Julia Exklusiv Band 260

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SÜßE RACHE IM SILBERNEN MONDLICHT von JAMES, JULIA
Alexei Constantin ist verzaubert! Nie zuvor hat ein Kuss derart heftige Gefühle in ihm ausgelöst! Ein Blick in die Augen von Eve genügt, und sein Puls beginnt zu rasen. Aber darf er der hübschen Blondine sein Herz schenken? Schließlich kursieren böse Gerüchte über sie …

LAUF DEM GLÜCK NICHT DAVON von WALKER, KATE
"Niemals!", erklärt Rachel schockiert. Wie kann Gabriel sie bitten, Schmuck für seine Verlobte zu entwerfen? Merkt er denn nicht, dass sie die Nacht mit ihm nie vergessen hat und ihn noch immer liebt? Rachel ist verzweifelt - bis sie entdeckt: Gabriel hütet ein Geheimnis!

SAG NICHT NEIN, GELIEBTE von GEORGE, CATHERINE
An Liebe auf den ersten Blick glaubt Unternehmer Jonas Mercer nicht. Doch als er Avery kennenlernt, trifft es ihn wie ein Blitzschlag! Beide beginnen eine Affäre - aber Jonas will mehr. Für ihn ist klar: Avery ist die Richtige! Wie wird sie auf seinen Antrag reagieren?


  • Erscheinungstag 19.06.2015
  • Bandnummer 260
  • ISBN / Artikelnummer 9783733703653
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Julia James, Kate Walker, Catherine George

JULIA EXKLUSIV BAND 260

JULIA JAMES

Süße Rache im silbernen Mondlicht

Nach einem leidenschaftlichen Kuss im Mondschein schwebt Eve auf Wolke sieben. Hat sie in dem attraktiven Geschäftsmann Alexei Constantin endlich ihre große Liebe gefunden? Überglücklich malt Eve sich eine gemeinsame Zukunft mit ihm aus. Da zerplatzen ihre Träume wie Seifenblasen: Eve sieht, wie Alexei in einem Hotel verschwindet – mit einer anderen Frau!

KATE WALKER

Lauf dem Glück nicht davon

Jahre nachdem Gabriel Tiernan mit Rachel geschlafen hat, trifft er sie wieder. Erneut flammt die Leidenschaft zwischen ihnen auf, und Gabriel erkennt: Die hübsche Schmuckdesignerin bedeutet ihm mehr, als er sich eingestehen mag. Ob Rachel seine Gefühle erwidert? Gabriel ist zuversichtlich. Doch dann geschieht etwas, das all seine Hoffnungen zunichtemacht …

CATHERINE GEORGE

Sag nicht Nein, Geliebte

Bauunternehmer Jonas Mercer scheint der perfekte Mann zu sein: charmant, gut aussehend – und unglaublich sexy! Dennoch weist Avery seine Avancen zurück. Eine bittere Enttäuschung hat sie vorsichtig gemacht. Aber Jonas lässt nicht locker und umwirbt Avery nach allen Regeln der Kunst. Kann sie die Vergangenheit überwinden und Jonas ihr Herz schenken?

PROLOG

Alexei Constantin ließ sich in den Ledersitz der eleganten Limousine gleiten, die am Straßenrand auf ihn wartete. Der Chauffeur schloss leise die Wagentür hinter ihm, setzte sich ans Steuer und lenkte den Wagen in den morgendlichen Londoner Berufsverkehr.

Einen Augenblick gestattete Alexei sich den Gedanken, mit welcher Selbstverständlichkeit er diesen Komfort heutzutage hinnahm und welch langer Weg hinter ihm lag, seit er vor fünfzehn Jahren in jenem Adriahafen die Fähre bestiegen hatte. Ein schlaksiger Teenager an seinem achtzehnten Geburtstag, der nichts anderes besaß als die Kleider am Leib und den brennenden Ehrgeiz in den dunklen Augen, es zu etwas zu bringen.

Im Moment jedoch brannte nichts in diesen Augen. Sie waren absolut undurchdringlich. Ausdruckslos.

Die langen Wimpern senkten sich, als er nach unten blickte und nach der ersten der Zeitungen, die für ihn auf dem Nebensitz bereitgelegt worden waren, griff. Die Financial Times mit der grellroten Titelüberschrift – Hawkwood – AC International zieht die Schlinge enger.

Schnell überflog er den Artikel. Mit der gleichen methodischen Routine blätterte er die nächsten Zeitschriften durch. Nur bei einem Artikel verweilte er länger.

Es war das Foto, das seine Aufmerksamkeit erregte. Offensichtlich aufgenommen während eines Banketts und begleitet von einer weiteren Story über die Übernahme von Hawkwood Enterprises durch AC International.

Giles Hawkwood.

Der Mann dominierte das Foto, so wie er versuchte, alles und jeden zu dominieren. Der Smoking, den er trug, spannte sich leicht über dem Bauchansatz, das immer noch dichte Haar wurde langsam grau. Sein Äußeres entspricht durchaus seinem Alter, dachte Alexei emotionslos und betrachtete sekundenlang das Gesicht des Mannes, der Ziel der schonungslosen Belagerung war, die Alexei führte.

Dann richtete er den Blick auf die Begleiterinnen, die Hawkwood flankierten. Amabel Hawkwood, Tochter der Sechsten Viscount Duncaster, sah hochmütig über die aristokratische Nase auf den Rest der Welt herab. Alexei fragte sich, ob sie bei ihren häufigen Entziehungskuren in der diskreten Klinik auch eine so überhebliche Miene zur Schau trug.

Links neben Hawkwood stand noch eine Frau. Sie schaute nicht in die Kamera, wandte sich um zu jemandem, der im Bild nicht zu sehen war.

Alexei kniff die Augen zusammen. Außer einer bloßen Schulter, dem Faltenfall des Abendkleides und dem Aufblitzen eines Diamantensteckers unter dem silberblonden Haar war nicht viel von dieser Frau zu erkennen. Alexei wusste dennoch, wer sie war.

Eve Hawkwood, fünfundzwanzig Jahre alt und einzige Tochter von Giles Hawkwood.

Seine Lippen verzogen sich zu einem zynischen Lächeln. Wie ihre aristokratische Mutter war auch Eve Hawkwood eine formgewandte Dame der High Society, die bei gesellschaftlichen Anlässen den Arm ihres Vaters schmückte. Bei Giles’ Vermögen konnte Eve es sich leisten, durch die Welt zu jetten, sich alles zu kaufen, was sie wollte, und den ganzen Tag dem luxuriösen Müßiggang zu frönen.

Für etwas so Triviales wie einen Job bestand für sie keine Notwendigkeit.

Das zynische Lächeln verstärkte sich. Es wurde gemunkelt, dass Eve Hawkwood tatsächlich eine Arbeit ausübte.

Wenn man so etwas denn Arbeit nennen wollte.

Giles Hawkwood war als Mann bekannt, der sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzte, die er als wirkungsvoll erachtete, um sein Ziel zu erreichen. Nicht nur hatte er die Ehrenwerte Amabel wegen ihrer sozialen Stellung und trotz ihrer allgemein bekannten „kleinen Schwäche“ geheiratet, die sie übrigens angeblich mehr und mehr dem gesellschaftlichen Rampenlicht entzog, nein, er hatte auch keine Skrupel, sich die Jugend und Schönheit seiner Tochter zunutze zu machen.

Alexei starrte auf das Foto. Vielleicht war Eve Hawkwoods Gesicht nicht zu sehen, aber das leicht in die Höhe gereckte Kinn, der gerade Rücken, überhaupt ihre gesamte Haltung drückten den gleichen Hochmut wie bei der Mutter und zusätzlich Unnahbarkeit aus.

Allerdings hieß es, dass Eve Hawkwood ganz und gar nicht so unnahbar war. Wenn der gute Daddy sie darum bat …

Abrupt warf Alexei das Magazin zur Seite. Weder Eve Hawkwood noch ihre Mutter interessierten ihn.

Giles Hawkwood … das war die Beute.

1. KAPITEL

Eve saß mit graziös übereinandergeschlagenen Beinen in dem weichen Ledersitz und blätterte lustlos in der Vogue. Es gab nur noch einen weiteren Passagier in der Privatmaschine, die zur Côte d’Azur flog. Ihr Vater saß auf der anderen Seite des Gangs und arbeitete mit grimmiger Miene Unterlagen durch.

Seine Stimmung passte zum Gesicht. Und diese Stimmung war immer düsterer geworden, seit AC International das Übernahmeangebot öffentlich auf den Markt geworfen hatte. Zuerst hatte ihr Vater nur mit einem verächtlichen Lächeln reagiert, doch inzwischen, da ein Aktienhalter nach dem anderen dem Angebot positiv gegenüberstand – die Prämien, die AC International für Hawkwood-Aktien bot, waren verlockend –, hatte sich auch die Reaktion ihres Vaters geändert.

Diese Übernahme hatte den Charakter einer Schlacht angenommen. Eine Schlacht, die ihr Vater nun zu dem Mann trug, der die Dreistigkeit besaß und versuchte, Giles Hawkwood das Unternehmen wegzunehmen.

„Die Begegnung mit ihm muss wie zufällig wirken“, hatte er Eve angeherrscht. „Wenn du bei mir bist, dann sieht es aus wie eine gesellschaftliche Angelegenheit.“

Eine Rolle, in der Eve geübt war – die perfekte Tochter, der charmante Gast, die umsichtige Gastgeberin, wann immer ihr Vater eine junge Begleiterin in einem respektvollen Rahmen brauchte.

Eves Blick wurde hart. Es gab genügend Gelegenheiten, wenn die jungen Begleiterinnen ihres Vaters alles andere als respektvoll waren. Nur zu gut erinnerte sie sich an den Schock und den empfundenen Abscheu, also sie, noch als Studentin, unerwartet in der Wohnung ihres Vaters in Mayfair auftauchte und dort eine Anzahl nur spärlich bekleideter junger Damen vorfand, die zum Zwecke „erotischer Unterhaltung“, so lautete wohl der diskrete Terminus, bestellt worden waren.

Seit jenem Tag machte sie sich keine Illusionen mehr darüber, wie ihr Vater seine Zeit verbrachte, wenn er nicht gerade mehr Vermögen anhäufte und jeden in seinem Umfeld mit der ausgewählten Höflichkeit eines absoluten Mistkerls behandelte. Er war ja auch nicht der Einzige, der auf diese Weise für sein Amüsement sorgte.

Ein angewiderter Ausdruck trat in ihre Augen. Und eine ungute Ahnung erfüllte sie. Vor allem die Neureichen schienen diese Art Party vorzuziehen, Männer, die häufig aus Ländern stammten, in denen gerade das Bewusstsein dafür erwacht war, wie man das schnelle Geld machte.

Ob dieser Alexei Constantin ebenfalls zu diesem Typ Mann gehörte? Er kam aus einem der südosteuropäischen Länder, die in den letzten fünfzehn Jahren nach dem Zerfall des Kommunismus praktisch über Nacht souverän geworden waren. Was Eve über Dalaczia wusste, war minimal, obwohl sie versucht hatte, sich Informationen zu beschaffen, in der Hoffnung, es würde sich als sicheres Gesprächsthema mit diesem Mann erweisen. Dalaczia teilte sich eine Grenze mit Griechenland, hatte eine kurze adriatische Küstenlinie mit ein paar vorgelagerten Inseln und kämpfte seit Jahrhunderten gegen praktisch jede Macht in der Region. Die erst kürzlich ausgerufene Unabhängigkeit war ebenso instabil wie die Regierung. Nicht, dass Eve vorhatte, das anzusprechen. So etwas war zu heikel, das konnte leicht umschlagen. Sie hatte eine Liste der historischen Sehenswürdigkeiten sowie Daten über die heimische Fauna und Flora und die landestypische Folklore zusammengestellt. Das musste als Gesprächsstoff reichen.

Sicherlich entsprach dieser Alexei Constantin dem stereotypen Bild – nicht mehr ganz jung, klein, untersetzt, den Mund voller Goldkronen. Sie würde also höfliche Konversation mit dem Mann machen, bis ihr Vater ihr bedeutete, dass sie sich gefälligst zurückziehen sollte, damit er zum Geschäftlichen kommen konnte. Dann würde er die Glacéhandschuhe ablegen. Ihr Vater kämpfte hart, und er kämpfte schmutzig. Niemand wusste das besser als sie. Was er für Alexei Constantin geplant hatte … das allerdings wollte sie nicht wissen.

Eigentlich wollte sie überhaupt nichts über die Machenschaften ihres Vaters wissen. Sie wollte ihn so weit wie nur möglich von ihrem Leben fernhalten. Es war schwer, ja fast unmöglich. Giles Hawkwood war ein Mann, dessen Einfluss weit reichte.

Ihr ganzes Leben hatte sie in seinem Schatten verbracht. Es gab kein Entrinnen.

Ihr Spiegelbild sah ihr aus dem opulent ausgestatteten Waschraum des Luxushotels an der französischen Riviera entgegen. Genau so bevorzugte Eve ihr Äußeres: silbergraues Abendkleid im griechischen Stil, das helle Haar zu einem eleganten Chignon hochgesteckt, schlichte Perlentropfen in den Ohrläppchen, dazu die passende Halskette, dezentes Make-up und ein Hauch klassisch-exquisiten Parfüms.

Kühl sah sie aus, gelassen und unantastbar. Unberührt von den Sorgen der Welt, die wohlbehütete Tochter eines der reichsten Männer Englands, mit einer Wohnung in Chelsea und Kundenkreditkarten für jeden existierenden Designerladen in London.

Das war das Bild, das sie der Öffentlichkeit bot.

Nur sie wusste, dass die echte Eve eine andere war.

Ein Schatten legte sich über ihre Augen. Dann hob sie unmerklich ihr Kinn. Sie hatte eine Rolle zu spielen. Die Besetzung stand nicht zur Wahl, und damit basta!

Am Eingang zum Casino blieb sie stehen. Rasch hatte sie den Tisch gefunden, an dem ihr Vater saß, einen Cognacschwenker neben dem aufgestützten Ellbogen, eingehüllt in blauen Zigarrenrauch. Sie streckte den Rücken durch und bereitete sich innerlich auf das vor, was sie zu erledigen hatte.

Die jähe Welle der Mutlosigkeit, die sie überkam, wollte sie schier erdrücken. Sie lebte schon so lange so, praktisch, seit sie denken konnte. Von ihrem Vater für seine Zwecke herbeizitiert, am Gängelband vorgeführt, entlassen, wenn sie ihren Zweck erfüllt hatte.

Wenn ich doch nur einen Weg zur Flucht finden könnte. Nicht seine Tochter sein, sondern jemand ganz anderes …

Für einen Moment war dieser Wunsch so intensiv, dass ihr der Atem stockte. Dann, als sie wieder Luft holen konnte, erstarrte sie plötzlich.

Ein Mann kam aus der Bar unter dem Bogen hindurch und genau auf sie zu. Er holte mit energischen Schritten aus und bewegte sich doch geschmeidig und fließend. Für einen absurden Moment glaubte sie wirklich, er käme auf sie zu. Für diesen Moment wurde ihr Mund plötzlich trocken. Dann wurde ihr klar, dass er lediglich in die Lobby wollte und somit an ihr vorbei musste.

Sie wollte ihre übliche Taktik anwenden und an ihm vorbeischauen.

Es funktionierte nicht.

Er war groß und schlank, der Smoking saß wie eine zweite Haut. Sie sah ständig Männer in Abendgarderobe, doch selten gab es darunter einen, der den maßgeschneiderten Anzug so perfekt ausfüllte. Nun, nur wenige hatten die Statur dieses Mannes. Und auch nicht das Aussehen – dunkles kurzes Haar, markante Züge, hohe Wangenknochen und Augen, dunkel und tief wie ein Bergsee, auf den nie auch nur ein Sonnenstrahl fällt.

Ein seltsamer Stich durchfuhr sie, raubte ihr den Atem. Nicht nur konnte sie den Blick nicht von ihm wenden – sie wollte sich diesen Mann genau anschauen.

Engländer war er nicht, so viel stand fest. Auch kein Franzose oder Italiener. Eve runzelte leicht die Stirn. Also was dann? Die hohen Wangenknochen schienen fast slawisch, die Tönung der Haut ließ auf den Mittelmeerraum schließen. Ganz gleich, woher er kam – er war der anziehendste Mann, den sie je gesehen hatte.

Sie musste unbedingt aufhören, ihn anzustarren wie ein blauäugiger Teenager. Es war unsinnig, selbst wenn er so unglaublich gut aussah. Selbst wenn ihr Mund plötzlich trocken war, ihre Lungen den Dienst verweigerten und ihr Puls sich beschleunigt hatte. Absolut unsinnig.

Sie würde sich wegen eines Mannes nicht zur Närrin machen. Niemals.

Das war ihr seit dem Ende ihrer Schulzeit klar, als sie in die Welt der Erwachsenen entlassen worden war. Eve Hawkwood zu sein war nicht unbedingt ein Vorteil, wenn es um Romantik ging. Ihre Schönheit blieb wirkungslos, denn kaum einem Mann gelang es, die ständig lauernde Präsenz Giles Hawkwoods zu ignorieren.

Sie konnte das bestens nachempfinden. Schließlich gelang es ihr auch nicht. Und gerade heute Abend nicht.

Ihr blieb also nur eines zu tun. Wegschauen. Den Mann, der auf sie zukam, aus ihren Gedanken streichen …

Zu spät.

Plötzlich, als er an einem der Spieltische vorbeiging, blickte er zu ihr herüber. Ihre Augen trafen sich. Und Eve hielt den Atem an.

Es war wie ein Blitzschlag. Ein wuchtiger Schlag ohne Schmerz. Der Schlag zielte auf eine ganz andere Gegend.

Fast wäre Alexei stehen geblieben. Nur fast. Aber er erlaubte es sich, sich an diesem Anblick zu weiden.

Ihr Haar war blond, von diesem unglaublich hellen Blond. Helle Haut, fast durchsichtig. Feine Züge, riesige graue Augen, schmale Nase. Und Lippen, die leicht, nur ganz leicht, geöffnet waren.

Sie sah atemberaubend aus. Graziös, perfekte Proportionen. Groß, schlank, endlos lange Beine, schmale Taille, runde, straffe Brüste. Im Vergleich zu ihrer Schönheit wirkte das silbergraue Abendkleid geradezu unaufdringlich.

Wieder spürte er das Ziehen in der Lendengegend. Verflucht, das war jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt. Nicht, wenn er seine ganze Energie auf das eine Ziel richten sollte, dem er inzwischen so nahe war. Dem Vorhaben, das ihn praktisch sein gesamtes Erwachsenenleben angetrieben hatte.

Ich habe keine Zeit für so etwas …

Das Wissen darum half ihm nicht. Es war zu spät. Seine Augen hatten sich verselbstständigt, blieben an der Erscheinung hängen. Sekunden nur, doch es reichte, um eine Schockwelle durch seinen ganzen Körper zu senden.

Verlangen breitete sich aus, bis in jede einzelne Zelle. Und noch etwas anderes, etwas, das er nicht benennen konnte.

Er merkte, wie seine Schritte sich verlangsamten, als der Abstand zwischen ihnen sich verringerte.

Nein, er durfte nicht stehen bleiben. Es war der falsche Zeitpunkt, der falsche Ort.

Aber die richtige Frau? flüsterte eine Stimme in seinem Kopf.

Er brachte diese Stimme zum Schweigen, mit der rigiden Selbstbeherrschung, die sein ganzes Leben bestimmte. Er senkte die Lider, um den Anblick der Frau auszublenden.

Als er die Augen wieder aufschlug, war sie verschwunden.

Eve rannte. Rannte wie um ihr Leben, so schnell es ihr mit den hohen Absätzen möglich war. Durch die großen Glastüren hinaus auf das Pooldeck mit Blick auf die See.

Ihr Herz flatterte wie ein gefangener Vogel in ihrer Brust, ihre Wangen brannten, in ihren Gedanken herrschte Chaos. Sie meinte, ohne Vorwarnung einen Stromstoß erhalten zu haben.

Diese Augen … Er hatte sie direkt angesehen …

Hitze schwappte über ihr zusammen. Sie lief weiter, ohne darauf zu achten, wohin. So etwas hatte sie noch nie erlebt! Woher war das so plötzlich gekommen? Was war es an diesem Mann, das sie so aufwühlte?

Sie holte tief Luft und bemühte sich, ihre Atmung zu normalisieren und ihren Schritt zu verlangsamen. Sich zusammenzunehmen.

Du hast einfach nur einen fantastisch aussehenden Mann gesehen. Mehr nicht. Denen begegnest du doch ständig. Davon gibt es viele auf der Welt.

Noch während sie versuchte, sich davon zu überzeugen, wusste sie, dass das so nicht stimmte. Natürlich gab es viele gut aussehende Männer auf der Welt, und sicherlich hatte sie auch einige davon getroffen … aber bei keinem von ihnen hatte sie einfach nur starren wollen, keiner von ihnen hatte ihren Puls in die Höhe getrieben und ihre Atmung versagen lassen.

Sein Gesicht drängte sich in ihre Erinnerung, und wieder durchfuhr sie ein Schauer. Seine Augen hatten etwas mit ihr angestellt, etwas, das ihr noch nie widerfahren war. Lust war es nicht. Schließlich war sie seit ihrer Teenagerzeit Blicke von Männern gewohnt. Nein, es war etwas anderes gewesen, etwas viel Mächtigeres.

Etwas viel Gefährlicheres.

Inzwischen erkannte Eve, wo sie sich befand – auf einer Terrasse über den Klippen, von der aus man in die weit angelegten Gärten des Hotels gelangen konnte. Der Pfad schlängelte sich unter Pinien hindurch zu einem kleinen Aussichtspunkt, an dem man von Steinbänken aus freien Blick auf das Meer hatte. Eve wusste das. Wegen des Casinos und des Jachthafens bevorzugte ihr Vater dieses Hotel, Eve war schon öfter hier gewesen.

Innerhalb weniger Minuten hatte sie den Aussichtspunkt erreicht. Sie setzte sich nicht, die Steinbänke waren zu kalt, sondern lehnte sich nur an die Balustrade und sah hinaus auf die dunkle Wasseroberfläche des Mittelmeers, beobachtete, wie die Wellen sich sanft an den Felsen der Klippen brachen. Über ihr blinkten Sterne am samtenen Himmel. Eine leichte Brise wehte, löste einzelne Strähnen aus dem tief im Nacken sitzenden Chignon, spielte sanft mit ihnen. Die milde Nachtluft hüllte Eve ein, das Aroma der See und der Pinien beruhigte sie. Und langsam fühlte sie, wie ihr Herzschlag ruhiger und ihre Wangen kühler wurden.

Und wie sich eine unendliche Sehnsucht in ihrem Inneren ausbreitete.

Es war unerheblich, dass sie gerade einen Mann erblickt hatte, der eine solche Reaktion in ihr auslöste. Und unnütz, auch nur einen Gedanken an ihn zu verschwenden. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde sie ihm nie wieder begegnen, schließlich war er auf dem Weg zum Casino hinaus gewesen. Und selbst wenn, was sollte schon daraus werden?

Nichts. Dieser Mann würde immer nur eine Fantasie bleiben. Er war niemand, der etwas mit ihrem realen Leben zu tun haben würde. Ein Schatten, ein verwischter Traum von dem, was in einem anderen Leben vielleicht hätte sein können.

Sie hätte nicht wegrennen sollen.

Wäre sie stehen geblieben, Alexei wäre an ihr vorbeigegangen und hätte die Sache auf sich beruhen lassen. Es gab mehr als genügend gute Gründe, es einfach auf sich beruhen zu lassen, und keinen einzigen, ihr mit langen Schritten zu folgen.

Sie hielt auf die Gärten zu, dort, wo das Licht der Hotels nicht mehr hinreichte. Nur niedrige kleine Lampen beleuchteten den Weg, den sie entlangeilte. Er sah ihr nach, sah, wie ihre Schritte sich verlangsamten, als sie in den Schatten eines kleinen Pinienhains eintauchte, dann war sie nicht mehr zu erkennen.

Alexeis Augen funkelten auf. Er setzte sich in Bewegung und ging ihr nach, wohl wissend, er sollte es nicht tun. Falsche Zeit, falscher Ort. Aber definitiv die richtige Frau. Falls ihm je die Richtige begegnet war, dann sie.

Keine andere hatte je eine solche Wirkung auf ihn gehabt, dabei hatte er sie nur sekundenlang gesehen. Nein, er würde sie nicht einfach verschwinden lassen. Es war übereilt, es war irrational, es war geradezu dumm. All das wusste er. Er wusste auch, dass er sie finden musste.

Sie hörte Schritte.

Alarmiert drehte Eve den Kopf in die Richtung. In diesem Hotel der Reichen und Einflussreichen waren die Sicherheitsstandards hoch, es war praktisch eine uneinnehmbare Festung. Allerdings stand sie hier am Ende des großen Grundstücks, hierher würde sich um diese Zeit kaum ein Hotelgast verirren. Wer also konnte das sein …?

Als er aus dem Schatten trat, glaubte sie zuerst, ihre Fantasie spiele ihr einen Streich. Doch der große schlanke Mann, der auf sie zukam, war real.

„Sie hätten nicht wegrennen sollen“, sagte er.

Er sprach französisch, mit dem Hauch eines Akzents, den sie nicht bestimmen konnte. Hilflos starrte sie ihm entgegen, als er immer näherkam. Ihr schien es, als würde alles in Zeitlupe ablaufen.

Er trat vor sie. Sein Gesicht konnte sie in der Dunkelheit nicht richtig erkennen, nur Schatten und Grautöne warf das Mondlicht darüber. Ihre Knie wollten nachgeben, sie klammerte sich an die Balustrade. Der Stein fühlte sich kühl unter ihren Händen an. Der Rest ihres Körpers stand in Flammen.

„Wovor sind Sie eigentlich davongelaufen?“

Seine tiefe Stimme durchdrang ihre Sinne. „Ich weiß es nicht.“

Die Antwort hörte sich dumm an, geistlos. Aber es war die Wahrheit. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, eigentlich war es nur ein Zucken der Mundwinkel. Wie magnetisch angezogen glitt ihr Blick zu seinem Mund.

„Ich wusste nur, dass ich weg musste.“

„Vor mir brauchen Sie nicht zu fliehen.“

Er murmelte etwas, das sie nicht verstand. Nur wenige Worte, doch sie konnte die Sprache nicht erkennen. Dann plötzlich sprach er englisch.

„Wer sind Sie?“

Sie öffnete die Lippen, doch sie sagte nichts. Sie wollte ihm nicht sagen, wer sie war. Nicht, weil er vielleicht ihren Vater kannte. Es gab viele reiche Menschen auf der Welt, da konnte man nicht jeden kennen. Nein, sie gab sich nicht zu erkennen, weil sie jemand anders sein wollte – eine Frau, die in einer lauen Nacht unter einem sternenübersäten Himmel spazieren gehen und einer wahr gewordenen Fantasie in die Augen schauen konnte.

Also wich sie aus. „Wieso halten Sie mich für eine Engländerin?“, stellte sie die Gegenfrage in Französisch.

„Sind Sie es nicht?“

Seine Worte, gesprochen mit diesem leichten Akzent, schienen durch sie hindurchzuhallen. Sie zuckte leicht mit einer Schulter. „Sie sind auch kein Franzose.“

„Nein“, stimmte er zu, ließ es jedoch bei dieser Aussage bewenden.

Eve wusste, warum. Wie sie wollte auch er den Moment nicht durch Nationalitäten, Identitäten, Kategorien definieren. Wie sie wollte er, dass dieser Moment rein blieb. Rein, das war das Wort, das sich in ihrem Kopf formte.

Hier draußen, in der frischen Seeluft, gewürzt mit dem Duft der Pinien, die Nacht nur erhellt vom Mondlicht, war das Luxushotel mit seinem Casino und dem Drei-Sterne-Restaurant eine andere Welt. Diese Welt hier hatte nichts mit ihrem Vater zu tun, bis hierher reichte sein dunkler Schatten nicht.

Sie wusste, es war albern. Sie konnte dem nicht entfliehen, konnte nicht ändern, wer sie war. Genauso wenig wie dieser Mann ändern konnte, wer er war. Doch für diesen einen, kurzen Augenblick war ihnen beiden das Vergessen gewährt.

„Warum sind Sie mir gefolgt?“ Noch immer sprach sie französisch. Sie hätte nicht sagen können, warum.

Wieder lächelte er, diesmal fast ein offenes Lachen. „Eine Französin würde so etwas nie fragen!“ Er spottete, doch es war gutmütiger Spott.

Als Antwort lächelte sie und gestand damit ihren Lapsus ein.

„Und eine Frau von Ihrer Schönheit sollte so etwas nie fragen.“

Vom Meer wehte eine kühle Brise herüber, unwillkürlich rieb Eve sich die bloßen Arme.

Sofort war er bei ihr und legte ihr sein Smokingjackett über die Schultern. Seine Körperwärme hing noch im Seidenfutter. Eve wurde die Kehle eng. Es war eine unglaublich intime Geste.

Er stand halb hinter ihr, seine Hände noch auf ihren Schultern. Sie drehte den Kopf. „Danke“, sagte sie atemlos.

Sein Gesicht war dem ihren so nah. Viel zu nah. Die Welt hörte auf zu existieren, es gab nur noch seine Augen. Das Mondlicht spiegelte sich darin. Wie aus eigenem Willen hob sich Eves Hand und berührte seine Wange. Unter ihren Fingerspitzen fühlte sie, wie seine Wangenmuskeln sich anspannten. Sie hörte, wie er scharf die Luft einsog, und atmete tief seinen maskulinen Duft ein.

Dann ließ sie die Hand sinken. Sie konnte kaum fassen, was sie da gerade getan hatte. Sie hatte einen ihr völlig fremden Mann berührt. Hastig trat sie zurück und stieß gegen die Balustrade.

„Es tut mir leid“, presste sie hervor. Mit blinden Augen starrte sie hinunter auf die Wellen.

„Es besteht kein Grund, sich zu entschuldigen.“ Er klang amüsiert, doch da schwang noch etwas anderes in seiner Stimme mit. Die Hände auf ihren Schultern, drehte er sie zu sich herum, umfasste mit beiden Händen ihr Gesicht, ließ die Finger in ihr seidiges Haar gleiten.

Sie sah zu ihm auf. Sie rührte sich nicht, atmete nicht einmal mehr, um diesen Moment nicht zu zerstören. Und dann küsste er sie.

In dem Sekundenbruchteil, in dem sie erkannte, dass er den Kopf vorbeugte, in dem sie seine Absicht erkannte, wurde ihr auch klar, dass sie es ihm erlauben würde.

Sie schloss die Augen. Schloss die Augen und ließ sich küssen von einem Fremden, den sie niemals kennenlernen würde. Dieser Moment war einzigartig, er würde niemals wiederkommen. Doch jetzt war es ihr Moment, einer, den ihr nichts und niemand nehmen würde.

Sie öffnete die Lippen leicht. Er küsste sie langsam, süß wie Honig, sanft wie Seide, zart wie eine Feder.

Dann hob er den Kopf und ließ die Hände sinken. Irgendwo auf dem Wasser heulte ein Schiffsmotor auf. Die Realität kam zurück. Eve riss die Augen auf.

„Ich muss gehen.“ Sie schüttelte sich das Jackett von den Schultern und drückte es ihm in die Hand.

„Warte …“

Doch Eve schwang herum, raffte das Abendkleid und rannte. Wie Aschenputtel um Mitternacht vom Ball. Nur, dass sie keinen gläsernen Schuh hinterließ.

Alexei sah ihr nach. Dieses Mal folgte er ihr nicht. Dabei wollte er ihr nachrennen, sie in seine Arme nehmen, sie festhalten. Doch er ließ sie gehen. Weil er keine andere Wahl hatte.

Die Realität holte ihn ein. Das war es nicht, worum es in seinem Leben ging. Nicht um eine Frau, die ihm den Atem geraubt hatte, die für diesen flüchtigen Moment wie eine Quelle klarsten Wassers für einen Ertrinkenden gewesen war, deren Lippen seine Lippen und noch etwas tief in seinem Inneren berührt hatten.

Nein. Grimmig zog er sich das Jackett über. Das war nur ein Fantasiegebilde, das er sich nicht leisten konnte. Vor allem nicht jetzt.

Die Realität wartete auf ihn. So wie sie sein ganzes Leben auf ihn gewartet hatte. Hart und unnachgiebig. Es gab keinen Ausweg.

2. KAPITEL

Eve betrat das Casino. Die Hitze, der Geräuschpegel, der Geruch nach Alkohol und Zigaretten, vermischt mit teurem Parfüm, umfing sie wie dichter Nebel und wollte sie erdrücken. Sie ignorierte es und steuerte auf den Tisch zu, an dem ihr Vater spielte. Der Stapel Jetons neben ihm war merklich geschrumpft. Der Inhalt seines Glases auch. Ein Zigarrenstummel lag im Aschenbecher, eine neue Zigarre hielt Giles zwischen den Fingern.

Schweigend nahm sie ihren Platz hinter seinem Stuhl ein. Ihre Ankunft bedachte er mit einem leise gesprochenen Vorwurf.

„Du hast dir Zeit gelassen.“

„Ich brauchte frische Luft.“ Ihre Stimme klang ruhig und beherrscht. Wie anders hätte sie sich auch verhalten sollen als ruhig und beherrscht? Sie war hier, um die Tochter ihres Vaters zu spielen. Eve Hawkwood.

Sie war keine Frau, die sich ihren Träumen ergeben konnte. Träume von einem Mann, den sie kaum mehr als ein paar Minuten gesehen hatte. Ein Mann, der ihr Herz zum Rasen gebracht hatte und ihren Atem zum Stocken. Nein, sie war eben nicht die Frau, die einen Fremden im Mondlicht küssen durfte. Das war ein Luftschloss, heraufbeschworen von der eigenen Fantasie, geboren aus dem Wunsch, diesem Lebensstil zu entfliehen.

Für einen Moment schloss sie die Augen, als die Erinnerung an das Gefühl zurückkam, als sein Mund ihre Lippen berührt hatte, als er die schlanken Hände an ihre Wangen und die langen Finger in ihrem Haar vergraben hatte …

Nein! Abrupt riss sie die Lider hoch. Achtete darauf, ihre Umgebung zu betrachten, mit der üblichen ausdruckslosen Gleichgültigkeit in den Augen. Sie konzentrierte sich auf das sich drehende Rouletterad, auf die hüpfende Kugel, auf die Jetons, von den Spielern auf den Tisch gesetzt, vom Croupier zu den Spielern geschoben. Der sinnlose Tanz war hypnotisierend in seiner Monotonie.

Dann setzte plötzlich der instinktive Reflex ein, den sie seit ihrer Kindheit perfektioniert hatte, um überleben zu können: Sie spürte, wie die Stimmung ihres Vaters umschlug, bemerkte, wie er die Schultern straffte.

Sie sah auf. Und eine allumfassende Schwärze wollte sie verschlingen. Unwillkürlich umklammerte sie die Stuhllehne. Vor ihren Augen verschwamm alles, klärte sich wieder …

Der Mann, den sie draußen am Aussichtspunkt geküsst hatte, kam auf den Roulettetisch zu. Für einen schrecklichen Moment setzte ihr Herz aus, dann wurde ihr klar, dass er sie gar nicht ansah. Er suchte nicht nach ihr.

Gleichzeitig wurde ihr auch klar, dass irgendwo tief in ihr die Hoffnung existiert hatte – schwach und albern, aber dennoch –, dieser Mann, der sie mit einem einzigen Blick aus den dunklen Augen fast alles hatte vergessen lassen, möge sie nicht gehen lassen. Dass ihm dieser eine Kuss nicht reichen würde.

Die Hoffnung erstarb und zerfiel zu Staub.

Sie war unsichtbar für ihn. Eben noch hatte er sie geküsst, jetzt bemerkte er sie nicht einmal. Sah sie gar nicht.

Noch während der letzte Rest dieser unnützen Hoffnung aus ihr schwand und nur gähnende Leere zurückließ, wusste sie plötzlich, warum er sie nicht ansah.

Eine ungute Vorahnung breitete sich in ihr aus.

Er kam nicht auf den Roulettetisch zu. Er kam auf ihren Vater zu. Die Art, wie er sich bewegte, jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

Entschlossen. Kontrolliert. Kaltblütig.

Tödlich.

Das Wort blitzte in ihren Gedanken auf, und sie konnte es nicht mehr verdrängen. Eine eiskalte Hand griff nach ihr.

Hawkwood hatte sein Spiel unterbrochen. Alexei beobachtete, wie seine Hand kurz über dem Stapel Jetons kreiste, bevor er die nächsten Spielchips positionierte – sie dem sinnlosen Bluff opferte. Er tat, als könne er es sich leisten zu verlieren, als könne er sich die heutige Pechsträhne erlauben.

Alexei wusste es besser. Giles Hawkwood hatte nicht einmal einen Penny mehr übrig. Die Jacht, die Immobilien, sämtliche seiner Besitztümer waren als Sicherheit abgetreten, um das Kapital aufzubringen, mit dem er die Aktien des eigenen Unternehmens aufkaufte, wo und wann er nur konnte. Hawkwood kam zu spät. Gerade heute Morgen hatte AC International in gegenseitigem Einverständnis eine australische Firma aufgekauft, die zufälligerweise genügend Hawkwood-Aktien besaß, um Alexei die absolute Aktienmehrheit zu sichern.

Endlich. Endlich hatte er Giles Hawkwood in der Hand. Hawkwood war machtlos und bankrott. Er wusste es nur noch nicht.

Und Alexei hatte auch nicht vor, es ihn so schnell wissen zu lassen. Er wollte es auskosten. Heute traf er seine Beute zum ersten – und zum letzten Mal. Und der Mann ahnte nicht einmal, dass er endgültig geschlagen war.

Alexei blieb vor dem Spieltisch stehen. Wartete darauf, dass Hawkwood seinen Zug machte.

„Constantin.“

Eve hörte ihren Vater den Namen aussprechen, aber ihr war nicht klar, warum. Sie konnte nur daran denken, dass der Mann, den sie im Mondschein auf der Plattform über dem Meer geküsst hatte, nur wenige Meter von ihr entfernt auf der anderen Seite des Roulettetisches stand. Ihr schien, als hätten die Leute dort auf der anderen Seite automatisch Platz für ihn gemacht, damit er an den Tisch treten konnte. Jetzt stand er dort und blickte kühl auf ihren Vater herunter.

Das flaue Gefühl in ihrem Magen war wieder da, und plötzlich ergab der Name, mit dem ihr Vater den Mann angesprochen hatte, Sinn.

Constantin. Alexei Constantin. Er war das.

Schock durchfuhr sie, scharf wie ein Messer. Und fassungslose Bestürzung. Sie schwankte und hielt sich mit beiden Händen an der Rückenlehne fest.

Im gleichen Augenblick lehnte ihr Vater sich zurück, und sie zog die Hände fort. Sie berührte ihren Vater niemals. Und ließ sich nie von ihm berühren.

Giles sah jetzt zu Alexei Constantin, der den Blick starr erwiderte. Keine Regung zeigte sich auf seiner Miene, doch in seiner ganzen Haltung lag etwas, das nichts mit dem Mann da draußen auf der Aussichtsplattform gemein hatte.

Das hier war ein komplett anderer Mann.

Ihr Vater zog an seiner Zigarre und legte sie in den Aschenbecher. „Sieh an“, sagte er, „so ein Zufall. Das trifft sich gut, meinen Sie nicht auch?“

Seine Stimme klang schnarrend, in Eves Ohren ködernd.

Alexei Constantins Gesicht veränderte sich nicht. „Sollte ich?“

Auch seine Stimme war anders. Ebenso anders wie der Mann, der mit steinernem Gesicht auf ihren Vater schaute.

Plötzlich wurde ihr bewusst, dass das Rouletterad sich nicht mehr drehte. Die Gespräche um den Tisch herum waren verstummt. Jeder verfolgte gebannt das Aufeinandertreffen der beiden Männer.

Ihrem Vater war es ebenfalls nicht entgangen. Er warf einen verächtlichen Blick in die Runde, dann nickte er Alexei zu. „Kommen Sie doch morgen Abend zum Dinner auf meine Jacht.“ Er zog lässig an seiner Zigarre. „Ich schicke Ihnen das Beiboot, um Sie abzuholen. Sagen wir, um halb neun?“ Seine Lider waren schwer von zu viel Cognac.

Alexei verharrte eine Sekunde, dann nickte er unmerklich. „Besser um neun. Ich möchte gerne den neuen Tagesstart an der asiatischen Börse abwarten. Man findet dort immer interessante Aktienbewegungen.“

Jetzt war es an ihm, den Köder auszuwerfen. Eve konnte sehen, wie die Röte am Nacken ihres Vaters hinaufkroch.

„Tun Sie das“, erwiderte er jedoch nur. Um die Kontrolle der Situation wieder an sich zu reißen, griff er nach einem weiteren Stapel Jetons und setzte sie.

Mit einer Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung nahmen auch die anderen Gäste ihr Spiel und die Gespräche wieder auf.

Alexei Constantin bewegte sich nicht, sondern schaute weiter unbeweglich auf Giles Hawkwood herab.

Das lauernde Verharren eines Raubtieres, bevor es zum Sprung ansetzte …

Wieder griff die eiskalte Hand nach Eve. Dieser Mann ist gefährlich. Tödlich.

Hatte sie sich bewegt? Hatte sie einen Laut ausgestoßen? Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass urplötzlich, ohne Vorwarnung, Alexei Constantin den Blick hob. Direkt zu ihrem Gesicht.

Und sie erstarrte.

Der Schock fuhr Alexei bis ins Mark. Schock und noch etwas, das viel schlimmer war.

Ohne mit der Wimper zu zucken, sah er sie an. Zwang sich dazu.

Er war ihr nicht nachgelaufen. Hatte sie nicht zurückgerufen. Hatte sie gehen lassen.

Weil es nicht der richtige Ort und nicht die richtige Zeit war. Er war seinem Ziel zu nahe. Dem Ziel, auf das er sein gesamtes Leben hingearbeitet hatte. Der Moment war gekommen, da er Giles Hawkwood zerstören konnte. Von nichts und niemandem würde er sich aufhalten lassen.

Auch nicht von einer Frau, deren Schönheit keiner anderen gleichkam. Von der er sich angezogen fühlte wie von keiner anderen zuvor. Die etwas in ihm angerührt hatte, was keiner je gelungen war.

Die ihn im Mondschein geküsst hatte und dann davongerannt war. Eine Unbekannte ohne Namen.

Doch jetzt war sie keine Unbekannte mehr. Sondern Eve Hawkwood. Die Tochter des Mannes, den er zugrunde richten würde.

Er schaute sie weiter an. Und sie hielt seinem Blick stand, mit dem gleichen leeren Ausdruck in den Augen.

Dann, als hätte ein Messer einen unsichtbaren Faden durchtrennt, drehte Alexei sich um und ging davon.

Eve Hawkwood.

Er wiederholte den Namen still. Das musste sie sein. Die Tochter, die die gesellschaftlichen Honneurs für Giles Hawkwood übernahm.

Honneurs? Alexei verzog abfällig den Mund, als galliger Ärger durch ihn hindurchflutete. Ein Ärger, der sich hatte losreißen wollen, seit er erkannt hatte, wer die Frau hinter Giles Hawkwoods Stuhl war.

Was sie war.

Oh ja, sie war gut, das musste er ihr lassen. Kunstfertig bis zur Perfektion, jede noch so kleine Geste fehlerlos.

Ihre Haltung am Casinoeingang. Der genau getimte Augenkontakt. Das Verharren. Und die ebenso perfekt getimte Flucht in den romantischen und vor allem menschenleeren Garten.

Und dann …

Nein. Er würde es sich nicht erlauben, an das „Und dann“ zu denken.

Es ist nie geschehen. Dieser Kuss ist nie passiert. Ich habe sie nie im Mondlicht geküsst. Habe nie dieses unerklärliche Gefühl tief in meinem Inneren gespürt.

Denn die Frau, die er geküsst hatte, war keine geheimnisvolle Fremde. Ganz im Gegenteil.

Alexei verließ das Casino. In der Hotellobby sah er sich um. Er brauchte jetzt einen Drink. Irgendwo im Dunkeln, wo er allein sein konnte.

Ohne zu zögern stieg er die breite Treppe zum Nachtclub des Hotels hinunter.

Alexei Constantin. Das war der Mann aus ihrer Fantasie. Der Mann, der die Firma ihres Vaters in den Ruin treiben wollte.

Die bittere Ironie wollte Eve schier ersticken. Von allen Männern auf der Welt musste es ausgerechnet Alexei Constantin sein …

Doch das war so oder so gleich. Geschlagen sackten ihre Schultern ab. Sie war zu dem einzigen Leben verdammt, das es für sie gab.

Chérie, mit deinen Gedanken bist du meilenweit weg. Du solltest an mich denken, dann sähst du viel glücklicher aus.“ Leicht vorwurfsvoll drang die Stimme an ihr Ohr.

Eve seufzte entschuldigend. „Entschuldige, Pierre. Ich bin heute Abend wohl keine gute Gesellschafterin.“

Tant pis. Erst werde ich dich zum Lachen und dann in mein Bett bringen.“

Fast unwillig zuckte es um ihre Mundwinkel. Pierre Roflet versuchte sie zu verführen, seit sie sich kannten. Doch im Moment war Eve dankbar für die Ablenkung. Vor einer halben Stunde war er an den Roulettetisch gekommen, hatte einen erfreuten Überraschungsschrei ausgestoßen, Eve hier unerwartet in Südfrankreich zu treffen, und sie sofort in den Nachtclub entführt, nachdem Eve sich das unmerkliche Einverständnis ihres Vaters eingeholt hatte.

Eve war erleichtert mit Pierre mitgegangen. Viel lieber wäre sie auf die Jacht zurückgekehrt, doch ihr Vater würde ihr erst erlauben zu gehen, wenn auch er zu gehen bereit war. Das konnte noch Stunden dauern. Immerhin hatte sich seine Pechsträhne am Spieltisch gewandelt.

Also ließ sie die Zeit zum pulsierenden Takt der Musik im dämmrigen Nachtclub verstreichen, während Pierre sich alle Mühe gab, sie zu unterhalten. Er war amüsant, zeigte nur wenig Tiefgang, war aber zuvorkommend und aufmerksam. Im Moment konnte sie einen heiteren Begleiter, der ernste Themen mied, gebrauchen. Sie hatte einen Tanz mit ihm absolviert und sich von ihm an den kleinen Tisch zurückführen lassen, wo er sie mit dem neuesten Klatsch und pikanten Anekdoten von bekannten Persönlichkeiten amüsierte und sie mit Komplimenten überschüttete. Eve hatte an ihrem Kaffee genippt und gespürt, wie die Leere sich langsam aus ihr zurückzog.

Doch jetzt, da Pierre an die Bar gegangen war, um noch einen Kaffee für sie und einen Cocktail für sich zu bestellen, kam diese bedrückte Stimmung zurück. Mit leeren Augen sah sie auf die Tanzfläche, wo eng umschlungene Paare sich zum schwülen Takt der Musik drehten. Manche von ihnen waren fest zusammen, die meisten suchten nur eine Affäre auf Zeit. Während sie …

Für einen Augenblick erlaubte sie es sich, ihrer Fantasie die Zügel schießen zu lassen. Sie sah sich auf der Tanzfläche, die Arme um seinen Nacken, den Kopf an seine Brust gelegt. Und seine Hände ruhten leicht, Schmetterlingsflügeln gleich, an ihrer Taille …

„Tanzen Sie mit mir.“

Ihr Kopf ruckte herum. Vor Schreck riss sie die Augen auf. Alexei Constantin stand vor ihr und streckte ihr einladend die Hand entgegen.

„Tanzen Sie mit mir“, wiederholte er.

Seine Augen waren so dunkel, sie konnte nicht einmal die Pupillen erkennen. Wie eine Schlafwandlerin hob sie den Arm und legte ihre Hand in seine. Sie fühlte, wie seine Finger die ihren umschlossen, und ein Schauer durchlief sie. Er half ihr beim Aufstehen, führte sie zur Tanzfläche und nahm sie wortlos in die Arme.

Hitze breitete sich überall in ihr aus. Es war ihr unmöglich, ihn anzusehen. Sie spürte seine Hand auf ihrem Rücken, schloss die Augen und lehnte den Kopf an seine Schulter. Und dann tanzte sie mit Alexei Constantin.

Er musste verrückt sein. Sein Verstand wiederholte es unablässig. Musste verrückt sein, sich überhaupt wieder in ihre Nähe begeben zu haben.

Eve Hawkwood in Aktion beobachtet zu haben, à deux mit Pierre Roflet.

Pierre Roflet, Sohn des Präsidenten einer der größten französischen Handelsbanken. Eine Bank übrigens, die Hawkwood Enterprises mit der notwendigen Finanzspritze versorgen konnte, um die Übernahme durch AC International abzuwenden.

Also ein sehr lukratives Wirkungsfeld für Eve Hawkwoods Talente.

Hatte er sie deshalb zum Tanzen aufgefordert? Um Roflet junior die Möglichkeit zu geben, ihren Klauen zu entkommen?

Noch während Alexei sich diese Frage stellte, kannte er schon die Antwort. Nein, er hatte diese Frau erneut in den Armen halten wollen. Wollte sich noch einmal der Fantasie ergeben. Es war nur eine Illusion, doch das war ihm gleich. Für einen letzten kurzen Moment würde er an diese Illusion glauben.

Die Musik drang in sein Blut ein. Sanft, sinnlich.

Genau wie diese Frau.

Sein Körper reagierte unwillkürlich, und Alexei zog sich ein wenig von ihr zurück, den letzten Rest Vernunft zusammenklaubend.

Er wollte es nicht tun, doch ihr Haar schimmerte so verlockend, dass er nicht anders konnte. Er fuhr mit den Lippen über die seidige Fülle und drehte sich mit Eve zum lasziven Takt der Musik. Ein letztes Mal würde er dieses Gefühl mit ihr genießen, bevor er sie für immer aufgab.

Die letzten Töne verklangen. Er hörte auf, sich zu drehen, und ließ die Arme sinken.

Als Eve den Kopf hob und ihn ansah, meldeten sich Zweifel. Doch dann setzte sein Verstand wieder ein.

Er trat von ihr zurück und ging ohne ein Wort davon. Richtung Bar.

Unter seinem emotionslosen Äußeren tobten die Gefühle. Ja, er war verrückt gewesen, doch jetzt hatte sein Verstand wieder die Oberhand gewonnen. Eve Hawkwood konnte ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihr eigentliches Ziel richten.

Ob sie bereits mit Roflet schlief? Oder wartete sie erst, bis der Senior die Firma ihres Vaters gerettet hatte?

Er sollte nicht an sie denken. Sie war nicht die Frau, die er suchte. Nur eine Illusion, eine Fata Morgana, mehr nicht.

„M’sieu?“, sprach der Barkeeper ihn dienstfertig an.

„Wodka“, bestellte Alexei knapp.

In Sekunden stand der Drink vor Alexei. Er kippte ihn in einem Zug hinunter, der Barmann füllte wortlos nach. Dieses Mal trank Alexei nicht sofort, sondern legte die Finger um das eisgekühlte Glas. Der Alkohol brannte in seiner Kehle.

„Russe?“

Die rauchige Stimme an seiner Seite war eindeutig weiblich. Alexei wandte den Kopf.

Die Frau auf dem Barhocker neben ihm konnte nicht viel älter als zwanzig sein. Tief ausgeschnittenes, kurzes Kleid, viel Make-up.

Sie sah gut aus. Sie sah teuer aus. Sie sah verfügbar aus.

Abschätzend kniff Alexei die Augen zusammen. Erst dann antwortete er ihr. Sah das Erstaunen – und den leichten Argwohn – in ihren Augen aufblitzen, bevor sie ihn anlächelte und eine Hand mit langen, rot lackierten Fingernägeln auf seinen Arm legte.

Es dauerte keine fünf Minuten, bevor er sie überredet hatte, mit ihm auf sein Zimmer zu gehen.

Von ihrem Tisch aus beobachtete Eve, wie Alexei den Nachtclub verließ. Die Frau an seinem Arm wiegte sich provozierend bei jedem Schritt in den Hüften. Das lange dunkle Haar schwang bei jeder Bewegung mit. Die Finger mit den blutroten Nägeln hatte sie besitzergreifend in seinen Arm gekrallt.

Fast hätte Eve den Stiel ihre Champagnerflöte zerbrochen. Wie viele zerstörte Träume musste sie noch ertragen? Offensichtlich einen weiteren.

Pierre folgte ihrem Blick, studierte ihre weit aufgerissenen Augen und ihre entsetzte Miene. „Keine gute Idee, chérie“, murmelte er.

„Du hast recht.“ Sie zwang sich, die Augen auf Pierre zu richten, und lächelte zerknirscht.

„Und vor allem ein Gesundheitsrisiko.“ Mit dem Kopf deutete er in die Richtung, in die Alexei verschwunden war. „Die Frau ist ein Callgirl.“ Als Eve ihn zweifelnd anschaute, zuckte er mit einer Schulter. „Ich weiß, eigentlich dürften sie gar nicht hier sein, aber sie bestechen das Personal, um sich Zutritt zu verschaffen. Glaub es mir, chérie. Sie hat mir ihre Dienste angeboten, als ich vorhin an der Bar unsere Drinks bestellte und du auf der Tanzfläche warst.“ Er schnitt eine Grimasse. „Und sie gehört definitiv in die Luxuskategorie. Aber wegen Geld braucht Alexei Constantin sich ja keine Gedanken zu machen.“

Eve hörte kaum, was er sagte. Das Zerbersten ihrer letzten Illusion übertönte seine Worte. Die Realität, wer und was Alexei Constantin war, erdrückte sie schier.

Er war ein Mann, von dem zu träumen sich nicht lohnte.

3. KAPITEL

Am Horizont schimmerte nur noch ein schwacher Streifen Rot. Eve stand an der Reling der Jacht und schaute hinaus auf das Meer.

Weder wollte sie die hell strahlende Küstenlinie sehen noch daran denken, was ihr bevorstand.

Heute Abend kam Alexei Constantin zum Essen auf die Jacht ihres Vaters. Sie würde ihre Pflichten als Tochter und Gastgeberin zu erfüllen haben, charmant und höflich sein und geistreiche Konversation machen müssen und darauf achten, dass die Bewirtung dem Standard ihres Vaters entsprach.

Auf sie wartete ein Albtraum.

Die letzte Nacht hatte Eve sich ruhelos in ihrem Bett gewälzt, enttäuscht, verbittert und wütend auf sich selbst. Wie sollte sie dem Mann gegenübertreten, vor dem sie sich zur Närrin gemacht hatte? Dem Mann, der sich als der Finanzhai entpuppt hatte, der ihren Vater ruinieren wollte. Ein Mann, der nichts dabei fand, sie im einen Moment zu küssen und mit ihr zu tanzen, um sich im anderen mit einer Prostituierten einzulassen.

Doch irgendwie würde sie es fertigbringen müssen. Täuschte sie Unwohlsein vor, würde sie sich die schlimmen Vorwürfe ihres Vaters anhören und mit Konsequenzen rechnen müssen. Die finanziellen Auswirkungen wären unabsehbar.

Das durfte sie nicht riskieren. Also stählte sie sich für die kommende Prüfung. Ihre Mutter war eine gute Lehrmeisterin gewesen, denn nur so hatte Amabel selbst durchs Leben kommen können. Die Lektionen ihrer Mutter würden ihr helfen, den Abend zu überstehen.

Und was ihre albernen Fantasien anging – die waren längst gestorben.

Wie hieß es? „Wenn du mit dem Teufel dinierst, nimm einen langen Löffel mit.“

Nun, heute Abend dinierte Alexei mit dem Teufel, und zwar mit seinen eigenen persönlichen Dämonen. Doch sobald morgen früh die Nachricht bekannt wurde, dass AC International durch die Akquisition der australischen Firma die Mehrheit der Hawkwood-Aktien besaß, wären diese Dämonen ausgetrieben.

Die Jahre der kühl kalkulierten, zielgerichteten Planung und sorgfältigen Durchführung waren dann vorüber. Der Gerechtigkeit wurde endlich Genüge getan. Giles Hawkwood bekam, was er verdiente.

Oh, es würde nicht der todbringende Streich sein, das nicht. Den brauchte Alexei gar nicht auszuführen, das würden die anderen besorgen. Andere, die noch skrupelloser waren als er.

Solange der Mann nicht wusste, dass seine Zeit vorüber war, konnte Alexei ihn in aller Ruhe beobachten. Giles gab sich tatsächlich den Anschein, als hätte er noch einen Ausweg, erging sich darin, das Gesicht zu wahren.

So drehte sich die Unterhaltung auch nicht ums Geschäft, sondern um Kunst. Eve Hawkwood hatte das Thema gewählt.

Unter halb gesenkten Lidern hervor betrachtete Alexei sie. Und wünschte, sie säße nicht am Tisch. Sie war eine Ablenkung für das Triumphgefühl, das er auszukosten gedachte. Die letzten vierundzwanzig Stunden hatte er sich strikt verboten, an sie zu denken. Vielleicht war der Schlag deshalb umso massiver gewesen, als er vorhin von ihr begrüßt worden war.

Heute trug sie Cremeweiß. Schmale Linie, eng anliegend, mit Perlenspangen an den Schultern zusammengehalten. Klassisch elegant. Kühl, gefasst.

Niemand würde vermuten, dass Eve Hawkwood eine Frau war, die sich auf Geheiß ihres Vaters zu seinem finanziellen Vorteil mit Männern einließ – zu ihrem Vorteil natürlich auch. Nicht, wenn man sie hier sitzen sah, würdevoll und unantastbar, und mit kristallklarer Stimme mühelos über die verschiedensten Themen reden hörte. Heute Abend spielte Eve Hawkwood eine andere Rolle – die der perfekten Gastgeberin.

„Sammeln Sie Kunst, Mr Constantin?“, fragte sie, nachdem sie Fauna, Flora und Bräuche Dalaczias abgehandelt hatte.

„Nein.“

Es stimmte, mehr oder weniger. Er besaß nur ein Gemälde, ein flandrisches Stillleben mit Blumen. Wenn es auch relativ klein war, so wirkten die üppigen Blüten so echt, dass man Marienkäfer und Wassertropfen erkennen konnte. Für ihn war dieses Bild ein Heiligtum.

Ileana hatte Blumen geliebt …

Der Schmerz, der ihn jäh durchzuckte, war intensiv wie jedes Mal. Er sah Ileana wieder vor sich. Wie ihr dunkles Haar, in dem die Sonne spielte, das Gras streifte, als sie sich bückte und eine Wildblume pflückte, um sie ihm zu reichen, mit diesem speziellen Lächeln, das sie nur ihm schenkte …

Nein! Eine Panzertür schlug zu, undurchdringlich für den Schmerz, der dahinter wohnte.

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf die Gegenwart, auf den Ort, wo er sich im Moment befand. Die Vergangenheit war vorbei. Und die Zukunft würde Gerechtigkeit bringen.

„Mögen Sie keine Kunst?“

Alexei griff nach seinem Weinglas. „Bei Kunst geht es entweder um das private Vergnügen oder um die Investition. Zudem“, es reizte ihn, ihre makellose Maske verrutschen zu sehen, „wurde Kunst oft genug als Pornografie in Auftrag gegeben. Louis XV., zum Beispiel, liebte es, seine Mätressen zu seinem Privatvergnügen nackt auf Leinwand festzuhalten.“

Trotz der provozierenden Bemerkung zuckte Eve nicht einmal mit der Wimper. Die Maske bewegte sich keinen Millimeter. „Die Dekadenz des Königs war sicherlich ein nicht unerheblicher Faktor für den Niedergang der Monarchie im Frankreich des achtzehnten Jahrhunderts“, erwiderte sie gelassen und bat den Diener mit einer unmerklichen Geste, ihr Mineralwasser nachzufüllen.

„Da wir gerade von nackten Frauen sprechen, Constantin“, mischte Giles Hawkwood sich grob ein. „Ich besitze eine ansehnliche Sammlung von privaten Filmen. Wenn Sie Interesse haben … fast so etwas wie ein Katalog. Da gibt es Frauen jeden Typs, in jeder Kombination. Die Mädchen arbeiten alle für dieselbe Agentur.“ Giles lehnte sich selbstzufrieden zurück und trank seinen Cognac in einem Zug leer. „Das letzte Mal war eine dabei, die konnte Dinge anstellen …“ Er lachte anzüglich. „Sie sollten mal mitkommen. Ich organisiere etwas für Sie. Das werden Sie so schnell nicht vergessen, das verspreche ich Ihnen. Sagen Sie mir nur, welche Vorlieben Sie haben. Die Mädchen sind alle Top-Qualität.“

Alexeis Miene war während der schlüpfrigen Einladung immer ausdrucksloser geworden. Eiskalte Wut stieg in ihm auf, seine Finger wollten sich wie von allein zur Faust ballen, doch er bezwang sich.

Er würde sich seine Hände nicht an Giles Hawkwood schmutzig machen. Der Mann war so oder so erledigt. Er wusste es nur noch nicht.

Fast unmerklich warf er einen Blick zu Eve. Sie schnitt graziös ein Stück von dem Lamm auf ihrem Teller und führte die Gabel zum Mund, als sei absolut nichts geschehen, als sei nichts Außergewöhnliches gesagt worden.

Und doch …

Da lag ein harter Zug um ihren Mund, eine kaum sichtbare Linie. Für einen Sekundenbruchteil schloss sie die Augen, so als wolle sie etwas aus ihrem Bewusstsein ausschließen.

„Ich habe mal einen interessanten Artikel darüber gelesen, wie sich an den Aktgemälden einer Epoche die Nahrungsgewohnheiten der Menschen zu jener Zeit ausmachen lassen“, sagte sie im Konversationston. „Das ist sicherlich nicht ganz von der Hand zu weisen. Man braucht sich nur die üppigen Rubens-Schönheiten anzusehen. Mittlerweile würde eine solche Fülle als ungesund gelten, nicht wahr?“

Es lag genau die richtige Prise Humor in ihrer Stimme, genau die richtige Menge heitere Ungläubigkeit. Erwartete sie wirklich, eine Antwort zu bekommen?

Dennoch … Alexei wusste mit unverbrüchlicher Sicherheit, dass Eve Hawkwood unter enormem Druck stand. Sie versuchte es zu verbergen, doch er erkannte es an ihrer gezwungenen Haltung, ihren steifen Schultern, daran, wie verkrampft sie ihr Besteck hielt.

Wieso?

Es konnte nur einen Grund geben. Eve Hawkwood war ebenso angewidert von ihrem Vater wie er.

Sollte das wirklich so sein? Hatte er sich etwa geirrt? War sie gar nicht die Kreatur ihres Vaters, die, wie die Gerüchte besagten, ihre Liebhaber ausschließlich auf Geheiß und zum Vorteil ihres Vaters wählte?

Und falls dem so sein sollte, dann konnte auch dieser flüchtige Moment im Park des Hotels, jener Moment, als er sie geküsst hatte, vielleicht mehr als eine Illusion sein …

Ein unbekanntes Gefühl ergriff mit Macht Besitz von ihm. Er wusste nicht, was es war, denn er hatte es noch nie gefühlt. Und genau deshalb musste er es unter Kontrolle halten.

„Heutzutage ist es wohl eher so, dass Gesundheit und Schönheit auseinanderklaffen. Magersucht gab es damals nur selten, was auch noch immer für viele Länder außerhalb der westlichen Welt gilt. Dafür gibt es bei uns leider genügend Fälle.“

Eve schenkte ihm ein schwaches Lächeln, dankbar, dass er die Konversation zurück auf eine akzeptable Ebene führt. „Das stimmt auch wiederum. Heute sind wir geradezu besessen davon, schlank zu sein, sehr zum Schaden unserer Gesundheit.“

Alexei nahm einen Schluck Wein. „Sie jedoch haben den goldenen Mittelweg gefunden. Eine seltene Errungenschaft in der heutigen Zeit.“ Er prostete ihr leicht zu und ließ seinen Blick auf ihren perfekten Kurven und ihrer außergewöhnlichen Schönheit ruhen. Und plötzlich, ohne sein Wollen, gab die eiserne Selbstbeherrschung, die er sich den ganzen Abend über auferlegt hatte, nach.

Nur für den Bruchteil einer Sekunde, doch das war schon zu viel. Der Schaden war nicht wiedergutzumachen. Es war zu sehen gewesen, das wusste er – der gleiche Ausdruck in seinen Augen, als er gestern im Mondlicht auf sie zugetreten war und seine Hände um ihr Gesicht gelegt hatte …

Er wusste auch, warum seine Wachsamkeit für diesen einen Augenblick nachgelassen hatte: Weil es Eve gelungen war, Zweifel in ihm zu säen. Weil sie ihn dazu gebracht hatte, sich die Frage zu stellen, ob sein Urteil über sie korrekt war.

Wer war sie? Die korrupte Kreatur ihres Vaters oder die reine Schönheit, die er am Casinoeingang erblickt hatte?

Diese Frage brannte plötzlich lichterloh in ihm. Er musste es in Erfahrung bringen. Unbedingt.

Alexei lehnte sich in den Stuhl zurück und drehte den Stiel des Weinglases zwischen den Fingern. Eve hatte sich auf einen Wink ihres Vaters hin zurückgezogen, ebenso wie die Hausangestellten. Jetzt also war er allein mit seiner Beute.

Giles Hawkwood hatte sich das Jackett aufgeknöpft, sich eine neue Zigarre angesteckt und die Karaffe mit dem Cognac zu sich herangezogen. Alexei hatte beides dankend abgelehnt. Jetzt kam Hawkwood zum Geschäftlichen. Ein letztes Mal setzte er an, seine Haut zu retten und das Gesicht zu wahren – er schlug eine Fusion statt einer Übernahme vor.

Alexei hätte laut lachen mögen. Er tat es nicht. Denn er wusste, wenn er sich rührte, dann um über den Tisch zu hechten und Hawkwood an die Kehle zu gehen. Also saß er regungslos da und ließ Hawkwood über ein kompliziertes System von Aktienpaketen, Holding-Firmen und Börsennominierungen dozieren, das jeden Finanzexperten zur Verzweiflung getrieben hätte. Er hörte gar nicht zu. Letztendlich lief es nur auf das eine heraus: Hawkwood wollte seine Firma als sein eigenes Imperium unter eigener Kontrolle halten. Dazu war es bereits zu spät.

Außerdem beschäftigte ihn eine ganz andere Sache. Die wichtigste Frage der Welt: War Eve Hawkwood ihres Vaters Tochter oder nicht? Wie konnte er sichergehen …?

Seine Gedanken kreisten unablässig um diese Frage, während Giles weiterhin sein finanzielles Labyrinth entwarf, um das Schicksal abzuwenden, das Alexei ihm vorbestimmt hatte. Dieser Mann würde alles tun, um diesem Schicksal zu entgehen.

Alles?

Alexei stutzte. Wie weit würde dieser Mann tatsächlich gehen? Und plötzlich wusste er, wie er die Wahrheit über Eve Hawkwood herausfinden konnte.

Er wartete den richtigen Moment ab und nahm noch einen Schluck Wein, bevor er sprach. „Für eine Fusion wird mehr nötig sein, als nur die Aktienpakete aufzuteilen.“

Er ließ den Satz bedeutungsvoll in der Luft hängen und erlaubte sich ein winziges arglistiges Lächeln. Es war offensichtlich, dass Hawkwood meinte, sein Köder sei geschluckt worden.

Giles kniff lauernd die Augen zusammen. „Fahren Sie fort“, schlug er vor, angestrengt bemüht, seine Aufregung zu verheimlichen. Was ihm bei den Massen an Alkohol, die er während des Dinners konsumiert hatte, jedoch nicht gelang.

„Bei Ihrer Auflistung vorhin haben Sie eines Ihrer Güter ausgelassen“, sagte Alexei tonlos.

Giles schwenkte den guten Cognac im Glas. „So? Klären Sie mich auf.“

Alexei legte die Hände flach auf den Tisch. „Ihre Tochter …“, er machte eine kunstvolle Pause, „ist sehr schön.“

Triumph blitzte in Giles’ Augen auf. Triumph und Erleichterung. „Eve, ja, natürlich. Sie ist tatsächlich sehr schön.“ Die Betonung war nicht misszuverstehen, genauso wenig wie die Worte, die folgten. „Eine … Beziehung zwischen Ihnen und ihr wäre nicht abwegig, wenn wir … Partner werden.“

Alexei schüttelte unmerklich den Kopf. „Ich bin nicht der Typ, der heiratet.“

Ein hässliches Lachen war die Antwort. „Sicher nicht. Sie bevorzugen eher guten, harten …“

Der obszöne Ausdruck kam ihm so leicht über die Lippen wie jeder andere. Weder sagte Alexei etwas, noch zeigte er eine Reaktion. Er wartete ab.

Giles trank von seinem Cognac. „Eve gefällt Ihnen also. Wenn Sie nicht meine Tochter wäre, würde ich sie Ihnen gerne …“ Er brach ab, zog an der Zigarre. Seine Stimmung hatte sich merklich aufgeheitert, er lachte erneut bellend auf.

Alexei hielt sich eisern unter Kontrolle. „Ja, sie ist wirklich sehr schön, aber …“ Er senkte für einen Augenblick die Lider, um dann wieder aufzuschauen. „Sie wissen ja, was man sagt. Es gibt Frauen, die sehen fantastisch aus, sind aber kalt. Eve sieht zweifelsohne gut aus, aber … ist sie auch gut?“

Giles Hawkwood legte seine Zigarre ab und beugte sich vor. Da war nicht das geringste Anzeichen von Empörung oder Zögern.

„Warum finden Sie es nicht selbst heraus?“

Sie lag im Bett, das Haar auf dem Kissen ausgebreitet. Das Laken bedeckte nur halb ihre langen Beine, ein Träger des Negligés, ein Hauch aus Spitze und Seide, war ihr von der bloßen Schulter gerutscht.

Eve schlief. Oder tat zumindest so.

Alexei stand regungslos an der Tür und schaute auf sie herab. Nur die Positionslichter der Jacht warfen einen schwachen Schein durch die Bullaugen in die luxuriöse Kabine, zu der Giles Hawkwood ihn geführt hatte.

Es war kühl hier drinnen, kühl und still, kaum dass Eves Atem zu hören war. Alexei konnte nur unscharf das regelmäßige Heben und Senken ihrer Brust ausmachen.

War es überhaupt möglich, dass eine Frau so unschuldig und rein aussah und es nicht war?

Nein, Eve Hawkwood bot sich dem dar, den ihr Vater für sie bestimmte. Ihre unschuldige Schönheit war nur Fassade. Der korrupte Vater hatte auch sie korrumpiert.

Ein Schauer lief an seinem Rücken hinunter. Er hatte die Wahrheit über Eve Hawkwood erfahren wollen. Jetzt kannte er sie.

Er trat an das Bett. Ein letztes Mal wollte er von dieser Reinheit kosten, bevor er Hawkwoods Tochter für immer verachten würde.

Vorsichtig streckte er die Hand aus und schloss seine Finger um ihre Brust. Sofort verspürte er das verlangende Ziehen in seinen Lenden. Als Eve ein leises Stöhnen ausstieß, begann das Blut in seinen Ohren zu rauschen. Es war ein Laut, der seine Selbstbeherrschung fast zerstörte.

Noch so ein süßes Stöhnen, und er würde ihr diesen Hauch von Spitze vom Körper streifen, um ihre Haut ohne die störende Barriere zu fühlen, um die hart gewordenen Knospen ihrer perfekten Brüste zu reizen, bis sie von ihrem vorgetäuschten Schlaf aufwachte. Denn der Schlaf musste vorgetäuscht sein. Wie sonst sollte sie auf seine Berührung reagieren können, wenn sie nicht bei vollem Bewusstsein war?

Er ließ seine Hand unter ihr Negligé gleiten, strich an ihrem Schenkel empor, hin zu der Hitze ihres Schoßes. Sie ließ einen kleinen Seufzer hören und regte sich, legte sich in verführerischer Pose auf den Rücken. Signalisierte ihm ihre Bereitschaft, ihren Körper für die Zwecke ihres Vaters einzusetzen …

Alexei zog die Hand zurück. Eiseskälte erfasste ihn. Herrgott, fast wäre es ihr gelungen!

Die Luft in der Kabine erschien ihm plötzlich stickig. Er musste hier raus. Er hätte niemals herkommen, sich niemals auf den Vorschlag des Mannes einlassen dürfen, den er vernichten wollte!

Alexei verließ die Kabine und ging mit ausholenden Schritten zurück in den Salon.

Giles Hawkwood saß am Tisch, goss sich noch einen Cognac ein, griff nach der nächsten Zigarre. Er wirkte äußerst selbstzufrieden. Als Alexei an die Schwelle trat, hob er den Kopf. Seine Miene änderte sich, fragend schaute er zu Alexei hin.

Es wurde Zeit, das Spiel mit der Maus zu beenden. Kein Geplänkel mehr, nur noch der letzte, tödliche Streich. „Schauen Sie sich morgen früh die Nachrichten aus Sydney an. Ich habe Rencorp gekauft. Das gibt mir die Aktienmehrheit bei Hawkwood. Es ist aus, Sie sind am Ende.“

Damit ging Alexei von Bord der Jacht.

Giles Hawkwood hatte erhalten, was er verdiente. Der Gerechtigkeit war Genüge getan.

Und was seine Tochter anbelangte – sie war ebenso am Ende.

4. KAPITEL

Die Nachmittagssonne fiel in den eleganten Salon mit den erlesenen Kunstobjekten und ließ die antiken Möbel und feinen Seidenvorhänge in warmem Licht schimmern. Schon immer war Eve der Überzeugung gewesen, dass dieser Raum perfekt zu ihrer Mutter passte. Er war ein wunderschönes, geschmackvolles Refugium.

Ihre Mutter mixte sich einen Gin Tonic – mehr Gin als Tonic, wie Eve unwillig bemerkte. Sie sah auch, dass die Finger ihrer Mutter zitterten. Sie stand noch immer unter Schock. Wie auch Eve.

Das Unmögliche war geschehen. Ihr Vater hatte den Kampf um Hawkwood Enterprises verloren.

Sie hatte immer gedacht, so etwas könne nie passieren. Ihr Vater blieb immer der Sieger, niemand konnte es mit ihm aufnehmen. Sie und ihre Mutter wussten das aus eigener Erfahrung. So wie auch jeder andere, der je mit Giles Hawkwood zu tun gehabt hatte.

Doch dieses Mal war Giles Hawkwood geschlagen worden. Hawkwood Enterprises gehörte ihm nicht mehr. Eve hatte es am Morgen nach dem Dinner auf der Jacht erfahren. Sie war nach einem bizarren Traum erwacht, der so real und so erschreckend lebendig gewesen war, dass sogar die Nachricht von der Abreise ihres Vaters ihr nicht recht bewusst wurde.

Eve war sofort nach London zurückgeflogen, es kümmerte sie nicht, wo ihr Vater war. Auf der Landstraße war sie Richtung Westen gefahren, bis die Straßen immer schmaler und die Kurven immer enger geworden waren, tief hinein in das Herz der Chiltern Hills, bis sie die Ziegelsteinvilla im Queen-Anne-Stil erreichte, die versteckt in den waldbestandenen Hügeln lag. Der sichere Hafen ihrer Mutter – Beaumont.

Ihrer Mutter die Geschehnisse zu erklären war nicht einfach gewesen, aber es sollte noch schlimmer kommen. Die nächsten Wochen hatten das Ausmaß des Debakels um Hawkwood Enterprises erst deutlich werden lassen. Nach der Übernahme durch AC International waren zwei Dinge passiert: Von der Steuerbehörde wurde eine Untersuchung der Hawkwood-Finanzen angeordnet, und Giles Hawkwood verschwand über Nacht vom Erdboden.

Die Medien stürzten sich gierig auf den Skandal. Was Eve wenig berührte. Allerdings gab es Auswirkungen, die wesentlich schwerer wogen – der Geldhahn wurde zugedreht.

Eve hatte ihre Bank angerufen, die Bank ihrer Vaters und den Firmenbuchhalter. Überall die gleiche Auskunft: Es standen keine Mittel mehr zur Verfügung, kein einziger Penny. Ihre Wohnung in Chelsea und die ihre Mutter in Kensington waren von der Bank konfisziert worden – die Wohnungen waren Firmeneigentum, und ihrem Vater gehörte die Firma nicht mehr. Eve und ihre Mutter hatten sich nach Beaumont zurückgezogen, dem einzigen Besitz, der ihnen verblieb. Abgesehen von dem Geld, das Eve heimlich zur Seite gelegt hatte.

Sie hatte es von der Apanage abgezweigt, die ihr Vater ihr und ihrer Mutter zur Verfügung gestellt hatte, es vernünftig investiert und so über die Jahre ein Polster angelegt, das jetzt gerade reichen würde, um Beaumont zu halten. Wenn sie sparsam lebten und jeden Penny zweimal drehten, bevor sie ihn ausgaben.

Eve zog eine Grimasse. Der übertrieben luxuriöse Lebensstil, den ihr Vater ihnen beiden aufgezwungen hatte, verschlang jährlich ein kleines Vermögen. Das Geld hätte so viel besser angelegt werden können … Nun, mit diesem Leben war es nun vorbei.

Und ihr Vater war verschwunden. Das einzig Gute an dieser Katastrophe. Durften sie hoffen, dass er für immer fortblieb? Denn wenn die Finanzbehörden eine Prüfung der Firmenbücher angeordnet hatten, konnte das nur bedeuten, dass die Machenschaften ihres Vaters gesetzwidrig gewesen waren. Er würde es nicht wagen, einen Fuß auf britisches Hoheitsgebiet zu setzen.

Sind wir wirklich frei? Frei von seiner Dominanz?

Eine verzweifelte Hoffnung keimte in Eve auf. Sie sah zu ihrer Mutter. Sorgenfalten hatten sich in Amabels Gesicht eingegraben, aber zumindest lag keine dicke Schicht Make-up mehr auf ihrem Gesicht, so wie früher, als sie ganz gleich zu welcher Tageszeit perfekt geschminkt war. Das Make-up hatte nicht nur die schwindende Jugend verbergen sollen.

Sondern auch die Blutergüsse.

Nur einmal, als Eve sechzehn gewesen war, hatte sie ihren Vater herausgefordert und ihm mit der Polizei gedroht.

„Ich mache Fotos und beweise, was du ihr antust!“, hatte sie ihn voll heißer Wut angeschrien, doch ihr Vater hatte nur verächtlich gelacht.

„Dummes Gör. Sie wird nie gegen mich aussagen. Genauso wenig wie sie sich von mir scheiden lassen wird.“

Eve war nichts anderes übrig geblieben, als nachzugeben. Amabels Angst vor ihrem Ehemann war so übermächtig, dass Eve nichts anderes tun konnte, als ihrer Mutter so viel Schutz zu bieten, wie es ihr möglich war. Und zu versuchen, Amabel davon abzuhalten, Trost und Zuflucht in den Gin Tonics zu suchen.

Jetzt endlich schien es, als sei Amabel frei von Giles Hawkwood. Doch die Angst der vielen Jahre war nicht so einfach zu bezwingen.

„Jetzt kannst du die Scheidung einreichen. Du brauchst nur anzugeben, dass er dich verlassen hat.“

Amabels Hand, mit der sie gerade ihren Drink zum Mund führen wollte, begann zu zittern. „Nein! Er kommt zurück. Ich weiß es. Er kommt immer zurück. Er lässt mich Ewigkeiten in Ruhe, und dann kommt er wieder zurück. Spät in der Nacht … und ich kann ihn nicht aufhalten. Niemand kann ihn aufhalten!“

Eve hörte die Furcht in der Stimme ihrer Mutter und nahm deren Hand. „Sollte er auf britischen Boden zurückkommen, wird er sofort festgenommen. Die Finanzbehörden setzen nicht grundlos eine Untersuchung wegen Betrugs an. Und so wie ich gehört habe, hat der neue Besitzer seine volle Kooperation zugesichert. Er will keinen Dreck am Stecken haben.“

Eve presste die Lippen zusammen. Alexei Constantin hatte sofort nach Firmenübernahme die Behörden informiert. Hatte er etwa gewusst, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging?

Nein, sie durfte nicht an Alexei Constantin denken. Nicht an ihn und nicht an jenen Aufenthalt an der Riviera. Das gehörte der Vergangenheit an, dieses Leben war vorbei. Sie sollte froh sein, dass es vorbei war.

Und doch wollte die Erinnerung an jenen Abend mit Alexei Constantin sie einholen. Als er im Mondlicht auf sie zugekommen war …

Nein! Er war nicht der Mann, für den sie ihn gehalten hatte. Der wahre Alexei Constantin hatte sich gezeigt, als er zusammen mit einer Prostituierten den Nachtclub des Hotels verlassen hatte. Das musste sie sich immer vor Augen halten. Und außerdem gehörte er zu einer Welt, mit der sie, nachdem sie jahrelang versucht hatte, ihr zu entkommen, nun nichts mehr zu tun hatte.

Eve schloss die Augen. Immer hatte sie davon geträumt, ein Leben ohne den Schatten ihres Vaters zu führen. Jetzt endlich konnte sie es. Und ihre Mutter auch.

„Eve, ich habe solche Angst, so schreckliche Angst.“

Amabels Stimme drang in ihre Gedanken. Sofort schlang Eve die Arme um ihre Mutter. „Alles wird gut. Er kann uns nicht mehr wehtun.“

Doch Amabel wich mit angstvoll aufgerissenen Augen zurück. „Nichts wird gut. Alles wird nur noch schlimmer. Oh Eve, du weißt ja nicht …“

Eine eiskalte Hand griff nach Eves Herzen. Diese Angst hatte mehr zu bedeuten als nur der Horror vor der unwahrscheinlichen Rückkehr eines brutalen Ehemannes. „Was ist denn?“

„Es geht um Beaumont!“

Eves Magen verkrampfte sich. „Was ist mit Beaumont?“ Ihr Vater konnte Beaumont unmöglich in die Finger bekommen. Amabel hatte das Anwesen von ihrer Familie geerbt, es hatte immer allein ihr gehört.

Doch ihre Mutter zitterte jetzt wie Espenlaub. Amabel griff nach ihrem Glas und nahm einen tiefen Schluck. Einen Moment lang sah es so aus, als würde sie die Worte, die gesagt werden mussten, nicht über die Lippen bringen, dann jedoch presste sie heraus: „Ich habe Beaumont deinem Vater überschrieben. Er sagte, er brauche es für die Firma. Um die Übernahme zu vereiteln.“

Seltsam. Gerade, wenn man meinte, die Käfigtür habe sich geöffnet, verschlang einen aus dem Nichts ein Erdbeben. „Wie konntest du das nur tun!? Mutter, wie konntest du nur?!“

Autor

Catherine George

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