Julia Extra Band 458

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WERDE MEINE KÖNIGIN, LEYNA von BEHARRIE, THERESE
König Xavier sieht nur eine Möglichkeit, um den Frieden für sein Land zu sichern: Er muss seine Jugendliebe Leyna heiraten! Ausgerechnet die Frau, die ihn einst zurückwies - und die insgeheim immer noch leidenschaftliches Verlangen in ihm weckt …

TRAUE NIEMALS EINEM PLAYBOY von MILBURNE, MELANIE
"Tun Sie einen Monat lang so, als wären Sie meine Verlobte." Blake McClellands Vorschlag ist skandalös, findet Matilda. Allerdings wären damit all ihre finanziellen Sorgen gelöst … Sie sollte bloß den heißen Küssen widerstehen, zu denen der notorische Playboy sie verleiten will!

SAG MIR NUR EINMAL TI AMO von WINTERS, REBECCA
Sinnliche Nächte in Rom, ein Kurztrip nach Ischia: Verliebt genießt die schöne Dea die aufregenden Tage und Nächte mit dem attraktiven Unternehmer Guido Rossano. Bis sie sich traurig fragen muss: Wird er jemals ihre Gefühle erwidern, oder will er nur ein erotisches Abenteuer?

LIEBESMÄRCHEN MIT HAPPY END? von JAMES, JULIA
Der griechische Tycoon Anatole Kyrgiakis verführt die junge Tia, hat mit ihr eine exquisite Liebesaffäre, verwöhnt sie mit jedem erdenklichen Luxus. Doch als er klarstellt, dass er kein Mann zum Heiraten ist, verlässt sie ihn sofort. Ist er etwa auf eine Mitgiftjägerin hereingefallen?


  • Erscheinungstag 13.11.2018
  • Bandnummer 0458
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710903
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Therese Beharrie, Melanie Milburne, Rebecca Winters, Julia James

JULIA EXTRA BAND 458

THERESE BEHARRIE

Werde meine Königin, Leyna

Leyna wird König Xavier heiraten – eine reine Pflichtehe! Oder hat er ihr verziehen, dass sie einst gezwungen war, ihre Liebe zu verraten? Die Leidenschaft in seinem Blick lässt sie heimlich hoffen …

MELANIE MILBURNE

Traue niemals einem Playboy

Playboy Blake McClelland braucht Matilda unbedingt als Verlobte! Natürlich bloß, um vor seinem Geschäftspartner einen seriösen Eindruck zu erwecken. Nicht weil ihn ihre sinnliche Unschuld so verlockt!

REBECCA WINTERS

Sag mir nur einmal Ti amo

Milliardär Guido Rossano liegen die Frauen zu Füßen. Aber er will nur eine: die schöne Dea! Ausgerechnet bei ihr muss er jedoch fürchten, lediglich Lückenbüßer zu sein. Gehört ihr Herz einem anderen?

JULIA JAMES

Liebesmärchen mit Happy End?

Wie im Märchen fühlt Tia sich, als der griechische Tycoon Anatole Kyrgiakis sie liebt und umwirbt. Doch ihr Traum vom Glück endet jäh, als sie ihm ihr süßes Geheimnis verraten will …

PROLOG

Prinzessin Leyna war noch nie so zufrieden gewesen wie in diesem Moment. Der Ozean erstreckte sich glitzernd im Sonnenschein, sie lag im warmen Sand – mit dem zukünftigen König von Mattan direkt neben sich.

„Wir sollten das öfter machen“, meinte sie glücklich.

„Wir machen das mindestens einmal pro Woche“, erwiderte Xavier amüsiert.

„Wir besuchen den Strand mindestens einmal pro Woche. Das hier zu tun“, sie machte eine umfassende Handbewegung, „ist eine Seltenheit, für die wir uns öfter Zeit nehmen sollten.“

„Das sagst du nur, weil du deinen Pflichten entkommen möchtest“, neckte er sie.

„Und du willst das nicht?“, konterte sie und lächelte ihn strahlend an. Dabei achtete sie nicht auf die eine innere Stimme – die genauso klang wie die ihrer Großmutter und ihr vorwarf, Xavier wäre nur ein Vorwand, um genau das zu machen: die Pflichten vernachlässigen.

„Ich bin der zukünftige König von Mattan“, erwiderte er, plötzlich bitter. „Ich bin mir meiner Verpflichtungen durchaus bewusst. Aber man erwartet von mir auch Dinge, die ich mir nicht einmal vorstellen kann.“

Das klang müde und entnervt. Leyna wandte sich ihm zu. „Hacken deine Mutter und deine Großmutter mal wieder auf dir herum?“

Er drehte sich zu ihr hin. Bewundernd betrachtete sie seinen muskulösen Körper und die dunkelbraunen Haare, die noch nass und zerzaust vom Schwimmen waren. Sein attraktives Gesicht trug meistens einen Ausdruck von Wohlwollen und Freundlichkeit, jetzt allerdings eine Miene, in der sich Traurigkeit mit einer Spur Wut und Hoffnungslosigkeit mischte.

„Wann tun sie das nicht?“ Xavier schüttelte den Kopf. „Jedes Mal, wenn ich denke, jetzt habe ich etwas richtig gemacht, kommen sie mir mit etwas, was ich stattdessen hätte tun sollen. Vielleicht mache ich überhaupt nichts richtig!“

„Das ist Unsinn, und das weißt du.“ Sie setzte sich auf. „Ich kenne niemand, der sich seinen Aufgaben als Thronfolger intensiver widmet als du.“

„Abgesehen von dir.“ Nun lächelte er.

„Das versteht sich von selbst!“, erwiderte sie scherzhaft.

Aber du könntest dich ihr noch mehr widmen, wenn du Xavier nicht so viel Aufmerksamkeit schenken würdest, meldete sich wieder die innere Stimme.

„Du setzt dich für deine Sache ein, und das bedeutet, dass du etwas richtig machst, Xavier. Vertrau darauf.“

Sie drückte ihm die Hand, und er verschränkte seine Finger mit ihren. Ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen. Sie wusste, was er jetzt sagen würde, und wollte es verhindern, aber er ließ sie nicht zu Wort kommen.

„Nein, diesmal wirst du mich nicht abwimmeln, Leyna.“

„Was … was meinst du?“

„Ich möchte, dass du mich heiratest“, erklärte Xavier.

„Ich glaube nicht, dass …“

„Unsere beiden Familien wollen das auch“, unterbrach er sie.

„Sie wollen eine Union von Aidara und Mattan, das ja. Aber eine zwischen dir und mir? Nein. Die haben sie eher nicht im Sinn. Du weißt doch, was sie von unserer Freundschaft halten.“

„Ich weiß auch, was wir beide von unserer Freundschaft halten. Ist das nicht viel wichtiger? Leyna, es gibt für mich keine Wahl.“ Auch er setzte sich auf und sah sie voller Ernst an. „Ich muss dich heiraten, oder es wird mir ewig leidtun. Ich weiß, du empfindest dasselbe.“

„Warum machst du mir einen Antrag?“

„Weil es Zeit dafür ist.“ Xavier stand auf, dann zog er Leyna hoch. Sie ließ sofort seine Hand los.

„Zeit, etwas zu ruinieren, an dem mir mehr liegt als an allem anderen?“, fragte sie eindringlich.

„Nein, Zeit, um aus uns das zu machen, wofür wir immer bestimmt waren: ein glückliches Paar … und in absehbarer Zeit eine glückliche Familie.“

„Ich habe schon eine Familie. Ich habe Eltern, die Monarchen eines Königreichs sind, das sie braucht. Ich habe eine Großmutter, die noch immer um ihren vor zehn Jahren verstorbenen Mann trauert.“

Aber meine Eltern, die ich doch auch brauche, haben keine Zeit für mich, und meine Großmutter ist so auf die Monarchie fokussiert, dass sie mich nicht unterstützen kann bei meiner Aufgabe, eines Tages Königin zu sein.

„Was ich nicht habe“, fuhr sie laut fort, „sind Freunde. Ich brauche dich als Freund, ich brauche unsere Freundschaft.“

„Du meinst, wenn wir heiraten, können wir keine Freunde mehr sein?“, fragte Xavier ernst.

Sein Ton verriet ihr, dass sich zwischen ihnen nun etwas für immer ändern würde, egal, wofür sie sich entschied. Panisch ermahnte sie sich, die richtige Wahl zu treffen.

„Wir sind am besten dran als Freunde. Nur Freunde“, beharrte sie.

„Ist das deine eigene Meinung – oder die deiner Familie?“

„Meine“, versicherte sie rasch, aber sie fragte sich, ob das so ganz stimmte. „Mir ist egal, was meine Familie über uns sagt. Da höre ich gar nicht hin.“

„Warum hast du dann Angst vor dem, was zwischen uns ist?“, fragte er und machte einen großen Schritt auf sie zu, sodass er direkt vor ihr stand.

„Weil …“ Sie schüttelte den Kopf. „Du führst kein einfaches Leben, und ich auch nicht. Was mir bisher geholfen hat, ist unsere Freundschaft. Die besteht seit beinahe zwanzig Jahren. Nimm sie mir jetzt nicht weg“, bat sie.

„Ich nehme dir doch nichts weg. Im Gegenteil: ich möchte etwas hinzufügen.“ Xavier lächelte flüchtig. „Ja, wir sind seit zwanzig Jahren Freunde, aber du weißt auch, dass ich den größten Teil dieser Zeit immer schon in dich verliebt war.“

„Nein“, erwiderte sie fest.

„Ach, wirklich? Warum hast du mich dann immer abzuhalten versucht, es dir zu sagen?“ Als sie nicht antwortete, fügte er hinzu: „Weil du es weißt. Seit dem Moment, als ich dir die Rose geschenkt habe. Damals, als wir fünf Jahre alt waren.“

Ihr wurde bei der Erinnerung ganz warm ums Herz, und endlich gestand Leyna sich ein, dass er die Wahrheit sagte. Er hatte auch damit recht, dass sie sich fürchtete. Vor der Veränderung und dem, was diese für ihr Leben bedeuten würde. Eines Tages würde sie Königin von Aidara sein, mit allem, was dazugehörte.

Vor diesen Anforderungen hatte sie Angst. Sie wusste, was diese sie kosten würden, denn sie hatte es bei ihrem Vater miterlebt. Der war von einem ausgelassenen Prinzen zu einem zurückhaltenden König geworden. Sie erinnerte sich gut, wie er glücklich mit ihr durch den Garten tobte, während ihre Mutter ihnen lachend zusah. Aber in den zehn Jahren, die er nun schon regierte, war ihm diese Fröhlichkeit abhandengekommen. Statt Lachfältchen hatte er Falten vom Stress, und jedes Lächeln schien ihn Anstrengung zu kosten.

Immerhin liebt er meine Mutter noch so wie früher …

„Wirst du mich noch lieben, wenn wir König und Königin sind und den schwersten Beruf der Welt ausüben müssen?“, fragte Leyna leise.

„Natürlich werde ich das.“ Er schob ihr eine Strähne hinters Ohr. „Ich weiß doch am besten, was du dann durchmachst.“

„Es wird härter als alles, was wir bisher zu tun hatten“, erinnerte sie ihn. „Du hast ja mitbekommen, was es meinem Vater angetan hat.“

„Wir werden es meistern“, versprach Xavier sanft.

„Und wenn wir es als Freunde besser meistern könnten?“

„Wir waren niemals nur Freunde, Leyna!“

„Warum bringst du das alles jetzt zur Sprache?“, wollte sie wissen.

„Weil du in zwei Tagen einundzwanzig wirst. Man wird von dir erwarten, dass du bald heiratest. So wie man von mir seit einem Jahr erwartet, dass ich heirate. Du weißt, dass ich auf dich gewartet habe. Nur so konnte ich meine Familie vertrösten. Ich liebe dich, Leyna. Ich möchte mit dir verheiratet sein. Für mich gibt es keine andere Frau im Leben. Und ich weiß, dass wir gemeinsam stärker sein werden als jeder für sich. Oder wenn wir nur Freunde sind.“

Sie spürte, wie ihre Angst nachließ. „Falls du denkst, es kommt bei mir gut an, auf alles eine Antwort zu haben, liegst du falsch.“

„Trotzdem liebst du mich“, behauptete er.

„Auch noch selbstgefällig“, meinte sie spöttelnd.

„Aber trotzdem liebst du mich“, beharrte Xavier.

Sie lächelte. „Da du dir dessen so sicher zu sein scheinst, brauche ich es ja gar nicht zu sagen.“

„Wenn du es nicht tust, sehe ich mich gezwungen, dich ins Wasser zu werfen“, drohte er scherzhaft.

„Dann sehe ich mich gezwungen, deinen Antrag abzulehnen“, konterte sie.

„Das würdest du nicht tun!“

„Oh, du hast keine Ahnung, wozu ich fähig bin.“

„Dann zeig es mir“, forderte er sie heraus, und jetzt klang er nicht scherzend. Seine Augen funkelten.

„Schlägst du etwa vor, dass …“

Weiter kam sie nicht, denn da presste Xavier ihr die Lippen auf den Mund.

Das war nicht ihr erster Kuss. Zum ersten Mal hatten sie sich geküsst, als sie dreizehn und er vierzehn war. Genau unter der Palme, unter der sie auch jetzt standen. Damals waren sie von Neugier getrieben worden. Danach hatte es noch den einen oder anderen Kuss gegeben … aber keiner ließ sich mit dem jetzigen vergleichen.

Dieser besaß die Hitze eines Sommertages in Aidara, das Versprechen einer Leidenschaft, die seit Jahren gezügelt worden war. Leyna legte Xavier die Arme um die Mitte und presste sich an seinen herrlich festen Körper. Zum ersten Mal fühlte sie sich ganz als Frau. Nur als Frau – nicht als Tochter oder Enkelin, und schon gar nicht als Thronfolgerin.

Xavier stöhnte leise. Das liegt an mir, sagte Leyna sich, stolz auf ihre Macht über diesen wunderbaren Mann. Er hob sie hoch und drückte sie gegen den Stamm der Palme, damit er selber, zwischen ihren Beinen stehend, sich enger an sie pressen konnte. Es war ein herrliches Gefühl, seine Lippen auf ihren zu spüren, seine Zunge in ihrem Mund. Leyna gab sich diesen sinnlichen Empfindungen ganz hin.

Da sie nur einen Bikini und Xavier eine Badehose trug, traf sonnenwarme Haut auf sonnenwarme Haut, fühlten seine Muskeln sich fest unter ihren Händen an, und seine Finger glitten erregend über die Kurve ihrer Taille. Dann hob er ihren Oberschenkel an, um sich noch enger an sie zu drängen.

Ein Laut kam aus ihrer Kehle, ob zustimmend oder abwehrend, konnte Leyna nicht mal selbst sagen. Es war irgendetwas dazwischen.

Xavier hielt still, neigte den Kopf zurück und fragte. „Was stimmt denn nicht?“

„Alles okay“, flüsterte sie.

„Nein, das glaube ich nicht. Ich kenne dich zu gut. Also sag es mir, Leyna!“

„Es ist nur … ich habe … noch nie.“ Sie errötete heiß.

„Ich auch nicht.“

„Ich weiß.“ Ja, sie hätte es gewusst, wenn er jemals eine andere Frau gehabt hätte! „Aber sollen wir es jetzt machen? Hier am Strand, an eine Palme gepresst und mit unseren Leibwächtern in Rufweite?“

„Oh! Das habe ich gar nicht bedacht“, gab Xavier zu und trat einen Schritt zurück.

Sie vermisste den Kontakt augenblicklich. „Das heißt nicht, dass wir es gar nicht tun sollten. Nur hatte ich mir ausgemalt, es würde in unserer Hochzeitsnacht passieren. In einem großen Bett, umgeben von Kerzen und Rosen, mit einer Flasche Champagner im Kühler auf dem Nachttisch.“

Xavier lächelte. „Du hast es dir also ausgemalt?“

„Vielleicht.“

„Für unsere Hochzeitsnacht?“

„Ja“, gab sie zu.

„Du hast also auch schon immer gewusst, dass da mehr zwischen uns ist als reine Freundschaft!“

„Natürlich habe ich das, Xavier.“

„Jedenfalls liebst du mich.“

„Ja, das tue ich“, bestätigte sie. Und dann sagte sie es, weil ihr klar war, dass er es hören wollte. „Ich liebe dich, Xavier.“

Er zog sie wieder in die Arme und presste seine Stirn gegen ihre. „Und du wirst mich heiraten, Leyna.“

„Das werde ich“, versicherte sie ihm. „So bald wie möglich.“

„Ich denke, es könnte …“

Dann überschlugen sich die Ereignisse. Plötzlich stand ihr Adjutant Carlos da, die Leibwächter hatten sich hinter ihm postiert. Ihre Mienen spiegelten ein Gefühl, das sie nicht einordnen konnte, aber das ihr Herz vor Furcht schneller pochen ließ.

„Was ist?“, fragte Leyna und löste sich aus Xaviers Umarmung.

Carlos räusperte sich. „Es tut mir sehr leid, Sie zu stören … Majestät.“

1. KAPITEL

Zehn Jahre später.

„Ist er hier, Carlos?“

„Ich fürchte nein, Majestät.“

Zum zweiten Mal in ihrem Leben brachte Carlos ihr Nachrichten, die sie nicht hören wollte. Inzwischen war er ihr Privatsekretär, denn seit dem Tod ihres Vaters hatte sich einiges geändert. Sie war damals sozusagen von einer Sekunde auf die andere Königin geworden – und sie hatte Xavier verloren, den einzigen Mann, denn sie geliebt hatte.

Nun hörte sie also, dass König Zacchaeus von Kirtida nicht zu dem Staatsbankett erschienen war, das die Allianz der drei Inselkönigreiche festigen sollte. Das würde schwerwiegende Folgen haben.

„Carlos, suchen Sie König Xavier, und bitten Sie ihn, zu mir in die Bibliothek zu kommen.“

„Sehr wohl, Majestät.“

Nachdem ihr Sekretär den Raum verlassen hatte, öffnete sie die Balkontür und atmete tief durch. Widerstreitende Gefühle erfüllten sie.

Dann kam die Panik. Nicht dumpf wie in dem Moment, als man ihr mitgeteilt hatte, dass König Jaydon von Kirtida von seinem eigenen Sohn Zacchaeus vom Thron gestoßen worden war, sondern scharf. Sogar noch schärfer als zu dem Zeitpunkt, an dem der neue König sich geweigert hatte, die Zukunft der Allianz der drei Reiche mit ihr und Xavier zu besprechen.

Jetzt war es wirklich schlimm. Ihr wurde die Kehle eng, und ihre Hände bebten. Leyna blieben nur wenige Momente, um sich durch bewusstes Atmen zu beruhigen, so wie sie es seit ihrer Thronbesteigung gelernt hatte.

Nachdem sie sich damals mit Xavier überworfen hatte und zu allem Übel mit ansehen musste, wie ihre Mutter das Land verließ, hatte ihr gebrochenes Herz oft so wild gepocht, dass sie glaubte, es müsse explodieren.

Nun richtete sie sich kerzengerade auf, als es an der Tür klopfte. Da kam auch schon Xavier herein, und ihr wurde schwer ums Herz, wie immer, wenn sie ihn sah. Dabei war die Beziehung zwischen ihnen nur noch eine auf politischer Ebene.

Sie war trotzdem erleichtert, dass er da war.

„Zacchaeus ist nicht hier, was bedeutet, dass er seinen Platz in der Allianz der drei Inseln nicht einzunehmen gedenkt“, begann er ohne Einleitung.

„Ich würde gern glauben, dass das nicht stimmt und Kirtida noch Teil des Bündnisses ist. Aber seine Taten sprechen dagegen.“

„Ja, dass er auf unsere Bemühungen nicht eingegangen ist, ihn zu treffen und alles zu besprechen, ist vielsagend. Heute ist er also auch nicht erschienen, was seine Haltung überdeutlich macht. Jetzt wissen wir, woran wir mit ihm sind.“

„Wenn er sich aus dem Bündnis tatsächlich ausklinkt, wie sollen wir dann reagieren?“, fragte sie, wieder von Panik überfallen.

„Wir machen ihm klar, dass Aidara und Mattan noch immer zusammenhalten. Und wir lassen unsere Untertanen das ebenfalls wissen.“

„Daran besteht ja wohl kein Zweifel, Xavier. Genau deshalb bist du doch hier. Es ist der Sinn des Banketts, die guten Beziehungen unserer beiden Reiche zu demonstrieren.“

„Ja, aber das genügt nicht.“ Seine blaugrauen Augen glitzerten entschlossen.

Sie verspannte sich unwillkürlich und erkannte, dass er ebenfalls unter Spannung stand.

„An welche Maßnahme hattest du denn gedacht?“, erkundigte sie sich.

„An etwas, das keinen Zweifel lässt an der Stärke unserer Allianz.“

„Und das wäre?“

„Wir beide heiraten“, antwortete er ruhig.

Ihr wurden die Knie weich, als sie an den Tag vor zehn Jahren dachte, als Xavier ihr am Strand den Heiratsantrag gemacht hatte. Rasch wandte sie sich um und ging auf den Balkon. Verzweifelt versuchte sie, die Erinnerungen zu verdrängen.

Die waren hinterhältig und überfielen sie meist, wenn sie es absolut nicht wollte. So wie jetzt. Damals war sie von Hoffnung erfüllt gewesen. Und von Liebe. Daran durfte sie jetzt nicht denken. Sonst müsste sie ebenso daran denken, was für ein eisiger Schauder sie überkommen hatte in dem Moment, als Carlos sie mit Majestät anredete.

Sie müsste an die Tage voller Trauer denken, die verschärft wurde, als ihre Mutter sofort nach dem Begräbnis das Land verließ. Sie würde sich an die Furcht erinnern, nun allein regieren zu müssen. An die Warnungen ihrer Großmutter … und an die Verzweiflung, als ihr klar wurde, dass sie mit Xavier an der Seite tatsächlich nicht die Regentin sein konnte, die ihr Land brauchte.

Leyna benötigte einige Momente, um sich zu fassen. Als sie sich sicher war, die gefühlsgeladenen Erinnerungen verdrängt zu haben, ging sie zurück in die Bibliothek. Xaviers Miene war starr, nur ein kleiner Nerv zuckte neben dem Mund. Ein Zeichen von Zorn, wie sie erkannte.

„Wie genau soll das funktionieren?“, fragte sie nüchtern. „Wir beide verheiratet?“

„Unsere Ehe würde nicht nur Kirtida, sondern der ganzen Welt beweisen, dass unsere beiden Länder eine Union bilden. Mit vereinten militärischen Kräften könnten wir jede mögliche Bedrohung abwehren, die Kirtida möglicherweise versucht.“

„Ehen können enden“, hielt sie ruhig dagegen. „Und wir können unmöglich die Zukunft voraussehen.“

Die Ehe ihrer Eltern hatte durch plötzlichen Tod geendet. Danach hatte ihre Mutter alle Pflichten in den Wind geschlagen. Die gegenüber der Krone – und gegenüber ihrer Tochter.

Nun ja, ihre Mutter stammte nicht aus Aidara und war selber nicht aus königlichem Haus. Vielleicht hatte sie nicht hier bleiben wollen, wo ihr das Herz durch den Verlust des geliebten Manns gebrochen worden war.

Das dachte Leyna in ihren nachsichtigen Momenten. Meist folgten dann aber die kritischen Gedanken daran, dass sie im Stich gelassen worden war und den härtesten Job der Welt ohne Unterstützung ausüben musste.

„Was genau willst du mir damit sagen?“, fragte Xavier eindringlich.

„Dass Ehen nicht ewig halten. Das weißt du doch selbst sehr gut.“

„Lass Erika aus dem Spiel“, verlangte er schroff.

„Du hast sie jetzt erst ins Spiel gebracht. Ich habe von der Ehe als Institution gesprochen“, erklärte sie.

„Worauf willst du hinaus, Leyna?“

„Eine Ehe allein genügt nicht, um eine Allianz zu sichern. Speziell eine so prekäre wie unsere.“

„Was willst du denn noch? Ein gemeinsames Kind?“, fragte Xavier sarkastisch.

Ihr lag schon eine schnippische Erwiderung auf der Zunge, dann überlegte Leyna. An seinem Vorschlag ist was dran, dachte sie. Nur was es war, konnte sie nicht sofort sagen, weil sie von ungestümen Gefühlen überflutet wurde – ausgelöst durch seine Worte.

Mühsam riss sie sich zusammen. Ihr blieb ja nichts anderes übrig. Den Traum, Xavier zu heiraten und mit ihm Kinder zu haben, hatte sie vor langem aufgeben. Das machte sie traurig. Außerdem spürte sie heftiges Widerstreben dagegen, eines Tages ein Kind zu bekommen von einem Mann, der ihr Ehemann sein würde, ohne dass sie ihn liebte. Von einem Mann, den sie aus Staatsräson heiraten würde.

Dem Wohl ihres Landes hatte sie schon so viel geopfert, vor allem ihren Lebenstraum. Würde er nun doch wahr werden? Weil es ihr die Pflicht befahl?

„Nein, das ist keine Option“, sagte Xavier und riss sie damit aus den Gedanken.

„Und wenn doch?“, hakte sie nach.

„Wie könnte ein Kind die Situation mit Zacchaeus verbessern?“

„Weil es, rein sachlich betrachtet, noch mehr als eine Ehe die Allianz zwischen deinem und meinem Land stärken würde. Wenn dir oder mir etwas zustößt, werden Aidara und Mattan immer noch vom überlebenden Regenten geschützt werden, der dann ja Elternteil des Thronfolgers beider Länder ist.“

„Mattan würde Aidara immer in Schutz nehmen, wenn dir etwas passieren würde“, versicherte er ernst.

„Ja, aber ich würde ein Kind bekommen müssen, damit es einen Thronerben gibt. Das weißt du“, erinnerte sie ihn und sah ihm an, dass er ihrer Meinung war. „Für dich gilt dasselbe, auch du brauchst einen Erben für Mattan. Es wäre politisch sinnvoll, wenn dieses Kind Monarch beider Reiche werden könnte.“

Xavier strich sich durch die dunklen Haare, die von helleren Strähnen durchzogen waren. Seine goldbraune Haut, die er aufgrund seiner sowohl europäischen als auch afrikanischen Wurzeln hatte – so wie sie selber ebenfalls –, sah aus wie von der Sonne gebräunt, als hätte er sie faul bei einem Urlaub erworben. Dabei arbeitete er so hart für sein Land!

Er ist mit jedem Zoll ein König, fand Leyna. Ein König mit echter Autorität, kompromisslos und mächtig. Nur sie hatte seine andere Seite kennengelernt, als sie aufgewachsen waren: den leichtherzigen, gelassenen Mann, der sich am Strand mit ihr zusammen entspannte und Hand in Hand mit ihr durch die Gärten schlenderte.

Diesen Xavier hatte sie schon lange nicht mehr erlebt, und das kam ihr wie eine Strafe vor. Auch ihr gegenüber verhielt er sich wie ein König. Mit Autorität, kompromisslos und distanziert. Das konnte sie ihm nicht verübeln, oder?

„Lass mich zusammenfassen, was du gesagt hast, und feststellen, ob ich dich richtig verstanden habe, Leyna“, sagte er. „Du meinst, eine Heirat allein wäre nicht genug, um die Allianz zu stärken, weil ja dir oder mir etwas zustoßen könnte. Deshalb willst du ein Kind, das Erbe beider Reiche sein wird und somit beiden Ländern Schutz sichert.“

„Ja, genau. Und du brauchst gar nicht so abfällig über die Möglichkeit zu sprechen, dass uns etwas passieren könnte. Wir beide haben erlebt, dass Menschen, die wir geliebt haben, viel zu früh gestorben sind. Ein Kind wäre also ein unmissverständliches Zeichen an Kirtida, dass unsere Allianz stark ist und Bestand hat.“

„Ja, damit magst du recht haben, aber es gibt da ein kleines Problem.“

„Und das ist?“

„Ich kann dir kein Kind schenken.“

2. KAPITEL

Xavier sah, wie schockiert Leyna war, bevor sie ihre Gefühle sozusagen hinter einem Vorhang verbarg. Das tat sie seit einiger Zeit ihm gegenüber mit allen Empfindungen. Früher hingegen hatte er in ihr lesen können wie in einem offenen Buch.

„Was heißt das?“, hakte sie nach.

Er brachte es nicht über sich, ihr klipp und klar zu sagen, dass er zeugungsunfähig war. Allein schon, dass er es angedeutet hatte, bewies ihm, wie sehr sie ihn aus dem inneren Gleichgewicht brachte.

„Es heißt, dass dein perfekter Plan Risse aufweist“, erklärte Xavier. „Der ja auch ziemlich weit hergeholt ist.“

„Wer hat denn zuerst vom Heiraten gesprochen?“, konterte sie hitzig. „Und ja, ein Kind wäre eine extreme Maßnahme, aber unsere Lage ist doch auch ziemlich prekär, oder nicht?“

„Richtig. Und wie würden wir das Kind zeugen?“, fragte er, um sie weiter zu reizen. „Soll ich nach dem Fest bleiben, damit wir uns wieder miteinander … vertraut machen?“

Er hasste selber, wie bitter er klang. Schlimmer noch, diese Bitterkeit ließ ihn vulgär werden! Er sah, wie Leyna bleich wurde, und war zugleich zufrieden und beschämt.

Ihr momentan blasser Teint ließ ihre goldbraunen Haare und die grünen Augen noch umwerfender wirken. Ihr goldfarbenes Kleid, das sich eng an ihre verlockenden Kurven schmiegte, ließ ihn vergessen, dass sie nicht nur Frau war, sondern auch Königin.

Nein, sie war nicht mehr die zarte Prinzessin von früher. Ihr Gesicht hatte noch immer die feinen Züge, und da waren immer noch einige Sommersprossen auf ihrem schmalen Nasenrücken, aber das Mädchen, das mit ihm am Strand und im Meer gelacht und das er gebeten hatte, seine Frau zu werden, war verschwunden.

Die Frau vor ihm verriet mit ihrem Blick, dass sie die raue Wirklichkeit kannte. Es tat ihm weh, das zu sehen. In den letzten zehn Jahren hatte sie viel durchgemacht und war reifer geworden. Jetzt besaß sie Macht und Autorität.

Leyna hatte sich verändert.

Aber er auch.

„Ich weiß, dass du mich provozieren willst, aber es wird dir nicht gelingen“, informierte sie ihn kühl.

„Ach nein?“ Xavier ging einen Schritt auf sie zu.

Ihre Augen wurden dunkel, und er hielt den Atem an. Wie hatte er es damals geliebt, in diese Augen zu blicken! Sie hatten ihm alles verraten, was er wissen musste. Er hatte so viele Erinnerungen. Da war der Tag, an dem er Leyna gebeten hatte, ihn zu heiraten … und an dem sie Ja gesagt hatte.

Damals hatten ihre Augen geglänzt vor Liebe, Sehnsucht und Verlangen. Ja, sie hatte ihn, Xavier von Mattan, genauso begehrt wie er sie, war aber auch unsicher und ängstlich gewesen. Das hatte er deutlich gespürt.

Nun sah er wieder diese Empfindungen in ihren Augen und fragte sich, ob diese denselben Grund hatten wie damals.

Ist es, weil sie noch mit keinem Mann zusammen war?

Der Gedanke weckte Emotionen in ihm, über die er nicht näher nachdenken wollte. Eins konnte er allerdings nicht übersehen oder verdrängen: die Tatsache, dass er sie noch immer begehrte.

Die Erkenntnis schockierte ihn so sehr, dass er einen Schritt zurücktrat.

„Nein, ich lasse mich von dir nicht provozieren“, bekräftigte sie, wobei sie leicht außer Atem klang. „Es geht hier um die Sicherheit unserer Königreiche. Oder hast du das mittlerweile vergessen?“

Sie hat recht, dachte Xavier. Er musste an sein Reich denken. Das bedeutete, er musste zugeben, dass ihr Plan durchaus Vorzüge hatte. Emotionslos betrachtet war es einleuchtend, dass ein gemeinsamer Thronerbe die Union der beiden Länder stärker und sicherer machen würde. Zum Nutzen beider Königreiche.

Seine Familie wäre sicher auch einverstanden. Früher hatten sie seine Beziehung zu Leyna als jugendliche Schwärmerei angesehen, dabei aber nicht leugnen können, wie vorteilhaft eine Verbindung von ihnen beiden gewesen wäre. In dem Moment, als klar wurde, dass aus einer Ehe nichts werden würde, hatten sie ihm befohlen, sich Leyna aus dem Kopf zu schlagen und stattdessen an sein Land zu denken.

Da jetzt sein einziger Beweggrund, sich mit ihr einzulassen, die Sicherheit Mattans war, würden seine Angehörigen zustimmen. Ja, die Verbindung mit Leyna war womöglich die einzige Option, da Zacchaeus – mit dem sie aufgewachsen waren – sich plötzlich und grundlegend verwandelt hatte.

Ich muss Leyna also mein Zeugungsproblem gestehen, sagte Xavier sich. Um sich Mut zu machen, ging er zum Barschrank und goss zwei Gläser mit Cognac ein. Eines brachte er Leyna, dann leerte er seins in einem Zug. Gern hätte er sich ein zweites gegönnt, aber das wäre nicht ratsam gewesen.

„Ich kann keine Kinder haben“, begann er und stellte das Glas auf einem Beistelltisch ab.

„Oh, das tut mir leid, Xavier“, sagte sie leise. „Woher weißt du es?“

„Ich war schließlich verheiratet“, erinnerte er sie. „Erika und ich wollten Kinder haben, aber es hat einfach nicht geklappt.“

„Das muss schlimm gewesen sein. Für euch beide.“

Ja, da hatte sie recht! Vor allem Erika war am Boden zerstört gewesen von dem fruchtlosen Bemühen. Als dann festgestellt wurde, dass es keinen medizinischen Grund für das Versagen gab – weder bei ihm noch bei ihr –, war sie zornig geworden.

Damals hatte sie längst erkannt, dass es nicht so reizvoll war, mit einem König verheiratet zu sein, wie sie es sich vorgestellt hatte. Die Wirklichkeit forderte mehr von ihr, als sie gewollt hatte.

Er wusste, dass nur die Aussicht auf ein Kind sie als Königin an seiner Seite gehalten hatte. Als sie nicht Mutter wurde, hatte sie sich immer mehr von den Pflichten abgewandt und sich zurückgezogen.

Xavier hatte deswegen Schuldgefühle. Es war zwar nicht medizinisch erwiesen, dass er für die Kinderlosigkeit verantwortlich war, aber bestimmt lag es an ihm!

„Warum kannst du keine Kinder haben?“, wollte Leyna wissen.

„Na ja, wir haben es versucht, und es hat nicht funktioniert.“

„Das hast du schon gesagt. Aber das muss ja nicht unbedingt heißen, dass du zeugungsunfähig bist. Es könnte …“

„Es war nicht Erikas Schuld“, fiel er ihr scharf ins Wort.

„Das wollte ich auch nicht andeuten. Es gibt auch so etwas wie unerklärliche Unfruchtbarkeit“, meinte sie.

Das hatten die Spezialisten Erika und ihm auch erklärt, aber es hatte ihm als Begründung nicht genügt. Auch Erika war damit nicht zufrieden gewesen. Also hatte er schließlich die Schuld an dem Versagen auf sich genommen.

„Es gibt also keinen medizinischen Grund, warum du keine Kinder zeugen kannst?“, hakte Leyna nach.

„Richtig“, bestätigte Xavier kurz angebunden.

„Dann haben wir doch eine Chance“, stellte sie fest.

„Ich muss damals vor zehn Jahren völlig übersehen haben, wie gefühllos du sein kannst“, erwiderte er kühl.

Sie zuckte zusammen, aber ihre Stimme blieb ruhig. „Uns als Monarchen ist es nicht immer gestattet, etwas zu fühlen.“

„Aha, wir sollen also unser Kind ohne Gefühle zeugen?“

„Warum nicht?“

„Bestimmte Gefühle sind dabei unumgänglich, meine liebe Leyna.“

„Ja … wenn man es auf natürlichem Weg machen will“, hielt sie dagegen. „Aber da es bei uns um einen Vertrag geht, bin ich dafür, andere Möglichkeiten in Betracht ziehen.“

Erleichterung und Enttäuschung erfüllten ihn jetzt zu gleichen Teilen. „Du meinst künstliche Befruchtung?“

„Oder notfalls In-vitro-Fertilisation, also ein Retortenbaby.“

„Das würde länger dauern, und so viel Zeit haben wir nicht“, wandte er ein.

„Deshalb sollten wir es so schnell wie möglich hinter uns bringen.“

Mit jedem ihrer Worte wurde sein Herz schwerer. Er wusste, dass sie recht hatte, brachte es aber nicht über sich, ihr zuzustimmen. Wenn Leyna tatsächlich schwanger wurde, würde er sich fühlen, als hätte er Erika verraten. Denn er würde das Leben führen, das er sich immer gewünscht hatte – aber ohne sie.

Mit solchen Schuldgefühlen wollte er nicht leben!

„Findest du nicht auch, dass wir uns beeilen sollten, Xavier?“

Die Frage riss ihn aus den trüben Gedanken. „Ich? Macht das denn einen Unterschied? Wie es aussieht, hast du doch inzwischen alles sorgfältig geplant.“

„Sorgfältig?“, wiederholte sie ungläubig. „Das ist die am wenigsten sorgfältige Planung meines ganzen Lebens! Oder glaubst du etwa, ich möchte mit dir verheiratet sein und dein Kind bekommen?“

„Also, wenn es eine solche Bürde ist, dann …“

„Stopp!“, unterbrach sie ihn wütend. „Unser ganzes Leben ist voller Bürden und Verantwortung. Die Pflicht kommt stets zuerst, Xavier. Das war schon immer so und wird immer so bleiben. Mein Plan wird uns beiden Opfer abverlangen, ja. Das wird nicht angenehm. Tatsächlich bin ich mir ziemlich sicher, dass es mich zerstören wird.“

Sie wandte sich ab. Xavier war über diesen spontanen Gefühlsausbruch überrascht, obwohl er sich insgeheim gewünscht hatte, Leynas Fassade aus Zurückhaltung und Kühle würde zu bröckeln beginnen.

Jetzt wusste er nicht, wie er sie verstehen sollte. Wodurch genau würde sie zerstört werden? Durch die Zusammenarbeit mit ihm? Durch die Ehe mit ihm? Dadurch, sein Kind zu bekommen? Oder war es etwas anderes?

War sie genauso betroffen wie er von der Aussicht, dass sie das Leben führen würden, das sie sich früher gewünscht hatten? Nur diesmal eben aus Staatsräson, also waren die Umstände ganz andere. Das würde ihr Leben unendlich komplizierter machen.

Diese Gedanken brachten ihn schier zur Verzweiflung. „Vielleicht gibt es doch eine einfachere Lösung“, meinte er hoffnungsvoll.

„Nein, für uns nicht.“ Sie wandte sich ihm wieder zu.

„Ja, Pflichterfüllung ist nie einfach.“

„Richtig“, stimmte Leyna ruhig zu. „Für uns beide schon gar nicht. Nach allem, was damals war …“

Zum ersten Mal spielte sie auf ihre gemeinsame Vergangenheit an. Er war sich nicht sicher, wie er darauf reagieren sollte, also sagte er lieber nichts.

Schweigen breitete sich aus, und die Spannung zwischen ihnen wurde immer stärker, bis sie sich fast greifbar anfühlte.

Am liebsten hätte er Leyna gefragt, warum sie ihm das Herz gebrochen hatte. Warum sie die Bande zwischen ihnen beiden zerrissen hatte. Es hatte ihn am Boden zerstört, und das für lange Zeit. Tatsächlich war er immer noch dabei gewesen, die Scherben einzusammeln, als er schon mit Erika verheiratet gewesen war. Das hatte seiner Ehe die ersten Risse zugefügt, an denen Erika und er letztlich auch zerbrochen waren.

„Nun gut, wir können noch ein letztes Mal versuchen, ein Treffen mit Zacchaeus zu arrangieren“, schlug Leyna schließlich vor.

„Das wird nicht funktionieren, wie du weißt.“

„In dem Fall wenden wir Plan B an.“

„Heirat und ein Kind?“, fragte Xavier, um ganz sicher zu gehen.

„Heirat und ein Kind“, bekräftigte sie. „Und jetzt sollten wir zu den anderen zurück, bevor sie uns vermissen.“

Sie stellte ihr Glas ab, aus dem sie nicht einen Tropfen getrunken hatte, und verließ rasch die Bibliothek.

3. KAPITEL

Leyna stürmte aus dem Raum, bevor sie etwas sagte, was sie bedauern würde.

Sie bedauerte auch so schon einen zu großen Teil des Gesprächs. Ihr Gefühlsausbruch hatte sie an die Person erinnert, die sie früher einmal gewesen war. Doch diese von Gefühlen gelenkte Leyna existierte seit langem nicht mehr. Nun wurde sie zwangsläufig von Logik und Vernunft geleitet. Und den Bedürfnissen ihres Königsreichs.

Sie fürchtete sich vor dem, was mit ihr passieren würde, wenn sie es nicht tat.

Ihr Herz geriet aus dem Takt und tat weh. Sie schloss die Augen und gönnte sich einen Moment Ruhe, dann straffte sie die Schultern und begab sich in den Bankettsaal.

Die Pflicht rief.

Jedes Jahr richtete eins der drei Königreiche, die in der sogenannten „Allianz der drei Inseln“ verbunden waren, ein Staatsbankett aus, um ihre außenpolitischen Bindungen an andere Länder zu festigen. An diesem Abend waren dreißig Würdenträger erschienen, viele von ihnen vom benachbarten afrikanischen Kontinent. Die anderen waren Europäer, zu Ehren der drei Briten, die gemeinsam mit ihren afrikanischen Frauen Ende des achtzehnten Jahrhunderts die Inseln entdeckt und die drei Königreiche gegründet hatten.

Leyna machte die Runde unter den Gästen, plauderte mit dem spanischen König, wechselte einige Worte mit dem König von Swasiland und widmete sich dann der Delegation aus Südafrika.

Bevor sich alle zum Essen setzten, wandte sie sich mit einem Problem an Xavier.

„Wenn der leer bleibt“, sie deutete auf den leeren Platz, der am Kopfende des Tischs für Zacchaeus vorgesehen gewesen war, „ist sein Nichterscheinen noch auffälliger. Meine Großmutter ist nicht im Land“, erklärte sie. „Kannst du jemanden von deiner Familie bitten?“

„Ja, meine Großmutter“, antwortete Xavier sofort. „Ich hole sie.“

Er ließ sie stehen und kam kurz darauf mit einer älteren Frau zurück, die beneidenswert elegant und anmutig war.

Nein, Neid ist kein schöner Charakterzug, weder für eine Königin noch für eine normale Frau, sagte Leyna sich und machte einen formvollendeten Hofknicks.

„Ersparen wir uns die Formalitäten, Leyna“, meinte Xaviers Großmutter und küsste sie auf die Wangen. „Ich finde, wir sollten uns ab jetzt duzen. Wie du weißt, heiße ich Paulina. Und wage es ja nicht, mein Angebot abzulehnen“, fügte sie gespielt streng hinzu.

„Wie du willst, Paulina“, erwiderte Leyna fügsam.

Nun nahmen die Gäste Platz, und sofort erhob sich erneut ein fröhlich klingendes Stimmengewirr.

„Ich hatte gehofft, den neuen König von Kirtida heute hier zu sehen“, bemerkte Paulina kritisch.

„Ich auch“, stimmte Leyna zu.

„Wir hätten mit dieser chaotischen Lage rechnen müssen. Dieser Junge war mir noch nie geheuer. Er hat so einen seltsamen Blick“, fand die alte Dame.

Dazu wusste Leyna nichts zu sagen, und Paulina wandte sich ihrem anderen Sitznachbarn zu.

Ich habe das gegenwärtige Chaos nicht vorhergesehen, tadelte Leyna sich im Stillen. Aber war sie deswegen eine schlechte Königin? Nein!

Sie lebte mit der ständigen Angst, nicht zu genügen. Egal, wie hart sie arbeitete. Und das hatte sie vom ersten Moment an getan, nachdem ihr Vater so unerwartet verstorben war. Sie hatte das Vertrauen des Volks erringen und beweisen müssen, dass sie sich trotz ihrer erst einundzwanzig Jahre zur Herrscherin eignete.

Das hatte all ihre Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Kein Wunder, dass sie sich Xavier nicht mehr hatte widmen können. Sie hatte mit ihm gebrochen, sobald ihr klar geworden war, wie viel Mühen vor ihr lagen. Sie durfte sich nicht ablenken lassen.

Es hatte ihr sehr wehgetan, ihn wegzuschicken. Besonders geschmerzt hatte sie, dass seine Krone ihn nicht davon abhielt, ein Liebesleben zu genießen.

Mit einer anderen Frau …

Leyna kämpfte gegen die Gefühle des Zorns, der Eifersucht und der Einsamkeit an, die sie, wie jeden Tag aufs Neue, zu überfallen drohten.

Nach dem Bankett führte sie ihre illustren Gäste in den weniger überwältigend ausgestatteten Staatssaal, wo nun Reden und gegenseitiges Überreichen von Geschenken auf dem Programm standen. Sie stand bei der Abordnung aus Mattan, die neben Xavier und seiner Großmutter auch seine jüngere Schwester Nalini umfasste.

Leyna lächelte ununterbrochen, weil sie wusste, dass sie von allen beobachtet wurde. Beobachtet – und beurteilt. Ihr war klar, dass alle sich fragten, wo denn ihre Großmutter blieb, das einzig andere Mitglied der königlichen Familie Aidaras.

Die befand sich auf einer diplomatischen Reise in Südafrika … seit sie Leyna den bisher letzten einer langen Reihe von passenden Bewerbern vorgeschlagen hatte und der wieder einmal abgelehnt worden war.

Natürlich war auch die Abwesenheit des Königs Zacchaeus von Kirtida ein Grund für Spekulationen. Leyna hatte alles getan, um die Besorgnis unter ihren Gästen zu beschwichtigen, aber das würde die Gerüchte nicht zum Verstummen bringen.

Nun trat Xavier ans Mikrofon, um seine Rede als Vertreter der Allianz der drei Inseln zu halten. Er besaß viel natürliche Autorität, und seine Präsenz verlangte Aufmerksamkeit. Niemand, der ihn so selbstsicher wie heute erlebte, hätte sich vorstellen können, dass er sie einmal vor vielen Jahren angefleht hatte, ihn nicht zu verlassen.

„Man würde nie ahnen, wie gebrochen er ist, oder?“, fragte Nalini, als hätte sie ihre Gedanken gelesen.

„Wie meinst du das?“, fragte Leyna.

„Was siehst du, wenn du meinen Bruder anguckst?“

Leyna blickte zu ihm, bewundernswert muskulös in der Galauniform, mit einem offenen und respektheischenden Ausdruck auf dem gutgeschnittenen Gesicht. Ihr Herz pochte schneller, und sie wurde rot.

„Ich sehe einen König“, antwortete sie.

„Ja, als den sieht er sich auch, glaube ich“, meinte Nalini nachdenklich. „Und nur als König. Den Mann hat er irgendwo sozusagen am Wegesrand zurückgelassen. Vermutlich zu der Zeit, als er die Frau verlor, die er liebte.“

„Ich mag mir gar nicht vorstellen, was er durchgemacht hat, als Erika starb“, sagte Leyna mitfühlend. „Einen geliebten Menschen zu verlieren ist so schlimm.“

„Ja, Erikas Tod war hart für Xavier“, stimmte Nalini zu. „Aber ich habe gerade dich mit der geliebten Frau gemeint.“

Nach einer langen Pause erwiderte Leyna: „Ich glaube nicht, dass du recht hast.“

„Oh doch! Es wurde alles schlimmer mit ihm nach Erikas Tod, aber mit dir hat es angefangen. Seine Ehe war nicht einfach. Vor allem nicht, als sich die beiden vergeblich um ein Kind bemühten. Das war eine Last für Xavier, und Erika verstand es nicht, ihm einen Teil davon abzunehmen. Trotzdem, er hat seine Frau geliebt und war wie vernichtet, als sie so unvermutet starb. Aber das ist jetzt drei Jahre her!“

„Warum erzählst du mir das alles, Nalini?“

„Nicht um dich aufzuregen“, versicherte die Jüngere rasch. „Tut mir leid, wenn ich das trotzdem geschafft habe. Ich hatte gehofft, du könntest ihm helfen.“

„Wie sollte ich das tun?“

„Indem du ihn daran erinnerst, wie er früher einmal war. Dass er ein Mann war, der nicht nur regiert, sondern auch gelebt hat.“

Leyna hatte gar nicht mitbekommen, dass er inzwischen mit seiner Rede fertig war. Ihr Herz pochte wie rasend, als er zu ihr und seiner Schwester kam.

„Bitte, versuch es“, flüsterte Nalini noch.

Leyna blieb keine Zeit mehr für eine Antwort.

„Deine Rede war gar nicht so schrecklich langweilig“, lobte Nalini ihren Bruder munter.

„Oh, vielen lieben Dank“, erwiderte Xavier sarkastisch.

„Ja, sie war ausgezeichnet“, warf Leyna ein. „Ich hoffe, meine wird nächstes Jahr auch so gut, wenn das Bankett in Mattan stattfindet. Jetzt entschuldigt mich bitte, ich glaube, Carlos will etwas von mir“, bat sie und ließ die Geschwister stehen.

Dann ging sie so energisch zu ihrem Sekretär, als hätte sie tatsächlich etwas mit ihm zu besprechen.

„Euer Majestät“, sagte er und salutierte.

„Entspannen Sie sich, Carlos, ich brauche nichts weiter von Ihnen als Rückendeckung. Sagen Sie jedem, der nach mir fragt, ich wäre bei einem Vieraugengespräch. Ich bleibe nicht lange weg.“

Carlos nickte, und sie verließ den Saal.

Durch Geheimgänge und einen Tunnel ging Leyna an den Privatstrand des Palastes. Dort zog sie die Schuhe aus und schritt barfuß bis zum Rand des Wassers. Eine Weile lang stand sie da, atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen.

Der Strand rief so viele Erinnerungen in ihr wach. Die waren jetzt von Traurigkeit überlagert, trotzdem war das hier immer noch der Ort, an den sie kam, um inneren Frieden und inneres Gleichgewicht zu finden.

Die brauchte sie jetzt dringend, denn von dem, was Nalini ihr mitgeteilt hatte, schwirrte ihr förmlich der Kopf.

Dass Xavier keine glückliche Ehe geführt hatte, tat ihr leid. Sie hatte sich betrogen gefühlt, als er damals so schnell eine andere gefunden hatte, aber sie hatte nie gewollt, dass er unglücklich wäre. Sie hatte ihm ein erfülltes, zufriedenes Leben gewünscht. Auch ohne sie.

Zumindest hatte sie sich das bisher eingeredet. Nun erkannte sie, was sie wirklich für ihn wollte: ein glückliches und zufriedenes Leben – ja. Aber mit ihr zusammen!

Was für ein selbstsüchtiger Mensch ich bin, tadelte sie sich.

Und nun planten sie tatsächlich eine Hochzeit und ein Kind! Sie hatte diesem Vorschlag rasch zugestimmt, ohne genauer nachzudenken, wie viel sie das kosten würde.

Sie hatte nach dem Tod ihres Vaters hart für das Wohlergehen ihres Reichs gearbeitet und persönliche Opfer gebracht. Vor allem, indem sie sich von Xavier trennte.

Damit hatte sie ihre Gefühle sozusagen abgetötet, und ihr war nur noch die Pflicht geblieben.

Sie hatte alle Bewerber abgelehnt, die ihre Großmutter ihr präsentiert hatte, und auch keine eigenen gesucht. Alle Emotionen, die zum Regieren nicht nötig waren, hatte sie verdrängt. Und die kamen nun zurückgeflutet, da die Möglichkeit einer Zukunft mit Xavier im Raum stand.

Leyna konnte sich gut vorstellen, mit seinem Kind schwanger zu sein. Konnte sich vorstellen, wie es sich in ihr bewegen würde und was es für ein Gefühl sein mochte, ihr Baby zum ersten Mal im Arm zu halten – ein Baby mit ihren braunen Haaren und Xaviers grauen Augen. Und seinem Lachen, das so …

„Du kannst deine Gäste nicht einfach so im Stich lassen, Leyna!“

Beim Klang von Xaviers Stimme wirbelte sie herum und sah ihn auf sich zukommen. Er hatte ebenfalls die Schuhe ausgezogen, was zu der Galauniform seltsam aussah.

„Ich brauche eine Auszeit“, erklärte sie. „Um nachzudenken.“

„Worüber?“

Sie lachte rau. „Was denkst du denn?“

„Ich denke, du musst der Pflicht gehorchen. Das bedeutet Ehe. Und ein Kind“, erklärte er.

„Leichter gesagt als getan“, konterte sie.

„Ja, das ist das unlösbare Rätsel der Pflicht“, sagte er mysteriös.

„Wie hat die Pflicht denn dein Leben verändert? Wie hat sie dein Leben bestimmt?“

„Willst du das wirklich wissen, Leyna?“

Sie sah ihn an, und längst vergessene Sehnsucht durchströmte sie, als sie daran dachte, dass sie jetzt an ihrem gemeinsamen geheimen Ort waren. Xavier hatte sie deshalb finden können, weil er wusste, dass sie hierherkam, um nachzudenken. Hier hatte er sie schon unzählige Male gefunden.

Die Wellen schlugen rhythmisch und sanft an den Strand, wie eine leise Hintergrundmusik, und der sternenübersäte Himmel war eine romantische Kulisse.

Zu romantisch!

„Ja, ich will es wissen“, beantwortete sie Xaviers Frage. „Erzähl es mir.“

„Du zuerst“, konterte er.

„Was soll das? Zeig mir deins, dann zeig ich dir meins? Wir sind keine Kinder mehr!“

„Nein, das nicht.“ Er kam näher, und nun pochte ihr Herz zum Zerspringen. „Aber etwas sagt mir, dass deine Erfahrungen der Grund für meine sind.“

4. KAPITEL

„Du glaubst wohl wieder mal, alle Antworten zu kennen“, bemerkte Leyna rau.

„Nicht alle“, erwiderte Xavier. „Nur diese eine.“

Er wusste, dass er mit dem Feuer spielte. Hier an diesem Strand, mit Leyna, die auf ihn eine unwiderstehliche Anziehung ausübte, ohne es darauf anzulegen … Ja, da würde er sich wieder verbrennen. Dabei schmerzten die Narben vom letzten Mal noch.

Und obwohl er das alles wusste, konnte er nicht zurück.

„Ich habe viele Entscheidungen aus Pflichtgefühl getroffen“, sagte sie leise. „Zu viele. So viele, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann.“

„Dann fang mit der Nacht an, als du mir gesagt hast, du könntest dein Leben nicht mit mir teilen. Du hättest deine Zuneigung zu mir als deinem Freund mit echter Liebe verwechselt.“ Zorn flammte in Xavier auf, und er machte einen großen Schritt, dann legte er die Arme um Leyna. „Ich habe dich damals angefleht, mir zu sagen, was dich bedrückte. Ich wollte dir helfen, es zu überwinden, was immer es war.“

„Ich habe dir die Wahrheit gesagt.“ Ihre Stimme bebte. „Ich hatte mich eine Weile in meinen Gefühlen getäuscht. Es war nie mehr als freundschaftliche Zuneigung. Es konnte nie mehr sein.“

„Ach, wirklich nicht?“ Er neigte den Kopf so, dass ihre Lippen sich beinahe berührten. „Welche königliche Pflicht hat dich zu der Entscheidung gedrängt, mich fallen zu lassen?“

„Hör auf!“, rief sie und versuchte, Abstand zwischen ihnen zu schaffen.

Er ließ es nicht zu.

„Xavier, lass mich los!“, forderte sie kalt.

Nun verschanzte sie sich also wieder hinter ihrer Fassade, hinter ihrem Schutzschild aus kühler Distanziertheit. Er ließ sie los und steckte die Hände in die Hosentaschen. Als er merkte, dass seine Finger zitterten, ballte er die Fäuste und trat einige Schritte zurück.

Leyna brachte ihn noch um den Verstand! Sie ließ ihn seine Haltung vergessen, seine Selbstbeherrschung. Und wenn er die aufgab, was hinderte ihn dann noch, da weiterzumachen, wo sie vor zehn Jahren aufgehört hatten?

Es war diese Diskussion über Ehe und Kinder, die ihn die dazwischen liegenden Jahre hatte vergessen lassen. Nun hörte er förmlich Erikas Stimme, die ihn spöttisch fragte, ob sie, seine verstorbene Ehefrau, so leicht zu vergessen wäre. Und die ihm vorhielt, dass er ja nun bekam, was er sich schon immer gewünscht hatte.

Das war ein ständiger Streitpunkt zwischen ihnen gewesen. Egal, wie oft er Erika versichert hatte, dass für ihn ihre Ehe zählte und dass Leyna keine Rolle mehr für ihn spielte, der Streit war immer wieder aufgeflammt. Tatsächlich hatte er immer wieder an Leyna gedacht, trotz all seiner Bemühungen es nicht zu tun.

Erika hatte mehr verdient als das! Sie hatte nicht verdient, ständig mit einer anderen Frau verglichen zu werden – wenn auch nur im Stillen. Er wusste doch am besten, wie schrecklich es sich anfühlte, immerzu an einem anderen Menschen gemessen zu werden, der einen nahezu unerreichbaren Standard vorgab. So wie sein Vater für ihn …

Ja, seine Frau hatte mehr verdient – mehr, als er ihr zu Lebzeiten hatte geben können. Jetzt konnte er versuchen, es bis zu einem gewissen Grad wiedergutzumachen, indem er Erikas Andenken ehrte und die Beziehung zu Leyna auf einer völlig sachlichen Ebene hielt.

Es ging nicht um sein persönliches Glück, es ging um sein Königreich!

Als Leyna damals mit ihm gebrochen hatte, war er so am Boden zerstört gewesen, dass er seinen Verpflichtungen nicht hatte nachkommen können. Da hatte sein Vater ihn zu sich gerufen und ihm, zugleich liebevoll und streng, ins Gewissen geredet.

„Denke immer zuerst an dein Reich“, hatte der Auftrag gelautet.

Das muss ich nun wieder beherzigen und Leyna auf Distanz halten, ermahnte Xavier sich. Das konnte er schaffen. Er musste es.

„Wir sollten in den Palast zurückgehen“, meinte Leyna nun kühl.

„Richtig.“ Gemeinsam gingen sie den Strand entlang. „Wir müssen aber noch genauer über unseren Plan reden.“

„Ja, das finde ich auch. Wir können uns morgen wieder hier treffen und die Einzelheiten besprechen, wenn dir das recht ist.“ Kurz schüttelte sie ungläubig den Kopf. „Tun wir das tatsächlich? Heiraten und ein Kind bekommen?“

„Wir müssen. Um unserer Königreiche willen.“

Ja, sie mussten ihre Gefühle außen vor lassen und sich auf den Schutz ihrer Untertanen konzentrieren.

Leyna straffte die Schultern, und ein Ausdruck von Entschlossenheit lag auf ihrem schönen Gesicht. „Um unserer Königreiche willen“, wiederholte sie mit fester Stimme.

Xavier betrat die Dachterrasse des Palastes von Aidara. Er war verärgert, dass Leyna dort war, wo sie doch in der Bibliothek hätte sein sollen, um das Treffen vorzubereiten. So hatten sie es am Vorabend schließlich ausgemacht!

Allerdings, wenn er es genau überlegte, war die Dachterrasse für die Besprechung noch besser geeignet. Hier waren sie wirklich ungestört.

In der Mitte der Terrasse war ein runder Tisch gedeckt, wie zu einem intimen Dinner. Mit einem roten Blumengesteck und einem Eiskübel mit gekühltem Champagner. In jeder Ecke der Terrasse stand ein großer Topf mit einem Lorbeerbaum und bunt blühenden Sommerblumen.

Leyna, die am Tisch wartete, trug ein schlichtes weißes Kleid mit V-Ausschnitt, das ihr bis zu den Knöcheln reichte. Es war absolut respektabel … oder wäre es an einer anderen Frau gewesen, fand Xavier.

An ihr sah es aus, als würde es nur darauf warten, von jemandem – nein, von ihm – hastig abgestreift und beiseitegeworfen zu werden, damit er die Hände über die verlockenden Kurven gleiten lassen könnte, während er seine Lippen auf ihren Mund presste und der Kuss immer tiefer und leidenschaftlicher wurde.

Würde sie noch so süß schmecken wie damals als Dreizehnjährige, als er sie zum ersten Mal geküsst hatte? Würde sie noch so verführerisch sein wie an dem Tag, als er ihr den Heiratsantrag gemacht und sie Ja gesagt hatte?

Xavier ballte die Fäuste und wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Es war ein vergeblicher Versuch, sich von seinen Erinnerungen zu distanzieren. Von der Anziehung, die Leyna auf ihn ausübte. Von dem verzehrenden Begehren, das ihn erfüllte, wenn er sie sah, und das ihn zu verleiten drohte, ein Kind mit ihr auf ganz natürliche Weise zu zeugen.

Dabei hatte er gute Gründe, nein, die besten Gründe, Leyna nicht zu begehren. Sie hatte ihm das Herz gebrochen und war auf den Bruchstücken herumgetrampelt, damals, als sie ihn aus ihrem Leben verbannt hatte. Er hatte sich geschworen, ihr zu widerstehen. Im eigenen Interesse, und um Erikas Andenken willen.

Aber die besten Gründe waren chancenlos gegenüber dem Verlangen, das ihn erfüllte. Leyna war genauso fesselnd und atemberaubend wie damals, als er sich in sie verliebt hatte.

Zum Teufel mit ihr!

„Was soll das hier?“, fragte Xavier scharf, ohne zu grüßen.

„Es ist wichtig, dass unsere Untertanen von der Echtheit unserer Beziehung überzeugt sind, Xavier“, erklärte sie gelassen. „Deshalb wird in einer halben Stunde ein Hubschrauber über den Palast fliegen, mit einem Fotografen an Bord, der Bilder von unserem Rendezvous macht. Die werden mitsamt einem Artikel erscheinen, in dem angedeutet wird, dass wir uns schon seit einem Monat heimlich treffen.“

Ein raffinierter Plan, dachte er, sagte es aber nicht. „Du glaubst, ein Monat würde genügen?“

„Man hat uns in der Presse schon immer zusammengespannt, auch als wir es nicht waren“, meinte sie und zuckte anmutig die Schultern. „Wenn es heißt, unsere Liaison würde seit einem Monat bestehen, glaubt ohnehin jeder, es wäre länger. Ich denke, es wird funktionieren.“

Er nickte und wies auf den Tisch. „Es gibt also ein Dinner für zwei?“

„Ja.“ Sie gab dem Diener, der nun erschien, einen Wink. „Inzwischen können wir uns setzen.“

Xavier rückte ihr den Stuhl zurecht, dann nahm er selbst am Tisch Platz.

„Wir müssen uns auf Regeln einigen“, begann Leyna. „Für unsere Ehe und unsere Elternschaft.“

„Ja, schon, aber wann werden wir heiraten?“, wollte er wissen. „Wann wollen wir das Kind haben? Soll es eine große, glamouröse Hochzeit werden? Werden wir künstliche Befruchtung oder sogar die Reagenzglasmethode anwenden? Und was werden wir dann bezüglich Zacchaeus unternehmen?“

„Also gut, die Einzelheiten zuerst. Davor möchte ich aber noch erwähnen, dass ich heute schon versucht habe, Kontakt mit Zacchaeus aufzunehmen und ihn zum Einlenken zu bewegen.“

„Ich auch“, informierte Xavier sie.

Kurz verzog sie die Lippen. „Ja, große Geister denken gleich! Du hast vermutlich dieselbe Antwort wie ich bekommen.“

„Gar keine?“

„Richtig. Wir haben also versucht, die Krise auf diplomatischem Weg zu entschärfen. Vergeblich. Deshalb gehen wir jetzt zu Plan B über.“

„Einverstanden. Wann soll die Hochzeit stattfinden?“ Auch er kam nun direkt zur Sache.

„Wir brauchen mindestens vier Wochen, um eine richtige Hochzeit zu planen, und dann noch mal zwei bis drei Monate, wenn wir unsere internationalen Verbündeten dazu einladen wollen“, meinte Leyna.

„Das könnte zu lang sein. Zacchaeus ist wie eine tickende Zeitbombe, die jeden Moment explodieren kann. Wir können nicht untätig abwarten, dass er den ersten Zug macht“, gab Xavier zu bedenken.

„Ich weiß.“ Sie trommelte mit den Fingern gegen das Champagnerglas. „Was ist eigentlich mit ihm passiert? Er war doch früher nicht so. Sicher, er war undurchschaubar, dazu ein bisschen parteiisch und manchmal aufbrausend. Aber nie bösartig. Nicht so wie jetzt!“

„Das habe ich mich auch gefragt, als ich von dem Staatsstreich gehört habe. Manche sagen, sein Vater Jaydon wäre krank, und der Putsch soll dem alten König helfen, das Gesicht zu wahren.“

„Das ist doch bei einer Krankheit nicht nötig“, wandte sie ein.

„Außer es handelt sich um Alzheimer …“

Da wurde das Essen aufgetragen, und beide schwiegen, solange die Diener in Hörweite waren.

„Was, wenn wir unsere Hochzeit Ende dieser Woche verkünden?“, schlug Xavier vor, sobald sie wieder ungestört waren.

„Das wäre eine klare Ansage über unsere Absichten“, stimmte Leyna zu. „Aber es wäre zu früh, falls …“ Plötzlich wurde sie rot.

„Falls was?“

Sie straffte sich. „Ich habe heute Morgen meinen Arzt konsultiert. Wegen der Methoden. Ob künstliche Befruchtung oder Reagenzglas.“

„Da hattest du ja einen ausgefüllten Vormittag“, meinte er, scheinbar gelassen, obwohl sein Herz plötzlich schneller schlug.

„In der jetzigen Lage ist Zeit ein Luxusgut“, konterte sie defensiv. „Und wenn ich vorher Hormone nehmen muss … Also, willst du wissen, was der Arzt gesagt hat?“

„Das weiß ich schon“, erwiderte er und dachte an all die Gespräche, die er und Erika geführt hatten.

Nach erfolglosen Versuchen künstlicher Befruchtung hatten sie sich für die In-vitro-Methode entschieden, aber Erika war an einem Aneurysma gestorben, bevor der Embryo hatte transferiert werden können.

„Künstliche Befruchtung ist angesichts des Zeitproblems die bessere Methode, abhängig von deinem Zyklus“, führte er weiter aus.

„Woher weißt du denn … ach so! Erika. Das mit ihr tut mir so leid, Xavier.“

„Es ist inzwischen mehr als drei Jahre her“, wehrte er ab.

„Gefühle wie Bedauern, Enttäuschung und Kummer können länger dauern“, sagte sie nachdenklich. „Zurück zum Thema: Der Arzt meint, Ende der Woche wäre ein günstiger Zeitpunkt für eine künstliche Befruchtung. Den idealen Tag müssten wir noch bestimmen. Medizinisch, meine ich.“

Xavier atmete tief durch. „Das geht jetzt alles ziemlich schnell.“

„Ja, aber es ist nicht gesagt, dass es auf Anhieb funktioniert“, rief sie ihm ins Gedächtnis.

„Und wenn doch?“

„Dann verkünden wir unsere demnächst stattfindende Hochzeit und behaupten später, das Baby wäre in den Flitterwochen entstanden … und etwas zu früh geboren. Das bedeutet, wir müssten innerhalb der nächsten zwei Monate heiraten.“

„Ich wollte wissen, was wird dann mit uns, wenn es funktioniert“, erklärte er leise.

„Ja, was? Wir sind dann verheiratet, werden Eltern und regieren und beschützen unsere Königreiche gemeinsam“, antwortete sie steif. „Das ist alles.“

„Du glaubst, es wird so einfach?“

„Es muss!“

„Das heißt nicht, dass es das auch wird.“

„Nun dräng mich nicht!“, herrschte sie ihn an.

„Oder was?“, fragte er herausfordernd und tat damit natürlich genau das, was sie ihm gerade untersagt hatte. „Was passiert dann?“

Ihre Augen blitzten. „Es könnte sein, dass dir nicht gefällt, was du dann entdeckst!“

5. KAPITEL

„Ich lasse trotzdem nicht locker“, versicherte Xavier. „Vielleicht bekomme ich dann endlich Antworten auf die Fragen, die mich seit Jahren beschäftigen.“

Leyna lehnte sich zurück. „Na gut. Lass es uns aus dem Weg schaffen. Frag mich, was du wissen willst.“

„Was war der wahre Grund, warum du mir den Laufpass gegeben hast?“

„Mir wurde klar, wie viel das Regieren mir abverlangen würde. Ich hätte meinem Land nicht geben können, was es braucht, wenn ich mit dir zusammen gewesen wäre, Xavier.“

„Was soll das heißen?“

„Das weißt du doch. Oder hast du vergessen, was unsere Familien uns immer eingetrichtert haben?“

„Hilf meinem Gedächtnis auf die Sprünge“, forderte er sie auf.

„Ich spreche von den Zweifeln, die deine und meine Angehörigen bezüglich unserer Beziehung hatten“, erläuterte Leyna.

„Diese Zweifel entbehrten jeder Grundlage“, hielt er dagegen. „Dessen waren wir beide uns doch sicher.“

„Ja … bis ich dann plötzlich Königin war und mich fragte, ob ich unsere Beziehung tatsächlich benutzte, um vor meinen Verpflichtungen wegzulaufen. Ob du mich von ihnen abgelenkt hast.“

„Und die Antwort war Ja?“, hakte er nach.

„Leider“, gab sie widerstrebend zu. Sie hatte damals erkannt, dass er ihr wichtiger war als ihre Aufgaben als Königin, und das hatte sie in Panik versetzt. „Mein Volk brauchte meine volle Hingabe und Aufmerksamkeit. Die konnte ich ihm nicht geben, solange ich mit dir zusammen war“, fügte sie hinzu.

„Es lag also nicht daran, dass du mich nicht geliebt hast?“, wollte er wissen.

Leyna stand auf und ging zur Brüstung, um Abstand zu gewinnen, aber Xavier folgte ihr sofort.

„Was spielt das jetzt noch für eine Rolle?“, fragte sie. „Wir sind jeder unseren Weg gegangen. Drei Monate nach unserer Trennung hast du angefangen, dich um Erika zu bemühen, wenn ich mich richtig erinnere.“

„Du hattest mir gesagt, du würdest mich nicht lieben und mich nicht heiraten. Hätte ich trotzdem auf dich warten sollen?“, fragte er schroff.

„Du hättest um mich trauern sollen, so wie ich um dich getrauert habe“, schoss sie zurück. Zornestränen traten ihr in die Augen. „Nein, ich habe nicht damit gerechnet, dass du ewig wartest, aber mehr als drei Monate hätten es schon sein dürfen!“

„Du hast getrauert?“, fragte er leise.

„Natürlich. Ich hatte meinen besten Freund verloren.“

„Aber nicht den Mann, den du geliebt hast?“

„Ach, Xavier! Ja, ich habe dich geliebt. Ich habe dir nur gesagt, ich würde es nicht tun, weil du mich sonst nicht hättest gehen lassen. Es war idiotisch von dir, mir zu glauben. Damit hast du alles wertlos gemacht, was wir hatten.“

Er bewegte sich so rasch, dass sie es kaum registrierte, und dann presste er ihr auch schon den Mund auf die Lippen. Ihre Vernunft sagte ihr, sie solle ihn stoppen, oder sie würde es bereuen. Doch sie ließ sich einfach hinreißen, denn endlich, endlich küsste Xavier sie wieder.

Seine Lippen waren weich und bewegten sich sanft an ihren, ganz so, als wäre es für ihn völlig normal, sie zu küssen. Als wäre er gewöhnt daran. Wärme durchströmte sie und konzentrierte sich tief in ihrem Schoß. Leyna legte ihm die Hände an die Taille, und als sie spürte, wie er leicht erbebte, presste sie sich an ihn und schlang die Arme um ihn.

Auch sie zitterte, als sie seine Muskeln spürte, seine Stärke … seine Männlichkeit.

Dann ließ Xavier die Hände über ihren Körper gleiten, und nun schmolz sie vor Wonne dahin. Sie stöhnte leise, als er ihre Zunge mit seiner berührte. Jeder Nerv in ihr schien lichterloh zu brennen. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals etwas mehr gewollt und gebraucht zu haben als Xavier. Jetzt. Sofort!

Das Geräusch von Rotorblättern über ihrem Kopf brachte Leyna in die Wirklichkeit zurück. Sie hatte ganz vergessen, was sie wegen der Fotos ausgemacht hatte. Rasch versuchte sie, zurückzuweichen, doch Xavier hielt sie fest und gab ihr mit seinem Blick zu verstehen, dass sie die Umarmung nicht lösen konnte, ohne das Foto zu verderben.

Also stand sie da, noch an ihn geschmiegt, und ihre Lippen pulsierten von dem leidenschaftlichen Kuss. Das Feuer, das sie erst vor wenigen Sekunden verzehrt hatte, verwandelte sich in Eis, als ihr klar wurde, was sie gerade eben getan hatten.

Nun wusste sie wieder, wie berauschend es war, ihn zu küssen. Nun konnte sie nicht länger die Gefühle leugnen, die sie ein Jahrzehnt lang verdrängt hatte.

Dabei spürte sie auch deutlich, wie er von ihr abrückte. Dann ließ er sie ganz los, als der Hubschrauber davonflog, und ging zurück zum Tisch.

„Das Theater brauchen wir jetzt ja wohl nicht mehr“, meinte Xavier kühl. Offensichtlich wollte er nicht über das eben Vorgefallene reden.

Sein Pech!

„Warum hast du mich geküsst?“, wollte Leyna wissen.

„Ich habe den Hubschrauber gesehen und dachte mir, es würde ein gutes Foto geben, wenn ich dich küsse.“

Starr sah sie ihn an und fragte sich, ob er die Wahrheit sagte. Wenn ja, würde das ihrem Herzen einen weiteren Sprung zufügen.

„Verstehe. Wollen wir jetzt die weiteren Punkte unseres Plans besprechen oder das Ganze auf später verschieben?“, erkundigte sie sich und achtete darauf, dass ihre Stimme nicht verriet, wie verletzt sie war.

„Jetzt“, erwiderte er. „Und zwar zügig.“

Fast hätte sie gelacht. Sie atmete tief durch, ging ebenfalls zum Tisch zurück und setzte sich. Sie nahm das Besteck und begann, die längst kalt gewordene Mahlzeit zu essen, wobei sie überhaupt nichts schmeckte. Xavier folgte ihrem Beispiel. Beide schwiegen.

Leyna wusste, dass sie beide jetzt nur dickköpfig waren. Keiner gab nach, bis der Tisch schließlich von den Dienern abgeräumt worden war.

Wieder mit Xavier allein, lehnte sie sich zurück. „Wir waren bei den Regeln für unsere Ehe stehengeblieben“, begann sie. „Auch wenn es sich um eine reine Vernunftheirat handelt, darf es keinen anderen Menschen für uns geben. Genauer gesagt: keine Mätresse für dich, keinen Liebhaber für mich.“

„Wenn wir einander durch die Ehe verbunden sind, ob mit oder ohne ein Kind, hast du mein Wort, dass es für mich keinen anderen Menschen geben wird“, versicherte er. „Wie steht es mit dir?“

„Es wird keinen anderen Mann für mich geben. Nicht nur, weil es das einzig Vernünftige ist, sondern weil ich kein Interesse an jemand anderem habe.“ Sie merkte, dass es so klang, als würde es für sie keinen anderen als Xavier geben, also fügte sie rasch hinzu: „Ich fokussiere mich lieber auf meine Pflichten. Wie du ja weißt.“

„Bist du sicher, dass du es nicht bedauern wirst, Leyna? Du warst nie verheiratet. Du hattest noch nie ein richtiges Date.“

„Ach, hast du deinen Geheimdienst auf mich angesetzt?“

„Nicht nötig, da dein Leben in den Zeitungen offen ausgebreitet wird.“

Darauf ging sie nicht ein. „Ich werde den Mangel an Beziehungen nicht bedauern. Das habe ich den vergangenen Jahren ja auch nicht getan.“

„Fein. Aber bedeutet das, du warst noch nie mit einem Mann … zusammen?“

„Ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht!“, fauchte Leyna, und ihr Herz fing an zu rasen.

Sie genierte sich nicht dafür, noch Jungfrau zu sein, wollte aber nicht, dass Xavier es wusste. Die intimste Erfahrung, die sie mit einem Mann gemacht hatte, war die mit ihm an dem Tag, als er ihr den Heiratsantrag gemacht hatte. Vor zehn Jahren …

Diese Erinnerung war so kostbar gewesen, dass sie sie nicht verderben wollte, indem sie mit einem anderen Mann schlief. Im tiefsten Inneren ihres unvernünftigen Herzens sparte sie sich für Xavier auf. Immer noch.

„Nein, es geht mich nichts an“, erwiderte er.

Sein Blick sagte ihr, dass er die Antwort bekommen hatte, die er sich wünschte.

„Gut. Und nun weiter mit der Planung“, hörte Leyna sich sagen. „Zuerst muss es eine große Verlobung geben, mit anschließendem Ball. Wie es der Fall wäre, wenn wir unter normalen Bedingungen heiraten würden. Und du bestehst ja darauf, dass wir möglichst überzeugend wirken, Xavier.“

„Du hast schon eine Idee, wie wir die Verlobung feiern, richtig?“

Sie errötete. „Nächste Woche findet das Früchtefestival von Aidara statt. Ich dachte, es wäre sehr stimmungsvoll, wenn wir unsere Verlobung in der königlichen Obstplantage verkünden.“

„Und anschließend findet ja immer ein Ball statt, also hätten wir damit keine extra Mühe. Was auch noch Zeit spart.“ Er nickte. „Ich bin einverstanden.“

„Gut. Was das Baby betrifft …“

„Ganz einfach“, unterbrach er sie. „Sag mir einfach Bescheid, wann ich gebraucht werde … fürs Samenspenden.“

„Du bist also glücklich mit dem Gedanken an künstliche Befruchtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt?“, hakte sie nach.

„Glücklich? Glücklich bin ich mit der ganzen Situation nicht. Aber wie du so gern sagst: Die Pflicht kommt zuerst.“ Xavier stand auf. „Ich sehe dich dann demnächst bei der … Prozedur.“

Bevor sie antworten konnte, hatte er sie schon allein gelassen.

Leyna stand ebenfalls auf, ging zur Brüstung und blickte hinunter auf den Palastgarten, die grünen Hügel und den Strand. Das sollte ich öfter tun, sagte sie sich. Ja, sie sollte öfter ihr wunderschönes Reich betrachten und an die Menschen denken, die darin lebten. An ihr Volk, das sie beschützen musste!

Es war das Opfer wert, den Mann zu heiraten, den sie einmal geliebt hatte, egal, wie sehr es sie aus dem inneren Gleichgewicht brachte. Sie würde das Leben führen, das sie sich einmal erträumt hatte – allerdings unter absolut höllischen Umständen.

Ja, ihr Volk und ihr Reich waren das wert, aber es war ein schweres Opfer. Wieder verlangten ihre Pflichten als Herrscherin, dass sie ihre Wünsche als Frau aus ihrem Leben verbannte. Damit war sie lange Zeit klargekommen.

Bis zum Bankett. Und dem Heiratsplan.

Nein, es war mir auch vorher nicht wirklich gleichgültig, erinnerte sie sich. Wie oft hatte ihr Herz einen Sprung gemacht, wenn sie Xavier anlässlich politischer Treffen sah! Wie oft hatte sie einen Moment lang gehofft, es würde alles gut zwischen ihnen, bevor ihr wieder einfiel, dass sie alle Hoffnung selber zunichtegemacht hatte.

Die Aussicht auf ein Leben mit Xavier ohne die Liebe, die sie sich dazu ersehnt hatte, brach ihr schier das Herz. Schon in einer Woche würden sie der Welt die Verlobung vorspielen und allen innige Liebe vorgaukeln. Dazu gehörten Küsse, die in ihr Verlangen und Sehnsüchte wecken würden wie in einer ganz gewöhnlichen Frau. Sie aber war Leyna, die Königin von Aidara.

Sie würde das alles überstehen, das wusste sie. Sie würde ihre persönlichen Wünsche und Gefühle beiseiteschieben und sich ganz ihren Pflichten widmen.

Wieder einmal.

6. KAPITEL

Wieder zurück auf Mattan konnte Xavier zuerst nur an eins denken.

Daran, dass es ein Fehler gewesen war, Leyna zu küssen.

Aber er hatte nicht anders gekonnt, als sie ihm gestanden hatte, ihn aufrichtig geliebt zu haben. Nun wusste er, dass sie sich gewünscht hatte, er würde auf sie warten.

Er stand im Dunkeln auf dem Balkon vor seinem Schlafzimmer und ließ sich von der kühlen Meeresbrise umwehen, die nach Salzwasser duftete. Hier konnte er wieder frei atmen. Das war ihm seltsam schwergefallen … seit dem Augenblick, als seine Lippen Leynas berührt hatten.

Der Kuss war so viel besser gewesen als die Küsse in seinen Erinnerungen. Besser als in seinen Träumen, gegen die er so hart angekämpft hatte. Nun wusste er nicht, wie er mit den Empfindungen umgehen sollte, die dieser Kuss in ihm geweckt hatte. Wie sollte er mit Schmerz, Zorn und Schuldgefühlen fertigwerden?

Er spürte den Schmerz über ihre Worte, mit denen sie alles beendet hatte, noch so scharf wie damals. Und den Zorn, weil sie ihn über ihre Gefühle belogen hatte. Dass sie ihn tatsächlich geliebt hatte, machte ihn jetzt noch zorniger. Es verletzte ihn, dass sie ihm damals genau das gesagt hatte, was garantierte, dass er sie nicht mehr sehen wollte.

Zu all dem kamen die Schuldgefühle. Er hatte Leyna geküsst, bevor er den Hubschrauber gesehen hatte. Zum Glück hatte der dann als Ausflucht gedient für diesen Moment des Wahnsinns. Wenn ich bei Verstand gewesen wäre, hätte ich sie niemals geküsst, sagte Xavier sich.

Er wollte doch den Umgang mit ihr möglichst sachlich und distanziert belassen.

Wegen Erika.

Die hatte ihre Träume aufgegeben, um ihn zu heiraten. Und anfangs war sie mit ihm glücklich gewesen – und er mit ihr. Anfangs hatte sie sich auch wirklich Mühe gegeben.

Ja, Erika war eine vorbildliche Königin gewesen. Sie hatte sich mit Anmut und Würde an seiner Seite bei allen offiziellen Anlässen präsentiert. Auch dann noch, als klar wurde, dass sein Volk sie nicht so schätzte wie Leyna. Auch dann noch, als die Medien sich gegen Erika wandten.

Sie waren gnadenlos gewesen in ihrem Urteil und hatten sie ständig mit Leyna verglichen. Erika wäre bloß der Trostpreis, hatte es geheißen. Sie würde bei König Xavier immer nur an zweiter Stelle kommen.

Das war hart gewesen – für sie beide. Er hatte immer noch versucht, sich selbst zu überzeugen, die Ehe mit Erika wäre das Beste für sein Reich. Erika hatte ihn gefragt, ob die Zeitungen recht hätten. Er hatte es beiseiteschieben wollen. Da hatte sie ihm genau das vorgeworfen, was die Klatschspalten behaupteten.

Er hatte ihr versichert, sie brauche sich keine Sorgen zu machen. Dass es für ihn nur sie gäbe und keine andere. Ja, er hatte sein Bestes gegeben, um sie – und sich selbst – davon zu überzeugen.

Doch dann hatte sie sich allmählich immer mehr zurückgezogen und öffentliche Auftritte verweigert. Er hatte sie aufmuntern, überzeugen und schließlich anflehen müssen, an seiner Seite zu erscheinen. Das hatte sie dann auch getan, sich dabei aber wie hinter einem Schutzwall verschanzt, den nicht einmal er als ihr Ehemann hatte überwinden können.

Das Bemühen um ein Kind war erschwerend hinzugekommen. So etwas konnte eine Belastungsprobe für jede Ehe sein, für eine königliche umso mehr. Und noch mehr für eine königliche Ehe, die ohnehin schon auf brüchigen Fundamenten ruhte.

Wenn ich die Möglichkeit hätte, es noch einmal zu versuchen, würde ich alles anders machen, sagte Xavier sich. Er würde sich mehr bemühen, um Erika von seiner Zuneigung zu überzeugen. Ihr versichern, dass er sie trotz der Schwierigkeiten, die sie beide belasteten, ehrlich liebte.

Natürlich war es anders gekommen. Sie war unerwartet gestorben, mit gerade erst dreißig Jahren.

Und nun gab es für ihn nur einen Weg: Er musste ihrem Andenken treu bleiben. Wie? Indem die Beziehung zu Leyna eine reine Vernunftehe blieb, diktiert von der Pflicht, die sie beide gegenüber ihren Königreichen hatten.

An dem Tag, als der Termin für die künstliche Befruchtung angesetzt war, erhielt Leyna einen Anruf ihrer Großmutter, die sich weiterhin in Südafrika befand. Sie machte sich Sorgen wegen der angespannten Situation, die durch den Staatsstreich in Kirtida entstanden war.

Leyna berichtete von ihren und Xaviers vergeblichen Bemühungen, mit Zacchaeus ins Gespräch zu kommen. Und erwähnte ihren Plan B.

„Ich höre“, sagte ihre Großmutter scharf.

„Xavier und ich werden heiraten.“

Eisiges Schweigen entstand, bevor die alte Dame sagte: „Heiratest du den König von Mattan … oder den Mann, in den du noch immer verliebt bist?“

„Ich bin nicht mehr …“ Leyna holte tief Luft. „Macht das denn einen Unterschied?“

„Oh ja.“ Ihre Großmutter klang nun beinah sanft. „Liebe ist etwas Wunderbares, aber wenn sie verloren geht, verliert man den Sinn für das wirklich Wichtige. Denk nur an deine Mutter.“

Genau das versuchte Leyna meistens zu vermeiden.

„Also, Kind, heiratest du aus Pflicht oder aus Zuneigung?“

„Aus Pflicht“, versicherte Leyna rasch.

„Gut!“ Ihre Großmutter klang erleichtert.

„Ich muss jetzt Schluss machen, Grandma, denn ich habe einen wichtigen Termin. Bleib gesund und pass auch dich auf.“

Ohne eine Erwiderung abzuwarten, legte Leyna auf. Panik stieg in ihr hoch. Ihre Beine zitterten, ebenso ihre Hände, und in ihrer Brust baute sich Druck auf. Sie kämpfte gegen das beklemmende Gefühl an und sagte sich dabei, dass der Rat ihrer Großmutter auf deren eigenen Erfahrungen beruhte.

Nach dem Tod ihres Mannes hatte diese lange getrauert. Dann hatte sie auch noch ihren Sohn verloren und damit den Sinn ihres Lebens.

Statt ihre Enkelin zu unterstützen, hatte sie ihr nur immer wieder eingebläut, wie wichtig die Pflicht gegenüber der Krone war. Richtig regieren, richtig heiraten und einen Erben produzieren, darauf kam es in den Augen der ehemaligen Königsgemahlin an.

Leyna hatte zwischen sich und ihrer Großmutter einen Schutzwall errichtet, um sich gegen deren Einmischungen zu schützen, sonst wäre sie zu verletzlich gewesen.

Nur selten dachte sie daran, dass auch ihre Großmutter Schweres durchgemacht hatte. Meistens überfielen sie solche Gedanken, wenn es ihr selber nicht besonders gut ging. So wie heute.

Da wurde an die Tür geklopft, und Carlos kam herein, um zu melden, dass alles für den ärztlichen Eingriff vorbereitet war.

Xavier war schon seit einer Weile im Palast und hatte seinen Teil der Prozedur hinter sich gebracht. Nun wartete er in dem vorbereiteten Schlafzimmer, in dem alles Weitere durchgeführt werden sollte.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte Leyna sich.

„Natürlich nicht!“, erwiderte er leise, ging zur Tür und warf sie ins Schloss. „Das hier ist eine grässliche Idee.“

„Heißt das, du hast es dir anders überlegt?“

„Nein!“ Er strich sich über die Stirn. „Nur, ich … ich denke …“

„Ja?“

„Was ist, wenn es nicht klappt, Leyna?“

„Dann versuchen wir es nächsten Monat wieder“, antwortete sie ruhig.

„Und wenn das auch nicht funktioniert?“

„Dann bleibt uns die Befruchtung im Reagenzglas.“

„Das könnte auch erfolglos bleiben.“ Er stöhnte.

„Dafür gibt es keinen Grund“, versuchte sie ihn zu beschwichtigen, aber ihr wurde ganz elend zumute.

„Ich habe dir doch gesagt, wie lange Erika und ich es vergeblich versucht haben. Auch die Reagenzglasmethode.“

„Bei uns wird es klappen!“

„Wie kannst du nur so ruhig bleiben?“

„Weil ich muss. Es geht um unsere Zukunft und vor allem die Zukunft unsere Königreiche.“

Aber in Wahrheit war sie gar nicht ruhig. Tatsächlich meldete sich die Panik wieder und legte sich ihr wie eine zentnerschwere Last auf die Brust.

Rasch ging Leyna zum Bett, wo auf dem Nachttisch ein Glas Wasser stand, und trank es aus wie eine Verdurstende. Dann legte sie sich hin und wappnete sich für den Eingriff.

Als der Arzt hereinkam und sich bereit machte, konnte sie ihre Panik nicht länger unterdrücken.

„Stopp!“, rief sie. „Es ist wirklich eine grässliche Idee.“

Xavier schickte den Arzt aus dem Raum und wandte sich ihr zu.

„Was ist denn los? Ich dachte, du wärst mit allem einverstanden“, meinte er ratlos.

„Ich musste doch Ja sagen. Du hattest die Panik. Aber was du danach gesagt hast …“

„Ja?“, hakte er nach. „Was willst du sagen?“

„Es macht Sinn, Xavier. Vielleicht funktioniert es nicht. Und was bleibt uns dann zum Schutz unserer Königreiche?“

„Unsere Ehe“, antwortete er ohne Zögern.

„Und was … wenn mir etwas zustößt?“

Er nahm ihre Hand. „Ist es das, was dir Angst macht? Dass dir etwas Böses passieren könnte?“

„Ja! Wer kümmert sich dann um mein Volk? Und was …“ Sie keuchte jetzt. „Wenn ich keine gute Mutter sein kann? Wenn ich das alles nicht durchstehe? Wenn ich keine Ehefrau sein kann?“

„Atme tief durch“, forderte er sie streng auf und drückte ihr beruhigend die Hand.

Leyna gehorchte. Nach und nach wurde sie wieder ruhiger.

„Tut mir leid“, sagte sie schließlich.

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Das hier ist eine sehr extreme Situation. Keiner von uns beiden konnte vorhersehen, wie wir reagieren.“ Er räusperte sich. „Jedenfalls wird dir nichts zustoßen, Leyna. Falls doch, dann kümmere ich mich darum, dass für Aidara gesorgt wird. Und das andere … Du bist stark, die stärkste Frau, die ich kenne. Und die tapferste. Du schaffst das, Leyna. Du kannst Mutter und Ehefrau und Königin zugleich sein. Und du kannst die Prozedur jetzt überstehen.“

Sie biss sich auf die Lippe. „Danke, Xavier. Für alles. Du kannst jetzt den Arzt wieder hereinrufen.“

Der erschien prompt und begann mit dem Eingriff. Leyna schloss die Augen und hoffte inständig, dass sie nicht zu weinen anfangen würde. Da spürte sie Xaviers Hand warm um ihre und hörte seine Stimme dicht an ihrem Ohr.

„Alles wird gut, Leyna. Egal was passiert. Wir schaffen das. Gemeinsam.“

Nach wenigen Minuten war es überstanden. Der Arzt wies sie an, noch eine Weile liegenzubleiben und es den Rest des Tags ruhig angehen zu lassen. Dann verabschiedete er sich und verließ das Zimmer.

„Du brauchst nicht länger zu bleiben, Xavier“, meinte sie verlegen. „Du hast deine Pflicht getan.“

„Ich möchte aber bleiben“, erwiderte er ruhig. „Oder hast du etwas dagegen?“

Schweigend schüttelte sie den Kopf. Sie lag da und versuchte, sich über ihre Empfindungen klar zu werden. Sie war aus dem inneren Gleichgewicht gebracht und verunsichert. Aber da war noch mehr. Nur was?

Darüber dachte sie jetzt besser nicht nach.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte Xavier sich schließlich.

Nun öffnete sie die Augen und sah ihn an. Auf seinem Gesicht war ein Ausdruck von Zuneigung und einem Mitgefühl, das sie fast zu Tränen rührte. Er sah aus wie der Xavier, den sie früher gekannt hatte.

Wie ihr Xavier.

„Das heute war ein folgenschwerer Schritt“, zwang sie sich ruhig zu sagen. „Ich brauche einfach noch etwas Zeit.“

„Natürlich. Aber falls du dein Herz ausschütten willst: Ich bin ein guter Zuhörer.“

Rasch schloss sie die Augen, aber es nützte nichts. Die Tränen liefen ihr trotzdem über die Wangen. Entsetzt stellte sie fest, dass er sie ihr sanft abwischte. Noch schockierter war sie, als sie spürte, dass er sich neben sie legte und sie in die Arme nahm.

„Was machst du da?“, rief sie und öffnete die Augen.

„Ich halte dich im Arm.“

„Du brauchst nicht …“

„Ich weiß“, unterbrach er sie und zog sie enger an sich.

Diesmal fühlte sie sich nicht wie unter Strom wie sonst, wenn Xavier sie berührte. Es war einfach nur tröstlich. Sie schmiegte sich an ihn.

Als die Tränen versiegten, hätte sie ihm eigentlich sagen müssen, er könne sie loslassen. Aber sie wollte die Nähe noch einige Momente länger genießen, noch einige Momente länger seine Arme um sich spüren.

Die Arme des Manns, den sie geliebt hatte.

7. KAPITEL

Xavier konnte sich selbst nicht erklären, warum er sich zu Leyna aufs Bett gelegt hatte. Vor der Prozedur hatte er Panik verspürt, weil Erika und er das so oft durchgemacht hatten, immer mit der Aussicht auf Versagen.

Mit ihm und Leyna waren die Vorgaben noch höher und die Aussicht auf einen Fehlschlag bedrohlicher. Als sie ihn angeherrscht hatte, er solle sich zusammenreißen, war er verärgert gewesen. Zornig sogar. Dann war ihre Selbstbeherrschung zusammengebrochen und hatte ihre tiefsitzenden Ängste enthüllt.

Vielleicht hatte er sich deswegen zu Leyna gelegt? Weil die gefühllose Königin von Aidara doch nicht so gefühllos war? Oder war es wegen dem, was sie gesagt hatte, und des Gefühls wegen, das ihn bei ihren Worten wie ein Schlag getroffen hatte?

Sie hatte recht, und sie hatte auch seine eigenen Ängste formuliert. Wenn der Eingriff nicht klappte … Xavier atmete bebend ein und umarmte Leyna fester. Er wollte sie nicht so enttäuschen wie Erika.

Aber natürlich hatte Leyna auch damit recht, dass sie es bei einem Fehlschlag wieder versuchen würden. Und immer wieder. Auch mit anderen Methoden.

Und wenn sich tatsächlich niemals ein Kind einstellte? Der Gedanke schmerzte ihn, schlimmer als je zuvor.

Xavier schloss die Augen, atmete Leynas zarten blumigen Duft ein und genoss es, wie gut sie in seine Arme passte. Ihre dichten Locken waren so weich wie ein Daunenkissen, als er den Kopf daran schmiegte.

Plötzlich keuchte sie laut auf.

Er stand sofort auf, als ihm klar wurde, dass sie mehr Platz wünschte. Sie presste sich eine Hand auf die Brust und atmete mühsam. Nach einigen Momenten beruhigte sie sich glücklicherweise.

„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich verlegen. „Ich habe schlecht geträumt.“

Xavier setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett. „Wovon?“

„Ich kann mich nicht erinnern.“

„Du lügst, Leyna.“

„Ich lüge nicht! Aber ich habe jetzt Hunger. Ich rufe in der Küche an und lasse mir eine Kleinigkeit bringen. Möchtest du auch etwas?“

„Nein, danke.“ Xavier wartete, bis sie den Anruf getätigt hatte, und fragte dann: „Wie oft hast du schlimme Träume?“

„Ab und zu.“

„Immer über dasselbe?“

„Ich habe dir doch gesagt ich erinnere mich nicht, worum es ging“, erwiderte sie ungehalten. In ihrer Stirn zuckte ein Nerv.

Xavier drängte sie sich nicht weiter. Sie sollte jetzt keinen Stress haben.

„Du kannst mich allein lassen, wenn du möchtest“, bot sie ihm an.

„Willst du, dass ich gehe?“

Ihr Blick verriet ihm, dass sie es nicht wollte, und das freute ihn. Laut sagte sie jedoch: „Du musst dich schon selber entscheiden.“

„Dann bleibe ich“, informierte er sie.

Wieso er sich dafür entschied, war ihm selbst nicht klar, aber bevor er darüber näher nachdenken konnte, wurde das Essen für Leyna gebracht. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, denn er hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.

„Soll ich dir doch etwas bestellen?“, erkundigte sie sich amüsiert. „Du verschlingst mein Essen ja förmlich mit den Augen. Wann hast du denn zuletzt gegessen?“

„Heute Morgen, aber ich bin nicht hungrig.“ Sein Magen knurrte vernehmlich und verriet ihn.

Leyna rief nochmals in der Küche an und bestellte auch ihm etwas.

„Das wäre nicht nötig gewesen“, meinte Xavier leicht pikiert.

„Ich weiß, aber ich konnte merken, dass du lügst. Und da du ausgesprochen stolz bist, hättest du nicht zugegeben, hungrig zu sein.“

Er lächelte. „Danke, Leyna.“

Sie nickte und verschränkte die Finger.

„Fang doch bitte an, bevor alles kalt wird“, forderte er sie auf.

„Die Suppe ist ohnehin zu heiß.“

„Aber eigentlich wartest du, bis auch ich mein Essen habe, richtig?“

Sie zuckte die Schultern, was bei ihr unglaublich anmutig wirkte. Wie machte sie das bloß?

Xavier schüttelte den Kopf. „Du bist sehr stur.“

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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