Julia Exklusiv Band 298

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IM SINNLICHEN BANN DES SIZILIANERS von JORDAN, PENNY
Penny Jordan Im sinnlichen Bann des Sizilianers Louise schlägt das Herz bis zum Hals, als sie sich dem imposanten sizilianischen Castello nähert. Nur der Herzog von Falconari kann den letzten Willen ihrer Großeltern erfüllen. Ausgerechnet der Mann, der sie einst nach einer Nacht der Leidenschaft ohne ein Arrivederci verließ …

TAUSEND STERNE ÜBER PARIS von COX, MAGGIE
Maggie Cox Tausend Sterne über Paris Die Sterne strahlen hell über Paris, als die schöne Ema mit dem reichen Piers eine Liebesnacht verbringt. Doch beide trennt mehr, als sie verbindet. Kann ihr Glück tatsächlich von Dauer sein?

VERFÜHRUNG AUF HOHER SEE von BAIRD, JACQUELINE
Jacqueline Baird Verführung auf hoher See Du und ich. Zwei Wochen auf meiner Jacht. Die Flitterwochen, die wir nie hatten." Fassungslos schaut Selina den griechischen Millionär Rion Moralis an. Ihre Ehe ist doch längst vorbei! Doch die Leidenschaft in seinen dunklen Augen lässt sie atemlos Ja sagen … "


  • Erscheinungstag 25.05.2018
  • Bandnummer 0298
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711153
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Penny Jordan, Maggie Cox, Jaqueline Baird

JULIA EXKLUSIV BAND 298

1. KAPITEL

„Es war also der Wunsch Ihrer Großeltern, dass deren Asche hier auf dem Friedhof der Santa Maria Kirche begraben wird?“

Die tonlose Stimme des Mannes gab ebenso wenig Gefühl preis wie seine verschlossene Miene. Leonardo da Vincis Meisterhand hätte die markanten Gesichtszüge, die durch das Sonnenlicht noch betont wurden, nicht besser zur Geltung bringen können. Hohe Wangenknochen, ein ausgeprägter Kiefer, der tiefe Olivton seiner Haut und die aristokratische Nase – all dies zeugte von seiner Herkunft, erzählte von den Genen der frühen Einwanderer Siziliens. Seine Vorfahren hatten sich von nichts und niemandem auf ihrem Weg aufhalten lassen. Sie nahmen sich, was sie wollten.

Und er hatte es heute offenbar auf sie abgesehen.

Instinktiv wich Louise einen Schritt zurück, um etwas Distanz zwischen sie beide zu bringen.

„Passen Sie auf!“

Er bewegte sich blitzschnell, fing sie auf, bevor sie stürzte. Sein frischer Pfefferminzatem streifte ihr Gesicht.

Sie hatte die Kante des Grabsteins hinter ihr nicht gesehen und wäre fast darüber gestolpert. Wenn er nicht gewesen wäre und sie aufgefangen hätte. In seiner Nähe konnte sie sich nicht mehr rühren, nicht mehr sprechen und keinen klaren Gedanken fassen. Ihr war nur noch möglich zu fühlen … und zwar beklemmende Emotionen, die sie mit der Gewalt eines Lavastroms erfassten. Sie erreichten jeden einzelnen Nerv ihres Systems … die reinste Folter. War es wirklich Folter oder eher süße Qual? Nein! In der Berührung dieses Mannes verbarg sich keine süße Qual, keine geheime Versuchung. Nur vollkommene Gleichgültigkeit. Ja, das war es!

„Lassen Sie mich los!“ Ihr Flüstern klang wie das Flehen eines hilflosen Opfers, und nicht wie der Befehl einer modernen, starken Frau.

Sie duftete nach Rosen und Lavendel und sah aus wie die Engländerin schlechthin. Anfangs hatte sie auch so geklungen, bis er sie zum ersten Mal berührte.

Lassen Sie mich los!

Caesars Mund wurde zu einer harten Linie. Ihre leise Bitte löste eine Flut von Bildern in seinem Kopf aus. Schmerzvolle Erinnerungen, die ihn zurückschrecken ließen. Der innere Terror und die Schuldgefühle waren einfach zu viel für ihn.

Also warum tat er, was er jetzt tun musste? Würde das ihre Abneigung ihm gegenüber nicht noch verstärken? Genauso wie sein eigenes schlechtes Gewissen?

Ihm blieb keine andere Wahl, denn es ging um ein höheres Ziel. Wie üblich musste er in erster Linie an seine Leute denken … an die Pflicht und Schuldigkeit seiner Gemeinde und dem Namen seiner Familie gegenüber.

In dieser Welt gab es keine wirkliche Freiheit für ihn. Und daran war er selbst schuld. All das war einzig und allein seine eigene Schuld.

Sein Herz klopfte schnell und kräftig. Er hatte nicht mit der Möglichkeit gerechnet, dass sie ihm derart unter die Haut gehen würde – dass er buchstäblich ihrer Sinnlichkeit verfiel. Wie bei dem berühmtesten Vulkan Siziliens schien es in ihr zu brodeln, obwohl die Spitze der Oberfläche noch mit Eis bedeckt war. Und dieser aufregende Kontrast reizte ihn weit mehr, als ihm lieb war.

Dabei war es nicht so, als gäbe es ansonsten keinen schönen Frauen in seinem Leben, die liebend gern mit ihm das Bett teilten. Allerdings lösten diese lockeren Affären nur eine unbefriedigende Leere in ihm aus – und die schmerzhafte Sehnsucht nach echter Nähe. Leider hatte er einer Frau, mit der eine echte Beziehung vielleicht möglich wäre, absolut nichts zu bieten.

Aus ihm war mit der Zeit ein Mann geworden, der sich nicht auf die Liebe verstand. Der es als seine unbedingte Pflicht sah, in die Fußstapfen seiner Vorfahren zu treten. Ein Mann, von dem die Zukunft einer ganzen Gemeinde abhing.

Diese Lebensaufgabe hatte man ihm von Kindesbeinen an eingeimpft. Selbst als sechsjährigem Vollwaisen, der seinen verstorbenen Eltern nachweinte, hatte man ihn sofort daran erinnert, doch lieber an seinen Stand und seine Verpflichtungen zu denken. Die kleine Heimatgemeinde seiner Provinz schickte sogar eine Abordnung, die dem jungen Caesar klarmachen sollte, was es hieß, plötzlich in den Schuhen seines Vaters zu stecken. Obwohl die alten feudalistischen Strukturen längst abgeschafft waren, hatten vor allem ältere Gemeindemitglieder sich auf den Spross der ehemaligen adeligen Lehnsherren des Ortes verlassen.

Für Außenstehende mochten die altmodischen Einstellungen und Methoden dieser Menschen hart oder sogar grausam klingen. Caesar selbst bemühte sich nach Kräften, die Umstände der moralischen Gemeindeführung zu reformieren, aber Veränderungen brauchten eben viel Zeit. Ganz besonders dann, wenn der Gemeindevorstand sich vehement gegen innovative Ideen wehrte, weil er so sehr alten Traditionen verhaftet war.

Trotzdem, Caesar war kein kleiner Junge mehr und mittlerweile wild entschlossen, seine Reformen energisch durchzusetzen. Zum Wohle aller.

Veränderungen … Seine Gedanken schweiften für einen Moment ab. Konnte man derart veraltete Strukturen überhaupt nachhaltig ändern? Konnten alte Fehler aus der Welt geschafft werden? Ließen sich Wege dafür finden?

Resigniert schüttelte er den Kopf und widmete sich wieder der Gegenwart.

„Sie haben meine Frage bezüglich Ihrer Großeltern nicht beantwortet“, erinnerte er Louise.

Auch wenn sie seinen autoritären Tonfall verabscheute, war Louise erleichtert darüber, dass zwischen ihnen wieder so etwas wie Normalität eingekehrt war. Sie nickte kurz. „Ja, es war ihr Wunsch.“

Sie wollte das Gespräch mit Caesar endlich hinter sich bringen. Auf keinen Fall würde sie sich vor diesem eingebildeten sizilianischen Aristokraten in den Staub werfen! Er konnte sich bloß so wichtigmachen, weil seine Vorfahren vor Jahrhunderten Großgrundbesitzer dieses Landstrichs gewesen waren, auf dem die alte Dorfkirche stand. Aber so liefen die Dinge eben hier in dem abgelegenen Teil Siziliens.

Ihm gehörten die Kirche, das Dorf und wer-wusste-schon-wie-viele Hektar Land in der Gegend. Damit war er der padrone – dem lokalen sizilianischen Verständnis nach sozusagen der Vater dieser Leute hier, auch wenn sie hauptsächlich der Generation von Louises Großeltern angehörten. Wie seinen Titel und seinen Grundbesitz hatte er diese Rolle vererbt bekommen.

Louise wusste das, sie war mit den Heimatgeschichten ihrer Großeltern aufgewachsen. Die beiden hatten schon in jungen Jahren fleißig für ihre Lehnsherren gearbeitet, nämlich für die Familie des Mannes, der nun auf diesem kleinen, abgelegenen Friedhof vor ihr stand.

Seufzend blickte sie an ihm vorbei in den wolkenlosen blauen Himmel. Ganz weit in der Ferne ruhte der gigantische Ätna im Licht der heißen Sonne, drohend und voller Kraft. Genau wie Caesar, der Herzog von Falconari, der Louise in diesem Augenblick erwartungsvoll ansah.

Sie war ganz anders als in seiner Vorstellung, das musste Caesar zugeben. Weder das weizenblonde Haar noch die smaragdgrünen Augen wirkten südländisch, obwohl sie unübersehbar die stolze Haltung einer echten Italienerin besaß. Sie war mittelgroß und sehr schlank, fast ein wenig zu dünn.

Nachdenklich kniff er die Augen zusammen und begutachtete ihre schmale Taille.

Eine ausgesprochen hübsche Frau mit ovalem Gesicht und schönen, weiblichen Zügen. Bestimmt verdrehte sie den Männern die Köpfe, wo immer sie hinging. Allerdings hatte sie eine extrem kühle Ausstrahlung, die nicht ihrem natürlichen Wesen entsprach, wie er vermutete.

Und was war mit seinen eigenen Empfindungen, jetzt, da sie endlich vor ihm stand? Niemals hätte er damit gerechnet, sich von ihr angezogen zu fühlen. Abrupt drehte er sich auf dem Absatz um, damit sie seine Gedanken nicht lesen konnte. Immerhin besaß sie die Fähigkeit, tief in die Psyche eines Menschen vorzudringen und dort alles zu finden, was diese lieber verdrängt oder versteckt hätten.

Auf jeden Fall wollte Caesar verhindern, dass sie den Schutzmantel fortriss, mit dem er krampfhaft seine Trauer und sein Schuldgefühl verdeckte. Zu lange schon versteckte er sich hinter seinem falschen Stolz und dem erdrückendem Pflichtgefühl seinen Ahnen gegenüber. Schämte er sich dafür? Diese Frage erübrigte sich angesichts der Tatsache, dass er sich seit mehr als zehn Jahren mit Selbstzweifeln quälte.

Er hatte es wiedergutmachen wollen. Einen Brief geschrieben, der niemals beantwortet worden war. Eine Entschuldigung ausgesprochen, zu hoffen gewagt … Das alles hatte sich angefühlt, als hätte er es mit seinem eigenen Herzblut geschrieben. Vergeblich. Es gab kein Zurück und auch keine Vergebung. Andererseits, was hatte er denn erwartet? Was er getan hatte, konnte man nicht verzeihen.

Mit seiner Schuld musste er leben, so wie bisher, das war die gerechte Strafe. Seine ganz persönliche Strafe. Denn es gab nichts, womit man Vergangenes ungeschehen machen konnte. Und mit Louise hier zu stehen, brachte ihm diese ganze Misere wieder ins Bewusstsein.

Auf seinen Wunsch hin sprachen sie Englisch miteinander, und auf den ersten Blick wirkte sie auch wie die klassische, gebildete Engländerin auf einer Italienreise. Sie trug ein schlichtes blaues Kleid und hatte einen breiten Schal aus weißem Leinen um die Schultern geworfen.

Ihr Name war Louise Anderson, und sie war die Enkelin jenes sizilianischen Paares, dessen Asche sie auf diesem stillen Friedhof begraben wollte. Ihre Mutter war ebenfalls Sizilianerin und ihr Vater Australier mit sizilianischen Wurzeln.

Als Caesar sich wieder bewegte, spürte er plötzlich die scharfen Papierkanten des Briefumschlags, den er in der Innentasche seines Jacketts trug.

Louisa bekam den Eindruck, als würde dieser Mann absichtlich die Spannung zwischen ihnen ins Unerträgliche steigern. Die Falconari-Familie zeigte denen gegenüber, die sie für weniger privilegiert geboren erachteten, einen Ansatz von Grausamkeit. Das bewies ihre Geschichte, sowohl in schriftlichen Fakten als auch in mündlichen Überlieferungen. Allerdings hatte dieser Falconari keinen Grund, sich ihren Großeltern oder gar ihr selbst gegenüber grausam zu geben.

Die Antwort des Priesters, den sie wegen des letzten Willens ihrer Großeltern angeschrieben hatte, war für Louise ein Schock gewesen. Er meinte, sie würde die Erlaubnis des duca benötigen. Es wäre eine Formsache. Und dass er für sie bereits einen Gesprächstermin vereinbart hätte.

Lieber hätte sie den Herzog in einem belebten Hotel getroffen und nicht an einem so geschichtsträchtigen, bedeutungsvollen Ort wie diesem – voller stummer Erinnerungen derer, die hier begraben lagen. Und Caesars außergewöhnliche Anziehungskraft verunsicherte Louise zutiefst. Sie wich noch einen Schritt zurück, achtete dieses Mal aber darauf, nicht wieder zu stolpern.

„Ihre Großeltern haben Sizilien kurz nach ihrer Hochzeit verlassen, um in London zu leben. Und trotzdem verfügten sie, hier bestattet zu werden?“, wandte er sich jetzt an sie.

Typisch für diese Art von Mann – einflussreich, dominant und extrem von sich überzeugt – die persönlichen Wünsche einfacher Leute derart infrage zu stellen. Als wäre er immer noch ihr Lehnsherr! In Louise erwachte der Widerstand. Sie war heilfroh, endlich einen Grund gefunden zu haben, diesen Kerl nicht zu mögen.

Dabei brauchte sie sich für ihre Gefühle doch vor niemandem zu rechtfertigen. Sie konnte denken, was sie wollte. Genauso wie ihre Großeltern das Recht hatten, dass ihr letzter Wille erfüllt und ihre sterblichen Überreste bei denen ihrer direkten Vorfahren bestattet wurden.

„Sie sind ausgewandert, weil es hier keine Arbeit mehr für sie gab. Nicht einmal die Chance, sich für einen Hungerlohn auf dem Land Ihrer Familie abzurackern, wie so viele meiner Verwandten zuvor. Sie haben Sizilien aber immer als ihre Heimat, als ihr Land betrachtet.“

Er wunderte sich über die kaum verhohlene Kritik in ihren Worten. „Es scheint mir nur ungewöhnlich, dass sie diese Aufgabe der Enkelin und nicht der eigenen Tochter übertragen haben.“

Wieder dachte er an den Brief in seiner Tasche. Und seine Schuld wog immer schwerer. Aber er hatte sich entschuldigt, und irgendwann musste man die Vergangenheit ruhen lassen. Er durfte nicht länger in Selbstmitleid baden, hier ging es noch um ganz andere Dinge.

„Meine Mutter lebt mit ihrem zweiten Ehemann in Palms Springs, und das schon seit vielen Jahren. Ich dagegen bin in London geblieben.“

„Bei Ihren Großeltern?“

Auch wenn es eine Frage war, ließ er es wie eine Feststellung klingen.

Louise wurde misstrauisch. Wollte er sie provozieren, um dann einen Grund zu haben, ihr die Bitte abzuschlagen? Falls dem so war, würde sie ihm diese Genugtuung nicht gönnen. Dafür hatte sie schon zu viel durchgemacht.

So erging es einem Menschen, der Schande über die eigene Familie gebracht hatte. Ihre eigenen Eltern hatten ihr den Rücken gekehrt, und dieses Stigma würde Louise bis in alle Ewigkeit anhängen. Es nahm ihr jedes Recht auf Stolz oder Privatsphäre.

„Genau“, bestätigte sie. „Nach der Scheidung bin ich zu ihnen gezogen.“

„Aber nicht direkt danach?“

Seine Frage traf sie wie ein elektrischer Schlag, allerdings ließ sie sich das nicht anmerken.

„Nein.“ Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen und ließ ihren Blick angestrengt über den Friedhof schweifen. Dabei empfand sie diesen Anblick als Symbol dafür, dass sie seit der Trennung ihrer Eltern alle eigenen Hoffnungen und Träume begraben musste.

„Zuerst haben Sie noch bei Ihrem Vater gelebt. Ist das nicht ziemlich ungewöhnlich für ein Mädchen in dem Alter? Nicht bei der Mutter zu wohnen?“

Es wunderte sie nicht, dass er so gut Bescheid wusste. Der Dorfpriester hatte sie schließlich um eine ausführliche Erklärung ihrer Familiengeschichte gebeten, nachdem sie wegen des Begräbnisses mit ihm in Kontakt getreten war. Da sie die Gepflogenheiten in kleineren sizilianischen Gemeinden kannte, ging sie davon aus, dass der Priester zusätzlich Informationen über sie eingeholt hatte.

Schlagartig wurde ihr übel. Es wäre eine Katastrophe, wenn dieser arrogante Aristokrat ihr den letzten Wunsch ihrer Großeltern abschlug, nur wegen … ihr. Automatisch sah sie zu Boden, und ihre hellblonden Haare fielen vor das Gesicht. Ihre Nerven lagen inzwischen blank. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, der Priester selbst würde sich um die Angelegenheit kümmern, stattdessen musste sie sich mit diesem Herzog hier herumplagen.

Ihre Beine zitterten schon, so stark war der Impuls, einfach wegzulaufen. Ein feiger Rückzug brachte eh nicht viel mehr als eine Galgenfrist, bevor das Schicksal seinen Lauf nahm. Da konnte man ebenso gut seine Selbstachtung wahren und sich der Herausforderung stellen.

Also blieb sie zähneknirschend stehen und ärgerte sich über die unerträgliche Neugier dieses Mannes. Was ging ihn die Beziehung zwischen ihr und ihrer Mutter an? Sie hatten eben nie eine so enge Bindung gehabt. Louises Mutter war stets mehr mit ihrer nächsten Party oder Affäre beschäftigt gewesen als mit ihrem Kind. Als die Mutter dann verkündet hatte, sie würde nach Palms Springs umziehen, war Louise sogar ein bisschen erleichtert gewesen. Mit ihrem Vater war das allerdings eine ganz andere Geschichte. Seine ständige Anwesenheit war für sie ein ständiges Mahnmal ihres eigenen Versagens.

Nach einer Weile begann sie zu sprechen. „Ich war in meinem letzten Schuljahr in London, als meine Eltern sich scheiden ließen. Deshalb machte es Sinn, vorübergehend bei meinem Vater zu wohnen. Er hatte sich ein Apartment gemietet, weil unser Haus verkauft wurde. Meine Mutter ist dann direkt nach Palms Springs.“

Die Unterhaltung wurde viel zu intim für ihren Geschmack, andererseits durfte sie sich diesen Kerl nicht zum Feind machen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sein nervtötendes Interesse zu akzeptieren. Es ging einzig und allein darum, seine hochgeschätzte Zustimmung zu erhalten, um den letzten Willen ihrer Großeltern erfüllen zu können. Danach durfte sie ihren wahren Gefühlen freien Lauf lassen. Und auch erst dann wäre die Vergangenheit endlich abgeschlossen, und sie konnte ihr Leben in die eigenen Hände nehmen. Sie hätte sich des heiligen Vertrauens, das in sie gesetzt worden war, würdig erwiesen.

Entschlossen schluckte sie den bitteren Geschmack im Mund hinunter. Sie hatte sich stark verändert, seit damals …

Noch immer fiel es ihr schwer, an die Zeit zu denken, in der sie das Ende der Ehe ihrer Eltern hautnah hatte miterleben müssen. Und nach der Scheidung wurde sie wie ein unerwünschtes Paket zwischen den getrennten Haushalten hin und her geschickt – überall unwillkommen, vor allem wegen der neuen Freundin ihres Vaters. Aus dem Grund hatte Louise Schande über sie alle gebracht und damit die Situation ziemlich verschärft.

Rückblickend war es kein Wunder, dass ihre Eltern und deren neue Partner sie für ein extrem schwieriges Kind hielten. Es hatte Louise verletzt, wenn ihr Vater sich in seine Arbeit stürzte und ihr nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkte. Instinktiv ahnte sie, wie sehr er es bereute, Louises Mutter erst geschwängert und dann geheiratet zu haben.

Ein brillanter junger Akademiker mit glänzenden Zukunftsaussichten war zu einer Vernunftehe gezwungen worden, weil die sizilianische Gemeinschaft in Cambridge ihren strengen gesellschaftlichen Regeln folgte. Und die hübsche Studentin betrachtete ihn als Fluchthelfer aus ihrem altmodisch geprägten Elternhaus. Hätte er nicht gespurt, wäre seine wissenschaftliche Karriere am Ende gewesen.

Sich selbst betrachtete Louise nicht als Sizilianerin, trotzdem spürte sie deutlich, dass italienisches Blut in ihren Adern floss. Und sie litt unter der fehlenden Liebe ihres Vaters und der damit einhergehenden öffentlichen Demütigung. Normalerweise waren sizilianische Väter stolz auf ihre Kinder und beschützten sie vor der Welt. Ihr Vater aber hatte sie nicht gewollt, weil sie seine beruflichen Pläne durchkreuzte. Zuerst als weinendes, klammerndes Kleinkind, später dann als rebellischer Teenager. Ihr Vater war ein Mann, der das Reisen und seine persönliche Freiheit liebte. Eine Hochzeit und die Geburt eines Kindes legten ihm Ketten an, und er schaffte es nicht, eine positive Beziehung zu seiner Tochter aufzubauen.

Als Reaktion darauf steigerte Louise sich in eine Traumwelt hinein, in der sie das geliebte Schätzchen ihres Vaters war. Im exklusiven Mädchenpensionat, auf das ihre Mutter sie schickte, gab sie vor den Mitschülerinnen mit ihrem gebildeten Vater an, der inzwischen eine Wissenschaftssendung im Fernsehen leitete. Nur seinetwegen wurde sie von den Töchtern der Reichen und Schönen akzeptiert.

Dieser oberflächliche Konkurrenzkampf um Anerkennung brachte ihre schlimmsten Charakterzüge zum Vorschein, das musste Louise leider zugeben. Schon als Kind lernte sie, mit schlechtem Verhalten einen größeren Effekt zu erzielen als mit gutem. In der Schule pflegte sie ihren Status und ihr Image als wildes Mädchen.

Wenigstens war ihr Vater damals einigermaßen für sie da gewesen, bis Melinda Lorrimar plötzlich auf der Bildfläche erschienen war. Seine australische Privatsekretärin nahm ihr einfach den Vater weg, von heute auf morgen. Dabei war Melinda damals erst siebenundzwanzig, also nur neun Jahre älter als Louise. Natürlich begann damit ein endloser Kampf um die alleinige Aufmerksamkeit des alten Herrn.

Wie eifersüchtig sie auf Melinda gewesen war! Die Australierin war geschieden und hatte bereits zwei kleine Töchter, die sich in dem Zimmer einnisteten, das im Apartment des Vaters eigentlich für Louise vorgesehen war. Louise färbte sich die Haare schwarz, weil Melinda und ihre Kleinen ebenfalls schwarze Haare hatten. Dann folgten zu viel Make-up, kurze und weit ausgeschnittene Klamotten, provokative Aktionen … Alles Hilferufe einer Tochter, die sich danach sehnte, beachtet und geliebt zu werden.

Aber ihr Vater liebte nur seine glamouröse, aufregende Sekretärin, die überall Aufsehen erregte. Daher beschloss Louise, Männer zu bezaubern, damit auch sie glamourös und aufregend wurde. Damit ihr Vater einmal so stolz auf sie war wie auf Melinda … und früher auf seine erste Ehefrau. Nachdem auch das nicht funktionierte, versuchte Louise, ihn zu schockieren. Alles war besser als seine beleidigende Gleichgültigkeit ihr gegenüber.

Sie hätte alles dafür getan, das leere, hungrige Gefühl in ihrem Inneren loszuwerden. Um nicht länger ein unliebsamer Fehltritt zu sein, der jedem nur im Weg war. Um endlich ein Mensch zu sein, der als einzigartig und wertvoll erachtet wurde.

In sexueller Hinsicht hatte sie keine Erfahrung. Ihre gesamte emotionale Kraft wandte sie dafür auf, um die Liebe ihres Vaters zu kämpfen. Selbstverständlich glaubte sie fest daran, eines Tages jemanden zu treffen, in den sie sich verlieben konnte. Aber bis dahin musste ihr Selbstwertgefühl als wertgeschätzte Tochter gesichert sein.

Mit dieser Fantasie im Kopf lebte sie jahrelang in Anstrengung, ohne zu merken, wie zerstörerisch so ein Weg sein konnte. Weder ihrem Vater noch ihrer Mutter war es wichtig genug, das eigene Kind vor dieser Gefahr zu warnen. Für beide war Louise schlicht die Erinnerung an einen vergangenen Fehler und an eine Ehe, die keiner von ihnen gewollt hatte.

„Aber während Sie Ihren Abschluss gemacht haben, wohnten Sie doch bei den Großeltern, nicht bei Ihrem Vater?“, hakte Caesar Falconari nach.

Seine tiefe Stimme holte sie in die Gegenwart zurück. Sofort schoss sengende Hitze durch ihren Körper – eine plötzlich Wahrnehmung seiner Gegenwart. Dieser Mann trug seine Sinnlichkeit zur Schau, wie andere Menschen es mit teurer Kleidung taten. Keine Frau auf diesem Erdball würde ihn jemals übersehen, sobald er auftauchte.

Ihre eigene empfindliche Reaktion auf ihn ärgerte Louise. Das passte gar nicht zu ihr. Warum traten ihr Schweißperlen auf die Stirn, warum kratzte der eigene Atem im Hals, warum wurde ihr so unerträglich heiß? Was geschah da mit ihr? Der Ärger verwandelte sich in Panik, als sie merkte, wie wenig sie dieses Phänomen kontrollieren konnte. Das war nicht richtig! Inakzeptabel. Und absolut unfair.

Es wurde still in ihr … Die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Das alles hier lief gerade gründlich falsch. Sie wusste zwar nicht wieso, aber ihr war klar, dass sie sich auf beängstigend dünnes Eis begab, wenn sie ihre Gefühle nicht sofort wieder in den Griff bekam. Vor allem durfte er nicht merken, was er da mühelos anrichtete. Ihm würde nur gefallen, wie einfach er sie erniedrigen konnte, da war Louise sicher.

Ich bin aber keine unreife Achtzehnjährige mehr, erinnerte sie sich. Mit mir kann man so etwas nicht machen!

„Da Sie hervorragend über meine familiäre Situation unterrichtet sind, wissen Sie bestimmt auch, dass mein Vater mich bat auszuziehen. Schuld waren mein unmögliches Benehmen und die Auswirkung, die es auf die Töchter seiner neuen Lebensgefährtin haben könnte.“

„Er hat Sie vor die Tür gesetzt.“ Wieder stellte er keine Frage, und seine trockene Bemerkung störte Louise gewaltig.

Doch für Caesar gesellte sich nur ein weiterer Aspekt zu seinem tonnenschweren schlechten Gewissen. Seit etlichen Jahren kümmerte er sich nun aufopfernd um das Wohl seiner Gemeinde. Und zu hören, welch herzlose Behandlung Louise durch die Menschen erfahren hatte, die ihr eigentlich Respekt und Liebe entgegenbringen sollten, lastete schwer auf ihm. Es war nie seine Absicht gewesen, sie zu verletzen oder ihr zu schaden, ganz im Gegenteil. Jetzt verstand er, warum sie nicht auf seinen Brief geantwortet und ihm verziehen hatte.

Louise strich sich verärgert über ihre glühenden Wangen. Einerseits schämte sie sich, andererseits fühlte sie sich von ihrer strengen Familie immer noch ungerecht behandelt. Dabei sollte das alles längst keine Rolle mehr spielen. Während ihrer Ausbildung zur Mediatorin und Familientherapeutin hatte sie selbst eine Gesprächstherapie absolviert und gelernt, mit eigenen Fehleinschätzungen umzugehen. Wenn man sich in einem Punkt geirrt oder sich ein falsches Vorurteil gebildet hatte, musste man diesen Patzer voll akzeptieren und anschließend hinter sich lassen.

„Er und Melinda wollten in Australien neu anfangen, da machte es Sinn, das Londoner Apartment wieder zu verkaufen. Rein theoretisch war ich mit achtzehn ja erwachsen. Ich war schon auf der Uni. Trotzdem haben Sie im Grunde recht, er hat mich buchstäblich vor die Tür gesetzt.“

Einsam und allein war sie zurückgeblieben, während ihr Vater ein neues Leben begonnen hatte – ohne sie. Caesar dachte daran, dass auch er seinerzeit am anderen Ende der Welt gewesen war und dort alles Mögliche gelernt hatte, um das schwierige Leben der ihm anvertrauten Menschen zu verbessern. Allerdings brachte es nichts, ihr davon zu erzählen. Ihre Abneigung ihm gegenüber war nicht zu übersehen, da würden alte Geständnisse nur noch weiteres Öl ins Feuer gießen.

„Daraufhin sind Sie also zu Ihren Großeltern gezogen?“ Bei den Fakten zu bleiben und auf überflüssige Emotionen zu verzichten, schien ihm die beste Strategie zu sein.

Louises innere Anspannung wuchs von Minute zu Minute. Ihr reichte es langsam, an ihre unwürdige Vergangenheit erinnert zu werden. Es rief die Scham und die Angst wieder wach, die sie überwunden geglaubt hatte. Ihre Großeltern hatten sie mit unendlich viel Liebe aus der Verlorenheit und Einsamkeit gerettet.

Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Louise erfahren, wie wichtig die Sicherheit einer liebevollen Familie für ein Kind war. Es veränderte ihr ganzes Leben, und sie schwor sich selbst, sich eines Tages bei ihren Großeltern zu revanchieren.

„Ja.“

„Das war eine ziemlich großzügige Geste von ihnen, wenn man bedenkt …“

„Wenn man bedenkt, wie ich mich damals ausgeführt habe? Ja, sie waren wirklich großzügig. Viele Leute haben sie dafür verurteilt, so wie sie zuvor mich verurteilt haben. Ich habe Schande über meine Familie gebracht, und man befürchtete, das könnte auch auf die Gemeinde abfärben. Aber diese Mechanismen sind Ihnen bestimmt bestens vertraut? Außerdem scheinen Sie alles darüber zu wissen, welchen Schaden ich mit meinem Benehmen angerichtet habe. Meine Großeltern haben unter meinem schlechten Ruf gelitten und trotzdem fest zu mir gestanden. Genau deshalb bin ich heute hier und lasse mir weitere Demütigungen von Ihnen gefallen.“

Darauf wollte er etwas Passendes erwidern. Wollte ihr versichern, wie leid es ihm tat, und sie daran erinnern, dass er sich entschuldigt hatte. Gleichzeitig war ihm jedoch klar, dass er hart bleiben sollte. Hier ging es um mehr als um eigene Befindlichkeiten. Ob es ihnen beiden nun gefiel oder nicht, sie waren nur zwei Steinchen in einem großen Mosaik. Ihre Leben waren untrennbar mit der Gemeinde verknüpft, in die sie geboren worden waren. Davor durften sie nicht die Augen verschließen.

„Sie möchten ein Versprechen einlösen, indem Sie die Asche Ihrer Lieben hier begraben lassen?“

„Das haben sie sich immer gewünscht. Ganz besonders nachdem … nach allem, was sie meinetwegen ertragen mussten. Dieses Begräbnis würde eine Heimkehr bedeuten und auch die Rehabilitation innerhalb der Gemeinde. Sie könnten bei der Kirche bestattet werden, in der sie getauft wurden, und in der sie geheiratet haben. Ich würde alles tun, um das durchzusetzen, und wenn ich auf Knien darum betteln muss!“

Diesen Grad von Ehrlichkeit hatte er nicht von ihr erwartet. Feindseligkeit ja, aber Aufrichtigkeit? Damit traf sie einen Nerv bei ihm. Der moderne, gebildete Teil seines Verstandes suchte permanent nach Wegen, seine Leute mit ihren angestaubten Bräuchen und Traditionen ins einundzwanzigste Jahrhundert zu befördern. Aus diesem Grund empfand er echtes Mitgefühl für Louise. Als junges Mädchen war sie von einem Wertesystem verschlungen worden, dessen archaische Regeln in der Gegenwart keinen Platz für individuelles Verhalten ließen.

Der Brief in seiner Tasche wog immer schwerer. Es fühlte sich wie eine offene Wunde an, in die Salz gestreut wurde.

Allmählich verliere ich die Kontrolle über mich, dachte Louise. So weit darf es nicht kommen!

Sie musste sich zusammenreißen und seine dreisten, nervtötenden Fragen über sich ergehen lassen. Immerhin ging es um ein Versprechen, das sie ihren Großeltern schuldete. Nichts und niemand durfte dem im Weg stehen – schon gar kein überheblicher, aufgeblasener sizilianischer Adeliger, der meinte, durch seine bloße Anwesenheit alle Mitmenschen aus der Fassung bringen zu können! Zwar funktionierte es anfangs bei ihr, aber sie hatte es rechtzeitig bemerkt, um dem einen Riegel vorzuschieben!

Das Haus in Notting Hill war damals ihr Ruhepol gewesen, als sie sich vor der gesamten Welt verstecken wollte. Ihre geliebten Großeltern gaben ihr, was Vater und Mutter ihr ein Leben lang verweigert hatten. Und das zu einem äußerst kritischen Zeitpunkt – denn die Gewissheit, dass eine ganze sizilianische Gemeinde sich ihrer schämte, war für Louise furchtbar gewesen. Sie schuldete ihren mutigen Großeltern sehr viel.

Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, jemals vor diesem Mann Rede und Antwort stehen zu müssen. Natürlich war sie zu allem entschlossen, um die Familienehre ihrer Liebsten zu retten. Aber sie war davon ausgegangen, dass er einem persönlichen Treffen ebenso wenig abgewinnen konnte wie sie. Offenbar hatte sie seine Arroganz gründlich unterschätzt.

„Wie Sie wissen, bin ich nicht allein bevollmächtigt, in dieser Sache eine Entscheidung zu treffen. Die Dorfältesten …“

„Befolgen Ihre Anweisungen, genau wie vor hundert Jahren. So viel sollten Sie wissen. Es liegt allein in Ihren Händen, dem letzten Wunsch meiner Großeltern zu entsprechen. Dem möchte ich hinzufügen, ihnen diese letzte Ruhestätte zu verwehren, wäre wohl mehr als grausam und unfair. Sie post mortem noch zu bestrafen …“

„So funktioniert unsere Gesellschaft eben. Die ganze Familie leidet, wenn eines ihrer Mitglieder in Ungnade fällt. Das ist Ihnen doch nicht neu?“

„Und Sie halten das für richtig?“, brauste sie auf, und ihre Miene wurde eisig. „Ja, sicher finden Sie das!“

„In diesem Teil von Sizilien leben die Menschen zum großen Teil noch nach den Regeln und Gebräuchen, die vor Hunderten von Jahren festgelegt wurden. Selbstverständlich möchte ich gern zum Wohle meiner Leute gewissen Veränderungen einführen, da mir die Brüche und Fehler in vielen dieser Traditionen bewusst sind. Aber Reformen brauchen Zeit, wenn man Misstrauen und Streit zwischen den Generationen vermeiden will.“

Darin steckte mehr Wahrheit, als Louise zugeben mochte. Andererseits lag eine große Chance darin, die Geister der Vergangenheit ruhen zu lassen, um sich die Geschenke der Zukunft nicht zu versagen. Hier waren viele unterschiedliche Menschen betroffen, die auch weiterhin gut miteinander auskommen wollten.

Sie versuchte eine neue Strategie. „Meine Großeltern haben sich um diese Gemeinde sehr verdient gemacht. Besonders in der Anfangszeit der Ehe haben sie ihren Eltern und Geschwistern regelmäßig Geld geschickt. Dafür mussten sie sich ungeheuer einschränken. Darüber hinaus haben sie regelmäßig Dorfbewohner bei sich aufgenommen, wenn diese nach London gekommen sind. Sie haben oft Geld gespendet, und sie haben ein Recht darauf, dass ihre Bemühungen zur Kenntnis genommen und honoriert werden.“

Caesar war beeindruckt, wie leidenschaftlich sie für ihre Großeltern eintrat. Ein diskreter Ton aus seinem Handy erinnerte ihn an einen bevorstehenden Termin. Er war davon ausgegangen, das Gespräch mit Louise im Handumdrehen hinter sich zu haben. Aber es gab immer noch einige Fragen zu klären.

„Ich muss leider los. Ein dringender Termin. Wie auch immer, wir beide haben noch eine Menge zu besprechen. Ich melde mich bei Ihnen“, versprach er und wandte sich zum Gehen.

Louise blickte ihm wütend nach. Was für ein typisches Verhalten für einen Kerl, dem die Überheblichkeit in die Wiege gelegt worden ist! Dem die Grausamkeit dank steter Familientradition in Fleisch und Blut übergegangen ist!

Was hatte sie anderes erwartet? Sie sollte erleichtert sein, dass er endlich verschwand.

Nach ein paar Metern blieb Caesar jedoch stehen und drehte sich um. In den Sonnenstrahlen, die sich tapfer durch die dicht beieinander stehenden Zypressen kämpften, zeichneten sich seine markanten Gesichtszüge ab. Jetzt wirkte er mehr denn je wie einer seiner kriegerischen Vorfahren.

„Ihr Sohn“, rief er. „Haben Sie ihn mit nach Sizilien gebracht?“

2. KAPITEL

So fühlte es sich also an, wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Dabei hätte sie auf diese Frage vorbereitet sein sollen.

„Ja.“ Louises Stimme zitterte vor Anspannung, und nackte Angst kroch ihr eiskalt über den ganzen Körper. Dabei hatte sie doch nichts zu befürchten. Es war schließlich kein Geheimnis: Sie zog als Single-Mum einen neunjährigen Sohn groß.

„Sie haben sich dagegen entschieden, ihn heute mit hierherzubringen? Halten Sie das für klug? Er ist erst neun Jahre alt. Eine verantwortungsvolle Mutter hätte …“

„Wollen wir das alberne Sie nicht sein lassen?“, unterbrach Louise den Herzog gereizt und genoss den Moment, als er vor Schreck zusammenzuckte. „Das wird doch allmählich lächerlich! Und als verantwortungsvolle Mutter – wie du es nennst – habe ich in der Tat entschieden, dass er bei einer Tennisstunde mit anderen Kindern im Hotel besser aufgehoben ist als auf einem Friedhof. Mein Sohn Oliver stand seinem Urgroßvater extrem nahe. Er vermisst ihn sehr, und es hätte ihn völlig überfordert, zu diesem unsäglichen Termin hier mitzukommen.“

Vorausgesetzt, sie hätte ihn überhaupt dazu überreden können.

Innerlich bebte Louise vor unterdrückter Wut, aber das wollte sie sich auf keinen Fall anmerken lassen. Die vergangenen achtzehn Monate hatte sich das Verhältnis zu ihrem Sohn deutlich verschlechtert. Oliver machte seine Mutter ganz klar dafür verantwortlich, keinen Vater zu haben. Das führte wiederum zu Problemen in der Schule, weil er sich mit Klassenkameraden stritt und prügelte, die ständig mit ihren Supervätern prahlten. Zwischen ihr und ihrem geliebten Sohn hatte sich eine Kluft aufgetan, die von Tag zu Tag unüberwindbarer wurde.

Louise hätte alles getan, um ihn vor dem Schmerz zu beschützen, den er gerade durchmachen musste. Alles. Aber jetzt bestand er auf etwas, das sie ihm nicht geben konnte: Er wollte einen Vater.

Oliver war ein cleverer Bursche und besuchte eine gute Schule. Die Gebühren dafür fraßen einen großen Teil ihres Verdienstes auf. Obwohl viele Väter der anderen Jungen aus irgendwelchen Gründen nie zu Hause waren, hatten diese Kinder doch zumindest teilweise Kontakt zu ihnen.

Vor allem Louises Großvater hatte sich ernsthafte Sorgen darum gemacht, was es für seinen Großenkel bedeutete, gar keine Informationen über seinen leiblichen Vater zu haben. Gleichzeitig wusste er, wie unmöglich es für Louise war, Oliver die Wahrheit zu sagen. Noch weniger war sie bereit, ihn anzulügen und ihm eine beschönigende Geschichte aufzutischen.

Sie liebte ihren Sohn. Es gab nichts, das sie nicht für ihn tun würde, um ihn glücklich zu machen. Aber sie konnte mit ihm nicht über seinen Vater reden. Zumindest jetzt noch nicht. Erst wenn er älter war und verstehen konnte, was damals geschehen war.

Durch ihren Fehltritt wuchs er ohne Vater auf. Dafür hatten ihre Großeltern dem Kleinen all ihre Liebe geschenkt, so wie sie auch zu ihrer Enkelin hielten, als sie sich gegen die Abtreibung gewehrt hatte, zu der ihre Eltern sie zwingen wollten. Sie hatte Oliver das Leben geschenkt, und das zählte doch wohl auch etwas?

„Wir haben noch eine Menge zu erklären“, sagte Caesar deutlich kühler als zuvor. „Ich komme morgen früh um elf Uhr zum Hotel. Wir treffen uns dort in der Cafélounge.“

Sein herrischer Ton ließ keinen Widerspruch zu. Es schien ihn nicht zu interessieren, ob Louise Zeit hatte oder nicht. Noch ein Zeugnis für seine grenzenlose Selbstüberschätzung. Arroganz war sein zweiter Vorname, oder eher: Gnadenlosigkeit und übertriebener Stolz. Zu schade, dass niemand den allmächtigen Herzog von Falconari in seine Schranken wies, damit er von seinem hohen Ross fiel und zu einem verwundbaren Normalsterblichen wurde.

Grübelnd sah sie ihm nach, bis er in seine nachtschwarze Limousine stieg und davonfuhr.

Von dem Weg aus, der sich durch den Hotelgarten an den Tennisplätzen vorbeischlängelte, hatte Caesar einen guten Blick auf den Jungen, der mit ein paar anderen Kindern gerade eine Trainerstunde bekam.

Louise Andersons Sohn. Er war groß und muskulös für sein Alter und hatte die dunklen Haare und gebräunte Haut seiner sizilianischen Vorfahren geerbt. Außerdem war er ein ziemlich guter Spieler, äußerst konzentriert und mit einer starken Rückhand.

Caesar warf einen Blick auf seine Uhr und beschleunigte seine Schritte. Er hatte einen Umweg eingeschlagen, um an den Tennisplätzen vorbeizukommen. Trotzdem wollte er Louise nicht warten lassen. Wie immer überfielen ihn gemischte Gefühle von Trauer und Reue, sobald er an sie dachte.

Auch Louise sah auf ihre Uhr. Schon eine Minute nach elf! Ihr Sohn hatte erfreut reagiert, als sie ihm vorschlug, heute noch eine Extra-Tennisstunde zu nehmen. Solche Extras waren sonst nicht an der Tagesordnung. Sie hatte Ollie vorgewarnt, dass ihr Reisebudget knapp bemessen sein würde.

Es quälte sie, aus Zeit- und Geldgründen keine schöne Zeit mit ihrem Sohn verbringen zu können, damit der Bruch zwischen ihnen wieder allmählich heilen konnte. So etwas würde sie zumindest ihren Klienten in der gleichen Situation raten. Kindererziehung war innerhalb eines intakten Familienverbandes wesentlich leichter, aber Louise und Ollie hatten nur noch einander.

Sie schloss für einen Moment die Augen und dachte traurig an ihre geliebten Großeltern. Ihr fehlten besonders die weisen, liebevollen Ratschläge ihres Großvaters. Wie musste es dem armen Ollie erst gehen?

Die beiden hatten sich besonders nahegestanden, und von einem Tag auf den anderen musste der Kleine nun ohne väterlichen Beistand auskommen.

Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, wie Caesar Falconari auf ihren Tisch zusteuerte. Er war lässiger gekleidet als am Vortag, aber immer noch sehr cool und italienisch: helle Chinos, schwarzes T-Shirt und dazu ein helles Leinenjackett. Sehr sexy. Kein Wunder, dass praktisch jede anwesende Frau in seine Richtung starrte. Sie selbst fand ihn nicht so umwerfend … doch!

Ihr fiel ein, wie sie gestern plötzlich und unvermittelt auf seine Nähe reagiert hatte. Ein beschämendes und dennoch sehr deutliches Zeichen dafür, wie attraktiv sie ihn fand. Also half nur, diese unleugbare Anziehungskraft zu ignorieren.

Ihre Aufmerksamkeit sollte ganz anderen Dingen gelten.

Leider kehrte die Nervosität zurück, nachdem Caesar sich neben sie gesetzt hatte. Aus dem Nichts erschien eine Kellnerin, was Louise ziemlich verwunderte. Sie selbst hatte eine Ewigkeit auf der niedrigen, schmalen Bank gesessen, ohne dass das Servicepersonal von ihr Notiz genommen hätte.

Er bedachte ihren Café Latte mit einem abfälligen Blick und bestellte sich einen doppelten Espresso. „Wie ich sehe, bekommt dein Sohn heute noch eine Tennisstunde?“, sagte er und verzichtete auf eine Begrüßung.

„Woher weißt du das?“ Ein ungutes Gefühl beschlich sie.

„Ich bin zufällig an den Plätzen vorbeigekommen.“

„Wenn wir hier schnell fertig sind, kann ich noch hingehen und ihn spielen sehen“, erwiderte sie mürrisch.

Der Espresso wurde serviert, und Caesar strahlte die Kellnerin einen Tick zu lange an … für Louises Geschmack. „Was das betrifft … Da gibt es eine weitere Angelegenheit, die ich mit dir besprechen wollte. Einmal abgesehen von deinem Anliegen mit dem Begräbnis.“

Eine weitere Angelegenheit? Jetzt wurde sie richtig unruhig, und ihr Puls ging schneller.

„Kurz vor deiner Ankunft auf Sizilien habe ich einen Brief vom Anwalt deines Großvaters erhalten. Der alte Herr hat ihn selbst verfasst und angeordnet, dass er nach seinem Tod an mich weitergeleitet wird.“

„Mein Großvater hat dir geschrieben?“, keuchte sie fassungslos. Ihr Hals war ganz trocken.

„Ja. Es scheint, er machte sich ernste Sorgen um das Wohlergehen und die Zukunft seines Urenkels. Dich konnte er offensichtlich nicht damit betrauen, also hat er sich an mich gewandt.“

Zum Glück gelang es Louise, ihre verräterische Schnappatmung durch ein leichtes Hüsteln zu verbergen. Ihr war nicht neu, wie viel Sorgen sich ihr Großvater über Ollies zunehmend feindseliges Verhalten seiner Mutter gegenüber gemacht hatte. Der alte Mann hatte sie sogar vor den üblen Gerüchten innerhalb der sizilianischen Gemeinde gewarnt, die ihrem Sohn früher oder später zugetragen werden würden. Schulkinder konnten ausgesprochen gemein sein, ob nun absichtlich oder aus Versehen.

Ollie empfand sich ohnehin schon als Außenseiter, weil er seinen leiblichen Vater nicht kannte. Ihm fehlte dadurch ein großer Teil seiner Familie. Gerüchte würden diesen Zustand noch verschlimmern, das wusste Louises Großvater, aber ihm waren die Hände gebunden.

Was für ein Schock zu erfahren, dass er sich in den letzten Wochen seines Lebens doch noch dazu entschieden hatte, den verpönten Wertevorstellungen seiner Heimat zu entsprechen. Und das hinter ihrem Rücken! Auch wenn sie ihn immer noch liebte und verehrte, ihm sogar unendlich viel zu verdanken hatte, war sie im Augenblick einfach nur maßlos wütend.

„Er hatte kein Recht das zu tun. Selbst wenn er für Ollie das Beste im Sinn hatte“, verkündete sie in scharfem Ton. „Er wusste genau, wie ich diesen archaischen, italienischen Landklüngel hasse. Jedes kleine Problemchen muss zum padrone des jeweiligen Kaffs geschleift werden, damit er seinen Senf dazu gibt.“

Basta! Das reicht! Dein Großvater hat mir nicht als seinem padrone geschrieben, sondern weil ich seiner Meinung nach Olivers Vater bin!“

Der Schmerz kam unerwartet und heftig. Sie fühlte sich mit einem Schlag schutzlos ausgeliefert, die Tore wurden aufgestoßen, hinter denen sich die Schande und Erniedrigung ihrer Vergangenheit verbargen. Sie war wieder achtzehn Jahre alt, öffentlich und privat in Ungnade gefallen, und voller unbegreiflicher, unüberwindbarer Emotionen.

Ein gefallener Engel. Noch heute sah sie das Gesicht ihres Vaters vor sich, wie er sie mit einer Mischung aus Verachtung und Ablehnung anstarrte, während Melinda dazu triumphierend grinste. Sie hatte ihre Töchter an ihre Seite gezogen und die Hand ihres Mannes ergriffen. Eine kleine, geschlossene Gemeinschaft, die Louise ganz bewusst aus ihrer Mitte ausgrenzte.

Vor der versammelten Gemeinde war Louise damals vom Dorfältesten an den Pranger gestellt worden. Mitten im beliebtesten Café am Platze bezeichnete er sie als eine junge Frau, die durch ihr Verhalten Schande über ihre ganze Familie gebracht hatte. Automatisch hatte sie sich an Caesar Falconari gewandt – auf der Suche nach Unterstützung. Aber er war einfach aufgestanden, hatte sie allein gelassen und nicht einmal den Versuch gemacht, sie zu verteidigen. Eine schlimmere Strafe konnte sie sich gar nicht vorstellen.

Seine Zurückweisung hing ihr bis heute nach, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte. Oliver war ihr Sohn, ganz allein ihr Kind. Er hatte mit Caesar nichts zu tun, und solange es nach ihr ging, würde das auch so bleiben. Auch wenn Caesar der Vater war!

Er sah das Mienenspiel auf ihrem Gesicht und fragte sich, was sie vor ihm zu verbergen versuchte. Warum gab sie nicht unumwunden zu, was ohnehin kein Geheimnis mehr war?

Louise kochte innerlich. Wie hatte ihr Großvater ihr das bloß antun können? Sie derart zu hintergehen? Damals hatte sie ausschließlich ihren Großeltern die ganze Wahrheit anvertraut: nämlich dass nicht unzählige junge Männer als Vater ihres unehelichen Kindes infrage kämen, sondern nur ein ganz bestimmter. Niemand anderes als Caesar, der Herzog von Falconari, Herrscher über Reichtum und Ländereien in dem Gebiet Siziliens, das der Geburtsort ihrer Großeltern war.

Sie beide hatten Louise hoch und heilig versprochen, dieses Geheimnis für sich zu behalten. Es hätte sowieso niemand geglaubt. Besonders nicht, da Caesar selbst … aber nein, in diese Richtung wollte sie gar nicht mehr denken. Nicht jetzt und nicht in Zukunft. Die bittere Vergangenheit war vorbei und begraben. Ab sofort ging es nur noch um Oliver.

Entschlossen hob sie den Kopf. „Oliver ist einzig und allein mein Sohn.“

Genau vor dieser Situation hatte Caesar Angst gehabt. Er atmete tief durch und reichte Louise den Brief. Dabei rutschten die mitgeschickten Fotos aus dem Umschlag und fielen auf den Tisch.

Verwundert warf sie einen Blick darauf. Wie jung sie in dem Sommer damals ausgesehen hatte. Bis auf ihre Mutter waren sie alle in den Ferien nach Sizilien gekommen. Von Anfang an hatte Louise sich keine Illusionen über Melindas Motive gemacht, die keine Gelegenheit ausließ, um einen Keil zwischen Vater und Tochter zu treiben.

Leider hatte Louise genauso reagiert, wie es von Melinda beabsichtigt war. Louise tat nämlich absolut alles, um die Aufmerksamkeit ihres Vaters auf sich zu lenken. Und zwar auf die einzige Art, die sie kannte: indem sie sich so schlecht wie nur irgend möglich benahm, um beachtet zu werden.

Sich selbst so auf diesem Foto zu sehen, war schmerzhaft. Sie hatte versucht, den sexy Kleidungsstil von Melinda nicht zu kopieren, sondern noch zu übertrumpfen. Um Melindas seidiger brünetter Haarpracht nachzueifern, färbte Louise ihre Haare schwarz, was damit endete, dass sie strähnig und stumpf wurden. Die Kleider zu kurz, die Absätze zu hoch und jede Menge Schminke im Gesicht.

Von dem Bild blickte einem eine Achtzehnjährige mit fingerdickem Kajal um die Augen entgegen, die verzweifelt sexy wirken wollte. Doch jeder mit ihrer Ausbildung und Erfahrung konnte dahinter sofort die Verletzlichkeit erkennen. Ein liebender Vater hätte es auch sehen müssen …

Kein Wunder, dass jeder Junge im Dorf sie für leichte Beute gehalten hatte. Sie wirkte billig, willig, und dementsprechend wurde sie auch behandelt. Die strengen Weisungen ihrer Großeltern hatte sie selbstverständlich ignoriert.

Sie war noch jung für ihr Alter und hatte auf ihrer reinen Mädchenschule kaum Erfahrungen sammeln können. Eigentlich wollte sie nur dazugehören, und noch viel wichtiger: Sie wollte, dass sich ihr Vater für sie interessierte. Doch der zog es vor, seine Zeit mit Melinda und ihren Töchtern zu verbringen.

„Du hast dich ziemlich verändert“, bemerkte Caesar trocken. Ihr Großvater hatte das Foto geschickt, um der Erinnerung des Kindsvaters auf die Sprünge zu helfen. „Ich hätte dich nicht wiedererkannt.“

„Damals war ich achtzehn und wollte unbedingt …“

„Männliche Aufmerksamkeit. Ja, ich erinnere mich.“

Louise spürte, wie ihr Gesicht buchstäblich in Flammen aufging.

„Ich wollte von meinem Vater beachtet werden“, stellte sie klar.

Caesar war zweiundzwanzig gewesen und hatte gerade erst sein Erbe angetreten. Die Zeit, in der ihm Nachlassverwalter oder Treuhänder sagen konnten, was er zu tun hatte, war nun endgültig vorbei. Ihm war bewusst gewesen, wie gespannt man darauf achtete, ob er seinem gesellschaftlichen Stand gerecht wurde oder nicht. Die Leute wünschten sich einen moralischen Gemeindevorstand, der ihre traditionellen Interessen vertrat.

Gleichzeitig suchte er verzweifelt nach einem Weg, die alten Strukturen aufzubrechen und zu modernisieren, während die ältere Generation jeder Form von Modernisierung äußert ablehnend – wenn nicht feindselig – gegenüberstand. Frauen hatten sich ganz allgemein den Männern unterzuordnen.

Der Vorsitzende des größten Dorfes in der Gegend, Aldo Barado, hatte sich die Unterstützung der meisten anderen Gemeindeführer gesichert, um dem altmodischen Weg treu zu bleiben. Caesar wusste, er musste vorsichtig agieren, um seine Ziele zu erreichen.

Louises extrem lockere Einstellung hatte von Beginn an Aldo Barados Missfallen erregt. Schon nach zwei Tagen war er im castello aufgetaucht, um sich über den Einfluss zu beschweren, den sie auf die Dorfjugend ausübte. Insbesondere auf die jungen Männer. Insbesondere auf seinen einzigen Sohn, der bereits mit einer anderen Frau zwangsverlobt war und trotzdem Louise nachstellte.

Natürlich blieb Caesar nichts anderes übrig, als sich die Beschwerden des älteren Mannes anzuhören. Und weil dieser weibliche Besuch den gesellschaftlichen Regeln der Gegend keinerlei Beachtung schenkte, stattete Caesar der Familie einen Besuch ab, um sich selbst einen Eindruck zu verschaffen und notfalls mit Louises Vater zu sprechen.

Als sie ihm über den Weg lief, wusste er gleich, warum die Halbstarken sie so unglaublich attraktiv fanden. Nicht einmal die unmögliche Aufmachung konnte ihrer natürlichen Schönheit etwas anhaben. Diese Augen, diese glatte Haut, der weiche, vielversprechende Mund …

Sein eigenes plötzliches Verlangen nach dieser geheimnisvollen Fremden schockierte ihn bis ins Mark. Seit dem Tod seiner Eltern hatte er permanent Strategien entwickelt, um sich vor dem überwältigenden Gefühl von Einsamkeit zu schützen. Er musste tapfer sein. Er musste stark sein. Er musste immer daran denken, dass es als Falconari seine Pflicht war, den Menschen um ihn herum ein würdiges Oberhaupt zu sein. Diese Leute, sein Familienname und ihre gemeinsame Geschichte standen an allererster Stelle.

Gefühle störten nur und wurden streng unter Verschluss gehalten. Zuerst war er ein Herzog, ein Stammesführer und eine Leitfigur – dann erst ein normal sterblicher Mann.

Im Nachhinein musste er zugeben, damals nur Aldo Barado, Louises Vater und seiner Lebensgefährtin zugehört zu haben, nie aber Louise selbst. Auch er hatte sich von der Oberfläche täuschen lassen, und das machte er sich selbst zum Vorwurf. Wie viel hatte er selbst damit zu tun, dass sie schließlich von ihrem Vater verstoßen wurde?

Noch einmal betrachtete er das Foto genauer. Er war damals in der Angst gefangen gewesen, die seine Gefühle in ihm auslösten – die Louise in ihm auslöste. Das Offensichtliche war ihm entgangen: der unglückliche Ausdruck in den Augen dieses jungen Mädchens. Weil er ihn nicht hatte sehen wollen. Schuldgefühle mischten sich in seine Verärgerung.

„Dachtest du, dein Vater schenkt dir mehr Aufmerksamkeit, wenn du mit mir ins Bett gehst?“, wollte er wissen.

Seine Skepsis war berechtigt. Ihr Verhalten hatte den Vater weiter von ihr fortgetrieben, anstatt sie beide zusammenzuführen. Aldo Barado und Melinda denunzierten Louise mit Leidenschaft, und der Alte ließ sich von ihnen beeinflussen. Er stimmte in die Kritik ein und kehrte seiner Tochter den Rücken.

Naiverweise hatte sie gehofft, Caesar könnte für sie eine Art Fürsprecher sein … dass er vielleicht sogar vor allen Leuten seine Liebe zu ihr gestehen würde. Doch er kam ihr nicht zur Hilfe. Stattdessen schickte er den Gemeindevertreter, um seine Anweisungen auszuführen.

Rückblickend waren die kostbaren Momente in Caesars Armen, nachdem sie beide miteinander den Gipfel körperlicher Lust erreicht hatten, für Louise ein einziger Selbstbetrug. Während sie voller Hoffnung und Freude von einer gemeinsamen Zukunft träumte, hatte er wohl darüber nachgedacht, wie bedeutungslos er das alles fand.

Todesmutig entschied sie sich für die Wahrheit. „Zumindest habe ich nicht mit dir geschlafen, damit mich dein Gemeindevertreter vor versammelter Mannschaft bloßstellt, während du in deinem herrschaftlichen castello verweilst! Mein Vater war außer sich wegen … und ich zitiere: meiner Dummheit, zu glauben, dass ein Mann wie Caesar mehr von mir will als seinen kurzen Spaß. Er sagte, ich hätte die ganze Familie in den Dreck gezogen. Meine Großeltern hatten deswegen die schlimmste Last zu tragen. Im Dorf sprach es sich wie ein Lauffeuer herum. Es gab unendlich viel Getuschel und Lästereien. Nur weil ich so dumm war und mir eingebildet habe, dass ich dich liebe, und dass du mich liebst.“

Das Geständnis tat ihr gut, und sie holte tief Luft. „Nicht, dass es mir leid täte, wie du mich abserviert hast. Rückblickend hast du mir damit einen Gefallen getan. Früher oder später wärst du sowieso auf und davon gewesen, oder? Ein Mädchen wie ich, deren Großeltern weder dir noch deiner adeligen Familie gedient haben, wäre niemals gut genug für einen echten Herzog. Genau das hat Aldo Barado meinen Großeltern an den Kopf geworfen, als er die Drecksarbeit für dich erledigen sollte und uns bat, so schnell wie möglich zu verschwinden.“

„Louise …“ Seine Kehle war wie zugeschnürt. Doch wie üblich durfte er seinen Gefühlen nicht nachgeben. Dafür stand zu viel auf dem Spiel. Richtig oder falsch, er konnte Jahrhunderte langer Tradition nicht einfach den Rücken kehren.

Er könnte sich entschuldigen und Erklärungsversuche machen. Aber wozu? In seinem Brief hatte Louises Großvater ihn vor der Ablehnung seiner Enkelin gewarnt. Nicht nur ihm, also Caesar, gegenüber, sondern auch allem, was er repräsentierte. In ihren Augen waren sie beide Feinde, und er würde diese Situation jetzt nur noch verschlimmern.

Er hatte damals zwar Vorkehrungen getroffen, trotzdem konnte er nicht ausschließen, dass Louises Kind sein Sohn war. Sein Herz wurde schwer bei diesem Gedanken, aber nicht auf eine unangenehme Art und Weise. Wieder ein Gefühl, das er nicht zulassen durfte.

Erneut setzte sie an, ihr Verhalten von damals zu rechtfertigen. „Manche Kinder wachsen in einer Umgebung auf, in der schlechtes Verhalten mit Aufmerksamkeit belohnt wird, während gutes Verhalten dazu führt, dass man ignoriert wird. Den Kindern geht es ausschließlich darum, den gewünschten Effekt zu erzielen.“

Und Caesars Liebe? Hatte sie die nicht auch gewollt? Jung, unreif und ahnungslos in Sachen Liebe – Louise hatte keine Chance gehabt.

„Du sprichst aus eigener Erfahrung?“

„Genau“, stimmte sie zu. Sie würde sich nicht mehr für ihre Vergangenheit entschuldigen.

„Hast du dich deshalb als Familientherapeutin ausbilden lassen?“

„Ja.“ Wozu sollte sie das abstreiten? „Nach meinen eigenen Erfahrungen, den guten wie den schlechten, habe ich mich zu diesem Schritt entschieden.“

„Und trotzdem meint dein Großvater, du würdest nicht richtig mit deinem Sohn umgehen?“

Um ganz ehrlich zu sein, waren ihr bei Oliver ein paar Charakterzüge aufgefallen, die er nur von seinem Vater haben konnte. Allem voran unbeugsamer Stolz, der dadurch tief verletzt wurde, dass der Kleine seinen Vater nicht kennenlernen durfte.

„Der Junge hat Schwierigkeiten damit, seinen Vater nicht zu kennen“, antwortete sie ausweichend. „Allerdings wusste mein Großvater genau, dass ich meinen Sohn aufklären wollte, sobald dieser alt genug ist, die Wahrheit zu vertragen.“

„Und die wäre?“

„Du kennst sie doch. Aldo Barado hat sie in aller Öffentlichkeit breitgetreten. Ich kam nach Sizilien, bin mit dir ins Bett gegangen und soll außerdem noch seinen eigenen Sohn verführt haben. Laut meinem Vater und seiner neuen Frau Melinda habe ich nicht nur mich, sondern auch sie zum Gespött der Leute gemacht. Ich war zu oft mit Jungs zusammen, die ganz offensichtlich nur das Eine wollten. Meinen größten Fehler muss ich offen eingestehen. Ich habe mit dir geschlafen, um meinen Vater aus der Reserve zu locken. Den wichtigsten Mann der Gegend als Liebhaber auszuwählen, erschien mir eine todsichere Methode.“

Den anderen Grund, warum sie damals so hinter ihm her gewesen war, behielt sie lieber für sich. Es würde ihm zu sehr schmeicheln, wenn er wüsste, wie verrückt sie nach ihm gewesen war. Unschuldig, und doch verliebt und auf der Suche nach körperlicher Erfüllung.

Bis zu dem Zeitpunkt war ihr Leben davon bestimmt gewesen, ihren Vater für sich zu interessieren. Caesar war der erste Mann, der sie von ihrem Kindheitstrauma ablenkte. Während der Wochen, die sie in Sizilien verbracht hatte, sah sie sich mehr und mehr als die Frau an seiner Seite. Sie war blind für die Realität.

Die unerwünschten Annäherungsversuche von Aldo Barados Sohn abzuwehren, erwies sich als äußerst mühsam. Dabei verletzte sie unbeabsichtigt seinen Stolz, und um sich zu rächen, verbreitete er üble Lügen über sie. Sie hätte ihn ständig verfolgt und irgendwann auch verführt. Alle glaubten ihm, und Louises Schicksal war besiegelt.

Heute erkannte sie genau, wie gefangen Caesar in den Strukturen seiner Kultur war. Da ging es ihr selbst schon besser. Sie hatte diese Fesseln gesprengt und bestimmte heute ganz allein über ihr eigenes Leben. Eines durfte sie dabei aber nicht vergessen: Ihr Sohn war noch immer ihre Verbindung zu dieser Vergangenheit. Ollie sehnte sich nach der Liebe eines leiblichen Vaters.

Freunde und Kollegen hatten ihr geraten, sich auf einen neuen Mann einzulassen, der als Vorbild für ihren Sohn fungieren konnte. Für Louise ein Ding der Unmöglichkeit. Sie hatte sich fest vorgenommen, sich niemals wieder zu verlieben. Ein anderer Mann konnte sie genauso verletzen, wie Caesar es getan hatte.

„Ich habe eine Kondom benutzt“, platzte er tonlos in ihre Gedanken.

Wie früher wollte er also alles abstreiten? Nun, ihr war das egal. Weder sie noch Ollie waren auf ihn angewiesen, auch wenn ihr Großvater da anderer Meinung gewesen war.

„Ich bin nicht diejenige, die behauptet, du wärst der Vater“, erwiderte sie giftig.

„Aber nachdem dein Großvater es behauptet hat, muss ich …“

„Ignoriere es einfach“, unterbrach sie ihn mit erhobener Hand. „Oliver braucht keinen zweifelnden, unwilligen Vater, und ich will auch keinerlei Rechte gegen dich geltend machen. Deshalb bin ich nicht hergekommen. Von dir möchte ich nur eines, und zwar die Zustimmung, die Asche meiner Liebsten auf dem Friedhof eurer Kirche begraben zu können.“

„Glaubst du denn selbst daran, dass der Junge von mir ist?“

Wieso stellte er ihr diese Frage, nachdem sie ihn schon offiziell vom Haken gelassen hatte?

„Über dieses Thema werde ich nur mit ihm selbst sprechen, und auch erst dann, wenn er alt genug ist.“

„Was ist mit einem DNA-Test?“

„Wozu? Das nützt nur dir etwas, nicht ihm. Zudem scheinst du ziemlich sicher zu sein, dass er nicht dein Kind ist.“

„Für mich steht eines fest: Falls er mein Sohn ist – egal, wie gering die Wahrscheinlichkeit sein mag –, soll er nicht in dem Glauben aufwachsen, ich würde mich nicht um ihn kümmern.“

Seine Worte überraschten sie, vor allem, weil sie absolut aufrichtig klangen.

Und was eiskalt durch ihre Adern jagte, war keine Wut, sondern nackte Angst.

„Ich werde keinen DNA-Test durchführen lassen, nur um dir Sicherheit zu verschaffen. Akzeptiere doch einfach mein Versprechen, dass ich keine Ansprüche stellen werde. Oliver ist mein Kind, basta.“

„Und laut deinem Großvater ist er auch mein Kind. In dem Fall habe ich ihm gegenüber eine Verantwortung, die ich auch zu erfüllen gedenke. Dabei will ich ihn natürlich nicht in Mitleidenschaft ziehen. Einen Test kann man auch ganz einfach ohne sein Wissen durchführen. Eine kleine Speichelprobe genügt.“

„Nein!“

„Dir ist wichtig, dass du deinen Großeltern ihre letzte Ruhestätte zukommen lassen willst. Und ich möchte wissen, ob ich einen Sohn habe oder nicht.“

„Das ist Erpressung“, warf sie ihm vor.

„Ich habe ein Recht darauf, zu erfahren, ob dieses Kind von mir ist. Dein Großvater glaubte es, und er war der Meinung, dass der Kleine mich braucht. Sein Brief ist in diesem Punkt eindeutig. Ich respektiere den Mann und gehe daher davon aus, dass er es nicht auf meinen Status oder mein Geld abgesehen hatte. Ihm lag das Kindeswohl am Herzen. Kannst du als geschulte Familientherapeutin wirklich hier vor mir stehen und mir erzählen, du willst deinem Sohn die Wahrheit vorenthalten?“

„Was denn vorenthalten? Soll er der Bastard eines Mannes sein, der die Kindsmutter im Stich gelassen hat? Der zuließ, dass sie öffentlich an den Pranger gestellt und mit Schimpf und Schande aus dem Dorf gejagt wurde? Du wünschst dir doch, der Test würde negativ ausgehen! Es wird immer diese dominante Gemeinde geben, ob hier oder in London, die meinen Sohn diskriminiert, weil er unehelich geboren ist. Und ich lasse nicht zu, dass mein Kind für meine Sünden bezahlen muss!“

„Deine Anschuldigungen sind haltlos. Sollte sich herausstellen, dass ich der Vater bin, können wir die Angelegenheit in Ruhe weiterbesprechen. Bis dahin konzentrieren wir uns lieber darauf, die Vaterschaft erst einmal festzustellen.“

„Falls ich einem heimlichen Test zustimme, verlange ich, dass mein Sohn nichts davon erfährt.“

„Einverstanden.“ Immerhin wollte er dem Kleinen auf keinen Fall schaden. „Ich werde mich um alles kümmern. Und sobald das Ergebnis feststeht …“

„Wäre es für dich nicht doch einfacher, den Brief meines Großvaters einfach zu vergessen?“, versuchte sie es ein letztes Mal.

„Das ist unmöglich“, widersprach er – kompromisslos.

3. KAPITEL

„Und Billy hat nur gewonnen, weil sein Vater da war und ihm gesagt hat, wie er spielen soll!“

Schon seit Louise ihren Sohn vom Kinderclub abgeholt hatte, beschwerte er sich ununterbrochen darüber, beim Tennis gegen einen anderen Jungen verloren zu haben. Mittlerweile saßen sie beim Abendbrot, und er konnte das Thema immer noch nicht lassen.

Ihr erster Impuls war, ihn tröstend in ihre Arme zu nehmen, aber ihr Sprössling fand eine derartige Zurschaustellung mütterlicher Fürsorge inzwischen unerträglich peinlich. Also blieb sie standhaft und kämpfte stattdessen mit ihrem schlechten Gewissen, nachdem sie einen Trick anwenden musste, um an die notwendige DNA-Probe von Oliver zu kommen. Sie hatte behauptet, er würde heiser klingen, und sie wolle seinen Hals genauer untersuchen.

Die Probe war bereits auf dem Weg zu Caesar, der sich um den Rest kümmerte.

Nach wie vor fühlte Louise sich von ihrem Großvater verraten! Wie hatte er sie nur so hintergehen können?

Sobald das Testergebnis feststand, musste sie Caesar davon überzeugen, dass sie keinerlei Ansprüche an ihn stellte. Oliver sollte nicht im Gegensatz zu Caesars späteren leiblichen Kindern die zweite Geige spielen müssen.

Sie runzelte die Stirn. Wenn man Caesars Umfeld bedachte, fragte man sich unwillkürlich, warum er nicht längst verheiratet war. Seine traditionelle Pflicht war es doch, Erben zu zeugen? Der Adelstitel, die Ländereien, der ganze Reichtum … all das wurde seit Jahrhunderten vom Vater auf den Sohn vererbt. Ein selbstherrlicher Mann wie Caesar würde mit dieser Tradition sicherlich nicht brechen.

Traurig dachte sie an den Moment, als sie Oliver vom Tennisplatz abgeholt hatte. Während des Spiels hatte er anscheinend versucht, vom gegnerischen Vater auch mit Lob und Bewunderung bedacht zu werden, doch der kümmerte sich natürlich ausschließlich um seinen eigenen Sohn. Louises Mutterherz krampfte sich zusammen, als sie die Wut und den Frust in Olivers jungem Gesicht erkannte. Sein Verhalten erinnerte sie sehr an ihre eigenen Ängste und Demütigungen. Sie verstand gut, was er gerade durchmachte.

Billy ging mit seinem stolzen Vater nach Hause, und sie selbst konnte Oliver nicht das Lob und die Aufmerksamkeit schenken, die er sich wünschte. Das könnte in dieser Situation nur ein Vater.

Morgen würde sie mit dem Kleinen ein Abenteuerschwimmbad besuchen. Bestimmt gab es im Hotel noch mehr alleinerziehende Eltern, denen man sich eventuell anschließen konnte. Bisher hatte sie allerdings niemanden kennengelernt. Überall schienen nur glückliche Paare mit fröhlichen Kindern herumzutollen.

Seufzend stellte sie Olivers Spielkonsole auf den Fernseher und schüttelte den Kopf. „Nicht beim Essen, Oliver, bitte! Du kennst die Regeln.“

„Alle anderen spielen doch auch, wann sie wollen. Billy spielt sogar zusammen mit seinem Vater!“

Louise seufzte noch einmal, und ihr Blick schweifte in die Ferne.

Das castello war einst erbaut worden, um die zugehörigen Ländereien erfolgreich gegen Feinde und Angreifer verteidigen zu können. Die Grenzen waren über die Jahre entschieden erweitert worden, und auch das Schloss wurde erst Schritt für Schritt zu dem imposanten Gebäude ausgebaut, das es heute war.

Nachdenklich betrachtete er die umfangreiche Ahnengalerie im Treppenhaus. Dort waren die Portraits eines jeden Herzogs von Falconari aufgereiht, ab dem vierzehnten Jahrhundert wurden sogar ganze Familien portraitiert. Bisher war es jedem Falconari gelungen, einen männlichen Erben zu zeugen. Auch Caesar hatte seit frühester Kindheit, seit seine Eltern bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen waren, gelernt, wie wichtig es war, zu heiraten und für die nächste Generation der Falconaris zu sorgen.

Jetzt war Caesar einunddreißig. Und innerhalb der Gemeinde wuchs die Sorge, er würde seiner Verantwortung nicht gerecht werden.

Niemand wusste, wie groß Caesars Angst war, noch einmal so die Kontrolle über sich zu verlieren, wie es ihm bei Louise passiert war. Erst viele, viele Monate nach ihrem Verschwinden hatte er sich getraut, überhaupt eine andere anzusehen.

Doch darauf folgte der nächste Schock: Es fiel ihm nämlich gar nicht schwer, sich im Griff zu haben, egal wie schön und sinnlich seine jeweilige Eroberung war. Eigentlich hätte er darüber froh sein müssen. Schließlich wollte er nie wieder mit einem anderen Menschen so verschmelzen, dass man praktisch zu einem neuen gemeinsamen Individuum wurde. Andererseits war der Sex unspektakulär und nur noch leere Lust, die keinesfalls das befriedigen konnte, was Caesar tief in seinem Inneren weggeschlossen hatte.

Diese geheime Kammer war plötzlich geöffnet worden, und zwar in genau dem Augenblick, als Louise wieder vor ihm stand. Ihretwegen hatte er sich die ganze Zeit über vor der Ehe gedrückt. Aber wieso? Weil keine andere Frau sein Herz berührte? Weil keine ihn auf diese besondere Weise erregte?

Seit sechs Jahren lebte er nun schon mit der Gewissheit, der Letzte seiner Familienlinie zu sein. Und dann kam der Brief von Louises Großvater …

Allein der Gedanke, einen Sohn zu haben, brachte sein Herz zum Rasen. Sein eigen Fleisch und Blut, auf ewig mit ihm verbunden. Die Vorstellung, das Kind nicht zu wollen oder nicht zu lieben, war völlig abstrus. Caesar konnte nicht verstehen, warum Louises Vater sich seiner Tochter gegenüber so kühl verhalten hatte. Es war das Gegenteil dessen, was Caesar sich unter väterlicher Verantwortung vorstellte.

Sollte sich herausstellen, dass Oliver sein Sohn war, würde Caesar seine Vaterrolle sehr ernst nehmen. Er wünschte sich dieses Ergebnis so sehr – es ging weit über die Erfüllung seiner traditionellen Pflicht hinaus. Der Brief von Louises Großvater hatte einen regelrechten Gefühlssturm in ihm ausgelöst und längst vergessen geglaubte Sehnsüchte wieder zum Leben erweckt. Es war die logische Folge dessen, was zwischen ihm und Louise geschehen war. Überwältigende Leidenschaft hatte sie beide der Realität entrissen und auf eine kurze, atemberaubende Reise geschickt. Und dann hatte das Schicksal seinen Lauf genommen.

Er konnte sich noch gut an den Nachmittag erinnern, als Louise ihm zum ersten Mal über den Weg gelaufen war. Sie spazierte gerade die staubige Straße entlang, die aus dem Dorf hinaus zum castello führte: offene Haare, unverschämt enge Kleidung an ihrem aufreizenden Körper und blitzblanke, intelligente Augen in einem hübschen Gesicht. Ihre ganze Haltung zeugte von trotziger Rebellion gegen die altmodische Lebensart der Umgebung und gegen ihre provinziellen Bewohner. Man sah sie häufiger Bier aus der Flasche trinken, lachend über den Marktplatz tanzen und die Dorfjugend dazu aufrufen, sich gegen ihre Eltern aufzulehnen.

Sie bedachte Caesar mit einem abschätzenden, feindseligen Blick. Ihn amüsierte ihre freche Attitüde, und er fand Louise auf Anhieb interessant. Keines der Mädchen im Ort hätte sich getraut, ihm so direkt in die Augen zu sehen. Er fragte Louise, wohin sie unterwegs sei. Daraufhin warf sie ihre schwarz gefärbte Mähne zurück und antwortete, dass man hier in der Gegend nirgendwo hingehen konnte und sie es kaum erwarten könne, zurück nach London zu fahren. Dort wolle sie die National Portrait Gallery besuchen und sich auf ihr Kunststudium vorbereiten.

Sofort merkte er, wie stark ihre Anziehungskraft war. Als zweiundzwanzigjähriger Mann war nichts Subtiles dabei, wenn man sich für ein Mädchen interessierte! Caesar wusste, was er wollte. Allerdings durfte er sich nicht auf Louise einlassen. In London mochte sie eine normale Städterin sein, aber hier auf Sizilien gehörte sie zu der Gemeinde, für die er Verantwortung trug. Und trotzdem lud er sie auf das Schloss ein, damit sie dort die alten Gemälde bewundern konnte.

Sie war ganz rot geworden und sah plötzlich unheimlich zerbrechlich und feminin aus.

„Dir passiert schon nichts“, sagte er aus einem Beschützerimpuls heraus. „Darauf gebe ich dir mein Wort.“

„Und das Wort eines Herzogs wiegt wohl um einiges schwerer als das eines Normalsterblichen, was?“, neckte sie ihn.

Es sollte nicht der letzte anregende Schlagabtausch mit ihr werden, und Caesar genoss jeden einzelnen davon. Und auch wenn sie dabei eine gewisse Grenze niemals überschritten, prickelten diese Gespräche vor Erotik. Auch den ganzen Weg hoch zum castello lieferten sie sich ein Wortgefecht – wie zwei duellierende Schwertkämpfer.

Dann zeigte er ihr die Ahnengalerie und die Kunstsammlung seiner Familie. Sofort identifizierte sie Werke der großen Meister und erwies sich als echte Expertin auf dem Gebiet. Vor allem war sie überrascht, dass er für sein eigenes Portrait einen so modernen und kontroversen Maler wie Lucian Freud ausgesucht hatte.

„Ich wette, das gefällt Aldo Barado kein bisschen“, bemerkte sie lachend, und Caesar musste ihr wohl oder übel zustimmen, sie hatte recht.

„Er ist ein guter Mann“, hatte er den Gemeindevorsteher verteidigt. „Ich schätze seinen Rat und seine Erfahrung.“

„Auch seine Methoden, die Leute hier in archaischen Gedankenmustern gefangen zu halten? Ganz besonders die Frauen?“

„Zugegeben, er hat seinen Stolz, und den will ich nicht verletzen. Trotzdem ist mir klar, dass es Veränderungen geben muss. Veränderungen, die ich mir persönlich vorstelle und auch planen werde.“

Selbst heute noch wunderte es ihn, wie schnell er sich damals Louise anvertraut hatte – ganz offen und ohne Bedenken. Ihm war sofort klar, dass sie ein gewisses Verständnis für Menschen hatte, was weit über ein altergerechtes Mitgefühl hinausging. Ihre Karriere bestätigte diesen Eindruck noch, und das Gefühl einer echten emotionalen Nähe war in ihm stärker als je zuvor.

Ich kann nur nicht schlafen, weil ich zu früh ins Bett gegangen bin, versuchte Louise sich einzureden. Sie stand draußen auf dem Balkon, vom dem aus nicht nur ihr eigenes, sondern auch Olivers Zimmer abging. Der Kleine schlief schon selig.

Unten funkelten der Hotelgarten und der dazugehörige Pool in fein abgestimmter, harmonischer Nachtbeleuchtung um die Wette. Von weit her hörte man leise Musik, und ab und zu kam ein eng umschlungenes Pärchen vorbeigeschlendert.

So eine Liebesbeziehung würde es für sie nie geben. Tief im Inneren hatte sie Angst, sich wieder in das bedürftige, selbstzerstörerische Mädchen von früher zu verwandeln, wenn sie sich auf einen Partner einließ und Verletzlichkeit zuließ. Das würde bedeuten, alte Fehler zu wiederholen. Viel wichtiger als das war jedoch Olivers Zukunft. Sie wollte nicht riskieren, dass auch er verletzt wurde, falls ein Mann sie beide irgendwann wieder verließ.

Zwei Teenager kamen vorbei, und Louise dachte an ihren eigenen letzten Besuch auf Sizilien. Sie war selbst erst ein Teenager gewesen, als sie vor dem gesamten Dorf mit Dreck beworfen wurde. Louise spürte, wie ihre Muskeln sich automatisch anspannten. Mit aller Gewalt wollte sie diese grausamen Erinnerungen abschütteln, weil sie noch genauso wehtaten wie damals.

Es war mitten in ihren Ferien gewesen. Seit drei Tagen sprach ihr Vater kein Wort mehr mit ihr. Er schämte sich abgrundtief für seine Tochter – nicht nur wegen ihres Aussehens, sondern auch wegen ihres Benehmens. Melinda freute sich natürlich diebisch darüber und ließ keine Gelegenheit aus, auf Louises Verfehlungen hinzuweisen. Dagegen wirkten ihre eigenen wohlerzogenen Töchter wie die reinsten Engel.

Autor

Jacqueline Baird
Wenn Jacqueline Baird nicht gerade an einer Romance schreibt, dann liest sie viel und spielt gern Karten. Falls das Wetter es erlaubt, schwimmt sie häufig im Meer und bedauert, dass sie seit einer schweren Knieverletzung nicht mehr Segeln kann.

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