Julia Exklusiv Band 263

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

SAG NICHTS, KÜSS MICH! von MARTON, SANDRA
Nicolo Orsini liebt schöne Frauen. Doch auf große Gefühle legt der charmante Sizilianer keinen Wert. Bis er bei der Suche nach einem Weingut in der Toskana auf Alessia trifft. Kratzbürstig stellt sich die Principessa ihm entgegen. Und Nicolo ist fasziniert …

WANN WERDE ICH DICH WIEDERSEHEN? von WESTON, SOPHIE
Izzy ist starr vor Schreck: Unerwartet steht Dominic vor ihr, der Mann, in den sie sich gestern Nacht beim Tanzen verliebt hat. Und jetzt bleibt ihr keine Wahl: Sie muss so tun, als wären sie sich nie begegnet. Wird sie ihm das jemals erklären können?

MIT DEN WAFFEN DER LIEBE von FIELDING, LIZ
Wow! Gleich an ihrem ersten Tag in der neuen Firma läuft der attraktive Jason über den Weg. Doch zu ihrem Ärger nimmt der kühle Top-Manager sie kaum wahr. Als sie ihn zu einem Dinner begleiten soll, beschließt die lebenslustige junge Frau, etwas zu wagen …


  • Erscheinungstag 11.09.2015
  • Bandnummer 0263
  • ISBN / Artikelnummer 9783733703684
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sandra Marton, Sophie Weston, Liz Fielding

JULIA EXKLUSIV BAND 263

SANDRA MARTON

Sag nichts, küss mich!

Nicolo Orsini liebt schöne Frauen. Doch auf große Gefühle legt der charmante Sizilianer keinen Wert. Bis er bei der Suche nach einem Weingut in der Toskana auf Alessia trifft. Kratzbürstig stellt sich die Principessa ihm entgegen. Und Nicolo ist fasziniert …

SOPHIE WESTON

Wann werde ich dich wiedersehen?

Izzy ist starr vor Schreck: Unerwartet steht Dominic vor ihr, der Mann, in den sie sich gestern Nacht beim Tanzen verliebt hat. Und jetzt bleibt ihr keine Wahl: Sie muss so tun, als wären sie sich nie begegnet. Wird sie ihm das jemals erklären können?

LIZ FIELDING

Mit den Waffen der Liebe

Wow! Gleich an ihrem ersten Tag in der neuen Firma läuft Natalie der attraktive Jason über den Weg. Doch zu ihrem Ärger nimmt der kühle Top-Manager sie kaum wahr. Als sie ihn zu einem Dinner begleiten soll, beschließt die lebenslustige junge Frau, etwas zu wagen …

1. KAPITEL

Es war ein langer Tag gewesen – die Hochzeit in der kleinen Kapelle in Lower Manhattan und dann der Empfang in der Orsini-Stadtvilla. Nicolo Orsini konnte es kaum erwarten, endlich zu gehen.

Zu Hause wartete eine Frau auf ihn – im Bett. Sie war schon heute Morgen im Schlafzimmer seiner Maisonettewohnung am Central Park gewesen, als er um zehn ging.

„Musst du unbedingt dahin, Nicky?“, hatte sie geschnurrt, mit einem Schmollmund, der ebenso sexy war wie der Rest ihres perfekten Körpers.

Nick hatte noch einmal seine Krawatte gerichtet, den Sitz des maßgeschneiderten Anzugs im Spiegel geprüft und auch einen Blick auf die glänzenden Spitzen seiner Schuhe geworfen – mit Spucke poliert, so, wie er es in der Armee gelernt hatte. Dann war er zum Bett zurückgegangen, hatte einen leichten Kuss auf ihr Haar gedrückt und gesagt, ja, er müsse unbedingt dahin.

Schließlich geschah es nicht jeden Tag, dass der Bruder eines Mannes heiratete.

Ihr hatte er das natürlich nicht gesagt, hatte nur von einer Hochzeitsfeier gesprochen. Selbst das reichte aus, um Interesse in den babyblauen Augen aufflammen zu lassen. Hätte er auch noch gesagt, dass es sich um seinen Bruder handelte …

Den Namen der Orsini-Brüder mit Hochzeiten in Zusammenhang zu bringen, schien ihm keine sonderlich gute Idee zu sein.

„Ich ruf dich an!“

Sofort hatte sie wieder ihren Schmollmund gezogen, und Nick war gegangen, allerdings nicht ohne sie zu instruieren, zu bleiben, wo sie war, bis er zurückkehrte.

Jetzt setzte er die Kristallflöte an die Lippen und trank einen Schluck Champagner. Mist, er hoffte, sie hatte es sich anders überlegt. Nicht, dass er etwas gegen schöne Frauen in seinem Bett einzuwenden hätte, aber sein Interesse an dieser speziellen schwand rasant. Und nach einem Tag wie diesem hatte er nicht die geringste Lust, auch noch das Theater mitzumachen, das das Ende einer Affäre meist mit sich brachte. So sehr er seine Geschwister, seine Mutter, seine Schwägerinnen und seinen kleinen Neffen auch liebte … es gab so etwas wie zu viel Nähe.

Vielleicht lag es ja auch nur an ihm. Wie auch immer … Zeit, zu gehen.

Er sah durch die großen Glastüren in den Garten hinter der Orsini-Villa hinaus. Die Stauden und Büsche, die seine Schwester Isabella vor Jahren gepflanzt hatte, waren noch immer grün, auch wenn bereits der Herbst in der Luft lag. Die Mauer, die den Garten umschloss, war hoch genug, um den Lärm der dahinter liegenden Straßen abzublocken. Straßen, die sich so schnell veränderten, dass er sie kaum noch wiedererkannte. Little Italy, einst Heimat für Generationen von Einwanderern, wurde mehr und mehr verdrängt von Greenwich Village.

Schicke Läden, teure Restaurants, Kunstgalerien. Der Fortschritt, dachte Nick grimmig und trank noch einen Schluck. Er hasste es, das mit ansehen zu müssen. Er war in diesem Viertel aufgewachsen. Nicht, dass er nur schöne Kindheitserinnerungen hätte, das nicht. Wenn der Vater der Kopf einer mächtigen kriminellen Vereinigung war, lernte man schnell, dass man anders war als die anderen. Bereits seit frühester Kindheit wusste Nick, für welche Organisation Cesare Orsini arbeitete, und er hasste ihn dafür.

Die Bindung zu seiner Mutter und seinen Schwestern dagegen war immer stark gewesen. Was nun die Bindung zu seinen Brüdern betraf …

Nicolos Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.

Die ging weit über Blutsbande hinaus.

Als Kinder hatten sie sich gestritten und einander gnadenlos aufgezogen, hatten zusammengehalten gegen die anderen Kinder, die sich einbildeten, den Söhnen eines don der famiglia das Leben schwer machen zu können. Kaum aus der Teenagerzeit heraus, waren sie getrennte Wege gegangen, nur um sich wieder zusammenzufinden und eine Investmentfirma zu gründen, die sie ebenso reich und mächtig wie ihren Vater gemacht hatte, allerdings ohne die kriminellen Energien in Cesares Leben.

Sie waren Teile eines Ganzen – Raffaele, Dante, Falco und er. Sie ähnelten einander im Aussehen, besaßen ähnliche Charakterzüge, ein ähnliches Temperament.

Würde sich das ändern? Es würde sich ändern müssen, jetzt, nachdem drei der vier Brüder Ehefrauen an ihren Seiten hatten.

Nick ging zur Bar, um sein Glas nachfüllen zu lassen.

Unglaublich, dachte er, als er Rafe mit Chiara tanzen sah. Seine Brüder waren verheiratet. Erst Rafe, dann Dante und jetzt sogar Falco. Ausgerechnet Falco, der „Ich-bin-eine-Insel“-Falco.

Absolut unglaublich. Seine Brüder hatten sich verliebt.

„Das passiert dir auch eines Tages“, hatte Rafe gestern Abend noch gesagt, als sie sich in The Bar, der Kneipe in Soho, die ihnen gehörte, getroffen und mit einem Bier auf Falcos Junggesellenabschied angestoßen hatten.

„Ganz bestimmt nicht“, hatte er überzeugt von sich gewiesen, und alle waren in lautes Gelächter ausgebrochen.

„Doch, Mann“, hatte Dante dagegengehalten, „irgendwann erwischt es dich auch.“

„Wenn du es am wenigsten erwartest“, ergänzte Falco. „Dir wird eine Frau über den Weg laufen, und schon hält sie dein armes kleines Herz in ihrer Hand.“

Wieder hatten sie alle gelacht, und Nick hatte beschlossen, es dabei zu belassen. Warum herausposaunen, dass er schon einmal die Erfahrung gemacht hatte – und nicht die geringste Chance bestand, dass er sich ein zweites Mal auf so etwas einlassen würde.

Sicher, konnte durchaus sein, dass seine Brüder der Statistik, die da besagte, dass drei von vier Ehen wieder geschieden wurden, ein Schnippchen schlugen. Ihre Ehefrauen schienen alle süß und liebevoll zu sein. Aber das war ja die Sache mit den Frauen, nicht wahr?

Sie gaben sich immer süß und liebevoll. Aber sie spielten nur. Sie waren wie Vertreter, die Eskimos Kühlschränke verkauften.

Warum also überhaupt heiraten?

Nick kannte die Antwort. Ein Mann wollte etwas Dauerhaftes hinterlassen. Er wollte seinen Namen an seine Kinder weitergeben. Also würde er wohl auch eines Tages heiraten. Doch er würde sich nicht von einer Frau in die Irre führen lassen und glauben, es sei Liebe.

Draußen vor den Glastüren verdunkelte sich langsam der Himmel. Die Wettervorhersage hatte Regen angekündigt, ausnahmsweise schien sie tatsächlich einmal recht zu behalten. Nick schob die Türen auf und trat hinaus auf die Terrasse.

Wenn er bereit war, sich eine Frau zu suchen, würde er die ganze Sache logisch angehen. Er brauchte eine Frau, die sich nahtlos in sein Leben einfügte, die keine Ansprüche stellte – die nichts erwartete, außer dass er ihr ein gutes Leben bot und sie mit Respekt behandelte. Respekt war auch das Einzige, was er von ihr zurückverlangen würde.

Logik war unerlässlich, ob nun bei einem Businessdeal oder einer Heirat. Er ließ sich nicht von Emotionen leiten, wenn er eine Bank oder Aktien aufkaufte. Warum sollte er das also bei der Wahl einer Ehefrau tun?

Sich auf Emotionen zu verlassen war ein Fehler.

Ein Mal – und nie wieder – hatte er kurz davor gestanden, diesen Fehler zu begehen. Zumindest war er nicht dumm genug gewesen, jemandem davon zu erzählen, nicht einmal seinen Brüdern. Weil es ihm damals als etwas Besonderes erschienen war. Es gab eben Dinge, die ein Mann für sich behielt.

Wie, zum Beispiel, dass man benutzt worden war.

Vier Jahre war das jetzt her. Auf einer Geschäftsreise nach Seattle hatte er eine Frau kennengelernt. Sie war intelligent und schön, sie besaß Humor. Sie stammte aus einer Familie, die dem Adel so nahe kam, wie man dem Adel in Amerika kommen konnte, aber sie hatte es aus eigener Kraft zur Finanzdirektorin einer kleinen Privatbank geschafft, für deren Kauf er in den Nordwesten gekommen war.

Nein, er hatte davorgestanden, die Bank aufzukaufen.

Genau das war der Knackpunkt gewesen.

Am Abend des ersten Tages hatte sie in seinem Bett gelegen. Und er hatte sie dort behalten wollen. Schon bald hatte sich ein Muster entwickelt: Ein Wochenende flog er nach Seattle, das nächste kam sie nach New York. Sie behauptete, ihn schrecklich zu vermissen, wenn sie nicht zusammen waren, er gestand, ihm ginge es ebenso.

Er war auf dem besten Wege, sich zu verlieben.

Nach einem Monat beschloss er, ihr von seinem Vater zu erzählen. Das hatte er vorher noch nie für nötig gehalten. Entweder wusste eine Frau, dass sein alter Herr ein Gangsterboss war, oder sie wusste es nicht. Wen interessierte das schon? Aber das hier war anders. Das hier war – selbst damals hatte er den Ausdruck zu umschiffen versucht – eine Beziehung.

Also sagte er es ihr, als sie zusammen im Bett lagen.

„Mein Vater ist Cesare Orsini.“ Als sie nicht reagierte, erzählte er ihr den Rest. Dass Cesare das Oberhaupt einer New Yorker mafiosen Verbindung war. Dass er ein Verbrecher war.

„Oh“, gurrte sie und lächelte verführerisch, „das wusste ich schon, Nicky. Um ehrlich zu sein … ich finde es unglaublich erregend.“

Diese Eröffnung hätte die Alarmsirenen in ihm losschrillen lassen müssen. Nur dachte er zu jenem Zeitpunkt mit einem Teil seiner Anatomie, die keine Alarmsirenen besaß.

Ein langes Wochenende stand bevor. Er fragte sie, ob sie es nicht zusammen verbringen könnten. Sie bedauerte, ablehnen zu müssen, denn ihre Großmutter sei krank, und sie wolle am Samstagmorgen nach Oregon fliegen und das Wochenende bei Grandma verbringen, um sich um sie zu kümmern. Aber sie würde Großmutter alles über den wunderbaren Mann berichten, den sie getroffen hatte.

Natürlich hatte Nick vollstes Verständnis. Es war ja auch so nett und fürsorglich von ihr.

Und dann, am Freitagabend, überlegte er, warum er nicht mit ihr fliegen sollte. Er konnte Grandma kennenlernen, der alten Dame sagen, wie wichtig ihm ihre Enkelin geworden war.

Ja, er würde sie überraschen. So flog er mit dem Orsini-Jet nach Seattle, mietete sich einen Wagen, fuhr zum Stadthaus seiner Lady und nutzte den Schlüssel, den sie ihm überlassen hatte, um sich leise einzulassen.

Was danach folgte, war wie ein Schlag in den Magen.

Seine Lady lag mit ihrem Boss, dem Direktor der Bank, im Bett und schüttete sich aus vor Lachen über Nicolo Orsini, der mit Sicherheit ein Angebot für die Bank abgeben würde, das den tatsächlichen Wert weit überstieg.

„Ein Orsini und du, Baby“, sagte der Mann. „Das ist geradezu ein Klassiker. Die Prinzessin und der Bauer …“

Die feine Champagnerflöte in Nicks Hand zerbrach.

„Merda!“

Champagner perlte über seinen Anzug, auf einer Fingerspitze bildete sich ein roter Tropfen. Nick zog sein Taschentuch hervor, tupfte sich den Champagner vom Jackett und den Blutstropfen vom Finger …

„He“, drang in diesem Moment eine amüsierte Stimme an sein Ohr, „so mies ist der Champagner auch wieder nicht.“

Es war Rafe, der, eine Flasche Heineken in jeder Hand, neben ihm auftauchte. Nick stöhnte erleichtert auf und griff nach dem angebotenen Bier. „Du bist mein Lebensretter. Wo hast du das her?“

„Frag nicht, dann muss ich dich nicht anlügen.“ Rafe runzelte die Stirn. „Was ist los?“

Nick zuckte eine Schulter. „Ich scheine meine eigene Kraft nicht zu kennen. Kein Problem, ich räum das auf.“

„Glaub mir, Nick, bevor du dich überhaupt in Bewegung setzt, wird schon jemand vom Catering-Service …“ Eine junge Frau mit Handfeger und Kehrblech tauchte auf und fegte die Scherben zusammen. „Siehst du?“

Nick lächelte der Frau dankbar zu und wartete, bis sie sich wieder zurückgezogen hatte, dann stieß er mit der Bierflasche an die seines Bruders. „Auf kleine Wunder und Brüder, die im richtigen Moment zur Stelle sind.“

„Ich dachte mir, du könntest es gebrauchen, als ich dein langes Gesicht sah.“

„Ich und ein langes Gesicht? Ich … äh … muss wohl an den Schweiz-Deal gedacht haben.“

„Lass Geschäft Geschäft sein.“ Dante gesellte sich zu ihnen, ebenfalls mit einem Bier in der Hand. „Heute feiern wir.“ Grinsend lehnte er sich zu Nick hinüber. „Gaby sagt, die Kleine vom Catering-Service starrt dich schon den ganzen Nachmittag an.“

„Natürlich tut sie das“, erwiderte er, weil er wusste, dass das von ihm erwartet wurde.

Sie redeten noch eine Weile, dann kam der Punkt, an dem sich das Brautpaar verabschiedete.

Endlich konnte er von hier verschwinden. Er absolvierte die komplette Routine – Küsse, Umarmungen, das Versprechen an seine Mutter, baldmöglichst zum Essen zu kommen. Sein Vater war nirgendwo zu sehen. Umso besser, dachte er und steuerte auf den Ausgang zu. Außer „Hallo“ und „Auf Wiedersehen“ hatte er seinem Vater nichts zu sagen. Sollte der Alte ihn heute noch erwischen, könnte es allerdings länger dauern, denn …

„Nicolo.“

Schon halb zur Tür hinaus, stöhnte Nick leise auf und drehte sich um. „Vater.“

„Wir müssen reden.“

„Ich habe eine Verabredung. Du und ich haben nichts zu bereden.“

„Aber ja doch, bestimmt. Außerdem denke ich, dass du mir ein paar Minuten deiner Zeit erübrigen kannst. Schließlich haben deine drei Brüder ihrem Vater ebenfalls diesen Gefallen erwiesen.“

In dieser Hinsicht hatte der Alte recht. Alle drei waren vor ihm durch die Mangel gedreht worden, alle, bis auf ihn. Schon auf Dantes Hochzeit hatte Cesare Falco und ihn festgenagelt. Nick hatte vor der Tür gewartet, während Falco als Erster mit dem Vater ins Arbeitszimmer gegangen war. Nach ein paar Minuten hatte Nick sich gesagt, dass er keiner von den Handlangern war, die seinem Vater bedingungslos gehorchten, und hatte sich davongemacht.

Außerdem wusste er doch, was sein Vater ihm mitzuteilen hatte: Safe-Kombinationen, Schließfächer, Namen von Anwälten und Buchhaltern, all die Sachen, die die Söhne nach Meinung des don im Falle seines Todes wissen sollten. Dabei würde keiner von ihnen auch nur einen Penny des schmutzigen Geldes anrühren.

„Na schön. Fünf Minuten. Mehr nicht.“ Nick ging in Richtung des Arbeitszimmers. „Und was immer du für deine Rede vorbereitet hast, es sollte besser etwas richtig Gutes sein.“

Cesare lächelte um die teure Zigarre herum, die zwischen seinen Zähnen klemmte. „Lass dir von mir versichert sein, Nicolo“, sagte er, als er die Tür des Arbeitszimmers hinter ihnen schloss, „das ist es.“

Zehn Minuten später starrte Nicolo seinen Vater ungläubig an.

„Nur, damit ich das richtig verstehe … Du willst in ein Weingut investieren?“

Cesare, der hinter dem schweren Mahagonischreibtisch saß, die Hände vor sich auf der Platte gefaltet, nickte. „Genau.“

„In das Antoninni-Weingut in Florenz, Italien.“

„In der Toskana, Nicolo. Die Toskana ist eine Provinz, und Florenz ist eine Stadt in der Provinz.“

„Erspare mir die Geografiestunde. Du investierst also in ein Weingut.“

„Noch habe ich keine definitive Zusage gegeben, aber ja, ich hoffe, in das Gut des Fürsten investieren zu können.“

„Ein Fürst.“ Nicolo lachte humorlos auf. „Klingt wie der Titel eines schlechten Theaterstücks – Der Fürst und der Don, Farce in zwei Akten.“

„Freut mich, dass dich das amüsiert“, lautete Cesares kühler Kommentar.

„Hast du ihm etwa ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen kann?“

Die Miene des don wurde hart. „Achte darauf, welchen Ton du mir gegenüber anschlägst.“

„Sonst?“ Nick stützte die Hände auf den Schreibtisch und beugte sich vor. „Ich habe keine Angst vor dir, alter Mann, schon seit Langem nicht mehr. Seit ich herausgefunden habe, was du bist.“

„Ebenso wenig zeigst du mir den Respekt, den ein Sohn seinem Vater schuldet.“

„Ich schulde dir gar nichts. Wenn du Respekt von mir erwartest, dann …“

„Wir vergeuden nur Zeit. Ich will deinen professionellen Rat.“

Nick verschränkte die Arme vor der Brust. „Soll heißen?“

„Soll heißen, ich will den wahren Wert dieser Weinberge wissen, bevor ich ein endgültiges Angebot mache. Du sollst sozusagen ein Gutachten für mich erstellen.“

Nick schüttelte den Kopf. „Ich bewerte Banken, Vater, keine Weintrauben.“

„Du bewertest Vermögensmasse. Das ist doch deine Aufgabe in dem Unternehmen, das du und deine Brüder leiten, oder?“

„Wie schön.“ Nick schenkte seinem Vater ein spöttisches Lächeln. „Ich meine, dass du bemerkt hast, wie unterschiedlich das Unternehmen deiner Söhne zu deinen Unternehmungen ist.“

„Ich bin Geschäftsmann.“ Cesare kniff die Augen zusammen, als Nick schnaubte. „Und du bist Experte für finanzielle Expertisen. Der Fürst bietet mir einen zehnprozentigen Anteil von fünf Millionen Euro. Ich will wissen, ob ich für diese Summe mehr bekommen sollte. Oder verliere ich alles, weil der Betrieb vielleicht in Schwierigkeiten steckt?“ Cesare nahm einen Umschlag auf. „Er hat mir Zahlen und Tabellen geschickt, aber woher soll ich wissen, was die heißen? Ich will deine Meinung dazu hören.“

„Schicke einen Buchhalter hin“, erwiderte Nick kühl. „Einen von den Typen, die deine Bücher frisieren.“

Cesare ignorierte den Seitenhieb. „Ich muss wissen, warum er mein Geld will. Er behauptet, er will ausbauen. Aber stimmt das? Seit fünfhundert Jahren ist das Gut im Familienbesitz, und plötzlich sucht er ausländische Investoren? Ich brauche Antworten, Nicolo, und wer sollte die besser finden können als mein eigen Fleisch und Blut?“

„Für ein ‚Tu’s für Dad‘ ist es ein wenig zu spät, meinst du nicht auch?“

Cesare erhob sich. „Du tust es nicht für mich, sondern für deine Mutter.“

Nick brach in lautes Gelächter aus. „Das ist gut! Wirklich einmalig! Als ob Mama in ein Weingut investieren wollte!“ Abrupt hörte er auf zu lachen. „Das funktioniert nicht. Wenn du dann also zu Ende bist mit …“

„Es gibt Dinge über deine Mutter und mich, die du nicht weißt, Nicolo.“

„Verdammt richtig. Es fängt damit an, dass ich nicht weiß, wieso sie dich überhaupt geheiratet hat.“

„Aus dem gleichen Grund, aus dem ich sie geheiratet habe.“ Cesares Stimme wurde weicher. „Aus Liebe. Sie und ich … wir sind durchgebrannt. Sie war mit dem reichsten Mann in unserem Dorf verlobt.“

Nick konnte seine Überraschung nicht kaschieren, und Cesare nickte.

„Dieser Mann ist der Vater von Rafes Frau. Chiaras Vater. Dein Bruder hat es erfahren, und er hat die Information für sich behalten, so wie es sich gehört. , Sofia und ich sind davongelaufen. In die Toskana.“

Nick versuchte immer noch zu verarbeiten, dass seine Mutter mit seinem Vater durchgebrannt war. „Wieso in die Toskana? Wenn ihr beide Sizilianer seid …“

„Die Toskana ist wunderschön, sanft und golden, nicht so rau und karg wie Sizilien. Es gibt Menschen, die sagen, dass die Toskana das Herz unserer Kultur ist.“ Der don zuckte mit den Schultern. „Wichtig ist nur, dass es der Traum der Mutter war.“

Die Neugier ließ sich nicht unterdrücken. „Warum seid ihr dann nach Amerika ausgewandert?“

Ein Zucken erschien in Cesares Augenwinkel. „Ich besaß nur die Fähigkeiten, die ich als Junge in Sizilien erlernt hatte. Fähigkeiten, die nur in Sizilien von Wert sind – und in diesem Land. Ich wollte deiner Mutter mehr bieten als ein Leben in Armut.“

Nick hechtete fast über den Schreibtisch. „Wie kannst du es wagen, meine Mutter als Entschuldigung für die Dinge, die du getan hast, vorzuschieben!“

„Ich habe getan, was ich getan habe“, erwiderte Cesare tonlos. „Es war meine Entscheidung, für die ich weder Entschuldigungen noch Rechtfertigungen suche. Aber wenn ich Sofia ein Stückchen toskanischer Erde schenken könnte … Das ist das Einzige, um was sie mich je gebeten hat.“

„Eine ergreifende Story.“ Aber war sie auch wahr? Das würde er nur herausfinden, wenn er seine Mutter fragte. Und das würde Nick nie tun. Eigentlich war es simpel. Cesare benutzte ihn … na und? Zwei Tage, mehr würde für die Sache nicht nötig sein. Die konnte er erübrigen. „Also gut, zwei Tage in der Toskana. Danach komme ich wieder zurück.“

Cesare hielt ihm den Umschlag entgegen. „Alles, was du brauchst, ist hier drin, Nicolo. Mille grazie.“

„Dank nicht mir, sondern deiner Frau.“ Nick nahm den Umschlag an sich, drehte sich auf dem Absatz um und marschierte hinaus.

„Zwei Tage, Alessia“, sagte Fürst Vittorio Antoninni. „Mehr verlange ich nicht.“

Alessia Antoninni ließ den Blick über die mondbeschienenen Weinberge wandern. Im Herbst nach der Lese schienen die Rebstöcke immer wie leblos. „Ich sagte doch schon, Papa, in Rom wartet Arbeit auf mich.“

„Arbeit“, schnaubte der Fürst abfällig. „So nennst du das, wenn du mit dem Jetset herumrennst?“

Alessia wandte ihrem Vater das Gesicht zu. Sie standen auf der Veranda an der Rückseite der jahrhundertealten Familienvilla. „Ich arbeite für eine Public Relations-Firma“, erwiderte sie ruhig. „Ich renne nicht herum, ich betreue Kunden.“

„Es wäre also überhaupt keine Anstrengung für dich, die Öffentlichkeitsarbeit für den eigenen Vater zu übernehmen.“

„Es ist keine Frage der Anstrengung, sondern der Zeit, und die habe ich nicht.“

„Vielleicht willst du ja nur einfach keine gute Tochter sein.“

Dazu fielen ihr mindestens hundert Erwiderungen ein, doch es war schon spät. Alessia beschloss, den Fehdehandschuh, den ihr Vater ihr hingeworfen hatte, nicht aufzuheben. „Du hättest dem Besuch dieses Amerikaners nicht zustimmen sollen, wenn du wusstest, dass du nicht hier sein wirst.“

„Wie oft muss ich dir das noch erklären? Es ist kurzfristig etwas dazwischengekommen, und es wäre sehr unhöflich, Signor Orsinis Besuch abzusagen.“

„Du meinst, es wäre gefährlich, einen Gangster zu enttäuschen.“

„Cesare Orsini ist Geschäftsmann. Glaubst du alles, was die Klatschpresse druckt?“

„Dein Personal kann sich um alles kümmern. Buchhalter, deine Sekretärin …“

„Und die Dinnerparty?“ Der Fürst hob eine Augenbraue. „Soll etwa die Haushälterin die Gastgeberin mimen?“

„Ich habe schon seit Jahren nicht mehr als deine Gastgeberin fungiert. Soll deine Mätresse das übernehmen. Hat sie doch schon öfter gemacht.“

„Signor Orsini stammt aus diesem Land.“

„Er stammt aus Sizilien“, korrigierte Alessia mit dem ganzen Hochmut einer toskanischen Aristokratin.

„Und Sizilianer legen Wert auf alte Traditionen. Von meiner Geliebten unterhalten zu werden könnte ihn beleidigen.“ Die Augen des Fürsten wurden kalt. „Hattest du erwartet, ich würde die Existenz meiner Geliebten verneinen? Du weißt um den Zustand deiner Mutter.“

Fassungslos starrte Alessia ihn an. „Meine Mutter ist in einem Sanatorium untergebracht!“

„In der Tat. In einem sehr teuren Sanatorium.“

Der Ton ihres Vaters jagte einen unguten Schauer über ihren Rücken. „Was willst du damit sagen?“

Der Fürst seufzte. „Ohne eine Kapitalspritze, so fürchte ich, werde ich eine schwere Wahl zu treffen haben. Hinsichtlich deiner Mutter und des Sanatoriums.“

Ihr Herz begann heftig zu pochen. „Es gibt keine Wahl. Es gibt nur das Sanatorium oder das allgemeine Krankenhaus.“

„Wie du sagst, meine Liebe. Da ist das eine oder das andere.“

Sie wusste, er meinte es ernst. Ihr Vater hatte kein Herz.

„Ich sehe die Verurteilung in deinen Augen, Tochter. Doch ich werde nicht so einfach aufgeben, was seit fünf Jahrhunderten unserer Familie gehört.“

„Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du den Betrieb an den Rand des Ruins getrieben hast.“

Der Fürst wischte den Einwand mit einer ungeduldigen Geste der Hand fort. „Wirst du tun, um was ich dich gebeten habe?“

Hatte sie eine andere Wahl? „Zwei Tage. Mehr kann ich dir nicht geben.“

„Grazie, bella mia.“

„Ein Erpresser bedankt sich nicht, Papa.“ Damit ging Alessia ins Haus zurück und in das Zimmer, das einst das ihre gewesen war.

2. KAPITEL

Statt der Frau wartete nur eine Nachricht auf Nick.

Ruf mich an.

Mit einem Seufzer zerknüllte Nick den Zettel. Er würde anrufen, aber erst, wenn er von dieser unsinnigen Reise zurück war. Anruf, Blumenstrauß und Auf Wiedersehen. Zeit, die Sache zu beenden.

Er zog den Smoking aus, stieg in bequeme Joggingsachen und ging in die Küche – der Traum eines jeden Innenarchitekten, nur benutzte Nick sie kaum. Während er Kaffee für sich aufgoss, dachte er über die Begegnung mit Cesare nach. Je länger er darüber grübelte, desto überzeugter wurde er, dass er sich über den Tisch hatte ziehen lassen. Diese Geschichte mit seiner Mutter … Selbst wenn sie stimmte, wieso hatte sein Vater vierzig Jahre gewartet, bis er ihr „ein Stückchen toskanischer Erde“ schenkte?

Das war jetzt unerheblich. Er hatte sein Wort gegeben, und ein Mann war nichts wert, wenn er sein Wort brach.

Nick goss Kaffee in einen großen Becher. Zu viel Champagner. Oder vielleicht auch zu viel Cesare.

Er trank einen Schluck und schüttelte den Inhalt des Umschlags auf die marmorne Anrichte. Nahm ein Blatt zur Hand, überflog es und schüttelte mit einem schmalen Lächeln den Kopf. Schon morgen sollte er sich mit Fürst Vittorio Antoninni treffen.

„Wäre nett gewesen, wenn du mir das vorher gesagt hättest, Vater“, murmelte er. Andererseits … je eher er es hinter sich hatte, desto besser.

Er griff nach dem Telefon. Zwar brachte der Orsini-Jet Falco und seine Braut gerade in die Flitterwochen, aber das war kein Problem. Die Firma nutzte ein Reisebüro, Nick hatte die Privatnummer des Geschäftsführers. Das war einer der Vorteile, wenn man dem Reisebüro jedes Jahr Geschäfte in Höhe einer siebenstelligen Summe einbrachte.

Erstaunt musste Nick dann feststellen, dass es keine Direktflüge vom Kennedy Airport nach Florenz gab. Er würde in Rom Zwischenstopp machen müssen. Was wiederum mehr Zeit in Anspruch nehmen würde. Trotzdem müssten zwei Tage vollauf reichen. Er buchte also ein Erste-Klasse-Ticket, mit dem er um zwei Uhr nachmittags ankommen sollte, reservierte einen Mietwagen und eine Suite im Grand Hotel.

Fertig.

Ein weiterer Anruf, und er bestellte sich etwas zu essen aus dem kleinen Thai-Restaurant nur ein paar Blocks entfernt. Während er auf die Lieferung wartete, ging er die Unterlagen über das Weingut gut. Viel mehr, als er schon wusste, erfuhr er nicht. Seit fünfhundert Jahren gehörten Land und Weinberge der Antoninni-Familie. Fürst Vittorio hatte den Besitz von seinem Vater übernommen, irgendwann würde es seiner Tochter gehören, nur schien sie kein großes Interesse daran zu haben.

Alessia Antoninni war ein Party-Girl. Sie nannte sich zwar PR-Agentin, aber sie hielt sich meist in Rom auf und hing mit Leuten rum, die zu reich für das eigene Seelenheil waren. Er kannte diesen Typ nur allzu gut. Egoistisch. Verwöhnt. Gelangweilt von der eigenen Leere. New York war voller junger Frauen wie dieser.

Ihn sollte das nicht interessieren. Er würde mit dem Vater zu tun haben.

Ein Brief mit einem königlichen Wappen lag ebenfalls dabei. Signor Orsini möge die Sekretärin des Fürsten über seine genaue Ankunftszeit informieren. Der Fürst würde dann mit seinem Wagen am Flughafen erscheinen, um den Signore zu begrüßen. Und natürlich würde Signor Orsini Gast in der Antoninni-Villa außerhalb von Florenz sein.

Nick erledigte den Anruf. Da es in Italien längst mitten in der Nacht war, hinterließ er eine Nachricht, wobei er nur seine morgige Ankunft bestätigte, die genaue Zeit aber unterschlug und die Einladung, in der Villa zu bleiben, höflich ablehnte.

Wenn er eine mögliche Investition überprüfte, war er lieber allein.

Es klingelte. Das Thai-Essen wurde geliefert. Nick setzte sich mit dem Essen und seinem Laptop hin und arbeitete die Informationen über das Antoninni-Weingut durch. Um Mitternacht hatte er viele Fragen und nur wenige Antworten. Er konnte nur hoffen, dass der Fürst seine Fragen beantworten würde.

Der Fürst. Das Ganze schien ihm wie ein schlechter Scherz.

Alessia marschierte rastlos durch die Wartezone am Flughafen. Der letzte Rest ihrer Geduld schwand rapide.

Das kann nur ein schlechter Scherz sein, dachte sie grimmig. Allerdings fehlte ihr längst der Humor.

Der Orsini-Gangster hatte mitten in der Nacht eine Nachricht hinterlassen. Hatte er noch nie von Zeitverschiebung gehört? Vermutlich nicht.

Er war ein Lump, ein Bandit. Er konnte nur den IQ einer Schnecke haben. Die Nachricht selbst war in erschreckend schlechtem Italienisch gewesen. Nein, in schlechtem Sizilianisch. Der Akzent der niederen Klasse. Aber was sonst sollte ein solcher Mann sprechen?

Die Stimme hatte allerdings interessant geklungen, das musste sie zugeben. Tief. Dunkel. Leicht rau. Eine junge Stimme für einen alten Mann.

Die Nachricht an sich hätte er sich ebenso sparen können. Weder Ankunftszeit noch Name der Fluggesellschaft hatte er mitgeteilt, nur, dass er heute ankommen würde. Und etwas über eine Hotelbuchung. Dabei wusste er doch, dass er in der Villa untergebracht werden würde.

Sie hatte alle Flüge überprüft, mit denen er vielleicht aus London oder Paris hätte ankommen können. Jetzt blieb auf ihrer Liste nur noch der letzte Flug aus Rom.

Seit Stunden schon lief sie hier herum. Der ganze Tag vergeudet!

Ein höchst undamenhaftes Wort schlüpfte ihr über die Lippen. Eine Nonne, die an ihr vorbeiging, warf ihr einen schockierten Blick zu.

„Wären Sie an meiner Stelle, hätten Sie das auch gesagt“, murmelte sie dem Rücken der davoneilenden Nonne zu, und dann dachte sie: Ich verliere den Verstand!

Auf der Informationstafel blinkte ein Licht auf. Grazie a Dio! Die Maschine aus Rom war gelandet. Orsini musste in dem Flieger sitzen. Fünf Minuten zum Aussteigen, zehn fürs Gepäckabholen, noch mal zehn für die Zollkontrolle …

Ihre Füße brachten sie um.

Warum nur hatte sie die Dior-Pumps mit den Pfennigabsätzen angezogen? Weil die Schuhe zu dem elfenbeinfarbenen Armani-Kostüm passten, deshalb. Sie hatte sich sehr sorgfältig zurechtgemacht. Nicht, um Eindruck bei Cesare Orsini zu schinden, sondern um ihn daran zu erinnern, wer sie war und wer er war.

Dieser Gangster wollte sich in das Antoninni-Weingut einkaufen? Sie würde die Regeln bestimmen. Nachdem ihr Vater ihr die Sache in den Schoß geworfen hatte, war das ihr gutes Recht. Wäre es von Anfang an nach ihr gegangen, hätte dieser amerikanische Bandit keinen Fuß auf toskanische Erde gesetzt!

Ah, endlich! Die ersten Passagiere des Flugs strömten in die Wartehalle. Drei Priester, eine Frau mittleren Alters. Zwei Teenager mit Rucksäcken, eine Mutter mit einem jämmerlich weinenden Kleinkind auf dem Arm. Ein älterer Mann mit Gehstock, ein junges Pärchen, Hand in Hand.

Und ein Mann.

Groß, dunkelhaarig, in einem makellos sitzenden Anzug, offensichtlich maßgeschneidert. Er ging mit geschmeidigen, ausholenden Schritten, seine Miene spiegelte mühsam beherrschten Ärger wider, so intensiv, dass Alessia unwillkürlich einen Schritt nach links auswich.

Ein Fehler, denn im gleichen Moment schwenkte er nach rechts.

Sie stießen einander an. Ein elektrischer Stromstoß durchfuhr Alessia.

Er schaute sie an, und er musste wohl ähnlich gefühlt haben, so, wie er die Augen zusammenkniff. Dunkle Augen, von der Farbe starken Espressos. Die Züge seines Gesichts auch stark. Schmale Nase, markantes Kinn, fester Mund.

Es war ein sehr hartes, sehr maskulines Gesicht. Ein schönes Gesicht.

„Entschuldigung.“

Alessia blinzelte. Die Stimme des Mannes war ebenso hart wie seine Miene. Und das „Entschuldigung“ war eine reine Lüge. Was er wirklich damit meinte, war: Warum stehen Sie mir im Weg?

Wie er, kniff auch sie jetzt die Augen zusammen, und ihre Stimme klang ebenso kalt. „Sie sind entschuldigt.“

Er hob eine Augenbraue. „Charmant“, murmelte er und hastete an ihr vorbei.

Unverschämter Kerl! Er hatte Englisch gesprochen, und sie hatte automatisch in derselben Sprache geantwortet. Offensichtlich ein Amerikaner.

Moment. Hatte sie diese Stimme nicht schon gehört? Tief, heiser, samten, trotz der Barschheit …

Die Menschenmenge riss sie in die Gegenwart zurück. Die Passagiere strömten jetzt durch den Zoll. Eine interessante Parade, doch Cesare Orsini war nicht darunter. Kein korpulenter kleiner Mann im dunklen Mantel, den Hut tief in die Stirn gezogen.

Zur Hölle mit dieser ganzen Angelegenheit.

Alessia schwang auf dem Absatz herum und marschierte zum Ausgang. Sollte ihr Vater sich selbst darum kümmern. Ihr reichte es.

Als sie zu ihrem schwarzen Mercedes kam, steckten zwei Strafzettel hinter den Scheibenwischern. Sie zog sie hervor und warf sie beim Einsteigen achtlos auf den Beifahrersitz. Sie startete den Motor. Das sonore Schnurren zeigte keinerlei Wirkung bei den Fußgängern. Die Straße zu überqueren, ohne auf den Verkehr zu achten, war ein beliebtes Spiel in Italien. Ob nun Fahrer oder Fußgänger, man konnte es nicht spielen, wenn man Angst zeigte.

Langsam rollte Alessia mit dem Mercedes vor. Die Menge teilte sich nur langsam und widerwillig, dennoch, der Anfang eines Durchlasses begann sich abzuzeichnen. Alessia gab mehr Gas …

… und hörte das Klirren von Glas …

… und erkannte das zersplitterte Rücklicht an dem Ferrari vor sich.

Die Fahrertür flog auf, ein Mann stieg aus, sah auf das geborstene Rücklicht, dann zu ihr …

Càvolo! Ausgerechnet er! Der Amerikaner. Jetzt sah er nicht nur verärgert aus, er kochte vor Wut. Alessia kämpfte gegen den Impuls an, sich bang in den Sitz zu kauern. Stattdessen atmete sie tief durch, setzte ihr freundlichstes Lächeln auf und stieg ebenfalls aus.

„Tut mir leid“, sagte sie aufgeräumt. „Ich habe Sie nicht gesehen.“

„Sie wollen mich nicht gesehen haben? Was fahre ich, ein Spielzeugauto?“

Grundgütiger, sie wollte nur noch zurück nach Hause, in die Villa, die zwar nicht ihr Zuhause war, aber für den Moment reichen musste. Sie wollte diese Folterschuhe von den Füßen kicken, das zerknitterte Kostüm ausziehen und sich ein Glas Wein gönnen …

„Haben Sie nichts zu sagen?“

Er tat ja gerade so, als sei es ihre Schuld! Was nicht stimmte. Er hatte im absoluten Halteverbot geparkt. Na schön, sie auch, aber darum ging es hier nicht.

„Erst versuchen Sie, mich über den Haufen zu rennen, jetzt wollen Sie mich über den Haufen fahren? Achten Sie gelegentlich auch darauf, was Sie tun?“

So viel also zur Freundlichkeit. Alessia hob kämpferisch das Kinn. „Mir gefällt Ihr Benehmen nicht.“

Ihnen gefällt mein Benehmen nicht?“ Er lachte.

Es war ein beleidigendes Lachen. Alessia kniff die Augen zusammen. „Dieses Gespräch ist müßig. Ich schlage vor, wir tauschen die Versicherungsdaten aus. Wir beide sind unverletzt, und nur Ihr protziges Auto hat einen winzigen Schaden davongetragen. Daher sehe ich Ihnen Ihr unverschämtes Verhalten nach.“

„Mein Wagen ist also protzig, und ich bin unverschämt, aber Sie verzeihen mir gnädig?“ Der Mann funkelte sie wütend an. „Was für ein Land ist das hier eigentlich? Keine Direktflüge aus New York, ein vierzigminütiger Zwischenstopp in Rom, aus dem drei Stunden werden, weil irgendein idiotischer Mechaniker seinen Schraubenzieher fallen lässt, und als ich versucht habe, eine Privatmaschine zu chartern, musste ich …“

Er redete noch immer, aber sie hörte ihn nicht mehr. Stattdessen setzten sich die Teilchen in ihrem Kopf zusammen – New York, Rom, Verspätung … „Sprechen Sie Italienisch?“, sprudelte es aus ihr heraus.

Er brach ab und starrte sie an, als sei sie verrückt. „Was? Sie sind etwa eine Außenstelle des Zolls? Nein, ich spreche kein Italienisch, nur ein paar Worte.“

„Sagen Sie etwas. In Italienisch.“

Er starrte sie noch immer an, dann dachte er, Irre soll man nicht reizen, und sagte etwas.

Alessia schnappte nach Luft. Nicht, weil das, was er gesagt hatte, eine Beleidigung über ihren Geisteszustand war, sondern weil er Sizilianisch sprach. Mit einer tiefen, heiseren Stimme … „Sind Sie etwa Cesare Orsini?“, wisperte sie.

„Nein“, antwortete Nick wahrheitsgemäß.

„Sind Sie sicher?“ Er lachte, und ihre Wangen färbten sich rosa. „Ich glaube nämlich, dass Sie es sind. Wenn das stimmt, haben Sie mich einen ganzen Tag gekostet.“

„Soll heißen?“

„Soll heißen, dass ich seit Stunden auf Ihre Ankunft warte.“

Nicks Lachen erstarb. „Wenn Sie jetzt behaupten, Vittorio Antoninni zu sein, nehme ich Ihnen das nicht ab.“

„Ich bin seine Tochter, Alessia Antoninni.“ Sie funkelte ihn an. „Und Sie sind offensichtlich der, der Sie behaupten, nicht zu sein.“

„Sie fragten, ob ich Cesare Orsini sei. Bin ich nicht. Ich bin Nicolo Orsini. Cesare ist mein Vater.“

„Ihr Vater? Unmöglich! Von einer solchen Planänderung weiß ich nichts.“

„Dann sind wir ja quitt“, erwiderte Nick kalt. „Ich nämlich auch nicht. Laut Plan sollte Ihr Vater mich abholen. Wenn ich mich von ihm hätte abholen lassen, was ich nicht vorhatte.“

„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.“

„Dann sind wir schon zu zweit. Ich verstehe nämlich auch nichts von dem, was Sie von sich geben, Lady.“

„Wo waren Sie die ganze Zeit, während ich hier gewartet habe?“

„In der Lounge der Alitalia in Rom“, erwiderte er scharf. „Glauben Sie mir, Prinzessin, selbst die verliert mit der Zeit ihren Charme.“

„Der Titel ist nicht mehr korrekt.“

Nick musterte Alessia Antoninni von oben bis unten, angefangen bei dem eleganten Chignon, der sich Strähne um Strähne auflöste, über das zerknitterte Armani-Kostüm bis hinunter zu den hochhackigen Pumps, die sie anscheinend lieber jetzt als gleich ausziehen würde. „Ja, das sehe ich.“

Das Blut schoss ihr in die Wangen. „Ich hatte Ihren …“

„Meinen Vater erwartet, so viel habe ich inzwischen verstanden. Was ich nicht verstehe, ist … wo sind Ihr Vater und der Chauffeur?“

„Ah, Sie geben also zu, dass Sie wussten, dass jemand Sie abholen kommen würde. Und warum haben Sie dann nicht Ihre Ankunftszeit durchgegeben? Sie haben sich ja nicht einmal nach meinem Vater umgeschaut.“

„Sorry, dass nicht alles nach königlichem Protokoll abläuft, Prinzessin. Aber ich hatte kein Interesse daran, bei der Hand genommen und zu Ihrer Villa geführt zu werden, während mich jemand davon zu überzeugen versucht, welches Glück ich doch habe, in ein Weingut investieren zu dürfen, das wahrscheinlich eine einzige Katastrophe ist.“

„Ich dachte, es sei Ihr Gangstervater, der investieren will. Dass Sie es wagen, das Gut als Katastrophe zu …“

Sie schnappte unmerklich nach Luft, als Nicolo Orsini sich nun direkt vor sie stellte. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht sehen zu können, trotz der Folterschuhe.

„Ich bin hier im Auftrag meines Vaters“, sagte er gefährlich leise. „Ihnen rate ich, Prinzessin, Ihre Worte genau zu wählen. Beleidigen Sie einen Orsini, beleidigen Sie alle Orsinis.“

Noch während er die Worte aussprach, runzelte er die Stirn. Woher war das jetzt gekommen? Beleidigte jemand seine Brüder, oder noch schlimmer, seine Mutter oder seine Schwestern, dann stimmte das. Doch den Alten, den don, der Teil von etwas Rückständigem und Hässlichem und Unmoralischem war?

„Ihr Vater ist, was er ist“, beharrte Alessia. „Erwarten Sie nicht von mir, dass ich es beschönige.“

Er sah sie an. Ihr Haar umrahmte in goldenen Strähnen ihr Gesicht, aus ihren Augen sprühte der Trotz, auf einer Wange prangte ein schmutziger Schatten und reizte ihn, den Fleck mit dem Daumen wegzuwischen. Und der Rest von ihr war auch ein einziges Durcheinander.

Trotzdem sah sie überwältigend aus. Erst jetzt fiel es ihm auf. Überwältigend und arrogant. Sie schaute ihn mit einem Blick an, der besagte, dass er nicht einmal ihrer Verachtung wert war.

Sie hatte ihn mit seinem Vater in eine Schublade gesteckt. Er war kein Mann wie sein Vater, aber etwas hielt ihn davon ab, ihr das zu sagen. Sie war Aristokratin, sein Vater war ein Bauer. Nick hatte sich einmal die Mühe gemacht und war tiefer in die Geschichte der famiglia eingetaucht. Manche Historiker vertraten die These, die Organisation habe sich überhaupt nur wegen der Grausamkeit der reichen Großgrundbesitzer formiert.

Völlig gleich, welche Ursprünge das Leben seines Vaters hatte. Nick verachtete es. Dennoch war es ein anderer Blickwinkel, ob man diese Art Leben von Amerika aus betrachtete oder hier auf der alten Erde stehend. Es ließ ein ganz neues Gefühl aufleben.

„Ihr Vater ist ebenfalls, was er ist“, sagte Nick mit rauer Stimme. „Oder ziehen Sie es vor zu vergessen, dass Ihr Reichtum mit dem Schweiß anderer aufgebaut wurde?“

„Ersparen Sie mir die Vorlesung über Sozioökonomie. Außerdem haben die Zeiten sich geändert.“

„Allerdings.“ Nick lächelte dünn. „Sie und Ihr Vater müssen jetzt bei mir, einem Orsini, betteln kommen.“

Alessia versteifte sich. „Das Haus Antoninni bettelt nicht. Außerdem vergessen Sie, dass wir uns an Ihren Vater gewandt haben, nicht an Sie.“

Natürlich hatte sie recht. Sein einziger Auftrag war es, seinem Vater einen Bericht zu liefern.

„Habe ich Sie zum Schweigen gebracht, signore?“

Sie lächelte. Jahrhundertealte Arroganz lag in diesem Lächeln. Es sprach vom Unterschied zwischen Pöbel und Königen. Nicks Magen zog sich zusammen.

Auch er lächelte, aber sein Lächeln ließ ihre Überheblichkeit unmerklich schwinden. Sie wollte einen Schritt von ihm zurücktreten, doch er fasste ihr Handgelenk und zog sie näher zu sich heran.

„Noch eine Planänderung, Prinzessin.“

„Lassen Sie mich gefälligst los.“

Er tat es, aber nur, um seine Hand an ihren Nacken zu legen. Seidige Strähnen strichen über seine Haut. „Ich bin der potenzielle Investor, nicht mein Vater.“ Sie starrte ihn mit Augen an, die fast violett waren. Er hatte sie überrascht. Verdammt, er hatte sich ja selbst verblüfft. „Glauben Sie mir, Prinzessin, der einzige Orsini, mit dem Sie es zu tun haben werden, bin ich.“

Prinzessin Alessia Antoninni schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte sie, und er brachte sie auf die einzige Art zum Schweigen, auf die ein Mann eine Frau wie sie zum Schweigen bringen konnte.

Er schob beide Hände in ihr Haar und küsste sie.

3. KAPITEL

Alessia war zu überrascht, um zu reagieren.

Dann breiteten sich jäh Rage und Empörung in ihr aus. Sie drückte mit beiden Händen gegen seine Schultern und versuchte, den Kopf abzuwenden.

Fehler. Er legte seine Hände an ihren Rücken und presste sie nur noch härter an sich.

War der Mann verrückt?! Er küsste sie, als hätte er das Recht dazu. Dabei waren sie sich erst vor Minuten zum ersten Mal begegnet und hatten nichts als Verachtung füreinander übrig.

Erneut versuchte Alessia, sich aus seiner Umarmung zu winden.

Noch ein Fehler, schlimmer als der erste. Weil sie den harten Beweis seiner Erregung an ihrem Körper fühlen konnte.

Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen. Sie begann zu beben. Wieso war ihr plötzlich so schwindlig, wieso schien der Boden plötzlich zu schwanken?

Sie hörte einen Laut. Hatte sie etwa dieses leise Seufzen ausgestoßen? Oder war es Nicolo Orsinis heiseres Knurren gewesen?

Ihre Hände entwickelten ein Eigenleben. Wanderten zu seinen Schultern, weiter zu seinem Haar. Ihre Lippen gaben nach …

Und dann war es vorbei.

Er packte sie hart bei den Armen und schob sie von sich. Sie starrte ihn an. Seine Gesichtszüge waren hart und überschattet, die dunklen Augen mit den dichten schwarzen Wimpern hatte er zusammengekniffen. Leichte Röte zeichnete sich auf seinen Wangen ab, in denen ein Muskel zuckte.

Alessia wollte ihn ohrfeigen. Noch stärker war der Drang, einfach davonzulaufen.

Sie tat weder das eine noch das andere. Schon als junges Mädchen hatte sie gelernt, dass man keine Angst zeigen durfte, wenn man vor einem gefährlichen Angreifer stand. Sie war zwölf gewesen, als sie auf einer Wanderung durch die toskanischen Wälder einem mächtigen Keiler begegnet war. Mit seinen langen Hauern hätte er ihr mühelos tödliche Fleischwunden zufügen können. Trotz ihrer Angst war sie reglos stehen geblieben und hatte ihrem Gegner in die Augen gesehen. Irgendwann, nach einer halben Ewigkeit, war die Kreatur mit einem Schnauben ins Dickicht zurückgetrottet.

Auch jetzt zwang sie sich, stehen zu bleiben. Nicht nur wilde Tiere, auch Männer kalkulierten mit der Angst ihres Gegenübers, um Macht zu gewinnen. Deshalb hatte Nicolo Orsini sie ja auch geküsst, und deshalb würde sie nicht wegrennen.

Stattdessen wischte sie sich bewusst langsam mit dem Handrücken über die Lippen. „Falls das dazu gedacht war, Eindruck zu schinden, hat es seine Wirkung verfehlt.“

Der Anflug eines Lächelns spielte um seine Mundwinkel. „Hat es also, ja?“

Alessia beschloss, die Ironie zu ignorieren. „Ich warne Sie, signore. Sollten Sie sich so etwas noch einmal einfallen lassen …“

„Sparen Sie sich Ihre Drohungen. Sie sind nicht in der Position, um zu drohen.“

Dio, der Mann war verabscheuungswürdig! „Sei un barbaro!“, stieß sie empört aus.

„Ah, ich bin also ein Barbar, was?“ Er grinste. „Kommen Sie, Süße, Sie brauchen sich nicht zurückzuhalten. Sprechen Sie ruhig aus, was Sie denken.“ Sein falsches Lächeln erstarb. „Aber vergessen Sie nicht, dass ich den Kassenschlüssel in der Hand halte. Ich meine, dann sollten wir schon miteinander auskommen.“

Alessia starrte den widerwärtigen Amerikaner an, und der letzte Rest ihre Haltung schwand. „Wir brauchen nicht miteinander auszukommen, signore. Hier ist nämlich eine weitere Planänderung. Das Antoninni-Weingut hat kein Interesse an Investoren. Sie haben die lange Reise umsonst gemacht.“

Nick kniff die Augen zusammen. Die principessa stand mit gerecktem Rücken und geraden Schultern vor ihm, den Kopf stolz erhoben. Sie mochte ihn nicht, was völlig in Ordnung war. Seine Meinung über sie war schließlich auch nicht besser. So weit war also alles klar. Die Frage war nur – warum hatte er sie geküsst?

Um sie auf ihren Platz zu verweisen?

Nein. So verhielt er sich Frauen gegenüber nicht. Er hatte ganz bestimmt seine Fehler, aber Sex als Waffe einzusetzen gehörte nicht dazu. Er nahm nur das von Frauen, was sie ihm freiwillig anboten.

Außerdem … sollte er wirklich die Absicht gehabt haben, ihr etwas zu beweisen, dann war es nach hinten losgegangen. Sie war weder erschüttert noch durcheinander, sondern kalt und überheblich wie vorher. Dass ihre Lippen bei dem Kuss nachgiebiger geworden waren, dass sie ein leises Seufzen ausgestoßen hatte, musste er sich eingebildet haben.

Oder war dieser Seufzer etwa von ihm gekommen?

„Kehren Sie nach Hause zurück, Signor Orsini, zu Ihren Leuten. Hier gibt es nichts für Sie zu holen.“

Die Botschaft war klar und deutlich. Er war nicht nur ein Barbar, er war auch ein sizilianischer Gauner. Ein Orsini. Für eine Frau wie sie reichte das.

„Wir werden natürlich für Ihre entstandenen Kosten aufkommen.“

Wir – der Majestätsplural. Die Prinzessin, die sich an ihren Untertanen wandte. Mit verschränkten Armen lehnte Nick sich lächelnd an den Ferrari. Es war ein Lächeln, das seine Gegner im Kampf an der Front zu fürchten gelernt hatten.

„Ein wahrhaft großzügiges Angebot“, meinte er leise.

„So sehe ich das auch.“ Sie blickte auf das zersplitterte Rücklicht. „Lassen Sie uns die Reparaturrechnung zukommen.“

„Zusammen mit der Liste meiner Kosten?“

„Wie es Ihnen beliebt. Und jetzt, signore …“

„Und jetzt, nehmen Sie an, heißt es wohl arrivederci, oder?“

„Annehmen?“, wiederholte sie mit überheblicher Eleganz.

Dabei sah sie überhaupt nicht elegant aus. Noch einmal musterte Nick sie von Kopf bis Fuß. Nein, sie sah zerzaust aus. So als wäre sie gerade aus dem Bett eines Mannes gestiegen. Aus seinem Bett, dachte er und ärgerte sich über die prompte Reaktion seines Körpers bei diesem Gedanken. Wie würde es wohl sein, die arrogante Prinzessin aus ihrem Kostüm zu schälen und das mit ihr zu tun, was die eisige Überheblichkeit in heiße Leidenschaft verwandeln würde?

Er riss sich zusammen. Wieso dachte er überhaupt an so etwas? Alessia Antoninni war schön, sicher. Wie Statuen schön waren. An ihr war nichts Warmes oder Weiches oder Einladendes. Sie war nicht einmal eine Herausforderung, sie war einfach nur abschreckend. Dass er sie tatsächlich geküsst hatte, machte ihn im Nachhinein nur wütend. Und diese Wut lenkte er jetzt auf sie.

„Sie haben recht“, hob er brüsk an, „es war eine lange Reise. Acht Stunden Flug von New York, drei unnütze Stunden auf dem Flughafen in Rom …“

„Und Sie möchten Ihre Umstände sofort erstattet bekommen.“

Sie sagte es, als sei es beschlossene Sache. Nick sah zu, wie sie in ihrer Handtasche zu kramen begann und schließlich ein Scheckbuch hervorzog. „Nennen Sie mir eine Zahl.“

Sie schnappte nach Luft, als seine Finger sich hart um ihr Handgelenk klammerten. Wahrscheinlich verursachte er blaue Flecke auf der zarten aristokratischen Haut, aber das kümmerte ihn nicht.

„Sind Sie sich Ihrer selbst immer so sicher, Prinzessin?“

Ihre Augen schleuderten Blitze. „Lassen Sie mich los, Mr Orsini.“

Nick lächelte schmal. „Wo ist das signore geblieben? Habe ich das nicht mehr verdient, weil ich Ihren Bluff platzen lasse?“

„Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“

„Dann sollten Sie jetzt besser genau zuhören.“ Er würde es genießen, sie von ihrem hohen Ross herunterfallen zu sehen. „Wie gesagt, ich hatte viel Zeit. Die ich dazu genutzt habe, um die Unterlagen über Ihr ach so wertvolles Weingut, die von Ihrem Vater zur Verfügung gestellt wurden, durchzuarbeiten. Es waren sehr detaillierte Informationen, aber … es fehlte auch vieles.“

„Ich weiß nicht, welche Unterlagen Sie vorliegen hatten, und es interessiert mich auch nicht. Sie sind …“

„Entlassen? Vorhin war ich nur entschuldigt, jetzt bin ich entlassen?“ Nicks Stimme klang klirrend kalt. „Das Weingut steht kurz vor dem Ruin.“

„Das soll nicht Ihr Problem sein.“

„Vier Jahre schlechtes Wetter haben die Trauben verdorben. Ihr alter Herr hat neue Rebstöcke angepflanzt, die sich als ertraglos erwiesen haben. Er hat lausige Marketing-Entscheidungen getroffen. Ich weiß so gut wie nichts über Weinbau …“

„Schön, dass Sie das zugegeben.“

„… aber ich bin einer der Besten, wenn es um Investitionen geht. Die Informationen, die Ihr Vater ausgelassen hat, sind ebenso wichtig wie die, die er aufgelistet hat.“

„Ich habe noch immer keine Ahnung, was Sie meinen.“

Nick konnte die Lüge in ihren Worten hören. „Ich denke, schon. Ihr Papa hat mehr Bargeld aus dem Betrieb abgezogen, als er hineingesteckt hat. Wofür hat er es gebraucht, Süße? Pferderennen? Glücksspiel? Frauen?“

Alessia versuchte, ihre Hand loszureißen. „Dieses Gespräch ist beendet!“

„Ohne eine Finanzspritze – und wir beide wissen, dass mehr als die fünf Millionen nötig sind, die Ihr Vater haben will – gehört Ihr Familienbetrieb der Vergangenheit an.“

„Da redet der Richtige über Familienbetriebe.“

Guter Hieb, auch wenn sie damit völlig danebenlag. Nick hatte nicht vor, ihren Irrtum zu korrigieren. Sie glaubte, er hätte eine hohe Position in la famiglia inne? Sollte sie nur.

„Tatsache ist, Sie brauchen mein Geld. Sonst gehen fünfhundert Jahre aristokratischen Lebens den Bach der Geschichte hinunter.“

„Sie glauben, das kümmert mich?“

„Immerhin genug, um heute hier aufzutauchen und einen Vertreter des gewöhnlichen Volkes abzuholen.“

„Sie irren, Mr Orsini. Ich bin nur hier, weil … weil …“

Sie blinzelte. Und jäh verstand Nick. Sie war hier, weil sie abkommandiert worden war. Sie war das offizielle Empfangskomitee des Fürsten. Sie war eine Antoninni, unerfahren im Umgang mit Bauern, aber sie hatte nicht die Befugnis, den Bauern zu entlassen. Die gute Prinzessin hatte mit Muskeln gespielt, die sie nicht besaß. Sie war nicht mehr als der Chauffeur, der den Bankier vom Flughafen abholte.

„Was ist?“ Er lächelte dünn. „Ist Ihnen etwas eingefallen?“ Er zog sein Handy hervor. „Hier, fragen Sie besser bei Papa nach, ob ich tatsächlich wieder umkehren soll.“

Erst starrte Alessia auf das kleine Gerät in seiner Hand, dann hob sie den Blick zu seinem Gesicht.

Bastardo insolente! Er wusste genau, dass sie den Anruf nicht machen würde. Er wusste nur nicht, warum. Oh Mama, wie habe ich dich nur vergessen können?

Die Wut auf diesen schrecklichen Mann hatte sie für einen Moment die Realität vergessen lassen. Jetzt stand sie ihr wieder klar vor Augen. Sie hatte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Wenn sie ihrer Mutter den Platz im Sanatorium sichern wollte, durfte sie Nicolo Orsini nicht wegschicken. Sie musste mit ihm zurechtkommen, ob sie nun wollte oder nicht.

Er war abscheulich. Sein Macho-Gehabe, sein brutaler Beruf – wenn man so etwas überhaupt Beruf nennen konnte – und dann dieser Kuss …

„Abscheulich“ traf es nur unzureichend. Nur nutzte das alles nichts. Sie saß mit ihm fest. Er war ihr Problem, und sie wusste, wie man mit solchen Problemen umging. Ihr Vater dachte zwar, Public Relations sei nichts anderes, als Champagner mit Leuten zu trinken, die zu viel Geld und zu viel Ego besaßen, aber Alessia hatte endlose Zeit investiert, um zu lernen, wie man mit den Leuten umging, die ihre Firma repräsentierte. Der Titel hatte sicherlich geholfen, auch wenn ihr die Vorstellung, dass etwas so Antiquarisches in der heutigen Zeit noch Wert hatte, zuwider war. Was nun den Rest anging … das war harte Arbeit gewesen.

Die Leute davon abzubringen, sich in aller Öffentlichkeit zum Narren zu machen, gehörte zu ihrem Job. Hinter ihnen aufzuräumen, wenn sie es dennoch taten, war ebenso Teil ihrer Arbeit. Manche ihrer Kunden waren sogar nett und wirklich talentiert. Andere nicht. Dann gab es auch noch einen – glücklicherweise geringen – Anteil, der sich einbildete, Geld, Ruhm und Aussehen würden sie zu Göttern machen.

Es bestand kein Zweifel, in welche Kategorie Nicolo Orsini fiel. Ob nun Barbar oder Gangster, Nicolo Orsini war – es gab keine andere Bezeichnung – ein überwältigendes Paradebeispiel von Männlichkeit. Durch ihre Arbeit hatte Alessia viele Männer kennengelernt. Schauspieler und Industriemagnaten, Männer, deren Geld ihnen die Accessoires kaufte, die aus einem durchschnittlichen Mann einen attraktiven Mann machten.

Dieser Mann hier war nicht nur wegen seines Maßanzuges oder des perfekten Haarschnitts umwerfend, es war er selbst. Alles an ihm war sexy. Die große, muskulöse Gestalt. Das markante Gesicht. Der Mund – perfekte Form, perfekte Festigkeit, das konnte sie aus eigener Erfahrung beurteilen. Hätte sie ihre Lippen nur ein wenig weiter geöffnet, als er sie geküsst hatte, dann würde sie jetzt auch seinen Geschmack kennen.

„Schauen Sie ruhig genau hin, Prinzessin. Lassen Sie mich wissen, wenn Ihnen gefällt, was Sie sehen.“

Alessias Blick flog zu seinen Augen. Sein Ton war ebenso beleidigend wie das Glühen in seinen Augen. Sie spürte Hitze in ihren Wangen brennen.

Dass sie ihn attraktiv fand, schockierte sie. Sie verstand es nicht. Oberflächlichkeiten wie Aussehen hatten sie noch nie interessiert.

„Ich dachte gerade“, sie hatte sich schnell wieder gefangen, Jahre des Umgangs mit ihrem emotionell und verbal achtlosen Vater hatten sie das gelehrt, „dass Sie nicht wie ein unzivilisierter Barbar aussehen, Signor Orsini. Das beweist jedoch nur, wie stark die äußere Erscheinung täuschen kann.“

Er zuckte nur mit den Schultern. „Ich bin genau das, was Sie vor sich sehen, principessa.“

Eine verwirrende Antwort, doch dann wurde Alessia klar, dass er ihr lediglich recht gab. Er war der Sohn eines don, verehrt im alten Sizilien, aber von jedem anständigen Italiener verachtet.

Und sie würde sich um ihn kümmern müssen. Also … Morgen eine Führung durch die Weinberge und den Betrieb. Abends ein formelles Dinner. Und schon am nächsten Tag wäre er verschwunden, für immer.

Das würde sie durchstehen.

Was nun den Plan ihres Vaters betraf, dass nämlich Orsini in der Villa unterkam … auf gar keinen Fall. Er hatte es ihr ja schon erleichtert. Er hatte ein Auto gemietet und sicherlich auch irgendwo ein Hotelzimmer gebucht. Also …

Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, holte Orsini sein Handy hervor und erledigte einen Anruf. Der Inhalt des Gesprächs war klar: Er sprach mit der Mietwagenfirma. Sie sollten den Wagen abholen, er brauche ihn doch nicht. Wegen des Schadens am Rücklicht sollten sie sich mit seiner Versicherung in Verbindung setzen.

„Natürlich werden Sie den Wagen benötigen“, sprudelte es aus Alessia hervor. „Wie wollen Sie denn zu Ihrem Hotel kommen?“

Er lächelte nur schmal, drückte eine weitere Telefonnummer, und Alessia hörte mit an, wie er die Buchung im Grand Hotel stornierte.

„Ihr Vater wollte, dass ich in der Villa bleibe und Sie mich über das Gut führen, nicht wahr, Prinzessin?“

„Nennen Sie mich nicht so!“

„Aber das sind Sie doch. Die Prinzessin, die die Bauern befehligt.“

Alessia wollte etwas erwidern, überlegte es sich anders, deutete nur mit dem Kopf zu ihrem Mercedes. „Steigen Sie ein.“

„Welch herzliche Einladung.“

Sie ging um den Wagen herum, ließ sich hinters Steuer gleiten und wartete, bis Orsini seine langen Beine in den Fußraum gezogen hatte.

„Zwei Tage“, presste sie zwischen den Zähnen hervor, während sie sich in den Verkehr einreihte.

„Entschuldigung?“

Dio, sie hasste seinen falschen höflichen Ton. Die Ampel vor ihr sprang auf Rot. Sie bremste ab. „Ich sagte, zwei Tage kann ich erübrigen. Das dürfte reichen, um sich das Weingut und die Kellerei anzusehen sowie ein Treffen mit dem leitenden Personal meines Vaters abzuhalten.“

Nick hatte den Hebel gefunden und stellte den Sitz zurück, sodass er seine Beine ausstrecken konnte. Zwei Tage waren auch seine Vorstellung gewesen … aber die Dinge hatten sich geändert.

„Zwei Wochen“, sagte er. „So viel Zeit brauche ich, um eine Entscheidung treffen zu können. Ich erwarte, dass Sie sich zu meiner Verfügung halten. Rund um die Uhr.“

Sie starrte ihn mit einer derart entsetzten Miene an, dass er fast aufgelacht hätte. Vor allem hatte er gerade die eigenen sorgfältig ausgearbeiteten Pläne über den Haufen geworfen, aber verdammt, diese Frau brauchte dringend eine Lektion in Bescheidenheit und Mäßigung.

„Sind Sie verrückt? Auf gar keinen Fall werde ich zwei Wochen für Sie …“

Nick lehnte sich zu ihr hinüber. Presste seinen Mund auf ihren. Als sie zurückzucken wollte, hielt er sie beim Kinn fest und küsste sie weiter, bis sie einen leisen Laut von sich gab, knabberte leicht an ihrer vollen Unterlippe …

Hinter ihnen ertönte eine Hupe.

Nick ließ Alessia los, setzte sich wieder in seinen Sitz, verschränkte die Arme vor der Brust und sah starr geradeaus. „Zwei Wochen. Wenn Sie das Geld brauchen, wird es so lange dauern, bevor Sie es bekommen.“

Alessia stieß das Wort aus, das schon die Nonne schockiert hatte, und trat aufs Gaspedal.

4. KAPITEL

Nick ließ sich nur ungern die Zügel aus der Hand nehmen. Oder das Steuer. Im Leben ging es vor allem um Kontrolle. Eine Lektion, die alle von Cesares Söhnen früh gelernt hatten.

Wenn man in einem Blitzlichtgewitter aufwuchs, weil der alte Herr mal wieder für Schlagzeilen gesorgt hatte, war Selbstbeherrschung unerlässlich. Diese erlernte Fähigkeit hatte ihm gute Dienste geleistet, nicht nur auf den Straßen von Little Italy, sondern später auch in den Einsatzgebieten der amerikanischen Armee und in den Konferenzsälen, in denen er jetzt Millionen-Dollar-Deals aushandelte. Doch hier, auf dem Beifahrersitz neben Alessia Antoninni, stieß Nick eindeutig an seine Grenzen.

Sie waren vielleicht seit zwanzig Minuten unterwegs. Weitere zwanzig Minuten, und er würde entweder den Unterboden durchgetreten haben, weil er ständig bremste, oder er würde sie vom Steuer wegreißen und selbst fahren.

Er blickte auf ihr versteinertes Profil. Wie alt mochte sie sein? Fünf-, sechsundzwanzig? Er hatte eine fünfundachtzigjährige Tante, die besser fuhr. Ihm fielen all die dummen Witze über Frauen am Steuer ein, doch ihm war längst nicht mehr nach Lachen zumute, im Gegenteil. Langsam machte die Panik ihn mürbe.

Kein gutes Zeichen bei einem Mann, der praktisch nie wirkliche Angst gekannt hatte.

Bis jetzt.

Alessia hatte den Wagen auf volle zwanzig Meilen pro Stunde auf der Autobahn beschleunigt, während die anderen Autos mit hundert Meilen pro Stunde an ihnen vorbeirasten. Na schön, das war vielleicht übertrieben, die anderen fuhren neunzig und sie halb so schnell. Der Punkt war … sie war ein Verkehrshindernis.

Entweder sie wusste es nicht, oder es war ihr gleich.

Sie fuhr stur in der mittleren Spur, bot damit allen möglichen Fahrern die Möglichkeit, rechts zu überholen. Die kurbelten ihr Seitenfenster herunter und schrien der Mercedesfahrerin wüste Verwünschungen zu, begleitet von den entsprechenden Gesten. Immerhin fand Nick auf diese Weise heraus, dass bestimmte Handzeichen in der Toskana die gleiche Bedeutung wie in New York hatten.

Alessia fuhr ungerührt weiter.

Irgendetwas musste er doch tun können! Er räusperte sich und wählte seine Worte mit Bedacht. „Äh, stimmt etwas nicht mit dem Wagen?“ Er wartete einen Moment. „Ich meine, gibt es einen Grund, weshalb Sie so langsam fahren?“

„Ich halte mich an die Geschwindigkeitsbegrenzung.“

„Nun, ich glaube, auf der Autobahn darf man schneller fahren.“

„Mir ist völlig gleich, was Sie glauben“, kam es kalt von ihr zurück.

So viel also zur Behutsamkeit! „Was ich eigentlich sagen will, ist, dass es ein Fehler ist, sich dem Verkehr nicht anzupassen.“

„Dann liegt der Fehler beim Verkehr. Das ist das richtige Tempo für die Straßenverhältnisse.“

„Welche Straßenverhältnisse? Es ist trocken, die Straße ist schnurgerade, und der Verkehr fließt ohne Stockungen, außer …“

„Ich fahre, Mr Orsini, nicht Sie.“

Er hatte schon herausgefunden, dass es darauf ankam, wie wütend sie war, ob er ‚signor‘ oder ‚Mister‘ war. „Das stimmt, aber …“

Ein riesiger Lkw donnerte hupend rechts an ihnen vorbei. Nick stieg fast wieder durch das Metall am Boden.

„Hören Sie, Prinzessin …“

„Das ist mein Auto und mein Land. Ich weiß, wie schnell ich fahren muss. Und ich würde es zu schätzen wissen, wenn Sie mich nicht ständig mit diesem Titel ansprechen würden. Die Monarchie existiert in Italien seit 1946 nicht mehr. Der Titel ist also lediglich ein Relikt aus der Vergangen…“

„Merda!“ Nick zuckte zusammen. „Der Wagen hätte uns beinahe gerammt!“

„Der Fahrer fährt viel zu schnell.“

„Nein, tut er nicht!“ Er drückte sich in den Sitz zurück. „Ich würde zu gern denjenigen kennenlernen, der Ihnen das Autofahren beigebracht hat“, murmelte er grimmig.

Alessia warf ihm einen Seitenblick zu. Vielleicht war das ja das Problem. Niemand hatte ihr das Fahren beigebracht. Zumindest nicht so, wie er es meinte. Aber das würde sie ihm nicht sagen. Sie fuhr nur vorsichtig. Sie fuhr immer vorsichtig. Es war schließlich nicht ihre Schuld, dass Rasen der italienische Nationalsport war.

Und die Wahrheit war einfach zu peinlich. Niemand brauchte zu wissen, dass sie erst vor zwei Jahren Fahren gelernt hatte. Dass sich ihr Leben bis dahin nach den Wünschen des Vaters gerichtet hatte.

Dieser amerikanische Gangster würde nie verstehen, wie es war, als Tochter eines Vaters aufzuwachsen, der mehr am eigenen Vergnügen als an seiner Familie interessiert war.

Als sie mit sechzehn zur Fahrschule gehen wollte, hatte ihr Vater gesagt, es gehöre sich nicht in ihrer Position, selbst Auto zu fahren. Mit achtzehn, auf einem kleinen Elite-College in Rom, brauchte sie keinen Führerschein. Wozu, wenn die öffentlichen Verkehrsmittel so viel bequemer waren? Außerdem war es damals leichter gewesen, sich zu fügen.

Mit zwanzig hatte sie dann ihren nutzlosen Abschluss in der Tasche. Sie nahm die Urkunde mit, als sie ihre Mutter im Sanatorium besuchte. An jenem Tag war ihre Mutter völlig klar gewesen. Sie hatte die Urkunde betrachtet und gesagt: „Mach etwas aus deinem Leben, mia bambina. Lass dir von ihm nicht die Lebensfreude rauben.“

Alessia hatte nicht fragen müssen, auf wen ihre Mutter sich bezog.

Es war wie eine Erleuchtung gewesen. Alessia war nach Hause zurückgekehrt, hatte ihre Sachen gepackt und war ausgezogen. Zusammen mit drei anderen jungen Frauen hatte sie sich eine Wohnung in Rom geteilt. Ihr Vater hatte vor Wut geschäumt. Wie konnte sie es wagen, sich gegen ihn aufzulehnen?

Er strich ihr die Unterstützung. Also ging sie kellnern. Zu mehr war ihr teure Ausbildung nicht nütze. Außer natürlich noch, um einen reichen Mann zu heiraten – worauf ihr Vater hoffte.

So war sie eines Morgens mit dem Gedanken aufgewacht, wie erbärmlich es war, dass sie noch immer nicht Auto fahren konnte. Also hatte sie eine ihrer Mitbewohnerinnen gebeten, in deren altem Fiat auf leeres Gelände vor der Stadt zu fahren und es ihr beizubringen.

Es war ein überdrehter und anstrengender Tag gewesen, die Freundin hatte ständig Gebete gemurmelt, aber am Abend konnte Alessia mit einem Auto umgehen. Sie bestand zwar die Führerscheinprüfung, aber wirklichen Spaß am Fahren hatte sie nie, und in dichtem Verkehr fühlte sie sich schrecklich unsicher.

Dass ein Fremder neben ihr saß, machte alles nur noch schlimmer, vor allem, weil der Fremde Nicolo Orsini war. Hätte sie doch nur den Wagen mit Chauffeur genommen, wie ihr Vater sie gedrängt hatte. Doch gerade deshalb hatte sie darauf bestanden, selbst zu fahren. Also war es ihre eigene Schuld, wenn sie in einem zu engen Wagenfond auf einer zu regen Autobahn mit einem zu männlichen Macho saß, der gerade die Nerven verlor …

„Figlio di puttana!“

Sein Aufschrei war fast so laut wie das Hupen des Lkws in der Nebenspur. Alessia kreischte schrill. Wie war der Mercedes nur so nah an den Lkw herangekommen?

„Das reicht“, donnerte der Amerikaner. „Ziehen Sie auf den Standstreifen rüber und halten Sie an.“

Rüberziehen, ja. Auf den Standstreifen, ja …

Nick griff nach dem Steuer und zog den Wagen nach rechts, begleitet von einem ohrenbetäubenden Hupkonzert. „Bremsen!“, schrie er, und glücklicherweise reagierte sie.

Der Wagen stand still, Nick drehte den Schlüssel und schaltete den Motor ab. Einen Augenblick rührte sich keiner von ihnen, dann nahm Nick die Hände vom Lenkrad. Stille herrschte, nur unterbrochen von dem leisen Ticken des abkühlenden Motors.

Nick wartete, bis er einigermaßen die Fassung zurückgewonnen hatte. Dennoch klang seine Stimme mitgenommen, als er schließlich sprach.

„Steigen Sie aus, Alessia.“

Sie wandte ihm das empörte Gesicht zu. „Wie bitte?“

„Tun Sie, was ich sage! Steigen Sie aus dem verdammten Wagen!“

Sie plusterte sich auf. „Ich nehme grundsätzlich keine Befehle an!“

Nick stieß einen Schwall von sizilianischen Flüchen aus, die er seit seiner Kindheit nicht mehr benutzt hatte. Dann stieß er die Tür auf, stieg aus, kam um den Wagen herum und zog Alessia von dem Fahrersitz.

„Was glauben Sie, was Sie da tun!“ Ihre Stimme wurde schrill, sie wand sich wie ein Aal. „Verdammt sollen Sie sein! Sie haben kein Recht …“

„Sie hätten uns fast umgebracht.“

„So ein Unsinn. Der Lkw-Fahrer …“

„Der Lkw-Fahrer fährt wahrscheinlich die nächste Raststätte an, damit er seine Unterwäsche wechseln kann.“

„Sie sind nicht nur grob, Sie sind auch vulgär!“

„Zumindest bin ich keine Gefahr für jeden, der auf hundert Meilen an mich herankommt!“

Alessia versuchte die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Vergeblich. Er hatte recht. Sie war entsetzt, verängstigt und schockiert über das, was fast passiert wäre. Aber warum es vor jemandem wie ihm zugeben? „Lassen Sie mich los“, forderte sie scharf.

„Sparen Sie sich diesen hochherrschaftlichen Ton für jemanden auf, den Sie nicht umzubringen versucht haben. Und jetzt steigen Sie auf der Beifahrerseite ein und seien Sie still.“

„Ich reagiere nicht auf Befehle. Ich bin nicht … Mr Orsini! Signore!“ Nick hatte sie sich über die Schulter geworfen. Mit den Fäusten trommelte sie auf seinen Rücken. „Das können Sie nicht tun!“

„Nicht? Dann passen Sie mal auf!“

„Bastardo!“, schluchzte sie und trommelte weiter. „Sie sind genau wie alle anderen Männer. Sie halten Frauen für unfähig, allein auf sich aufzupassen. Sie glauben, ein Mann muss unbedingt für die Frau denken, weil sonst …“

Es reicht, dachte er grimmig, stellte sie auf die Füße und küsste sie. Sie schnappte nach Luft. Wehrte sich. Er küsste sie weiter.

Und während er sie küsste, fragte er sich mit geradezu klinischer Nüchternheit, weshalb er das tat.

Es ergab keinen Sinn. Ein Mann küsste eine Frau, die er mochte, die er begehrte. Weder war diese Person in seinen Armen ihm sympathisch noch begehrte er sie. Küsste er sie, weil er wütend war? Zur Hölle, nein! Küssen hatte nichts mit Wut zu tun, es ging um den Geschmack und die Wärme …

Dann hörte Alessia auf, sich zu wehren, und er stellte das Denken ein. Der Kuss wurde zu etwas Heißem, Ursprünglichem. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und schob ihre Finger in sein Haar. Er stöhnte leise und glitt mit seinen Händen unter ihre Jacke, ihre Bluse, fühlte die Wärme ihrer seidigen Haut. Sie murmelte etwas an seinen Lippen, er ließ seine Zungenspitze vorschnellen und …

… und eine laute Hupe ertönte. Ein Mann rief ihnen aus dem vorbeifahrenden Wagen etwas zu. Nick verstand es nicht, dazu war sein Italienisch nicht gut genug, aber man musste kein Linguist sein, um den Sinn der Worte zu verstehen.

Er hob den Kopf. Grundgütiger. Er stand auf der Autobahn und küsste eine Frau, die er weder kannte noch mochte, und war praktisch kurz davor gewesen, sie …

Zum Teufel, dachte er. Alessia öffnete die Augen und starrte ihn mit leerem Blick an. Dann murmelte sie etwas. Auch das verstand er nicht, aber der Sinn war unmissverständlich.

„Ich muss mich entschuldigen“, sagte er. „Ich weiß nicht, was in mich gefahren …“

Sie ohrfeigte ihn, so fest, dass seine Wange wie Feuer brannte.

„Na schön, wenn Sie sich jetzt besser fühlen …“

Sie holte erneut aus, doch er hielt ihr Handgelenk fest.

„Das reicht jetzt“, warnte er leise.

„Sie … Sie Mistkerl! Sie Widerling! Sie …“

Er hatte schon schlimmere Beschimpfungen gehört, aber darum ging es nicht. Stimmt, er hatte den Kuss initiiert, aber sie hatte ihn erwidert. „Regen Sie sich wieder ab, Prinzessin.“

„Mich abregen? Nach dem, was Sie getan haben?!“

Nick kniff die Augen zusammen. „Ich habe uns davor bewahrt, als Straßenbelag zu enden.“

„Das meine ich nicht. Ich meine diese … diese widerliche Machoaufführung. Für wen halten Sie sich?“

Er machte einen Schritt vor und bemerkte befriedigt, dass sie sich an den Wagen zurückdrängte. „Ich bin der Mann, der den aristokratischen Hintern Ihres Vaters retten wird, Süße. Vorausgesetzt, Sie behandeln mich anständig.“

Sie ließ resigniert die Schulter sinken. Wer sollte es ihr verübeln? Welchen Unsinn gab er da von sich? Hatte eine Frau ihn je so wütend gemacht? Er wollte sie bei den Schultern packen und schütteln.

Oder sie küssen, bis sie vergaß, wer sie war, und vergaß, für wen sie ihn hielt …

Autor

Sandra Marton
Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
Mehr erfahren
Sophie Weston

Sophie Weston reist leidenschaftlich gern, kehrt aber danach immer wieder in ihre Geburtsstadt London zurück. Ihr erstes Buch schrieb und bastelte sie mit vier Jahren. Ihre erste Romance veröffentlichte sie jedoch erst Mitte 20.

Es fiel ihr sehr schwer, sich für eine Karriere zu entscheiden, denn es gab so viele...

Mehr erfahren
Liz Fielding

In einer absolut malerischen Gegend voller Burgen und Schlösser, die von Geschichten durchdrungen sind, lebt Liz Fielding – in Wales

Sie ist seit fast 30 Jahren glücklich mit ihrem Mann John verheiratet. Kennengelernt hatten die beiden sich in Afrika, wo sie beide eine Zeitlang arbeiteten. Sie bekamen zwei Kinder, die...

Mehr erfahren