Julia Exklusiv Band 257

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HEIßE NÄCHTE IM STRANDHAUS von HAMILTON, DIANA
Auf Ischia lernt Francesco die hübsche Engländerin Anna kennen. Es funkt gewaltig, und beide haben eine leidenschaftliche Affäre - bis Annas Urlaub vorüber ist. Sieben Monate später reist Francesco ihr nach und ist schockiert: Plötzlich zeigt Anna ihm die kalte Schulter!

KEINE ANGST VOR DIESER LIEBE von DONALD, ROBYN
Lecias Herz pocht wie verrückt. Nie zuvor hat ein Mann solche Gefühle in ihr geweckt! Keane scheint perfekt. Aber dann belauscht Lecia ein Gespräch zwischen Keane und seiner Ex und beginnt zu zweifeln. Ist Keane wirklich ihr Traummann oder ein skrupelloser Schürzenjäger?

MASKENBALL DES GLÜCKS von MORTIMER, CAROLE
Heftig flirtet der als Pirat verkleidete Niccolo D’Alessandro mit der maskierten Daniella. Doch nachdem sie miteinander geschlafen haben, verschwindet sie ohne ein Wort! Sofort setzt Niccolo alles daran, die geheimnisvolle Lady zu finden, denn sie hat sein Herz gestohlen …


  • Erscheinungstag 27.03.2015
  • Bandnummer 0257
  • ISBN / Artikelnummer 9783733703622
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Diana Hamilton, Robyn Donald, Carole Mortimer

JULIA EXKLUSIV BAND 257

DIANA HAMILTON

Heiße Nächte im Strandhaus

Hals über Kopf verliebt sich Anna in den armen Touristenführer Francesco. In seiner Hütte am Strand von Ischia erlebt sie romantische Nächte und schwebt auf Wolke sieben. Doch dann muss Anna zurück nach England und erlebt eine böse Überraschung: Francesco ist nicht der, für den sie ihn hält! Anna ist verletzt. Hat der attraktive Italiener sie nur benutzt?

ROBYN DONALD

Keine Angst vor dieser Liebe

Beim letzten Akkord der Oper ist Keane Paget klar: Er muss die hübsche Frau mit dem bezaubernden Lächeln kennenlernen! Gedacht, getan – und schon bald kommen Keane und Lecia sich näher. Keane ist überglücklich. Aber weshalb ist Lecia auf einmal so abweisend? Und warum reagiert ihre Mutter derart feindselig auf ihn? In Keane keimt ein böser Verdacht …

CAROLE MORTIMER

Maskenball des Glücks

Daniella erschauert, als die dunklen Augen des Piraten sie anfunkeln! Wer sich wohl hinter der Maske verbirgt? Egal! Daniella will nur eins: sich amüsieren! Und so genießt sie die Küsse des geheimnisvollen Fremden und folgt ihm in die Nacht. Sie lieben einander – doch plötzlich erkennt Daniella ihren Verführer und erstarrt: Es ist Niccolo D’Alessandro, ihr Erzfeind!

1. KAPITEL

Es dunkelte bereits, als Francesco Mastroianni an diesem kalten Märzabend mit finster zusammengezogenen Augenbrauen seinem Ziel entgegenfuhr. Der Regen, der gegen die Windschutzscheibe des leise schnurrenden Ferraris prasselte, trug dazu bei, dass sich seine ohnehin schlechte Laune noch weiter verschlechterte.

Ausgerechnet in diesen ländlichen Teil von Gloucestershire zurückzukehren war wahrlich nicht einfach für ihn. Denn hier lauerten viel zu viele unangenehme Erinnerungen. Trotzdem hatte er es nicht über sich gebracht, sich eine Ausrede einfallen zu lassen. Er mochte seine Cousine Silvana einfach viel zu gern, um sie zu enttäuschen und ihre Einladung übers Wochenende abzulehnen.

Das Problem war nur, dass sich Silvana und ihr Mann Guy kürzlich ein frisch renoviertes Herrenhaus in einer Grafschaft gekauft hatten. Und den Namen dieser Grafschaft konnte Francesco einfach nicht hören, ohne dass ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief.

So etwas wollte er nicht noch einmal erleben.

Per l’amor del cielo, die Liebe trägt dich in den Himmel – vergiss es, befahl er sich zähneknirschend. Die Lektion war schmerzhaft gewesen, aber er hatte sie gelernt.

Seit ihm bewusst geworden war, was für ein starker Magnet der Reichtum seiner Familie war, misstraute Francesco dem weiblichen Geschlecht. Einige deprimierende Erfahrungen hatte er bereits in seinen späten Teenagerjahren machen müssen. Und deshalb fiel es ihm jetzt nicht ganz leicht zuzugeben, dass er nach so langer Zeit tatsächlich wieder einer Frau auf den Leim gegangen war. Aber es gab nichts daran zu rütteln: Sie hatte ihm dermaßen den Kopf verdreht, dass er sich allen Ernstes eingebildet hatte, am Ende doch noch die große Liebe gefunden zu haben.

Seine süße Anna … In zynischer Verachtung verzog er den Mund.

Wenn nicht sie, wer dann? Die Erinnerung schmerzte.

Sie hatte ihm Sand in die Augen gestreut – Ende. Mehr war dazu nicht zu sagen.

Sie war genauso schlimm wie alle anderen, schlimmer sogar. Das war schon eine reife Leistung gewesen, wie sie die Ahnungslose gespielt hatte. Er hatte sich auf Ischia als armer Schlucker ausgegeben, eine Rolle, die sie ihm vermeintlich abgenommen hatte. Völlig hin und weg war er von der schönen, sanften Anna gewesen und hatte sich der süßen Illusion hingegeben, dass sie sich in ihn und nur in ihn verliebt hatte. Es musste so sein, da sie von seinem Geld ja nichts wusste.

So konnte man sich irren.

Wütend stieß Francesco einen leisen, aber unmissverständlichen Fluch aus, während er vom Gas ging, um an der Kreuzung durch den dichten Regenvorhang das Straßenschild entziffern zu können.

Links führte die Straße zum neuen Domizil seiner Cousine und rechter Hand lag das Zuhause seiner süßen kleinen Anna. Ryland. Der Name hatte sich unauslöschlich in seine Erinnerung eingebrannt.

Fast zwanghaft ließ er seinen letzten Besuch in der Gegend wieder und wieder vor seinem geistigen Auge Revue passieren.

„Komm einfach her, ich sag meinen Eltern Bescheid und bitte sie, ein Bett für dich zu beziehen. Du bleibst doch über Nacht, oder?“ Sie hatte atemlos geklungen, als er sie von London aus angerufen hatte, um ihr seinen Besuch anzukündigen. „Zu dumm, dass ich heute Abend arbeiten muss, ich komme erst gegen zehn zurück. So ein Jammer!“ Dann hatte sie einen herzzerreißenden Seufzer ausgestoßen, bevor sie fortfuhr: „Aber es geht nicht anders … leider. Oh, Francesco, ich kann es gar nicht erwarten, dich endlich wiederzusehen.“

Nachdem er aufgelegt hatte, schaute er sich in seinem mit funkelndem Glas und Chrom ausgestatteten Londoner Büro um und grinste trocken. Für diese Verabredung mit ihr hatte er drei Termine absagen müssen. Aber das wusste sie natürlich nicht. Wie auch? Sie hatte nicht die geringste Ahnung, dass er von seinen Büros in Rom, Brüssel, New York und Sydney aus das weltweite Mastroianni-Imperium leitete, das wie ein gut geöltes Uhrwerk funktionierte.

Und dann hatte er das Büro verlassen, sich auf den Weg gemacht. Mit einem Heiratsantrag auf der Zunge. Und einem Ring, der selbst einer Königin gut zu Gesicht gestanden hätte, in der Brusttasche seines grauen Maßanzugs. Erst als er schon unterwegs nach Ryland gewesen war, war ihm klar geworden, dass das stundenlange Warten unerträglich sein würde. Andererseits war es eine gute Gelegenheit, ihre Eltern kennenzulernen.

Als er ankam, wurde er bereits von ihrem Vater erwartet. Ein hochgewachsener, in abgeschabten Tweed gehüllter Mann stürmte wie ein ungestümer, zu groß geratener Welpe die Außentreppe hinunter, so schnell, dass Francesco kaum Zeit blieb, das aus für die Gegend typischem goldfarbenen Stein erbaute Haus aus dem siebzehnten Jahrhundert genauer in Augenschein zu nehmen. Deshalb entging ihm wahrscheinlich auch, in welch schäbigem Zustand es sich befand.

„Na so was, dann sind Sie es also tatsächlich! Der neue Verehrer meiner Kleinen!“ Der ältere Mann schüttelte ihm nun beherzt die Hand. „Herzlich willkommen im Haus unserer Vorfahren! Anna hat uns schon viel von Ihnen erzählt.“

Anschließend wurde Francesco durch eine riesige Empfangshalle geführt, in der nur ein einziger Stuhl sein armseliges Dasein fristete. Nachdem sie in einem kleinen Salon mit zwei fadenscheinigen Sofas und einem ramponierten Couchtisch angelangt waren, musste er die schäbigste Bettelei über sich ergehen lassen, die er je erlebt hatte.

„Ich dachte mir, ich bringe es lieber schnell hinter mich, bevor sich meine Frau zu uns gesellt … Sie wissen ja, wie es ist: Frauen verstehen nichts vom Geschäft und machen sich nur dauernd überflüssige Sorgen. Also, hören Sie, es geht um Folgendes. Ich hab da eine fantastische Idee. Kann gar nichts schiefgehen, auf gar keinen Fall! Und für einen Mann wie Sie ist es eine echte Chance, Geld gewinnbringend anzulegen. Sie wären wirklich ein Dummkopf, wenn Sie mein Angebot ablehnen. Aber nach allem, was ich über Sie gehört habe, sind Sie das genaue Gegenteil.“

In diesem Moment hatte er gespürt, wie der Schock des Verrats sein Herz mit eiserner Faust zusammengepresst hatte. Seine Gesichtszüge waren erstarrt. Dann hatte Anna ihrem Vater also alles über ihren „neuen Verehrer“ erzählt, ja? Darauf konnte er Gift nehmen.

Kein Wunder, dass sie bei seinem Anruf völlig aus dem Häuschen gewesen war. Wahrscheinlich hatte sie überhaupt nicht mehr aufhören können, sich selbst zu beglückwünschen, weil sie ihn so erfolgreich hinters Licht geführt hatte.

War es nur eine Ausrede gewesen, dass sie heute Abend arbeiten musste? Damit ihr Vater Gelegenheit hatte, ihn um eine Million Pfund zu erleichtern? Und was wäre gewesen, wenn er sich mit ihrem Vater geeinigt hätte? Hätte seine süße Anna dann nur mit den langen Wimpern klimpern, einen Schmollmund ziehen und ihm versichern müssen, dass sie von geschäftlichen Dingen keine Ahnung hatte, während sie gleichzeitig insgeheim hoffte, ihn mit fantastischem Sex bei der Stange zu halten?

Er war dem älteren Mann mit rasiermesserscharfer Stimme in die Parade gefahren: „So plump bin ich noch nie in meinem Leben um Geld angebettelt worden.“ Dann hatte er um ein Blatt Papier gebeten, auf dem er seiner „süßen Anna“ eine Nachricht hinterlassen hatte; anschließend war er gegangen. Dabei hatte er sich selbst verabscheut – und sie gehasst.

Gehasst dafür, dass sie ihn zum Narren gehalten und einen dieser Trottel aus ihm gemacht hatte, die sich nicht vom Verstand, sondern von ihrem Herzen leiten ließen.

Und das musste ausgerechnet ihm passieren, wo er sich doch so viel auf seinen kühl kalkulierenden Intellekt zugutehielt, auf seine quasi angeborene Fähigkeit, eine Mitgiftjägerin auf hundert Meilen gegen den Wind zu riechen.

Jawohl, er war zutiefst beschämt über sich selbst.

Er gab Gas und bog links ab, wobei er sich sagte, dass er gut daran tat, dieses geschmacklose Intermezzo endlich ein für alle Mal abzuhaken. Jetzt konnte er nur hoffen, dass ihn seine Cousine, diese unverbesserliche Kupplerin, mit ihren Angeboten verschonte. Er hatte kein Interesse am anderen Geschlecht. Nicht mehr seit … vergiss es, Francesco, vergiss es einfach!

Die Hände in ihr schmerzendes Kreuz gestemmt, betrachtete Anna ihre Füße in den alten schwarzen Slippern. Ihre Knöchel waren geschwollen und die Fußsohlen brannten. Das war eine der Strafen dafür, dass man im siebten Monat schwanger war. Sie legte ihre Hände auf ihren beachtlichen Bauch, den der weite grüne Overall nur höchst unzureichend kaschierte. Trotz dieser Unannehmlichkeiten liebte Anna das Baby, das sie unter ihrem Herzen trug, schon jetzt mehr, als sie je für möglich gehalten hätte.

Ein Schwangerschaftsabbruch – zwei Freundinnen hatten ihr dazu geraten – war für sie keine Sekunde infrage gekommen. Ihre Eltern versuchten sie immer wieder daran zu erinnern, dass der leibliche Vater gesetzlich verpflichtet war, Unterhalt zu leisten, aber bisher hatte sie sich stur geweigert, in dieser Richtung tätig zu werden, und daran würde sich auch in Zukunft nichts ändern.

Das war ihr Baby, und sie liebte es mit jeder Faser ihres Herzens. Sie würde es auch ohne die finanzielle Unterstützung seines Vaters schaffen. Allein der Gedanke an diesen niederträchtigen Schuft machte sie unglaublich wütend. Auch wenn er verboten gut aussah und zu allem Überfluss auch noch in Geld schwamm, wie sich irgendwann herausgestellt hatte, war er doch nur ein mieser Schürzenjäger, sonst gar nichts.

Sie haderte mit sich selbst, weil sie schon wieder an ihn dachte, obwohl sie sich geschworen hatte, ihn für immer und ewig aus ihren Gedanken zu verbannen. Nachdem sie sich eine lange blonde Strähne unter das Haarnetz geschoben hatte, konzentrierte sie sich wieder auf das Abendessen für vier Personen, mit dem sie gerade beschäftigt war. Die zu Hause vorbereiteten Zutaten warteten in der Kühlbox, während die mit Knoblauch und Rosmarin gespickte Lammhaxe für das Hauptgericht bereits in dem großen alten Backofen brutzelte.

Es war wie abgesprochen ein italienisches Menü. Obwohl Anna eigentlich an nichts denken wollte, was auch nur entfernt mit Italien zu tun hatte. Vielleicht war das ja der Grund dafür, dass der Vater ihres Kindes plötzlich wieder in ihrem Kopf herumspukte. Obwohl sie normalerweise sorgfältig darauf achtete, dass das nicht passierte – besonders seit sie wusste, dass sie schwanger war.

Offensichtlich war ihre mit einem reichen englischen Banker verheiratete Kundin Silvana Rosewall Italienerin. Deshalb hatte sich Anna damit abfinden müssen, dass die Dame des Hauses ein italienisches Menü vorgeschlagen hatte.

Anna war gelernte Köchin, und ihr Cateringunternehmen lief gut. Sehr gut sogar. Heute Abend zum Beispiel hätte sie die Hilfe ihrer Freundin Cissie wirklich gebrauchen können.

Aber Cissie hatte heute eine vielversprechende Verabredung. Schon bei ihrer Bewerbung hatte sie mehrmals betont, dass sie nicht arbeitete, weil sie das Geld brauchte, sondern nur, um sich irgendwie zu beschäftigen, bis der reiche Mr Right am Horizont auftauchte.

Anna war innerlich zusammengezuckt, aber sie hatte Cissie trotzdem eingestellt. Weil ihre Familie über die richtigen Verbindungen verfügte, und die waren in diesem Geschäft Gold wert. Sie hatten auch tatsächlich schon zu einigen lukrativen Aufträgen geführt wie zum Beispiel heute Abend. Solche Aufträge waren ihr natürlich wesentlich lieber als jene, mit denen man ihr nur etwas Gutes tun wollte, weil die Leute die Situation ihrer Familie kannten und Mitleid hatten.

Aber sie würde jetzt nicht an die leider ausgesprochen reale Möglichkeit denken, dass die Bank ihnen Ryland, das Haus, das seit über dreihundert Jahren in Familienbesitz war, wegnehmen könnte – auf gar keinen Fall! Es war ein erschreckender Gedanke, vor allem, weil Anna wusste, dass es ihrer Mutter das ohnehin schwache Herz brechen würde. Außerdem war es schlecht für das Baby, wenn sie ihren Zukunftsängsten Raum gab. Deshalb würde sie sich jetzt nur auf ihre Arbeit konzentrieren und sonst nichts.

„Meine Gäste sind soeben eingetroffen.“

Anna drehte sich mit einem Lächeln um, als Mrs Rosewall die große Küche betrat. Sie spürte Erleichterung in sich aufsteigen. Na endlich! Jetzt gab es gleich alle Hände voll zu tun, da blieb keine Zeit zum Grübeln. Die Küche lag im hinteren Teil des großen Herrenhauses, deshalb hatte sie wahrscheinlich nichts von der Ankunft der Gäste mitbekommen.

„Verraten Sie mir, was es gibt?“ Silvana Rosewall kam über die unebenen Schieferplatten auf sie zu, ein Bodenbelag, der wahrscheinlich so alt wie das Haus selbst war. Sie war eine schöne Frau von Anfang dreißig, die ein traumhaftes blaues Seidenkleid und Schuhe mit schwindelerregend hohen Absätzen trug. In ihrem hochgesteckten dunklen Haar hatte sie – wie auch immer – eine Art Diadem befestigt.

„Heiße Kartoffelküchlein mit Mozzarella überbacken als Appetizer, zur Vorspeise gibt es Schwertfischkebabs, anschließend toskanische Lammhaxe mit gebratenem Gemüse und zur Nachspeise Zabaglione mit karamellisierten Orangenscheiben“, zählte Anna selbstbewusst auf. „Und Kaffee natürlich. Außerdem habe ich dieses köstliche venezianische Gebäck ergattert.“

„Excellente.“ Silvana nickte zufrieden. „Ich denke, wir sollten so etwa in einer halben Stunde anfangen.“ Ein leichtes Stirnrunzeln zeichnete sich auf ihrer ansonsten so perfekten porzellanglatten Stirn ab, während sie fragend auf Annas Bauch schaute. „Äh … Sie sind allein? Schaffen Sie das denn … in Ihrem Zustand? Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass Sie nicht selbst servieren.“

Sondern eine andere Frau, rank und schlank und attraktiv, nicht so unförmig wie du, ergänzte Anna in Gedanken trocken, nachdem ihre Kundin die Küchentür hinter sich geschlossen hatte. Kein Problem, sie würde sich weitgehend im Hintergrund halten. Normalerweise war sie stolz auf ihre schlanke Taille, aber die konnte man derzeit nicht einmal erahnen, und das ließ sich beim besten Willen nicht ändern.

Anna schob die Gedanken an ihre Figur schnell zur Seite und öffnete nun eine der beiden großen Kühltaschen mit den Vorräten, die sie von zu Hause mitgebracht hatte. Dann begann sie mit dem, was sie am besten konnte – kochen.

Exakt eine halbe Stunde später belud sie das größte Tablett, das sie finden konnte, mit vier Tellern, auf denen kleine mit Mozzarella überbackene und mit frischem Basilikum garnierte Kartoffelküchlein immer noch leise vor sich hin brutzelten. Dann machte sie sich auf den Weg ins Esszimmer, gut gelaunt, weil alles bestens gelaufen war. Die Lammkeule musste noch ruhen, bevor sie zerteilt werden konnte, und die mit Schwertfisch, Tomaten und Zitronenscheiben gespickten Spieße würden unter den Grill kommen, sobald sie die Appetizer serviert hatte – so unauffällig wie möglich selbstverständlich. Jetzt blieb nur noch zu hoffen, dass die Gäste der Rosewalls von dem Essen so angetan waren, dass sie keine Notiz von ihr nahmen.

Doch in dem Moment, in dem sie den holzgetäfelten Raum betrat und direkt in … seine Augen schaute, löste sich ihre heitere Gelassenheit in nichts auf.

Um ein Haar hätte sie das Tablett fallen gelassen. Während sie es verzweifelt umklammerte, spürte sie, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. Er spießte sie mit Blicken förmlich auf. Als sie zum letzten Mal tief in diese unglaublich lang und dicht bewimperten rauchgrauen Augen geblickt hatte, waren sie verschleiert gewesen vor Verlangen. Jetzt waren sie gefährlich zusammengekniffen und wirkten fast drohend.

Die Augen eines Raubtiers, schoss es ihr durch den Kopf. Sie schluckte schwer an einem Schrei der Empörung, der in ihr aufstieg. Endlich schaffte sie es, ihren Blick von ihm loszureißen und mit zitternden Händen die Teller mit den Appetizern zu verteilen.

Mit dem Gefühl, unwiederbringlich ihre Würde verloren zu haben, floh sie in die Küche. Das Herz klopfte ihr immer noch bis zum Hals. Nachdem Anna die schwere Holztür hinter sich geschlossen hatte, lehnte sie sich dagegen und versuchte sich zu beruhigen. Ihm hier zu begegnen – glatt und weltmännisch gut aussehend, in einem Maßanzug, der wahrscheinlich ein Vermögen gekostet hatte – war ein entsetzlicher Schock, der sich dadurch, dass er sie wie ein widerwärtiges Insekt gemustert hatte, mindestens verdreifachte.

Die höhnischen Zeilen, die er ihr hinterlassen hatte, hatten sich unauslöschlich in ihre Erinnerung eingebrannt.

Netter Versuch. Aber ich habe es mir anders überlegt. Du hast eine Menge zu bieten, allerdings nichts, was ich nicht genauso gut auch anderswo bekommen könnte.

Sex. Er hatte Sex gemeint.

Als unerwartet ihr Magen zu rebellieren begann, presste sie sich die zur Faust geballte Hand an den Mund. Ihr Dad musste den Zettel gelesen haben. Wahrscheinlich war er deshalb so kleinlaut gewesen, als er ihn ihr in die Hand gedrückt und dabei gemurmelt hatte, dass ihr „neuer Verehrer“ nur ganz kurz geblieben wäre.

Sie war wie vor den Kopf geschlagen gewesen, bar jeder Erklärung. Doch dann hatte sie überlegt, dass Francesco ja vielleicht geglaubt hatte, sie wäre reich – schließlich hatten Cissie und sie auf Ischia in diesem sündhaft teuren Hotel gewohnt. Und dass sich sein Interesse an ihr schlagartig abgekühlt hatte, nachdem er mit der deprimierenden Realität von Ryland konfrontiert worden war.

Doch ein paar Wochen später hatte Cissie ihr eins dieser Hochglanzmagazine unter die Nase gehalten und auf ein Foto gezeigt.

„Hier, sieh mal, das ist doch der Typ, den du in Ischia aufgegabelt hast. Ich hatte gleich das Gefühl, dass er mir irgendwie bekannt vorkommt, aber ich konnte ihn nicht einordnen – wahrscheinlich, weil er auf Ischia viel längere Haare hatte. Scheint inkognito unterwegs gewesen zu sein, oder hast du irgendwo Bodyguards oder eine Luxusjacht gesehen? Ich jedenfalls nicht. Über ihn steht ständig irgendwas in den Zeitungen. Ein Milliardär … Du hast vielleicht ein Glück! Stehst du noch in Kontakt mit ihm?“

„Nein.“

„Ein Jammer. Du solltest ihn dir schnappen, dann hast du ausgesorgt! Obwohl … na ja, so ein Urlaubsflirt bedeutet ja nichts, und er hat bestimmt einen ganzen Harem – zumindest hat er so einen Ruf.“

Anna hatte nur einen flüchtigen Blick auf das Foto geworfen und sich dann mit einem Schulterzucken abgewandt. Er trug ein weißes Dinnerjacket, das in einem aufregenden Kontrast zu seiner südländischen Erscheinung stand, und an seinem Arm hing eine attraktive Begleiterin. In Annas Kopf herrschte Chaos. Dann war er also doch nicht hinter ihrem nicht existenten Vermögen her gewesen, so wie sie anfangs geglaubt hatte.

Nur hinter Sex.

Allerdings musste er dann in der kurzen Zeitspanne zwischen seiner Ankunft in London und dem Telefonat mit ihr eine Frau getroffen haben, die ihm mehr bieten konnte … besseren Sex … raffinierteren. Mistkerl! Oh, wie sie Männer hasste, die Frauen wie Spielzeug benutzten und wegwarfen, sobald sich am Horizont etwas Aufregenderes abzeichnete.

Und woher nahm er jetzt das Recht, sie voller Verachtung anzusehen?

Sie löste sich von der Tür und straffte die Schultern. Dabei sagte sie sich, dass – falls überhaupt jemand – höchstens er Verachtung verdiente, aber ganz bestimmt nicht sie. Dann ging sie zum Backofen, um den Grill anzustellen.

Anna war ein Profi. Sie würde die Arbeit machen, für die man sie bezahlte, ihn ignorieren und am Ende des Abends sofort wieder vergessen. Ganz bestimmt würde sie nicht „zufällig“ Wein auf seiner Hose verschütten oder dafür sorgen, dass ihr genau über seinem Kopf ein voller Teller aus der Hand rutschte. Diese Art Genugtuung konnte sie sich nicht leisten. Weil sie dann nämlich nie mehr einen lukrativen Auftrag bekam.

Aber wehe, er wagte es, ihr noch einmal einen derart verächtlichen Blick zuzuwerfen! Dann konnte sie trotz aller guten Vorsätze für nichts garantieren.

Anna Maybury! Hier? Und dann auch noch schwanger?

Wie das?

Francesco musste sich zu jedem einzelnen Bissen zwingen. Musste sich zwingen, sie zu ignorieren, während sie abräumte und den nächsten Gang servierte. Musste sich zwingen, gelegentlich eines der einsilbigen Wörter hervorzustoßen, die sein einziger Beitrag zu der ansonsten angeregten Unterhaltung waren. Nur dazu, die Ermunterungen der heißblütigen Rothaarigen zu übersehen, die seine Cousine für ihn herbeigezaubert hatte, brauchte er sich nicht zu zwingen. Das passierte ganz automatisch.

Er hatte kein Interesse. Absolut keins. Null. Grimmig sichtete er die Fakten.

Anna war noch unberührt gewesen. Beim ersten Mal hatte er kein Kondom benutzt, da hatte er keinen klaren Gedanken fassen können, so verrückt war er nach ihr gewesen.

Verloren. Er hatte sich in einem reißenden Strudel ungebändigter Emotionen verloren – eine Erfahrung, die so neu und atemberaubend für ihn gewesen war, dass es sich angefühlt hatte, als ob er sein ganzes Leben lang nur auf diesen Moment gewartet hätte.

Das Kind, das sie erwartete, könnte von ihm sein. Es sei denn …

Mit gespielter Nonchalance lehnte er sich zurück und legte einen Arm über seine Stuhllehne, wobei er das schmollende Lächeln der Rothaarigen geflissentlich übersah. „Diese Frau da – von der Cateringfirma –, in welchem Monat ist sie, weißt du das?“

Drei bestürzte Augenpaare starrten ihn an. „Warum fragst du?“, wollte Silvana schließlich wissen.

Weil ich Vater werden könnte und nichts davon weiß. Er zuckte beiläufig die Schultern und sagte: „Nur so … womöglich müssen wir ja noch Geburtshelfer spielen.“

Die Rothaarige – ihr Name war ihm entfallen – kicherte affektiert, während Guy seiner Frau einen besorgten Blick zuwarf, die antwortete: „Laut Cissie Landsdale im siebten Monat. Cissie arbeitet mit Anna zusammen, allerdings nicht besonders zuverlässig, würde ich sagen. Normalerweise hilft sie beim Servieren, aber heute Abend scheint sie etwas Besseres vorgehabt zu haben. Guy, Schatz, unsere Gläser sind leer.“

Während sich ihr Mann nun um eine zweite Flasche Valpolicella kümmerte, fuhr Silvana fort: „Also, ich finde ja, dass sich eine Frau in ihrer Situation besser schonen sollte, statt …“, sie wedelte matt mit der Hand, „… solche Sachen zu machen. Leider hat sie keinen Mann, der würde ihr sonst wahrscheinlich schon die Leviten lesen, und ihre Mutter … na ja … sie ist gesundheitlich ziemlich angeschlagen. Außerdem brauchen sie das Geld. Früher waren die Mayburys mal wer hier in der Gegend, aber ihr Vater hat das gesamte Familienvermögen verschleudert.“

„Nach allem, was ich gehört habe, hat er eine Fehlinvestition nach der anderen getätigt“, warf Guy ein, während er sich wieder an den Tisch setzte.

„Ihr seid ja bestens informiert“, bemerkte Francesco mit wachsendem Unbehagen. Siebter Monat passte genau. Tatsächlich war anzunehmen, dass das Kind von ihm war, es sei denn, Anna wäre sofort nach ihrer Rückkehr mit einem anderen ins Bett gehüpft. Das war allerdings eher unwahrscheinlich. Sie hatten abgemacht, dass er nach England kommen würde, deshalb hatte sie zu diesem Zeitpunkt bestimmt kein Interesse gehabt, sich mit einem anderen Mann einzulassen.

Es kostete ihn größte Mühe, halbwegs unbeteiligt zu erscheinen und sich davon abzuhalten, geradewegs in die Küche zu marschieren und sie zur Rede zu stellen.

„Das ist reiner Zufall“, erklärte seine Cousine. „Man hat sie uns empfohlen. Aber warum gehen wir nicht ins Wohnzimmer und lassen sie hier wirtschaften? Ich schlage vor, dass wir uns noch einen Grappa genehmigen, bevor Guy und ich uns zurückziehen. Ihr beide könnt es euch ja am Kamin noch ein bisschen gemütlich machen.“ Silvana erhob sich und warf ihm ein strahlendes Lächeln zu. „Natalie möchte dir von einem Wohltätigkeitsball erzählen, den sie gerade organisiert. Bestimmt interessiert es dich.“

Na klar, und wie! Er verging fast vor Neugier. Mit versteinerter Miene begegnete er dem zuckersüßen Lächeln der Rothaarigen. Silvana hatte sie „als Freundin aus London“ vorgestellt, und natürlich sah sie gut aus. Ziemlich gut sogar. Und solo war sie auch. Er sah mit Grausen ein katastrophal anstrengendes Wochenende auf sich zukommen, weil seine Cousine zweifellos alle Hebel in Bewegung setzen würde, um sie beide zu verkuppeln. Er würde dieser Natalie klarmachen müssen, dass er am schönen Geschlecht ungefähr so interessiert war wie daran, das Telefonbuch von vorn bis hinten durchzulesen. Und dazu musste er auch noch ein freundliches Gesicht machen.

Gleich morgen früh würde er nach Ryland fahren und sich Gewissheit darüber verschaffen, ob dieses Kind von ihm war.

Die Spülmaschine war durchgelaufen. Erschöpft stellte Anna das Geschirr in den bis zur Decke reichenden viktorianischen Schrank zurück. Sie hatte höllische Rückenschmerzen, und ihre Füße brannten.

Vor einer halben Stunde war Mrs Rosewall mit einem Scheck für sie in die Küche gekommen.

„Das Essen war köstlich. Haben Sie es bald geschafft?“

„Ja, ich räume nur noch das Geschirr weg. Außer natürlich, Ihnen ist es lieber, wenn ich jetzt schon gehe“, schränkte sie wenig hoffnungsvoll ein.

Sie wollte nur noch weg hier – raus aus dem Dunstkreis von Francesco und seiner derzeitigen Bettgefährtin. Aber sie wusste aus Erfahrung, dass ihre Kunden stets erwarteten, ihre Küchen praktisch fabrikneu vorzufinden. Dafür wurde sie unter anderem bezahlt, und die Leute wollten selbstverständlich den vollen Gegenwert für ihr Geld.

Heute war es nicht anders. „Nein, nein, keine Eile. Ich wollte mich nur verabschieden, weil mein Mann und ich uns jetzt zurückziehen, aber mein Cousin und die junge Dame sind noch im Wohnzimmer. Ich möchte nicht, dass sie gestört werden. Gehen Sie einfach, wenn Sie fertig sind, okay? Ach, übrigens, da fällt mir ein, sind Sie zufällig am Sonntag frei? Dann könnten Sie nämlich Mittagessen für uns machen. Irgendetwas Leichtes, weil meine Gäste nachmittags nach London zurückfahren.“

Anna hätte nicht einmal im Traum daran gedacht, diesen Auftrag anzunehmen. Obwohl sie das Geld natürlich gut hätte brauchen können, aber diesem miesen Schürzenjäger würde sie um nichts auf der Welt jemals wieder zu nahe kommen.

„Tut mir leid“, hatte sie gesagt und dabei widerstanden, ihren schmerzenden Rücken zu reiben. „Aber das geht leider nicht.“

Jetzt, nach einem letzten Blick auf die blitzblanke Küche, holte sie ihre alte Öljacke von der Garderobe, nahm das Haarnetz ab und verließ das Haus. Es goss immer noch in Strömen. Bis sie bei ihrem klapprigen Van angelangt war und die Kühltruhen im Kofferraum verstaut hatte, war sie klatschnass.

Dieser Abend war ein Albtraum gewesen. Das Wiedersehen mit Francesco hatte sie bis ins Mark getroffen und alle Erinnerungen zurückgebracht, die sie seit Monaten rigoros verdrängte. Aber jetzt hatte sie es Gott sei Dank hinter sich, sodass sie sich wieder auf angenehmere Dinge konzentrieren konnte.

Sie würde ihn nie wieder sehen müssen, versuchte sie sich selbst zu trösten, während sie entschlossen das Lenkrad umklammerte.

Als sie die Blicke gesehen hatte, die diese Rothaarige ihm zugeworfen hatte, war ihr ganz schlecht geworden. Ihm konnte unmöglich entgangen sein, dass sie schwanger war – wie hätte er es übersehen können? Hatte er blitzschnell nachgerechnet, ob das Kind von ihm war? Sie wusste es nicht.

Und ihm war es wahrscheinlich egal. Für ihn war das, was sich auf Ischia zwischen ihnen abgespielt hatte, nur ein Urlaubsflirt unter unzähligen anderen gewesen. Er würde die Sache ganz schnell vergessen und sich einreden, dass sie an ihrer Schwangerschaft selbst schuld war. Und dass sie schon zurechtkommen würde.

Was ihr nur recht sein konnte.

Nachdem sie sich ein weiteres Mal davon überzeugt hatte, dass sein Herz ebenso rabenschwarz war wie sein Haar, verbot sie es sich, noch weiter an ihn zu denken und drehte den Zündschlüssel um.

Der Motor gab ein klägliches Winseln von sich … und erstarb. Nach dem vierten Versuch musste Anna sich eingestehen, dass die Batterie leer war. Nein, jetzt nur nicht anfangen zu weinen. Hektisch kramte Anna in ihrer Handtasche nach ihrem Handy. Selbst schuld. Nick hatte sie schon vor längerer Zeit darauf aufmerksam gemacht, dass sie eine neue Batterie brauchte, aber die Reparaturrechnungen für Ryland waren immer wichtiger gewesen. Und etwas zu essen musste schließlich auch jeden Tag auf den Tisch.

Die fruchtlose Suche nach ihrem Handy zog sich hin, bis Anna schließlich die bittere Erkenntnis dämmerte, dass sie es zu Hause vergessen haben musste. Völlig entnervt schlug sie mit ihren kleinen Fäusten auf das Lenkrad ein und beschimpfte sich selbst: „Was bin ich nur für eine Idiotin!“ Dann sackte sie erschöpft in ihrem Sitz zusammen und stellte sich der niederschmetternden Tatsache, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als bei den Rosewalls zu klingeln.

Und da sich das Ehepaar bereits für die Nacht zurückgezogen hatte, würden da nur noch Francesco und seine derzeitige Gespielin sein. Oder auch nicht, falls sie sich ebenfalls beeilt hatten, ins Bett zu kommen, was anzunehmen war. Dieser Gedanke brachte sie auf Trab. Bis nach Ryland waren es ungefähr acht Meilen. Und es regnete in Strömen. Wenn sie nicht schwanger wäre, würde sie zu Fuß gehen. Aber so …

Francesco genehmigte sich einen kleinen Grappa, nachdem die Rothaarige endlich den Raum verlassen hatte. Eingeschnappt.

Zu unruhig, um schon ins Bett zu gehen, tigerte er mit seinem Glas in der Hand auf und ab. Im Lauf der Zeit hatte er einiges Geschick darin entwickelt, sich die Frauen auf relativ charmante Art vom Hals zu halten. Heute aber nicht. Nicht dass er grob gewesen wäre. Nur kalt, überdeutlich und präzise.

An Karten für diesen Wohltätigkeitsball, den sie organisierte, war er nicht interessiert gewesen. Ebenso wenig an einer Verabredung zum Abendessen, wenn sie wieder in London waren. Sein randvoller Terminkalender ließe ihm in absehbarer Zukunft keine Zeit für private Verabredungen, hatte er erklärt.

Daraufhin war sie beleidigt abgezogen, ins Bett, allein.

Deshalb müsste es ihm doch jetzt eigentlich gelingen, sich zu entspannen. Aber er schaffte es nicht. Das Wiedersehen mit Anna Maybury hatte ihm all die beschämenden Erinnerungen zurückgebracht, die zu verdrängen er sich so bemüht hatte. Und ihre fortgeschrittene Schwangerschaft verunsicherte ihn zutiefst, weil sie Fragen aufwarf, auf die er dringend Antworten brauchte.

Morgen würde er sie zur Rede stellen, doch bis dahin war es noch unerträglich lang hin.

Verzagt drückte Anna auf die Klingel. Der Regen hatte ihr Haar in tropfende Rattenschwänze verwandelt, und die Vorderseite ihres Overalls war völlig durchnässt, weil ihre Öljacke wegen ihres dicken Bauches nicht zuging. Sie war so aufgeregt, dass ihr richtig übel war, und die Gewissheit, dass sie schrecklich aussah, machte die Sache nicht besser.

Aber irgendwie musste sie Nick erreichen, damit er herkommen und sie abholen konnte. Und das hieß, dass sie Francesco gegenübertreten, mit ihm sprechen, ihn bitten musste, das Telefon der Rosewalls benutzen zu dürfen.

Die Alternative wäre, den langen Weg über kleine einsame Nebenstraßen zu Fuß zu gehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fahrzeug vorbeikam, das sie anhalten konnte, war um diese nachtschlafende Zeit gering, ebenso unwahrscheinlich war es, dass in irgendeinem der verstreut liegenden Cottages noch Licht brannte.

Als die Tür schließlich geöffnet wurde, straffte sie die Schultern. Ohne Francesco ins Gesicht zu sehen, sagte sie mit erbärmlich zitternder Stimme: „Mein Van springt nicht an. Dürfte ich vielleicht kurz das Telefon benutzen?“

Stille. Dann, untermalt vom unablässigen Trommeln des Regens, hörte sie, wie er tief durchatmete. Sie hob den Blick und schaute ihm in die Augen. Gehärteter Stahl.

Und nicht einmal sein charmanter Akzent konnte die brutale Wirkung der Frage abmildern. „Sag nur ein einziges Mal in deinem Leben die Wahrheit. Ist dieses Kind von mir?“

2. KAPITEL

Sprachlos über die unverblümte Frage beschloss Anna, dass es würdevoller war, sie zu überhören, statt der Versuchung nachzugeben und ihm ein flapsiges Was schert’s dich hinzuwerfen.

„Ich muss Nick anrufen und ihn bitten, dass er mich abholt, aber ich habe mein Handy zu Hause vergessen.“

Als er fast ungläubig eine Braue hob, wand sie sich innerlich vor Verlegenheit. Vielleicht fragte er sich, wie es ihm seinerzeit möglich gewesen war, mit ihr so sinnliche Stunden verbracht zu haben, sie so begehrt zu haben? Jetzt, wo sie mit klatschnassem, strähnigem Haar, in flachen, bequemen Schuhen und in einem alten Overall, der sich über einen kugelrunden Bauch spannte, vor ihm stand.

Sie tat alles, um die in ihr aufsteigende Panik zu unterdrücken. Sie zwang sich, Ruhe zu bewahren und zu vergessen, dass sie ihn verabscheute, während sie mit erstaunlich beherrschter Stimme fortfuhr: „Du kannst den Rosewalls sagen, dass Nick und ich meinen Van morgen früh gleich als Erstes abholen. Die Batterie ist leer.“ Hoffentlich war es wenigstens nur die Batterie! Eine größere Reparaturrechnung zu bezahlen war im Moment nicht drin.

Sie war so durchnässt, dass sie vor Kälte zitterte, außerdem war sie todmüde. Von plötzlicher Verzweiflung überwältigt machte sie todesmutig einen Schritt nach vorn. „Lässt du mich kurz rein?“

Er rührte sich nicht von der Stelle und musterte sie nur finster mit hart zusammengepresstem Mund. Sie bekam Herzklopfen. Seine ebenmäßigen Gesichtszüge wirkten angespannt, wodurch der elegante Schwung seiner Wangenknochen und der arrogante Nasenrücken noch betont wurden.

Würde er ihr gleich sagen, dass sie sich fortscheren sollte? Wollte er sie zwingen, zu Fuß nach Hause zu gehen?

Dann bewegte er sich. Auf sie zu. Packte mit stählerner Faust ihren Ellbogen, drehte sie um. „Ich fahre dich. Komm mit.“

„Das ist nicht nötig.“ Sie konnte ihre aufkommende Panik nicht verhehlen. Was für ein Horror, mit ihm in einem Auto eingesperrt zu sein. Da würde er seine Frage garantiert wiederholen. „Nick macht es nichts aus, mich abzuholen.“

Er umklammerte ihren Arm fester und zog sie durch Regen und Dunkelheit mit sich ums Haus herum. „Das kann ich mir vorstellen“, erwiderte er höhnisch. „Macht nichts. Du musst so schnell wie möglich raus aus diesen nassen Klamotten und brauchst ein heißes Bad.“ Und ehe sie es sich versah, saß sie auch schon in seinem Ferrari. „Jetzt geht es nicht mehr nur allein um dein Wohlbefinden.“

Er meinte das Baby. Und er hat recht, dachte Anna, während sie auf dem Beifahrersitz eine einigermaßen bequeme Stellung zu finden suchte. Der Abend war eine einzige Katastrophe gewesen, sie hatte sich schrecklich aufgeregt, da war es für ihr Baby wichtig, dass sie so schnell wie möglich ins Warme, Trockene kam und wieder zu innerer Ruhe fand.

Aber was sollte sie antworten, falls er seine Frage wiederholte? Sie versteifte sich, während ihr heiße Tränen der Erschöpfung in die Augen schossen. Anna schluckte. Nein, er sollte ihre Tränen nicht sehen. Niemand sollte sie sehen.

Es ging ihn doch auch gar nichts an, oder? Würde er sich damit abfinden? Gut möglich. Wahrscheinlich war er sogar erleichtert, dass sie keine Alimente forderte oder – Gott bewahre – ihm womöglich noch damit drohte, diese peinliche Angelegenheit ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren.

Durchaus vorstellbar. Auf jeden Fall würde es zu einem Mann passen, der so mitleidlos auf den Gefühlen einer Frau herumtrampelte wie er.

Oder sie könnte lügen. Einfach behaupten, dass das Kind von einem anderen Mann war. Dass sie erst im fünften Monat schwanger war. Damit schied er als Erzeuger aus. Aber würde er ihr das abnehmen?

Anna wappnete sich und wartete. Doch er fragte nur: „Lebst du immer noch bei deinen Eltern?“ Sie nickte, und anschließend sagte er nichts mehr, bis er vor der mit Gras überwucherten Auffahrt von Ryland anhielt. Dann erklärte er grimmig: „Wir haben noch einiges zu besprechen. Morgen früh komme ich wieder. Und falls du nicht da bist, warte ich auf dich.“

Auf der Rückfahrt raste Francesco über die dunkle Landstraße, während er es sich vorhin mit Anna als Beifahrerin untersagt hatte. Es wurmte ihn, dass er sie nicht gezwungen hatte, den Namen des Kindsvaters preiszugeben.

Sobald er ein klares Ziel vor Augen hatte, verfolgte er es mit chirurgischer Präzision und ließ sich durch nichts davon abbringen – normalerweise. Er war bekannt dafür, dass er nicht zimperlich war, wenn es die Situation erforderte. Und das war nicht selten. Nach dem Tod seines Vaters vor zehn Jahren hatte er den völlig heruntergewirtschafteten Mastroianni-Konzern übernommen und mit viel Mühe fürs einundzwanzigste Jahrhundert fit gemacht – bestimmt keine Aufgabe für einen Jammerlappen.

Es gab einfach Situationen, da war Mitgefühl absolut fehl am Platz.

Und warum hatte er ihr dann erlaubt, der Frage, die ihn so brennend interessierte, auszuweichen? Keinen anderen Menschen hätte er damit durchkommen lassen.

Er hätte sie zwingen müssen, die Wahrheit zu sagen. Vorhin im Auto hatte sich dafür die ideale Gelegenheit geboten.

Außer …

Sie hatte irgendwie verletzlich gewirkt. Total erschöpft, ausgelaugt und tropfnass wie eine halb ertrunkene Katze. Mitleid, das war es gewesen, was er empfunden hatte.

Er atmete hörbar aus. Offenbar wurde er alt.

Und wer zum Teufel war eigentlich Nick?

Mit einer heißen Wärmflasche bewaffnet kroch Anna ins Bett. Das Badewasser war kaum lauwarm gewesen, und in ihrem Schlafzimmer zog es durch alle Ritzen. An der Decke zeichnete sich ein großer feuchter Fleck ab. Das Dach war seit Monaten undicht.

Ihr schnürte sich der Hals zu. Sie erschauerte. Francesco hatte ihr gedroht. Er wollte sie zwingen, die Wahrheit zu sagen. Anders als erwartet, würde er nicht diese atemberaubend breiten, teuer verhüllten Schultern zucken, wenn er hörte, dass er Vater wurde.

Irgendwo hatte sie gelesen, dass die Südländer im Allgemeinen sehr familienorientiert waren. Dieser Gedanke trieb ihr wieder einen Schauer über den Rücken.

Hätte sie doch bloß diesen Auftrag bei den Rosewalls nicht angenommen. Dann wären sie sich nie wieder begegnet. Wenn sie sich wenigstens in Nick verlieben und seinen Heiratsantrag annehmen könnte! Er war bereit, alles für sie zu tun. Was für ein bedrückender Gedanke.

Sie und Nick kannten sich von Kindesbeinen an, und er war der warmherzigste, liebenswürdigste Mensch, den sie sich vorstellen konnte. Die Gefühle, die sie sich entgegenbrachten, waren von tiefer Freundschaft und Aufrichtigkeit geprägt – schon immer. Deshalb hatte er ihr einen Heiratsantrag gemacht und ihr versprochen, für sie und das Kind zu sorgen, als ob es sein eigenes wäre.

Sie wusste, dass er sie sehr mochte, aber er liebte sie nicht. Er hatte etwas Besseres verdient. Eines Tages würde er seine große Liebe kennenlernen, und was wäre dann? Außerdem war sie ja auch nicht in ihn verliebt. Was sie für Nick empfand, war etwas völlig anderes als das, was sie für Francesco …

Oh nein! Wütend bearbeitete sie mit ihren kleinen Fäusten das Kissen, bevor sie ihr Gesicht hineinpresste und einzuschlafen versuchte.

Bei Tagesanbruch verließ Anna ihr zerwühltes Bett, froh darüber, dass die Nacht endlich vorbei war. Nachdem sie in ein frisches Umstandskleid geschlüpft war, steckte sie sich das Haar hoch. Als sie in den Spiegel schaute, betrachtete sie ihr Gesicht: Ein hübsches Gesicht, ja, aber ihre Augen blickten ihr furchtsam und erschreckt entgegen.

Sie konnte den eigenen Blick nicht ertragen und wandte sich ab. Warum hatte sie Angst vor diesem Mistkerl? Er konnte sie zu nichts zwingen. Sie beschloss, ihre uralten Turnschuhe anzuziehen, weil die Slipper von gestern immer noch nass waren.

Sie musste Nick anrufen, aber wo war ihr Handy? Sie schaute sich suchend um.

Als Nick sich verschlafen meldete, entschuldigte sich Anna. „Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe, aber es ist ein absoluter Notfall. Hör zu …“

Mit ein paar kurzen Worten schilderte sie ihm die Lage und fühlte sich schrecklich, weil sie ihn so früh aus dem Bett geklingelt hatte, doch anders ging es nicht. Francesco hatte nicht genau gesagt, wann er kommen wollte, nur „morgen früh“. Aber dann würden sie und Nick schon auf dem Weg zum Herrenhaus sein, und er musste sich in Geduld üben, bis sie beschloss, nach Hause zurückzukehren. Und das war kein Davonlaufen, ganz bestimmt nicht. Sie verschaffte sich damit ihm gegenüber nur einen klitzekleinen Vorteil.

„Kein Problem“, versicherte Nick. „In einer halben Stunde bin ich da. Aber wenn du auf mich gehört hättest, wäre dir das nicht passiert. Wie bist du denn nach Hause gekommen? Wirklich, du hättest mich anrufen sollen.“

„Das hatte ich auch vor. Aber dann hat mich ein Gast von den Rosewalls gefahren.“ Sie wollte das Thema so schnell wie möglich abhaken. „Ach, und Nick … danke.“

„Wofür?“

„Dass du zu meiner Rettung herbeieilst.“

„Jederzeit … das weißt du doch.“

Nachdem sie aufgelegt hatte, ging Anna nach unten in die Küche und schnappte sich unterwegs ihre alte Regenjacke. Sie wollte nur rasch noch ein Glas Orangensaft trinken und dann draußen auf Nick warten. Immerhin hatte es inzwischen wenigstens aufgehört zu regnen. Unbeständiges Sonnenlicht ließ das alte Haus in seinem schäbigen Glanz erstrahlen.

Kein Wunder, dass ihre arme Mum ständig deprimiert war, wenn sie hilflos mit ansehen musste, wie ihr geliebtes Zuhause immer mehr verfiel. Das war einfach frustrierend. Beatrice Maybury, die als Kind unter einem rheumatischen Fieber gelitten hatte, war schon immer zerbrechlich gewesen und unfähig, durch praktisches Handeln eine Veränderung der Situation herbeizuführen. Sie hatte stets nur zusehen können, wie ihr Ehemann William eine „todsichere“ Investition nach der anderen tätigte, die sich dann dummerweise jedes Mal als ein Schlag ins Wasser entpuppte.

Seufzend ging Anna die wenigen Stufen zu der tiefer gelegenen Küche hinunter und stieß die Tür auf. Überrascht blieb sie stehen.

„Nanu, was ist denn hier los? Mum?“

Beatrice Maybury stand, die zerbrechliche Gestalt in einen uralten Frotteebademantel gehüllt, am Herd und war eben dabei, Tee aufzugießen. Das ergrauende Haar hatte sie sich zu einem langen Zopf geflochten, der ihr fast bis zur Taille reichte, und an den Füßen trug sie ihre alten Gummistiefel. „Für dich auch Tee, Liebes?“

„Warum bist du denn schon auf?“ Anna beobachtete, wie ihre Mutter noch einen Becher aus dem Schrank nahm. Ihre Mum kam morgens selten vor zehn nach unten, weil ihr Dad immer darauf bestand, dass sie sich ausruhte. William vergötterte seine Frau und behandelte sie wie eine wertvolle Kostbarkeit. Schade nur, dass er mit dem Familienvermögen nicht genauso sorgsam umgegangen ist, dachte Anna in einem seltenen Anflug von Bitterkeit. „Ist irgendwas?“

„Nichts anderes als sonst auch.“ Beatrices Augen waren gerötet und ihr Gesicht war blass. Sie lächelte erschöpft, während sie zwei Becher mit heißem Tee auf den Tisch stellte. „Dein Vater ist müde. Ich glaube, diese Arbeit bekommt ihm nicht. Sie ist einfach zu viel für ihn. Ich habe darauf bestanden, dass er noch liegen bleibt.“

Sie setzte sich und legte ihre dünnen Hände um ihren Becher. Anna unterdrückte ein Aufseufzen. Sie konnte ihre Mum jetzt unmöglich allein lassen – nicht solange sie sich solche Sorgen machte. Auch wenn das bedeutete, dass ihr Zeitplan durcheinanderkam. Soweit Anna sich erinnern konnte, hatte ihre Mutter noch nie auf irgendetwas beharrt, sie fand sich stets mit den Entscheidungen ab, die andere trafen.

Ihr Dad war immer stark wie ein Ochse gewesen, aber vielleicht wurde ihm die Arbeit bei einer örtlichen Baufirma, die er kürzlich angenommen hatte, ja wirklich zu viel. Immerhin war er kein junger Mann mehr, sondern bereits in seinen Sechzigern. Das Geld, das er dort verdiente, musste er fast vollständig an seine Gläubiger weiterreichen, während von ihrem eigenen Einkommen zum größten Teil ihr Lebensunterhalt bestritten wurde. Außerdem mussten davon die nötigsten Reparaturen bezahlt werden, damit das Haus nicht völlig verfiel.

„Ich habe gesagt, dass ich nur nach unten gehe, um Hetty und Horace zu füttern und rauszulassen. War übrigens kein Ei da heute Morgen. Hoffentlich fehlt Hetty nichts.“

Anna lächelte – zum ersten Mal, seit sie diesen Schuft wiedergesehen hatte. „Wahrscheinlich ist sie bloß sauer, weil du ihr ständig ihre Eier wegnimmst. Wir sollten sie für Nachwuchs sorgen lassen.“

Der Hahn und die fette braune Henne hatten als Einzige einen Fuchsangriff im Hühnerstall überlebt. Und sie waren die einzige Erinnerung an Dads Selbstversorgerabenteuer. Damals hatte er mit der ihm eigenen nimmermüden Begeisterung, breit grinsend und mit leuchtenden Augen stolz verkündet: „So, jetzt hört mir mal gut zu, ihr beiden: Ab jetzt bauen wir unser eigenes Obst und Gemüse an und halten Hühner, ein Schwein und eine Ziege, das ganze Programm. Wir werden leben wie die Könige. Und alles, was wir nicht selbst verbrauchen, verkaufen wir in der Stadt auf dem Markt. Ziegenkäse, Schinken, Eier … was ihr wollt! Vergesst das Big Business, ab jetzt heißt die Losung ‚Zurück zur Natur‘. Das ist das einzig angemessene Leben für uns.“

Die Ziege war nie gekommen. Das Schwein war krank geworden und gestorben. Ein Schaf aus der Nachbarschaft hatte im Garten das Obst und Gemüse teils gefressen, teils zertrampelt, und der Fuchs hatte die Hühner geholt.

„Und …“, Beatrice richtete ihre sanften blauen Augen auf ihre Tochter, „… dann haben wir uns ein bisschen gestritten. Ich fürchte, er war ziemlich aufgebracht.“

Anna stellte alarmiert ihren Becher auf der ramponierten Tischplatte ab. Ihre Eltern vergötterten einander. Ihre Liebe war der Kitt, der ihr Leben zusammenhielt und verhinderte, dass sich dieses in einen bitteren Albtraum verwandelte. Beatrice hatte noch nie auch nur ein einziges böses Wort über ihren Mann verloren oder ihn gar bloßgestellt, nur weil sich seine Fehlinvestitionen und verschrobenen Geldbeschaffungsaktionen immer wieder als Fata Morgana entpuppten. Stattdessen gab sie stets anderen die Schuld und ermunterte ihn dazu, sich die nächste, von vornherein zum Scheitern verurteilte „geniale Idee“ einfallen zu lassen.

Aber welche Hoffnung gab es noch für sie, wenn sie anfingen zu streiten und Liebe und Loyalität schwanden?

Anna liebte beide von ganzem Herzen. Für ihre zerbrechliche Mutter fühlte sie sich verantwortlich, und ihren Vater bewunderte sie für seine unerschöpfliche Energie und Begeisterungsfähigkeit, für seine Wärme und ruppige Freundlichkeit, auch wenn er sie oft schier zur Verzweiflung trieb.

„Nun, ich fürchte, ich werde wohl ein Machtwort sprechen müssen. Ein richtiges.“

„Ich verstehe“, sagte Anna sanft, obwohl sie nun gar nichts mehr verstand. Ihre Mutter und ein Machtwort sprechen? Das war definitiv etwas Neues. „Aber was ist eigentlich …“

Sie unterbrach sich, weil das Haus unter dem Schrillen der Türglocke erbebte. Sie stand auf. „Das wird Nick sein. Tut mir leid, Mum, aber ich muss los. Wir reden später weiter.“ Sie griff sich ihre Öljacke, und während sie hineinschlüpfte, fügte sie automatisch hinzu: „Vergiss nicht zu frühstücken. Das Toastbrot müsste eigentlich noch reichen, aber ich bringe von unterwegs neues mit.“

Wenn sie die neue Batterie eingebaut hatten, würde sie noch einen Abstecher in den Ort machen und ein paar Sachen einkaufen. Je länger sich Francesco Mastroianni gedulden musste, desto besser für sie. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass er nicht bei seiner Cousine auftauchte und Nick und sie beim Batteriewechsel störte. Dieser Gedanke verursachte ihr eine leichte Übelkeit, doch sie versuchte darüber hinwegzusehen. Als sie die Eingangstür öffnete, fegte ein kalter Windstoß herein.

Und brachte ihn mit.

Francesco, wie immer unverschämt gut aussehend … heute ganz besonders. Ihr drehte sich vor Schreck fast der Magen um. Was wollte er denn jetzt schon hier? Schaffte es seine derzeitige Gespielin nicht, ihn länger im Bett festzuhalten?

Groß und einschüchternd stand dieser atemberaubende Italiener vor ihr: Mitternachtsschwarzes, erstklassig geschnittenes Haar, stahlgraue Augen, ein sinnlicher Mund, den er spöttisch verzog, als er fragte: „Gehst du weg?“

Anna spürte ihre Wangen heiß werden. Unvorstellbar, aber in einen so zynischen Macho war sie tatsächlich einmal verliebt gewesen! Obwohl er damals natürlich alles getan hatte, um sich in einem weit besseren Licht darzustellen.

Der makellose hellgraue Designeranzug betonte seine tolle Figur und die klassischen Gesichtszüge. Das weiße Hemd kontrastierte aufregend mit seinem dunklen Teint, und der Bartschatten war unverrückbar da, selbst wenn er sich noch so oft rasierte.

Ein einschüchternder Fremder.

Auf Ischia hatte er immer nur alte abgeschnittene Jeans und ramponierte Segeltuchschuhe getragen. Und um den Hals ein unechtes Goldkettchen, das auf seiner bronzebraunen Haut Spuren von Grünspan hinterlassen hatte. Jedes Mal, wenn sie diese verräterischen Flecke gesehen hatte, war ihr das Herz übergegangen vor Zärtlichkeit, und sie hatte ihn nur umso mehr geliebt.

Jetzt liebte sie ihn überhaupt nicht mehr. Kein bisschen.

Jetzt verabscheute sie ihn jedoch und alles, was er repräsentierte.

Und sie hatte nicht vor, seine Frage zu beantworten. Immer noch auf der Schwelle stehend, schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel, dass Nick schnell kommen möge. Er musste doch jeden Moment hier sein, oder?

„Können wir irgendwo ungestört reden?“ Sein Tonfall verriet, dass seine Geduld bald erschöpft war. Außerdem unterzog er sie einer gnadenlosen Musterung, ohne zu verhehlen, dass ihm nicht gefiel, was er sah.

Das konnte doch unmöglich die Frau sein, die er einst so sehr begehrt hatte, und die nun ein Kind von ihm erwartete – oder auch nicht.

„Nein.“ Sie wollte nicht mit ihm darüber reden, wer der Vater ihres Kindes war. Weder mit ihm noch mit sonst jemandem. Außerdem hatte sie Angst.

Denn abgesehen davon, dass er versuchen könnte, sich so gut wie möglich aus der Affäre zu ziehen, wenn er erfuhr, dass er der Vater war, gab es noch eine andere Möglichkeit, die ihr erheblich mehr Bauchschmerzen bereitete. Was war, wenn er den italienischen Obermacho herauskehrte und das Sorgerecht beanspruchte?

Was sollte sie dann tun? Gegen ihn vor Gericht ziehen vielleicht? Gegen einen milliardenschweren Konzernchef? Das war schlicht lachhaft.

„Anna … Wer ist denn da?“ Beatrice kam aus der Küche gelaufen. Als ihr Blick auf Francesco fiel, blieb sie wie angewurzelt stehen und zog verlegen das Revers ihres schäbigen Bademantels zu. „Ich dachte mir doch, das klingt gar nicht wie Nick.“

Nein, ganz bestimmt nicht. Kein Mensch könnte Francescos tiefe, kultivierte Stimme, in der ein leichter italienischer Akzent mitschwang, mit Nicks tröstlich salopper Redeweise verwechseln, dachte sie erschöpft. Wie sollte sie ihn vorstellen? Ach, das ist übrigens der Mann, der mich belogen, verführt und sitzen gelassen hat?

Francesco nahm ihr diese Sorge sogleich ab. Seine eben noch zusammengepressten Lippen verzogen sich zu einem verheerend liebenswürdigen Lächeln, während er auf ihre Mum zuging.

„Mrs Maybury. Es freut mich, Annas Mutter kennenzulernen.“ Er hielt ihr seine gepflegte Hand hin. Nach kurzem Zögern und einem flüchtigen Blick auf ihre Tochter griff Beatrice danach und wurde rot, als der Fremde ihre Hand an die Lippen zog.

„Anna?“, fragte Beatrice, immer noch ganz verwirrt.

„Francesco Mastroianni“, sagte Anna steif. Sie hätte ihre Mutter am liebsten geschüttelt, weil sie sich wie ein törichtes Schulmädchen benahm. Doch gleich darauf wurde ihr klar, dass es wohl keine Frau der Welt geschafft hätte, Gleichmut zu bewahren, wenn sie mit solch einer Ladung Charme bombardiert worden wäre.

„Ich habe Anna gestern Abend rein zufällig bei meiner Cousine wiedergetroffen“, erklärte er. „Ich wollte mich nur erkundigen, wie es ihr geht.“

So siehst du aus! Anna kochte vor Wut. Sie hasste ihn für seine Heuchelei, dafür, dass er so atemberaubend gut aussah und so gelassen und selbstsicher wirkte. Gleichzeitig verabscheute sie sich selbst für ihre Hilflosigkeit.

„Das ist sehr nett von Ihnen“, sagte ihre Mum sichtlich angetan, während sie ihn verstohlen von oben bis unten musterte. „Möchten Sie nicht reinkommen? In die Küche … das ist leider der einzig warme Raum im Haus. Und schließ doch bitte die Tür, Liebes. Es zieht ganz grässlich!“

Anna war außer sich. Wenn ihre Mum die Wahrheit gewusst hätte, hätte sie ihm nie und nimmer erlaubt, auch nur einen Fuß über die Schwelle zu setzen. Unter diesem bestechenden Äußeren verbarg sich ein Teufel – ein herzloser Betrüger, der einer Jungfrau die Unschuld geraubt und ihr weisgemacht hatte, dass er sie über alles liebte.

So in ihre Gedanken versunken dauerte es mehrere Sekunden, bis sie mitbekam, dass Nick durch die immer noch geöffnete Tür hereinspaziert war. Mit seinem fröhlichen offenen Gesicht, dem Mopp ungekämmter haselnussbrauner Haare und den sanften blauen Augen, dem stämmigen Körper, der in einer ölfleckigen Jeans und einem uralten Fleecepullover steckte, sah er so zuverlässig und normal aus, dass Anna am liebsten auf der Stelle losgeheult hätte.

„Fertig?“ Sein Lächeln schloss Beatrice mit ein. „Hallo, Mrs Maybury.“ Falls er die Anwesenheit des einschüchternd eleganten Fremden bemerkt haben sollte, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. „Hast du die Autoschlüssel?“ Auf Annas Nicken hin fuhr er fort: „Okay, dann lass uns am besten gleich fahren. Dad sagt, du brauchst die Batterie nicht sofort zu bezahlen. Das hat Zeit, du kannst ihm das Geld geben, wenn es mal passt.“

Anna spürte hilflos, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Nicks Vater war der Eigentümer der örtlichen Autowerkstatt, und er wusste wie jeder andere hier über die prekäre finanzielle Situation ihrer Familie Bescheid. Sein Angebot, ihr das Geld zu stunden, war nur gut gemeint, aber sie wünschte, Francesco hätte es nicht mitbekommen. Sie hatte schließlich auch ihren Stolz.

„Das wird nicht nötig sein“, gab sie hölzern zurück, während sie mit schnellen Schritten zur Tür ging. In ihrem Nacken kribbelte es, so eilig hatte sie es, möglichst viel Abstand zwischen sich und Francesco zu bringen.

Ein befehlsgewohntes „Moment!“ hielt sie auf.

Weltmännische Kühle ausstrahlend, machte Francesco einen Schritt nach vorn. „Nick? Ich nehme doch an, das sind Sie, nicht wahr?“ Nachdem er die Bestätigung erhalten hatte, befahl er mit dem durch nichts zu erschütternden Gestus eines Menschen, der davon ausgeht, dass man ihm unwidersprochen gehorcht: „Fahren Sie. Sie brauchen nicht auf Anna zu warten. Bauen Sie einfach nur die Batterie ein, ich hole den Wagen später mit Anna ab.“

„Jetzt hör mal!“ Erbost über diese Anmaßung, fuhr Anna zu ihm herum – und bereute es augenblicklich. Allein sein Anblick – die hochgezogene schwarze Augenbraue, diese leicht fragend verzogenen sinnlichen Lippen, während er auf ihren Einwand wartete – bewirkte, dass ihr Herz einen Satz machte. Es fühlte sich an, als hätte sie plötzlich den Mund voller Sand, und ihr Puls raste, während sie sich erinnerte …

Sie unterdrückte einen verräterischen Seufzer und kapitulierte.

Es war sinnlos, einem Verhör ausweichen zu wollen. Je länger sie sich zu drücken versuchte, desto nervöser und angespannter würde sie. Das war nicht gut für ihr Baby.

Sie schaute mit einem entschuldigenden Lächeln zu ihrem Freund und sagte matt: „Danke, Nick. Wir sehen uns später. Ich muss nur schnell etwas … mit ihm da klären.“ Und wenn das in Francescos Ohren unhöflich klang, konnte sie es auch nicht ändern.

Sie war Francesco gegenüber alles andere als freundlich gestimmt, als er sie aufforderte, mit in die Küche zu kommen. Sie fühlte sich einfach nur elend.

3. KAPITEL

„Entschuldigung, aber ich muss mir erst mal was Anständiges anziehen. Was sollen Sie bloß von mir denken?“ Beatrice wirkte, als wäre sie vor Verlegenheit am liebsten im Boden versunken, während sie Anna und Francesco die Tür aufhielt und dabei versuchte, ihre alten Gummistiefel unter dem Saum ihres Bademantels zu verstecken – ein nutzloser Versuch, der zudem beträchtliche Verrenkungen erforderte. Dann fügte sie mit einem Seitenblick auf Francescos blendende Erscheinung leicht atemlos hinzu: „Ich bin gleich wieder da, und in der Zwischenzeit … Anna, biete deinem Gast einen Kaffee an.“

Anna tat nichts dergleichen. Sie hatte alle Hände voll damit zu tun, sich von seiner abweisenden Distanziertheit nicht zu sehr einschüchtern zu lassen.

Es konnte ihr doch egal sein, dass ihn der Gedanke entsetzte, mit einer Frau aus einer Familie, die ihre bessere Zeit längst hinter sich hatte, ein Kind gezeugt zu haben. Mit einem gesellschaftlichen Nichts, das allerhöchstens für eine flüchtige Affäre taugte.

„Nun?“, brach sie schließlich das dumpfe Schweigen. Sie hob kämpferisch das Kinn, doch dummerweise machte genau in diesem Moment das Baby mit einem kräftigen Tritt in ihre linke Seite auf sich aufmerksam. Hoffentlich bekam es die Unstimmigkeiten zwischen seinen Eltern nicht mit.

Automatisch legte sie beruhigend eine Hand auf ihren Bauch, eine Geste, die Francesco mit glitzernden Augen verfolgte.

„Du weißt, warum ich hier bin“, erwiderte er. „Ich will wissen, wer der Vater ist. Aber denk dran, die Wahrheit lässt sich jederzeit mit einem simplen Vaterschaftstest herausfinden, deshalb würde ich dir nicht raten zu lügen.“

Das meinte er offenbar ernst. Sie hatte erwogen, irgendeinen fiktiven Namen zu nennen, in der Hoffnung, dass er den Ausweg, den sie ihm anbot, dankend annahm.

Aber jetzt wurde ihr klar, dass er sich so nicht würde abspeisen lassen. Während ihr diese Tatsache unangenehm zu Bewusstsein kam, spürte sie, dass ihr Kopf ganz leer wurde. Sie hatte alles getan, um ihn zu vergessen, und sogar mit einigem Erfolg. Das hatte sie tun müssen, um sich selbst und das Baby vor weiteren Verletzungen zu schützen.

Dieses Wiedersehen gestern hatte sie jedoch völlig aus dem Konzept gebracht. Sie presste die Fingerspitzen an ihre plötzlich hämmernden Schläfen, dann bekam sie weiche Knie und sah den Fußboden auf sich zukommen.

Doch zwei starke Hände hielten sie und sorgten dafür, dass sie sanft auf dem harten Küchenstuhl landete, wo sie sitzen blieb.

Sein unflätiger Fluch trieb ihr die Röte ins Gesicht. Als er es sah, wich er einen Schritt zurück. Er blieb mit leicht gegrätschten Beinen stehen, die Hände in den Hosentaschen vergraben, und blickte mit düsterer Miene, aus jeder Pore Ungeduld verströmend, auf sie herunter.

Sie straffte die Schultern und sagte mit schroffer Entschiedenheit: „Du brauchst nicht zu fluchen, und wenn du es unbedingt wissen willst: Ja, du bist der Vater. Wer sonst? Ich habe mit keinem anderen Mann geschlafen.“ Nach diesen Worten atmete sie tief durch, schon wieder wütend auf sich selbst, weil sie tatsächlich irgendwann einmal geglaubt hatte, diesen kaltschnäuzigen, arroganten Schuft zu lieben.

Jetzt hatte er die Information, wegen der er gekommen war. Auf keinen Fall jedoch würde sie abwarten, was er damit anzufangen gedachte. Deshalb sagte sie fest: „Aber ich will nichts von dir, das gebe ich dir schriftlich, wenn du willst. Von mir wird nie jemand erfahren, wer der Vater meines Kindes ist. Du kannst also ganz beruhigt zu deiner derzeitigen Bettgefährtin zurückkehren.“

Nach diesem Ausbruch war es erst einmal mucksmäuschenstill. Seine entschlossenen Gesichtszüge wirkten angespannt, unter dem warmen Oliv seiner Haut schimmerte Blässe. Anna versuchte seine Gedanken zu lesen, aber sie konnte es nicht.

„Ist das die Wahrheit?“ Auf ihr wortloses Nicken hin kniff er die Augen zusammen, dann drehte er sich um und ging ans Fenster, um hinauszuschauen.

Sein Kind. Sein Sohn. Für einen Moment wurde ihm ganz warm ums Herz.

Sein Sohn. Gezeugt mit einer Frau, die so falsch war wie eine verwilderte Katze. Sie hatte die verführte Unschuld gespielt und so getan, als ob sie nicht wüsste, wer er war. Eine Taktik, mit der sie ihm den Kopf verdreht hatte. Und dabei hatte sie die ganze Zeit über nur das eine Ziel verfolgt, aus einem hartgesottenen Zyniker einen liebestollen Vollidioten zu machen.

Doch dann hatte sie ihren tollpatschigen Vater eingeweiht. Woher sonst hätte der Mann wissen sollen, dass für den fetten Fisch, den seine Tochter an der Angel hatte, eine Million Pfund nur Peanuts waren?

Ein schwerer Fehler, mit dem sie sich ins eigene Fleisch geschnitten hatte.

Weil er nämlich drauf und dran gewesen war, ihr einen Heiratsantrag zu machen, obwohl er bereits als Halbwüchsiger den Entschluss gefasst hatte, niemals in den Stand der Ehe einzutreten. Hätte sie ihrem geldgierigen Vater befohlen, den Mund zu halten und sich in Geduld zu üben, wäre sie heute eine reiche Frau. Er hätte sie mit Geschenken überhäuft und Sorge dafür getragen, dass auch ihre Familie in finanzieller Sicherheit leben konnte. Obwohl natürlich irgendwann unvermeidlich der Zeitpunkt gekommen wäre, an dem er seinen Entschluss bitter bereut hätte. Der Moment, in dem ihr wahres Ich zum Vorschein gekommen wäre, in dem er erkannt hätte, was für ein minderwertiges, berechnendes Geschöpf sie in Wahrheit war.

Deshalb konnte er jetzt nur lachen, wenn sie behauptete, nichts von ihm zu wollen. Genauso gut könnte sie versuchen, ihm weiszumachen, der Mond wäre aus Käse. Sofort nach der Geburt des Kindes würde sie ihm gnadenlos ihre Forderungen präsentieren, so viel stand fest.

Als er hörte, wie die Tür aufging, drehte Francesco sich um.

„Signora.“ Beatrice Maybury trug jetzt einen fadenscheinigen Tweedrock und ein Twinset von undefinierbarer Farbe, den langen Zopf hatte sie sich wie einen Siegerkranz um den Kopf gewunden. „Ist Ihr Mann auch da? Ich möchte Sie gern beide bei diesem Gespräch dabeihaben.“ Um ein für alle Mal sämtliche Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Ohne Streit.

„Ich …“ Beatrice hatte eben den Mund aufgemacht, um ihre Tochter für ihr unhöfliches Benehmen zu tadeln – dafür, dass Anna wie versteinert auf ihrem Stuhl saß, ohne ihrem Gast eine Tasse Kaffee oder auch nur einen Sitzplatz anzubieten –, doch dann überlegte sie es sich anders. Mit dem sicheren Gespür, dass eine weitere Katastrophe dabei war, sich über ihrem müden Haupt zu entladen, nickte sie stumm und machte auf dem Absatz kehrt.

„Es besteht keine Notwendigkeit, meine Eltern da auch noch mit reinzuziehen“, sagte Anna mühsam. „Sie wissen doch gar nichts von dir.“

„Mit deinem Vater hatte ich bereits das Vergnügen. Oder ist dir das entfallen?“, fragte er mit beißendem Spott.

Wie könnte sie das je vergessen? Sie schluckte kurz, bevor sie heiser zurückgab: „Erstaunlich, dass du dich überhaupt noch an mich erinnerst.“

Nachdem sie sich eine Strähne aus den Augen gewischt hatte, fuhr sie fort: „Ich versuche dir nur zu erklären – falls du so freundlich bist zuzuhören –, dass sie nicht wissen, wer der Vater meines Kindes ist. Niemand weiß es. Und da ich möchte, dass das auch so bleibt, kannst du ebenso gut gleich wieder gehen“, fuhr sie fort, erbost darüber, dass er sie wie ein ungezogenes Kind musterte.

Überzeugt davon, dass er sich jetzt mit einer letzten hämischen Bemerkung auf den Absätzen seiner handgenähten Schuhe umdrehen und verschwinden würde, sank Anna erschöpft auf ihrem Stuhl zusammen, wobei sie sich seiner Blicke überdeutlich bewusst war.

„Geh einfach“, stieß sie erschöpft hervor, doch zu spät, weil in diesem Moment ihr Vater wie ein begossener Pudel in die Küche schlich, dicht gefolgt von seiner unbehaglich dreinschauenden Frau Gemahlin.

„Na, das ist ja eine Überraschung!“ Ihr Dad hatte sich rasch wieder gefangen. Jetzt versuchte er sogar zu lächeln und rieb sich scheinbar erfreut die großen Hände.

Obwohl das natürlich alles nur Theater war, wie Anna sogleich erkannte. In seinen Augen lauerte eine dumpfe Vorahnung, und in seinem Lächeln spiegelte sich unübersehbar Unbehagen. Was möglicherweise seiner ersten Begegnung mit Francesco geschuldet war, als der ungehobelte Kerl hier reingeschneit war und ihm diese schmähliche Nachricht für seine Tochter in die Hand gedrückt hatte. Wem blieb so etwas schon in guter Erinnerung?

„Setzen wir uns“, sagte Francesco.

Typisch! Anna ging nun fast an die Decke vor Wut. Der Hauptmann bellte! Francesco benahm sich, als ob er hier das Kommando führte. Es machte sie wütend zu sehen, wie ihr Dad lammfromm gehorchte, während ihre Mum irgendetwas von Kaffeemachen murmelte. Francescos schwaches Lächeln schlug in Ungeduld um. Für wie erbärmlich hielt er sie eigentlich?

Anna stand auf, drehte, behindert von ihrem Bauch, ihren Stuhl um und setzte sich wieder. Ihr Vater, der ihr gegenüber am Tisch saß, zog den Kopf ein. Anna verstand die Welt nicht mehr. Wo doch ihr Dad sonst alles andere als auf den Mund gefallen war! Was hatte das nur zu bedeuten?

Warum wirkte er jetzt, als könnte er sich gar nicht klein genug machen? Wo doch eigentlich das Gegenteil der Fall hätte sein müssen. Er wusste schließlich, wie Francesco Mastroianni sie behandelt hatte. Er hätte ihn eigenhändig rauswerfen müssen.

An jenem Tag hatte sie ihn in dem Gewächshaus angetroffen, das er sich in mühseliger Fleißarbeit aus alten ausgemusterten Baumaterialien zusammengezimmert hatte. Er hatte wie immer höchst geschäftig an irgendwas herumgewerkelt. „Dad, ich glaube, ich hab’s noch gar nicht erzählt, aber ich habe mich im Urlaub verliebt“, hatte sie gesagt. „In Francesco, er hat mich total umgehauen, ein Italiener. Ich bin völlig verrückt nach ihm! Und glücklicherweise geht es ihm genauso. Er ist gerade in London und will mich besuchen – heute Abend. Das Dumme ist nur, dass ich arbeiten muss, aber gegen zehn bin ich zurück. Bist du so lieb und kümmerst dich bis dahin um ihn? Aber langweile ihn um Himmels willen nicht mit diesem Wildparkunsinn!“

Sie hatte nicht verhehlen können, dass sie vor Glück fast im Delirium gewesen war, so bis über beide Ohren verliebt.

Deshalb wusste ihr Dad natürlich genau, was Francesco ihr angetan hatte. Nichtsdestotrotz ließ er sich jetzt von dem unerwünschten Gast in seinem eigenen Heim herumkommandieren, statt ihm die Tür zu zeigen.

Dann blieb es also an ihr hängen, ihn in seine Schranken zu weisen. Mit einem flüchtigen Blick auf den Mann, der ihr das Herz aus der Brust gerissen hatte und darauf herumgetrampelt war – er saß am Kopfende des Tischs und spielte dreist den Hausherrn –, sagte sie in ausdruckslosem Ton: „Nun? Wenn du etwas zu sagen hast, dann sag es. Es gibt nämlich Leute, die arbeiten müssen.“

Francesco überhörte es. Er beugte sich vor, die langen gepflegten Hände gefaltet vor sich auf der Tischplatte, und richtete das Wort an ihre Eltern.

„Ihre Tochter erwartet ein Kind von mir. Wir haben uns in ihrem Urlaub auf Ischia kennengelernt.“ Er presste den Mund zusammen, dann durchbohrte er William mit einem Blick. „Aber das wissen Sie natürlich längst. Nun, was ich damit sagen will, ist, dass ich ab jetzt für die Mutter meines Kindes die Verantwortung übernehme.“

„Wie bitte?“ Anna wollte ihren Ohren kaum trauen. Was hatte das denn jetzt zu bedeuten? Sie wollte ihn daran erinnern, dass sie ein erwachsener Mensch und somit ganz allein für sich verantwortlich war. Aber er beachtete sie gar nicht und wandte sich ihrer Mutter zu.

„Gewiss stimmen Sie mir zu, Beatrice – ich darf Sie doch so nennen? –, dass es für eine hochschwangere Frau nicht ratsam ist, den ganzen Tag hart zu arbeiten und spätnachts noch bei fremden Leuten in der heißen Küche herumzuwirtschaften?“

Jetzt versprühte Francesco wieder diesen tödlichen Charme, gegen den auch ihre Mutter keineswegs immun war. Als Anna es sah, wurde ihr schon wieder ganz schlecht. Beatrices Augen leuchteten, den Mund hatte sie zu einem erfreuten Lächeln verzogen. Ganz unübersehbar glücklich darüber, dass sie jetzt endlich wusste, wer der Vater ihres erwarteten Enkelkindes war, beteuerte sie: „Genau dasselbe sage ich ihr schon die ganze Zeit. Sie arbeitet einfach zu viel, und das beunruhigt mich sehr, aber sie hört ja nicht auf mich. Sie war schon immer so dickköpfig, sogar als Baby.“

Vielen Dank, Mum! Anna konnte nur schwer ihre aufkommende Wut unterdrücken. Zugegeben, es stimmte, dass ihre Mum immer wieder geklagt hatte, wenn es abends mal wieder besonders spät geworden war. Nichtsdestotrotz wussten sie alle drei, dass sie das Geld, das sie nach Hause brachte, schlicht zum Überleben brauchten. Und eben daran hatte sie ihre Mutter jedes Mal erinnert, aber in Gegenwart dieses Mannes würde sie das jetzt nicht noch einmal wiederholen. Ganz bestimmt nicht! Ein Mann wie Francesco hatte doch keine Ahnung, wie es sich anfühlte, wenn einem die Gläubiger auf den Fersen waren.

„Und weil ich mich für sie verantwortlich fühle, wird Anna bis zur Geburt in meinem Haus in London wohnen. Ich werde zwar die meiste Zeit unterwegs sein, aber meine Haushälterin und ihr Mann werden sich um sie kümmern“, verkündete Francesco, ohne auch nur einen einzigen Gedanken an das zu verschwenden, was sie vielleicht wollen könnte. „Sie wird die Ruhe bekommen, die sie und das Kind brauchen. Außerdem wird sie natürlich in einer Privatklinik entbinden, ich werde veranlassen, dass sie rechtzeitig angemeldet wird. Und gleich nach der Geburt …“, er schaute zwischen ihren Eltern hin und her, als ob sie gar nicht vorhanden wäre, „werde ich meine Anwälte anweisen, einen Treuhandfonds für das Kind einzurichten. Daraus werden dann Lebensunterhalt und Ausbildung finanziert.“

„Das ist wirklich anständig von Ihnen, alter Freund.“

Jetzt hatte sogar ihr Vater seine Sprache wiedergefunden! Anna kochte vor Empörung. Sie stand ungeschickt auf und suchte Francescos stahlharten Blick.

„Spar dir deine Worte. Ich habe nicht die Absicht, mit dir irgendwo hinzugehen. Ich brauche deine Almosen nicht, also verschwinde und lass dich nie wieder hier blicken.“ Nach diesen Worten rauschte sie aus der Küche, so würdevoll, wie es ihre geschwollenen Füße und der dicke Bauch gestatteten.

Außer sich vor Wut stapfte sie die Treppe hinauf in den ersten Stock. Wie konnte er es wagen, hier einfach aufzutauchen und sich wie der liebe Gott persönlich aufzuspielen? Für wen hielt er sich?

Aus ihrem kurzen und für ihn bedeutungslosen Urlaubsflirt war ein neues Leben hervorgegangen, aber das bedeutete noch lange nicht, dass er automatisch irgendwelche Rechte hätte. Darauf hatte er verzichtet, als er ihr den Laufpass gegeben hatte.

Ihre Empörung wuchs weiter, bis sie schließlich in ihrem feuchtkalten Schlafzimmer angelangt war. Erst dort wurde ihr bewusst, wie wacklig sie auf den Beinen war. Sie ließ sich erschöpft auf der Bettkante nieder und versuchte verzweifelt, ihre wild durcheinanderlaufenden Gedanken zu ordnen.

Als Erstes musste sie ihr Auto abholen. Das wäre inzwischen schon erledigt, wenn sich nicht dieser italienische Diktator eingemischt hätte. Und anschließend ein paar Lebensmittel einkaufen. Zu Nicks Vater in die Werkstatt fahren, die Batterie bezahlen. Kitty Bates anrufen, um die letztendliche Anzahl der Gäste der Geburtstagsparty ihres Sohnes am Dienstag abzuklären. Cissie anrufen, um sicherzustellen, dass sie verfügbar war. Unter normalen Umständen hätte es Anna nichts ausgemacht, bei einem Kindergeburtstag allein für das leibliche Wohl der kleinen Gäste zu sorgen, aber nach allem, was seit gestern Abend passiert war, waren ihre Energiereserven dramatisch zusammengeschmolzen. Und auch wenn Cissie sich damit brüstete, keine Ahnung vom Kochen zu haben, war sie beim Servieren doch eine echte Hilfe.

Fröstelnd zog Anna die Tagesdecke um ihre Schultern und zwinkerte entschlossen ihre Tränen weg. Der Gedanke an Cissie brachte ihr Erinnerungen zurück, die sie bisher die meiste Zeit erfolgreich verdrängt hatte. Erinnerungen, die sie nicht wollte. Doch diesmal schien sie ihnen hilflos ausgeliefert zu sein … Erinnerungen an Ischia und Francesco.

4. KAPITEL

Es war bereits später Nachmittag und regnete schon wieder, als Anna draußen Francescos Ferrari vorfahren hörte. Er kam, um sie abzuholen, ein Zweifel war ausgeschlossen.

Das Baby in ihrem Bauch fühlte sich bleischwer an, als sie nach ihrem Kosmetikkoffer griff und ihrem Vater, der ihren Koffer trug, die Treppe hinunter folgte. Sie war bis zum Mittag allein gewesen – allein mit all diesen extrem widersprüchlichen Erinnerungen an ihren Urlaub auf Ischia und ihn –, als ihre Mum in ihr Schlafzimmer gekommen war.

„Jetzt hör schon auf zu schmollen. Gleich gibt es Mittagessen, und anschließend musst du packen. Francesco kommt um vier und holt dich ab.“

Und wann hatte ihre Mum sich durchgerungen, zum ersten Mal in ihrem Leben tatkräftige Entschlossenheit an den Tag zu legen? Es wäre ein echter Grund zum Staunen gewesen, wenn … wenn es nicht so ärgerlich gewesen wäre.

„Du glaubst ja wohl nicht im Ernst, dass ich mit ihm irgendwo hingehe.“

„Sei nicht kindisch, Anna … er ist nicht so, wie du denkst. Ich verstehe ja, dass dieser Morgen ein Schock für dich war – wie für uns auch –, aber irgendwann scheint er ja mal etwas Besonderes für dich gewesen zu sein. Und immerhin ist er der Vater deines Kindes.“

Daran brauchte sie wirklich niemand zu erinnern!

„Dein Vater und ich haben noch lange mit ihm geredet, nachdem du weg warst. Francesco nimmt seine Verantwortung sehr ernst, Anna. Er findet es wichtig, dass du die Möglichkeit hast, dich vor der Geburt richtig zu entspannen, und da kann ich ihm nur beipflichten. Ich sage dir seit Wochen, dass du unbedingt kürzertreten musst mit der Arbeit, weil es weder für dich noch für das Baby gut sein kann, wenn du dich so abrackerst. Meiner Meinung nach ist er ein höchst anständiger Mann, und dein Vater sieht das genauso.“

Ausgerechnet! Francesco konnte Anständigkeit wahrscheinlich nicht von einem Schlagloch in der Straße unterscheiden.

„Er verspricht, dass es dir an nichts fehlen wird, außerdem will er die Entbindung in einer teuren Privatklinik bezahlen, und das ist etwas, was wir uns nie leisten könnten, das weißt du. Außerdem hat er angeboten, uns morgen einen Wagen mit Chauffeur zu schicken, der uns nach London bringt, damit wir uns mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass du auch wirklich alles hast. Und wenn wir möchten, können wir gern ein paar Tage bleiben, sagt er. Darüber hinaus will er seinen Anwalt bitten, eine Vereinbarung aufzusetzen, in der festgelegt wird, wie viel Unterhalt er dir bezahlt. Überleg doch mal, wie viele uneheliche Väter heutzutage von ihrer Verantwortung nichts wissen wollen.“

Von wegen Verantwortung, er verstand es einfach nur, die richtigen Knöpfe zu drücken! Ihre Eltern hatte er bereits auf seine Seite gezogen. Aber ihnen über seinen wahren Charakter reinen Wein einzuschenken wäre vollkommen sinnlos. Weil sie dann nur umso entschlossener darauf drängen würden, dass er für sein Verhalten bezahlte.

Doch sie wollte überhaupt nichts mehr mit ihm zu tun haben. Es war ihr Bauch, ihr Baby. Sie war nicht bereit, sich wie ein Paket verschicken zu lassen, an einen Ort, an dem sie nicht sein wollte. Deshalb …

„Das klingt ja alles sehr organisiert und geschäftsmäßig“, gab sie mit beißendem Spott zurück. „Aber verrat mir doch mal, wie ihr ohne meinen Beitrag zum Haushaltsgeld zurechtkommen wollt?“ Nicht dass es ihr Freude gemacht hätte, dies ihrer Mutter unter die Nase zu reiben, aber verzweifelte Situationen erforderten eben manchmal den Einsatz verzweifelter Mittel.

„Mach dir darüber keine Gedanken. Er hat deinem Vater einen Scheck gegeben, der deine geschäftlichen Einbußen für die nächsten sechs Monate abdeckt. Einen äußerst großzügig bemessenen, möchte ich noch hinzufügen.“

Da hatte es nicht mehr lange gedauert, bis Anna kapituliert hatte. Es stimmte ja, dass sie sich seit Wochen erschöpft fühlte. Bisher hatte sie die Zähne zusammengebissen und versucht, sich nicht allzu sehr um das Baby zu sorgen.

Wenn sie jetzt tatsächlich die Möglichkeit hatte, sich vor der Geburt noch einmal richtig auszuruhen, konnte sich das auf das Baby nur positiv auswirken. Und sie selbst konnte Kraft schöpfen für die Zeit danach und würde sich hoffentlich weniger unsicher fühlen, was ihre Zukunft als alleinerziehende Mutter betraf.

Autor

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