Julia Extra Band 418

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DIE RÜCKKEHR DES SIZILIANISCHEN MILLIONÄRS von MARINELLI, CAROL
Warum ist Matteo ausgerechnet in dem Hotel abgestiegen, in dem sie als Zimmermädchen arbeitet? Bella fühlt sich schwach vor Scham, denn sie weiß, dass der sizilianische Millionär sie für käuflich hält. Und vor Liebe - die sie nur einmal in ihrem Leben erlebt hat: mit Matteo …

GEFANGEN AUF DER INSEL DER LEIDENSCHAFT von CARR, SUSANNA
Jodie ist nach Athen gekommen, um sich an ihm und seiner Familie zu rächen - das darf Stergios nicht zulassen! Lieber entführt er sie auf seine Privatinsel im Mittelmeer. Doch er hat nicht mit der Leidenschaft gerechnet, die der schöne Racheengel in ihm weckt …

DIE MILLIONEN-DOLLAR-BRAUT von SHAW, CHANTELLE
Der Schuft hat sie betrogen, sie wird ihn nicht heiraten! Wutentbrannt flieht Athena Minuten vor der Hochzeit durch das Fenster - und fällt, ganz in Weiß, in die starken Arme eines Traummannes! Ungläubig hört sie Luca De Rossis Angebot: eine Million Dollar für eine Scheinehe …

NUR AUGEN FÜR DICH von HARDY, KATE
"Ich soll mich nackt fotografieren lassen?" Nick hat sich wohl verhört. Aber seine Schwester hat raffiniert eingefädelt, dass er bei einem Wohltätigkeitsprojekt mitmacht! Und dann ist die Fotografin Sammy auch noch so sexy! Vor ihr muss Nick sich entkleiden?


  • Erscheinungstag 26.07.2016
  • Bandnummer 0418
  • ISBN / Artikelnummer 9783733707941
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carol Marinelli, Susanna Carr, Chantelle Shaw, Kate Hardy

JULIA EXTRA BAND 418

CAROL MARINELLI

Die Rückkehr des sizilianischen Millionärs

Matteo brennt lichterloh, als er die rassige Bella Gatti wiedersieht. Unvergesslich ist die eine Nacht, die er damals mit ihr verbracht hat! Aber unvergesslich für den Sizilianer ist auch ihr Verrat …

SUSANNA CARR

Gefangen auf der Insel der Leidenschaft

Seit dem Skandal mit ihrem Stiefbruder Stergios ist Jodie in der Familie Antoniou unerwünscht. Doch jetzt sieht sie Stergios wieder – und ist noch immer Sklavin ihrer Leidenschaft, die sie für den attraktiven Griechen empfindet …

CHANTELLE SHAW

Die Millionen-Dollar-Braut

Wo soll Luca bloß eine Braut für eine Scheinehe hernehmen? Da fällt dem italienischen Millionär die Lösung buchstäblich in die Arme: in Gestalt der hinreißenden Athena, praktischerweise schon im Hochzeitskleid …

KATE HARDY

Nur Augen für dich

Nick sieht im Nadelstreifenanzug toll aus! Aber noch viel besser nackt, findet Fotografin Sammy, als sie ihn für einen guten Zweck ablichtet. Rein professionell – wenn bloß nicht ständig ihre Linse beschlagen würde …

PROLOG

„Luka und ich treffen uns heute früh am Flughafen. Kommst du mit?“ Matteo streifte Bella nur mit einem kurzen Blick. Der blaue Fleck auf ihrer Wange ging auf sein Konto und war ihm furchtbar unangenehm.

Bella schaute in die Richtung des Mannes, dem ihr Herz gehörte, seit sie sechzehn war und gemeinsam mit ihrer Freundin Sophie im Brezza Oceana als Zimmermädchen angefangen hatte. Es war noch ungewohnt gewesen, Berufskleidung zu tragen. Außerdem hatte Bella ihre Schulfreunde vermisst. Der einzige Trost war gewesen, dass Sophie und sie in derselben Schicht arbeiteten.

Damals kamen ihnen auf einem der langen Hotelkorridore plötzlich einige von Malvolios Männern entgegen. Darunter auch Matteo Santini und sein Halbbruder Dino. Die Mädchen machten der Gruppe sofort Platz, doch Bella ahnte, was kommen würde.

Sophie würden sie nicht anrühren, denn sie war Malvolios Sohn Luka versprochen. Die Verlobung stand unmittelbar bevor. Luka, der inzwischen in England lebte, würde zu diesem Anlass nach Sizilien kommen.

Bella hingegen war Freiwild. Ihr allein galten die anzüglichen Bemerkungen, denn die jungen Männer wussten, welchem Gewerbe ihre Mutter Maria Gatti nachging.

Doch inzwischen prallten die unverschämten Kommentare an Bella ab.

„He!“ Ungehalten musterte Matteo seine Begleiter. „Lasst sie in Ruhe!“

Seine sonore Samtstimme verzauberte Bella sofort.

Als Dino trotz der Warnung seines Halbbruders weiterpöbelte, stieß der ihn gegen die Wand und raunte Bella zu, schnell das Weite zu suchen.

Er war kein Unbekannter für sie gewesen, denn er hatte regelmäßig das Geld abgeholt, das ihre Mutter für Malvolio angeschafft hatte. Doch seine Stimme hatte Bella noch nie zuvor gehört.

In der vergangenen Nacht hatte Matteo nun mit ihr geschlafen. Ihr erstes Mal …

Sie hatten unter grausamen Umständen zueinandergefunden. Umstände, für die sie selbst nichts konnten.

Die Kleinstadt an der wilden Westküste Siziliens befand sich fest in Malvolios Hand. Die Einwohner hatten alle Angst vor dem grausamen Mann, dem das Hotel und die meisten Geschäfte in der Stadt gehörten. Verbrechen und Korruption zerstörten das Bild der bezaubernden Landschaft. Wer sich Malvolios unerbittlichem Regime widersetzte, schwebte in Lebensgefahr.

Das alles hatten Matteo und Bella einige unvergessliche Stunden lang hinter sich gelassen. Und am Morgen hatte Matteo gefragt, ob Bella Bordo del Cielo mit ihm verlassen würde.

„Ich werde versuchen, da zu sein“, sagte Bella.

„Es ist unsere einzige Chance. Wenn du hierbleibst, darf niemand erfahren, dass ich dich mitnehmen wollte. Wenn Malvolio Wind davon bekommt, dass mir etwas an dir liegt, bist du verloren, Bella.“ Eindringlich schaute Matteo ihr in die Augen.

„Ich habe ja gesagt, ich versuche zu kommen.“ Sie sah zu, wie er sich die Krawatte band. Er trug Designeranzüge aus Mailand und handgefertigte Schuhe. Allein durch sein Outfit hob er sich von den anderen Männern ab.

Letzte Nacht hatte er ihr verraten, woher er das Geld für die teure Kleidung hatte. Letzte Nacht hatte er Bella Dinge verraten, die niemals herauskommen durften, sonst wären er und Bella geliefert.

Er zog sein dunkelgraues Jackett über das erstaunlich glatte Hemd. Als er sich ausgezogen hatte, hatte er die Sachen ordentlich über eine Stuhllehne gehängt.

„Ich liebe diese Stoffe.“ Behutsam strich Bella über Sakko und Baumwollhemd, dann über das Seidenfutter des Designeranzugs. Sie war eine begnadete Schneiderin und verstand etwas von Stoffen und Schnitten. Leider hatte sie kaum Gelegenheit, ihr großes Talent zu zeigen. „Ich könnte dir auch Anzüge schneidern“, schlug sie vor.

„Ich lasse einmal im Jahr den besten Herrenausstatter aus Mailand einfliegen“, erzählte Matteo. Er beließ es bei dieser Bemerkung, denn Bellas geschickte Finger hatten etwas noch Interessanteres entdeckt. Erregt stöhnte Matteo auf.

„Komm wieder ins Bett!“ Sehnsüchtig sah Bella ihn an.

„Nein, dafür reicht die Zeit nicht.“ Er fuhr sich durch das pechschwarze Haar, um es zu glätten, und griff nach der Sonnenbrille, die seine ausdrucksvollen dunkelgrauen Augen verbarg, mit denen er Bella beim Liebesspiel so zärtlich angesehen hatte. In den wenigen Stunden, die ihnen vergönnt gewesen waren, hatte Bella den wahren Matteo kennengelernt.

Die Designerklamotten, das kurze Haar, der Dreitagebart waren nur Tarnung. Tarnung, um zu überleben. Doch nun hatte Matteo beschlossen, mit seinem Freund Luka nach London zu gehen, um dort ein neues Leben anzufangen. Und ich soll mitkommen, dachte Bella. Luka hatte sicher auch Sophie gebeten, ihn zu begleiten.

Allerdings hatte Sophie erzählt, ihre Beziehung zu Luka sei beendet. Statt nach London wollte sie noch heute Abend eine neue Bleibe in Rom finden, und Bella sollte mitkommen. Doch wie sollte das gehen? Sie konnte ihre Mutter nicht allein auf Sizilien zurücklassen. Maria war erst vierunddreißig Jahre alt, aber von Krankheit gezeichnet – sie hatte nicht mehr lange zu leben. Matteo hatte vorgeschlagen, dass auch Maria sie nach London begleiten sollte. Er würde sich um Mutter und Tochter kümmern.

Bella saß nackt im zerwühlten Bett und lächelte still vor sich hin.

„Der Flieger geht um neun Uhr“, sagte Matteo, setzte sich zu ihr und schob ihr zärtlich eine lange Strähne hinters Ohr. „Sei bitte pünktlich.“ Er sah ihr tief in die ausdrucksvollen grünen Augen und fürchtete, sie würden schnell ihren Glanz verlieren, wenn Bella den Absprung aus Bordo del Cielo jetzt nicht schaffte. „Wenn du nicht mitkommst, musst du heute Abend für Malvolio in der Bar arbeiten“, sagte er warnend. „Ohne dass ich ein Auge auf dich haben kann. Du weißt, was das für dich bedeutet. Also bitte komm mit nach London. Dort fangen wir ein neues Leben an. Hier gibt es keine Zukunft für uns. Malvolio verlangt, dass ich ab morgen mit allen Leuten abrechne, die im Prozess gegen ihn ausgesagt haben.“

Ein eiskalter Schauer lief Bella über den Rücken. Malvolio, Luka und Sophies Vater Paolo hatten die vergangenen sechs Monate in Untersuchungshaft gesessen. Viele Zeugen hatten beim Prozess gegen Malvolio ausgesagt, in der Hoffnung, er würde den Rest seines Lebens im Gefängnis sitzen. Aber es war ganz anders gekommen. Der Richter hatte ihn freigesprochen, und nun hielt Malvolio in Bordo del Cielo die Zügel wieder fest in Händen.

„Ich kann das nicht, Bella. Deshalb muss ich von hier verschwinden. Du musst mitkommen, sonst blüht dir das gleiche Schicksal wie deiner Mutter.“

Natürlich wusste Bella nur zu genau, worauf Matteo anspielte. Er musste gar nicht deutlicher werden. „Ich weiß“, sagte sie leise.

„Gut. Übrigens habe ich noch nie für Sex bezahlt, das musst du mir glauben.“ Da er jedoch wusste, wie dringend Bella Geld brauchte, zog er ein Bündel Scheine aus der Brieftasche und legte es neben Bella auf das Bett. „Das ist nicht für die Nacht, die du mit mir verbracht hast, sondern für deine Zukunft. Du kannst es auch deiner Mutter geben, falls sie uns nicht begleiten will“, fügte er großzügig hinzu.

Bella konnte es kaum glauben. Sie war jetzt achtzehn Jahre alt und seit einer halben Ewigkeit in Matteo Santini verliebt. Nun saß ihr Traummann neben ihr auf dem Bett und bot ihr an, ein neues Leben mit ihm zu beginnen. Bella wagte kaum, an ihr Glück zu glauben.

Zärtlich zog Matteo sie an sich und versprach: „Ich bin immer für dich da.“ Dieses Versprechen besiegelte er mit einem innigen Kuss, der Bella mit Zuversicht erfüllte. Hätte Matteo nicht unter Zeitdruck gestanden, sie hätten sich erneut geliebt. Der Kuss verriet, wie sehr sie sich beide danach sehnten.

Schließlich lehnte Matteo sich zurück und sah Bella tief in die glücklich schimmernden Augen. „Schlaf bloß nicht wieder ein, wenn ich weg bin“, warnte er lächelnd.

„Keine Sorge.“ Bella erwiderte das Lächeln. „Musst du wirklich schon los?“ Sie wünschte, er könnte noch bei ihr bleiben. Ohne ihn fühlte sie sich verloren. Außerdem hatte sie Angst, er könnte es sich anders überlegen, sobald er das Zimmer verließ.

„Ja, leider.“

„Was hält Luka denn davon?“, fragte Bella. „Er redet dir bestimmt aus, uns mitzunehmen.“

„Luka erfährt es erst, wenn du an meiner Seite stehst, Bella. Es ist meine Sache. Was geht es ihn an, wen ich mitnehme? Sollte er doch dagegen sein, fliegen wir eben nicht mit ihm nach London, sondern ohne ihn nach Rom. Hier können wir jedenfalls nicht bleiben. Wenn deine Mutter nicht mitkommen will, dann ist das eben so. Wenigstens hat sie eine Wahl.“

Bella nickte und gab Matteo einen Kuss. Wie erhofft wurde daraus mehr, denn Matteo schob sich auf sie. Hingerissen schob sie die Hände durch sein noch feuchtes Haar und gab sich ganz dem sinnlichen Zauber hin, noch einmal eins mit Matteo zu werden.

Matteo konnte der Verlockung nicht widerstehen. Die Nacht mit Bella war so erregend und erfüllend gewesen, er musste einfach mehr davon haben.

Geschickt brachte er Bella fast zum Höhepunkt, hielt sie dann aber hin, um den Orgasmus für sie noch überwältigender zu machen. Ihr sehnsüchtiges Stöhnen machte ihn an, der Druck seiner Finger wurde stärker. Doch das reichte Bella nicht.

„Ich will dich richtig spüren, Matteo. Tief in mir.“ Sie stöhnte und bog sich ihm fordernd entgegen.

Doch Matteo setzte sein erregendes Fingerspiel fort. „Dafür haben wir jetzt keine Zeit“, entgegnete er atemlos. Er hatte sowieso nur vorgehabt, neue Sehnsucht in Bella zu wecken, damit sie auch wirklich zum Flughafen kam. Außerdem sollte seine Hand nach Bellas erregendem Duft riechen.

Natürlich versuchte Bella trotzdem, ihn umzustimmen. Doch Matteo gab nicht nach. Stattdessen erhöhte er das Tempo, bis Bella ihre Schenkel zusammenpresste und auf dem Höhepunkt der Lust aufschrie. Matteo fing den Schrei mit heißen Lippen auf. Dann richtete er sich auf und wartete, bis die Wogen der Ekstase verebbt waren und Bella die Augen aufschlug. Er liebte diesen zufriedenen Ausdruck ihrer wunderschönen grünen Augen. In diesem Moment gehörte sie ganz ihm. Oder spielt sie mir was vor? dachte er gleich darauf. Das Leben auf Sizilien hatte ihn gelehrt, niemandem zu vertrauen. Selbst seinem besten Kumpel Luka vertraute er nicht hundertprozentig.

„Enttäusch mich nicht, Bella!“, flüsterte er ihr daher zu.

„Versprochen“, wisperte sie zurück.

„Dann sehen wir uns nachher?“, fragte er sicherheitshalber nach.

Nach kaum merklichem Zögern nickte sie.

„Mach nicht alles kaputt, was gerade erst begonnen hat“, beschwor er sie eindringlich. „Wenn du heute nicht mit mir abfliegst, ist es aus zwischen uns. Das musst du wissen.“

Ja, das wusste sie. Er lässt mal wieder den unerbittlichen Macho heraushängen, dachte Bella. Inzwischen wusste sie jedoch, dass unter der rauen Schale ein empfindsames Herz schlug.

Nach einem letzten Blick auf die schöne Bella, die noch ganz unter dem Eindruck des eben erlebten Höhepunkts stand, zog Matteo die Tür hinter sich zu.

Wie gern hätte Bella die zurückliegenden Stunden der Leidenschaft noch einmal in aller Ruhe Revue passieren lassen. Wie gern hätte sie einfach nur verträumt dagelegen und die nach Sex duftende Luft im Raum eingesogen. Wie gern hätte sie noch ein wenig geschlummert und wäre dann mit der Erinnerung an die heiße Nacht mit Matteo aufgewacht. Doch das musste warten. Fürs Erste musste dieses Erlebnis fest in ihrem Herzen verschlossen bleiben. Jetzt blieb ihr keine Zeit, in Erinnerungen zu schwelgen.

Also sprang Bella aus dem Bett, duschte und schlüpfte wieder in das aufreizende schwarze Kleid, das sie am Abend zuvor getragen hatte. Es roch nach dem billigen Parfüm, das Matteo zuwider gewesen war. Die Netzstrümpfe und Strapse stopfte Bella in die Handtasche. Dann tat sie das, was von ihr erwartet wurde, packte die Alkoholfläschchen und die Nusstüten aus der Minibar ein, griff nach dem Geldbündel, das noch auf dem Bett lag, steckte einige Geldscheine in die Handtasche, andere in den BH und den Rest …

Den Rest drehte sie zu einem Röhrchen zusammen, zog die Gummiabsätze von den gefährlich hohen Stilettos und versteckte das Geld im Hohlraum, bevor sie die Gummiabsätze wieder an den Schuhen befestigte und sie anzog.

Bella ließ einen letzten wehmütigen Blick durchs Zimmer gleiten, dann schloss sie die Tür hinter sich. Dabei erinnerte sie sich, wie verängstigt sie vor dem Betreten des Hotelzimmers gewesen war. Matteo hatte ihr eine Ohrfeige verpasst, und ihre Wange hatte noch geschmerzt. Bella hatte vor Wut geweint. Das alles war jetzt vergeben und vergessen. Ein wehmütiges Lächeln umspielte ihre sinnlichen Lippen.

Selbstvergessen hatten Matteo und sie getanzt und versucht, alles nachzuholen, was sie so lange versäumt hatten. Wie sehr hatte sie sich vor dem ersten Abend als Prostituierte gefürchtet. Wie unvergleichlich schön war die Nacht mit Matteo gewesen …

Bella nahm den Fahrstuhl nach unten und betrat die Bar. Der Geruch abgestandenen Biers stieg ihr sofort in die Nase. Vor wenigen Stunden hatte Malvolio in der Bar seinen Freispruch gefeiert.

„Wie war’s?“, fragte Gina. Die Frage bezog sich auf Bellas Nacht mit Matteo.

Bella schwieg. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.

„Hoffentlich hat er dich großzügig bezahlt“, sagte Gina. „Schließlich warst du die ganze Nacht mit ihm zusammen.“

„Malvolio hat das doch übernommen“, sagte Bella, zuckte die Schultern und wandte sich ab.

„Moment mal! Soll das heißen, Matteo hat dir kein Trinkgeld gegeben?“ Gina musterte sie scharf. „Das Trinkgeld wird unter allen Kolleginnen aufgeteilt.“ Erwartungsvoll streckte sie eine Hand aus.

Also öffnete Bella die Handtasche und zog die beiden Geldscheine hervor, die sie dort untergebracht hatte.

„Ist das alles?“

Wortlos öffnete Bella erneut die Handtasche und übergab Gina die Fläschchen aus der Minibar. „Hier.“ Erneut wandte sie sich zum Gehen.

Wütend zog Gina sie an den Haaren zurück und drückte Bella an die Wand. „Mich hintergehst du nicht!“, zischte Gina aufgebracht und zog triumphierend die Banknoten aus dem BH, bevor sie Bella wieder losließ.

Erst in diesem Moment wurde Bella richtig bewusst, worauf sie sich fast eingelassen hätte.

Gina tat, als wäre nichts geschehen, und drückte Bella einige Geldscheine in die Hand. „Dein Anteil. Wir sehen uns heute Abend.“

Ganz sicher nicht, dachte Bella, behielt das aber wohlweislich für sich und machte sich gespielt lässig auf den Nachhauseweg. Sie ging am Strand entlang, sah zu, wie die Fischer ihren Fang anlandeten, und schlug den Pfad zu einer versteckt liegenden kleinen Bucht ein. Am liebsten hätte sie sich ein letztes Mal ins erfrischende Meer gestürzt, bevor sie Bordo del Cielo endgültig den Rücken kehrte. Doch dazu fehlte ihr die Zeit. Außerdem machte es ohne Sophie sowieso keinen Spaß. Ihre beste Freundin war bereits abgereist, Malvolio war zurückgekehrt, und es gab hier keine Zukunft mehr für sie.

Bella wusste, dass sie sich völlig unauffällig verhalten musste, sonst würde noch jemand merken, was sie vorhatte. Niemand durfte wissen, dass sie und ihre Mutter die Insel verlassen würden.

An der Ecke der Straße, in der Maria und sie wohnten, standen einige Touristen. Offensichtlich hatten sie eine feuchtfröhliche Nacht hinter sich und stierten Bella an.

Bella ignorierte sie. Maria hätte es auch getan. Sie war stolz auf ihre Mutter. Auch auf die Tricks, die sie ihr beigebracht hatte. Gina hatte ja keine Ahnung … Ein schadenfrohes Lächeln huschte über Bellas Gesicht, als sie durch den Vorgarten zur Haustür schlenderte. Die unglaublich hohen Absätze – die zu ihrem neuen Beruf gehörten – waren ungewohnt. Immer wieder knickte Bella um. Ein Grund mehr, diesen Beruf umgehend wieder an den Nagel zu hängen. Maria hatte es das Herz gebrochen, als sie am Abend zuvor gesehen hatte, wie Bella sich bereit machte, in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten. Gleich würde sie Maria von Matteos Einladung erzählen, ihn nach London zu begleiten. Sie freute sich schon auf ihren erleichterten Gesichtsausdruck.

Doch die Vorfreude wich Entsetzen, als Bella das Haus betrat. Im Flur herrschte ein heilloses Durcheinander. Der Tisch war umgestoßen, die Vase mit Gartenblumen lag zerschmettert am Boden, direkt neben Maria.

„Mama!“ Außer sich vor Sorge kniete Bella neben ihrer blutüberströmten Mutter. Was hatte Malvolio ihr angetan? Und warum? Hatte er von Bellas Fluchtabsichten erfahren?

„Ich bin gestürzt“, flüsterte Maria undeutlich.

„Warst du betrunken?“ Maria hatte ihr doch versprochen, nicht mehr zu trinken.

„Nein.“

Erst auf den zweiten Blick bemerkte Bella, dass eine Gesichtshälfte herunterhing, auch der Arm wirkte seltsam schlaff. Ein Schlaganfall! Maria hatte mit vierunddreißig Jahren einen Schlaganfall erlitten!

„Ich rufe den Notarzt.“ Bella versuchte, ganz ruhig zu bleiben, erledigte das Telefonat und hüllte ihre Mutter dann in eine Decke.

Wenig später traf der Arzt ein und bestellte sofort einen Krankenwagen. Fünfundzwanzig Minuten vor neun raste der Rettungswagen mit Maria durch die Stadt zum Krankenhaus. Der Flughafen lag in entgegengesetzter Richtung. Bellas Traum zerplatzte wie eine Seifenblase.

Beruhigend streichelte Bella ihrer Mutter die Hand und versuchte, die Tränen zurückzudrängen. Aus der Traum von einem neuen Leben mit Matteo. Ungeduldig wartete er nun vermutlich am Flughafen auf sie.

Genauso war es. Wie gebannt blickte Matteo auf die Flughafentür, durch die Bella nun jede Minute hereinschweben würde.

„Wir sollten langsam zum Gate gehen“, sagte Luka schließlich.

„Noch einen Moment“, bat Matteo.

„Die anderen Passagiere gehen aber schon an Bord“, gab Luka zu bedenken.

„Lass mich noch mal kurz telefonieren.“ Matteo wählte Marias Nummer. Die hatte er schon lange, denn er rief immer an, bevor er das Geld für Malvolio abholte.

Neue Hoffnung keimte in ihm auf, als niemand den Hörer abnahm. Sie sind auf dem Weg, dachte Matteo. Doch zwanzig Minuten später zerstob diese Hoffnung.

„Letzter Aufruf“, sagte Luka nervös.

Widerstrebend folgte Matteo seinem Freund ins Flugzeug.

„Bist du schon mal geflogen?“, fragte Luka, als sie sich anschnallten. Matteo wirkte immer so überlegen, so weltgewandt. Allerdings hatte er ihn noch nie außerhalb von Bordo del Cielo erlebt. Matteo wirkte plötzlich sehr angespannt.

„Nein.“ Matteo lehnte sich zurück, als das Flugzeug auf der Startbahn Fahrt aufnahm und sich schließlich in die Lüfte erhob. Erleichtert atmete er auf. Nun hatte er Sizilien endgültig den Rücken gekehrt. Das war die einzige Möglichkeit gewesen, nicht zum Auftragsmörder zu werden. Denn genau diese Rolle hatte Malvolio für ihn vorgesehen.

1. KAPITEL

Fünf Jahre später …

Bella Gatti!

Alles sträubte sich in Matteo, als er diesen Namen hörte – und das geschah oft an diesem Abend. Der Name der Frau, die er so geliebt und die ihn so tief enttäuscht hatte, schien ihn zu verfolgen. Schweigend ließ er die Tischgespräche bei der Verlobungsparty seines besten Freundes Luka über sich ergehen, die in Lukas Luxus-Penthouse über den Dächern von Rom gefeiert wurde. Anspielungen auf seine dunkle Vergangenheit auf Sizilien überhörte er geflissentlich.

Seine Freundin, mit der er bereits unfassbare drei Monate zusammen war, hatte ihn zur Feier begleitet. Sie waren extra aus London eingeflogen.

Natürlich wusste Matteo, dass Lukas Verlobung mit Sophie nur eine Farce war. Er wünschte, er wäre Lukas Einladung nicht gefolgt. Aber er war nun mal hier. Hoffentlich war diese Scharade bald zu Ende.

Sophie Durante war vor einigen Tagen in Lukas Londoner Büro aufgetaucht und hatte verlangt, dass Luka nun mit ihr Verlobung feiern sollte. Natürlich nur zum Schein, damit ihr Vater Paolo Durante, dem man gerade aus humanitären Gründen die restliche Haftstrafe erlassen hatte, beruhigt sterben konnte, weil er seine Tochter bei Luka in den besten Händen wusste.

Matteo hätte seinem besten Kumpel natürlich von diesem Possenspiel abgeraten. Doch Luka hatte ihn vor vollendete Tatsachen gestellt.

Der schwer kranke Paolo hatte nur ein Thema: Sizilien. Genauer gesagt, die Westküste der Insel und die Menschen, die er dort gekannt hatte. Immer wieder hatte Matteo versucht, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Er sprach gern über die Arbeit, die ihn ausfüllte. Ihr galt seine ganze Leidenschaft, nicht Shandy, dem Mädchen an seiner Seite. Matteo hatte sich einen ausgezeichneten Ruf erarbeitet und wurde in der Geschäftswelt sehr geschätzt. Innerhalb von fünf Jahren hatte er sich bis zur Spitze hochgearbeitet. Nichts erinnerte mehr an seine kriminelle Vergangenheit auf Sizilien. Und niemand könnte ihn dazu bewegen, an diese Vergangenheit je wieder anzuknüpfen.

„Wann fliegst du denn nun nach Dubai?“, fragte Luka unvermittelt.

„Am kommenden Sonntag. Es sei denn, du benötigst den Firmenjet selbst, Luka.“ Fragend schaute er seinen Freund an.

Matteos anzüglicher Unterton missfiel Luka. Offensichtlich war Matteo überzeugt, dass Sophie sich nicht mit dem Verlobungsring an ihrem Finger zufriedengeben würde. Er nahm Sophie die rührende Geschichte nicht ab, die sie um das Schicksal ihres Vaters gewoben hatte. Aber Matteo war sowieso der misstrauischste Mensch, den er kannte.

„Sonntag?“ Shandy horchte auf. „Hast du nicht gesagt, der Termin sei noch offen?“

„Ja, aber jetzt steht er fest“, teilte er Shandy knapp mit. Shandy bildete sich ein, sie würde ihn auf dieser Geschäftsreise begleiten. Offensichtlich machte auch sie sich Hoffnungen auf einen Verlobungsring. Auch in den Kurztrip nach Rom interpretierte sie viel zu viel hinein.

„Wo seid ihr hier in Rom abgestiegen?“, fragte Paolo interessiert.

„Im Fiscella“, antwortete Matteo.

„Es ist sehr romantisch“, sagte Shandy und klimperte mit den Wimpern.

Matteo überging die Bemerkung. „Luka und ich wollen das Hotel vielleicht erwerben“, verriet er. „Allerdings müsste es gründlich renoviert werden. Ich will mir einen genauen Überblick verschaffen, bevor wir uns entscheiden, ob wir in Verhandlungen treten wollen.“

„Arbeitet Bella nicht im Fiscella?“ Fragend musterte Paolo seine Tochter.

Schockiert griff Matteo nach seinem Glas und trank einen großen Schluck. Bella … Bei der Erwähnung dieses Namens zog sich alles in ihm zusammen. Ich darf mir nichts anmerken lassen, dachte Matteo und schluckte mit Mühe den ekelerregend süßen Limoncello hinunter. Dieses Zeug erinnerte ihn an Sizilien – grässlich! Seit fünf Jahren versuchte er, jede Erinnerung an seine ehemalige Heimat auszulöschen. Und jetzt wurde wieder dieser Name erwähnt: Bella Gatti. Am liebsten wäre Matteo aufgesprungen und hätte das Weite gesucht.

Zwei Monate nach seiner Abreise aus Bordo del Cielo hatte sein Halbbruder Dino ihm gesteckt, dass Bella in der Bar arbeitete. Und nicht nur das. Aber Matteo wollte nichts davon hören. Dino gegenüber hatte er sich nicht anmerken lassen, wie viel ihm Bella bedeutet hatte. Das hätte sie in größte Gefahr gebracht. Malvolio hätte sie wahrscheinlich umbringen lassen, um sich für Matteos Verrat zu rächen. Denn für Malvolio war Matteo genau das gewesen: ein Verräter – weil er ihn im Stich gelassen hatte, statt als Auftragskiller für ihn zu arbeiten.

Matteo schüttelte sich innerlich, als Sophie die Frage ihres Vaters beantwortete.

„Stimmt.“

Das wollte Matteo nun trotz allem genauer wissen. „Als was?“

„Als Zimmermädchen.“ Paolo beantwortete die Frage. „Stimmt doch, oder?“ Sophie nickte.

„Soso.“ Zynisch verzog Matteo das Gesicht. „Dann hat sie ja Zugang zu den Reichen.“ Er stand auf und forderte Shandy zum Tanz auf. Nur aus einem Grund: um dem Tischgespräch über Bella zu entgehen.

Zu ihren Füßen glitzerten die Lichter des nächtlichen Rom. Plötzlich hatte Matteo Lust, sich aus der gesellschaftlichen Zwangsjacke zu befreien und die ewige Stadt auf der Vespa zu erkunden, irgendwo in einem Straßencafé ein Glas Wein zu trinken und sich jünger und unbeschwerter zu fühlen als mit seinen dreißig Lebensjahren und seiner bewegten Vergangenheit. Verstört stellte er fest, dass er dabei Bella an seiner Seite haben wollte. Stattdessen tanzte er hier mit Shandy. Tief im Innern hatte er sich immer nach Bella gesehnt. Doch es war ihm gelungen, das Gefühl mithilfe anderer Frauen zu verdrängen. Lange hielt er es jedoch bei keiner aus. Heute Abend holte ihn die Vergangenheit wieder ein. Die Sehnsucht nach Bella war unbeschreiblich. Bellas verführerische, melodische Stimme. Der verträumte Blick, als sie ihm von ihrem Lieblingsort erzählt hatte: dem alten, aus maurischer Zeit stammenden Bad, einem kleinen Juwel in Bordo del Cielo. Bella hatte ihm verraten, dass sie diesen idyllischen Ort manchmal aufgesucht und sich in frühere Zeiten fantasiert hatte. Sie hatte sich vorgestellt, wie die aus dem Fels gehauenen Bäder mit Quellwasser gefüllt gewesen waren und welche erotischen Szenen sich dort abgespielt haben mochten. Schon damals hatte Bella ihn mit ihren erregenden Geschichten fasziniert. Und bis heute war die Faszination für sie ungebrochen.

„Sophie trägt ein wunderschönes Kleid.“

Shandys Stimme katapultierte ihn zurück in die Gegenwart. Matteo ärgerte sich darüber. Er war gerade ganz weit weg gewesen. Nun musste er wieder auf Shandy eingehen, die ihm langsam, aber sicher auf die Nerven ging. Zumal sie nur teure Klamotten im Kopf hatte.

„So eins hätte ich auch gern“, fügte Shandy vielsagend hinzu.

„Ich frage Sophie nach dem Designer.“ Desinteressiert zuckte Matteo die Schultern.

„Es ist ein Modell von Gatti“, erzählte Shandy. „Offenbar der neue Stern am Designerhimmel. Gleich morgen werde ich ihr Atelier besuchen, bevor alle Welt Gatti trägt.“

Atelier? Wohl eher ein Boudoir, dachte Matteo abfällig. „Komm, wir verabschieden uns“, sagte er entschlossen.

„Jetzt schon? Das wäre aber sehr unhöflich.“ Shandy musterte ihn forschend. Was hatte er nur? Den ganzen Abend wirkte er schon so abwesend. „Außerdem habe ich gerade Spaß. Sag mal, warum hast du mir eigentlich nicht erzählt, dass Luka sich mit Paolo Durantes Tochter verlobt hat? Ich hätte nie gedacht, mal mit einem Schwerverbrecher am Tisch zu sitzen. Ich finde das sehr aufregend.“ Die nächsten Worte hauchte sie Matteo ins Ohr: „Und sehr erregend.“

„Du hast ja keine Ahnung.“ Matteo löste sich abrupt von ihr. „Wir gehen jetzt.“ Er machte sich nicht die Mühe, Shandy über Paolos kriminelle Vergangenheit aufzuklären. Schwerverbrecher? Lachhaft! Paolo war nur ein ganz unbedeutender Handlanger gewesen. Malvolios Marionette. Aber Malvolio hatte dafür gesorgt, dass Paolo der Verbrechen für schuldig befunden worden war, die er selbst begangen hatte. Sie hatten sich heute Abend nur hier versammelt, weil Luka Malvolios Sohn war. Sophie hatte ihn an das Versprechen ihrer Väter erinnert, ihre Kinder zu verheiraten. Paolo sollte in dem Wissen sterben, dass dieses Versprechen erfüllt wurde. Er sollte seinen Frieden finden. Deshalb die Farce heute Abend.

„Danke, dass du hergekommen bist“, sagte Luka, als er Matteo zur Tür brachte. Shandy war noch schnell verschwunden, um ihr Make-up aufzufrischen.

Die Männer fühlten sich unbehaglich, weil die Vergangenheit sie wieder eingeholt hatte. In London arbeiteten sie als ausgesprochen erfolgreiche Geschäftsleute. Es war ein merkwürdiges Gefühl, wieder in Italien zu sein. Rom war zwar nicht Bordo del Cielo, trotzdem wären die Freunde lieber in einem anderen Land gewesen.

„Sagst du mir Bescheid, wann die Hochzeit stattfinden soll?“ Matteo grinste sarkastisch.

„Es wird keine Hochzeit geben, Matteo. Ich habe mich nur auf die Verlobung eingelassen. Du siehst ja selbst, wie gebrechlich Paolo ist. Vielleicht macht er es noch ein paar Tage, länger sicher nicht. Dann ist der Zirkus vorbei.“

„Wieso hast du dich überhaupt darauf eingelassen? Du bist Sophie nichts schuldig.“

„Aber Paolo.“

„Das ist doch Unsinn.“ Matteo hielt mit seiner Kritik nicht hinterm Berg. „Sophie ist genauso schlimm wie Bella. Beide lügen wie gedruckt. Zum Beispiel trägt sie kein Designerkleid, wie sie dir weisgemacht hat.“

„Na und?“ Luka musterte seinen Kumpel herausfordernd. „Im Gegensatz zu dir lege ich keinen Wert auf Designerklamotten. Musst du eigentlich immer so misstrauisch sein?“

„Misstrauisch ist er, aber er sieht auch umwerfend aus“, flötete Shandy, die sich nun zu ihnen gesellte.

Wortlos warf Matteo einen prüfenden Blick in den Spiegel. Luka amüsierte sich.

„Du kannst dich sehen lassen, Matteo, keine Sorge.“ Lachend hielt Luka ihm und Shandy die Tür auf.

„Mir gefällt, dass du Wert auf gute Kleidung legst“, sagte Shandy.

Matteo konnte sich aber nicht über das Kompliment freuen. Im Gegenteil. Plötzlich ärgerte es ihn sogar. Nur Bella Gatti wusste, warum er so viel Wert auf sein Äußeres legte. Er hatte es ihr selbst anvertraut. Niemals würde er je wieder einem Menschen vertrauen!

Vor dem Haus blieb Matteo neben der wartenden Limousine stehen. „Ich würde gern zu Fuß gehen.“

„Aber auf diesen High Heels kann ich nicht so weit laufen“, gab Shandy entsetzt zu bedenken.

„Du nimmst den Wagen, ich gehe zu Fuß. Es ist lange her, seit ich zuletzt in Italien war. Ich möchte noch ein wenig allein sein.“

„Italien bekommt dir aber offenbar nicht. Seit der Landung bist du wie ausgewechselt. Mich beachtest du gar nicht.“ Shandy schmollte. „Komm mit, Matteo! Ich will mit dir schlafen.“

Matteo wich einen Schritt zurück. „Später.“ Er ließ Shandy einfach stehen und verschwand in der dunklen Nacht.

Irgendwann bestellte er sich in einem Straßencafé eine Flasche Wein aus Siziliens Westen. Später lieh er sich eine Vespa und knatterte hinauf zum Kapitol. Nachdenklich ließ er den Blick über die Lichter der Ewigen Stadt schweifen. In diesem Moment fehlte ihm Bella mehr denn je. Die Sehnsucht schmerzte tief in seiner Seele, in seinem Herzen, seinem Körper. Bella lebte in Rom. Ob sie wohl schon schlief? Oder lag sie schlaflos im Bett und sehnte sich ebenso nach ihm, wie er sich nach ihr sehnte? Sie wusste ja, dass er in der Stadt war.

Matteo atmete tief durch, riss sich von dem Anblick der Stadt los, schob die Gedanken an Bella fort, setzte sich wieder auf die Vespa und fuhr hinunter zum Fiscella.

„Wo hast du so lange gesteckt?“ Schlaftrunken schaute Shandy auf, als Matteo die Luxussuite betrat. „Es ist schon nach drei Uhr“, stellte sie mit einem Blick auf den Radiowecker fest.

„Ich war spazieren“, antwortete Matteo. „Schlaf weiter!“

„Ich hatte uns Champagner bestellt, weil ich dachte, wir …“

Zeit, die Beziehung zu beenden, dachte Matteo. Interessiert blickte er sich in der Suite des Hotels um, das er und Luka möglicherweise kaufen würden. Ausstattung und Sauberkeit des großen Zimmers beeindruckten ihn. Auch der Service war ansprechend, denn das Zimmermädchen hatte die Vorhänge zugezogen, die Bettdecke zurückgeschlagen und Betthupferl und Blumen auf dem Nachttisch platziert. Das Schokoladentäfelchen hatte vermutlich auf dem Kopfkissen gelegen, bevor Shandy es auf den Tisch gelegt hatte. Das Zimmer duftete angenehm.

Matteo überflog die Notiz auf dem Nachttisch. Aha, ihm stand also ein heißer, stürmischer Tag bevor – jedenfalls lautete so der Wetterbericht auf dem Zettel. Dort stand auch, er möge sich melden, wenn er einen Wunsch hatte. Unterschrieben war die Notiz von … Bella.

Sollte es sich dabei wirklich um die Bella aus seinem früheren Leben handeln? War es ihr Duft, der im Raum hing? Hatte sie das Bett gemacht? Nachdenklich legte Matteo sich unter die Decke.

Shandy musterte ihn erwartungsvoll von der Seite. „Dein Freund hat sich heute Abend verlobt. Wann ist es bei uns so weit?“

Matteo schwieg.

„Ich will eine Antwort, Matteo.“

Langsam wandte er ihr den Kopf zu. „Die kannst du haben: Ich bin nicht für die Ehe geschaffen.“

Jedenfalls nicht mit dieser Frau. Nach all den Jahren sehnte er sich noch immer nach Bella. Allein der Gedanke an sie erregte ihn. Er drehte sich um, wollte die Nachttischlampe ausknipsen und warf erneut einen Blick auf die Notiz von Bella. Heiße Sehnsucht übermannte ihn.

Natürlich träumte er in dieser Nacht von der Frau, die ihn damals so tief enttäuscht hatte. Immer wieder hatte Bella ihn des Nachts verfolgt. Mal hatten ihn Albträume geplagt, in denen Bella belästigt und er am Einschreiten gehindert wurde. Dann wiederum hatte er geträumt, auf einem Maskenball mit ihr zu tanzen. Jahrelang waren die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit auf Sizilien in seinem Bewusstsein aufgetaucht.

Vermutlich träumte er in dieser Nacht von ihr, weil ihr Name beim Abendessen erwähnt worden war. Oder weil er spürte, dass sie in der Nähe war.

Es war ein sehr lebhafter Traum. Ein Zirkus hatte in Bordo del Cielo seine Zelte aufgeschlagen. Ein sehr seltsamer Zirkus – ohne Tiere. Stattdessen traten Menschen aus seiner Vergangenheit auf. Sein jüngerer Halbbruder Dino, der Malvolio gesteckt hatte, dass Matteo sich aus dem Staub machen wollte. So war sein erster Fluchtplan zum Scheitern verurteilt gewesen. Dann war da noch sein brutaler Stiefvater, der vor Eifersucht raste, wenn seine Frau sich um ihre Söhne kümmerte statt um ihn. Luka trat auch auf. Er trug einen orangefarbenen Sträflingsanzug. Sophie wurde wie ein Tier durch die Manege geführt, nur mit Lukas Hemd bekleidet, das sie getragen hatte, als Luka, Paolo und Malvolio verhaftet worden waren. Sophie war damals mit Luka im Bett gewesen. Die Polizei hatte sie im Hemd vor den Augen der gaffenden Menge abgeführt.

Auch Talia trat im Zirkus auf. Matteo hatte ihr mal geholfen. Sie winkte ihm zu, doch er ignorierte sie. Niemand durfte je erfahren, wie es ihm gelungen war, ihre Familie vor Unheil zu bewahren. Deshalb tat er, also würde er sie nicht kennen.

All diese Leute waren ihm gleichgültig. Dieses Desinteresse hatte er sich mühsam antrainiert. Nur bei einer Person funktionierte das nicht. Suchend ließ er den Blick über die Zuschauerreihen gleiten. Keine Bella. Er hob den Blick und entdeckte sie hoch über der Manege auf einem Drahtseil. Das Publikum war begeistert. Schimmernd fiel ihr das rabenschwarze Haar über den bloßen Rücken. Das enge silberfarbene Trikot enthüllte mehr, als es verbarg. Jeder konnte Bellas Brüste sehen, die mit Silberspray besprüht worden waren. Mit einem breiten Lächeln überspielte Bella ihre Höhenangst. Der Zirkusdirektor Malvolio feuerte sie an, über das Seil zu balancieren. Die Zuschauer tobten vor Begeisterung, als Bella graziös ein Bein abspreizte und ihre Nacktheit offenbar wurde. Malvolio forderte einen Salto. Bella war nicht einmal durch ein Netz abgesichert!

Matteo sah zu, wie Bella einen Salto machte, sich wieder fing und sich geistesgegenwärtig vor dem schwingenden Trapez duckte, auf dem Leute saßen, die nach ihr greifen wollten. Als Nächstes erklomm Dino eine Leiter.

„Saltere!“, rief Matteo entsetzt. Doch seine Aufforderung an Bella zu springen wurde vom Grölen der Menge übertönt.

Verstörende Träume begleiteten ihn durch die Nacht, auch erotische Träume. Am Ende des Zirkustraums hörte Bella doch noch, wie Matteo ihr zurief, in seine Arme zu springen. Mit einem glücklichen Lächeln kam sie der Aufforderung nach. Es war der Himmel auf Erden, sie wieder in den Armen zu halten. Endlich!

Ihre Lippen fanden sich zu einem zärtlichen Kuss. Der Boden tat sich auf, und Matteo und Bella fielen hinunter auf ein frisch bezogenes weiches Bett.

Der Rest des Traums spiegelte die erste Nacht mit Bella wider. Sie hatte ihn angefleht, ihr erster Mann zu sein. Schließlich hatte Matteo nachgegeben. Bis ans Ende seiner Tage würde er sich an diese unvergleichliche Nacht erinnern. Entschlossen blendete Matteo aus, dass er Bella am nächsten Morgen bezahlt hatte.

Unter dem Einfluss des erotischen Traums seiner ersten Nacht mit Bella veränderte Matteo seine Position im Bett. Er war so unglaublich hart … Und Bella war bei ihm. Sie verwöhnte ihn mit dem Mund. Wundervoll! Doch dann wurde der Traum abrupt beendet. Eiskaltes Wasser traf ihn im Schritt. Shandy schrie und richtete sich auf. Shandy? Ja, es war Shandy in seinem Bett, nicht Bella. Schlaftrunken fuhr Matteo hoch.

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung!“ Ein Zimmermädchen stand neben dem Bett und erklärte hastig, sie wäre im Dunkeln über den Sektkübelständer gestolpert.

Ungehalten knipste Matteo die Nachttischlampe an.

„Dummer Bauerntrampel!“, fauchte Shandy. Das Zimmermädchen bückte sich und hob den leeren Sektkühler auf, dessen Inhalt sich über das Paar ergossen hatte, das gerade beim Liebesspiel gewesen war.

„Beruhige dich, Shandy!“

Shandy wollte sich aber nicht beruhigen und keifte munter weiter. „Ich sorge dafür, dass Sie auf der Stelle gefeuert werden. Was erlauben Sie sich, unaufgefordert ins Zimmer zu platzen und meinen Verlobten und mich zu stören?“

„Ich habe das doch nicht absichtlich gemacht“, flehte das Zimmermädchen mit Blick auf das Chaos, das es angerichtet hatte. Nicht nur das Bett war durchnässt, auch das voll beladene Frühstückstablett war durch die Luft geflogen und an der Wand gelandet. Am Boden lagen die Scherben in einer Kaffeelache, dekoriert mit Croissants und Schinkenbrötchen.

Zeternd sprang Shandy aus dem Bett, warf sich einen Bademantel über den nackten Körper und stürmte ins Wohnzimmer.

Matteo stand auf, wickelte sich in ein Laken und hörte, wie Shandy ins Telefon keifte, sie verlange die sofortige Entlassung des unfähigen Zimmermädchens. Dann verschwand Shandy im Badezimmer und überließ es Matteo, das Mädchen zur Rede zu stellen.

„Es tut mir unendlich leid.“ Die Hotelangestellte kniete auf dem Boden und sammelte die Scherben auf.

Matteo glaubte ihr kein Wort. Müde sagte er: „Steh auf, Bella!“

2. KAPITEL

Eine Strähne hatte sich aus dem pechschwarzen Pferdeschwanz gelöst und hing Bella ins Gesicht. Doch natürlich hatte Matteo sie sofort erkannt. Sie hielt inne, als er ihren Namen aussprach. Unwillkürlich ließ er den Blick zu den nun reglosen Händen gleiten. Bella kaut ihre Nägel, stellte Matteo fest. Das war neu. Damals waren ihre Hände sehr gepflegt gewesen. Heißes Verlangen durchströmte ihn bei der Erinnerung an die gemeinsame Nacht mit Bella. Doch Matteo blendete es aus.

„Steh auf, Bella!“, forderte er erneut – mit harscher Stimme. Viel lieber hätte er seine Exgeliebte in die Arme gezogen. Nun wartete er auf weitere Entschuldigungen für ihr Missgeschick.

Stattdessen sah sie auf und bemerkte seine Erektion. Dann trafen sich ihre Blicke. Das ungewöhnliche Moosgrün ihrer ausdrucksvollen Augen zog ihn sofort in seinen Bann.

„Tut mir wirklich leid!“

„Spar dir deine Entschuldigungen, Bella! Wir wissen beide, dass es Absicht war.“

„Aber nein!“ Bella kniete noch immer vor ihm und hielt seinem Blick stand. „Ich habe geklopft und war sicher, dass jemand ‚Herein!‘ gerufen hat. Ich habe mich erschrocken, als die Bettdecke sich bewegte, und bin gestolpert.“ Ihr Blick glitt zu der leeren Champagnerflasche am Boden. „Es tut mir leid, dass deine Verlobte sich so aufgeregt hat. War das Wasser kalt?“

„Jedenfalls hat es gewirkt.“ Langsam verlor Matteo die Geduld und zog Bella hoch. Die Berührung durchzuckte ihn wie ein Stromschlag. Wieder ihren unverwechselbaren Duft zu riechen raubte ihm fast den Verstand. Bella …

Entschlossen versuchte er, sich abzulenken, indem er sich auf den Duft der frisch gestärkten Zimmermädchentracht konzentrierte. Aber keine Chance! Begehrlich ließ er den Blick über die nackten Beine gleiten, die unter dem Rocksaum hervorlugten. Bella war noch immer so schlank und biegsam wie damals. Die großen Augen zogen ihn noch immer magnetisch an. Beim Anblick der sinnlichen Lippen, auf denen ein Lächeln lag, schmolz er dahin. Nur mühsam widerstand er dem Impuls, sie zu küssen. Gerade rechtzeitig fiel ihm ein, dass Shandy jeden Moment aus dem Badezimmer stürmen konnte.

„Überrascht es dich, mich zu sehen, Matteo?“

„Nein, das würde ich nicht sagen.“ Betont lässig zuckte er die Schultern. Immerhin hatte er die ganze Nacht lang von Bella geträumt. Doch das behielt er wohlweislich für sich. „Sophie hat mir gestern beim Abendessen erzählt, dass du hier arbeitest“, sagte er stattdessen. Wahrscheinlich war das der Auslöser für die erotischen Träume gewesen. Aber aus Bella und ihm konnte ja nichts werden. Ihre Arbeit und ihre Vergangenheit standen einer glücklichen Zukunft im Weg.

„Deine Kunden hier sind wohl reicher als die auf Sizilien, was?“ Diese Frage konnte Matteo sich nicht verkneifen.

„Ja, das sind sie.“ Bella lächelte. „Ich frage mich gerade, ob selbst du jetzt reich genug bist, um dir meine Dienste leisten zu können.“

„Davon kannst du ausgehen, Bella. Ich spiele mit dem Gedanken, dieses Hotel zu kaufen. Dann wäre ich dein Chef, Bella.“

„Niemals!“ Zornig funkelte sie ihn an.

Erstaunt musterte er sie. „Was hast du denn dagegen?“ Er kam näher. So nahe, dass er ihren warmen Atem spürte und sofort an Bellas ersten Höhepunkt in seinen Armen erinnert wurde. „Wir haben uns doch damals sehr gut verstanden.“

Bella schien es einen Moment lang den Atem zu verschlagen. Heißes Begehren spiegelte sich in ihrem Blick. Matteo entschied sich für die Wahrheit. „Ich könnte dich hier und jetzt nehmen, und ich würde nicht einmal dafür bezahlen müssen“, raunte er.

Verführerisch lächelte sie ihm zu. „Von dir würde ich auch kein Geld nehmen, Matteo. Stehst du auf den Zimmermädchenlook? Eigentlich ist der doch viel zu langweilig für dich. Möchtest du mich als Betthupferl? Oder soll ich dich am Morgen mit einer Spezialmassage wecken? Du kannst es dir aussuchen.“

Unwillkürlich ballte Matteo die Hände zu Fäusten. Er hasste es, wenn Bella wie eine Hure redete.

„Willst du mich wieder schlagen?“ Herausfordernd musterte sie ihn.

„Du verdrehst die Tatsachen“, entgegnete er schroff.

„Das stimmt nicht.“ Sie lächelte aufreizend. „Wie auch immer, jede Frau wird schwach, wenn sie ihren ersten Lover wiedersieht.“

Bella ließ sich auch nicht beirren, als der diensthabende Manager an die Tür klopfte. „Sie wird ihn immer in ihrem Herzen behalten“, fügte sie leise hinzu. Dann hielt sie Matteos Blick fest. „Du hast an mich gedacht, als sie es dir gerade besorgt hat, oder?“ Sie beantwortete ihre Frage selbst. „Natürlich hast du an mich gedacht. Du kannst es ruhig zugeben. Meine Warnung vor einem heißen stürmischen Tag wirst du ja gelesen haben.“

„Bist du etwa eifersüchtig, Bella?“ Matteo grinste herausfordernd. In diesem Moment wurde erneut an die Tür zur Suite geklopft. Sie ignorierten es. „Hast du deshalb den Sektkühler über uns ausgeleert?“ Er ließ sie los und ging zur Tür.

„Eifersüchtig? Nein!“ Bella lachte höhnisch. „Meine Mutter hat schon immer räudige Hunde mit Wasser verscheucht.“

Statt die Tür zu öffnen, wie er es eigentlich geplant hatte, wandte Matteo sich um und musterte Bella wütend.

Erschrocken wich sie zurück.

„Wie kommst du dazu, Shandy und mich mit Straßenkötern zu vergleichen? Sie ist meine Freundin. Nimm das bitte zur Kenntnis.“

Betroffen ließ Bella den Kopf hängen. Als sie wieder aufsah, ließ Matteo die Bettdecke fallen und warf sich einen Bademantel über. Erst jetzt wurde Bella bewusst, was sie getan hatte. Und Matteo konnte sie nichts vormachen. Sie war tatsächlich rasend gewesen vor Eifersucht. Matteo mit einer anderen Frau im Bett zu sehen war unerträglich gewesen und hatte unendlich wehgetan.

Sie riskierte einen letzten sehnsüchtigen Blick auf den nackten Matteo Santini – den Mann, von dem sie nie zu träumen aufgehört hatte. Oberarme und Schenkel waren muskulöser als früher. Voller Begehren betrachtete sie den harten Beweis seiner Männlichkeit und bedauerte, ihn nie wieder in sich spüren zu können.

Als Matteo dem Manager die Tür öffnete, stürmte Shandy aus dem Badezimmer und baute sich vor dem Mann auf. „Ihr Zimmermädchen hat uns den ganzen Tag verdorben“, keifte sie wütend und zeigte auf Bella. Matteo wandte sich um. Die selbstbewusste Verführerin wirkte plötzlich sehr kleinlaut. Tränen schimmerten in ihren Augen.

„Ich habe mich bereits entschuldigt.“ Bella schluchzte.

„Mit einer Entschuldigung ist es wohl kaum getan“, rief Shandy aufgebracht. „Ich verlange, dass sie auf der Stelle gefeuert wird“, fügte sie hinzu und musterte den Manager mit unerbittlichem Blick.

„Das ist maßlos übertrieben“, konterte Matteo. „Es war ja keine böse Absicht, sondern ein Versehen.“ Er war es gewohnt, Streit zu schlichten. In dieser Situation fiel es ihm jedoch schwer, unbeteiligt zu bleiben und Shandy und dem Manager vorzugaukeln, er sähe Bella zum ersten Mal. „Höchstens eine Ungeschicklichkeit. Kein Grund zur Aufregung. Es ist ja nichts passiert.“

„Ihr Zimmermädchen hat den Sektkübel über uns ausgeleert“, ereiferte sich Shandy, noch wütender, weil Matteo die Frau in Schutz nahm. „Das war kein Versehen, sondern volle Absicht. Wenn das kleine Miststück nicht sofort gefeuert wird, gehe ich an die Presse“, fügte Shandy drohend hinzu. „Offensichtlich wissen Sie nicht, wen Sie vor sich haben.“

Dem Manager war es vollkommen gleichgültig, dass Charlotte Havershand, genannt Shandy, die Tochter eines englischen Politikers war. Ihm war es wichtiger, was Matteo Santini von der Angelegenheit hielt. Schließlich war er es, der gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Luka Cavaliere erwog, das Hotel zu erwerben.

Um Eindruck zu schinden, war die Suite besonders sorgfältig hergerichtet worden. Das Hotelpersonal war instruiert worden, den Gästen jeden Wunsch von den Lippen abzulesen.

Genau dies beherzigte Alfeo selbstverständlich. Allerdings hatte er auch von Matteo Santinis schillernder Vergangenheit gehört. Den Mann musste man also mit äußerster Vorsicht genießen. Daher wog er seine Entscheidung sorgfältig ab. „Du bist gefeuert“, sagte er zu Bella.

„Alfeo!“ Bella brach in Tränen aus. „Bitte, Alfeo! Das kannst du doch nicht machen.“

Unbeeindruckt fuhr er fort. „Geh schon mal vor in mein Büro! Ich komme gleich nach und gebe dir deine Papiere.“

„Bitte, Alfeo!“ Flehend sah sie ihn an. „Ich arbeite seit fünf Jahren hier. Nur weil mir dieses kleine Missgeschick passiert ist, kannst du mich doch nicht …“

Rüde schnitt Alfeo ihr das Wort ab. „Raus! Sofort!“

Schluchzend lief Bella aus dem Zimmer. Matteo wunderte sich, dass sie ihn nicht um Unterstützung bat, statt so schnell klein beizugeben.

Eigentlich hätte er froh darüber sein müssen, Bella nun nicht mehr sehen zu müssen und sich wieder auf sein schönes Leben konzentrieren zu können. Stattdessen starrte er auf die Tür, hinter der Bella gerade verschwunden war, und ließ die Entschuldigungen des Managers an sich abprallen.

„Wenn Sie erlauben, werde ich das von dem Zimmermädchen angerichtete Chaos höchstpersönlich beseitigen. Nehmen Sie doch bitte im Wohnzimmer Platz. Ich lasse Ihnen das Frühstück dort servieren. Bitte entschuldigen Sie den Vorfall. Ich bin wirklich untröstlich und werde alles tun, um die Angelegenheit so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen.“

„Schön, aber es war nicht nötig, sie zu feuern“, sagte Matteo und warf Shandy einen Blick zu. Die lächelte schadenfroh.

„Sag mal, schämst du dich eigentlich gar nicht? Deinetwegen hat die Frau jetzt keine Arbeit mehr.“ Ungehalten musterte er Shandy.

„Das geschieht ihr recht. Ich wollte heute Morgen einen Einkaufsbummel machen. Stattdessen muss ich jetzt zum Friseur. Dieser Trampel hat meine Frisur ruiniert.“ Wütend betrachtete Shandy ihre Fingernägel.

Vermutlich überlegt sie, ob sie die auch gleich umstylen lassen soll, dachte Matteo ärgerlich. Dabei fielen ihm Bellas abgekaute Nägel ein. Früher hatte sie viel besser auf sich geachtet. Früher … Matteo straffte sich. Es wurde Zeit, der Wahrheit ins Auge zu sehen.

Das Frühstück wurde im Handumdrehen serviert. Umgehend schickte Matteo das neue Zimmermädchen wieder hinaus und bat auch Alfeo, die Suite zu verlassen. Er würde sich später bei ihm melden. Einstweilen sollte er Bella noch nicht wegschicken.

Äußerlich die Ruhe selbst, schenkte Matteo Kaffee ein und gab Shandy den Laufpass. Natürlich war so der nächste Krach vorprogrammiert, aber damit hatte Matteo gerechnet.

Als Shandy mit Jammern und Flehen nichts erreichte, verwüstete sie das Zimmer. Schließlich gelang es Matteo jedoch, sie halbwegs zu beruhigen, sie in den Wagen zu setzen, der sie zum Firmenjet brachte, und sie nach London ausfliegen zu lassen.

Nun saß Matteo nachdenklich in der Suite des Hotels, in dem Bella seit fünf Jahren gearbeitet hatte. Länger, als er gedacht hatte. Wenn sie schon fünf Jahre hier war, musste sie Bordo del Cielo etwa zur gleichen Zeit verlassen haben wie er selbst. Das ergibt doch keinen Sinn, dachte er, atmete tief durch und rief Alfeo zu sich, um mit ihm über die Ereignisse des Morgens zu sprechen.

„Ich kann mich nur noch einmal entschuldigen“, sagte Alfeo, nachdem Matteo ihm einen Platz angeboten hatte. „So etwas ist hier noch nie passiert. Insbesondere auf dieser Etage wird nur sorgfältig geschultes Personal eingesetzt. Unsere besten Mitarbeiter sind hier tätig.“

„Dazu zählen Sie auch Bella?“

„Sie ist eine unserer erfahrensten Mitarbeiterinnen.“

„Gab es je Probleme mit ihr?“ Gespannt wartete Matteo auf die Antwort. Würde Alfeo ihm erneut ausweichen?

„Nein, das kann man so nicht sagen.“ Besorgt fuhr Alfeo sich durchs Haar.

Matteo musterte ihn scharf. Alfeo fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Ob das vielleicht an Bellas Nebentätigkeiten lag?

„Wir haben uns sehr sorgfältig auf Ihren Besuch vorbereitet“, erklärte Alfeo. „Trotzdem ist uns ein Fehler unterlaufen. Die Schichteinteilung wurde verwechselt. Normalerweise wird Bella nicht auf dieser Etage eingesetzt.“

Matteo glaubte nicht an einen Fehler. Er war sicher, dass Bella die Schicht getauscht hatte, weil sie erfahren hatte, wer in dieser Suite absteigen würde.

Er sah auf. „Ich will nicht, dass ihr gekündigt wird. Meinetwegen mahnen Sie sie ab, aber geben Sie ihr noch eine Chance. Allerdings erst, nachdem ich abgereist bin. Ich fliege Sonntag nach Dubai. Sobald ich fort bin, kann Bella ihre Arbeit wieder aufnehmen.“

„Selbstverständlich. Ganz wie Sie wünschen“, antwortete Alfeo beflissen. „Ihre Verlobte kann beruhigt sein, sie wird Bella sicher nicht noch einmal zu Gesicht bekommen.“

„Gut, das wäre dann alles.“ Matteo beschloss, für sich zu behalten, dass Shandy bereits abgereist war. Es ging schließlich nicht um Shandy. Matteo machte sich Sorgen, Bellas Reizen nicht widerstehen zu können, wenn sie sich im selben Gebäude befanden.

Kaum hatte Alfeo die Suite verlassen, erhielt Matteo einen Anruf von Luka.

„Hallo, Matteo. Du hattest gestern Abend recht.“ Luka stöhnte genervt. „Sophie hat ihrem Vater versprochen, dass wir noch an diesem Wochenende in Bordo del Cielo heiraten.“

„Hast du etwa zugestimmt?“

„Ich habe ihr gesagt, es wäre besser, wenn ihr Vater vorher das Zeitliche segnen würde. Aber was soll ich tun? Ich muss mich wohl auf diese Scharade einlassen. Eine Scharade wird es nämlich werden. Ich denke gar nicht daran, Sophie zu heiraten, nur damit ihr Vater seinen Willen bekommt.“

„Dann bin ich ja beruhigt.“ Matteo lächelte sarkastisch vor sich hin.

„Kommst du mit nach Bordo del Cielo, Matteo?“

Er wollte gerade zusagen, als Luka fortfuhr. „Es gibt da allerdings einen Haken: Sophie wünscht sich Bella Gatti als Trauzeugin.“

Matteo erinnerte sich, wie er und Luka damals am Flughafen gewartet hatten. Bella und ihre Mutter waren nicht erschienen. Matteo war froh, Luka damals verheimlicht zu haben, dass Bella und ihre Mutter mit nach London fliegen sollten. Aber Luka hatte wohl etwas geahnt, nachdem er von Matteos wilder letzter Nacht in Bordo del Cielo erfahren hatte.

„Ich sage dir das nur, damit du darauf vorbereitet bist und Shandy sich nicht wie das fünfte Rad am Wagen vorkommt“, fügte Luka hinzu. „Bist du dabei?“

„Ja. Shandy allerdings nicht.“ Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Es war seine Privatsache, dass er sich von Shandy getrennt hatte. Luka würde es noch früh genug erfahren.

„Prima. Wir fliegen Samstag früh.“

„Ich komme nach“, versprach Matteo. „Ich habe hier am Samstag noch einen Termin. Und Sonntagabend muss ich spätestens weiter nach Dubai fliegen.“

„Kannst du den Termin nicht aufschieben? Ich brauche dich in Bordo del Cielo. Die Trauung ist ja nur eine Farce. Mir wäre es lieber, dich an meiner Seite zu haben.“

„Tut mir leid, da musst du allein durch“, entgegnete Matteo und beendete das Telefonat. Natürlich hätte er den Termin in Dubai verschieben können. Aber er wollte nicht. Er hatte dafür gesorgt, dass Bella und er sich im Hotel nicht über den Weg liefen. In Bordo del Cielo würden sie dann unweigerlich wieder aufeinandertreffen. Das war kein Problem, solange sie mit den vermeintlichen Hochzeitsvorbereitungen für ihre Freunde beschäftigt waren. Aber nach der Hochzeit am Sonntag …

Nein! Nicht einmal Luka zuliebe wollte Matteo ein so großes Risiko eingehen. Er musste standhaft bleiben. Auch wenn er sich noch so sehr danach sehnte, eine letzte Nacht mit Bella zu verbringen.

3. KAPITEL

Nervös wartete Bella im Büro des Hotelmanagers auf Alfeo. Sie konnte es sich nicht leisten, ihren Job zu verlieren. Bereits ein Tag ohne Gehalt wäre eine Katastrophe. Ihre Ersparnisse waren fast komplett für Sophies Garderobe draufgegangen. In den Outfits hatte sie Luka ja augenscheinlich auch beeindruckt. Eine eiserne Reserve war noch übrig. Die durfte aber nicht angetastet werden, weil Bella auf einen Grabstein für ihre Mutter sparte. Malvolio hatte dafür gesorgt, dass Maria nur ein Armenbegräbnis erhalten hatte.

Nicht nur der drohende Verlust ihres Arbeitsplatzes belastete Bella. Auch das Wiedersehen mit Matteo hatte sie sehr aufgewühlt. Das Bild von ihm und seiner Verlobten im Bett würde sie wohl nicht so schnell vergessen. Der Anblick hatte sie zutiefst verletzt. Rasende Eifersucht hatte von ihr Besitz ergriffen. In der Klatschpresse hatte sie immer wieder Berichte über Matteo und seine schnell wechselnden Freundinnen gelesen – aber es war etwas anderes, mit eigenen Augen ansehen zu müssen, wie er sich mit seiner neuesten Flamme im Bett vergnügte.

Okay, sie hatte sich das selbst zuzuschreiben. In der Hoffnung, Matteo allein in der Suite anzutreffen, hatte sie die Schicht mit einer Kollegin getauscht. Natürlich hatte sie nicht damit gerechnet, in eine Sexszene zu platzen. Ohne nachzudenken, hatte sie das eiskalte Wasser über dem Paar ausgeschüttet.

„Hallo, Bella.“

Hastig stand sie auf, als Alfeo das Büro betrat. Doch er bedeutete ihr, sich wieder zu setzen.

„Es tut mir leid“, sagte Bella kleinlaut. „Aber das ist der erste Zwischenfall, seit ich vor fünf Jahren hier angefangen habe.“

Alfeo sah das etwas anders. „Und was ist mit dem Kleid, das verschwunden war und später in deinem Spind auftauchte?“

„Das Kleid lag im Mülleimer“, erwiderte Bella.

„Richtig. Aber der Hotelgast hat es sich anders überlegt und wollte das Kleid zurückhaben. Sie hat darum gebeten, die Mülltonnen zu durchsuchen.“

Bella verzog das Gesicht. Typisch, dachte sie. Die Gäste, die in diesem Hotel abstiegen, bildeten sich ein, sie könnten sich alles erlauben.

„Damals habe ich dir geglaubt“, sagte Alfeo.

Bella bewahrte die Ruhe. Beim Personal war bekannt, dass Sachen, die Gäste achtlos entsorgten, oft in Alfeos Spind landeten.

„Und was ist mit dem Parfüm, das vor ein paar Tagen verschwunden ist?“ Herausfordernd musterte Alfeo sein Gegenüber.

„Ich habe es versehentlich verschüttet.“ Bedauernd zuckte Bella die Schultern.

„Unsinn, das Parfüm ist sicher in einem kleinen Fläschchen gelandet!“

Bella hielt seinem vorwurfsvollen Blick stand und log: „Nein.“ Sie hatte nur ganz wenig in ein Fläschchen abgefüllt, um es zu Hause in den schweren Glasflakon umzufüllen, den sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Es war ein Geschenk ihres Vaters gewesen. Bella war sich keiner Schuld bewusst. Sie bediente sich doch nur an Dingen, die Hotelgäste achtlos zurückließen – meistens im Abfalleimer. Auf diese Weise war es ihr gelungen, eine elegante Garderobe für Sophie zu kreieren. Und das Parfüm? Das hatte sie abgezweigt, damit Sophie den teuren Duft beim Wiedersehen mit Luka tragen konnte.

„Du bist wie eine Elster, Bella. Dich zieht alles magisch an, was glänzt“, bemerkte Alfeo. „Aber Schwamm drüber. Was allerdings vorhin passiert ist, kann ich nicht nachvollziehen. Du behauptest, du wärst über den Eiskübelständer gestolpert. Der stand aber noch an seinem Platz.“

„Was soll das werden, Alfeo? Ein Verhör?“

„Genau. Kannst du mir mal verraten, was ich in meinen Bericht schreiben soll? Du hast uns alle in eine unmögliche Situation gebracht, Bella. Matteo Santini hat darüber nachgedacht, dieses Hotel zu kaufen. Daraus wird jetzt wahrscheinlich nichts, weil du einen Sektkühler über ihm geleert hast. Was hast du dir nur dabei gedacht?“

In diesem Moment wusste Bella, dass sie verloren hatte. Den Job war sie los! Sie atmete tief durch. „Kannst du mir wenigstens ein Zeugnis ausstellen?“

„Ein Zeugnis darüber, dass Bella Gatti eine Diebin und Lügnerin ist?“ Alfeo musterte sie verächtlich.

„Vielleicht eher, dass Bella Gatti sehr hart arbeitet und stets bereit ist, Überstunden zu machen.“

„Vielleicht sollte ich dir einfach mitteilen, dass dies deine letzte Abmahnung ist, Bella Gatti.“

Sie konnte ihr Glück kaum fassen.

„Ich habe gerade mit Herrn Santini gesprochen. Er will nicht, dass du eine fristlose Kündigung erhältst, besteht aber darauf, dass du für den Rest der Woche freigestellt wirst. Seine Verlobte soll wohl nicht erfahren, dass er sich für dich eingesetzt hat“, vermutete Alfeo. „Er reist Sonntag ab. Montag kannst du also deine Arbeit wiederaufnehmen.“

Verblüffung zeichnete sich auf Bellas Gesicht ab.

„Was vorhin passiert ist, war kein Versehen, Bella. Das kannst du mir nicht weismachen.“

Bella überging den Vorwurf mit einem Lächeln und bedankte sich bei Alfeo für die zweite Chance.

„Einen Moment noch.“ Alfeo wollte sie noch nicht gehen lassen. „Mich würde interessieren, warum eine so hochgestellte Persönlichkeit sich für ein Zimmermädchen einsetzt.“

„Vielleicht weil er ein gutes Herz hat“, schlug Bella vor, wich dann jedoch Alfeos forschendem Blick verlegen aus.

„Matteo Santini?“ Alfeo lachte sarkastisch. „Da habe ich aber ganz andere Sachen gehört. Der tut keinem einen Gefallen. Du aber schon, oder?“, fragte er lauernd.

„Ich … ich habe keine Ahnung, was du meinst“, stammelte Bella.

„Du weißt ganz genau, wovon ich spreche. Sollte mir je zu Ohren kommen, dass du dich auf Intimitäten mit unseren Hotelgästen einlässt …“

„Das ist eine unglaubliche Unterstellung. Willst du mich beleidigen, Alfeo?“ Empört funkelte sie ihn an. Gleichzeitig schoss ihr das Blut in die Wangen, denn hätte sie Matteo allein angetroffen …

„Nein. Entschuldige.“

Bella nahm die Entschuldigung an, verabschiedete sich und verließ das Hotel durch den Hinterausgang. Dort lehnte Matteo lässig an einer Mauer. Am liebsten hätte Bella sich in seine Arme gestürzt. Doch er stand einfach nur da – die Miene undurchdringlich. Warum sollte er sie auch mit offenen Armen empfangen? Er war ja verlobt.

„Wie ist es mit deinem Vorgesetzten gelaufen?“, fragte Matteo, als sie näherkam.

„Das weißt du sicher schon. Ich darf weiter im Hotel arbeiten. Allerdings erst, wenn du mit deiner Verlobten abgereist bist.“ Bella kniff kurz die Augen zu. Verflixt, der eifersüchtige Tonfall musste Matteo ja misstrauisch machen. Sie atmete tief durch und suchte Matteos Blick. „Vielen Dank, dass du dich für mich eingesetzt hast.“

Matteo merkte, wie schwer ihr diese Worte fielen, und lächelte.

„Was gibt es da zu lächeln?“

„Einiges.“ Beispielsweise, dass er und Bella sich jetzt gegenüberstanden. „Wollen wir zusammen frühstücken gehen?“

Überrascht sah sie ihn an. „Und deine Verlobte?“

Matteo wollte die Trennung von Shandy noch für sich behalten. Auch dass sie niemals verlobt gewesen waren, musste er Bella ja nicht unbedingt gleich auf die Nase binden. Zumal er ihr schon einmal die Welt zu Füßen gelegt und eine Abfuhr bekommen hatte. Trotzdem begehrte er Bella Gatti noch immer, behielt aber auch das lieber für sich.

„Die hat sicher nichts dagegen, wenn alte Bekannte sich mal wieder zu einem Plausch treffen“, antwortete Matteo nonchalant. „Ich möchte wissen, wie es dir ergangen ist, Bella.“

Das wollte sie von ihm auch wissen. „Einverstanden, Matteo. Ich möchte mich vorher nur schnell umziehen.“

„Nicht nötig. Wir gehen doch nur frühstücken. Aber okay, wenn du darauf bestehst, gehen wir erst zu dir, damit du in ein anderes Outfit schlüpfen kannst.“

Bella nickte und ging los. Einen bewundernden Seitenblick auf den perfekt gestylten Matteo konnte sie sich nicht verkneifen. Gleichzeitig setzten sie ihre Sonnenbrillen auf, um die Augen vor dem gleißenden Sonnenlicht zu schützen. Bella wollte außerdem verhindern, dass Matteo die Tränen bemerkte, die in ihren Augen schimmerten. Matteo gehörte einer anderen Frau. Er hatte sich sogar mit ihr verlobt. Es tat Bella unendlich weh, den über alles geliebten Mann endgültig verloren zu haben.

„Wohnst du mit Sophie zusammen?“, fragte Matteo auf dem Weg.

„Ja.“ Bella war nervös. Was würde Matteo denken, wenn er sah, in welch ärmlichen Verhältnissen Sophie und sie lebten? Wenn er Luka davon erzählte, würde Sophies Schwindel auffliegen und alle Mühen, Luka vorzuspielen, sie sei inzwischen wohlhabend, wären vergebens gewesen.

„Sophie hat Luka erzählt, dass du von zu Hause aus arbeitest.“

Bella erschrak. Offensichtlich dachte Matteo, sie besserte sich ihr Gehalt als Zimmermädchen mit dem ältesten Gewerbe der Welt auf. Einmal Hure, immer Hure

Bella dachte daran, was sie getan hatte, um nach Rom zu kommen. Und sie war sich sicher, dass Matteo ihr das niemals verzeihen würde. Es wäre besser, das alles für sich zu behalten. Andererseits … sollte er doch denken, was er wollte.

Erneut musterte sie ihn. Wie elegant und gepflegt er aussah. Sie kam sich neben ihm völlig deplatziert vor. Aber sie liebte ihn so sehr …

„Am besten wartest du hier“, sagte Bella schnell.

„Bittest du mich nicht herein?“ Matteo musterte sie erstaunt.

„Nein.“

„Die sizilianische Gastfreundschaft hast du demnach nicht mit nach Rom gebracht“, sagte er neckend.

„Nein, in Rom ist alles anders. Hier sind die Menschen distanzierter.“

„Trotzdem möchte ich mitkommen“, beharrte er.

„Das geht nicht. Ich werde mich beeilen.“ Eilig bog sie in ihre Straße. Einige Wohnungen in den mehrstöckigen Häusern waren aufwändig renoviert worden. Matteo konnte ja nicht ahnen, dass ihre Wohnung nicht dazugehörte. Unauffällig sah Bella sich um, bevor sie in eine enge Gasse bog. Vor einem schmiedeeisernen Tor blieb sie stehen und stieß es auf. Dann hastete sie die vielen Stufen zu dem kleinen Apartment hinauf. Das Wohnzimmer war vergleichsweise groß, aber nur mit zwei Sofas und einem Couchtisch möbliert. Daneben befand sich die Küche. Bella öffnete den Kühlschrank, schnappte sich eine Flasche Wasser und trank sie aus. Doch ihr war noch immer heiß. In Matteos Nähe wurde ihr immer heiß.

Im Schlafzimmer schlüpfte sie in einen engen schwarzen Rock und ein Top mit Spaghettiträgern. Dazu trug sie Ballerinas. Eilig bürstete sie sich die Haare, dann machte sie sich auch schon wieder auf den Weg nach unten, verschloss sorgfältig das schmiedeeiserne Tor und eilte zurück zu Matteo.

„Das hat ja wirklich nicht lange gedauert“, sagte Matteo anerkennend.

„Hätte ich mich mehr stylen sollen?“

„Nein, ich habe das als Kompliment gemeint, Bella.“

Die Atmosphäre zwischen ihnen war angespannt. Über das Bild, das sich ihr wenige Stunden zuvor geboten hatte, war Bella noch lange nicht hinweg, und Matteo wiederum hatte sich über ihr Verhalten geärgert. Aber da war noch etwas.

Es war ein merkwürdiges Gefühl, sich wiederzusehen und so zu tun, als wären sie nichts weiter als flüchtige Bekannte.

Sie näherten sich einem kleinen Restaurant, das gerade sehr angesagt war. „Wollen wir hier frühstücken?“ Fragend sah er Bella an.

Am liebsten hätte sie Reißaus genommen. Das Restaurant war viel zu edel für ihr schlichtes Outfit! Außerdem hatte sie sich hier mal als Kellnerin beworben, und der Türsteher hatte sie nicht einmal über die Schwelle gelassen. Und nun sollte sie hier Gast sein? Niemals! Doch Matteo hatte bereits einen Kellner angesprochen und um einen Tisch im Außenbereich gebeten.

Bella bemerkte die Blicke, mit denen einige elegant gekleidete Damen Matteo praktisch auszogen, und kochte sofort vor Eifersucht.

Der Kellner führte sie zu einem Tisch, rückte den Sonnenschirm zurecht, damit Matteo und sie im Schatten saßen, und eilte davon, um die Speisekarten zu bringen.

„Wie gefällt es dir in Rom?“, fragte Matteo, nachdem sie sich gesetzt hatten.

„Gut. Ich habe viel zu tun.“

„Vermisst du Bordo del Cielo manchmal?“

„Nein, ich bin jetzt hier zu Hause. Und du?“

„Ich vermisse es auch nicht.“

„Lebt deine Mutter nicht mehr dort?“

„Nein, nach Malvolios Tod ist sie mit ihrem neuen Ehemann fortgezogen. Das Haus haben sie verkauft, das Geld war schnell ausgegeben.“ Matteo hatte keine Lust, über seine Mutter zu reden, die schon immer sehr schwierig gewesen war.

„Hast du denn noch Kontakt zu ihr?“

„Sie ruft nur an, wenn sie Geld braucht.“

„Aber ihr seht euch nicht?“

Matteo schüttelte den Kopf.

„Fragst du dich manchmal, wie es ihr geht?“ Hast du dich manchmal gefragt, wie es mir geht? Diese Frage hätte sie viel lieber gestellt.

„Nein, das tue ich mir nicht an“, antwortete Matteo knapp.

„Aha. Und was ist mit deinem Halbbruder Dino?“ Offenbar auch kein gutes Thema, dachte sie, als sie Matteos Abwehrhaltung bemerkte. Dino … Der hatte Matteo damals Dinge über sie gesteckt, die nicht stimmten.

„Dino sitzt im Gefängnis. Nach Malvolios Tod wollte niemand etwas mit ihm zu tun haben. Und jetzt sitzt Dino in dem Bau, aus dem Paolo inzwischen entlassen wurde.“

„Besuchst du ihn manchmal?“

„Nein, nie. Am liebsten möchte ich gar nicht mehr an ihn erinnert werden. Der wird sich nämlich bestimmt nicht ändern.“

„So ist das nun mal“, sagte Bella. „Die Menschen ändern sich nicht.“ Die Armen werden immer arm bleiben, die Reichen werden reicher, und die Schönen bewahren sich ihre Schönheit bis ins Alter. Matteo war das beste Beispiel dafür, dass die Reichen immer reicher wurden. Und schön war er auch. In seiner Sonnenbrille spiegelte sich Bella. Eine Hand am Mund. Entsetzt zog sie die Hand weg. Was sollte Matteo denken, wenn sie an ihren Nägeln kaute? Entschlossen drückte Bella das Kreuz durch.

„Macht dir deine Arbeit Spaß?“, erkundigte er sich nun.

„Bettenmachen ist ein Traumjob“, antwortete sie sarkastisch. „Waschbecken und Toiletten zu scheuern übrigens auch.“

Matteo schüttelte sich. Er konnte sich lebhaft vorstellen, was ein Zimmermädchen im Laufe eines Arbeitstages zu sehen bekam. „Und was ist aus deinem Traum geworden, als Modedesignerin zu arbeiten, Bella?“

„Das siehst du ja selbst“, antwortete sie frustriert. „Ich habe mich bei verschiedenen Modedesignschulen beworben, aber leider nur Ablehnungen bekommen.“

„Wieso willst du denn eine Schule besuchen? Mit deinem Talent könntest du dich doch sofort selbstständig machen“, meinte Matteo.

Wie kommt er denn zu diesem Schluss? überlegte Bella erstaunt. Sie konnte sich von ihrem kargen Gehalt ja kaum Stoffe kaufen. Sie arbeitete regelmäßig mindestens zehn Stunden lang. Trotzdem reichte das Geld hinten und vorn nicht. Alfeo täuschte sich in ihr: Sie war keine Elster, die alles mitnahm, was glänzte. Sie sehnte sich danach, selbst schöne Dinge zu kreieren. Doch der Traum von einer Karriere als Modedesignerin war so gut wie zerplatzt.

„Woher willst du das wissen, Matteo?“, fragte sie schließlich.

„Ich habe gestern einige Beispiele deines Handwerks gesehen“, erklärte er. „Sophie hat ein Outfit getragen, das du für sie geschneidert hast. Sie gibt vor, reich zu sein.“

Bella stockte der Atem. Wenn Matteo das wusste, war auch Luka im Bilde. Dabei hatten sie und Sophie sich so viel Mühe gegeben!

„Ich weiß, dass sie es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt“, sagte Matteo.

Erstaunt und erfreut zugleich schaute Bella ihn an. Matteo zog sie ins Vertrauen? Allerdings hatte sie Angst um ihre beste Freundin. „Weiß Luka, dass Sophie gelogen hat?“

„Ich bin mir nicht sicher. Weißt du, wir blenden die Vergangenheit aus. Er hat mir nur erzählt, dass Sophie völlig unerwartet bei ihm aufgetaucht ist und ihn gebeten hat, sich zum Schein mit ihr zu verloben, weil das der letzte Wunsch ihres Vaters sei. Nun soll er sie auch noch heiraten.“ Verächtlich verzog Matteo das Gesicht. „Die Scheidung wird teuer, habe ich ihm gesagt.“

„Es geht Sophie nicht ums Geld, Matteo, sondern darum, Paolo als glücklichen Mann sterben zu lassen.“

„Das werden wir ja sehen. Warum spielt sie Luka denn die reiche Frau vor, wenn es ihr nicht ums Geld geht?“, fragte er misstrauisch.

„Vielleicht aus Stolz. Vielleicht will sie ihrem Ex gegenüber nicht zugeben, dass sie es bisher zu nichts gebracht hat.“

„Das ist ja jetzt auch unerheblich. Wichtig ist nur, dass du ihr Kleid genäht hast. Ein absolutes Meisterstück, Bella. Du kannst stolz darauf sein.“

Bella lächelte erfreut. „Ich könnte es ganz bis nach oben schaffen, wenn eine schöne berühmte Frau einen meiner Entwürfe tragen würde. Könntest du deine Verlobte nicht überreden, bei einem eurer nächsten offiziellen Termine ein Kleid von mir zu tragen?“

„Eher nicht.“ Matteo rang sich ein müdes Lächeln ab.

Der Kellner kehrte zurück, um ihre Bestellung aufzunehmen. Matteo orderte ein Panino.

„Brioche mit Pistazien- und Kirscheis“, bestellte Bella.

„Wie zu Hause“, merkte Matteo an.

„Ich gehe selten auswärts essen“, erklärte Bella. „Aber wenn, dann bestelle ich meine Lieblingsspeise.“

Dabei sah sie ihn an, als würde sie am liebsten ihn vernaschen. Dieser Blick allein genügte, um Matteo heiß zu machen.

Bella entschuldigte sich und verschwand im Restaurant. Selbstverständlich wurde ihr als Begleitung von Matteo Santini höflich die Tür aufgehalten.

So gut es ging, verschönerte sie mit einfachsten Mitteln ihr Äußeres und kehrte an den Tisch zurück, als das Frühstück serviert wurde.

Erst jetzt wurde Matteo bewusst, wie deplatziert sie sich hier fühlen musste. Warum hatte er nicht ein einfaches Straßencafé ausgesucht? Befremdet bemerkte er, wie zwei Damen der Gesellschaft offensichtlich über Bellas Schuhe tuschelten. Er selbst hatte nur Augen für Bellas wunderschönes Gesicht und die makellose Figur gehabt. Nun fiel ihm auf, wie abgetragen Kleidung und Schuhe wirkten. Es tat ihm unendlich leid, sie diesen hochmütigen, abfälligen Blicken auszusetzen. Am liebsten hätte er tröstend ihre Hände umfasst und Bella versichert, dass sie für ihn die schönste Frau der Welt war.

Bella ließ sich das Frühstück schmecken, schloss sogar beim ersten Bissen verzückt die Augen, Als sie kurz darauf Matteos faszinierten Blick auffing, reichte sie ihm die andere Hälfte der Brioche. Einträchtig genossen sie das Essen und unterhielten sich über Bordo del Cielo.

„Die Touristen scheinen unseren Heimatort wiederentdeckt zu haben“, sagte Bella. „Man könnte fast von Massentourismus sprechen. Und die Einheimischen sind froh, dass Malvolio tot ist.“

„Am Wochenende werden wir ja mit eigenen Augen sehen, was da los ist.“

Überrascht legte Bella das Brötchen zurück auf den Teller. „Wie meinst du das?“

„Hat Sophie denn noch nicht mit dir gesprochen?“, fragte Matteo erstaunt.

„Nein.“

„Luka hat mich vorhin angerufen. Die Trauung findet am Sonntag statt, und ich soll Trauzeuge sein. Sophie möchte dich gern als Trauzeugin haben.“

„Aber ich muss arbeiten.“ Bella war konsterniert. Luka hatte doch strikt abgelehnt, Sophie zu heiraten. Seltsam, irgendetwas musste ihn umgestimmt haben. Am liebsten hätte sie Sophie sofort angerufen, um zu erfahren, was los war.

„Nein, du musst nicht arbeiten. Schon vergessen?“ Vergnügt lächelte Matteo ihr zu.

„Hast du deshalb verlangt, mich bis Montag freizustellen?“ Bella musterte ihn misstrauisch, gleichzeitig aber auch hoffnungsvoll. Hatte Matteo das alles arrangiert, damit sie bei der Trauung anwesend sein konnte?

Matteo schüttelte vehement den Kopf. „Nein, von der Hochzeit habe ich erst nach meinem Gespräch mit dem Manager erfahren.“

„Nun sind deine Anstrengungen, mich von deiner Verlobten fernzuhalten, gescheitert.“ Bella lachte trocken. „Na, das wird eine Überraschung, wenn sie mich bei der Hochzeit sieht. Vielleicht leert sie einen Sektkübel über uns aus, wenn wir als Trauzeugen miteinander tanzen.“

Wohlweislich behielt Matteo für sich, dass Shandy durch Abwesenheit glänzen würde. Stattdessen stellte er sich vor, mit Bella zu tanzen. „Wir werden uns wie gesittete Leute benehmen“, sagte er mahnend, wohl wissend, dass ihm das schwerfallen würde, wenn Bella in seinen Armen läge.

Eigentlich war es müßig, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, denn die Hochzeit würde ja gar nicht stattfinden. Jedenfalls nicht, wenn es nach Luka ginge.

Schweigend hingen sie ihren Gedanken nach. Dann beugte Matteo sich unvermittelt vor und zog Bella die Sonnenbrille von der Nase. Er wollte in ihre wunderschönen Augen schauen.

Bella hielt still.

„Du siehst müde aus, Bella.“

„Das bin ich auch. Außerdem fühle ich mich hier wie auf dem Präsentierteller. Die Blicke der Leute sind mir unangenehm.“

Ich hätte woanders mit ihr frühstücken sollen, dachte Matteo und winkte den Kellner heran, um die Rechnung zu bezahlen.

4. KAPITEL

Rom ist wirklich eine wunderschöne Stadt, dachte Bella, als sie durch die sonnigen Straßen schlenderten und Liebespaaren und Touristen begegneten, die Roms Sehenswürdigkeiten mit der Handykamera fotografierten. Schade nur, dass Matteo und sie nicht Arm in Arm durch die ewige Stadt schlenderten und heiße Küsse austauschten, die mehr versprachen.

„Keine Wolke am Himmel“, stellte Matteo unvermittelt fest. „Hattest du in deiner Notiz nicht einen stürmischen Tag angekündigt, Bella?“

„Der Sturm bin ich“, erklärte Bella lächelnd.

Matteo nahm es lachend zur Kenntnis. „Übrigens habe ich mir gestern Abend einige Sehenswürdigkeiten angeschaut“, sagte er, sehr zu Bellas Erstaunen, denn als Touristen konnte sie sich Matteo überhaupt nicht vorstellen.

„Ich habe mir eine Vespa ausgeliehen und …“

„Könntest du mir das bitte ersparen? Ich will lieber nicht wissen, wie deine Nacht mit Shandy war.“

„Sie war gar nicht dabei. Du hast mich begleitet“, fügte er hinzu, blieb stehen und sah Bella in die Augen. „Wenn du Lust hast, könnten wir uns jetzt eine Vespa ausleihen und durch Rom knattern.“

„Nein!“

„Warum nicht? Du hast selbst gesagt, dass du gern auf Entdeckungsreise gehst.“

„Ja, das stimmt.“

„Was spricht dann dagegen?“

„Wir wären uns zu nahe.“ Entschlossen ging Bella weiter.

Matteo begleitete sie schweigend. Schließlich erreichten sie einen kleinen Park, wo Familien und Paare eine kleine Erholungspause einlegten. Ohne zu fragen, kaufte Matteo für Bella und sich einen Kaffee. Wortlos saßen sie nebeneinander und betrachteten die Szenerie. Dann streckten sie sich auf dem Rasen aus, denn sie hatten beide eine schlaflose Nacht hinter sich, in der sie sich heimlich nacheinander gesehnt hatten.

Bella setzte die Sonnenbrille ab und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht. So entspannt war sie schon lange nicht mehr gewesen. Sie spürte, dass sie zu Matteo gehörte. Hier waren sie zwar auch unter Menschen, doch sie fühlte sich nicht beobachtet. Wenn sie den Kopf wandte, sah sie Matteo neben sich liegen – wie sie es sich immer gewünscht hatte. Er hatte seine Sonnenbrille aufbehalten und blickte gen Himmel.

„Ich muss zugeben, dass ich Sizilien doch manchmal vermisse“, sagte er schließlich leise. „Nicht die Menschen dort, sondern …“

„Ich auch“, gestand Bella. „Aber in Rom fühle ich mich auch zu Hause. Besonders froh bin ich darüber, dass ich hier frei bin und keine Angst mehr haben muss. Nur der Strand fehlt mir. Sophie und ich haben uns jeden Tag in der versteckten Bucht von Bordo del Cielo getroffen. Ich vermisse das Markttreiben, die sizilianische Küche und meine Entdeckungstouren. Es gab dort immer wieder etwas Neues zu entdecken.“

„Wie hat deine Mutter es eigentlich aufgenommen, dass du fortgegangen bist?“, fragte Matteo interessiert.

Zunächst reagierte Bella nicht. Es war lange her, dass jemand sich nach ihrer Mutter erkundigt hatte. Bisher hatte sie vielleicht ein halbes Dutzend Mal erklären müssen, dass ihre Mutter gestorben war. Sie wusste nicht, wie sie es Matteo sagen sollte, ohne in Tränen auszubrechen. Daher stellte sie erst mal eine Gegenfrage.

„Was fehlt dir denn am meisten?“

„So genau kann ich das gar nicht in Worte fassen. Eigentlich nur die letzten sechs Monate in Bordo del Cielo.“ Er nahm es Bella nicht übel, seine Frage übergangen zu haben. Wenn man ihn nach seiner eigenen Vergangenheit fragte, wich er auch häufig aus.

Ein Lächeln umspielte seine sinnlichen Lippen, als er an die letzten sechs Monate in seinem Heimatort dachte. „Nicht einmal Luka weiß davon. Aber als Malvolio in Untersuchungshaft saß und ich das Hotel geführt habe, wusste ich, dass ich es schaffen kann. Ich war mein eigener Chef, und das fühlte sich so gut an, dass ich gern auf Sizilien geblieben wäre.“

„Sag mal, fehlt dir deine Mutter wirklich nicht?“, fragte Bella plötzlich. Sie konnte nicht nachvollziehen, dass jemand keinen Kontakt mehr zu seiner Familie haben wollte.

„Nein, ganz sicher nicht. Sie war ja sowieso nie für mich da. Schon damals hat sie mich gehasst.“

Bella stutzte. „Gehasst hat sie dich bestimmt nicht.“

„Doch, sie hat es mir immer wieder an den Kopf geknallt. Und mein Stiefvater hat mich regelmäßig verprügelt. An meinen leiblichen Vater erinnere ich mich nicht.“

„Vielleicht hatte sie Angst vor ihrem Mann und hat deshalb verheimlicht, dass sie dich liebt“, spekulierte Bella.

„Kann sein, dass es anfangs so war. Aber mit der Zeit ist sie genauso grausam geworden wie er. Ich erinnere mich noch genau, was passiert ist, als ich fünf Jahre alt war: Wir saßen am Abendbrottisch und meine Mutter tat meinem Stiefvater zuerst auf, dann Dino. Er muss damals etwa drei Jahre alt gewesen sein. Dann nahm sie sich selbst. Ich wartete hungrig auf meine Portion. Mein Stiefvater wollte mehr Soße auf seiner Pasta, also bekam er mehr. Dino auch. Erst als alle Nachschlag bekommen hatten, bekam ich auch etwas ab. So war es immer. Aber an diesem Tag war nichts mehr für mich übrig. Damals wurde mir klar, dass ich ein Niemand war.“

Bella war entsetzt. Ihre eigene Mutter hätte lieber gehungert, als ihrem Kind nichts zu essen geben zu können.

„Immer öfter bin ich dann zu Luka gegangen. Besonders schön fand ich es dort nicht, aber es gab wenigstens immer genug zu essen. Leider kam Luka irgendwann ins Internat. Ich war also gezwungen, wieder nach Hause zu gehen. Als ich fünfzehn war, gab es einen Riesenkrach. Seitdem habe ich das Haus nie wieder betreten.“

„Und damals hat sie dir gesagt, dass sie dich hasst?“, fragte Bella sanft.

„Genau. Ich habe sie dann gefragt, warum. Weißt du, was sie geantwortet hat? Ich würde sie an meinen Vater erinnern. Sie hatte nie von ihm erzählt. Also wollte ich wissen, ob er sie schlecht behandelt hatte. Nein, war ihre Antwort. Er habe sie sehr gut behandelt, und genau deshalb könnte sie meinen Anblick nicht ertragen. Ich erinnerte sie zu sehr an die Zeiten, als es ihr gut gegangen war.“

„Wo bist du dann untergekommen?“, fragte Bella schockiert.

„In einer der Fischerhütten am Strand. Malvolio hatte mir das angeboten. Miete musste ich nicht bezahlen, aber ich musste für ihn arbeiten.“ Matteo verdrehte die Augen himmelwärts. „Ich war ziemlich neidisch auf Luka. Der studierte inzwischen in London. Am liebsten hätte ich gefragt, ob ich nicht auch nach London könnte, aber mein Stolz ließ das natürlich nicht zu. Ich gab also vor, mir gefiele es bestens in Bordo del Cielo, und ich könnte mir nicht vorstellen, je woanders zu wohnen. Als Luka irgendwann zurückkam, um mit Sophie Schluss zu machen, wusste ich, dass er alle Brücken hinter sich abbrechen wollte. Wir waren am Flughafen verabredet, um uns bei einem letzten Drink voneinander zu verabschieden. Wieder wollte ich Luka fragen, ob er mir helfen könnte, Sizilien zu verlassen. Doch er ist nicht erschienen, ebenso wenig wie du später. Er war festgenommen worden. Aber du …?“

Bella reagierte nicht.

Matteo hakte nach. „Welche Entschuldigung hast du, Bella? Hattest du nie die Absicht, mich zu begleiten? Oder hat Maria es dir ausgeredet?“

Bella schwieg.

„Okay, vielleicht kannst du mir dann wenigstens verraten, ob du heute Morgen absichtlich das kalte Wasser über uns ausgeschüttet hast.“

„Nein.“

„Bist du sicher?“

„Bist du sicher, dass du die Wahrheit hören willst?“

Matteo nahm die Sonnenbrille ab, drehte den Kopf zur Seite und hielt Bellas Blick fest.

„Ich hatte gehofft, dich allein anzutreffen“, erklärte sie leise.

„Um dich mit mir zu unterhalten?“

„Nein, mir fällt es schwer, mich mit dir zu unterhalten“, gestand sie freimütig und dachte an die Notiz, die sie ihm geschrieben hatte. Ein kleiner Hoffnungsschimmer hatte ihr den Mut dazu gegeben. Luka und Sophie waren wieder zusammen. Vielleicht ermunterte das Matteo, es noch einmal mit ihr zu versuchen.

„Und was hattest du dir davon erhofft, mit mir allein zu sein?“, fragte Matteo neugierig. Heißes Begehren lag in seinem Blick – und in ihrem.

Sie schauten einander tief in die Augen. Die alte Verbundenheit war wieder da.

Was hatte das zu bedeuten? Wollte er seine Verlobte betrügen? Ein letztes kleines Abenteuer vor der Hochzeit erleben?

Matteo ließ den Blick zu Bellas leicht geöffnetem Mund gleiten. Er konnte es kaum erwarten, endlich wieder ihre samtigen Lippen auf seinen zu spüren. Doch zunächst sah Matteo ihr wieder in die Augen. Es knisterte ganz gewaltig, als Bella und er die heiße Nacht von damals Revue passieren ließen. Sie wussten beide, wie gefährlich dieses Spiel war.

„Es war fantastisch zwischen uns“, wisperte sie.

„Ja, das war es.“

Und jetzt? Sie waren einander so vertraut, dass niemand auf die Idee gekommen wäre, sie könnten nur rein platonische Freunde sein.

„Dein Leben ist doch ausgefüllt, oder?“ Bella versuchte, den magischen Bann zu brechen. „Du verkehrst mit den Reichen und Schönen. Wie oft habe ich dein Bild in den Klatschspalten gesehen?“

„Ach, die meisten Geschichten sind erfunden“, behauptete Matteo und machte eine wegwerfende Geste.

„Andere entsprechen aber der Wahrheit. Sogar über deine Narbe ist berichtet worden. Du hast mir nie erzählt, dass du eine Stichverletzung erlitten hast.“

„Doch, ich habe dir doch von der Auseinandersetzung erzählt.“

Darauf ging Bella nicht ein. „Interessant fand ich den Artikel über deine Verlobte. Angeblich musste sie die Schule verlassen, weil sie beim Trinken erwischt wurde.“

Matteo schwante Böses.

„Das Vergangene wird immer wieder aufgewühlt, oder?“

„Ja.“

„Dann ist es ja gut, dass wir nicht zusammen sind. In meiner Vergangenheit zu wühlen wäre ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse. Du selbst hast mal gesagt, es wäre furchtbar, wenn deine Karriere wegen meiner Vergangenheit einen Knick erleiden würde.“

„Habe ich das wirklich gesagt?“ Matteo wunderte sich.

„Ja. Ich würde es nicht überleben, wenn die Presse meine Verfehlungen und die meiner Mutter ins Licht der Öffentlichkeit zerren würde, Matteo.“

„Ich weiß.“

Bella stand auf. Sie musste Distanz zwischen sich und Matteo schaffen. Sie und Matteo? Das durfte nicht sein!

Schweigend machten sie sich wieder auf den Weg, bis sie sich schließlich auf der berühmten Spanischen Treppe niederließen.

Gleich wird er wieder versuchen, mich auszuquetschen, dachte Bella. Und genauso war es.

„Du hast zu dem Hotelmanager gesagt, du würdest jetzt seit fünf Jahren im Fiscella arbeiten“, fragte Matteo heiser. „Das würde bedeuten, dass du kurz nach …“

„Ja. Drei Monate, um genau zu sein.“

Drei Monate nach der unvergesslichen Nacht und den Plänen, die sie am Morgen danach geschmiedet hatten. „Meine Mutter hat an diesem Morgen einen Schlaganfall erlitten. Als ich nach unserer gemeinsamen Nacht nach Hause kam, fand ich Mama reglos am Boden liegend vor. Drei Monate später ist sie gestorben.“

Matteo sah sie schockiert an. Maria war nur vierunddreißig Jahre alt geworden!

„Hast du dich nie gefragt, warum ich dich damals versetzt habe?“, fragte Bella leise.

„Ich hatte dir Geld gegeben, damit du Sizilien verlassen kannst“, antwortete er ausweichend und stöhnte laut. „Einige Wochen nach meiner Abreise habe ich mit Dino gesprochen. Er hat mit keiner Silbe erwähnt, dass deine Mutter krank war. Er hat behauptet, die Arbeit in der Bar mache dir Spaß. Und dass er Spaß mit …“ Nein, er konnte es nicht aussprechen. Selbst jetzt wurde ihm übel bei der Vorstellung, dass sein Stiefbruder und Bella …

„Dein Bruder lügt, wenn er nur den Mund aufmacht. Hast du das immer noch nicht kapiert? Nach der Nacht mit dir habe ich die Bar nie wieder betreten. Direkt nach Paolos Verurteilung und am Abend, bevor meine Mutter beerdigt wurde, bin ich nach Rom geflohen. Deshalb hat sie nur eine Armenbestattung erhalten.“

„Oh Bella!“

„Ich bin zu Sophie gezogen und …“ Sie beschloss, Matteo vorzuenthalten, dass Sophie damals schon im Fiscella gearbeitet hatte. Bella wollte Sophie die Chance geben, zuerst mit Luka darüber zu sprechen. „Und seitdem arbeite ich als Zimmermädchen im Fiscella.“

„Ach, dann hast du nicht …“ Matteo wusste nicht genau, wie er sich ausdrücken sollte.

Wortlos stand Bella auf und ging los. Matteo folgte ihr, doch sie ignorierte ihn, bis die Fontana di Trevi vor ihnen sichtbar wurde. Touristen drängten sich um den Springbrunnen und warfen Münzen ins Wasser, in der Hoffnung, eines Tages nach Rom zurückzukehren.

„Manchmal vermisse ich das maurische Bad in Bordo del Cielo“, sagte Bella wehmütig. „Es gibt ja die Sage, ein junges Mädchen habe die Römer zu einer Quelle geführt.“ Bewundernd ließ sie den Blick über den Brunnen gleiten. Sehr imposant, aber eben nicht wie zu Hause.

Autor

Chantelle Shaw
Chantelle Shaw ist in London aufgewachsen. Mit 20 Jahren heiratete sie ihre Jugendliebe. Mit der Geburt des ersten Kindes widmete sie sich ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter, ein Vollzeitjob, da die Familie bald auf sechs Kinder und verschiedene Haustiere anwuchs.

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