er hatte auch bereits vergessen, was er eben gegessen hatte. Worüber hatten sie sich während des Essens unterhalten? Seine Gedanken kreisten ständig um das, was sie am Vormittag mit Konrads besprochen hatten, eine Woche nach dem ersten Treffen in der Bibliothek von Kameruka Downs.

Konrads hatte ihnen klargemacht, dass sie das Testament des Vaters selbstverständlich anfechten konnten. Allerdings mussten sie dann ständig mit dem Wissen leben, den letzten Willen des Vaters missachtet zu haben.

„Andere Möglichkeiten?“ Rafe lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Inwiefern? In Bezug auf Essen oder weitere Termine?“

„In Bezug auf das Baby natürlich!“, sagte Tomas verärgert. „Ich denke da an künstliche Befruchtung. Möglicherweise werde ich selbst zu so einem …“ Institut? Krankenhaus? Tomas fiel der passende Begriff nicht ein. „Wie nennt man diese Institutionen?“

„Zuchtfarm?“, schlug Rafe vor.

„Das sind ganz normale Kliniken.“ Alex legte das Besteck zur Seite und fixierte den jüngsten Bruder kühl. Diesen Blick benutzte er, wenn er seine Kontrahenten einschüchtern wollte. „Ihr braucht euch beide um diese Sache keine Gedanken mehr zu machen. Ich habe doch vorhin kurz vor dem Lunch eine Nachricht erhalten.“

„Ja, und?“ Tomas erinnerte sich vage, dass Alex’ Handy gepiept hatte.

„Susannah hat sich bereit erklärt, mich zu heiraten.“

Beide Brüder starrten Alex an. Als der Kellner die Teller abgeräumt hatte, platzte Rafe los: „Soll das heißen, dass Susannah deinen Heiratsantrag per SMS angenommen hat?“

„Sie weiß, dass wir nicht viel Zeit haben. Und ich hatte sie gebeten, mir sofort Bescheid zu geben, wenn sie zu einer Entscheidung gekommen ist.“

„Wie romantisch! Und dann sagt man, dass es keine Romantik mehr gibt unter den Menschen.“ Rafe konnte seinen Sarkasmus nicht zurückhalten.

In diesem Fall konnte Tomas seinem Bruder nur zustimmen. Sicher, Alex arbeitete sehr viel, und auch Susannah hatte ihre eigene Firma, und dennoch …

„Wollt ihr mir nicht gratulieren?“, fragte Alex leicht irritiert.

„Nur wenn du es fertig bringst, wenigstens ein klein wenig glücklich auszusehen“, meinte Rafe, und Tomas fügte hinzu: „Du heiratest doch nur wegen des Testaments.“

Was für ein schrecklicher Gedanke. Eine Eheschließung war doch keine geschäftliche Transaktion. Man heiratete, weil man den anderen liebte, mit ihm leben und immer für ihn da sein wollte.

„Das ist doch totaler Blödsinn, Alex.“ Tomas knüllte seine Serviette zusammen und warf sie heftig auf den Tisch. „Du musst sie doch nicht heiraten.“

„Oh, doch.“ Alex faltete seine Serviette sorgfältig und legte sie säuberlich auf den Tisch. „Etwas anderes kommt für mich nicht infrage.“

„Wann ist die Hochzeit?“, fragte Rafe.

„Wir müssen die üblichen dreißig Tage Wartezeit einhalten, aber danach so schnell wie möglich. Allerdings haben wir noch nicht entschieden, wo die Hochzeit stattfinden wird.“

„Nicht in Kameruka Downs?“ Tomas sah seinen Bruder fragend an. „Maura wird doch bestimmt dabei sein wollen.“

Maura verließ ihr Haus nur selten, denn die Stadt, Menschenmengen und Zeitungsreporter waren ihr zuwider, seit die Medien über sie hergefallen waren, als sie ihr viertes Kind verloren hatte.

„Darüber sind wir noch im Gespräch“, meinte Alex. „Susannahs Familie muss natürlich auch berücksichtigt werden.“

„Klar. Aber noch etwas ganz anderes.“ Rafe senkte die Stimme. „Ist Susannah klar, dass sie möglichst schnell einen Erben produzieren muss?“

„Ja, das weiß sie.“ Alex sah auf die Uhr und runzelte die Stirn. „Ich muss jetzt leider los zu einer Sitzung. Aber ich wollte euch doch wissen lassen, dass alles geregelt ist und ihr euch keine Gedanken mehr zu machen braucht.“

Tomas und Rafe sahen sich nur an.

„Was dich betrifft“, sagte Rafe schnell.

„Wir werden uns um unseren Teil selbst kümmern“, fügte Tomas hinzu. „Denn das geht uns doch alle an, jeden Einzelnen von uns.“

Die drei Brüder standen auf, und Tomas reichte Alex die Hand. „Herzlichen Glückwunsch, Alex. Ich hoffe, dass alles so wird, wie du es dir wünschst.“

Als die Brüder sich kurz ansahen, auf die Schulter schlugen und sich die Hand reichten, spürten es alle drei. Sie waren einander verbunden, und was auch immer geschah, sie waren füreinander da. Die Aufgabe, die ihr Vater ihnen gestellt hatte, betraf sie alle. Und sie würden sie lösen, wie auch immer.

Alex winkte ihnen noch kurz zu, bevor er mit entschiedenen Schritten dem Ausgang zustrebte. Tomas und Rafe sahen ihm hinterher, und als die Tür hinter ihm zufiel, schaute Rafe Tomas kopfschüttelnd an.

„Meinst du, er hat ihr den Heiratsantrag per E-Mail gemacht? Vielleicht hat er ihr auch nur eine Nachricht auf dem Handy hinterlassen.“

„Das habe ich mich auch gerade gefragt.“ Tomas rieb sich verlegen das Kinn. „Nicht, dass ich Susannah nicht mag. Sie ist nur so … also irgendwie … also eben Susannah.“

Keiner sagte Susie zu ihr, wie alle Welt zu Angelina Angie sagte. Sie war immer Susannah, formell, kühl, beherrscht und leidenschaftslos. Das genaue Gegenteil von Angie.

„Die ganze Sache kommt mir viel zu unpersönlich und nüchtern vor“, meinte Tomas.

„Genauso unpersönlich und nüchtern wie eine künstliche Befruchtung?“

„Das ist etwas anderes.“

„Dazu will ich mich lieber nicht äußern.“ Rafe wies auf die Tür. „Wollen wir gehen?“

Erst in der Hotelhalle nahm Rafe das Gespräch wieder auf. „Weißt du übrigens, dass Angie hier arbeitet?“

Tomas zuckte zusammen, als der Name fiel, aber er fing sich schnell und wies auf das Restaurant. „Als Kellnerin?“

„Nein, sie arbeitet im Hotel, als meine Sekretärin. Auf dem Flug letzte Woche hat sie mich gefragt, ob ich irgendetwas für sie hätte, und da ich …“

„Ist schon gut.“

„Bist du sauer?“

„Nein, warum sollte ich?“

„Gut.“ Rafe gab sich einen Ruck. „Dann kann ich dich ja auch etwas Persönliches fragen. Hast du über ihr Angebot eigentlich ernsthaft nachgedacht?“

Jetzt war es mit Tomas’ Fassung vorbei. Wütend starrte er den Bruder an. „Hat sie dir etwa davon erzählt?“

„Wir haben uns über alles Mögliche unterhalten. In der letzten Zeit waren wir häufiger zusammen.“

Was sollte das nun wieder heißen? „Alles Mögliche“? Und dann waren sie „häufiger zusammen“? Im Büro oder nach Feierabend?

Nur mit Mühe bezwang Tomas seine Ungeduld. „Wie ist es denn mit dir? Was willst du in Sachen Baby unternehmen?“

„Es gibt da ein paar Möglichkeiten.“

„Angie?“, entfuhr es ihm, ohne dass er etwas dagegen tun konnte.

„Zum Beispiel.“ Rafe sah seinen Bruder prüfend an. „Du hast damit doch keine Schwierigkeiten, wo du dich sowieso zu der künstlichen Befruchtung entschlossen hast?“

„Wenn jemand damit Schwierigkeiten hat, bin nicht ich es“, sagte Tomas knapp. Was sollte er auch sonst sagen.

Die Brüder trennten sich. Noch einmal sah Tomas sich nach Rafe um. Dann sollte Rafe es eben auf seine Weise versuchen. Tomas für seinen Teil hatte sich entschieden. Für ihn kam nur die künstliche Befruchtung einer ihm unbekannten Frau infrage. Dieser Vorgang hatte nichts mit Gefühl und Leidenschaft und Verpflichtung zu tun. Nie würde er Angies großzügiges Angebot annehmen.

Lehn dich doch einfach zurück, schließ die Augen, und denk an Kameruka.

Wie oft hatte er sich in den vergangenen Nächten auf seinen verwühlten Laken zurückgelehnt, die Augen geschlossen und an Angie gedacht. Wie sie mit ihren weichen Lippen seine Haut liebkoste, wie ihre Augen vor Leidenschaft leuchteten, wenn sie zu ihm kam in der dunklen Nacht.

Es ist doch nur Sex.

Hätte er das nur glauben können. Hätte er doch nur die Bilder verdrängen können, wie er und Angie sich liebten, um sich stattdessen auf das Ergebnis zu konzentrieren. Und das war eigentlich nicht weiter schwer, denn er konnte sich Angie sehr gut mit einem Kind vorstellen.

Aber mit Rafes Kind?

Diese Vorstellung war unerträglich. Das durfte nicht sein, und gleichzeitig war er überzeugt, dass Angie Rafe die Bitte ganz sicher nicht abschlagen würde. Rafe erreichte bei Frauen immer, was er wollte.

Spontan drehte Tomas sich um und stieß die schwere Hoteltür wieder auf. Eigentlich hätte er sich umgehend um eine Leihmutter kümmern sollen. Stattdessen fuhr er mit dem Fahrstuhl hinauf zu den Verwaltungsbüros.

4. KAPITEL

Ihr Büro war leer, aber Tomas war sicher, dass Angie hier arbeitete. Sie hatte zwar erst vor zwei Tagen angefangen, und ihr Name stand noch nicht an der Tür, aber sie hatte dem Raum bereits ihren persönlichen Stempel aufgedrückt. Ihr Schreibtisch war alles andere als aufgeräumt, aber was manch einer als Chaos bezeichnet hätte, war für sie lediglich der Beweis eines fleißigen Tages.

So wie Tomas Angie kannte, war sie sicher mit mehreren Projekten gleichzeitig befasst.

Inmitten all der Papiere stand ein leuchtend blauer Kaffeebecher, in dem bestimmt noch Kaffee war, denn Angie führte nie etwas bereits beim ersten Anlauf zu Ende. Trotz seiner Anspannung musste Tomas lächeln und trat näher. Tatsächlich, der Becher war noch halb voll.

Es duftete nach Angies Parfüm, oder waren das die Blumen, die sie ein wenig nachlässig in einen roten Glaskrug gestellt hatte? Auf dem Schreibtisch stand eine Fotocollage: Ihre Eltern an ihrem Hochzeitstag, ein neueres Bild ihres Vaters, wahrscheinlich kurz vor seinem Tod, und ein Schnappschuss von Angie und ihren Brüdern beim Wasserloch.

Tomas stellte das Bild wieder zurück, mitten in das Chaos auf dem Schreibtisch, direkt neben den Becher. Sicher, Angie hatte hier einen ziemlich guten Job, aber wie lange würde sie diesmal bleiben? War sie bereit, sich hier ein Zuhause aufzubauen? Und vielleicht ein Kind aufzuziehen?

Gedankenverloren strich er über den Rand des Bechers, der noch Spuren von ihrem Lippenstift trug.

Die Angie von früher hatte sich nie die Lippen angemalt.

Wer aber war die Angie von heute, die sich schminkte und Parfüm benutzte? Die immer noch leidenschaftlich und spontan war, aber auf eine ganz andere Art und Weise als früher, und deren weibliche Ausstrahlung ihn so verwirrte? Wer war diese Frau, die lächelnd meinte, Sex zwischen ihnen sei sicher sehr vergnüglich?

Als habe er sich verbrannt, trat Tomas schnell ein paar Schritte zurück. Doch als sein Blick auf ein Buch fiel, das halb unter den Papieren verborgen war, kam er wieder näher und nahm das Buch in die Hand.

Schwanger werden leicht gemacht.

Er starrte auf den Titel. Das Problem der Carlisles schien sie zu beschäftigen. Doch dann hörte er ihren schnellen Schritt und legte das Buch hastig zurück.

Ohne dass er etwas dagegen tun konnte, dachte er an den Kuss und erinnerte sich quälend genau, wie weich sich ihre Lippen auf seinem Mund angefühlt hatten. Doch er verdrängte diese verführerischen Bilder, zornig auf sich selbst und seinen Körper, der sofort reagierte. Tomas wusste einfach nicht, wie er mit diesen neuen Gefühlen Angie gegenüber umgehen sollte.

Dann stand sie vor ihm und sah ihn mit ihren großen braunen Augen an. „Das ist aber eine Überraschung!“ Sie lächelte herzlich, schien also nicht verärgert zu sein wegen seines unverhofften Besuchs. „Wie war euer Treffen mit Konrads?“

Woher wusste sie …? Ach so, von Rafe natürlich. Die beiden steckten ja jetzt viel zusammen. „Reine Zeitvergeudung“, sagte er mürrisch.

„Kann man diese Klausel nicht irgendwie umgehen?“

„Nicht auf anständige Art und Weise.“

„Dann müsst ihr also irgendwie ein Baby zustande bringen.“ Das war keine Frage, sondern eine nüchterne Feststellung. Sie lehnte sich neben Tomas an den Schreibtisch und lächelte ihn an. In ihrer weißen Bluse und dem knielangen schwarzen schmalen Rock sah sie einfach zum Anbeißen aus. Das Haar fiel ihr glatt auf die Schultern, und um den Hals trug sie ein goldenes Kettchen mit einem A als Anhänger.

Als sein Blick auf das Buch fiel, verschwand ihr Lächeln. Er wies mit dem Finger auf den Titel. „Seit wann interessierst du dich denn für so etwas?“

Autor

Bronwyn Jameson
Es hat lange gedauert, bis Bronwyn Jameson wusste, welchen Beruf sie einmal ergreifen wollte. In ihrer Kindheit träumte sie davon, Tierärztin zu werden – leider kann sie kein Blut sehen, sodass daraus nichts wurde. Danach spielte sie mit dem Gedanken, sich dem Journalismus zuzuwenden, war allerdings zu schüchtern, um sich...
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