Julia Exklusiv Band 289

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DU WECKST MEIN VERLANGEN! von SHAW, CHANTELLE
Genau so muss eine Frau aussehen! Der italienische Unternehmer Rocco D’Angelo kann den Blick nicht von Emma wenden: rotblondes Haar, kurvige Figur, volle Lippen. Doch zu seiner Überraschung will Emma keine Affäre mit ihm - eine Herausforderung, der Rocco nicht widerstehen kann …

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Chris, sonnengebleichtes Haar und ein Traumbody - die süßeste Versuchung, seit es Bootsbauer gibt! Was macht das schon, dass er keinen Cent besitzt? Ally will ihn nicht heiraten, sondern nur einen Urlaubsflirt! Doch ihre Nächte im Inselparadies haben ungeahnte Folgen …

HEIßE VERFÜHRUNG, KALTE RACHE? von HAMILTON, DIANA
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  • Erscheinungstag 15.09.2017
  • Bandnummer 0289
  • ISBN / Artikelnummer 9783733709297
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Chantelle Shaw, Kimberly Lang, Diana Hamilton

JULIA EXKLUSIV BAND 289

1. KAPITEL

Es hatte den ganzen Tag geschneit. Eine dicke Schneedecke lag auf den Hochmooren Northumbrias, und die Gipfel der Cheviot Hills sahen aus wie mit Puderzucker bestäubt. Wirklich malerisch, dachte Emma, aber jetzt mit dem Auto unterwegs zu sein, macht echt keinen Spaß. Im Schritttempo fuhr sie in die nächste Kurve. Mit dem Einsetzen der Dämmerung begann die Temperatur zu sinken, und da abseits der Hauptstraßen nicht gestreut wurde, war es spiegelglatt.

Im Nordosten Englands schneite es im Winter meistens, aber im März eigentlich nicht mehr. Glücklicherweise konnte sich Emma auf ihren alten Geländewagen verlassen. Er hatte schon auf dem schottischen Bergbauernhof ihrer Eltern treue Dienste geleistet, und der Allradantrieb erwies sich als Segen bei diesem Wetter. Außerdem war der Wagen praktisch und robust. Vergleichbar mit mir, dachte Emma. Ich sehe aus wie ein Michelin-Männchen! Immerhin hielten die dicke Skijacke, die sie über der Schwesterntracht trug, und die unförmigen Stiefel sie warm, und nur darauf kam es an.

Die enge Straße schlängelte sich steil bergauf. Zu beiden Seiten türmten sich hohe Schneewände, da ein Farmer mit seinem Traktor die Straße geräumt hatte. Bis zu Emmas Ziel, Nunstead Hall, waren es noch ungefähr vier Kilometer. Allmählich fragte sie sich ernsthaft, ob sie es überhaupt noch bis dahin schaffen würde. Und wenn ja, ob sie dann noch zurückkäme. Sie dachte kurz daran umzukehren, aber sie hatte Cordelia jetzt zwei Tage lang nicht gesehen und machte sich Sorgen um die alte Dame, die ganz allein hier draußen lebte.

Bei dem Gedanken an ihre Patientin runzelte Emma besorgt die Stirn. Cordelia Symmonds, inzwischen weit in den Achtzigern, verteidigte ihre Unabhängigkeit wie eine Löwin. Vor einem halben Jahr war sie jedoch gestürzt und hatte sich die Hüfte gebrochen. Und vor Kurzem hatte sie sich beim Kochen dann auch noch die Hand verbrannt. Sie wurde einfach zunehmend gebrechlich, weigerte sich jedoch, Nunstead Hall zu verlassen und in ein kleineres Haus im Dorf zu ziehen.

Würde sich nur ihr Enkel mehr um sie kümmern! Aber offensichtlich ist ihm seine Karriere wichtiger als seine Großmutter. Wenn Cordelia von ihm sprach, schwangen Stolz und Zuneigung in ihrer Stimme mit. Leider schien dieser Enkel ihre Gefühle nicht zu erwidern.

Wie ungerecht, dachte Emma wütend. Die Altenpflege war ihr eine Herzensangelegenheit. Insbesondere seit diesem schrecklichen Tag Anfang des Jahres. Sie hatte Mr. Jeffries, einen neunzigjährigen Mann, besuchen wollen und fand ihn tot auf. Im Sessel sitzend war er in seinem eiskalten Haus gestorben. Seine Angehörigen befanden sich im Weihnachtsurlaub und hatten versäumt, jemanden zu beauftragen, der ab und zu nach ihm sah. Die tragische Geschichte verfolgte Emma immer noch.

Und deshalb konnte sie auch nicht zulassen, dass Cordelia weiterhin allein in ihrem Haus blieb. Vielleicht kann ich diesen Enkel ja irgendwie erreichen und ihn überreden, sich um seine Großmutter zu kümmern?

Das Auto schlingerte, und Emma konzentrierte sich wieder auf die Straße, die sie im dichten Schneetreiben mehr erahnen als sehen konnte. Hinter ihr lag ein langer, anstrengender Tag. Nur noch diesen einen Besuch, gelobte sie sich. Dann hole ich Holly von der Tagesmutter ab, mache den Kamin an und koche uns etwas Leckeres.

Nervös kaute sie auf der Unterlippe. Hollys Husten beunruhigte sie. Die Erkältung wollte einfach nicht weggehen, und der lange Winter machte die Situation nicht besser. Hoffentlich kam der Frühling bald. Ein bisschen Sonne und frische Luft würden ihrer Tochter unendlich guttun und wieder etwas Farbe auf ihre blassen Wangen zaubern.

Emma nahm die nächste Kurve … und schrie auf! Sie blickte frontal in ein Paar Scheinwerfer, hatte aber dennoch den Weitblick, vorsichtig zu bremsen und ihr Auto langsam zum Stehen zu bringen. Der Fahrer hatte auf der vereisten Fahrbahn offensichtlich die Kontrolle über seinen Wagen verloren und war in einer Schneewehe gelandet. Außerdem steckte das Heck halb in einem Graben.

Die Fahrertür ging auf, und ein Mann hievte sich heraus. Er schien glücklicherweise unverletzt zu sein.

Emma beugte sich zur Beifahrerseite und kurbelte die Scheibe hinunter. „Alles okay bei Ihnen?“

„Bei mir schon. Bei meinem Auto weniger.“ Der Fahrer deutete auf seinen schnittigen Sportwagen.

Emma meinte einen leichten Akzent herauszuhören, den sie jedoch nicht einordnen konnte. Bei dem dunklen Timbre, das unglaublich sexy klang, überlief sie eine Gänsehaut. So kenne ich mich gar nicht, dachte sie irritiert. Ich reagiere doch sonst nicht so heftig auf erotische Signale.

Sie konnte die Züge des Mannes nicht erkennen, nur dass er ungewöhnlich groß war. Sicher fast einen Meter neunzig. Zudem betonte der schicke Lammfellmantel noch seine breiten Schultern. Es umgab ihn unmissverständlich eine Aura von Autorität … und Reichtum. Emma fragte sich, was jemanden wie ihn in diese entlegene Gegend verschlagen haben mochte. Das letzte Dorf war kilometerweit entfernt, und vor ihnen lagen nur die endlosen Moorflächen Northumbrias. Mein Gott, ihm müssen ja die Zehen abfrieren! dachte sie angesichts der handgefertigten Lederschuhe, die gewiss nicht für ein derartiges Wetter geeignet waren.

Als könne er ihre Gedanken lesen, stampfte der Mann jetzt mit den Füßen, um die Blutzirkulation wieder in Gang zu bringen, und nahm ein Handy aus der Manteltasche.

„Kein Signal! Wie man in dieser gottverlassenen Gegend leben kann, ist mir ein Rätsel!“

„Die Grafschaft Northumbria ist berühmt für ihre unberührte Natur“, konterte Emma leicht gereizt.

Wie kann man mitten in einem Schneesturm durch das Moor fahren, ohne zumindest eine Schaufel dabeizuhaben? dachte sie sarkastisch. Sie liebte die Wildheit der Landschaft. Während ihrer Ehe mit Jack hatten sie in Newcastle gelebt, aber Emma lag das Stadtleben nicht. Sie hatte immer die Rauheit der Hochmoore vermisst.

„Im Nationalpark gibt es wunderbare Wanderwege! Im Winter sind sie natürlich etwas weniger malerisch.“ Sie spürte die Ungeduld des Mannes. „Ich fürchte, mein Handy funktioniert hier auch nicht. Sie müssen schon ins nächste Dorf und von dort einen Abschleppdienst anrufen. Allerdings bezweifle ich, dass vor morgen früh jemand herauskommen wird.“ Sie zögerte. Irgendwie behagte ihr der Gedanke nicht, einen völlig Fremden mitzunehmen. Schließlich gewann ihre Hilfsbereitschaft jedoch die Oberhand. Sie konnte ihn ja schlecht in dieser Einöde sitzen lassen. „Ich muss noch einen Besuch machen, dann fahre ich nach Little Compton zurück. Wenn Sie mitkommen wollen?“

Ich muss ja wohl oder übel das Angebot dieser Frau annehmen, überlegte Rocco resigniert. Er warf einen Blick auf seinen silberfarbenen Sportwagen. Nie würde er ihn aus dem Graben herausbekommen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ein Hotel zu finden und alles Weitere am nächsten Tag zu organisieren. Wortlos nahm er eine Reisetasche vom Rücksitz.

Er musterte die unförmige Gestalt hinter dem Steuer. Wohl eine dieser Farmersfrauen. Wahrscheinlich hat sie nach ihren Schafen gesehen. Rocco konnte sich ansonsten beim besten Willen nicht vorstellen, was jemanden bei diesem Wetter in diese unwirtliche Moorlandschaft führen sollte.

Definitiv üppig, dachte er, als er sich auf den Beifahrersitz quetschte. Aus den Augenwinkeln betrachtete er die Gestalt neben sich. Wegen der tief in die Stirn gezogenen Wollmütze und dem dicken Schal konnte er jedoch ihr Gesicht nicht sehen.

„Danke“, murmelte er. Erleichtert spürte er die wohlige Wärme der Heizung. Erst jetzt wurde ihm bewusst, in welch gefährlicher Situation er sich befunden hatte. „Was für ein Glück, dass Sie vorbeigekommen sind!“

Emma löste die Handbremse und fuhr langsam an. Die Reifen griffen nicht, und der Wagen rutschte. Energisch schaltete sie einen Gang höher. Als sie schließlich die Hand vom Schaltknüppel zurückzog, streifte sie aus Versehen den Schenkel des Mannes. Schlagartig verwirrte sie die starke Präsenz des Fremden, der in dem beengten Raum noch stattlicher wirkte. Verstohlen schaute sie zu ihm herüber, aber der hochgeschlagene Mantelkragen verhinderte, dass sie seine Züge erkennen konnte. Sie erhaschte lediglich einen Blick auf dunkles Haar, das ihm verwegen in die Stirn fiel.

In der Wärme des Wagens entfaltete sich der herbe Geruch seines Aftershaves. Es war dasselbe wie Jacks. Unwillkürlich biss sich Emma auf die Lippe. Sie sah ihn vor sich: seinen dichten strohblonden Schopf und das umwerfende Lächeln. Jack war der geborene Charmeur, der die schönen Dinge des Lebens liebte. Sie, Emma, hatte ihm das unverschämt teure Aftershave zu Weihnachten geschenkt, dem letzten, das sie miteinander verbringen sollten. Nie wäre ihr damals in den Sinn gekommen, dass er es auch benutzte, wenn er mit anderen Frauen schlief.

Genug! Energisch verdrängte sie die Gedanken. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihr Beifahrer sie fragend ansah.

„Was haben Sie eigentlich damit gemeint: Sie müssten noch einen letzten Besuch machen? Sollte man bei dem Wetter nicht lieber zu Hause bleiben, statt Freunde zu besuchen?“

Rocco war mit der Gegend durchaus vertraut. Er wusste genau, dass die Straße nur noch bis zu einem Haus führte und sich dann allmählich zu einem Pfad verengte, der sich durch das Moor schlängelte. Er hatte wirklich Glück, dass seine Retterin in die Richtung fuhr, in die er wollte. Aber er konnte sich absolut nicht vorstellen, welches Ziel sie eigentlich hatte.

Wieder bekam Emma eine Gänsehaut. Diese Stimme! Wirklich erotisch, dachte sie. Sie konnte den Akzent jedoch nicht genau einordnen. Spanisch oder italienisch vielleicht. Sie hätte wirklich zu gern gewusst, was einen Mann wie ihn in diese Gegend verschlug. Noch dazu in einem Schneesturm! Selbstverständlich verbot ihr die Höflichkeit – und ihre Schüchternheit –, direkt danach zu fragen.

„Ich bin die Bezirkskrankenschwester“, erklärte sie ihrem Beifahrer, „und ich muss noch einen letzten Hausbesuch machen.“

Sein Kopf schnellte herum, und offensichtlich wollte er sie etwas fragen, aber da tauchte vor ihnen eine steinerne Einfahrt auf, und Emma bog ab.

„Hier wären wir. Das ist Nunstead Hall“, sagte sie erleichtert. „Das Anwesen ist wunderschön! Die Gartenanlage ist absolut fantastisch, und es gibt sogar einen See.“

Sie fuhr die Auffahrt hinauf und hielt vor dem Haus. Bis auf ein einziges erleuchtetes Fenster lag es im Dunkeln. Emma warf dem Fremden neben sich einen unbehaglichen Blick zu. Er machte sie wirklich nervös!

„Hier wohnt Ihr Patient?“ Er wirkte beunruhigt.

Wahrscheinlich macht er sich Sorgen um sein Auto, überlegte sie, während sie die Scheinwerfer ausschaltete.

„Richtig. Sie können sicherlich vom Haustelefon den Abschleppdienst anrufen. Ich habe einen Haustürschlüssel, aber ich glaube, es ist besser, wenn Sie erst einmal hierbleiben, damit ich Mrs. Symmonds fragen kann.“

Sie nahm ihre Tasche vom Rücksitz und zuckte zusammen, als der Fremde abrupt die Beifahrertür aufstieß. „He!“, rief Emma aus. „Was machen Sie denn da?“, aber er eilte bereits auf die Eingangstür zu. Hastig stieg Emma aus und rannte ihm nach. „Haben Sie nicht gehört, was ich gesagt habe? Meine Patientin ist eine ältere Dame. Ich muss sie erst auf Ihre Anwesenheit vorbereiten.“

„Ich werde doch hoffentlich keinen allzu erschreckenden Anblick bieten.“ Seine Stimme klang amüsiert, und er klopfte sich die dichten Schneeflocken vom Mantel. „Wenn Sie jedoch nicht bald aufsperren, werde ich wahrscheinlich wie der Yeti im Himalaja aussehen.“

„Sehr witzig“, fauchte Emma. Sie bereute ihre Hilfsbereitschaft bereits bitter. Warum habe ich nicht wenigstens versucht, den Nachbarn von Nunstead Hall anzurufen? Der hätte mit seinem Traktor den Wagen sicher aus dem Graben ziehen können! Sie schreckte zusammen, als der Fremde ihr den Schlüssel aus der Hand nahm und ihn ins Schloss steckte. Vielleicht ist er ja ein entlaufener Mörder! schoss es ihr durch den Kopf. „Ich muss jetzt wirklich darauf bestehen, dass Sie sich wieder ins Auto setzen! Sie können nicht einfach hier hereinspazieren, als ob es Ihr Zuhause wäre!“

„Dem ist aber zufälligerweise so“, meinte der Mann kühl und sperrte auf.

Emma starrte ihn mit offenem Mund an. Als er jedoch über die Schwelle trat, fing sie sich. „Was soll das denn heißen? Wer sind Sie überhaupt …“

Sie verstummte, als eine Tür aufging und die zerbrechliche Gestalt von Cordelia Symmonds das Foyer betrat. „Cordelia“, rief Emma schnell, „dieser Herr steckte im Schnee fest, und ich …“

Aber Cordelia schien ihr gar nicht zuzuhören. Ein strahlendes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.

„Rocco! Mein Lieber! Warum hast du mir denn nicht gesagt, dass du kommst?“

„Ich wollte dich überraschen.“ Plötzlich klang die Stimme des Fremden weich wie Samt. „Leider bin ich mit meinem Wagen im Graben gelandet. Aber die Schwester hier“, er warf Emma einen verschmitzten Blick zu, „hat mich vor dem Erfrierungstod bewahrt.“

Cordelia schien Emmas Verwirrung nicht zu bemerken. „Emma! Meine Gute! Ich danke dir, dass du meinen Enkel gerettet hast.“

Enkel? Vor Verblüffung vergaß Emma fast, ihren Mund wieder zu schließen. Sie betrachtete den Fremden genauer – und jetzt erkannte sie ihn in dem hellen Flurlicht. Schließlich war sein Bild oft genug in den Medien. Vor allem in der Regenbogenpresse, die das Liebesleben des heiß begehrten Junggesellen heftig kommentierte. Rocco D’Angelo war der Manager der berühmten italienischen Sportwagenfirma Eleganza. Außerdem ein berüchtigter Don Juan … und Cordelias Enkel!

Wieso bin ich nicht selbst darauf gekommen? fragte Emma sich. Es hatte schließlich Hinweise genug gegeben: den Sportwagen, den Akzent und natürlich dieses undefinierbare Flair, das nur die ganz Reichen und Erfolgreichen umgab. Aber andererseits, damit konnte ja nun wirklich niemand rechnen. Doch warum zum Teufel hat er sich denn nicht zu erkennen gegeben?

„Kommt doch bitte herein!“, forderte Cordelia sie auf und ging zurück ins Wohnzimmer.

Emma schickte sich an, ihr zu folgen, der Fremde – ach nein, Cordelias Enkel – versperrte ihr jedoch den Weg.

„Einen Moment bitte noch! Weshalb sind Sie eigentlich hier?“, fragte er leise. „Cordelia wirkt doch völlig gesund! Wieso braucht sie eine Krankenschwester?“

Da war er wieder – dieser Ton! Der Ton, bei dem sich Emmas Nackenhaare sträubten. Sie sah Cordelias strahlendes Lächeln vor sich, als diese ihren Enkel erblickte. Offensichtlich hielt die alte Dame Rocco für unfehlbar. Und dieser arrogante Typ fand dies offenbar durchaus angebracht.

„Hätten Sie auch nur einen einzigen Gedanken an Ihre Großmutter verschwendet, wüssten Sie, warum ich hier bin!“, antwortete Emma schärfer, als sie eigentlich beabsichtigt hatte. „Cordelia hat sich vor ein paar Monaten die Hüfte gebrochen und ist immer noch nicht wieder völlig auf dem Damm.“

„Natürlich weiß ich darüber Bescheid“, erwiderte Rocco eisig. „Aber soweit ich unterrichtet bin, ist alles gut verheilt.“

„Sie ist weit über achtzig und sollte einfach nicht mehr allein hier draußen leben. Der erneute Unfall vor Kurzem, als sie sich die Hand verbrannt hat, ist ja wohl Beweis genug. Ich finde es äußerst bedauerlich, dass Sie offensichtlich keine Zeit haben, sich um Ihre Großmutter zu kümmern. Soweit ich weiß, sind Sie doch ihr einziger Verwandter.“ Emma bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. „Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss mich um meine Patientin kümmern.“

Im Salon herrschten tropische Temperaturen. Wenigstens spart Cordelia nicht an der Heizung, dachte Emma. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie sich Rocco, der ihr ins Wohnzimmer gefolgt war, schleunigst seines Mantels entledigte. Sie konnte einfach den Blick nicht mehr abwenden. In ihrem Bauch flatterte ein ganzer Schmetterlingsschwarm, als sie registrierte, wie absolut fantastisch Rocco aussah. Die enge schwarze Jeans und der schwarze Pullover brachten seinen durchtrainierten Körper bestens zur Geltung. Das rabenschwarze Haar betonte seine ebenmäßigen Gesichtszüge, die mit den hohen Wangenknochen und dem energischen Kinn fast aristokratisch wirkten.

Er sieht aus wie ein Filmstar oder einer dieser extrem attraktiven Dressmen in den Hochglanzmagazinen. Auf eine Jacht im Hafen von Monaco würde er auch gut passen.

Plötzlich sah Rocco zu ihr herüber, und sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Dann wurde ihr noch heißer, als er sie unverhohlen von Kopf bis Fuß musterte. Er hat Augen wie ein Raubtier, dachte sie unvermittelt. Offensichtlich fiel sein Urteil nicht besonders positiv aus. Warum auch? dachte Emma selbstkritisch. Schließlich war sie keine dieser Laufstegschönheiten wie Juliette Pascal, die offensichtlich gerade seine Gunst genoss. Emma hatte sich bereits seit Langem damit abgefunden, dass sie nie die Maße dieser Magermodels erreichen würde, egal wie viele Diäten sie auch machte. Und in dieser Daunenjacke sehe ich wahrscheinlich aus wie ein Sumo-Ringer!

Rocco schäumte innerlich. Das Gefühl der Dankbarkeit hatte sich inzwischen völlig verflüchtigt. Was fällt dieser Person ein, mich zu kritisieren! Sie kennt mich doch überhaupt nicht!

Schließlich liebte er seine nonna heiß und innig, und der Vorwurf, er würde sich nicht um sie kümmern, traf ihn heftig. Einfach lächerlich! Schließlich rief er sie jede Woche an. Sicher, er hatte es schon seit Längerem nicht mehr geschafft, nach England zu kommen. Um genau zu sein, seit seinem Kurzbesuch zu Weihnachten nicht mehr. Oh Gott, ist das wirklich schon drei Monate her?

Davon abgesehen lebte Cordelia überhaupt nicht allein. Diese Krankenschwester sollte sich erst einmal mit den Fakten vertraut machen, bevor sie andere verurteilte! Vor seiner Abreise im Dezember hatte er nämlich eine Haushälterin eingestellt, die sich um den Haushalt und um seine Großmutter kümmern sollte.

Wütend funkelte er Emma an. Leider sah er nach wie vor nur ihre Nasenspitze, da sie immer noch Schal und Strickmütze trug. Wie kann man nur eine derartige Abscheulichkeit aufsetzen? dachte er.

„Cordelia! Wieso hast du denn Schnee auf deinen Hausschuhen?“, rief Emma plötzlich aus. Erst jetzt bemerkte sie, dass die alte Dame vor Kälte zitterte. „Sag bloß nicht, du warst im Garten? Es ist doch eiskalt! Außerdem hättest du ausrutschen können!“

„Nur kurz“, gestand diese. „Ich habe Thomas gesucht, aber ich kann ihn einfach nirgends entdecken.“

„Weißt du was? Ich suche ihn, und dann mache ich uns eine schöne Tasse Tee. Und du setzt dich inzwischen an den Kamin.“ Emmas Ton duldete keinen Widerspruch. Insgeheim war sie froh, der irritierenden Gegenwart von Cordelias attraktivem Enkel zu entkommen.

In der Küche setzte sie den Teekessel auf, öffnete dann die Tür zum Garten und trat hinaus ins Mondlicht. Emma presste die Lippen zusammen, als sie Cordelias Fußabdrücke in der ansonsten unberührten Schneedecke erblickte. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie das hätte ausgehen können!

Plötzlich sah sie im Dunkel ein rundes Augenpaar leuchten. „Thomas, du kleiner Racker! Komm sofort rein.“ Ein rotes Fellknäuel versuchte, an ihr vorbeizuschießen, aber Emma erwischte das Tier. Sie wünschte, immer noch ihre Handschuhe anzuhaben, als sie die scharfen Krallen spürte. „Du wärst schuld gewesen, wenn dein Frauchen gefallen wäre!“, schalt sie scherzhaft.

Sie runzelte besorgt die Stirn. So konnte es einfach nicht weitergehen. Cordelia musste umziehen – zu ihrer eigenen Sicherheit. Oder ihr arroganter Enkel, der sich gerade mal wieder herabließ hereinzuschneien, müsste eine Betreuerin einstellen.

Emma ging zurück in die Küche, in der Rocco D’Angelo auf und ab tigerte. Der große Raum wirkte plötzlich unerträglich eng. Sogar sein Name klingt sexy, schoss es Emma durch den Kopf. Plötzlich blieb Rocco vor ihr stehen, und ihr Herz setzte einen Moment lang aus.

„Wer ist Thomas?“, fragte er barsch. „Und wieso kochen Sie eigentlich den Tee? Ist das nicht die Aufgabe der Haushälterin?“

„Das hier ist Thomas.“ Emma hielt ihm das Tier entgegen und setzte es dann sanft auf den Boden. „Er tauchte vor ein paar Wochen plötzlich vor Cordelias Haustür auf, und sie hat ihn adoptiert. Vermutlich wurde er ausgesetzt. Er ist halb verwildert, und normalerweise lässt er sich auch nur von Cordelia anfassen.“ Sie betrachtete den Kratzer auf ihrem Handrücken. Irritiert nahm sie zur Kenntnis, dass der Kater sich an Roccos Hosenbein rieb und dabei schnurrte. „Und eigentlich sollten Sie wissen, dass es hier keine Haushälterin gibt“, fügte sie in scharfem Ton hinzu. „Ich kann wirklich absolut nicht verstehen, wie Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren können, Ihre Großmutter hier, weit ab vom nächsten Ort, alleine zu lassen. Ich weiß, Sie sind ein viel beschäftigter Geschäftsmann, Mr. D’Angelo …“

„Als ich das letzte Mal hier war, habe ich Morag Stewart als Haushälterin eingestellt“, unterbrach Rocco sie brüsk. Er hatte wirklich keine Lust, sich erneut eine Litanei von dieser Krankenschwester anzuhören.

Ich bin mir durchaus meiner Fehler und Unzulänglichkeiten bewusst, dachte er. Wie immer, wenn er nach Nunstead Hall zurückkehrte, überfiel ihn die schmerzhafte Erinnerung an seinen jüngeren Bruder. Giovanni war vor zwanzig Jahren in dem See auf dem Gelände ertrunken, und er, Rocco, hörte immer noch die Schreie seiner Mutter. Alles sei seine Schuld. Er hätte ihn retten müssen, aber er hatte versagt.

Rocco biss die Zähne zusammen. Seine Wangenmuskeln traten hart hervor. Tragischerweise hatten dramatische Ereignisse die Tendenz, sich zu wiederholen – und erneut durch seine Schuld. Vor einem Jahr hatte eine junge Schauspielerin, Rosalinda Barinelli, eine Überdosis Schlaftabletten geschluckt, nachdem er die Beziehung beendet hatte. Glücklicherweise konnte sie gerettet werden. Aber sie gestand ihm, dass er der Grund für die Verzweiflungstat war, weil sie sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen konnte.

Als Rocco sie im Krankenhaus besuchte, hatte sie ihm offenbart, dass sie immer mehr als nur eine Affäre gewollt hatte. Sie hatte nur so getan, als sei sie damit zufrieden gewesen, seine Geliebte zu sein, insgeheim aber immer gehofft, er würde sich eines Tages in sie verlieben.

Erstaunlicherweise hatten Rosalindas Eltern ihm zu seiner großen Erleichterung keine Vorwürfe gemacht. Ihre Tochter hätte bereits wegen eines anderen Mannes einen Selbstmordversuch hinter sich, erklärten sie ihm, als er beteuerte, er hätte nichts von der Tiefe ihrer Gefühle gewusst. Trotzdem, die Barinellis mochten ihn vielleicht nicht verurteilen, aber er … er fühlte sich schuldig.

Und jetzt – in dieser Küche mit dieser kämpferischen Krankenschwester – meldete sich erneut sein Gewissen. Vielleicht hatte sie ja recht mit ihren Anschuldigungen? Was er allerdings überhaupt nicht verstand: Wieso lebte Cordelia allein in Nunstead Hall? Er war jedoch entschlossen, dies herauszufinden.

2. KAPITEL

Emma schaltete den Herd höher und legte den Schal ab. Dann sah sie die Schneespuren auf dem Fußboden und zog sich die Stiefel aus. Zuletzt schälte sie sich noch aus der dicken Daunenjacke. Ihre Gedanken kreisten um Rocco D’Angelos Behauptung, er hätte Personal eingestellt.

„Seit ich Cordelia kenne, habe ich hier noch keine Haushälterin gesehen. Diese Morag Stewart kenne ich nicht, und Ihre Großmutter hat sie auch nie erwähnt. Wann soll das noch mal gewesen sein?“

„Kurz vor Weihnachten“, antwortete er kühl. Die deutliche Skepsis in Emmas Ton ärgerte ihn maßlos. Er war es nicht gewohnt, hinterfragt zu werden. Schon gar nicht von einer Frau!

Nonna litt nach ihrer Hüftoperation immer noch unter Beschwerden, deswegen wollte ich sie eigentlich mit nach Italien nehmen. Sie weigerte sich jedoch, Nunstead Hall zu verlassen. Ich leite ein Unternehmen, wie Sie vielleicht wissen, und meine freie Zeit ist sehr begrenzt.“

Ehrlich gesagt, herrschte in den letzten vier Monaten die reinste Hektik. Der unerwartete Tod seines Vaters war ein furchtbarer Schock. Zu der doppelten Arbeitsbelastung kam jetzt auch noch die Aufgabe, Enricos Angelegenheiten zu regeln. Rocco mochte gar nicht daran denken.

Fragend sah er die Krankenschwester an, die gerade den Tee aufgoss. „Da ich wusste, dass ich nicht regelmäßig nach England würde fliegen können, habe ich eine Personalagentur beauftragt, ein paar Bewerberinnen vorbeizuschicken, und mich dann für besagte Morag Stewart entschieden.“

„Ich komme erst seit Ende Januar zu Ihrer Großmutter.“ Womöglich habe ich ihm unrecht getan, überlegte Emma. „Unsere Zuständigkeitsbereiche wurden umstrukturiert, und ich habe diese Gegend von einem Kollegen übernommen. Es hat mich von Anfang an beunruhigt, dass Cordelia so weit draußen lebt. Zunächst bin ich nur einmal die Woche gekommen, um ihren Blutdruck zu messen. Seit sie sich die Hand verbrannt hat, jedoch alle zwei Tage. Morag Stewart muss Nunstead Hall aus irgendeinem Grund verlassen haben.“

„Und diesen Grund beabsichtige ich von Cordelia zu erfahren!“

Plötzlich erschien ihm die Angelegenheit jedoch nicht mehr so dringlich wie noch vor ein paar Minuten. Interessiert hatte er verfolgt, wie sich das hässliche Entlein praktisch vor seinen Augen in einen schönen Schwan verwandelte. Nachdem Emma sich der klobigen Stiefel entledigt hatte, kamen überraschend schlanke und wohlgeformte Beine zum Vorschein. Der Schal hatte ein frisches junges Gesicht freigegeben – viel jünger, als Rocco vermutet hatte –, mit einem rosigen Teint und vollen roten Lippen. Rocco hatte Mühe, seinen Blick von ihnen zu lösen.

Dann setzte sie die Mütze ab und schüttelte ihr kinnlanges rotblondes Haar aus. Es umschmeichelte ihr Gesicht und schimmerte im hellen Licht der Küche wie Seide. Sie wirkt wirklich sehr energisch und charakterstark, dachte Rocco, während er Emmas Züge musterte. Und sie hat wunderschöne Augen: offen, intelligent … und irgendwie geheimnisvoll. Als sie dann noch die unförmige Jacke ablegte und er sah, wie wohlgeformt ihr Körper unter ihrer gestärkten Schwesterntracht war – schmale Taille, herrlich gerundete Hüften und eine nicht uninteressante Oberweite – war sein Erstaunen perfekt.

Genau so sollte eine Frau aussehen! dachte er. Der Gedanke überraschte ihn. Schließlich war er verwöhnt. Er umgab sich üblicherweise mit Topmodels. Aber er empfand allmählich einen gewissen Überdruss bei diesen durch Diäten und Fitnessprogramme gestählten Körpern. Bei Emmas Anblick kam ihm ein Renaissancegemälde in den Sinn: Adam und Eva im Garten Eden. Emmas Kurven waren ebenso verlockend und erotisch. Rocco fragte sich, wie sie wohl nackt aussähe. Fast konnte er ihre vollen Brüste in seinen Händen spüren und …

Die Erregung überfiel ihn völlig unvermutet. Eigentlich war diese Krankenschwester so gar nicht sein Typ. Sie erinnerte ihn an die strenge Direktorin in seiner Grundschule. Außerdem irritierte ihn ihre Art, voreilige Schlüsse zu ziehen, maßlos.

Wobei wir wieder beim Thema wären, dachte er seufzend. Was sollte mit seiner Großmutter geschehen, und wohin war die Haushälterin entschwunden?

„Trotz Ihrer Arbeit hätten Sie zwischenzeitlich einmal nach dem Rechten sehen müssen.“ Emmas Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Dann wüssten Sie, dass diese angebliche Angestellte gar nicht hier arbeitet und Cordelia kaum noch allein zurechtkommt. Sie sind bestimmt ein viel beschäftigter Mann, Mr. D’Angelo, aber Ihr Leben besteht nicht nur aus Arbeit. Cordelia schneidet jeden Zeitungsartikel über Sie aus. Erst letzte Woche hat sie mir ein Foto von Ihrem Skiurlaub im Val d’Isère gezeigt.

Sie nahm drei hauchdünne Porzellantassen aus dem Schrank. „Meiner Meinung nach …“

„Ihre Meinung interessiert mich nicht! Schon gar nicht, was meine persönlichen Angelegenheiten betrifft.“ Rocco rang um Fassung, trotzdem stand ihm der Ärger deutlich ins Gesicht geschrieben. Diese selbstgerechte Krankenschwester! dachte er grimmig. Wenn sie wüsste, dass der Skiurlaub nur deshalb stattfand, weil ich versuchen wollte, mit dem unehelichen Sohn meines Vaters eine vertrauensvolle Basis herzustellen. Dabei war Rocco die Existenz dieses Halbbruders bis kurz vor Enricos Tod selbst nicht bekannt. „Mein Privatleben geht Sie überhaupt nichts an!“

„Richtig“, stimmte ihm Emma zu. „Aber das Wohlbefinden Ihrer Großmutter! Und ich mache mir Sorgen um sie. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt noch genug isst und trinkt. Ich kann es nicht mehr verantworten, sie hier allein zu lassen. Ich muss ihren Fall dem Sozialdienst melden.“

Roccos bernsteinfarbene Augen glitzerten drohend. Offensichtlich gefällt ihm meine Direktheit gar nicht! Das war nichts Neues. Die Menschen ließen sich ungern an ihre Verantwortung ihren Nächsten gegenüber erinnern. Zu dumm, dachte sie und begegnete gleichmütig Roccos wütendem Blick. Aber hier ging es um Cordelia, die sie sehr mochte. Emma wollte verhindern, dass es mit ihr so endete wie mit dem armen Mr. Jeffries.

„Ihre Großmutter braucht Hilfe. Es ist absolut inakzeptabel, sie im Stich zu lassen, während Sie rund um den Globus touren. Ob nun geschäftlich oder zu Ihrem Vergnügen ist völlig unerheblich.“ Emma fiel die attraktive Blondine auf dem Foto ein. Zweifelsohne seine Begleitung auf der Skipiste … und beim Après-Ski.

Rocco unterdrückte einen Fluch. Seine Geduld war endgültig erschöpft. „Ich leite ein Unternehmen, das Milliarden auf dem Weltmarkt umsetzt. Ich ‚toure‘ nicht herum. Außerdem habe ich Cordelia nicht im Stich gelassen!“ Er atmete tief durch. Diese Frau ist Krankenschwester, zu ihren Aufgaben gehört es, für das Wohlergehen ihrer Patienten zu sorgen, rief er sich ins Gedächtnis, um die Ruhe zu bewahren. „Ich weiß Ihre Bemühungen zu schätzen, aber ich bin durchaus in der Lage, mich selbst um meine Großmutter zu kümmern.“

„Seit wann?“ Emma zog die Augenbrauen hoch. „Davon habe ich bis jetzt wenig gemerkt. Cordelia geht es Woche für Woche schlechter. Allein ihre Brandverletzung sollte Warnung genug sein. Wollten Sie ihr wirklich helfen, müssten Sie bei ihr leben.“

„Das ist leider unmöglich. Der Firmensitz von Eleganza ist in Italien, und deshalb muss ich auch dort sein.“ Vor allem, da er jetzt zusätzlich noch Marcos Interessen berücksichtigen musste. Aber Rocco würde den Teufel tun und diesem Fräulein Superschlau Rechenschaft ablegen. Das ging sie alles gar nichts an. Ihr musste es genügen, wenn er versicherte, sich um alles zu kümmern. Allerdings war es ihm noch ein Rätsel, wie er das bewerkstelligen sollte. Cordelia hatte immer geschworen, Nunstead Hall nie zu verlassen.

Ich kann es ihm nicht verdenken, dass er lieber in seiner Luxusvilla in Portofino lebt, statt hier im feuchten und kalten Norden Englands, dachte Emma. Cordelia hatte ihr Fotos gezeigt: Rocco vor seiner Villa, Rocco auf seiner Jacht, hinter ihm das tiefblaue Meer und an seiner Seite eine brünette Laufstegschönheit, die sich an ihn schmiegte.

„Mein Enkel ist ein Playboy. Ganz wie sein Vater.“ In Cordelias Stimme hatte sowohl Stolz als auch eine gewisse Resignation mitgeschwungen. „Aber zumindest hat er aus den Fehlern seines Vaters gelernt. Er sagt, er wolle nie heiraten und eine Familie gründen.“

Emma kehrte in die Gegenwart zurück. „Wie auch immer“, sagte sie und verdrängte die Erinnerung an die Fotos und Roccos durchtrainierten muskulösen Oberkörper, „es muss jedenfalls etwas geschehen.“

Der Tee war fertig, und Emma griff nach dem Tablett … gleichzeitig mit Rocco. Ihre Hände berührten sich, und ein Stromstoß durchzuckte Emma. Es fühlte sich an, als hätte sie sich verbrannt.

Plötzlich ging die Tür auf, und Cordelia kam herein. „Ich wollte mal nachsehen, wo der Tee bleibt!“, erkundigte sie sich liebenswürdig. Emmas hochrotes Gesicht schien sie nicht zu bemerken.

„Ich wollte ihn gerade in den Salon bringen“, verkündete Rocco. Nichts verriet den Aufruhr, in dem er sich befand. Er verspürte das Bedürfnis, die Hände in Emmas seidigem Haar zu vergraben. Und ihm gefiel die herbe, frische Note ihres Parfüms. Es war so viel dezenter als diese teuren Designerdüfte seiner sonstigen Begleiterinnen. „Nonna, was ist eigentlich aus der Haushälterin geworden, die ich für dich eingestellt hatte?“

„Ach, die! Die habe ich schon vor Ewigkeiten rausgeworfen. Sie hat gestohlen. Eine schreckliche Person! Ich bin sicher, sie hat von der ersten Sekunde an geklaut wie ein Rabe. Zumindest fehlt die Hälfte des Silberbestecks.“

Rocco seufzte tief. „Warum hast du mir denn nichts davon gesagt? Du weißt doch, dass ich mir Sorgen um dich mache seit deinem Sturz letztes Jahr. Du darfst nicht mehr allein hier draußen leben.“ Befriedigt registrierte er aus den Augenwinkeln Emmas schuldbewusste Miene. Jetzt dürfte ihr wohl klar sein, dass ich Cordelia nicht im Stich gelassen habe! Hoffentlich hält sie sich in Zukunft mit ihren Vorverurteilungen etwas zurück. Andererseits hatte sie natürlich recht, er hätte seine Großmutter wirklich innerhalb der letzten drei Monate besuchen sollen.

„Ich wollte dich nicht beunruhigen“, erklärte Cordelia. „Du hast mit der Firma wirklich genug zu tun. Und dann noch der Tod deines Vaters …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann es noch gar nicht glauben, dass mein Schwiegersohn gestorben sein soll. Enrico war doch höchstens Anfang sechzig. Und er sah immer noch so stattlich aus. Hatte er nicht gerade einen Film abgedreht, als der Krebs diagnostiziert wurde?“

Rocco nickte bestätigend. „Zumindest hat er nicht lange leiden müssen. Das hätte er nicht ertragen.“ Sein Vater war wirklich kein einfacher Patient gewesen. Enrico D’Angelo, ein gefeierter italienischer Filmstar, erwartete von seinem Sohn, für den er selbst nie Zeit gehabt hatte, dass dieser ständig an seinem Bett saß. Tag und Nacht. Rocco fühlte sich so hilflos, aber er konnte seinen Vater nicht retten. Ebenso wenig wie damals seinen Bruder oder seine Mutter, die durch einen schrecklichen Autounfall ums Leben gekommen war.

Rocco riss sich aus seinen düsteren Gedanken. Er kannte seine Großmutter. Sie versuchte gerade, von sich abzulenken. „Trotzdem, nonna, du hättest mir das von der Haushälterin sagen müssen! Ich bin die ganze Zeit davon ausgegangen, dass du in guten Händen wärst.“

„Ich brauche niemanden! Das solltest du allmählich wissen: Mich wirft so schnell nichts um. Und …“, sie warf ihrem Enkel einen beinah trotzigen Blick zu, „… ich werde Nunstead Hall nicht verlassen. Hier bin ich geboren, und ich gedenke auch hier zu sterben.“

Emma sah zu Rocco hinüber. Fast tat er ihr leid. Seine Großmutter maß zwar nur knapp einen Meter fünfzig und sah aus, als wöge sie nicht mehr als ein Spatz – aber sie war stur wie ein Maultier. Da stand ihm noch ein schweres Stück Arbeit bevor.

Ihre Blicke trafen sich in stummem Einverständnis. Emma würde sich bei ihm entschuldigen müssen.

„Vielleicht sollten wir ins Wohnzimmer zurückgehen?“, schlug sie Cordelia vor und vermied es, Rocco anzusehen, weil sie sich schämte, ihm derart unrecht getan zu haben. „Ich möchte mir deine Hand ansehen.“

Erleichtert atmete sie auf, sich der starken Ausstrahlung dieses unwiderstehlichen Mannes entziehen zu können. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, und sie fühlte sich, als hätte sie den Boden unter den Füßen verloren. Sie hatte seinen muskulösen Oberschenkeln und den schmalen Hüften nicht mehr als einen flüchtigen Blick gegönnt. Trotzdem entging ihr nicht, wie eng die schwarze Jeans saß. Sein fantastisches Aussehen mochte der Grund für die Anziehung sein, aber nach Jack hatte Emma sich geschworen, nie mehr auf einen attraktiven Charmeur hereinzufallen. Mochte er auch tonnenweise Charisma haben – sie war immun.

In der Eingangshalle fiel ihr Blick auf ein Gemälde von Cordelias Tochter. Flora Symmonds war wirklich eine außergewöhnliche Schönheit, stellte sie neidlos fest. Die berühmte Schauspielerin starb viel zu jung auf dem Höhepunkt ihrer Karriere.

„Atemberaubend, nicht wahr?“, bemerkte Rocco, der an Emmas Seite getreten und ihrem Blick gefolgt war. „Meine liebe mamma. Schön, talentiert, nur leider eine lausige Mutter.“

Emma sah ihn schockiert an. „Das meinen Sie doch nicht wirklich?“ Sie war froh, dass Cordelia schon vorausgegangen war und die Worte ihres Enkels nicht hörte.

„Es ist aber traurigerweise wahr.“ Mit verschlossener Miene betrachte er das Porträt erneut. „Meine Eltern waren selbstsüchtig und egozentrisch. Sie hätten nie Kinder haben sollen. Das wurde ihnen auch ziemlich schnell selbst klar, und sie schickten uns so bald als möglich auf ein Internat.“

„Uns?“ Emma runzelte die Brauen. Aus Cordelias Erzählungen hatte sie den Eindruck gewonnen, Rocco sei ein Einzelkind.

„Mein jüngerer Bruder und ich waren im Internat in England“, antwortete er, und seine Stimme klang seltsam hohl. „Cordelia ersetzte uns quasi die Mutter. Ich verbrachte meine Ferien normalerweise in Nunstead Hall, da meine Eltern meistens bei Dreharbeiten waren.“ Jetzt huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Ich gebe zu, der Nationalpark von Northumberland hat fantastische Wanderwege. Ich bin als Junge viel im Moor unterwegs gewesen.“

Das Blut stieg Emma in die Wangen, als sie sich an ihr Gespräch im Wagen erinnerte. „Ich wusste ja nicht, dass Sie die Gegend hier kennen“, verteidigte sie sich. „Sie hätten mir sagen sollen, wer Sie sind!“

Rocco zuckte die Achseln. „Ich konnte ja nicht ahnen, dass Sie auf dem Weg zu meiner Großmutter waren, und sah keine Veranlassung, mich vorzustellen.“ Er zögerte einen Moment. „Ich muss zugeben, Ihre Besorgnis um Cordelia ist absolut gerechtfertigt. Wenn ich gewusst hätte, dass sie ganz allein ist, wäre ich natürlich längst nach England gekommen und hätte mich um sie gekümmert.“

Das bezweifelte Emma inzwischen keine Sekunde mehr. Es war nicht zu übersehen, wie sehr er an seiner Großmutter hing. Wieder schämte sie sich, ihn so ungerecht behandelt zu haben. „Ich möchte Ihnen noch mein aufrichtiges Beileid aussprechen“, murmelte sie und blickte verlegen zu Boden. „Ich kam gar nicht auf den Gedanken, dass Enrico D’Angelo Ihr Vater war … bis Cordelia es eben erwähnte. Er war wirklich ein großartiger Schauspieler. Ich war total schockiert, als ich vor ein paar Wochen durch die Zeitungen von seinem Tod erfuhr.“

Auch wenn man seinen Eltern nicht sehr nahe steht, ist es sicher dennoch hart, sie so früh zu verlieren, vermutete Emma. Sie schätzte Rocco auf Mitte dreißig. Dann war er noch ein sehr junger Mann, als seine Mutter an der französischen Riviera mit ihrem Wagen verunglückte. Sie musste wohl eine der Haarnadelkurven zu scharf genommen haben – jedenfalls lautete so die offizielle Erklärung.

Der Unfall sorgte damals international für Schlagzeilen. Immerhin waren Flora Symmonds und Enrico D’Angelo Weltstars. Ihre stürmische Ehe, die zahlreichen Affären und schließlich die Scheidung standen immer im Zentrum des Medieninteresses. Kein Wunder, dass Rocco die Ferien lieber bei seiner Großmutter in der friedlichen Umgebung von Nunstead Hall verbrachte.

Verstohlen musterte sie ihn. Er ertappte sie dabei und lächelte sie an. In seinen bernsteinfarbenen Augen lag ein verwegenes Funkeln. Unwillkürlich machte Emmas Herz einen kleinen Sprung. Ich hätte mir ja denken können, dass sein Lächeln umwerfend sein würde, sagte sie sich. Immerhin war er der typische Macho: gut aussehend, selbstbewusst und verteufelt sexy. Ganz wie Jack – und genau der Typ Mann, den sie seither mied wie die Pest.

Die Erinnerung an Jack wirkte glücklicherweise wie eine kalte Dusche. Rocco war ein Charmeur, aber Emma hatte nicht vor, sich auf dieses Spiel einzulassen. „Wollen Sie das Tablett nicht lieber in den Salon tragen, bevor der Tee zu lange zieht?“, fragte sie kühl und ging voran.

Rocco verzog schmerzlich das Gesicht, als er beim Verbandswechsel die Brandwunde sah. „Das muss doch wehtun! Wie hast du denn das angestellt, nonna?“

„Ach, einfach durch meine Ungeschicklichkeit“, winkte Cordelia ab. „Ich hatte mir eine Suppe gekocht. Diese Kupfertöpfe sind einfach schrecklich schwer. Wenn ich das nächste Mal nach Morpeth fahre, werde ich mir einen anderen Topf besorgen.“

„Wie kommst du denn überhaupt in die Stadt oder ins nächste Dorf, seit Morag Stewart weg ist?“ Das war ja einer der Gründe für deren Einstellung gewesen. Sie sollte seine Großmutter zum Einkaufen fahren und bei den Besorgungen begleiten.

„Nun gar nicht mehr, da Dr. Hanley gemeint hat, dass ich viel zu schlecht sehe, um noch selbst am Steuer zu sitzen. Obwohl er sich da täuscht“, fügte sie indigniert hinzu. „Schließlich habe ich während des Krieges in London den Rettungswagen gefahren.“

„Ich weiß, nonna. Du warst – bist – eine ganz außergewöhnliche Frau“, sagte Rocco besänftigend.

Noch ein Zeichen, dass sie allmählich alt wird, dachte er schweren Herzens, diese Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. Wieder übermannte ihn das Schuldgefühl, nicht selbst nach Nunstead Hall gefahren zu sein, um zu schauen, ob alles in Ordnung war. Aber er war so mit seinem Vater beschäftigt … und der Suche nach dessen Geliebter, der Mutter von Enricos jüngstem Sohn.

„Ich kann von Glück reden, eine so wundervolle Krankenschwester zu haben.“ Cordelias Stimme riss Rocco aus seinen Gedanken. „Emma hat die Einkäufe für mich erledigt. Ich brauche ja nicht mehr viel – etwas Milch und ab und zu ein Brot. Aber das Katzenfutter für Thomas! Er will schließlich dreimal am Tag fressen.“

„Er ist die verwöhnteste Katze in ganz Northumberland“, meinte Emma trocken. „Ich wünschte, du würdest drei Mahlzeiten am Tag essen, Cordelia!“

Sie mag Großmutter wirklich, dachte Rocco, als er die Wärme in Emmas Stimme hörte. Außerdem bedachte sie Cordelia mit einem weitaus herzlicheren Lächeln als ihn. Er gab es zwar nicht gerne zu, aber er fühlte sich doch etwas befremdet. Normalerweise schmolzen die Frauen in seiner Gegenwart nur so dahin.

Als junger Mann hatte es ihn gefreut, dass ihm sein gutes Aussehen Erfolg bei der Damenwelt bescherte. Später wurde diese Freude durch einen gewissen Zynismus getrübt, als ihm bewusst wurde, dass er seine Anziehung wohl zum größten Teil den Milliarden seines Großvaters zu verdanken hatte. Die Geliebten kamen und gingen. Keine interessierte ihn länger als ein paar Monate. Ich hatte einfach immer zu leichtes Spiel, dachte er selbstkritisch. Ich musste mich wirklich noch nie anstrengen, nie einer Herausforderung stellen.

Er musterte Emma forschend. Alles an ihr wirkte praktisch. Sogar ihre Frisur. Dieser Frau ein Lächeln zu entlocken, das käme einer echten Herausforderung gleich! Er betrachtete ihre vollen Lippen und spürte förmlich, wie sie sich anfühlen würden, wenn er sie küsste. Ertappt senkte er den Blick, als Emma unvermittelt aufsah. Plötzlich wurde ihm unsäglich heiß.

Dio, fluchte er innerlich. Das letzte Mal war es ihm so ergangen, als ihn mit vierzehn im Internat die Aufsicht mit einem Hochglanzmagazin voller leicht bekleideter Frauen erwischt hatte. Rocco trat ans Fenster und zog die Gardinen zu. Er war froh, einen Grund zu haben, den beiden den Rücken zuzukehren, um seine Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen.

Emma war mit dem Verbandswechsel fertig. „Die Wunde heilt gut“, verkündete sie, „aber es besteht ein Infektionsrisiko. Deshalb muss der Verband noch ein paar Tage dranbleiben. Ich komme am Montag wieder und erneuere ihn.“ Damit stand sie auf.

Unwillkürlich verkrampfte sie sich, als Rocco auf sie zukam. Sie versuchte zwar, sich nichts anmerken zu lassen, musste jedoch verärgert feststellen, dass ihre Hände zitterten, als sie die Utensilien in ihrem Verbandskoffer verstaute.

„Es hat wieder angefangen zu schneien“, verkündete Rocco. „Die Situation auf den Straßen hat sich bestimmt inzwischen noch weiter verschlechtert. Ich glaube, es wäre besser, wenn Sie die Nacht hier verbringen würden, Emma.“

Wie schafft er es, sogar meinen Namen erotisch klingen zu lassen? Ein wohliger Schauer lief über ihre Haut. Herrgott! Ich werde mich doch wohl nicht von einer Stimme verführen lassen! Sie holte tief Luft. „Vielen Dank für das Angebot, aber ich muss zurück.“

Rocco runzelte die Stirn. In Gedanken hatte er sich schon mit Emma vor dem Kamin sitzen sehen: Sie nippten an dem milden Malzwhiskey, den Cordelia für besondere Anlässe bereithielt. Diese hatte sich bereits in ihr Schlafgemach zurückgezogen, und Rocco ließ seinen Charme spielen, um Emmas Widerstand zu brechen. Ihre kühle Antwort brachte ihn schlagartig auf den Boden der Tatsachen zurück.

„Werden Sie erwartet?“ Vielleicht hat sie ja einen Freund? überlegte er.

„Von meiner dreijährigen Tochter.“ Sie warf einen Blick auf die Uhr auf dem Kaminsims. „Ich hätte Holly schon vor einer Stunde abholen müssen. Glücklicherweise meinte die Kinderfrau, ich könne sie ruhig länger bei ihr lassen. Aber jetzt muss ich wirklich gehen.“

„Kann denn der Vater sie nicht abholen?“

Rocco konnte nicht sagen, wer von dieser persönlichen Frage mehr überrascht war: er oder Emma. Was ist nur in mich gefahren? So kannte er sich überhaupt nicht. Er blickte auf Emmas Ringfinger, an dem unübersehbar ein schlichter Goldreif prangte.

„Nein.“ Dies musste als Antwort genügen. Emma wollte jetzt wirklich los, um sich endlich um ihre Tochter zu kümmern. Sie bemerkte zwar Roccos befremdeten Blick, aber darauf konnte sie im Moment keine Rücksicht nehmen. „Ich hole nur schnell meine Stiefel und die Jacke, und dann fahre ich. Cordelia, du bleibst bitte hier im Warmen!“, fügte sie hinzu, als die alte Dame Anstalten machte aufzustehen. „Wir sehen uns am Montag.“

„Vergiss die Mütze nicht!“, rief Cordelia. „Ich bin froh, dass ich sie dir gestrickt habe. Bei diesem Wetter kannst du sie wirklich brauchen.“

Emma unterdrückte einen Seufzer. Diese schreckliche Mütze, dachte sie. Das Teil ähnelte eher einem Teewärmer, aber Cordelia war so stolz auf ihr Werk, dass Emma es nicht geschafft hatte, das Geschenk abzulehnen. Und natürlich fühlte sie sich verpflichtet, sie auch zu tragen. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie ein amüsiertes Zucken um Roccos Mundwinkel und spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss.

Er wartete in der Eingangshalle auf sie, als sie schließlich dick vermummt auf die Haustür zuging. Plötzlich wünschte Emma sich, sie würde ihren eleganten grauen Wollmantel tragen und nicht diese unförmige Daunenjacke.

„Ich bringe Sie zum Wagen“, sagte er und öffnete die Tür. Der Schnee fiel in dichten Flocken, und Emma schickte wieder einmal ein Dankgebet zum Himmel, dass ihr Vater ihr den Geländewagen mit dem Allradantrieb geschenkt hatte.

„Das ist nicht nötig“, wehrte Emma ab.

Rocco ignorierte ihre Worte und folgte ihr. „Ich habe mich noch gar nicht für meine Rettung bedankt“, meinte er. Sein Gesicht lag im Schatten, aber seine Augen funkelten. Wie bei einem Raubtier, schoss es Emma durch den Kopf.

„Gern geschehen.“ Emma zögerte. „Wissen Sie, ich bin froh, dass Sie hier sind. Ich habe mir solche Sorgen um Cordelia gemacht. Wie lange werden Sie denn bleiben?“

„Ich weiß nicht genau“, gestand Rocco. Ihm war klar, dass er nicht nach dem Wochenende sofort wieder abreisen konnte. Andererseits konnte er auch nicht ewig in England bleiben. Schließlich musste er sich in Italien um sein Unternehmen kümmern.

Vielleicht erkannte Emma sein Dilemma. Denn nachdem sie auf den Fahrersitz geklettert war, kurbelte sie die Fensterscheibe herunter und sah Rocco an. „Während Sie hier sind, werde ich mich mit dem sozialen Dienst in Verbindung setzen. Wir müssen uns gemeinsam überlegen, was mit Cordelia geschehen soll.“

Da war sie wieder, diese Lehrmeisterinnenattitüde, stellte Rocco verärgert fest. Denkt sie wirklich, ich würde Cordelia einfach im Stich lassen? Ihm lag schon eine scharfe Antwort auf der Zunge, da fiel ihm ein, dass es ohne Emma womöglich nicht so gut um seine Großmutter stehen würde.

Er nickte knapp. „Sie fahren jetzt besser, bevor es noch stärker schneit. Würden Sie bitte anrufen, sobald Sie zu Hause sind, damit meine Großmutter beruhigt ist?“

Die Fahrt nach Little Compton erforderte Emmas ganze Konzentration und drängte glücklicherweise die Gedanken an Rocco D’Angelo in den Hintergrund.

„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich, als sie schließlich bei Karen, Hollys Tagesmutter, ankam. „Die Straßen sind spiegelglatt.“

„Mach dir keine Gedanken. Holly hat mit den Zwillingen gespielt und auch mit ihnen zu Abend gegessen. Allerdings hatte sie nicht viel Appetit, und sie wirkt jetzt auch ziemlich erschöpft. Dieser Grippevirus hat sie ganz schön geschwächt. Ihr beiden könntet wirklich einen Urlaub vertragen – möglichst irgendwo, wo es warm und sonnig ist.

„Schön wär’s“, seufzte Emma. „Aber meine finanziellen Mittel reichen wirklich nicht für einen Auslandsurlaub. Außerdem kann ich im Moment überhaupt nicht planen, da mein Vermieter Primrose Cottage verkaufen will. Womöglich muss ich mich bald nach einer neuen Wohnung umsehen.“ Sorgenfalten erschienen auf ihrer Stirn, aber als sich Holly in ihre Arme warf, war davon nichts mehr zu sehen.

„Mummy, ich habe dich so vermisst!“

„Ich dich auch, Mäuschen.“

Es fiel ihr jeden Morgen unsäglich schwer, Holly bei der Tagesmutter abzugeben, aber sie hatte keine andere Wahl. Sie liebte ihren Beruf, hatte jedoch geplant, ein paar Jahre zu pausieren und sich ganz ihrem Kind zu widmen. Leider kam ja dann alles ganz anders, und sie war gezwungen, wieder arbeiten zu gehen, als Holly erst sechs Monate alt war. Das bisschen Zeit, das sie miteinander verbringen konnten, war deshalb besonders kostbar.

„Komm, lass uns heimgehen!“ Schnell verscheuchte sie den Gedanken, dass Primrose Cottage womöglich bald nicht mehr ihr Zuhause sein würde.

Holly schlief schon fast, als Emma vor dem Cottage parkte. Sie beschloss, auf das abendliche Baderitual zu verzichten, packte die Kleine ins Bett und las ihr noch eine Gutenachtgeschichte vor. Dann schlich sie auf Zehenspitzen aus dem Kinderzimmer. Sie würde sich ein Omelett machen. Zwar nicht gerade üppig nach einem Tag wie diesem, aber zu mehr konnte sie sich nicht aufraffen. Zunächst musste sie jedoch noch Cordelia anrufen, damit die alte Dame sich keine Sorgen machte.

Emma griff zum Hörer, und ihr Puls begann zu rasen. Lächerlich! schalt sie sich, konnte es jedoch nicht ändern. Als sich die sonore Männerstimme meldete, setzte Emmas Herz eine Sekunde lang aus.

„Emma! Sind Sie gut nach Hause gekommen?“

„Ja, danke.“ Gehört diese atemlose Kleinmädchenstimme wirklich mir? fragte sie sich. Ein Blick in den Flurspiegel zeigte ihr, dass ihre Wangen hochrot waren. Sie verstand sich plötzlich selbst nicht mehr.

Dieses sexuelle Verlangen kam für sie völlig unerwartet. Aber schon als sie Rocco in Nunstead Hall ohne seinen schweren Lammfellmantel gesehen hatte, war es um sie geschehen. Er hingegen hatte sie natürlich nach einer flüchtigen Musterung abgeschrieben. Allerdings war ihr nicht entgangen, wie er sie anschaute, als sie sich in der Küche aus ihrer unförmigen Kleidung schälte. Seine Augen hatten definitiv begehrlich geglitzert. Allein bei der Erinnerung daran bekam Emma eine Gänsehaut. Sie hielt den Hörer krampfhaft umklammert, und Panik stieg in ihr auf. Nie hätte sie es für möglich gehalten, sich jemals wieder zu einem Mann hingezogen zu fühlen. Alles nur Hormone, tat sie die Regung ab. Zugegeben etwas verwirrend, aber nicht mehr als ein biochemischer Prozess. Mit achtundzwanzig sollte sie wohl über den Dingen stehen. Ganz gewiss würde ein notorischer Playboy sie nicht aus dem Gleichgewicht bringen.

„Ich hoffe, Ihre Tochter war nicht über Ihre Verspätung beunruhigt?“

Roccos dunkle, sonore Stimme rief erneut ungebetene Fantasien in Emma hervor. Überraschenderweise gelang es ihr, völlig unbefangen zu klingen. „Nein, alles in Ordnung. Sie schläft schon, und ich werde mir jetzt etwas zu essen machen. Gute Nacht also, Mr. D’Angelo.“

„Rocco“, verbesserte er sie freundlich. „Meine Großmutter hat den ganzen Abend von Ihnen geredet. Offensichtlich mag nonna Sie sehr. Inzwischen habe ich das Gefühl, Sie so gut zu kennen, dass mir das formale Mrs. Marchant gar nicht mehr so recht über die Lippen will.“

„Oh. Ja, gut.“ Emma hatte das Gefühl zu stammeln. Was mag Cordelia ihm von mir erzählt haben? überlegte sie beunruhigt. Vermutlich amüsierte er sich gerade köstlich über ihre kaum verhohlene Verwirrung. Sie sah seine vollen, sinnlichen Lippen vor ihrem geistigen Auge … und registrierte schockiert, wie ein sehnsüchtiges Ziehen ihren Körper durchfuhr.

Ich muss das Gespräch unbedingt auf der Stelle beenden, dachte sie panisch. „Also, wie gesagt … gute Nacht dann … Rocco.“

Buona notte, Emma. Und noch einmal vielen Dank für Ihre Hilfe.“

Behutsam legte Rocco den Hörer auf. Mit nachdenklicher Miene ging er zurück ins Wohnzimmer. Er musste zugeben, seit er wusste, dass Emma Marchant vor drei Jahren verwitwet war, interessierte sie ihn noch um Einiges mehr. Warum trägt sie dann immer noch den Ehering? wunderte er sich. Eine so lange Trauerzeit erschien ihm ungewöhnlich.

Energisch presste er die Lippen zusammen. Was ging ihn diese Person eigentlich an? Er hatte genug eigene Sorgen. Und eine davon war das Problem mit seiner Großmutter. Rocco hatte nicht vor, sich auch noch mit einer Frau, die ein kleines Kind hatte, zu belasten.

3. KAPITEL

Normalerweise liebte Emma den Samstagvormittag. Vor ihr lagen zwei Tage, an denen sie sich ganz ihrer Tochter widmen konnte. Aber dieses Wochenende fing gar nicht gut an. Im Briefkasten fand sie einen Brief ihres Vermieters vor. Er hätte sich jetzt doch entschlossen, das Haus zu verkaufen. Netterweise ließ er ihr zwei Monate Zeit, sich nach einer neuen Wohnung umzusehen. Einen Monat länger, als er eigentlich musste. Trotzdem wurde ihr das Herz schwer. Jetzt würde Holly sich woanders ganz neu einleben müssen – von der leidigen Wohnungssuche einmal abgesehen.

„Du hast versprochen, dass wir Muffins backen“, erinnerte Holly sie.

„Stimmt. Das habe ich.“ Sie saßen noch beim Frühstück, aber Emma war jeglicher Appetit vergangen. Sie spielte nervös mit ihrem Toast, bis er so zerkrümelt war, dass man nur noch Vögel damit füttern konnte. Reiß dich zusammen! ermahnte sie sich und lächelte ihrer Tochter zu, die sie erwartungsvoll anblickte. Ich muss uns ja nicht das ganze Wochenende verderben.

Aber als später der Makler vorbeikam, um die Wohnung zu vermessen und zu fotografieren, holten die Sorgen sie wieder ein.

„In Little Compton habe ich keine Mietwohnungen“, meinte dieser auf Emmas Frage. „Allerdings könnte ich Ihnen ein paar Immobilien zum Kauf anbieten. Die Häuser sind alle etwas geräumiger als dieses hier. Ab fünf Zimmer aufwärts und mit großen Gärten. Könnte etwas über Ihrer Preisklasse liegen.“

„Die Preisklasse, die ich mir leisten könnte, gibt es gar nicht“, seufzte Emma. „Ich kann keine Sicherheiten bieten, um eine Hypothek aufnehmen zu können. Sonst würde ich Primrose Cottage ja selber kaufen.“

Holly besuchte den Kindergarten im Dorf, und sie war schon in der Grundschule angemeldet, in die auch all ihre Freundinnen gehen würden. Und jetzt mussten sie von hier wegziehen!

Unerwartet klingelte es an der Haustür. Bitte nicht noch ein Makler, hoffte Emma und ging öffnen.

„Sie sehen aus, als wäre heute nicht Ihr Tag.“

Genau! Und offensichtlich wird er nicht besser, dachte Emma, als sie in Rocco D’Angelos unverschämt attraktives Gesicht starrte. Das Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals. So ein Lächeln sollte gesetzlich verboten sein! Unlogischerweise ertappte sie sich bei dem Wunsch, sie würde etwas Vorteilhafteres tragen als ihr graues T-Shirt, das noch dazu bei der letzten Wäsche eingegangen war.

„Sie haben da etwas auf Ihrem Hemd.“

Emma sah an sich herunter und bemerkte, dass sie aussah, als wäre sie mit Puderzucker bestäubt worden. „Das ist Mehl“, murmelte sie verlegen. Mit hochrotem Gesicht rieb sie daran herum. „Wir backen gerade, und Holly ist dabei etwas zu energiegeladen.“ Zu ihrem Entsetzten musste sie feststellen, dass sich ihre Brüste deutlich unter dem Stoff des Shirts abzeichneten. Verstohlen warf sie Rocco einen Blick zu und registrierte, dass ihm diese Tatsache offensichtlich nicht entgangen war. Rasch verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Gibt es einen Anlass für Ihren Besuch, Mr. D’Angelo? Ich bin nämlich ziemlich beschäftigt.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Hatten wir uns nicht gestern auf Rocco geeinigt? Aber um Ihre Frage zu beantworten: ja. Es gibt einen Anlass. Wenn Sie mich hereinbitten würden, könnten wir darüber reden.“

Rocco blickte über Emmas Schulter in den Flur – und erstarrte, als er einen Mann entdeckte, der gerade aus einem der hinteren Zimmer kam. So früh schon Besuch? Oder hat der Typ die Nacht mit ihr verbracht? Aus irgendeinem Grund verstimmte ihn diese Vorstellung, was ihm gar nicht gefiel. Er hatte sich erfolgreich eingeredet, dass ihn die Krankenschwester seiner Großmutter nicht im Geringsten interessierte. Leider änderte sich das schlagartig, als Emma die Tür öffnete. Sie sah einfach zu appetitlich aus. Ihr rotgoldenes Haar umschmeichelte ihr hübsches Gesicht, die Jeans betonte die sanfte Kurve ihrer Hüften, und das etwas zu enge T-Shirt brachte ihre üppige Oberweite bestens zur Geltung. Heftiges Verlangen erwachte in Rocco, als er sich vorstellte, diese fantastischen, vollen Brüste zu liebkosen …

Diesen Menschen in ihr Haus zu lassen behagte Emma gar nicht. Leider verbat es ihre gute Erziehung, ihm einfach die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Also trat sie beiseite und ließ ihn herein. Auf der Stelle wirkte der Flur viel zu eng. Roccos Kopf stieß fast an die schweren Deckenbalken. Er ist einfach zu groß, zu dominant … und viel zu einnehmend. Emma zwang sich, eine neutrale Miene aufzusetzen, als der Makler zu ihr kam.

„Ich habe jetzt genug Fotos. Es gefällt mir, wie Sie das Cottage eingerichtet haben. Vor allem die Farben. Es wirkt so frisch und gemütlich. Ich bin sicher, wir werden das Objekt sehr schnell verkaufen.“

„Ich habe es gar nicht so eilig. Aber ich nehme an, meinen Vermieter wird es freuen.“ Sie brachte den Makler zur Tür. Dann sah sie Rocco ungeduldig an. Sie wünschte, er würde gehen und ihr nicht die kostbare Zeit mit ihrer Tochter stehlen. „Also, was wollten Sie mit mir besprechen?“

„Sie wollen umziehen?“

Emma zuckte die Achseln. „Eigentlich nicht. Aber heute früh habe ich erfahren, dass mein Vermieter Primrose Cottage verkauft. Ich würde ja eigentlich gerne hierbleiben. Aber im Dorf gibt es keine Mietwohnung, und das bedeutet, ich muss wohl nach Newcastle ziehen.“

„Aber Cordelia würde Sie vermissen!“

„Ich sie auch.“ Sie biss sich auf die Lippe. Rocco hatte keine Ahnung, wie schwer es ihr fiel, von hier wegzugehen. Hier hatte sie Freunde gewonnen, als sie vor drei Jahren mit der gerade einmal einen Monat alten Holly in dieses Haus einzog. Es war ihr gelungen, sich eine neue Existenz aufzubauen. Ein neues Leben – ohne die schmerzhaften Erinnerungen an Jack.

„Wieso kaufen Sie denn das Cottage nicht selbst?“

„Würde ich ja gerne, aber es ist leider unmöglich. Ich bin alleinerziehend, und das Gehalt einer Krankenschwester reicht nicht aus, um ein Haus zu kaufen.“

Sie nahm den herben Duft von Roccos Aftershave wahr, und unwillkürlich wanderte ihr Blick von dem naturweißen dicken Pullover und der schwarzen Lederjacke hinunter über seine Hüften in den gut sitzenden, verwaschenen Jeans. Der Look war lässig … aber umwerfend. Emma gestand sich ein, dass sie Rocco D’Angelo unglaublich sexy fand … und nahm sich diese Tatsache gleichzeitig sehr übel. Sie wünschte, er würde sagen, was er wollte, und dann verschwinden. Aber offensichtlich hatte er es nicht eilig.

„Cordelia hat mir erzählt, Sie seien Witwe. Hat Ihr Mann denn nicht für Sie und Ihre Tochter vorgesorgt?“

Beinahe wäre Emma in schallendes Gelächter ausgebrochen. Jack und Verantwortung! Sie konnte von Glück sagen, dass sie nach seinem Tod das Geld von der Versicherung erhalten hatte. Aber das reichte gerade mal, um Jacks Schulden zu bezahlten – von deren Existenz sie bis dahin nichts geahnt hatte.

„Leider nicht“, erwiderte sie knapp. „Hören Sie, ich möchte ja nicht unhöflich sein, aber …“

„Mummy, ich habe den Zuckerguss draufgemacht!“

Emma seufzte, als Holly aus der Küche kam – über und über mit Teig und Puderzucker bedeckt. Zum Glück habe ich ihr eine Schürze umgebunden! Über all der Hektik hatte sie den Zuckerguss völlig vergessen. Kein Wunder, dass Holly ungeduldig geworden war und allein mit den Verzierungen angefangen hatte.

„Das sehe ich, Schätzchen.“ Ob davon auch etwas auf dem Kuchen gelandet ist? überlegte sie liebevoll.

„Bist du auch ein Macker?“, fragte Holly den Gast.

„Makler, meinst du“, korrigierte Emma sie und verkniff sich ein Lächeln. Sie wunderte sich, warum ihre sonst so schüchterne Tochter so zutraulich war. Offensichtlich erlagen selbst kleine Mädchen Roccos charmantem Lächeln.

„Hallo, Holly. Nein, ich bin kein Makler. Ich bin ein Freund von deiner Mama.“

Das wüsste ich aber, dachte Emma wütend, doch Holly nahm die Erklärung widerspruchslos hin.

„Wie heißt du denn?“

„Rocco.“

Zu Emmas Überraschung strahlte ihre Tochter Rocco an. „Meine Mummy und ich haben Muffins gemacht. Du kannst einen abhaben, wenn du willst.“

Dieser Mann könnte wahrscheinlich eine Raubkatze zum Schnurren bringen – und anscheinend jede Frau im Alter zwischen drei und neunzig, dachte Emma sarkastisch. Alle bis auf eine, korrigierte sie sich sofort. „Ich glaube … Rocco“, der Name wollte ihr kaum über die Lippen, „hat keine Zeit, Schätzchen. Er wollte gerade wieder gehen.“

„Gar nicht. Ich finde das ganz lieb von dir. Ich hätte gerne einen Muffin … also, wenn deine Mama nichts dagegen hat.“

„Bestimmt nicht“, versicherte ihm Holly ernsthaft. „Ich geh’ ihn holen.“

„Ich glaube, wir sollten dich erst einmal sauber machen“, griff Emma ein. Plötzlich schien es unglaublich wichtig, die Kontrolle über die Situation zu erlangen. Sie öffnete die Wohnzimmertür. „Wenn Sie vielleicht inzwischen hier Platz nehmen wollen?“, forderte sie Rocco kühl auf.

„Vielen Dank.“ Er ging an ihr vorbei und streifte dabei leicht ihren Arm. Emma zuckte wie elektrisiert zusammen. Oh mein Gott, dachte sie. Wie mag es erst sein, von ihm umarmt, geküsst, gestreichelt zu werden …? Die ungebetene Vorstellung trieb Emma das Blut in die Wangen. Abrupt trat sie zurück und stieß sich am Türrahmen.

„Immer mit der Ruhe“, meinte Rocco, als müsse er ein nervöses Fohlen besänftigen. „Eine Tasse Kaffee wäre nicht schlecht zum Kuchen.“

Was würde ich dafür geben, ihm dieses überlegene Lächeln auszutreiben! Emma stolzierte wütend in die Küche. Sie verstand sich selbst nicht mehr. Eigentlich war sie eher ein ruhiger Mensch, aber Rocco D’Angelo machte sie wahnsinnig. Aber Holly zuliebe würde sie ihm einen Kaffee zu seinem Muffin kochen und Rocco dann nahelegen zu verschwinden. Zu dumm, dass ich nur Instantkaffee habe, dachte sie mit leiser Schadenfreude.

Holly sprang vom Stuhl herab, auf den sie gestiegen war, um sich die Hände an der Spüle zu waschen. „Kann ich Rocco jetzt einen Muffin bringen?“ Auf Emmas Nicken hin suchte sie einen aus, der völlig unter Zuckerguss verschwunden war. „Rocco ist wirklich ganz arg nett“, meinte sie in aller Unschuld.

Emma war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihre Tochter vor zu viel Vertrauen in Fremde zu warnen und sie nicht unnötig zu ängstigen. „Stimmt. Aber du kennst ihn ja eigentlich nicht richtig.“

„Er schaut aber so lieb.“

Holly rannte aus der Küche, um Rocco den Muffin zu bringen. Am liebsten wäre Emma ihr nachgelaufen, hätte sie an sich gerissen und das Kind gewarnt, sich nicht von einem freundlichen Lächeln und schönen Worten täuschen zu lassen. Sie konnte ein Lied davon singen. Ihr Mann, Jack, hatte sie dies auf grausame Weise gelehrt.

Rocco kann wirklich nichts dafür, dass er mich derart stark an Jack erinnert, rief Emma sich zur Ordnung. Äußerlich ähnelte er ihrem verstorbenen Mann überhaupt nicht. Jack war der Typ blonder Sonnyboy, Rocco dagegen wirkte mit seinen schwarzen Haaren und dem dunklen Teint eher geheimnisvoll. Aber beide hatten diese selbstbewusste Ausstrahlung – und beide waren sich ihrer Wirkung auf das weibliche Geschlecht nur allzu bewusst. Emmas Bruder hatte Jack als Don Juan abgetan. Und soweit sie es beurteilen konnte, war Rocco nicht anders. Aber das konnte sie ihrer dreijährigen Tochter ja schlecht erklären. Sie konnte ihr wohl kaum sagen, dass ihr Vater ein Tunichtgut und Weiberheld gewesen war.

Im Wohnzimmer vertrieb sich Rocco inzwischen die Zeit und sah sich gründlich um. Er betrachtete die Bilder auf dem Kaminsims. In der Mitte stand ein gerahmtes Foto von einem Feuerwehrmann in Uniform – wohl Emmas Mann. Daneben lag in einer Samtschatulle The Queen’s Gallantry Medal, eine Auszeichnung, die für besondere Tapferkeit vergeben wurde. Die anderen Fotos zeigten Holly als Baby in den Armen ihrer Mutter, und eines stammte wohl vom letztem Weihnachtsfest, da Holly in Primrose Cottage vor einem geschmückten Baum stand. Seltsamerweise gab es kein Foto von Emma und ihrem Mann oder von Holly mit ihrem Vater.

Rocco betrachtete erneut das Bild des verstorbenen Jack Marchant. Zweifelsohne ein sehr gut aussehender Mann mit seinen blonden Haaren und den strahlenden blauen Augen. Der leicht arroganten Miene nach zu urteilen, wusste er das auch ganz genau. Rocco hätte seinen Kopf verwettet, dass Jack Marchant vor seiner Ehe kein Kostverächter gewesen war. Cordelia hatte so etwas auch angedeutet. Emma hingegen besaß offensichtlich ein sehr ausgeprägtes Verantwortungsgefühl. Aber Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an, dachte Rocco. Und anscheinend hatte es sich ja um eine durchaus glückliche Ehe gehandelt, sonst würde Emma drei Jahre nach dem Tod ihres Mannes keinen Ehering mehr tragen.

Aber was geht mich das eigentlich an? Rocco fuhr sich durch die Haare. Was tue ich hier überhaupt? Wenn ich noch einen Funken Verstand hätte, würde ich auf der Stelle verschwinden! Allein die Tatsache, dass er seiner Großmutter versprochen hatte, Emma eine Nachricht zu überbringen, hielt ihn davon ab, stillschweigend das Haus zu verlassen. Er betrachtete erneut das Foto der jungen Frau, die so liebevoll ihr Baby im Arm hielt, und gestand sich ein, dass er nicht ganz ehrlich zu sich war.

„Mein Daddy ist ein Held!“

Rocco fuhr herum und entdeckte Holly, die unbemerkt den Raum betreten hatte. Sie ist wirklich ein hübsches Kind, dachte er und blickte zu ihr herunter. Sie hatte die schiefergrauen Augen ihrer Mutter, die Haare waren jedoch etwas heller.

„Das da ist sein Orden“, sagte das Kind ernst und deutete auf die Samtschatulle. „Er hat Leute gerettet … vor dem Verbrennen. Das stimmt doch, Mummy, oder?“ Sie drehte sich zu Emma um, die hinter ihr das Wohnzimmer betreten hatte. „Ich hab ihn nämlich gar nie gesehen, weil ich da noch im Bauch von meiner Mummy war.“

„Jack starb zwei Monate bevor Holly auf die Welt kam“, erklärte Emma. „Er hat drei Kinder aus einem brennenden Haus gerettet, kam dabei jedoch um. Posthum wurde ihm diese Ehrenmedaille verliehen.“

Ein Superheld also, dachte Rocco sarkastisch, allerdings mit dem Anflug eines leisen Schuldgefühls. Offensichtlich hatte er Jack Marchant falsch eingeschätzt. Verlegen wich er Emmas Blick aus und bückte sich zu Holly hinab. „Dein Papa war ja wirklich ein sehr tapferer Mann. Du bist sicher sehr stolz auf ihn.“

Holly strahlte ihn an und hielt ihm den leicht zerdrückten Muffin entgegen.

„Ich hab dir den ausgesucht, der am meisten Zuckerguss hat.“

Rocco hasste Süßigkeiten, aber nie im Leben hätte er es fertiggebracht, das Kind zu enttäuschen. Scheinbar begeistert biss er in den Kuchen. „Wie lecker! Köstlich“, rief er aus. Hollys banger Gesichtsausdruck entspannte sich.

„Am besten isst du ihn gleich auf“, ermahnte sie ihn, „bevor du den Teppich vollkrümelst.“

„Sie wollten Ihren Kaffee ohne Zucker, oder?“, erkundigte sich Emma und warf einen vielsagenden Blick auf den Muffin in seiner Hand.

Überrascht sah Rocco sie an. Sie hat ja sogar Humor! Plötzlich durchströmte ihn ein warmes Gefühl, und sein Puls beschleunigte sich. Er fragte sich, warum sie ihm die ganze Nacht nicht aus dem Kopf gegangen war. Eigentlich entsprach sie so gar nicht seinem Typ. Sie war auch nicht im klassischen Sinne hübsch, aber sie besaß eine dezente Schönheit, die man erst auf den zweiten Blick entdeckte. Zumindest empfand er es so und konnte seine Augen kaum von ihr abwenden.

„Grazie.“ Er nahm ihr die Kaffeetasse aus der Hand und bemerkte mit Genugtuung, dass Emmas Finger leicht zitterten. Also ist sie doch nicht ganz so unbeteiligt, wie sie mich glauben lassen will! „Übrigens, der Kuchen erinnert mich an den eigentlichen Grund meines Besuches. Ich gehe mit Cordelia heute Nachmittag zum Tee ins Royal Oak Hotel. Wir würden uns freuen, wenn Holly und Sie mitkämen.“

„Oh! Vielen Dank für die Einladung, aber das geht leider nicht“, lehnte Emma instinktiv ab. Die Vorstellung, den ganzen Nachmittag mit diesem unverschämt attraktiven, unglaublich charmanten italienischen Playboy zu verbringen, erfüllte sie geradezu mit Panik. „Ich … ich habe schon etwas vor. Außerdem möchte Cordelia Sie sicher für sich alleine haben – sie haben sich ja so lange nicht gesehen.“

„Im Gegenteil. Die Einladung war ihre Idee. Meine Großmutter hätte sehr gerne, dass Sie mitkommen.“ Ein verschmitztes Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich habe strikte Anweisung, kein ‚Nein‘ zu akzeptieren.“ Seine Augen funkelten, als er hinzufügte: „Soweit ich weiß, gibt es in dem Hotel eine Puppenstubensammlung, und man darf damit spielen. Magst du Puppenstuben, Holly?“ Er sah das Mädchen an, das wie gebannt an seinen Lippen hing.

„Das ist unfair!“, zischte Emma ihm zu, als ihre Tochter begeistert nickte.

„Unfair? Es ist unfair, einer alten Dame einen netten Nachmittag zu bereiten? Cordelia freut sich riesig auf den Ausflug. Offensichtlich hängt sie sehr an Holly. Wäre es denn nicht möglich, Ihre Pläne auf morgen zu verschieben?“

Wenn er wüsste, dass meine Pläne darin bestehen, mit Holly eine DVD anzusehen und dann den Berg Wäsche zu bügeln!

„Bitte, Mummy, können wir nicht mit nonna zum Tee gehen?“

Holly sah sie dermaßen hoffnungsvoll an, dass Emma ein resigniertes Seufzen unterdrückte. „Meine Tochter konnte Cordelias Namen nicht aussprechen, da hat Ihre Großmutter vorgeschlagen, dass Holly sie ‚nonna‘ nennt“, erklärte Emma, die Roccos überraschte Miene sah. Sie zwang sich, den Blick seiner funkelnden Raubtieraugen auszuhalten, auch wenn ihr dabei das Herz bis zum Hals schlug. „Also gut. Einverstanden. Dann richten Sie Cordelia bitte aus, dass wir uns sehr über die Einladung freuen.“

„Schön. Ich hole Sie um halb vier ab.“

„Das ist nicht nötig. Wir treffen uns dort“, wehrte sie ab. Nie würde sie Holly bei den vereisten Straßen in einem Sportwagen fahren lassen. „Ihrem Auto ist nichts passiert gestern?“

„Leider ist der Auspuff abgerissen.“ Rocco verzog das Gesicht. Der Schaden betrug ein paar Tausend Euro. Das verschmerzte er zwar leicht, aber es handelte sich bei dem Eleganza Classic um das Modell, mit dem sein Großvater vor fünfzig Jahren das Unternehmen gegründet hatte. Es war Roccos Lieblingswagen, und er hatte ihn eigenhändig in mühseliger Kleinarbeit restauriert. „Ich muss in Italien spezielle Ersatzteile bestellen. In der Zwischenzeit habe ich ein der Witterung angemessenes Fahrzeug gemietet.“ Er deutete mit dem Kopf zum Fenster.

Emma sah hinaus und erblickte einen hochmodernen Geländewagen. Dessen glänzende Lackierung ließ ihren eigenen, der danebenstand, wie den reinsten Schrotthaufen aussehen. Muss ganz nett sein, so viel Geld zu haben, dachte sie sarkastisch. Rocco führte eben das Leben eines Multimillionärs. Größer konnte der Unterschied zu ihrem wohl kaum sein. Aber das war ja auch völlig egal, denn Rocco würde bald nach Italien zurückkehren und sie ihm nie mehr begegnen. Da sollte es ihr doch gelingen, einen Nachmittag in seiner Gegenwart zu überstehen!

Autor

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Schon in der Highschool versteckte Kimberly Lang Liebesromane hinter ihren Schulbüchern. Statt sich mit Theorien und Zahlen herumzuschlagen, schmökerte sie lieber in den neuesten Romances. Auch das Studium ernster englischer Literatur konnte ihre Leidenschaft für aufregende Helden und Happy Ends nicht ändern. Kimberly war nach der Ausbildung zunächst Balletttänzerin und...
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Chantelle Shaw ist in London aufgewachsen. Mit 20 Jahren heiratete sie ihre Jugendliebe. Mit der Geburt des ersten Kindes widmete sie sich ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter, ein Vollzeitjob, da die Familie bald auf sechs Kinder und verschiedene Haustiere anwuchs.

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