Julia Exklusiv Band 274

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  • Erscheinungstag 15.07.2016
  • Bandnummer 0274
  • ISBN / Artikelnummer 9783733707644
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Robyn Grady, Meredith Webber, Amanda Browning

JULIA EXKLUSIV BAND 274

1. KAPITEL

„Okay, Entscheidung gefällt. Du kommst mit mir nach Hause.“

Das leise Murmeln hinter ihrem Rücken ließ Vanessa Craig erschauern, ganz so als hauche ihr jemand einen verstohlenen Kuss in den Nacken. Sie räumte gerade Hundefutter in die Regale ein, doch die tiefe Stimme machte sie so neugierig, dass sie vorsichtig um die Ecke lugte. Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen.

In ihrem Geschäft stand ein wahrer Traumtyp – groß und muskulös, mit rabenschwarzem Haar, sexy Dreitagebart und den blausten Augen, die Vanessa jemals gesehen hatte. Der Mann trug eine elegant geschnittene Anzughose und ein hellblaues Hemd, seine italienischen Lederschuhe waren auf Hochglanz poliert – offensichtlich gab er sich nicht nur mit dem Besten zufrieden.

Er selbst war das Beste.

Als der Mann leicht das Gewicht verlagerte, glitt sein Blick von dem kleinen Aquarium nach links; und dabei entdeckte er sie.

„Guten Tag.“ Er lächelte freundlich, während er sich vollständig zu ihr umdrehte. „Arbeiten Sie hier?“

Vanessa schluckte rasch. „Ich bin die Geschäftsführerin.“

„Großartig. Ich interessiere mich für diesen Fisch hier.“

Sie warf einen Blick auf den Goldfisch, der den Mann vor ihm neugierig anzustarren schien. Sie lächelte. „Sieht so aus, als würde er sich noch viel mehr für Sie interessieren.“

Während sie sprach, runzelte der Fremde kurz die Stirn, so als wäre da irgendetwas in ihrer Stimme oder in ihrem Gesicht, das ihm bekannt vorkam.

Als seien sie einander schon einmal begegnet.

Dabei war das ganz sicher nicht der Fall. Daran würde ich mich erinnern, dachte Vanessa.

Im nächsten Moment kehrte das charmante Lächeln zurück, und der Mann deutete mit dem Kopf auf das Aquarium. „Können Sie mir sagen … welches Geschlecht der Fisch hat?“

Diese Frage war Vanessa in den vergangenen zwei Jahren von vielen Kunden ihrer Tierhandlung „Great and Small“ gestellt worden. Sie liebte all ihre Tiere und freute sich jedes Mal riesig, wenn einer ihrer Schützlinge ein liebevolles Heim fand. Freunde waren unheimlich wichtig: Mit Josie und Tia zum Beispiel war sie seit der Highschool verbunden. Aber Familie, wahre Familie … jeder wollte doch eine.

Ob dieser Mann wohl Familie hatte? War er ein Onkel? Ein Vater?

Sie legte eine Hand auf den Rand des Wassertanks. „Männchen haben kleine Punkte auf den Kiemen und der Brustflosse, so wie diese hier.“ Sie zeigte auf die Flossen des kleinen Kerls und fügte dann noch ein interessantes Detail hinzu. „Wussten Sie, dass die Japaner bereits seit über tausend Jahren Goldfische als Haustiere halten?“

In seine wundervollen meerblauen Augen trat ein Funkeln. „Tatsächlich?“

Sie nickte. „Es wurde auch von wissenschaftlicher Seite bestätigt, dass Fische zu beobachten die Nerven beruhigt.“

„Nun, das ist bestimmt billiger als der Psychotherapeut, den ich aufsuche.“

Vanessa fiel die Kinnlade herunter, doch in diesem Moment hob er eine Augenbraue und grinste verschmitzt – hab ich dich drangekriegt schien dieses unverschämte Lächeln zu besagen, und deshalb machte ihr Herz einen Satz.

„Um ehrlich zu sein, besitzt ein Freund von mir ein großes Aquarium“, gab er zu. „Er behauptet, dass es nichts Entspannenderes gibt nach einem langen anstrengenden Tag; als es sich anzuschauen. Kein Wirbel, keine Arbeit. Kein Lärm.“ Er zückte seine Brieftasche. „Akzeptieren Sie Kreditkarten?“

Doch noch ehe er ihr die Karte reichen konnte, richtete sich sein Blick auf eine Kiste im Schaufenster, in der ein Wurf quirliger Rottweiler-Welpen lautstark um Aufmerksamkeit bellte. Vanessa wischte die Hände an ihrer Jeans ab und trat näher. „Die sind verdammt süß, oder? Sind erst heute Morgen eingetroffen.“

Als sein Gesicht einen immer interessierteren Ausdruck annahm, ganz so, als ändere er gerade seine Kaufabsicht, wagte sie sich behutsam vor: „Haben Sie schon mal einen Hund gehabt?“

Den Blick unverwandt auf die niedlichen Welpen gerichtet, zog er die Augenbrauen zusammen. „Ich bin mit Hunden aufgewachsen … sozusagen.“

Vanessa lächelte frech. „Sozusagen aufgewachsen oder sozusagen mit Hunden?“

Sein stahlblauer Blick traf auf ihren – ihr Blut schien sich daraufhin sofort zu erhitzen.

„Pudel.“ Sein Blick senkte sich auf ihren Mund, glitt die Konturen ihrer Lippen entlang und richtete sich dann wieder auf ihre Augen. „Ich bin mit Pudeln aufgewachsen. Die kleinen, die so viel kläffen.“

Sie musste sich noch von diesem Blick erholen, weshalb sie rasch die Hände in die Taschen schob. „Egal wie groß – Pudel sind eine äußerst intelligente Rasse.“

„Ja, sie wissen, wie sie das bekommen, was sie haben wollen.“

„Die Hunde Ihrer Familie waren wohl verwöhnt?“

„Wie jede Frau im Haus.“ Er runzelte die Stirn. „Tut mir leid. Zu viele Details.“

Das machte ihr nichts aus. Im Gegenteil.

Klang so, als hätte er sowohl eine Mutter als auch Schwestern. Die feinen Linien um seine Augenwinkel legten den Schluss nahe, dass er so Ende zwanzig, Anfang dreißig war – zu alt, um noch zu Hause bei den Eltern zu leben. Ob seine Mutter und die Schwestern sehr dominant gewesen waren?

Vanessa gebot sich innerlich Einhalt. Was auch immer sein Background war – sie würde ihn nicht gut genug kennenlernen, um es zu erfahren.

„Diese Welpen sind erst acht Wochen alt. Sie werden noch ganz schön wachsen. Ein gutes Hundekörbchen ist unerlässlich.“ Sie holte eines aus einem nahen Regal hervor. „Ich empfehle diese Marke.“

Dicht neben ihrer Hand rieb er mit der Fingerkuppe über das Material. „Hm. Fest und dennoch weich.“

Wie auf Kommando richteten sich ihre Brustspitzen auf. Im ersten Moment genoss Vanessa das erotische Gefühl, doch dann rief sie sich rasch zur Ordnung.

Großer Gott, Josie hatte recht. Sie brauchte Urlaub. Bei ihrer aktuellen finanziellen Lage war es allerdings mehr als unwahrscheinlich, dass sie in naher Zukunft irgendwo am Strand liegen und Piña Coladas nippen würde. Nein, sie konnte erst dann verreisen, wenn sie wieder schwarze Zahlen schrieb. An ihrem Traum vom Verreisen wollte sie aber in jedem Fall festhalten.

Langsam legte sie das Hundekörbchen beiseite und räusperte sich, damit ihre Stimme nur ja nicht heiser oder belegt klang. „Rottweiler sind hervorragende Wachhunde und tolle Gefährten.“

Wie aufs Stichwort hob der einzige männliche Welpe die Pfoten ans Schaufenster und wackelte so heftig mit dem Schwanz, dass er dabei beinahe zur Seite kippte.

„Er wird viel Auslauf brauchen. Und er muss auch in die Welpenschule.“

„Sozusagen Kindergarten für Hunde.“ Der Fremde verschränkte die Arme über der Brust, dann kratzte er sich an der Schläfe. „Von was für einem Zeitaufwand reden wir hier? Ich komme spät nach Hause und arbeite an den meisten Wochenenden.“

Vanessas Puls verlangsamte sich. Das hätte sie sich denken können. Seine ganze Haltung strahlte Energie und Effizienz aus. Unwillkürlich glitt ihr Blick zu seiner linken Hand – kein Ehering. Doch nicht jeder verheiratete Mann trug einen Ring. Das hatte sie am eigenen Leib erfahren müssen.

„Vielleicht könnte Ihre Frau sich um den Hund kümmern?“

„Ich bin nicht verheiratet.“

„Dann vielleicht eine Freundin?“

Sie war neugierig – natürlich nur zum Wohle des Hundes. Ein sündhaft attraktiver Workaholic interessierte sich nicht für eine ganz normale Frau wie sie, die sich bemühte, die Karriereleiter zu erklimmen – noch dazu eine, die, wann immer sie einen Schritt nach vorne machte, in letzter Zeit ständig gleich drei Schritte zurückgeworfen wurde.

„Meine Haushälterin kommt einmal die Woche.“

Sie lächelte. Das war zum Glück etwas anderes.

Dann kam ihr ein Gedanke. „Wenn ein Hund zu viel Verantwortung ist und ein Fisch vielleicht nicht genug, dann wäre womöglich eine …“

„Sagen Sie jetzt nicht Katze!“ Er reckte das Kinn vor. „Ich mag keine Katzen.“

Beinahe hätte sie die Augen auffällig verdreht. Wie kam es nur, dass Männer und Katzen einfach nicht zusammenpassten?

„Dann vielleicht ein Vogel? Wir haben zauberhafte Wellensittiche. Oder ein Papagei? Sie können ihm das Sprechen beibringen. Und ihn sich auf die Schulter setzen.“

Ihr Kunde schnaubte. „Ganz sicher nicht.“

Entschlossen umrundete er einen älteren Mann, der sich Meerschweinchen anschaute, kehrte zum Aquarium zurück und betrachtete erneut den Fisch, der auf einer Stelle verharrte, Blasen produzierte und zurückstarrte. Der Mann beugte sich vor, hob eine Hand und klopfte gegen das Glas.

Als Vanessa sein Handgelenk berührte – an ein Aquarium klopfen, das durfte man nun wirklich nicht –, spürte sie regelrecht eine Schockwelle durch ihren Körper strömen, die ihr beinahe die Luft zum Atmen raubte.

Der Fremde richtete sich auf und schaute sie merkwürdig an, ganz so, als hätte er den Stromstoß ebenfalls bemerkt. Oder vielleicht sollte dieser Blick auch nur ausdrücken, dass sie die Hände von ihm zu lassen hatte.

Vanessa wich rasch ein Stück zurück. „Viele Menschen haben äußerst befriedigende Beziehungen mit Fischen“, erklärte sie mit unbeabsichtigt heiserer Stimme.

Ein Lächeln trat in seine Augen. „Sie auch?“

Hastig deutete sie auf die Reihe an Wassertanks hinter ihnen. „Wir haben unzählige Fische hier.“

„Aber halten Sie auch zu Hause Fische?“

„Nein.“

„Einen Hund?“

„Das darf ich nicht.“

Er hob eine Augenbraue. „Sie leben noch bei Ihren Eltern?“

Vanessa blinzelte. „Nein, meine Vermieterin erlaubt keine Haustiere.“

„Aber Sie haben Familie hier in der Nähe?“

Bei seiner Frage zog sich ihr Magen schmerzhaft zusammen. Sie war bereits in ganz jungem Alter zur Waisen geworden und daraufhin zu einer Tante an die ländliche Ostküste Australiens gezogen. Sie hatte keine Geschwister, keine Großeltern oder Cousins. Außer ihrer Tante Anne McKenzie gab es niemanden.

Um Fassung bemüht, schluckte sie mehrmals. „Ich bin nicht sicher, was das damit zu tun hat, dass Sie einen Fisch kaufen wollen, Mr. …“

„Stuart. Mitchell Stuart.“ Beinahe verlegen gestikulierte er mit der Hand. „Und Sie haben natürlich recht. Es hat nichts miteinander zu tun. Bitte entschuldigen Sie.“ Er verengte die Augen, betrachtete den stumm glotzenden Fisch und begann dann, langsam zu lächeln. „Ich glaube, dieser kleine Kerl hier ist genau der Richtige.“

Vanessa zwang ihre Gedanken weg von ihrer nicht vorhandenen Familie und konzentrierte sich wieder aufs Geschäft. Sie freute sich für den Goldfisch, der sicherlich in ein gutes Haus kam. Zweifellos würde er nur das beste Fischfutter bekommen, und die Haushälterin würde sein Aquarium regelmäßig reinigen.

Sie hob den Wassertank an. „Haben Sie schon einen Namen im Sinn?“

Mr. Stuart nahm ihr rasch den schweren Tank ab und runzelte die Stirn. „Fische haben Namen?“

Am Ladentisch griff sie nach Fischfutter, Neutralisierer und Wasserfilter und erklärte Mr. Stuart ganz genau, wie er sich um seinen neuen Goldfisch kümmern musste. Nachdem er die Quittung unterschrieben hatte, reichte sie ihm die Kreditkarte zurück. „Ich bin sicher, dass Sie keine Probleme haben werden.“

„Und wenn doch?“

„Dann rufen Sie mich an.“

Sie reichte ihm eine Visitenkarte aus dem Halter auf dem Tisch. Als er danach griff, leuchteten seine Augen triumphierend. „Ich habe ein gutes Gefühl.“

„Dann habe ich das auch.“

Mr. Stuart packte seine Sachen zusammen. Als er an den Welpen vorbeiging, zögerte er noch einmal kurz, doch dann warf er einen Blick über die Schulter und hielt den Fisch mit einem Lächeln hoch, das besagte, er habe die richtige Wahl getroffen.

Vanessa winkte ihm zu. Ein weiterer zufriedener Kunde. Und die Welpen würde sie ganz schnell an liebevolle Familien verkaufen, die genug Zeit hatten, um sich um die Tiere zu kümmern. Vielleicht würde Mitchell Stuart ja eines Tages zurückkehren, wenn er bereit war, eine größere Verpflichtung einzugehen.

Ob sie dann noch hier sein würde? Sie musste einfach ganz fest daran glauben, dass ihr morgiger Termin bei der Bank sie retten würde. Über die Alternative wollte sie gar nicht nachdenken.

Zwei Stunden später drehte sie gerade das Schild an der Tür um, als das Telefon klingelte. Wenn das der Futterlieferant war wegen der noch ausstehenden Rechnungen – der Scheck befand sich garantiert in der Post. Oder falls ihr Vermieter sie daran erinnern wollte, dass sie in zwei Wochen den Laden räumen musste …

Ihr Magen flatterte nervös. Vielleicht ging sie am besten gar nicht ran.

Als es erneut klingelte, zuckte sie zusammen und hob doch ab. Kein Hallo am anderen Ende der Leitung, sondern ein direktes: „Ich habe einen Namen für den Fisch gefunden.“

Die tiefe männliche Stimme klang über das Telefon noch erotischer.

„Mr. Stuart. Hallo.“

„Kamikaze.“

„W-wie bitte?“, stammelte sie.

„Er springt die ganze Zeit aus dem Wassertank heraus. Ganz offensichtlich will er Selbstmord begehen.“

Vanessa sank auf den nächsten Stuhl und rieb sich die Stirn. Oh Gott. „Das passiert manchmal.“

„Ich habe den Tank gefüllt, habe die richtige Menge Neutralisierer hinzugefügt, den Filter installiert und ihn gefüttert. Als ich ihm den Rücken zuwandte, ist er herausgesprungen. Ich habe ihn ins Wasser zurückgesetzt, worauf er sofort wieder herausgesprungen ist, und dann noch einmal.“ Seine Stimme senkte sich zu einem tiefen Knurren. „Offensichtlich ist er unglücklich.“

„Es könnte an verschiedenen Dingen liegen. Vielleicht hat er nicht genug Wasser.“

„Ich habe bereits welches dazugegeben.“

„Dann ist es vielleicht zu viel.“ Sie hörte förmlich, wie er stutzte.

„Ein Fisch kann zu viel Wasser haben?“

„Nur insofern, dass es ihm erleichtert, hinauszuspringen.“ Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum. „Und dann besteht noch die Möglichkeit, dass …“

„Welche Möglichkeit?“

„Na ja, manche Fische sind einfach … Springer.“

Sie hörte sein Stöhnen, dann ein leises Schlurfen, so als habe er sich ebenfalls bewegt und in einen Sessel fallen lassen.

Vanessa umklammerte den Hörer fester. Sie hatte ihm versprochen zu helfen, falls es nötig sein sollte. Die Statistik besagte, dass die meisten Menschen in Geschäften einkauften, die in der Nähe ihres Zuhauses lagen. Ärzte machten Hausbesuche. Warum sollte sie es nicht ebenfalls tun?

„Mr. Stuart, ich habe gerade den Laden geschlossen. Möchten Sie, dass ich kurz vorbeikomme und nachsehe, was ich tun kann?“

„Machen Sie so etwas?“

„Die ganze Zeit“, log sie.

Er atmete erleichtert aus. „Meine Adresse lautet …“

„Hältst du das für witzig?“ Mitch sammelte Kamikaze mithilfe eines Netzes von seinem Esszimmertisch ein und bugsierte ihn vorsichtig zurück ins Wasser. „So, der Spaß ist jetzt vorbei, mein Junge.“

Hilfe war bereits unterwegs. Hilfe in Form einer zierlichen jungen Frau in den Zwanzigern, die er über diese Fischrettungsaktion hinaus nicht näher kennenzulernen gedachte. Oh, nein. Er würde Vanessa Craigs langes glänzendes Haar genauso ignorieren wie ihre leuchtend grünen Augen oder ihr umwerfendes Lächeln. Er nahm gerade eine Auszeit von den Frauen.

Von allen Frauen.

Als sein Vater vor fünfzehn Jahren gestorben war, da war Mitch zum einzigen Mann in der Familie geworden. Obwohl er bereits vor sieben Jahren aus dem beeindruckenden Herrenhaus der Stuarts ausgezogen war, wandten sich alle Frauen in seiner Familie jedes Mal an ihn, wenn sie Hilfe benötigten, … und sie schienen ständig Hilfe zu brauchen. Hilfe bei ihren Finanzangelegenheiten, Hilfe bei Reparaturarbeiten, Hilfe bei Computerproblemen oder Flugbuchungen – egal um was es sich handelte, Mitch wurde angerufen.

Es war beinahe wie ein Virus, der ihn sogar bis in seine privaten Beziehungen hinein verfolgte. Das aufstrebende Unterwäsche-Model Priscilla Lawson hatte bei ihrer ersten Begegnung bei einem Wohltätigkeitsdinner noch einen äußerst unabhängigen Eindruck gemacht. Nach drei gemeinsamen Wochen war ihre Affäre gerade so richtig ins Laufen geraten, da erwähnte Priscilla eines Abends eine große Familienzusammenkunft … Ob es ihm etwas ausmachen würde, ihren Flug nach Melbourne zu buchen und, während sie fort war, ihren Pool zu reinigen und die Katze zum monatlichen Check-up zu bringen? Das Tier hatte Leberprobleme.

Seine Nackenhaare stellten sich auf.

Er hasste Katzen.

Aber dieser Rottweiler-Welpe hatte ihm wirklich gefallen …

Er war ein viel beschäftigter Mann. Seine Arbeit war sein Leben. Auch wenn er nette Kollegen im Büro hatte und genug Freunde, mit denen er die Wochenenden verbringen konnte – zumindest wenn er denn die Zeit dazu hatte –, so verspürte er dennoch das Bedürfnis, zu jemandem nach Hause zu kommen. Jemandem Männlichem, mit dem er Fußball gucken konnte, ohne dass darüber gestöhnt wurde, der sich nicht beklagte, wenn er die Füße auf den Couchtisch legte, der nicht mit den Wimpern klimperte oder in Tränen ausbrach, um seinen Willen durchzusetzen. Jemand, der weder viel Aufmerksamkeit noch Gefühle verlangte.

Er betrachtete seinen glupschäugigen Freund.

Ein Goldfisch war genau der Richtige.

Als die Türklingel durch die zwei Stockwerke mit exklusivem Blick auf Sydneys berühmten Hafen hallte, straffte Mitch die Schultern und hob einen warnenden Finger in Richtung Kamikaze. „Rühr ja keine Flosse, bis ich zurück bin.“

Kurz darauf öffnete er die Tür, und da stand sie vor ihm, frisch und unbekümmert. Ihre langen Beine steckten in einer verteufelt engen Jeans, und unter dem knapp sitzenden weißen T-Shirt mit der pinkfarbenen Aufschrift „Great and Small“ zeichneten sich deutlich volle, verführerische Brüste ab. Verdammt, sie sah wirklich heiß aus …

Mitch rief sich sofort zur Ordnung.

Herrgott, was tat er denn da? Sich diese Frau nackt vorzustellen, war keine gute Idee. Genau genommen, war es mehr als unangemessen.

Denk an den Fisch, Mitch. Mit den Frauen bist du durch.

Er räusperte sich und bat sie hinein. „Vielen Dank, dass Sie so schnell gekommen sind. Er ist da drüben.“

Im Esszimmer ging Vanessa Craig etwas in die Knie, legte die Hände darauf und inspizierte den Patienten, während Mitch zurücktrat und auf die Diagnose wartete. Die Untersuchung dauerte eine Weile, dabei beugte sie sich noch etwas weiter vor, sodass ihr Po sich ihm verführerisch entgegenreckte. Himmel, das konnte er jetzt wirklich nicht gebrauchen …

Endlich richtete sie sich wieder auf. Doch sie bog den Rücken durch, sodass sich nun ihre Brüste gegen den Stoff des T-Shirts pressten. Mitch bemühte sich sehr, ihr nur in die Augen zu schauen.

Ihre Frage klang düster. „Wann ist er das letzte Mal herausgesprungen?“

„Unmittelbar bevor Sie gekommen sind.“

„Und davor?“

„Ungefähr vor zehn Minuten.“

Nachdenklich strich sie sich über das Kinn. „Es könnte sein, dass er sich noch an seine neue Umgebung gewöhnen muss.“

„Oder ich wache morgen früh auf, und er …“ Mist. Daran wollte er nicht mal denken.

Sie verschränkte die Arme über der Brust, kaute an ihrer Unterlippe und suchte nach einer Antwort. Ihr Mund war von Natur aus voll und rosig. Wie zum Küssen gemacht, mit äußerst attraktiven Grübchen links und rechts davon, was ihm bereits in ihrem Geschäft aufgefallen war.

„Was, wenn wir einen größeren Tank ausprobieren?“, schlug sie vor.

Mitch konzentrierte sich wieder auf das unmittelbare Problem. „Der Plan klingt gut.“ Besonders wenn ich dann morgen früh keinen toten Fisch vorfinde.

Sie ging auf die Tür zu. „Gut. Ich habe einen mitgebracht. Er ist draußen auf Ihrer Veranda.“

Lächelnd folgte er ihr. Vanessa Craig war intelligent, hilfsbereit und offensichtlich gut vorbereitet. Außerdem führte sie ihr eigenes Geschäft. Ob bei ihr Gewinne und Verluste in einem vernünftigen Verhältnis zueinander standen? Natürlich wusste er, dass nicht nur Frauen in Schwierigkeiten gerieten, aber in den vergangenen Jahren hatte es oft genug so gewirkt.

Er half Vanessa, den größeren Tank hereinzutragen, ihn mit Wasser zu füllen und das Neutralisierungsmittel hinzuzufügen.

Während sie den Wasserfilter installierte, nickte sie beinahe schüchtern in Richtung eines Fotos an der Wand. „Ist das Ihre Familie?“

Wie immer schnürte sich ihm beim Anblick des Bildes die Brust zu. Er spürte eine Mischung aus Zuneigung und Bedauern. Auf dem Foto saß sein Vater auf einem roten Sofa, umgeben von seiner Frau, seinen vier Töchtern und dem einzigen Sohn.

Mitch strich mit der Hand den Rand des Wassertanks entlang. „Mein Vater ist, kurz nachdem diese Aufnahme gemacht wurde, gestorben.“ Nur wenige Tage vor Mitchs fünfzehntem Geburtstag.

Als sie den Filter aktivierte, streifte ihre Hand versehentlich seine. Sofort beschleunigte sich sein Herzschlag, genauso wie zuvor in ihrem Geschäft, als sie sich berührt hatten. Er empfand die Reaktion als gefährlich angenehm.

Ihre Blicke begegneten sich – in ihrem lag Überraschung gepaart mit jähem Verstehen. Rasch schaute sie zu Boden und wich ein Stück zurück. „Das tut mir leid … das mit Ihrem Dad.“

Er konzentrierte sich wieder auf den Gegenstand ihres Gesprächs. „Er war ein guter Mann, aber sehr altmodisch. Er hat fest an strenge Liebe geglaubt.“

Ihr Mund wurde zu einer dünnen Linie. „Wer die Rute spart, verzieht das Kind?“

„Nein, nein, ganz im Gegenteil. Aber bei uns zu Hause hatte jede Tat ihre Konsequenzen.“ Mein Gott, wie oft hatte er sich die Standpauken in Sachen Verantwortung und Pflichterfüllung anhören müssen? Immer wieder hatte sein Vater ihm eingeschärft, dass er diejenigen an erste Stelle setzen musste, die er liebte. „Wir wurden bedingungslos geliebt, aber wir konnten uns nicht viel erlauben. Dafür schenkte er uns seine ungeteilte Aufmerksamkeit, wann immer wir sie brauchten.“

Ihre grünen Augen nahmen einen ganz besonderen Schimmer an, der ihn an die Blätter der Linde erinnerten, die vor ihrem Geschäft wuchs.

„Sie müssen ihn alle sehr vermissen“, murmelte sie leise.

Er nickte. Ich vermisse ihn jeden Tag.

Was hätte sein Vater wohl in dem aktuellen Familiendrama getan? Am Vorabend erst hatte seine Schwester Cynthia, die gerade mal zweiundzwanzig war, ihre Verlobung mit dem größten Widerling aller Zeiten verkündet. Ihre snobistische Mutter war in Freudenbekundungen ausgebrochen, was Mitch schon überrascht hatte. Der Typ mochte ja ein gut verdienender Arzt sein, aber er war auch ein notorischer Spieler.

Wie in aller Welt sollte er Menschen beschützen, die sich kopfüber ins Unglück stürzten?

Stöhnend rührte er das frisch eingelassene Wasser mit dem Netz um.

Vermutlich würde er sich irgendetwas einfallen lassen. Oder auch nicht. Vielleicht sollte er es diesmal die Frauen selbst regeln lassen. Er konnte seiner Schwester ja schlecht vorschreiben, wen sie heiraten sollte, auch wenn er ihr nur zu gern gesagt hätte, wen sie nicht heiraten durfte.

Mitch warf einen verstohlenen Blick auf seine attraktive Besucherin. Ob Vanessa Craig sehr ehrgeizig war in geschäftlicher Hinsicht, oder lag ihr mehr am Privatleben? Wollte sie einen guten Fang machen? Seine Schwestern schienen an kaum etwas anderes als Babys zu denken. Wozu die Eile? Er würde sich da noch eine ganze Menge Zeit lassen.

Er legte das Netz ab. „Was ist mit Ihnen?“

Vanessa schaute ihn überrascht an. „Was soll mit mir sein?“

„Familie. Sie haben nicht erwähnt, ob Ihre hier in der Nähe lebt.“

Sie zuckte kurz die Achseln. „Ich habe keine Familie.“

Keine Familie? Die Vorstellung war äußerst befremdlich. Und in mancherlei Hinsicht verblüffend verführerisch. Keine Verpflichtungen. Keine Ansprüche. Keine Erwartungen. „Gar keine?“

Sie wischte sich die Hand an der Jeans ab und hinterließ dabei einen nassen Abdruck auf dem wohlgeformten Oberschenkel. „Ich habe eine Tante. Tolle Freunde und natürlich meine Tiere …“, sie lächelte betont heiter, „… insofern ist mein Leben durchaus erfüllt.“

Sollte das ein versteckter Hinweis sein, dass sie nicht auf der Suche nach Romantik war? Nun, ihm ging es ebenso … auch wenn seine wachsende Neugier etwas anderes besagte. Vanessa Craig hatte etwas an sich – etwas Faszinierendes, das über ihre wunderschönen grünen Augen hinausging und ihn in seinen Bann zog.

Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, ergriff das Netz und verfrachtete Kami behutsam in sein neues Zuhause. Der kleine Goldfisch bewegte munter die Flossen und erkundete neugierig die ungewohnte Umgebung. Mitch stieß einen erleichterten Seufzer aus. „Er sieht schon viel glücklicher aus.“

„Hoffentlich funktioniert der Trick.“

„Nach all der Anstrengung müsste er eigentlich gut schlafen.“ Was ihm sehr lieb gewesen wäre – er hatte nämlich noch einiges an Papierkram zu erledigen.

„Fische schlafen nicht“, versetzte Vanessa. „Sie verlangsamen ihren Stoffwechsel und ruhen nur.“ Sie kniete sich hin, um die Verpackung des Tanks zusammenzufalten. „Delfine schlafen natürlich schon“, fuhr sie fort. „Aber das sind ja auch Säugetiere. Sie halten eine Hälfte ihres Gehirns wach, während die andere schläft.“

Fasziniert begab Mitch sich ebenfalls auf die Knie. Natürlich hatte er gewusst, dass Delfine keine Fische waren. „Sie sind wach, während sie schlafen?“ Offensichtlich musste er sein Allgemeinwissen aufpolieren.

Er half ihr beim Zusammenpacken. „Haben Sie Meeresbiologie studiert?“

„Nein, Zoologie. Und BWL und ein wenig griechische Mythologie.“ Während sie weiteres Verpackungsmaterial zusammenraffte, fiel ihr seidiges Haar wie ein schimmernder Vorhang über ihren Rücken. „Wussten Sie, dass die alten Griechen glaubten, Delfine seien einst Menschen gewesen? Es gibt eine Schule, die besagt, dass auch Poseidon einst ein Mensch war.“

Interessiert rückte er näher an sie heran. Ihre Stimme war so melodisch … so wohlklingend. „Ist das wahr?“

„In der traditionellen Mythologie gehörte er zu den obersten Göttern“, verriet sie. „Als die Schöpfung zwischen den Göttern aufgeteilt wurde, erhielt Hades die Unterwelt, Zeus beherrschte den Himmel, und Poseidon wurde zum Herrn der Meere. Sein Sohn Triton war halb Mensch, halb Fisch.“

Vollkommen gebannt griff Mitch ohne hinzuschauen nach dem Styropor, während sie die Hand ebenfalls danach ausstreckte. Ihre Finger berührten sich. Erneut ein Stromschlag, der immer mehr an Kraft zunahm. Doch während die sexuelle Anziehung wie eine Stichflamme aufloderte, verpuffte das Gefühl der Verlegenheit.

Sie tauschten ein kurzes wissendes Lächeln, dann stand Vanessa auf.

Er wollte jedoch noch mehr hören. „Also beginnt die Legende der Meerjungfrau bei den alten Griechen?“

Sie nickte. „Aber ursprünglich nannte man Meerjungfrauen Sirenen. Angeblich waren sie halb Frau, halb Vogel. Sie hatten wunderschöne Stimmen, mit denen sie die Seeleute und ihre Schiffe zu den Klippen lockten, an denen sie dann zerschellten. Wenn ein Schiff doch einmal entkam, musste sich die Sirene ins Meer stürzen.“

Langsam erhob sich auch Mitch. Dabei nützte er die Gelegenheit, seinen Blick an ihrem verführerischen Körper hinaufwandern zu lassen. Er lehnte sich mit der Hüfte gegen den Esstisch. „Hat einer der Seeleute versucht, zu widerstehen?“

„Einer. Er hatte von den hypnotischen und tödlichen Kräften der Sirenen gehört. Von seiner Crew ließ er sich deshalb an den Schiffsmast binden, damit er sie nicht ins Verderben stürzen konnte. Doch als er die schöne Sirene am Ufer erblickte und ihren süßen Gesang hörte, da flehte er seine Leute an, ihn loszubinden.“

Er blickte ihr tief in die meergrünen Augen. „Wer hat gewonnen?“

Sie lachte. „Das kommt darauf an, ob man Sirene oder Seemann ist.“

Mitch erwiderte ihr Lächeln, doch es verschwand, als sich sein Blick auf ihren Mund senkte. Auf diese vollen rosigen Lippen. Nur ein paar Zentimeter musste er näher ran, und er könnte sie kosten. Sie erkunden. Natürlich rührte diese spontane Anziehung nur daher, dass er schon so lange mit keiner Frau mehr zusammen gewesen war. Vanessa war attraktiv, intelligent und unheimlich sexy.

Außerdem verfügte sie über einen großen Unabhängigkeitssinn. Eine starke, aber kameradschaftliche Frau. Seine Art Frau.

Er durchbrach den Bann, indem er die Kiste vom Boden aufhob. „Haben Sie Ihr Geschäft schon lang?“

„Zwei Jahre.“

„Läuft es gut?“

Ihr Lächeln verblasste. Sie zuckte die Achseln. „Sicher. Abgesehen davon, dass ich in zwei Wochen den Laden räumen muss, den ich liebe, um dann nach einem anderen Ort zu suchen, dessen Miete ich mir halbwegs leisten kann. Morgen habe ich einen Termin mit meinem Bankberater und …“ Sie seufzte verlegen. „Tut mir leid. Das waren jetzt wirklich zu viele Details.“

Ihm war eiskalt geworden, dennoch schaffte Mitch es, ihr ein Lächeln zu schenken. „Nein, nein, überhaupt nicht.“

Eher gerade genug. In zwei Wochen würde er den Vorsitz des Familienunternehmens einnehmen, so wie es im Testament seines Vaters verfügt war – und sofern sein Mentor nicht doch noch anders entschied. Wenn jemand sich mit Finanzen auskannte, dann war es der zukünftige Präsident von „Stuart Investments and Loans“.

Doch mal ehrlich – er und Vanessa Craig waren allenfalls flüchtige Bekannte. Auch wenn sie noch so sexy war, so würde er die Warnzeichen keinesfalls ignorieren. Zwangsräumung. Finanzieller Bankrott. Vor ihm stand eine wandelnde Zeitbombe. Gott allein wusste, dass er bereits genug Sorgen hatte, da musste er sich nicht noch ein weiteres Problem aufhalsen.

Rasch schaute er sich um. „Wir scheinen alles zu haben“, verkündete er betont heiter. „Was schulde ich Ihnen?“

Natürlich erkannte sie sofort, dass er ihren Besuch damit beenden wollte. Ihr Lächeln verschwand. „Nichts.“

„Aber der größere Tank ist doch bestimmt teurer.“

„Das ist alles Teil des Service.“ Sie deutete mit einem Kopfnicken auf ihre Visitenkarte auf dem Tisch. „Und falls Sie in den nächsten paar Tagen noch mal Hilfe benötigen sollten, wissen Sie ja, wo Sie mich finden kö…“

„Natürlich.“ Er griff mit der freien Hand nach der Karte, wie um zu unterstreichen, dass er sie sofort anrufen würde. „Ich bringe Sie hinaus.“

Im nächsten Moment öffnete er die Haustür und schaute in die rotgoldenen Strahlen der untergehenden Abendsonne.

„Auf Wiedersehen, Mr. Stuart“, verabschiedete sich Vanessa. „Viel Glück!“

„Ja, danke. Ihnen auch.“

Sie würde es brauchen.

Als er die Tür schloss und langsam ausatmete, warf er ihre Karte auf den Tisch an der Garderobe und leistete einen Schwur. Wenn er noch mal Probleme mit Kamikaze hatte, würde er einen Fischexperten anrufen. Den fand man doch bestimmt in den Gelben Seiten. Die sicherste Art, sich nicht zu verbrennen, war die, sich vom Feuer fernzuhalten, auch wenn die Flammen noch so attraktiv waren.

Doch während er ins Wohnzimmer hinüberging, gaukelte seine Fantasie ihm ein reizvolles Bild vor … diese verführerischen Hüften, die vollen Brüste, ihre hypnotische Stimme und das zauberhafte Lächeln.

Mitch brach der Schweiß aus. Kurzerhand drehte er sich um, ging zurück, griff nach der Karte und zerriss sie.

Schöne Sirenen. Seeleute, die mit ihren Schiffen untergingen. Er schenkte sich einen Whisky ein und setzte sich an die Arbeit. Das Aquarium mit seinem neuen Bewohner behielt er dabei im Auge. Er versuchte gerade, Vanessa Craig und ihre sinnlichen Lippen in die hinterste Ecke seines Gehirns zu verbannen, als es an der Tür klingelte.

Laut stellte er das Glas ab. Was denn jetzt?

Als er die Tür öffnete, machte sein Herz einen Satz.

„Ich schon wieder.“ Vanessa Craig lächelte entschuldigend und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich war schon am Ende der Straße angelangt, da fiel mir ein, dass ich den kleineren Wassertank vergessen habe. Ich bin sicher, Sie wollen nicht, dass er nutzlos in Ihrem wunderschönen Haus herumsteht …“

Die Worte verebbten im selben Moment, in dem sie bestürzt die Augen aufriss. Ihr Blick war Richtung der Garderobe hinter ihm gewandert – zu ihrer zerrissenen Visitenkarte.

Während ihn ein furchtbar schlechtes Gewissen überfiel, blinzelte sie mehrmals, dann setzte sie ein schwaches Lächeln auf, das ihre Verletzung überspielen sollte. „Himmel, ich hätte nicht gedacht, dass ich einen solch schlechten Eindruck gemacht habe.“

Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Zum Teufel!

„Es ist nicht so, wie es aussieht.“

Sie lachte nur kurz. „Es sieht so aus, als könnten Sie den Anblick meines Namens nicht ertragen.“

Er stöhnte. Sie verstand es vollkommen falsch, doch das konnte er ihr nicht sagen. Wie sollte er das erklären?

Vanessa hob tapfer das Kinn. „Egal was Sie von meinem heutigen Service halten mögen, Sie haben absolut das Recht dazu. Der Kunde ist König. Immer.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln und machte dann auf dem Absatz kehrt.

„Auch wenn der Kunde es völlig vermasselt“, rief er ihr hinterher, „weil er sich zu der Geschäftsinhaberin hingezogen fühlt?“

Überrascht drehte sie sich um. „Was haben Sie da gesagt?“

Mitch umklammerte die Türklinke und gab das Offensichtliche zu. „Ich fühle mich zu Ihnen hingezogen.“

Vollkommen konsterniert schüttelte sie den Kopf. „Und deshalb wollen Sie mich nicht wieder kontaktieren?“

Sie hatte recht. Seine Logik war völlig verdreht, zumal jetzt, wo sie zurück war und ihre Lippen ihm so nah, dass er sich schon fragte, worauf er eigentlich wartete?

Er hielt den Atem an.

Ja, genau, worauf wartete er?

Er ließ die Türklinke los, legte die Hände um ihre Oberarme, zog sie an sich und senkte seinen Mund auf ihren.

Sie versteifte sich und presste die Hände gegen seine Brust, doch er ließ sie nicht los …, wenn er ehrlich war, so konnte er es einfach nicht. Die Hitze zwischen ihnen schmiedete ihre Körper aneinander. Sie konnte sich dem genauso wenig entziehen wie er.

Als sie die Lippen öffnete, vertiefte sich der Kuss und wurde zu etwas ganz Besonderem. Vanessa seufzte verzückt, während Mitch sich bereits vorstellte, wie er ihr das T-Shirt über den Kopf zog und mit den Händen über den süßesten Himmel auf Erden strich. Sein Blut begann zu kochen. Er wollte nicht aufhören.

Dennoch beendete er irgendwann widerstrebend den Kuss, der zuvor noch einmal aufloderte, sodass sein Blut wie flüssige Lava durch seine Adern floss, als sie sich voneinander lösten.

Ihre Augen waren geschlossen, ihre Atmung kam abgehackt. Selbst völlig außer Atem murmelte er an ihren warmen Lippen: „Verstehst du jetzt, was ich meine?“

Sie blinzelte. Schließlich blickte sie ihn offen an. „Du wolltest mich küssen?“

„Und wie.“

„Und du dachtest, ich würde es nicht wollen?“

Er zuckte beinahe zusammen. „Nicht ganz.“

Ihre Schultern sackten herab. „Geht es um eine andere Frau?“

Er stöhnte leise. „Nicht nur eine.“

Als sie sich aus seiner Umarmung löste, strich er sich hektisch über die Stirn. Wie sollte er ihr erklären, dass er nicht noch mehr Verpflichtungen gebrauchen konnte?

„Was ich meine ist … sexuelle Anziehung ist eine Sache, aber Kompatibilität sollte aufbauen auf …“ Er verstummte, dann versuchte er es erneut. „Wenn zwei Menschen zusammenkommen, dann sollten sie auf derselben Seite stehen, was …“ Nein, das stimmte nicht. Er holte tief Luft. „Nun, die Sache ist die …“

„Sie sollten in ein und derselben Liga spielen?“ Verletzt warf sie einen Blick in sein großzügiges Wohnzimmer mit dem unbezahlbaren Blick auf den Hafen. „Willst du das damit sagen?“

Mitch atmete aus. „Ich will nur sagen, dass wir uns nicht besonders gut kennen.“

„Aber du hast entschieden, dass du bereits genug über mich weißt.“

„Vanessa …“

Während er einen Schritt nach vorne machte, wich sie zurück und hob eine Hand. „Es muss Ihnen nicht peinlich sein, Mr. Stuart. Ich weiß, wie die Welt funktioniert und bin da ganz pragmatisch.“ Sie trat um ihn herum und nahm ihre zerrissene Visitenkarte vom Tisch. „Nur für den Fall, dass Sie in Versuchung geraten sollten.“

Mit nervtötender Ruhe schloss sie die Tür hinter sich. Er musste seine ganze Willenskraft aufbringen, um die Tür nicht wieder aufzureißen und sie erneut in seine Arme zu ziehen, wo sie hinzugehören schien. Er hatte sie küssen und in seinen Armen halten wollen … In diesem Augenblick des Wahnsinns, da hatte er ihr die Kleider vom Leib reißen und sie die ganze Nacht lang lieben wollen.

Doch wie er bereits gesagt hatte – er kannte diese Frau kaum, und er musste schon genug in Not geratene Jungfern retten. Es wäre unklug, sich auf sie einzulassen. Genau genommen, sollte er seinem Glücksstern danken, dass es vorbei war, bevor es überhaupt angefangen hatte.

Mitch ging zur Bar hinüber und goss sich einen frischen Whisky ein. Erst trank er einen Schluck, dann einen zweiten. Doch schon bald knallte er frustriert das Glas auf den Tisch.

Ob er es nun wollte oder nicht, er war schon mittendrin. Er wollte Vanessa Craig nämlich wiedersehen. Er wollte ihren Geschichten lauschen. Ihre süßen Lippen kosten. Verdammt noch mal, er wollte ihr helfen.

Die 1-Million-Dollar-Frage war nur …

2. KAPITEL

Wie komme ich aus diesem Schlamassel raus?

Am folgenden Nachmittag saß Vanessa auf der obersten Treppenstufe des Sydneyer Opernhauses. Kreischende Seemöwen flogen über sie hinweg, während Touristen und andere Besucher die beeindruckende Architektur der Oper bewunderten.

Der Bau hatte siebzehn Jahre gedauert. Das Ergebnis war sowohl in ästhetischer, akustischer wie patriotischer Hinsicht eine Meisterleistung. Wann immer Vanessa Kraft und Inspiration brauchte, kam sie hierher, um sich vor Augen zu führen, was möglich war, wenn man es nur versuchte.

Gerade blickte sie über das Wasser hinweg, an den funkelnden Stahlbögen der Harbour Bridge vorbei in die ungewisse Zukunft.

Seit ihrem zehnten Lebensjahr – als sie endgültig akzeptiert hatte, dass ihre Eltern nicht mehr kommen würden, um sie bei Tante Anne abzuholen – legte sie all ihr Herzblut darein, für andere ein Zuhause zu finden. Diese Aufgabe machte sie glücklich. Ohne ihr Geschäft – ihre Berufung – fühlte sie sich …

Sie blickte zu den Seemöwen hinauf.

Verloren.

Ihr Handy klingelte. „Great and Small, Vanessa am Apparat.“

„Oh, ich bin ja so froh, dass ich Sie persönlich erwische.“

Die überschwängliche Frauenstimme kam Vanessa kein bisschen bekannt vor. Wer konnte das sein? Eine weitere Gläubigerin?

Sie unterdrückte mit Mühe einen Seufzer. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Mein Sohn Mitchell hat mir Ihre Nummer gegeben. Er sagte, Sie seien die Lady, die mir helfen könne.“ Ihre Stimme senkte sich. „Er erwähnte, dass Sie auch Hausbesuche machen.“

Vanessa streckte sich. Mitchell Stuart, alias Mr. Goldfisch?

Als sie sich mit ihm über Sirenen unterhalten hatte, hatte es einen Punkt gegeben, an dem sie sich beinahe magisch zu ihm hingezogen fühlte. Doch dann hatte sich sein Gesichtsausdruck verändert, und sie wusste auch, warum.

Dummerweise hatte sie einem Fremden gegenüber ihre desaströse finanzielle Lage erwähnt. Vermutlich war sie ihm geradezu bedürftig vorgekommen …, womöglich hatte er sogar den Eindruck, sie bitte ihn um Geld! Dabei war sie ganz bescheiden aufgewachsen und dazu erzogen worden, Beharrlichkeit und Würde zu schätzen. Sie hätte es wirklich besser wissen müssen.

Himmel, sie hätte niemals zurückkehren sollen, um den kleineren Tank zu holen. Und vor allen Dingen hätte sie sich nicht von ihm küssen lassen dürfen. Auch wenn sie den Kuss beide genossen hatten – das reichte noch lange nicht. Gleich zu Anfang, als er in ihr Geschäft gekommen war, da hatte sie ihn ganz richtig eingeschätzt.

Gleich und gleich gesellt sich gern. Männer wie er – mit Geld und gut situierter Familie – gaben sich nicht mit Frauen wie ihr ab. Allerdings konnte sie schlecht einfach auflegen, jetzt, wo sie seine Mutter am Apparat hatte.

Sie holte tief Luft. „Was kann ich für Sie tun, Mrs. Stuart?“

„Es geht um Cockapoos.“

„Ah, Sie interessieren sich für diese Kreuzung aus Cockerspaniel und Pudel.“

„Ja, in der Vergangenheit hatte ich ja immer Zwergpudel.“

Vanessa erinnerte sich. Die kleinen, die immer kläfften. Ob Mrs. Stuart einen Welpen kaufen wollte? „Im Moment habe ich leider keine Cockapoos im Laden.“

„Mein Sohn hält sehr viel von Ihnen. Er meinte, dass Sie mir sicher helfen könnten. Ich bin daran interessiert, vier Welpen so schnell wie möglich zu kaufen. Ich wäre auch bereit, es mir einiges kosten zu lassen.“

Vanessa umklammerte das Handy fester. Der Bankberater, mit dem sie am Nachmittag gesprochen hatte, hatte ihren Kreditwunsch eiskalt abgelehnt. Seine exakten Worte: Es ist das Beste, sich den Tatsachen zu stellen. Begrenzen Sie den Schaden und suchen Sie sich einen Job mit einem festen Einkommen. Aber Cockapoos brachten sehr viel Geld ein. Wenn sie vier verkaufen würde, dann konnte sie sich mit dem Erlös die Gläubiger vielleicht eine Weile vom Hals halten – möglicherweise lange genug, um Great and Small wieder in die Gewinnzone zu bringen.

Wenn es irgendwie ging, dann wollte sie unbedingt dort bleiben, wo sie jetzt war. Der Laden sah genau so aus, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Er war für sie viel mehr als nur ein Geschäft.

Es war ihr Zuhause.

„Miss Craig? Sind Sie noch dran?“

Vanessa stand auf. „Wie schnell wollen Sie die Welpen haben?“

„Je schneller, desto besser.“

Sie lief bereits die Treppe hinunter, das Handy noch immer ans Ohr gepresst. „Ich werde ein paar Erkundigungen einholen und rufe Sie dann zurück.“

„Es wäre mir lieber, wenn Sie vorbeikommen könnten.“

Nur um ein paar Informationen weiterzugeben? Das hielt sie zwar für übertrieben, doch Mrs. Stuart klang reichlich verwöhnt, und Vanessa war schließlich nicht in der Position, darüber Diskussionen zu führen.

Dreißig Minuten und drei Telefonate später parkte sie ihren Honda CRV vor dem Haus, dessen Adresse Mrs. Stuart ihr genannt hatte. Es war ein richtiges Herrenhaus, dessen heller Sandstein wunderbar mit dem gepflegten Rasen drum herum kontrastierte. Der Union Jack und die australische Flagge wehten in der kühlen Abendbrise am Mast des Daches.

Vanessa hatte Mitchs stilvolles Penthouse ja schon für etwas Besonderes gehalten, aber diese Residenz sah aus, als gehöre die Besitzerin der Aristokratie an. Wenn sie an ihr Einzimmerapartment mit den zusammengestückelten Möbeln dachte, musste sie seufzen. Seine Welt und ihre waren nicht nur meilenweit voneinander entfernt – zwischen ihnen lagen Lichtjahre!

Mühsam versuchte sie ihre Nervosität in den Griff zu bekommen und ging die Steintreppe hinauf, die zu einem imposanten Portal aus massiver Eiche führte. Kurz nachdem sie geläutet hatte, öffnete ein Dienstmädchen, das einen starken Überbiss hatte. Doch noch ehe eine von beiden etwas sagen konnte, tauchte auch schon Mrs. Stuart auf.

„Kommen Sie, kommen Sie!“ Mrs. Stuart winkte Vanessa herein und rief dann über die Schulter: „Cynthia! Die Hunde-Lady ist da.“

Vanessa zuckte innerlich zusammen. Hatte Mitch sie etwa so genannt?

Mrs. Stuart wandte sich an das Dienstmädchen. „Vielen Dank, Wendy. Ich kümmere mich jetzt um unseren Gast.“

Wendy zog sich zurück, während Mrs. Stuart sich bei Vanessa einhakte und sie durch das elegante Foyer, in dem Marmor dominierte, in ein nicht minder elegantes Wohnzimmer führte – der Raum war mit Antiquitäten möbliert und sah aus wie aus der Zeitschrift Wohnsitze der Schönen und Reichen.

Auf dem Sofa an der gegenüberliegenden Wand saß eine junge Frau mit rot geweinten Augen, deren Haar so blond wie das ihrer Mutter war. Die Nase hatte sie gerade in ein mit Spitze besetztes Taschentuch gesteckt.

Cynthia fand jedoch die Kraft, ein „Nett, Sie kennenzulernen“ zu murmeln.

Mrs. Stuart schlug die mit Diamanten und Rubinen beringten Hände zusammen. „Unsere Cynthia macht gerade eine schwere Zeit durch. Vorgestern war sie noch verlobt, heute ist sie es bedauerlicherweise nicht mehr.“

Vanessa hob eine Augenbraue. Auch wenn diese Leute nichts dabei fanden, ihr Privatleben offen auszubreiten, hatte sie nach der gestrigen Erfahrung mit Mitch Stuart ihre Lektion gelernt. Sie würde keinesfalls verraten, dass sie etwas Ähnliches durchgemacht hatte.

Vor einiger Zeit war sie mit einem gut aussehenden Mann von einigem Wohlstand ausgegangen. Er war sehr charmant gewesen, aber er hatte etwas an sich, das bei ihr die Warnglocken angehen ließ. Als er ihr tatsächlich einen Heiratsantrag machte, fühlte sie sich zwar geschmeichelt, doch überzeugt war sie nicht. Zum Glück hatte sie den Antrag nicht angenommen, denn am nächsten Tag klingelte ihr Telefon – anscheinend war er bereits mit einer Frau verlobt, die vom Status her besser zu ihm passte. Die erzürnte Anruferin teilte ihr in hochmütigem Tonfall mit, dass Vanessa für ihn nur ein „kleines unbedeutendes Intermezzo“ sei.

Zum Glück verdrehten Tiere weder die Wahrheit, noch logen sie rundheraus. Man bekam das, was man sah.

„Das tut mir leid für Sie“, äußerte Vanessa aufrichtig. Dann straffte sie die Schultern und kam zum Geschäftlichen. „Sie wollten vier Cockapoos kaufen?“

Mrs. Stuart setzte sich neben ihre Tochter und tätschelte ihr die Hand. „Cynthia wollte schon vor … dieser schrecklichen Sache einen Cockapoo haben. Ich schlug ihr vor, lieber zwei zu nehmen, damit die Hunde einander als Gesellschaft haben. Dann kam ich ins Überlegen. Mein Liebling Sheba ist vor sechs Monaten gestorben, und da beschloss ich nun, mir ebenfalls zwei Cockapoos zuzulegen. Cynthia und ihre ältere Schwester wohnen in dem Cottage auf unserem Grundstück. Insofern wird es eine richtige kleine Familie sein.“

Vanessas Herz erwärmte sich. Wie gern hätte sie Geschwister gehabt … laute Weihnachten und Geburtstage, Sonntagsdinner, bei denen die ganze Familie zusammenkam. Vielleicht würde sie das eines Tages haben – wenn sie Glück hatte.

„Ich habe ein paar Anrufe getätigt“, erklärte sie. Hunde waren eine großartige Gesellschaft, vor allem wenn man einen Freund brauchte, der einen nicht verurteilte und immer zuhörte. Der Instinkt sagte ihr, dass die Welpen, die sie an diese Frauen vermitteln würde, ein glückliches Leben führen würden. „Ein Wurf, der von einem als Weltmeister ausgezeichneten Rüden gezeugt wurde, wird noch diese Woche zum Verkauf stehen. Ist das zu früh?“

Mrs. Stuart drückte die Hand ihrer Tochter. „Je eher, desto besser.“ Ihr Blick glitt nach links, und ihr Gesicht hellte sich auf. „Mitch, Darling. Deine Freundin ist hier.“

Vanessa blieb beinahe das Herz stehen. Plötzlich drehte sich alles um sie herum.

Großer Gott, sie hatte nicht gewusst, dass er da sein würde!

Hastig wirbelte sie herum und sah, wie der atemberaubende Mitch Stuart den Raum betrat. Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus. Sie wusste nicht, ob sie lieber aus dem Haus geflohen wäre oder sich in seine Arme gestürzt hätte.

Er sprach zu seiner Mutter, doch seine strahlend blauen Augen waren unverwandt auf Vanessa gerichtet. „Miss Craig und ich sind Bekannte, Mutter.“

„Dann ist es deine Bekannte, die uns wirklich unheimlich hilft“, entgegnete Mrs. Stuart. „Vanessa meint, dass wir die Welpen Ende der Woche haben können.“

Er lächelte, was seine Augen noch mehr zum Leuchten brachte. „Das sind ja großartige Neuigkeiten.“

Vanessa staunte …

Da zerriss er ihre Visitenkarte, küsste sie leidenschaftlich und gab dann mehr oder weniger zu, dass er sich nicht mit ihr einlassen wollte – was natürlich anständiger war als sie hinzuhalten. Ging es bei diesem Treffen nur darum, seiner Familie zu helfen, oder wollte er sein schlechtes Gewissen beruhigen? Wenn ja, dann wäre sie schön dumm, sein Friedensangebot auszuschlagen. Tante Anne hatte sie immer vor falschem Stolz gewarnt.

Insofern wäre sie ihm natürlich dankbar. In allererster Linie jedoch würde sie sich geschäftsmäßig verhalten.

Sie gestattete sich ein knappes Lächeln. „Vielen Dank für die Empfehlung.“

„Das war das Mindeste, was ich tun konnte.“

War er etwa näher an sie herangetreten, oder lag es an seiner tiefen Stimme, die sie schon wieder in seinen Bann zog?

Fest entschlossen, ihr wild klopfendes Herz zu ignorieren, hob Vanessa selbstbewusst den Kopf. Es war an der Zeit, diese Geschichte zu einem Abschluss zu bringen. Was auch immer da zwischen ihr und Mitch Stuart vor sich ging – sie hatten sich bereits darauf geeinigt, dass es zu nichts führte.

Also wandte sie sich an seine Mutter. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mir kurz die Unterbringung für die Hunde ansehe?“

Es war immer hilfreich, wenn man dem Züchter so viele positive Informationen wie möglich geben konnte. Außerdem konnte sie auf diese Weise den Raum verlassen und Mitch Stuarts hypnotischer Ausstrahlung entkommen. Schließlich war sie auch nur eine Frau.

In diesem Moment schluchzte Cynthia laut, ließ das Taschentuch in den Schoß sinken und zitterte. Ihre Mutter legte tröstend den Arm um sie und schaute ihren Sohn an. „Mitch, könntest du Vanessa Shebas Unterkunft zeigen?“

Vanessa riss die Augen weit auf. Sie hatte ganz sicher nicht gewollt, dass Mitch sie durch das Haus führte. Wenn sie doch bloß den Mund gehalten hätte! Vielleicht lehnte er ja ab.

Doch er tat es nicht. Stattdessen lächelte er breit. „Es ist mir ein Vergnügen! Hier entlang, bitte.“ Er deutete mit dem Arm auf die geschwungene Tür, durch die er den Raum betreten hatte.

Vanessa riss sich zusammen. Sie war eine erwachsene Frau – sie schaffte das! Außerdem hatten sie ohnehin schon entschieden, nichts miteinander anzufangen – sie waren ja nicht „kompatibel“.

Mitch passte sich ihren Schritten an, während sie zunächst einen Raum durchquerten, der wie ein Arbeitszimmer aussah, dann eine riesige Bibliothek, die bis an die Decke mit Büchern gefüllt war. Alles in diesem Haus zeugte von Reichtum und privilegierter Herkunft.

Als sie nach links bogen, schlug ihnen der köstliche Duft nach frisch zubereitetem Essen entgegen, was nur bedeuten konnte, dass sie sich der Küche näherten.

Er überraschte sie mit einer Frage, mit der sie nicht gerechnet hatte: „Wie ist Ihr Banktermin heute gelaufen?“

Vanessa brauchte einen Moment, um einen lässigen Ton anzuschlagen. „Es besteht keine Notwendigkeit, Konversation zu betreiben, Mr. Stuart.“

„Nicht gut, was?“

Sie presste die Lippen zusammen und schaute stur geradeaus.

„Ich würde Ihnen gerne helfen.“

Fragend blickte sie ihn an. „Indem Sie mir Kunden schicken?“

Hatte er etwa eine ganze Armee an Freunden, die auf der Suche nach Haustieren waren? Das wäre schließlich auch keine langfristige Lösung.

„Ich dachte eher an einen Kredit.“

Vanessa blieb abrupt stehen und musterte seinen ernsten Gesichtsausdruck. Also das kam wirklich aus heiterem Himmel. Was steckte hinter diesem Angebot? Es war doch bestimmt keine Angewohnheit von ihm, Frauen, die er kaum kannte, Geld zu leihen? Was versprach er sich davon?

Sie gingen weiter und betraten kurz darauf eine riesige Küche. „Danke, aber ich nehme kein Geld von Fremden an.“

„Bekannte, erinnern Sie sich? Außerdem leite ich eine Investment- und Kreditfirma. Bei Finanzierungen zu helfen ist mein Beruf.“

Diese Information musste sie erst einmal verdauen. Sie schenkte ihm ein müdes Lächeln. „Sie haben urplötzlich beschlossen, mir helfen zu wollen?“ Merkwürdig, dass er nicht schon am Vorabend erwähnt hatte, was sein Beruf war – die ideale Gelegenheit dazu hätte er in jedem Fall gehabt.

„Wir kannten uns gerade erst fünf Minuten. Mittlerweile hatte ich Zeit, darüber nachzudenken.“

„Haben Sie sich überlegt, dass Sie etwas Gutes tun wollen oder haben Sie daran gedacht, dass Sie mich geküsst haben und es jetzt bereuen?“

Als er die Augenbrauen hob, ging sie ein wenig schneller.

Sie hatte nicht vorgehabt, so offen zu sein, aber sie war einfach nicht in der Stimmung für Spielchen – nicht wenn es um ihre geliebte Tierhandlung ging.

Er kratzte sich an der Schläfe. „Sie wollen es mir offensichtlich nicht leicht machen, oder?“

Ihr lag bereits die perfekte Retourkutsche auf der Zunge, doch sie schluckte sie hinunter. Das Dumme war, dass sie nichts zu verlieren hatte, sondern eigentlich nur gewinnen konnte, wenn sie den Kuss, der ohnehin ein Fehler gewesen war, hinter sich ließ. Sie brauchte einen Kredit. Er bot ihr professionelle Hilfe an. Also gut, er hatte sie geküsst und wollte es nicht wiederholen. Na und? Sie hatte schon Schlimmeres überlebt.

Vanessa blieb vor einer sündhaft teuren italienischen Espressomaschine stehen und verschränkte die Arme über der Brust. „Was wollen Sie wissen?“

Mitch stellte sich breitbeinig vor sie und imitierte so ihre nüchterne Haltung. „Zunächst einmal möchte ich wissen, was Sie mit Ihrem Geschäft erreichen wollen?“

Verwundert schüttelte sie den Kopf. „Was meinen Sie damit?“

„Sehen Sie sich selbst in ein paar Jahren als Multimillionärin? Oder wollen Sie damit einfach nur ein angenehmes Auskommen bestreiten? Ist es für Sie nur irgendeine Beschäftigung oder eine Berufung? In der heutigen Geschäftswelt geht es härter zu denn je, wie Sie sicher schon selbst festgestellt haben. Man kann mit einem Schlag alles verlieren, sodass man nur noch das behält, was man am Leib trägt.“

Wow. Was für ein Optimist.

„Ich bin mir bewusst, dass das Leben einige Fallstricke für uns bereithält. Das heißt aber nicht, dass ich nicht die Chance verdient hätte, der Gemeinschaft einen Service zu bieten, von dessen Sinn ich aus tiefstem Herzen überzeugt bin.“

Er blickte ihr einen endlos langen Moment in die Augen, dann lächelte er plötzlich. „Also gut. Wir sollten Ihre Zahlen durchgehen, einen Unternehmensplan erstellen und dann sehen, was wir tun können.“

„Ich habe bereits einen Unternehmensplan.“

„Offensichtlich keinen guten.“

Der Punkt ging an ihn. Sie betrachtete sich selbst gern als unabhängig, hatte alles allein erreicht und aus ihren Fehlern gelernt. Allerdings nicht schnell genug, wie es aussah.

Als er sich wieder in Bewegung setzte, folgte sie ihm in den angrenzenden Raum, der wie ein Kinderzimmer wirkte – in Hellblau und Pink gehalten mit großen Kissen, bunten Bällen und etlichem anderen Hundespielzeug. Hier würden es die Welpen zweifellos gut haben. Doch ehe sie eine diesbezügliche Bemerkung machte, wollte sie eine Sache klarstellen.

„Ich weiß Ihr Interesse an meiner Situation zu schätzen. Aber ich möchte betonen, dass kein Grund zur Wohltätigkeit besteht.“ Mit anderen Worten: „Ich möchte nicht, dass Sie mir deshalb einen Kredit gewähren, weil …“ Sag es, Vanessa. Sprich es einfach aus. „Weil Sie ein schlechtes Gewissen wegen gestern Abend haben.“

Ein Muskel an seiner Wange begann zu zucken. Sein dezenter Duft umhüllte ihre Sinne und machte einen Großteil ihrer selbstbewussten Haltung zunichte, indem er ihr ganz weiche Knie bereitete.

„Wo wir gerade schon dabei sind, einige Dinge offen auszusprechen … Ich bedaure es nicht, Sie geküsst zu haben, Vanessa. Ganz im Gegenteil.“ Wieder einmal begannen seine Augen zu funkeln. „Würde es Sie überraschen zu hören, dass ich es wieder tun möchte?“

Heißes Verlangen strömte durch ihre Adern. Im ersten Moment war sie so erschüttert, dass sie nicht antworten konnte. Sie fuhr sich mit der Zunge über die plötzlich staubtrockenen Lippen, und wünschte sich sofort, sie hätte es nicht getan. Keinesfalls wollte sie ihn auf falsche Gedanken bringen.

Ihre Stimme war ein einziges Krächzen. „Das wäre äußerst unklug.“

Die Falte zwischen seinen Augenbrauen vertiefte sich. „Sie haben recht. Natürlich. Es wäre alles andere als klug.“

„Ganz offensichtlich haben Sie Bedenken, was mich angeht … Sie und mich. Uns. Wenn wir geschäftlich miteinander zu tun haben, wäre es nicht schicklich, sich … aufeinander einzulassen.“

Doch als er den Kopf leicht schräg legte, den Blick auf ihren Mund senkte und näher an sie herantrat, da schmolz sie dahin.

„Ich stimme zu. Voll und ganz“, murmelte er heiser.

Ihre Wangen begannen zu brennen, ihre Beine fühlten sich wie Wackelpudding an. „Es könnte Probleme verursachen.“

Er fuhr mit dem Daumen leicht über ihre Unterlippe. „Ich brauche nicht noch mehr Probleme.“

Sanft hob er ihr Kinn an. Vanessa hatte das Gefühl, von einem Blitz durchzuckt zu werden. „Ich auch nicht.“ Ganz bestimmt nicht.

Den Blick unverwandt auf ihre Lippen gerichtet, trat er noch näher an sie heran, bis er mit den Lenden gegen ihre Hüfte stieß. „Dann ist ja alles klar.“

„Völlig“, seufzte sie.

Im nächsten Moment küsste er sie, und sie vergaß alles um sich herum. Als er sich ein Stück von ihr zurückzog, glaubte sie, über dem Boden zu schweben.

Verträumt schaute sie zu ihm hoch. „War das dann lediglich ein Teil des Service?“

Er spannte den Kiefer an. „Nein. Das war unverzeihlich. Es wird nicht noch einmal vorkommen.“

„Bist du sicher?“

Er strich mit dem Daumen über ihre Unterlippe, ehe er erneut den Kopf senkte. „Absolut.“

3. KAPITEL

Als sie sich voneinander lösten, um Luft zu schöpfen, spürte Vanessa einen Blick im Rücken. Mitch richtete sich auf, schaute über ihre Schulter und räusperte sich.

„Mutter. Wir haben dich nicht reinkommen gehört.“

Vanessa wirbelte herum. Mrs. Stuart lächelte unbekümmert.

Beinahe zu unbekümmert.

„Ich wollte nicht stören“, entschuldigte sie sich.

Vanessa fuhr sich rasch mit den Fingern durchs Haar und warf einen Blick durch den Raum. Für einen kurzen Moment hatte sie tatsächlich vergessen, wo sie sich befand, was völlig untypisch für sie war.

„Wir haben uns nur ein wenig … ähm … umgeschaut“, murmelte sie.

Mrs. Stuart kam auf sie zu. „Und, sind Sie zufrieden mit der Unterbringung?“

„Ich bin sicher, dass es Ihren Hunden an nichts fehlen wird.“

Hocherfreut schlug Mrs. Stuart die Hände zusammen und lächelte noch breiter. „Dann sollten wir zum Geschäftlichen kommen. Mitch, ich habe bereits einen Scheck ausgestellt, der im Wohnzimmer auf dem Buffet liegt. Geh doch schon mal vor. Vanessa und ich folgen dir. Ich möchte sie noch etwas wegen der … Hunde fragen.“

Mitch zögerte, lächelte dann jedoch schwach und nickte. „Dann bis gleich.“ Ehe er den Raum verließ, zwinkerte er Vanessa noch rasch zu.

Die Blicke beider Frauen folgten ihm. Vanessa registrierte seine breiten Schultern, die schmalen Hüften und die langen muskulösen Beine.

„Mein Sohn ist ein gut aussehender Mann.“

Da konnte Vanessa kaum widersprechen. „Ja, das stimmt.“

Sie setzten sich in Bewegung. „Er wird für jede Frau ein wunderbarer Fang sein“, bemerkte Mrs. Stuart weiter.

Vanessa stolperte leicht und warf ihrer Begleiterin einen neugierigen Blick zu. „Ich möchte keinen falschen Eindruck erwecken, Mrs. Stuart. Mitch und ich haben uns gerade erst kennengelernt.“ Ein oder zwei Küsse bedeuteten mit Sicherheit noch kein „Bis dass der Tod uns scheidet“.

„Ah, aber der Samen für eine Romanze ist bereits gesät.“ Mrs. Stuart lächelte leicht. „Das könnte selbst ein Blinder sehen, meine Liebe.“

Vanessa bekam ganz rote Wangen. Wie sollte sie das leugnen? „Es gibt … gewisse Gefühle.“

Sie durchquerten die Küche. Mrs. Stuart nickte Wendy zu, die eine große Menge Bratkartoffeln briet. Als sie außer Hörweite des Personals waren, sagte Mrs. Stuart: „Sie sind doch keine Jungfrau mehr, oder meine Liebe?“

Vanessa verkniff sich nur mit Mühe ein entsetztes Keuchen. „Wie bitte?“ Mrs. Stuart mochte ja eine Frau von unverblümter Direktheit sein, aber diese Frage ging doch weit über die Grenzen der Höflichkeit hinaus.

„Es ist kein Geheimnis, dass mein Sohn sich zu Frauen hingezogen fühlt, die über eine gewisse … nun … Erfahrung verfügen.“

Vanessa fand es nicht richtig, Mitch Stuarts Liebesleben ausgerechnet mit seiner Mutter zu diskutieren. Obwohl, wenn sie ganz ehrlich war, so konnte sie eine gewisse Neugier nicht verhehlen.

Was genau war denn in dieser Hinsicht unter Erfahrung zu verstehen? Sie hatte mehr als einen Liebhaber gehabt, doch sie glaubte nicht, dass man sie deshalb als promiskuitiv bezeichnen konnte. Als sie an der stilvollen Bibliothek vorbeigingen, schlug ihnen eine leicht muffige Luft entgegen, die Vanessa als extrem stickig empfand. Mrs. Stuarts Absätze klackerten laut auf dem teuren Marmorfußboden.

„Bitte nutzen Sie meinen Sohn nicht aus.“

Vanessa stockte der Atem, gleichzeitig bog sie empört den Rücken durch. „Wie in aller Welt sollte ich das tun?“

Mrs. Stuart hob eine Augenbraue. „Eine Frau von Ihrer Herkunft hat ihre Mittel und Wege.“

Als sie das Wohnzimmer betraten, trafen sie auf Mitch. Noch vollkommen benommen, nahm Vanessa völlig mechanisch den Scheck entgegen, den er ihr reichte. Die überaus großzügige Summe, die sich darauf befand, registrierte sie kaum.

Mrs. Stuart lächelte noch immer. „Ich bin sicher, dass es eine Freude sein wird, mit Ihnen Geschäfte zu machen.“

Geschäfte, na klar. Aber Mrs. Stuart beabsichtigte ganz sicher nicht, auf Vanessas Hochzeit zu tanzen – schon gar nicht, wenn es sich um die Hochzeit mit ihrem Sohn handelte. Sie mochten zwar im einundzwanzigsten Jahrhundert leben, aber im tiefsten Inneren waren die Klassenunterschiede immer noch sehr präsent. Wenn ihre zerrissene Visitenkarte ein erstes Indiz gewesen war, so wurde es durch Mrs. Stuarts Verhalten vollends bewiesen.

Was bedeutete das für den heutigen Kuss? Und für Mitchs Zwinkern, das ungefähr so viel hieß wie: Lass uns einen Schritt weiter gehen?

Seine dunkle Stimme drang durch ihre Überlegungen. „Wir lassen dich und Cynthia jetzt allein, damit ihr in Ruhe essen könnt, Mutter.“

Mrs. Stuart machte ein langes Gesicht. „Oh, Mitch, willst du nicht zum Dinner bleiben?“

„Heute nicht.“ Er küsste sie kurz auf die Wange.

Mrs. Stuart schmollte. „Ich bin sehr enttäuscht.“

„Beim nächsten Mal.“ Er fasste Vanessa am Ellbogen. „Vanessa und ich haben einige Dinge zu besprechen.“

Mrs. Stuart runzelte kurz die Stirn, doch dann lächelte sie rasch. „Dann wünsche ich eine Gute Nacht.“

Die Dame des Hauses begleitete sie nicht hinaus. Als sich die Tür hinter ihnen schloss und sie in der Abenddämmerung die Steinstufen hinabgingen, erschauerte Vanessa, nicht nur wegen der kalten Luft.

Mitch blieb mit besorgtem Gesichtsausdruck stehen. „Was ist los?“

Sie biss sich auf die Lippe. Sollte sie ihm von dem Gespräch mit seiner Mutter erzählen? Rasch warf sie einen Blick zurück auf das beeindruckende Eingangsportal. Immer noch verschlossen. Die flüchtige Bewegung hinter den Fenstervorhängen bildete sie sich sicher nur ein.

Sie hatte zugelassen, dass Mrs. Stuart die Oberhand behielt, doch wenn sie die Beziehung zu Mitch vertiefen wollte, dann musste sie ehrlich sein.

„Ich glaube, deine Mutter hat mich gerade davor gewarnt, dich zu verführen.“

Es laut auszusprechen, klang geradezu absurd. Doch Mitch lächelte nur breit.

Vanessa verengte die Augen. „Das überrascht dich nicht?“

Sie gingen auf ihren Wagen zu. „Meine Mutter hat gegen jede Frau etwas, die ich treffe. Sie sind entweder zu eitel, zu dünn, zu hochmütig oder zu extrovertiert.“ Er lächelte immer noch. „Ich könnte die Liste endlos weiterführen.“

Wie wäre es mit zu arm?

Auch wenn Mrs. Stuarts Bemerkung nicht persönlich gemeint war, tat sie dennoch weh. „Klingt so, als könnte man es ihr schwer recht machen.“

„In dieser Hinsicht ist es völlig unmöglich. Meine Mutter ist schon zu lange Witwe. Am liebsten will sie den Status quo bis in alle Ewigkeit aufrechterhalten.“

Als er ihr die Wagentür öffnete, kletterte Vanessa hinters Steuer und setzte die Puzzleteile zusammen. „Du bist Single. Du und deine Schwestern sind ihre einzige Familie.“

„Sie vermisst meinen Vater sehr.“ Das Offensichtliche ließ er ungesagt – dass seine Mutter sich viel zu sehr auf ihn verließ.

Vanessa verübelte Mrs. Stuart zwar ihre Einmischung, aber ein Hauch Mitgefühl ließ sich nicht unterdrücken. Wenn sie die große Liebe ihres Lebens finden und dann verlieren würde, was würde sie tun? Sie würde es nicht ertragen.

Mitch stützte sich mit dem Arm auf dem offenen Türrahmen auf und lugte zu ihr herein. „Also, was hältst du davon, diesen Plan auf den Weg zu bringen?“

Vanessa konzentrierte sich wieder auf das Hier und Jetzt. „Unseren Unternehmensplan?“ Rasch schaute sie auf die Uhr. „Aber es ist schon spät.“

Er runzelte die Stirn. „Vanessa, wir müssen uns so schnell wie möglich darum kümmern. Wir könnten uns bei dir im Laden treffen.“

Josie hatte am Nachmittag das Geschäft gehütet, damit sie ihren Termin bei der Bank wahrnehmen konnte. Vanessa schüttelte den Kopf. „Wir würden die Nachtruhe der Tiere stören.“

„Dann bei dir zu Hause.“

Nachdem sie jetzt gesehen hatte, in was für luxuriösen Verhältnissen Mitch aufgewachsen war? Großer Gott, nein! Ihr bescheidenes Apartment käme ihm vermutlich wie eine erbärmliche Hütte vor.

Also bediente sie sich einer Ausrede. „Bei mir ist nicht aufgeräumt.“

Er beugte sich mit einer Schulter zu ihr in den Wagen hinein. „Dann müssen wir uns eben bei mir treffen.“

Auch keine gute Idee – nach diesem letzten Kuss. Sie fühlte sich zu Mitch hingezogen, und er hatte noch vor ein paar Minuten deutlich gemacht, dass es ihm nicht anders ging. Doch wie sie beide bereits erkannt hatten, war es nicht klug, arm und reich zu vermischen oder Geschäftliches und Privates.

Außerdem gab es noch eine andere Sache zu bedenken. Wenn sie und Mitch der sexuellen Anziehung nachgaben und miteinander schliefen, käme ihr dann sein Kredit nicht wie eine Art Bezahlung vor? Was, wenn die „guten Zeiten“ nicht anhielten und er sich entschloss, den Kredit zurückzufordern? Dann säße sie wirklich in der Patsche. Vanessa war ja durchaus optimistisch veranlagt, aber leichtsinnig war sie nicht.

„Magst du chinesisches Essen?“, fragte er.

Sie blinzelte und antwortete ganz automatisch: „Ja.“ Chow mein war ihr Lieblingsgericht.

„Dann bestelle ich etwas.“ Er schenkte ihr sein Killerlächeln. „Du kennst ja meine Adresse. Wir treffen uns in einer Stunde.“

Als er sich aufrichtete, um die Tür zu schließen, überkam sie ein Anflug von Panik. Das alles ging viel zu schnell. Sie war sich einfach nicht sicher.

„Warte!“

Er öffnete die Tür wieder. Sein Gesichtsausdruck besagte in etwa: Ich bin in mehr als einer Hinsicht hungrig.

Vanessa umklammerte das Lenkrad und biss sich auf die Lippe.

Hopp oder topp. Ja oder nein.

Schließlich atmete sie langsam aus und lächelte schwach. „Vergiss die Glückskekse nicht.“

Mitch richtete sich auf, was ihren Blick auf seine muskulöse Brust lenkte. „Ganz bestimmt nicht.“

Er schlug die Tür zu und ging auf den schwarzen Sportwagen zu, der am Rand der Einfahrt geparkt war. Vanessa beobachtete ihn im Seitenspiegel. Dabei bekam sie einen ganz trockenen Mund.

Sie riss sich zusammen, startete den Motor und trat das Gaspedal durch. Das hier – sie beide – was auch immer das Gefühl war, das sie empfand, sollte nicht sein. Nicht mal für eine unvergessliche Nacht. Es gab zu viel, was nicht zusammenpasste.

Zu viel, was auf dem Spiel stand.

Wenn sie nach Hause kam, würde sie ihn anrufen. Sie würde ihm sagen, dass sie Kopfschmerzen hatte und es besser wäre, einen Termin in seinem Büro auszumachen. Wenn er ihr kleines Geschäft für kreditwürdig befand, würde sie ihm danken und ihre Beziehung rein geschäftlich halten.

Keinesfalls würde sie ihn noch an diesem Abend privat treffen.

„Du bist zu spät.“

Vanessa strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und bemühte sich, trotz des nervösen Magenflatterns, so lässig zu wirken wie ihr Outfit. „Tatsächlich?“

Mitch winkte sie herein. Als sie an ihm vorbeiging, hörte sie, wie er scharf den Atem einzog. „Himmel, du riechst wirklich gut.“

„Danke. Hundeshampoo ist eben vielseitig einsetzbar.“ Bei seinem entsetzten Gesichtsausdruck musste sie lachen. „Das war ein Scherz.“

Er zog eine Grimasse. „Ich bin Banker, Vanessa. Wir verstehen keine Scherze.“

Ihr Herz setzte einen Schlag aus. „Oh. Verzeihung. Ich dachte …“

„Drangekriegt!“

Er lächelte so breit, dass sie ihm spielerisch auf den Arm schlug.

Himmel, er sah wirklich zum Anbeißen aus in dieser Jeans, die eine Nuance dunkler war als ihre. Dazu trug er ein einfaches weißes T-Shirt, unter dem sich seine muskulöse Brust und der Waschbrettbauch deutlich abzeichneten.

Eigentlich hatte sie nicht kommen wollen. Ja, sie hatte die feste Absicht gehabt, diese Mischung aus Geschäftstreffen und Rendezvous abzusagen. Sie stammten aus verschiedenen Welten. Außerdem befand sich seine Mutter auf Kriegspfad. Ihre Tierhandlung wieder in die schwarzen Zahlen zu bekommen, hatte oberste Priorität. Hierherzukommen bedeutete nichts als Schwierigkeiten …

Doch schließlich siegte die Neugier. Das hieß ja nicht, dass sie bis zum Äußersten gehen und mit dem Mann schlafen musste.

Wie er bereits erwähnt hatte, gab es genug Arbeit zu erledigen. Dem Laden galt ihre Hauptsorge. Keinesfalls würde sie zulassen, dass ein weiterer berauschender Kuss zwischen sie und ihr erklärtes Ziel trat – ihre Tierhandlung zu retten.

„Hast du deine Unterlagen mitgebracht?“, fragte Mitch.

Vanessa hielt eine Tasche in die Höhe. „Ich habe alles dabei, was mein Bankberater heute sehen wollte – Pachtverträge, Rechnungen, Bankauszüge, eine Aufstellung meiner Gewinne und Verluste …“

Sie zog sich einen Stuhl an die Küchentheke heran und beobachtete nervös, wie er die Unterlagen durchblätterte.

„Du steckst tief in den roten Zahlen“, bemerkte er nach einer kurzen Prüfung, „dabei sieht es so aus, als hättest du bereits alles Menschenmögliche getan, um die Kosten zu reduzieren und dir die Gläubiger vom Hals zu halten. Das hat deine Liquidität natürlich extrem geschröpft.“ Er begegnete ihrem Blick. „Unglücklicherweise ist es eine verdammt harte Zeit für kleine bis mittelständische Unternehmen.“

Sie verschränkte die Arme über der Brust. „Dann ist es ja gut, dass ich hart bin.“

Dummerweise fühlte sie sich in seiner Gegenwart gar nicht hart. Im Gegenteil. Sie kam sich köstlich schwach und wunderbar weiblich vor. Er hatte etwas an sich, das sie dazu brachte, all ihre Waffen strecken zu wollen. Nicht, dass sie so etwas schon mal erlebt hätte. Mit ihrem Ex ganz bestimmt nicht.

Diese berauschenden Gefühle waren gänzlich neu. Und wundervoll.

Er legte die Papiere ab. „Wir sollten zuerst essen.“

Ihr Blick wurde wie magisch von seinen breiten Schultern angezogen. Reiß dich zusammen, Vanessa.

„Erst das Essen, dann die Arbeit.“ Sie streckte sich. „Großartige Idee.“

Mitch stellte vier Schachteln mit Essen auf die Theke. Dann holte er Teller, Besteck, Gläser und Stoffservietten hervor und deckte den Tisch. Als er die Schachteln öffnete, schlug ihr der verführerische Duft exotischer Gewürze entgegen. Sie sah Chow mein, gebratenen Reis, ein mongolisches Gericht und gedünstetes Gemüse. Sie hätte exakt dieselben Sachen ausgewählt.

Nachdem Mitch ihr ein Glas Wein eingeschenkt und sich einen Stuhl herangezogen hatte, deutete er mit dem Kopf auf das Festmahl. „Greif zu.“

„Hast du auch Stäbchen?“

„Oh, tut mir leid. Bist du ein Fan davon?“ Er klang nicht überrascht.

„Eines Tages werde ich eine Reise durch Asien machen. Vietnam, Thailand, Tibet. Das wahre Gesicht des Kontinents erkunden.“

Danach würden Frankreich, Italien und zu guter Letzt Griechenland auf dem Programm stehen!

Er häufte dampfenden Reis auf ihren Teller. „Du wirst eine Menge Spaß haben.“

„Reist du viel?“, fragte sie, während sie Gemüse hinzufügte.

„So viel ich kann. Ich bin auf den Geschmack gekommen, als ich noch jung war.“

„Habt ihr viele Familienurlaube im Ausland verbracht?“

„Wann immer Dad Zeit hatte“, entgegnete er. „Bevor er die Firma gründete, arbeitete er als leitender Angestellter in der Versicherungsbranche. Das war in den Tagen, als Prämien noch bezahlbar waren und das Kleingedruckte lesbar.“

Während sie aßen, dachte Vanessa über die enge Bindung nach, die ihn mit den übrig gebliebenen Mitgliedern seiner Familie verband. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, dass Mrs. Stuart sich hundertprozentig auf ihn verließ, und sie war sich genauso sicher, dass Mitch seine Familie nie im Stich lassen würde.

Nachdenklich beobachtete sie, wie er die Gabel ablegte, nach seinem Glas griff und einen Schluck Wein trank.

„Es ist schön, dass ihr alle euch so nahesteht“, bemerkte sie.

Um seine Mundwinkel zuckte es. „Manchmal zu nahe.“

Bei seinen Worten sah sie die verweinte Cynthia vor sich. „Deine Schwester wirkte ziemlich mitgenommen.“

Er runzelte die Stirn. „Es ist besser so. Der Typ war ein notorischer Spieler. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich als Arzt hält. Ich bin froh, dass er ihr den Laufpass gegeben hat.“

Trotzdem blutete Vanessas Herz für die arme Cynthia. „Es ist verdammt hart, tapfer zu sein, wenn man das Gefühl hat, die Welt um einen herum stürzt ein.“

Man konnte sich äußerlich noch so stark geben – das hieß nicht, dass man innerlich nicht furchtbar litt.

Autor

Meredith Webber
Bevor Meredith Webber sich entschloss, Arztromane zu schreiben, war sie als Lehrerin tätig, besaß ein eigenes Geschäft, jobbte im Reisebüro und in einem Schweinezuchtbetrieb, arbeitete auf Baustellen, war Sozialarbeiterin für Behinderte und half beim medizinischen Notdienst.
Aber all das genügte ihr nicht, und sie suchte nach einer neuen Herausforderung, die sie...
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