Julia Gold Band 81

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PRINZ KHALIL - FALKE DES NORDENS von MARTON, SANDRA
Ehe sie weiß, wie ihr geschieht, wird die junge Amerikanerin Joanna Bennett in Marokko entführt. Ihr Entführer ist nicht irgendwer, sondern Prinz Khalil, genannt der Falke des Nordens. Als Joanna den ersten Schrecken überwunden hat, stellt sie fest, dass sie es genießt, so heiß umworben zu werden.

NACHT DER VERSUCHUNG von JORDAN, PENNY
Scheich Xavier Al Agier ist Mariellas erklärter Feind - bis sie mit dem sexy Wüstenprinzen in einen Sandsturm gerät. In seine Arme geschmiegt, ist sie sicher. Und als sie Xaviers Lippen auf den ihren spürt, erwidert sie seinen Kuss voller Leidenschaft.

KREUZFAHRT INS GLÜCK von REID, MICHELLE
Die Liebe zwischen Leona und Scheich Hassan sollte jedes Hindernis überwinden. Trotzdem wird die traumhafte Reise an Bord seiner Jacht ihre letzte gemeinsame sein: Fünf Jahre haben sie vergeblich versucht, ein Kind zu zeugen. Nun muss Leona Hassan freigeben.


  • Erscheinungstag 13.07.2018
  • Bandnummer 0081
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711078
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sandra Marton, Penny Jordan, Michelle Reid

JULIA GOLD BAND 81

1. KAPITEL

Als Joanna an dem warmen Abend auf dem Balkon ihrer Hotelsuite den Muezzin vom Minarett der Moschee hoch über den von Menschen wimmelnden Straßen Casablancas die Gläubigen zum Gebet aufrufen hörte, bekam sie eine Gänsehaut, so sehr ging ihr die fremdartige Atmosphäre unter die Haut.

Sie stellte die Kaffeetasse ab, lehnte sich an das Geländer und dachte darüber nach, wie wunderschön es doch war, in diesem so überaus geheimnisvollen Land zu sein. Es vermittelte ihr das Gefühl, sich in einer anderen Zeit zu bewegen.

„Jo!“ Die ärgerliche Stimme ihres Vaters brachte Joanna unvermittelt in die Wirklichkeit zurück. „Jo! Wo, zum Teufel, steckst du?“

Fürs Erste kann ich wohl diese Stadt mit der rätselhaften Stimmung vergessen, dachte sie, während sie aufstand und zur Tür ging. Sie empfand Mitleid mit Jim Ellington, der wahrscheinlich Sam Bennetts Zornesausbruch verursacht hatte. Sie selbst war an diese Wutanfälle gewöhnt – kein Wunder nach sechsundzwanzig Jahren. Er hatte mit Jim telefoniert und sich offenbar über irgendetwas aufgeregt, das dieser gesagt oder getan hatte.

„Endlich kommst du! Wurde auch Zeit!“, fuhr Sam sie an, als sie sein Schlafzimmer betrat. „Ich habe wiederholt gerufen. Hast du mich nicht gehört?“ Ihr Vater saß halb aufgerichtet im Bett, eine Menge Kissen im Rücken, und schaute sie böse an.

„Natürlich habe ich es. Man konnte dich ja durchs halbe Hotel hören. Ich nehme an, es gibt Schwierigkeiten, oder?“

„Damit hast du verdammt Recht! Dieser dämliche Ellington – er hat alles vermasselt!“

„Nun, das überrascht mich nicht“, erwiderte Joanna freundlich, während sie ihrem Vater die Kissen aufschüttelte. Dann nahm sie ein kleines Fläschchen vom Nachttisch, öffnete es und ließ zwei Tabletten in die Handfläche fallen. „Ich habe dir klarzumachen versucht, dass du ihm nicht vertrauen kannst und dass er der falsche Verhandlungspartner für diesen idiotischen Adler des Ostens ist.“

„Man nennt Prinz Khalil den Falken des Nordens“, sagte Sam mürrisch.

„Ach, das ist doch egal, Falke oder Adler, Osten oder Norden. Es ist sowieso eine dumme Bezeichnung für einen zweitklassigen Ganoven.“

Sam schnitt ein Gesicht. „Dieser kleine Ganove, wie du ihn nennst, kann Bennettcos Bergwerksgeschäft mit Abu Al Zouad scheitern lassen, bevor dazu überhaupt gekommen ist.“

„Das ist doch lächerlich“, meinte Joanna und reichte Sam ein Glas Orangensaft zusammen mit den Pillen. „Abu ist der Sultan von Jandara …“

„Und Khalil macht ihm schon jahrelang das Leben schwer, er schürt Unruhe in der Bevölkerung und stiftet Hass.“

„Warum hindert ihn Abu nicht daran?“

„Weil er ihn nicht zu fassen bekommt. Khalil ist verschlagen und so schlau wie ein Fuchs.“ Sam lächelte grimmig, schluckte die Medizin und trank dann das Glas leer, bevor er es Joanna zurückgab. „Und so schnell wie ein Falke. Immer wieder kommt er überfallartig aus den Bergen im Norden angestürmt …“

„Sind das die Berge, in denen Bennettco Erz abbauen will?“

„Richtig. Also, er kommt aus den Bergen, sorgt für Aufruhr und verschwindet dann wieder wie der Blitz in seiner Festung.“

„Dann ist er nicht nur ein Ganove, sondern sogar ein Outlaw, so etwas wie ein Geächteter oder Verbrecher“, sagte Joanna schaudernd.

„Und er will den Vertrag untergraben, den wir mit Abu ausgehandelt haben, weil er gemäß Abu verhindern will, dass seinem Volk das westliche System übergestülpt wird. Aber wie dem auch sei, Tatsache ist, er wird alles versuchen, um den Vertragsabschluss zu verhindern. Wenn es uns nicht gelingt, ihn umzustimmen, können wir genauso gut gleich unsere Sachen packen und nach Hause fahren.“

„Ich verstehe das irgendwie nicht. Abu könnte doch Khalil einfach verhaften lassen …“ Sie sah, wie ihr Vater die Augenbrauen hochzog und vergnügt in sich hineinlachte. „Was gibt es denn da zu lachen?“

„Ihn verhaften lassen!“ Sam lachte amüsiert auf, wobei er sich ans Kreuz fasste. „Au! Hör auf! Jede Bewegung schmerzt!“

„Ich versuche nur herauszufinden, warum man den Mann nicht einsperrt, da er doch die Gesetze bricht.“

„Ich sagte ja schon, man kriegt ihn nicht zu fassen.“

„Falls du es nicht bemerkt haben solltest, man könnte zum Beispiel Khalil in diesem Moment in einem Hotel am anderen Ende von Casablanca festnehmen“, meinte Joanna.

„Ja, den Tipp habe ich Abu auch gegeben. Aber er will Auseinandersetzungen mit der marokkanischen Regierung vermeiden.“ Seufzend ließ Sam sich in die Kissen zurückfallen. „Und damit wären wir wieder beim Ausgangspunkt und bei diesem Dummkopf Ellington. Wenn ich wenigstens lange genug aufbleiben könnte, um das Dinner durchzustehen …“

„In New York klang es so, als würdest du dich nur pro forma mit Khalil zum Essen treffen.“

„Ja, das stimmt auch. Ich meine, so war es vorgesehen – wenn mir nur der Rücken nicht so schrecklich wehtun würde!“ Sam verzog das Gesicht. „Ich hätte Khalil schon dahin gebracht, wo ich ihn haben will – und nun hat Ellington die sowieso schon schwierige Situation vollends verschlimmert.“

„Ellington tut immer nur das, was du ihm aufträgst.“

„Du hast mal wieder recht, er hat sich genau an meine Anweisungen gehalten.“ Sam blickte sie durchdringend an. „Wenn er seinen Job behalten will, dann tut er auch gut daran!“

„Das machen sowieso alle deine Mitarbeiter“, sagte Joanna sanft. „Auch dann, wenn deine Anordnungen unsinnig sind.“

„Jetzt halt aber mal die Luft an, Joanna! Was soll das überhaupt heißen? Ich habe Ellington befohlen, dem Prinzen mitzuteilen, mir sei etwas dazwischengekommen.“

„Damit hast du ihn beleidigt, denn für diesen Mann mit seinem übersteigerten Selbstwertgefühl wäre das Abendessen mit dir, Sam Bennett, dem Präsidenten der Bennettco, etwas ganz Besonderes gewesen. Doch stattdessen erfährt er telefonisch, dass man ihn mit einem kleinen Handlanger abspeisen will.“

„Red doch nicht so ein dummes Zeug! Ellington ist Direktionsassistent.“

„Das ist nur ein bedeutungsloser Titel.“ Joanna setzte sich auf die Bettkante. „Und das hat dieser Prinz genau erkannt.“

„Ich weiß ja, dass wir in Schwierigkeiten stecken, Jo! Ich suche verzweifelt nach einem Ausweg!“

„Nimm es nicht zu schwer, Dad. Der Arzt hat dir erklärt, wie schädlich Stress für deinen Rücken ist.“

„Verdammt, Mädchen, das brauchst du nicht noch zu betonen! Es steht viel auf dem Spiel – oder hast du das etwa deshalb nicht bemerkt, weil du zu beschäftigt damit warst, mich zu pflegen?“

„Nenn mich nicht Mädchen.“ Joanna blickte ihn kühl an und stand dann auf. „Ich bin deine Tochter, und wenn du dich nicht so beharrlich weigern würdest, mich über Firmeninterna zu informieren, bräuchte ich dir jetzt keine Fragen zu stellen, sondern könnte dir Vorschläge machen, wie du aus der Klemme herauskommst.“

„Hör zu, Jo, du bist zwar Diplombetriebswirtin, doch hier sind wir mitten in der knallharten Geschäftswelt und nicht in einem Hörsaal der Universität. Ellington hat uns im Stich gelassen. Er …“

„Du hättest ihn bitten müssen, Khalil mitzuteilen, dass du wieder unter deinen Rückenschmerzen leidest.“

„Wieso? Es geht niemanden etwas an, dass ich hier wie ein Riesenbaby herumliege und von dir und dem Hotelarzt verrückt gemacht werde.“

„Krankheit ist kein Zeichen von Schwäche, egal, wie du die Sache siehst. Hättet ihr die Wahrheit gesagt, wäre Khalil jetzt nicht beleidigt. Wahrscheinlich hätte er deine Absage sogar verstanden“, meinte Joanna kühl.

Sam starrte sie sekundenlang an, dann zuckte er die Schultern. „Vielleicht.“

„Was wolltest du denn heute Abend erreichen?“

„Vor allem wollte ich ihn einmal selbst in Augenschein nehmen, um mir ein eigenes Urteil zu bilden. Außerdem ist er sicher empfänglich für Schmiergeldzahlungen, auch wenn er im Augenblick noch gegen unsere Zusammenarbeit mit Abu opponiert.“

„Mit anderen Worten, Bennettco will ihn bestechen, nicht wahr?“, erkundigte Joanna sich stirnrunzelnd.

„Bakschisch nennt man das hier. Du brauchst mich gar nicht so vorwurfsvoll anzuschauen. Das ist heutzutage so üblich. Man muss nur diskret genug vorgehen dabei.“ Sam seufzte tief. „So hatte ich es jedenfalls geplant – bis Ellington mir alles verpfuscht hat.“

„Weißt du, was genau er zu Khalil gesagt hat?“

Sam schüttelte den Kopf. „Ellington hat gar nicht mit ihm persönlich gesprochen, sondern mit Hassan, einem Mitarbeiter und engem Vertrauten des Prinzen und …“

„Ein schwerer Fehler“, unterbrach Joanna ihn selbstbewusst. „Er hätte darauf bestehen müssen, selbst mit dem Prinzen zu reden.“

„Er hat es versucht, aber Hassan hat ihm erklärt, dass Khalil nicht mit Untergeordneten spricht. Untergeordnete – kannst du dir das vorstellen?“ Sam lachte belustigt. „Gern hätte ich Ellingtons Miene gesehen. Angeblich ist er danach nicht mehr zu Wort gekommen. Hassan hat gedroht, wenn ich nicht daran interessiert sei, mit Khalil zu verhandeln, dann müsse ich eben die Folgen tragen. Was genau er sich darunter vorstellt, weiß ich auch nicht. Zum Teufel, dieses Treffen wäre so wichtig gewesen!“

„Vielleicht ist ja noch nicht alles verloren.“

„Was meinst du damit? Ich habe dir doch gesagt, Khalil weigert sich, sich mit Ellington zu unterhalten.“

„Es könnte aber sein, dass er bereit ist, die Besprechung mit mir zu führen“, platzte Joanna heraus. Dieser Gedanke war ihr ganz spontan gekommen, und nun bekam sie Herzklopfen. Sams Sturheit, Ellingtons blinder Gehorsam und Khalils Arroganz hatten etwas in Bewegung gesetzt, das eventuell ihr ganzes Leben verändern könnte.

„Ach ja. Ich soll meine Tochter zu dem Treffen mit diesem Wüstling schicken. Hältst du mich für verrückt, Jo?“ Sam lachte so laut auf, dass Joanna ihn überrascht und empört anblickte.

„So schlimm ist es nun wirklich nicht, Dad. Außerdem findet das Dinner in einem Luxusrestaurant statt. Ich wäre also absolut sicher.“

„Vergiss es. Der große Khalil will mit Untergeordneten nichts zu tun haben.“

„Ich heiße auch Bennett und habe deshalb ein berechtigtes Interesse an Bennettco. Das könnte ihn zum Einlenken bewegen.“ Joanna schaute ihren Vater an, während ihre zunächst vagen Vorstellungen konkrete Formen annahmen. „Und ganz besonders dann, wenn ich mich ihm als Vizepräsidentin von Bennettco vorstellen kann.“

„Von daher weht also der Wind, oder?“, fragte Sam finster.

„Ich bin deine einzige Erbin. Von klein auf hast du mich mitgenommen ins Büro.“

„Sind wir also wieder bei dem Thema“, meinte er missmutig.

„Ich bin die Einzige außer dir, die so viel über das ganze Geschäft weiß“, fuhr Joanna unbeirrt fort. „Ich kann sogar einen Universitätsabschluss vorweisen. Trotzdem weigerst du dich hartnäckig, mich bei dir zu beschäftigen.“

„Das tue ich doch schon. Seit du alt genug dazu bist, fungierst du als Gastgeberin bei uns zu Hause in Dallas und New York.“

„Ach, das“, wehrte sie geringschätzig ab.

„Ja, genau das! Was, um Himmels willen, gefällt dir daran nicht? Jedes einigermaßen vernünftige Mädchen würde eine solche Chance mit beiden Händen ergreifen.“ Als Sam sah, wie Joanna die Augenbrauen hochzog, legte er die Hand aufs Herz. „Verzeih mir“, bat er ziemlich melodramatisch. „Ich meine natürlich, jede einigermaßen vernünftige junge Frau wäre glücklich …“

„,Stanford Mining‘ hat mir eine Stelle angeboten“, unterbrach Joanna ihn sanft.

„Was sagst du da?“

Sie ging zum Schreibtisch, lehnte sich dagegen und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie hatte ganz andere Lebensziele, als nur eine schön aussehende und gut angezogene Frau an der Seite eines Mannes zu sein, und irgendwie hatte sie das Gefühl, es sei jetzt genau der richtige Augenblick, es ihrem Vater klarzumachen. „Deren Manager in Alaska verlässt die Firma. Deshalb ist man an mich herangetreten und hat mir die Stelle angeboten.“

Sams Miene wurde finster. „Du willst bei der Konkurrenz arbeiten?“

„Ganz richtig, Dad, ich will arbeiten. Immer wieder habe ich dir zu verstehen gegeben, dass ich meine Zeit nicht damit vertun will, eine immer älter werdende Debütantin zu sein.“

„Joanna.“ Seine Stimme klang nun sanft und hatte plötzlich jenen schmeichelnden Unterton, den Joanna so gut kannte. „Ich brauche dich unbedingt, du weißt genau, wie wichtig Öffentlichkeitsarbeit ist. Wenn dein Name auf den Listen von Wohltätigkeitsveranstaltungen steht und du in den Zeitungen zusammen mit Persönlichkeiten der Gesellschaft abgebildet wirst, dann …“

„Du misst solchen Dingen zu viel Bedeutung bei, Dad. Wenn es dir jedoch so wichtig ist, kann ich das alles auch noch neben meiner Berufstätigkeit wahrnehmen.“

„Überlegst du ernsthaft, den Job bei ‚Stanford‘ anzunehmen?“, erkundigte Sam sich und schaute sie nachdenklich an.

Bis jetzt hatte sie nur kurz darüber nachgedacht. Doch nun wurde ihr auf einmal klar, dass sie lieber dieses Angebot annehmen als weiterhin die Rolle spielen würde, die ihr Vater ihr zugedacht hatte. Deshalb nickte sie. „Ja, das tue ich“, erwiderte sie und blickte ihren Vater aus smaragdgrünen Augen offen an.

„Glaubst du, du könntest diesen Khalil dazu überreden, sich mit dir zu treffen?“

Ein kleiner Schauer der Erregung durchfuhr sie, doch äußerlich blieb sie ruhig und gelassen. „Ich bin überzeugt, ich habe eine gute Chance“, antwortete sie.

„Weil du ihm sagen wirst, dass du meine Tochter bist?“

„Nein, weil ich ihm sagen werde, dass du krank bist, dir dieses Treffen jedoch viel zu wichtig ist, um es einfach abzusagen. Und weil ich ihm erklären werde, dass ich in der Firma nach dir die Nummer zwei bin und du mir in jeder Hinsicht vertraust.“

Sam verzog die Lippen. „So einfach, hm?“

Natürlich gab sich Joanna keinen Illusionen hin. Es war bestimmt nicht so einfach, ganz besonders nicht in einem Land, in dem Tradition und Fortschritt miteinander wetteiferten. Aber sie hatte nicht die Absicht, ihre Bedenken zu äußern. „Meiner Meinung nach ja“, sagte sie deshalb nur.

Sie wagte kaum zu atmen, während Sam sie finster musterte. Schließlich nickte er und wies aufs Telefon. „Okay.“

„Okay was?“, fragte Joanna ruhig, doch ihr Puls raste, und sie glaubte, ihr Herz pochen zu hören.

„Ruf den Prinzen an. Wenn es dir gelingt, mit Khalil persönlich zu reden, und er damit einverstanden ist, dass du mich beim Dinner vertrittst, dann ist die Sache abgemacht.“

Joanna lächelte. „Lass uns erst die Bedingungen festlegen.“

„Hast du kein Vertrauen zu deinem Vater?“

„Du hast mich so erzogen, niemals etwas zu unterschreiben, ohne es mindestens zwei Mal gelesen zu haben.“ Sie sah, wie es in seinen Augen aufleuchtete. „Also, erstens ernennst du mich zur Vizepräsidentin von Bennettco, zweitens werde ich diese Aufgabe selbstständig und eigenverantwortlich ausführen, und drittens …“

Sam wehrte ab und warf theatralisch die Hände in die Höhe. „Ist ja schon gut. Ruf den Mann an. Dann werden wir sehen, ob du wirklich so gut bist, wie du glaubst.“ Er reichte ihr einen Notizblock vom Nachttisch mit Khalils Nummer.

Am liebsten hätte Joanna in ihrem Zimmer telefoniert, was Sam ihr jedoch sogleich wieder als Schwäche ausgelegt hätte. Deshalb blieb sie, wo sie war, und wählte langsam. Plötzlich wurde ihr ganz flau im Magen. Doch weil Sam sie aufmerksam beobachtete, lächelte sie nur kühl, ließ sich in den Sessel neben dem Bett sinken und schlug lässig die Beine übereinander. Am anderen Ende läutete es mehrere Male, und schließlich meldete sich jemand mit tiefer Stimme. Von dem ganzen Wortschwall verstand sie nur das eine Wort Hassan.

„Guten Abend, Mr. Hassan. Hier spricht Joanna Bennett, Sam Bennetts Tochter“, stellte sie sich vor.

Falls Hassan überhaupt überrascht war, verbarg er es geschickt. „Ah, Miss Bennett“, antwortete er in perfektem Englisch, „es ist mir eine Ehre. Was kann ich für Sie tun?“

Nachdem sie einige Höflichkeiten mit ihm ausgetauscht hatte, atmete sie tief ein und kam zur Sache. „Mr. Hassan, ich möchte gern mit dem Prinzen sprechen.“

„Es tut mir leid, das ist unmöglich, Miss Bennett. Wenn Sie eine Nachricht für ihn hinterlassen wollen, dann werde ich sie ihm gern ausrichten.“ Hassans Stimme klang sehr geschäftsmäßig.

Joanna fühlte sich unbehaglich, denn ihr Vater blickte sie unverwandt an, und seine Lippen umspielte ein selbstgefälliges Lächeln. „Gib es auf, Baby“, forderte er sie auf. „Ich habe dir gleich gesagt, dass du nichts erreichst.“

„Mr. Hassan, ich möchte dem Prinzen versichern, dass mein Vater nur deshalb nicht zum Dinner kommen kann, weil er plötzlich krank geworden ist. Bedauerlicherweise hat Mr. Ellington die Anweisungen meines Vaters falsch verstanden. An Stelle meines Vaters wird selbstverständlich sein Stellvertreter Jo Bennett den Termin mit dem Prinzen wahrnehmen“, erklärte sie ruhig.

„Einen Augenblick bitte, Miss Bennett“, sagte Hassan.

Joanna schöpfte Hoffnung. Sie lächelte Sam betont freundlich an. „Er stellt mich zum Prinzen durch“, behauptete sie.

In der eleganten königlichen Suite des Hotels Casablanca blickte Prinz Khalil seinen Minister fragend an. „Was für ein Mensch ist dieser Sam Bennett eigentlich? Er lässt seine Tochter für sich sprechen.“ Khalil verschränkte die Arme vor der Brust, und seine dunkelblauen Augen leuchteten wie Saphire in dem edlen gebräunten Gesicht. „Er ist offenbar beunruhigt“, fügte er zufrieden hinzu und lehnte sich gegen die Wand.

„So sehe ich es auch, mein Herr. Wahrscheinlich ist er bereit, unseren Wünschen entgegenzukommen, sonst hätte er nicht eine Frau um Vermittlung bitten müssen.“

„Es ist ziemlich dumm von ihm, seine Tochter auf eine solche Reise mitzunehmen“, bemerkte Khalil verächtlich. „Die Frau hat sicher gedacht, Casablanca sei eine exotische Spielwiese, wo sie sich austoben kann.“

Hassan zog die leicht ergrauten Augenbrauen hoch. „Natürlich, mein Herr. Schließlich kommt sie ja aus dem Westen.“

„Was will sie überhaupt?“, erkundigte Khalil sich.

„Mit Ihnen sprechen.“

Khalil lachte laut auf, woraufhin Hassan sich ein mildes Lächeln gestattete. „Selbstverständlich habe ich ihr gesagt, dass das nicht möglich ist. Und dann meinte sie, Sam Bennett wünsche, das Dinner solle heute Abend stattfinden.“

„Ach ja.“ Khalil verzog amüsiert die Lippen. „Demnach hat Bennett beschlossen, den Termin doch einzuhalten?“

„Er ist krank, Sir. Jedenfalls behauptet das die Frau. Jetzt will er einen Vertreter schicken. Ich vermute, das ist nur eine Entschuldigung, um das Gesicht nicht zu verlieren.“

Khalil ging im Zimmer hin und her. „Ich rede nicht mit seinen Stellvertretern, Hassan.“

Hassan senkte respektvoll den Kopf. „Nein, mein Herr. Aber das Angebot klingt ganz interessant. Jo Bennett, angeblich Vizepräsident der Gesellschaft, soll in die Bresche springen.“

„Diesen Namen habe ich noch nie gehört.“ Khalil kniff die Augen zusammen.

Stirnrunzelnd nahm Hassan den Hörer wieder auf. „Eine Person dieses Namens ist uns nicht bekannt, Miss Bennett. Handelt es sich dabei um einen Verwandten Ihres Vaters?“

„Mr. Hassan, wenn Sie mich kurz mit dem Prinzen sprechen lassen würden …“

„Der Prinz redet nicht mit Untergebenen, genauso wenig wie er sich mit ihnen trifft“, entgegnete Hassan ungerührt. „Wenn Sie meine Frage beantworten, gebe ich die Information an den Prinzen weiter. Wenn nicht, dann ist das Gespräch hiermit beendet.“

„Jo“, mischte Sam sich gebieterisch ein, „gib es auf. Du sollst aufgeben! Du hast es versucht und verloren.“

„Miss Bennett, ich habe Sie etwas gefragt. Wer ist Joseph Bennett? Sam Bennetts Sohn?“, fragte Hassan, und seine Stimme klang jetzt ungeduldig und schneidend.

Joanna schluckte krampfhaft und schloss kurz die Augen. „Ja“, antwortete sie schließlich und hoffte inständig, der Prinz würde ihr diese Notlüge verzeihen, sobald sie ihn davon überzeugt hatte, dass er so viel Geld bekommen würde, wie er brauchte, um glücklich zu sein. „Ja, so ist es, Sir.“

„Einen Augenblick bitte.“ Hassan bedeckte die Sprechmuschel mit der Hand und schaute den Prinzen an. „Er Sam Bennetts Sohn.“

„Sein Sohn“, murmelte Khalil vor sich hin. „Also ein junger Schakal statt des alten.“ Er ging erneut ruhelos auf und ab, drehte sich dann um und blickte Hassan an. „Sagen Sie der Frau, dass Sie heute Abend zum Dinner mit ihrem Bruder kommen. Vielleicht irre ich mich ja, und der Sohn hat doch einen gewissen Einfluss.“

Hassan lächelte. „Ausgezeichnet, mein Herr.“ Dann sprach er wieder ins Telefon. „Miss Bennett?“

„Ja?“, fragte Joanna blinzelnd.

„Ich, Adym Hassan, Minister seiner Hoheit, des Prinzen Khalil, werde heute Abend zum vereinbarten Treffen erscheinen.“

Joanna fasste den Hörer fester. „Aber …“

„Um acht Uhr, wie vorgesehen, im Restaurant Oasis. Wie sagt man noch bei Ihnen, Miss Bennett? Entweder nehmen Sie an, oder Sie lassen es bleiben.“

„Jo?“, erkundigte Sam sich mit erhobener Stimme. „Verdammt, Jo, was sagt er? Er lässt dich abblitzen, nicht wahr?“

„Natürlich“, Joanna beugte sich tiefer über das Telefon, „um acht Uhr. In Ordnung. Vielen Dank, Sir.“ Dann legte sie den Hörer auf, atmete tief ein und aus und wandte sich ihrem Vater zu. „Siehst du, das war doch gar nicht so schwierig“, sagte sie betont lebhaft.

„Er wird tatsächlich mit dir vorlieb nehmen?“ Seine Stimme klang zweifelnd.

Joanna nickte. „Ja, sicher, ich sagte es doch gerade.“

Sam stieß hörbar die Luft aus. „Okay, okay. Dann wollen wir mal sehen, wie wir heute Abend das Beste aus der Sache herausholen.“ Plötzlich grinste er übers ganze Gesicht. „Nicht schlecht, Kindchen, nicht schlecht.“

„Nenn mich nicht Kindchen. Ich bin Vizepräsidentin Jo Bennett, wenn du nichts dagegen hast“, entgegnete Joanna lächelnd.

Vizepräsident Joseph Bennett, dachte sie und schauderte. Das versprach interessant zu werden, wenn der Minister Adym Hassan feststellen musste, dass sie ihn belogen hatte.

Ähnliche Gedanken gingen auch Hassan durch den Kopf, während er den Hörer auflegte. „Ich traue Bennetts Beweggründen nicht, mein Herr. Aber warten wir es ab. Ich werde mich heute Abend mit dem Bruder der Frau treffen.“

Khalil nickte zustimmend. „Gut.“ Dann drehte er sich um, ging langsam durchs Zimmer und blickte nachdenklich zum Fenster hinaus, so als könnte er weit hinten am Horizont, jenseits der Stadt, die Hügel erkennen, die die Grenzen seines Königreichs bildeten. Sam Bennett ist ein hinterhältiger, unberechenbarer Gegner, ich muss darauf gefasst sein, dass sein Sohn ihm sehr ähnlich ist. Hassan wird ihm nicht gewachsen sein, er ist zwar loyal und klug, aber nicht mehr der Jüngste. Wie kann ich es verantworten, diesen alten Mann zum Dinner mit Bennett zu schicken? All das ging Khalil durch den Kopf, denn während der vergangenen Wochen hatte er eines gelernt: Einem Bennett zu vertrauen, war genauso dumm, wie einem Fuchs die Aufsicht über den Hühnerstall zu übertragen.

Khalil drehte sich unvermittelt um. „Hassan!“

„Ja, mein Herr?“

„Ich will mich selbst mit Sam Bennetts Sohn unterhalten.“

„Sie, Sir? Aber …“, begann Hassan irritiert.

„Es gibt kein Aber, Hassan“, unterbrach Khalil ihn scharf. „Lassen Sie uns Kaffee kommen, und dann mache ich mich fertig.“ Dabei lächelte er so angespannt, dass die, die ihn kannten, wussten, es verhieß nichts Gutes. „Ich verspreche Ihnen, auf die eine oder andere Weise wird der heutige Abend alles verändern.“

Dasselbe dachte auch Joanna, während sie neben ihrem Vater saß und nur mit halbem Ohr hinhörte, als er mit ihr das bevorstehende Treffen mit Khalil besprach. Im Innersten spürte sie, dass ihr Leben sich nach diesem Abend dramatisch verändern würde.

Und erst viel später erinnerte sie sich daran, wie richtig ihre Vorahnungen gewesen waren.

2. KAPITEL

Was ziehe ich nur an zum Abendessen mit dem Falken des Nordens oder besser, mit seinem Minister? überlegte Joanna, während sie ihre Garderobe in Augenschein nahm. Wozu brauchte ein Herrscher wie Khalil überhaupt Minister? Trotz der nur kurzen Unterhaltung glaubte sie, sich ein Bild von Hassan machen zu können. Sie stellte sich ihn groß, ungelenk und uralt vor. In seinen blassen, wässrigen Augen würde es verächtlich aufblitzen, sobald ihm klar wurde, dass sein Gesprächspartner eine Frau war, denn in der Welt, in der er lebte, gab es keine Gleichberechtigung.

Pünktlich um acht Uhr stieg Joanna aus dem Taxi. Ein perfektes Timing! Rasch vergewisserte sie sich, dass die beiden perlenbesetzten Glitzerkämmchen richtig saßen, mit denen sie das volle, glänzende kastanienbraune Haar zurückgesteckt hatte. Dann strich sie den kurzen Rock des grünen Seidenkleids glatt. Sie hatte es dem eleganten Hosenanzug vorgezogen, der sie ihrer Meinung nach zu streng hätte aussehen lassen.

Der Portier beobachtete sie aufmerksam. Deshalb atmete sie schließlich tief ein, hob das Kinn und ging entschlossen auf ihn zu. Sie war ein bisschen nervös, unter diesen Umständen durchaus verständlich. Alles, was sie sich wünschte – die Anerkennung ihres Vaters und den Posten als Vizepräsidentin bei Bennettco – hing vom Gelingen ihrer Verhandlungen mit Hassan ab.

Masa el-kheyr, Madam.“

Joanna nickte kurz. „Guten Abend“, erwiderte sie den Gruß und ging durch die Tür.

Sogleich hatte sie das Gefühl, in eine ganz andere Welt eingedrungen zu sein. Die indirekte Beleuchtung und die auf den Tischen flackernden Kerzen verliehen der Atmosphäre etwas Geheimnisvolles. Im Hintergrund erklang Musik, Flöten und Glockenspiele ertönten, die sich anhörten wie ein Windhauch, der durch die Blätter ging.

Masa el-kheyr, Madam. Werden Sie erwartet?“, erkundigte sich der Ober freundlich lächelnd.

„Ja“, antwortete sie höflich. „Mein Name ist Bennett. Ich habe einen Tisch reservieren lassen.“

War es nur Einbildung, dass der Mann die Augenbrauen leicht hochzog? Er lächelte sogleich wieder, neigte den Kopf und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Dann ging er auf einen gewölbten Durchgang mit einem Perlenvorhang zu, der kaum merklich hin und her schwang. Mit einer kaum wahrnehmbaren Verbeugung zog er ihn zur Seite.

„Bei der Reservierung wurde ausdrücklich um einen möglichst diskreten Platz gebeten“, meinte er erklären zu müssen.

Joanna nickte zustimmend. Dann brauchten sie und Hassan sich wenigstens nicht um …

In diesem Augenblick bemerkte sie den Mann am Tisch. Er stand jetzt auf, war etwa dreißig bis fünfunddreißig Jahre alt, groß, schlank und breitschultrig und trug einen eleganten maßgeschneiderten Anzug. Seine Augen waren einfach unglaublich blau und bildeten einen auffallenden Gegensatz zu seiner gebräunten Haut. Er hatte eine gerade Nase und volle sinnliche Lippen – und er lächelte Joanna freundlich an.

Sogleich bekam sie Herzklopfen. Du liebe Zeit, er sieht einfach umwerfend gut aus! Etwas nervös erwiderte sie sein Lächeln und wandte sich dann rasch an den Ober. „Es tut mir leid, aber hier muss ein Irrtum vorliegen.“

„Ja“, mischte sich der Fremde ein. Sie drehte sich wieder zu ihm um. Sein Lächeln wurde breiter, und er blickte sie vertraulich und viel versprechend an. „Ich fürchte, die Dame hat Recht.“ Seine Stimme klang weich und rau, er sprach mit einem kaum wahrnehmbaren, undefinierbaren Akzent. „Wenn ich nicht mit einem Herrn verabredet wäre …“

Der Ober räusperte sich. „Entschuldigen Sie bitte, Sir, sagten Sie nicht, Sie warten auf Mr. Joseph Bennett?“

„Ja, richtig.“

„Dann ist alles in Ordnung, Sir. Dies ist der Herr – oh, pardon, die Dame, die Sie erwarten.“

Sekundenlang blickte Joanna den Mann an. War er etwa Hassan, Khalils Minister? Oh nein, fuhr es ihr durch den Kopf, als sie sein Mienenspiel las, das nacheinander alles ausdrückte, von ungläubigem Erstaunen bis hin zu kalter Wut. Deshalb trat sie entschlossen auf ihn zu und reichte ihm die Hand. „Mr. Hassan“, begrüßte sie ihn freundlich, „es ist mir ein Vergnügen, Sie kennen zu lernen. Ich bin Jo Bennett.“

Er blickte so angewidert auf ihre Hand, als wäre sie verseucht. „Wenn das eine Kostprobe westlichen Humors sein soll, muss ich Sie warnen. Ich finde die Sache gar nicht lustig“, antwortete er kühl.

Joanna schluckte heftig, ließ die Hand, die plötzlich ganz feucht geworden war, sinken und unterdrückte die Regung, sie an dem Rock ihres Kleids abzuwischen. „Es ist keineswegs ein Scherz, Sir.“

Sir? Was war nur los mit ihr? Ließ sie sich etwa von dem arroganten Minister eines unbedeutenden despotischen Herrschers wie ein Schulmädchen abkanzeln? Gut und schön, sie war nervös, das hieß aber noch lange nicht, dass sie sich so sang- und klanglos unterordnete. Ob es Mr. Hassan gefiel oder nicht, sie waren gleichwertige Gesprächspartner. Und je eher sie ihn daran erinnerte, desto besser.

Joanna hob energisch das Kinn und zauberte ein kühles Lächeln auf die Lippen. „Ich bin Joanna Bennett“, erklärte sie ruhig. „Ich verstehe, dass Sie etwas überrascht sind, aber …“

„Und wo ist Sam Bennetts Sohn?“

„Ich bin es.“ Joanna schüttelte den Kopf. „Ich wollte sagen, er hat keinen Sohn, Mr. Hassan. Ich bin …“

„Seine Tochter?“

„Ja.“

„Sie sind Jo Bennett?“

„Joanna Bennett. Ganz richtig. Und …“

Unvermittelt wandte er sich an den Ober. „Bringen Sie mir die Rechnung“, fuhr er ihn an. Dann griff er hastig nach dem Likörglas, leerte es in einem Zug, stellte es wieder ab und verbeugte sich spöttisch vor Joanna. „Gute Nacht, Miss Bennett.“

Wie erstarrt blickte sie hinter ihm her, während er auf den Perlenvorhang zuschritt. In allerletzter Sekunde erwachte sie jedoch aus ihrer Bewegungslosigkeit, ihr Kampfgeist kehrte zurück, und sie versperrte dem Mann rasch den Weg. „Noch eine Minute, Mr. Hassan!“

„Machen Sie mir bitte Platz!“ Er schleuderte ihr die Worte so gleichgültig und uninteressiert entgegen, als wäre sie ein Hund, dem man einen Knochen hinwirft.

Und das brachte das Fass zum Überlaufen. „Was wollen Sie Prinz Khalil berichten, Mr. Hassan?“ Energisch stützte sie die Hände in die Hüften. „Dass, weil Sie ein engstirniger, altmodischer, kleinlicher und dummer …“

In seinen blauen Augen blitzte es gefährlich auf. „Hüten Sie Ihre Zunge!“

„Ich empfehle Ihnen, Ihren Verstand einzuschalten“, entgegnete Joanna schneidend. „Prinz Khalil wollte, dass Sie sich mit mir unterhalten.“

„Nein, mit Sam Bennetts Sohn! Wer hat sich dieses Täuschungsmanöver ausgedacht? Ellington? Oder sogar Ihr Vater selbst?“

„Es geht hier nicht um ein Täuschungsmanöver, Mr. Hassan.“

Der Mann lächelte frostig. „Wie würden Sie es dann nennen? Einen Trick? Oder Betrug?“

„Schlimmstenfalls ist es ein Missverständnis.“

„Bitte, Miss Bennett, beleidigen Sie mich nicht mit Ihren Wortspielen“, forderte er sie auf, während er die Arme vor der Brust verschränkte.

„Ich versuche lediglich, Ihnen zu erklären, warum …“

„Was macht Sie glauben, ich würde auch nur in Betracht ziehen, die habgierigen Pläne Ihres Vaters mit Ihnen zu besprechen?“

Joanna trafen seine unverhohlene Verachtung und die geringschätzigen Worte wie eine kalte Dusche, trotzdem begegnete sie unerschrocken seinem harten Blick. „Sie irren sich auf der ganzen Linie, Mr. Hassan. Zunächst einmal wollte ich gar nicht mit Ihnen reden, sondern mit Prinz Khalil – falls Sie so freundlich sind, sich daran zu erinnern! Und was die von Ihnen unterstellte Habgier angeht, möchte ich dazu anmerken, dass nicht mein Vater dem Fortschritt und den besseren Lebensbedingungen in Jandara im Weg steht, sondern Ihr Herrscher höchstpersönlich.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Interessant, was Sie mir da über den Prinzen erzählen, Miss Bennett. Aber offenbar mangelt es Ihnen sowohl an Scharfsinn als auch an Fingerspitzengefühl.“

Sogleich sah Joanna ein, dass er recht hatte. Sie hatte unüberlegt gesprochen, wollte jedoch jetzt keinen Rückzieher mehr machen. „Es tut mir leid, wenn Sie sich durch meine Aufrichtigkeit beleidigt fühlen, aber ich rede nicht gern um den heißen Brei herum. Ich bin für Offenheit.“

Missbilligend verzog er die Lippen. „Nachdem Sie sich unsere Begegnung mit einer Lüge erschlichen haben, gehen Sie erstaunlich leichtfertig mit dem Begriff Aufrichtigkeit um!“

„Das stimmt nicht! Ich bin tatsächlich Jo Bennett, Vizepräsidentin von Bennettco, genau wie ich es gesagt habe.“

„Sie wissen genauso gut wie ich, dass diese Verabredung niemals zustande gekommen wäre, wenn Sie uns über Ihre Identität nicht bewusst im Unklaren gelassen hätten.“

„Ja“, gab sie zu und lächelte. „Ich bin allerdings froh, dass auch Sie das so unumwunden zugeben. Sie und der Prinz hätten es nämlich als unzumutbar zurückgewiesen, mit einer Frau geschäftlich zu verhandeln.“

„Eine Frau, die einen Männernamen annimmt und sich einbildet, sie könne den Job eines Mannes ausfüllen, kann man nicht ernst nehmen“, entgegnete er spöttisch.

„Jo ist kein Männername, sondern die Abkürzung von Joanna. Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen verständlich machen soll, aber heutzutage haben wir Frauen es nicht mehr nötig, uns irgendwelcher dubioser Mittel zu bedienen, Mr. Hassan. In meinem Land …“

„Ihr Land ist nicht meines“, unterbrach er sie verächtlich.

„Richtig. Also in meinem Land …“

„In Jandara setzt man sich mit Lügnern nicht an einen Tisch.“

Joanna blickte ihn durchdringend an. „Ich kann nichts dafür, dass Sie dachten, Jo Bennett sei ein Mann.“

„Sie haben nicht versucht, das Missverständnis aufzuklären.“

„Stimmt. Und zwar deshalb nicht, weil ich wusste, dass Ihr Chef auf die Vorstellung, es geschäftlich mit einer Frau zu tun zu haben, genauso reagieren würde wie Sie jetzt. Das erklärt auch, warum mein Vater wochenlang keinen Schritt weitergekommen ist! Mit einem despotischen Herrscher zu verhandeln ist …“ Sie unterbrach sich unvermittelt, doch es war schon zu spät.

„Sprechen Sie nur weiter, Miss Bennett. Sie haben Prinz Khalil einen despotischen Herrscher genannt und, jedenfalls indirekt, einen Chauvinisten – zu gern würde ich wissen, was Sie sonst noch von ihm denken“, meinte er und lächelte hinterhältig.

Was war nur in sie gefahren? Sie hatte die Absicht gehabt, die Dinge voranzutreiben und Sam zu überzeugen, dass sie eine fähige und verantwortungsbewusste Mitarbeiterin der Firma war. Stattdessen verärgerte sie Khalils engsten Mitarbeiter immer mehr. Sie atmete tief ein und aus und zauberte ein Lächeln auf die Lippen. „Vielleicht – bin ich etwas übers Ziel hinausgeschossen.“

Der Minister lächelte verkrampft. „Das ist eine gewaltige Untertreibung. Mich – ähm – den Prinzen einen Diktator zu nennen, ist …“

„Das habe ich nicht getan!“

„Aber gedacht!“

„Nein“, log sie unverfroren, denn natürlich hielt sie ihn dafür. „Im Übrigen steht meine Meinung über den Prinzen gar nicht zur Debatte. Wir sind vom Thema abgekommen, Mr. Hassan. Wir beide sind im Auftrag hier. Weder Prinz Khalil noch mein Vater wären glücklich darüber, wenn wir berichten müssten, dass die Unterredung nicht stattfinden konnte, weil wir uns von Anfang an in die Wolle geraten sind.“

„Es wäre dann angebracht, die Wahrheit zu sagen, nämlich dass ich mich nicht zum Narren halten lasse.“

Damit hatte er recht. Sie hatte die Tatsachen ein wenig verfälscht, um ihr Ziel zu erreichen. Sie hatte sowohl ihn als auch ihren Vater belogen. Wenn Sam das herausfand …

„Nun?“, erkundigte er sich mit undurchdringlicher Miene. „Wie stehen Sie dazu, Miss Bennett?“

Joanna schluckte krampfhaft und atmete tief ein. „Sie haben guten Grund, verärgert zu sein.“

„Ist das etwa wieder einer Ihrer Tricks?“, fragte er misstrauisch.

Joanna errötete, gab sich jedoch noch nicht geschlagen. „Ich gebe ja zu, die Fakten ein bisschen manipuliert zu haben, aber direkt gelogen habe ich nicht. Ich vertrete meinen Vater und bin bevollmächtigt, in seinem Namen zu handeln. Ich erkenne an, dass es Ihnen schwer fällt, mit mir, einer Frau, zu reden …“

Ja, dachte er ungeduldig und wandte den Blick nicht von ihrem Gesicht, sie ist wirklich clever und redegewandt, diese Joanna Bennett. Sie hatte ihn beleidigt, sich daraufhin entschuldigt und versuchte nun, ihn mit allen Mitteln davon zu überzeugen, dass ihr Vater sein Projekt nur zum Wohl und Nutzen von Jandara durchführen wollte. Was steckte dahinter? Warum hatte Sam Bennett sie geschickt? Sie betonte immer wieder, sie sei Repräsentantin von Bennettco – welcher Mann würde jedoch darauf hereinfallen?

Der Blick, mit dem er sie nun musterte, war fast schon unverschämt. Es amüsierte ihn, zu sehen, wie sie errötete. Er überlegte, wie einer Frau wie ihr, die bestimmt nicht mehr unschuldig war, das passieren konnte. Obwohl er zugeben musste, dass sie eine ausgesprochene Schönheit war, fühlte er sich von ihr nicht angesprochen, denn er hatte die Erfahrung gemacht, dass sich hinter einem hübschen Gesicht und in einem schönen Körper sehr oft ein hohler Charakter verbarg. Ihm waren starke und selbstständige Frauen lieber als diese verwöhnten, nur auf Äußerlichkeiten bedachten Modepüppchen.

Eigentlich hätte er sich jetzt als Prinz Khalil zu erkennen geben und ihr mitteilen müssen, dass sie und ihr Vater nur ihre Zeit verschwendeten. Andererseits brannte er darauf, zu erfahren, worauf sie hinauswollten. „Ich verstehe immer noch nicht, warum Ihr Vater Sie geschickt hat, Miss Bennett“, sagte er scharf. „Oder glaubt er, durch den Überraschungseffekt zum Erfolg zu gelangen?“

„Vielleicht hilft es Ihnen, dass ich genauso verblüfft bin wie Sie“, platzte Joanna heraus. „Ich habe gedacht, Sie …“

„Ja?“ Er kniff die Augen zusammen. „Welches Bild haben Sie sich von mir gemacht?“

Dass Sie hundert Jahre alt und runzlig sind, dachte Joanna. Laut sagte sie jedoch nur sehr vorsichtig: „Ich habe gedacht, wir könnten uns zusammensetzen und die Meinungsverschiedenheiten diskutieren, die zwischen Prinz Khalil und Bennettco aufgetreten sind.“

„Oh, ja. Bennettco unterhält sich sonst nur mit Abu. Man geht wohl davon aus, Prinz Khalil ignorieren zu können …“

„Abu Al Zouad ist der König von Jandara“, unterbrach Joanna ihn und lächelte frostig. „Oder hat Ihr Prinz diesen kleinen Unterschied übersehen?“

„Er ist Sultan und nicht König“, erwiderte Khalil scharf. „Auf gar keinen Fall hat er Khalil etwas zu befehlen.“

„Abu ist der anerkannte Herrscher Ihres Landes. Er hat Bennettco das Schürfrecht in den nördlichen Bergen garantiert.“

„Wenn das zutrifft, warum legt Ihr Vater dann so großen Wert auf ein Gespräch mit uns?“, erkundigte der Mann sich betont freundlich.

„Um über das Wohl Ihres Volkes zu reden.“

„Unsinn, Miss Bennett. Das ist für uns kein Thema.“ Er lachte verächtlich auf.

Er nimmt wenigstens kein Blatt vor den Mund, fuhr es Joanna durch den Kopf. „Nun gut. Mein Vater wünscht, dass wir über unsere unterschiedlichen Standpunkte zu diesem Projekt diskutieren. Deshalb bin ich ziemlich erstaunt, dass Sie sich weigern, mir überhaupt zuzuhören, Mr. Hassan. Es ist nur von Vorteil für Khalil …“

„Sir?“ Beide drehten sich gleichzeitig zu dem Oberkellner um. „Die Rechnung, Sir.“

Khalil warf einen Blick auf das silberne Tablett, das der Mann in der Hand hielt, und schaute dann Joanna an. Sie hat recht, es wäre ein Fehler, ihr nicht zuzuhören, überlegte er. Er wollte unbedingt erfahren, welche Tricks ihr Vater sich ausgedacht hatte.

„Nun gut“, stimmte er schließlich zu, „ich gewähre Ihnen eine Stunde, aber keine Sekunde länger.“

Joanna nickte zustimmend, wagte aber kaum zu atmen vor Angst, dieser unmögliche Mann würde seine Meinung wieder ändern und sie einfach dort sitzen lassen.

Khalil nickte ebenfalls, so als wollte er damit die Abmachung bekräftigen. Dann wandte er sich an den Kellner. „Bringen Sie uns das Essen, das ich bestellt habe“, trug er ihm auf und entließ ihn dann mit einer Handbewegung.

„Gern, Sir.“

„Setzen Sie sich, Miss Bennett.“

Setzen Sie sich, wiederholte Joanna insgeheim und nahm auf der gepolsterten Bank Platz. Er befiehlt es einfach, ohne wenigstens höflichkeitshalber bitte hinzuzufügen. Außerdem hat er das Essen bestellt, ohne nach meinen Wünschen zu fragen, obwohl ich den Tisch habe reservieren lassen. Dieser Mann ist ungemein arrogant und herrschsüchtig, dachte sie.

„So.“ Er saß ihr jetzt gegenüber und beobachtete sie aufmerksam. Dann lehnte er sich zurück, wobei sich sein Jackett über den breiten Schultern ein wenig spannte. „Sie können die Unterredung eröffnen, indem Sie mir etwas über das Bennettco-Projekt berichten.“

Das tat sie dann auch, war jedoch davon überzeugt, dass er bereits alle Einzelheiten genau kannte. Sie redete ununterbrochen, während sie Zitronensuppe und danach Couscous mit gebratenem Huhn in Safran aßen.

Irgendwann hob er die Hand und beendete ihren Redefluss. „Das ist ja alles sehr interessant – aber ich weiß immer noch nicht, warum ich – ich meine, der Prinz Bennettco die Erlaubnis erteilen sollte, in den Bergen Erz abzubauen.“

„Nun, es würde die Wirtschaft in Jandara ankurbeln. Außerdem …“ Joanna runzelte die Stirn. „Ich glaube nicht, dass Erlaubnis erteilen der richtige Ausdruck ist, nicht wahr, Mr. Hassan?“

„Englisch ist zwar nicht meine Muttersprache, Miss Bennett. Ich spreche es jedoch seit frühester Kindheit. Ich bin mir bewusst, was ich gesagt habe. Erlaubnis war schon das richtige Wort.“

„Khalil besitzt gar keine Entscheidungsbefugnis. Die liegt bei Abu.“

„Ach, tatsächlich?“ Er lächelte. „Wenn das so wäre, würden Sie bestimmt jetzt nicht hier sitzen. Sie haben Angst davor, Khalil könnte die Umsetzung des Projekts verhindern, stimmt’s?“

Joanna zuckte die Schultern. Leugnen war sinnlos. „Ja, wir halten es für möglich.“

„Haben Sie auch einmal darüber nachgedacht, warum er ein so großes Interesse daran hat?“

„Vielleicht hat er noch gar nicht begriffen, in welchem Ausmaß es seinem Volk nützen würde.“

Was für eine arrogante Frau! dachte Khalil und zwang sich, weiterhin zu lächeln. „Sie halten ihn also für egoistisch und eigennützig?“

Mit einiger Überraschung nahm Joanna den eigenartigen Unterton in seiner Stimme zur Kenntnis und beschloss, auf der Hut zu sein. „Mag sein, dass er es nicht so sieht“, begann sie vorsichtig. „Aber …“

„Hauptsache, Sie tun es, nicht wahr?“

„Sie verdrehen meine Worte, Mr. Hassan.“

„Nein, ganz im Gegenteil. Ich bemühe mich, Ihre Sorgen und Wünsche zu verstehen. Was soll ich ihm sonst noch übermitteln außer der Warnung hinsichtlich seines Egoismus?“

Joanna schaute ihn verblüfft an. Will er mir zu verstehen geben, ihm nun Schmiergeld anzubieten? überlegte sie. Ein solches Angebot ging ihr völlig gegen den Strich, allerdings kam sie offenbar mit Argumenten nicht weiter. Sam hatte sie darauf vorbereitet, dass dies im Geschäftsleben üblich war.

„Keine Angst, Miss Bennett, sprechen Sie sich ruhig aus. Deshalb sind Sie doch hier, oder?“, sagte er kühl.

„Sagen Sie ihm, dass wir es nicht ungestraft hinnehmen werden, wenn unseren Arbeitern etwas zustößt.“

„Aha. Sie befürchten also, er würde sie angreifen oder erschießen lassen“, stellte er unbeeindruckt fest, als wäre das alles ganz normal.

„Nein, das tun wir nicht, Mr. Hassan“, log sie und bemühte sich, so gleichgültig zu klingen wie er. „Wir werden das Projekt vorantreiben, egal, wie der Prinz dazu steht. Natürlich wäre es uns lieber, er würde mit uns zusammenarbeiten.“

Am liebsten hätte er Joanna an den Schultern gepackt und kräftig durchgeschüttelt, um sie zur Vernunft zu bringen. „Ach, wirklich?“, fragte er stattdessen gefährlich ruhig. Joanna hörte gar nicht richtig zu, denn sie überlegte, dass wahrscheinlich doch nur das hohe Schmiergeld, das Sam zu zahlen schon in Betracht gezogen hatte, diese Unterredung erfolgreich beenden würde. „Und wie wollen Sie das bewerkstelligen, Miss Bennett?“, fügte er hinzu.

Sie warf ihm einen verächtlichen Blick zu. Dann öffnete sie ihre Abendtasche und zog den Umschlag heraus, den ihr Vater ihr gegeben hatte. „Damit“, erklärte sie unumwunden und schob das Kuvert über den Tisch.

Er senkte den Kopf. Er war so wütend, dass er die Buchstaben nur verschwommen wahrnahm. Doch mit einem Mal war es ihm gleichgültig, was diese Frau ihm da anbot. Sie hatte ihn beschuldigt, ein starrsinniger und eigennütziger Despot zu sein – und nun versuchte sie ihn auch noch zu kaufen wie einen ganz gemeinen Dieb.

„Nun?“ Ihre Stimme klang ungeduldig. „Reicht das?“

Khalil biss die Zähne zusammen, zählte insgeheim bis zehn, und erst dann nahm er den Umschlag und steckte ihn wie nebenbei in die Tasche. „Oh, ja“, antwortete er betont freundlich, „es ist sogar mehr als genug.“

Ich habe es erreicht! Ich habe Khalil auf unsere Seite gezogen, frohlockte Joanna. Doch als ihr bewusst wurde, dass sie es eigentlich nur mit Bestechung geschafft hatte, fiel ein Wermutstropfen in ihre Freude. Rasch schob sie diesen Gedanken beiseite, entschlossen, ihren Erfolg zu genießen, der so enorm wichtig für ihre zukünftige Arbeit bei Bennettco war.

Khalil stand auf. „Kommen Sie, Miss Bennett“, forderte er sie sanft auf, reichte ihr die Hand und schien zu lächeln – oder etwa nicht? Jedenfalls verzog er die Lippen.

„Ich soll mitkommen?“, erkundigte sie sich. „Wohin?“

„Ich möchte unser Abkommen mit Champagner begießen. Aber nicht hier, wo so viele Touristen einkehren. Ich weiß etwas viel Besseres, Joanna.“

Er hatte sie beim Vornamen genannt! Das Herz klopfte ihr zum Zerspringen. Geh nicht mit ihm, warnte jedoch plötzlich eine innere Stimme sie.

„Joanna?“

Wozu die lächerlichen Bedenken? Ich habe ein fantastisches Ergebnis erzielt, was mein Vater mir nie zugetraut hat. Weshalb sollte ich mich jetzt fürchten? ging es ihr durch den Kopf. Sie stand ebenfalls auf und legte ihre Hand in seine.

Er führte sie durchs Restaurant, sagte irgendetwas zum Ober, der sich respektvoll verneigte und ihnen die Tür öffnete. Joanna hatte das Gefühl, dass es draußen noch dunkler geworden war. Khalil legte ihr die Hand unter den Ellbogen und dirigierte Joanna zu einem schnittigen Sportwagen, den er am Straßenrand geparkt hatte.

„Haben Sie gesagt, wir würden Champagner trinken?“, erkundigte sie sich unvermittelt, denn ihr war etwas eingefallen.

Er nickte, während er ihr in den Wagen half. Dann ging er darum herum und schob sich auf den Fahrersitz. „Ja, natürlich. Wir haben doch Grund zum Feiern. Was überrascht Sie daran so sehr?“

Sie runzelte leicht die Stirn. „Ich wundere mich tatsächlich, denn ich habe geglaubt, Sie würden nur Wein trinken.“

„Verlassen Sie sich darauf, Joanna“, erwiderte er sanft lächelnd, „Sie werden noch mehr Überraschungen erleben, ehe die Nacht vorüber ist.“

Und dann gab er Gas, und sie brausten in die Dunkelheit.

3. KAPITEL

Joanna hatte sich Casablanca ausgesprochen romantisch vorgestellt, denn sie erinnerte sich an den großartigen Film mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman. Doch seit jener Zeit hatte sich viel verändert. Die Stadt war zwar alt und geschichtsträchtig, wunderschön und geheimnisvoll, zugleich aber der ökonomische Mittelpunkt Marokkos. Deshalb wirkte sie in vielerlei Hinsicht ganz alltäglich, teilweise sogar richtig düster und langweilig.

Der Mann neben ihr war allerdings alles andere als das. Verstohlen blickte sie ihn unter halb gesenkten Lidern hervor an. Noch nie war sie einem Mann wie ihm begegnet, und das wollte etwas heißen.

Sie betrachtete sein strenges, klares Profil, die breiten Schultern und die gepflegten Hände, mit denen er das Lenkrad hielt. In dem eleganten Anzug sah er ausgesprochen weltmännisch aus. Trotzdem konnte sie sich ihn auch gut in ganz anderer Kleidung und Umgebung vorstellen.

Ja, überlegte sie und malte sich aus, wie er in einem langen, im Wind wehenden Gewand auf dem Rücken eines schwarzen Hengstes bei Vollmond tollkühn durch die einsame Wüste ritt.

„Sie sind so schweigsam, Miss Bennett.“ Sie hielten vor einer Ampel. Khalil schaute sie fragend an, und ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen. Irgendwie hatte sie das unbehagliche Gefühl, dass er sie unbemerkt beobachtet hatte. Rasch strich sie sich das Haar aus dem Gesicht und erwiderte höflich sein Lächeln.

„Ich habe mich auf die Fahrt konzentriert“, entgegnete sie, während er weiterfuhr.

Der Platz der Vereinten Nationen lag zu dieser Zeit still und verlassen da. Lediglich ein Paar in traditioneller Kleidung war noch unterwegs. Die Frau hielt sich einige Schritte hinter dem Mann. Wie ein ergebener Diener, fuhr es Joanna durch den Kopf.

„Sie drückt damit nicht Unterwürfigkeit aus, Miss Bennett“, erklärte Khalil unvermittelt. „Die Frau sieht nur schlecht.“

Verblüfft drehte Joanna sich zu ihm um, doch er blickte starr geradeaus auf die Straße. „Wie bitte?“

„Die beiden dort“, erklärte er und verzog die Lippen überheblich. „Ich kann Ihnen versichern, sie bleibt nicht aus Ehrfurcht hinter ihm, wie Sie vielleicht glauben.“

Natürlich hatte er mit seiner Vermutung Recht. Sie warf ihm einen frostigen Blick zu. „Sind Sie Experte im Gedankenlesen, Mr. Hassan?“

„Sie sind nur leicht durchschaubar. Sie scheinen überzeugt zu sein, wir würden unsere Frauen als persönliches Eigentum betrachten.“

„Das sind Ihre Worte, nicht meine.“

„Sie drücken sich sehr diplomatisch aus, Joanna. Vermutlich weiß Ihr Vater das auch, sonst hätte er Sie nicht mit einer so delikaten Aufgabe betraut.“

Sie entspannte sich ein wenig. Er hatte recht, es war tatsächlich eine waghalsige Sache gewesen, die sie glücklicherweise erfolgreich zum Abschluss gebracht hatte.

„Ja“, stimmte sie liebenswürdig zu, während sie die spärlich beleuchteten Straßen vorbeihuschen sah.

„Hat er keinen Sohn?“

„Nein“, gab sie ihm zuckersüß Auskunft. „Wahrscheinlich bedauern Sie ihn deswegen …“

„Ganz und gar nicht. Ich stelle mir vor, dass Sie ihm deshalb besonders ans Herz gewachsen sind“, unterbrach er sie.

Ein stechender Schmerz durchfuhr Joanna. Der Mann irrte sich, denn die Liebe ihres Vaters galt einzig und allein seiner Firma.

„Es ist doch so, Joanna, oder?“

Sie schluckte heftig. „Ja“, sagte sie rasch. „Ich bin für ihn so wichtig wie Sie für Prinz Khalil.“

„Wie ich …“ Unvermittelt drehte er sich zu ihr um.

„Ja, Khalil hält sicher viel von Ihnen, weil er Ihnen diese wichtige Angelegenheit übertragen hat …“

„Ach so, ja.“ Er lächelte. „Natürlich. Sie fragen sich sicherlich, ob Khalil sich an meine Zusage gebunden fühlt.“

„Nein, daran zweifle ich nicht …“

„Ich versichere Ihnen, er verlässt sich auf mein Urteil.“ Wieder warf er ihr einen Seitenblick zu, und plötzlich wurde seine Miene ganz ernst. „Für das, was heute Nacht geschieht, übernehme ich die volle Verantwortung.“

Joanna zog die Augenbrauen hoch. „Ja, sicher“, stimmte sie höflichkeitshalber zu. Dieser Mann war nicht nur arrogant, sondern darüber hinaus auch noch menschenverachtend. Für das, was heute nach geschieht, übernehme ich die volle Verantwortung! Das grenzte schon an Lächerlichkeit. Wie konnte er als Minister so eine großspurige Aussage machen?

Wahrscheinlich ist Khalil noch viel unmöglicher als Hassan, überlegte Joanna und seufzte. Dann lehnte sie sich bequem zurück. Wohin fuhren sie eigentlich? Längst hatten sie das Stadtgebiet hinter sich gelassen und rasten auf einer schmalen Straße dahin, die im endlosen Nichts der Nacht verschwand.

„Sie sind wieder so schweigsam, Joanna. Wie fühlen Sie sich, nachdem Sie Ihr Ziel erreicht haben?“ Seine Stimme klang gleichgültig, doch Joanna ließ sich nicht täuschen, denn sie hatte den spöttischen Unterton sehr wohl herausgehört.

„Ich bin eher der Meinung, wir beide haben bekommen, was wir uns wünschten“, entgegnete sie höflich.

„Natürlich. Ich habe Ihnen meine Zusammenarbeit in Aussicht gestellt, dafür habe ich …“ Er schaute sie an und lächelte flüchtig. „Dafür habe ich das angebotene Geld entgegengenommen.“ So, wie er die Worte betonte, klangen sie sehr eigenartig, irgendwie so, als hätte sie, Joanna, ihm etwas Verabscheuungswürdiges, Niederträchtiges vorgeschlagen. War sie etwa zu undiplomatisch vorgegangen?

„Allen ist damit gedient“, fuhr er fort. „Man hat Khalil gekauft, Bennettco wird einen kräftigen Gewinn einfahren – und Abu Al Zouad wird immer reicher und fetter. Alles in allem ein Abkommen, mit dem man zufrieden sein kann, oder?“

„Also“, begann Joanna unbehaglich, „ich weiß nicht, was sich zwischen dem Prinzen und dem Sultan abspielt, aber …“

„Allen ist damit gedient“, wiederholte er scharf. „Alle profitieren bei dem Deal, nur mein Volk nicht.“

Als würde der Prinz dabei an sein Volk denken, überlegte Joanna ärgerlich, verkniff sich jedoch die bissige Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag. „Es ist zu spät, um noch etwas zu ändern, Mr. Hassan“, sagte sie stattdessen nur. „Sie haben mir Ihr Wort gegeben …“

„Wenn Sie an mein Ehrgefühl appellieren, dann verschwenden Sie nur Ihre Zeit“, unterbrach er sie kühl.

Ihre Blicke trafen sich. Plötzlich wünschte Joanna sich meilenweit weg. „Ich wollte lediglich darauf hinweisen, dass wir vereinbart haben …“

„Was hätten Sie denn getan, wenn ich das Geld zurückgewiesen hätte?“

„Hören Sie zu, Mr. Hassan, falls Sie Bedenken haben, ob Khalil es annimmt ….“ Joanna unterbrach sich. Sie musste vorsichtiger taktieren und ihre Verärgerung verbergen. „Ich wollte damit nicht behaupten …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich möchte mir kein Urteil erlauben.“

„Oh, doch, das ist genau das, was Sie und Ihr ehrenwerter Vater die ganze Zeit tun. Mit Abu Al Zouad hat Bennettco großzügig verhandelt, während man Prinz Khalil für käuflich hält und einfach mit Geld abfertigt …“

„Ach ja?“ Sein anmaßender Ton ließ Joanna auffahren. „Machen Sie sich über mich lustig? Vergessen Sie nicht, ich weiß genau, wie viel auf das Schweizer Bankkonto eingezahlt wird“, wehrte sie sich vehement. „Moment mal, geht es Ihnen nur darum? Versuchen Sie etwa, eine höhere Summe herauszuschlagen?“

„Und wenn es so wäre? Sie würden doch jede Summe bezahlen, nur um Ihr Ziel zu erreichen.“ Er warf ihr einen so verächtlichen Blick zu, dass sie zurückschreckte. „Das ist nämlich die Basis, auf der Leute wie Sie Geschäfte abwickeln. Sparen Sie sich die Mühe, es abzustreiten.“

Joanna verstand die Welt nicht mehr. Er behandelte sie auf einmal so verächtlich, dass es an Beleidigung grenzte. Sie fühlte sich plötzlich unbehaglich und hätte jetzt viel lieber im Oasis-Restaurant gesessen, statt allein mit Hassen nachts in der einsamen Gegend herumzufahren. Die Lust auf ein Glas Champagner war ihr jedenfalls gründlich vergangen.

„Ich habe es mir anders überlegt“, erklärte sie, wartete jedoch vergebens auf eine Antwort. Schließlich räusperte sie sich und fragte vorsichtig: „Mr. Hassan?“

„Ich habe es gehört. Sie wollen mit mir nicht mehr irgendwo einkehren.“

„Nein, das heißt, so ist es nicht. Nur – es ist schon ziemlich spät.“ Weshalb suche ich so krampfhaft nach einer Erklärung? dachte sie. „Wenden Sie bitte und fahren Sie mich zurück.“

„Das geht nicht.“

„Warum nicht?“, erkundigte Joanna sich erstaunt.

„Langsam ärgert es mich, Sie so sprechen zu hören“, stellte er kühl fest. „Lehnen Sie sich zurück und halten endlich den Mund.“

„Was?“ Sie traute ihren Ohren nicht. Dann schaute sie ihn prüfend an, aber er dachte gar nicht daran, sich zu entschuldigen oder sein Benehmen zu erklären. „Verdammt, Mr. Hassan, das Maß ist voll! Es reicht jetzt!“, fuhr sie ihn an.

„Ich mag keine Frauen, die fluchen.“

„Und ich verabscheue Männer, die sich wie wild gewordene Stiere gebärden! Ich fordere Sie zum letzten Mal auf, mich nach Casablanca zurückzubringen.“

„Soll das eine Drohung sein, Miss Bennett?“, fragte er und lachte.

„Mein Vater erwartet mich. Er will natürlich sogleich erfahren, wie der Abend verlaufen ist“, sagte sie rasch.

„Es gab bestimmt keinen Zweifel an dem Erfolg Ihrer Mission, oder?“

„Oh doch. Man muss immer mit einem Fehlschlag rechnen, wenn …“

„Nachdem er Sie beauftragt hatte, mit Khalil, diesem Banditen, zu verhandeln, konnte gar nichts mehr schief gehen, nicht wahr?“ Er lächelte sie freudlos an. „Er wusste, dass Sie die Sache auf die eine oder andere Weise zu seiner Zufriedenheit abschließen würden.“

Joanna gefiel diese neue Entwicklung gar nicht. „Wenn Sie mir zu verstehen geben wollen, dass mein Vater mir nicht voll und ganz vertraut“, begann sie, doch der Mann neben ihr ließ sie nicht ausreden.

„Ihnen vertrauen? Sie sind genauso wenig Vizepräsidentin von Bennettco wie die Frau, die wir vorhin auf der Straße gesehen haben.“

„Natürlich bin ich es!“

„Wahrscheinlich haben Sie weder eine Sekretärin noch ein Büro in der Firma.“

Sie schluckte krampfhaft. „Nein, noch nicht“, gab sie widerstrebend zu.

„Sie haben also keine Funktion“, stellte er schneidend fest. „Es ist eine Beleidigung, dass Ihr Vater Sie zu diesem Treffen geschickt hat.“

„Sie verstehen es falsch“, versuchte Joanna zu retten, was noch zu retten war. „Ich genieße sein Vertrauen. Ich werde zur Vizepräsidentin ernannt – nun …“

„Ich weiß genau, was Sie sind“, meinte er grimmig.

Joanna schaute ihn verständnislos an. „Was wollen Sie damit sagen?“

„Bennett klammert sich verzweifelt an diese Vertragsabsprache mit Abu Al Zouad, diesem gemeinen Schuft. Ich hätte mir allerdings nie träumen lassen, dass er seine Tochter opfern würde, um das Ziel zu erreichen!“

„Sind Sie verrückt? Ich bin nur deshalb zum Dinner mit Ihnen gekommen, weil mein Vater krank geworden ist.“

„Er hat Sie ins Spiel gebracht, um mit allen Mitteln seinen Willen durchzusetzen.“ Er warf ihr einen so wütenden Blick zu, dass sie ganz blass wurde. „Er hat sich ausgerechnet, Khalil müsste auf die eine oder andere Weise zu kaufen sein, entweder mit Geld oder durch den ganz persönlichen Einsatz seiner Tochter.“

„Behaupten Sie, mein Vater hätte mich …?“ Fassungslos drehte sie sich zu ihm um und trommelte mit den Fäusten gegen seine Schulter. „Sie sind ja wahnsinnig! Es würde mir im Traum nicht einfallen, mit Ihnen zu schlafen.“

Als er den Wagen an den Straßenrand lenkte und so unvermittelt auf die Bremse trat, dass die Reifen quietschten, schrie sie auf. Dann schaute Khalil sie an, und in seinem Blick lag tiefster Abscheu.

„Wenn Sie mich anfassen“, drohte Joanna mit leicht bebender Stimme, „dann gnade Ihnen Gott!“

„Was wollen Sie denn tun? Schreien? Nur zu. Wer wird Sie hier schon hören?“

Oh, meine Güte, er hat ja recht, dachte sie, während sie sich hilflos umsah. „Mein Vater wird …“

„Im Augenblick jagt ein Skorpion in der Wüste mir viel mehr Angst ein als Ihr Vater.“

„Können wir nicht wie zivilisierte Menschen …“

Er lachte ihr ins Gesicht. „Wie stellen Sie sich das vor? Für Sie bin ich doch der Mitarbeiter eines Barbaren.“

„Das habe ich nie unterstellt!“

„Nein, nur gedacht haben Sie es.“ Er kniff die Lippen zusammen. „Überlegen Sie einmal, Miss Bennett, wer sich hier unzivilisiert benimmt, der Falke des Nordens – oder der Vater, der seine Tochter seinen geschäftlichen Zielen opfert?“

Am liebsten hätte sie ihm eine Ohrfeige versetzt, hielt sich aber zurück. „Mit Ihnen kann man nicht vernünftig reden.“

Er schnitt ein Gesicht. „Vielleicht hätte ich einfach abwarten sollen, was geschieht. Es ist immerhin möglich, dass Sie von sich aus bereit waren, mit Khalil ins Bett zu gehen – oder haben Sie sogar gedacht, es würde genügen, mit mir, dem Minister, zu schlafen?“

„Lieber würde ich sterben“, warf ihm Joanna mit schriller Stimme an den Kopf.

„Stellen Sie sich doch einmal vor, welche erotischen Wonnen ein so unzivilisierter Mann wie ich Ihnen bereiten kann. Dann hätte man in Ihren New Yorker Kreisen wieder einmal einen amüsanten Gesprächsstoff.“

„Sie sind widerlich. Mir wird ganz übel vom Zuhören.“

Plötzlich beugte er sich vor und presste den Mund auf ihre Lippen. Sie wehrte sich heftig, schlug wie wild um sich und versuchte, den Kopf zur Seite zu drehen. Doch es war sinnlos.

Sekunden später wandte er sich wieder von ihr ab. „Was haben Sie auf einmal?“, erkundigte er sich kühl. „Haben Sie es sich anders überlegt? Wollen Sie mir Bennettcos schmieriges Angebot nicht mehr versüßen?“

Joannas Augen sprühten vor Empörung. „Es war ein Fehler, zu glauben, mit Ihnen vernünftig verhandeln zu können! Sie sind genau wie der Prinz, nicht wahr? Sie nehmen sich einfach, was Sie haben wollen.“

„Und wenn ich Ihnen nun sage, Miss Bennett, dass Sie sich täuschen?“

„Dann würde ich Sie einen Lügner nennen“, fuhr sie ihn wütend an.

Zu ihrer Überraschung lachte er laut auf. „Wer von uns beiden lügt denn hier? Erwarten Sie vielleicht, dass ich Ihre bereitwillige Offerte ignoriere?“

„Ich habe Ihnen nichts angeboten“, entgegnete sie und schaute ihn trotzig an.

Sekundenlang kreuzten sich ihre Blicke. Dann lächelte er so sanft, dass ihr das Herz bis zum Hals schlug. „Ich nehme grundsätzlich nur das, was man mir freiwillig gibt“, sagte er weich, umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und neigte den Kopf. Sogleich verspannte sie sich und hielt den Atem an, denn instinktiv bereitete sie sich auf einen brutalen Kuss vor.

Doch das, was dann wirklich geschah, hatte sie nicht erwartet. Er küsste sie nämlich so zärtlich, als wollte er sie überzeugen, dass sie getrost darauf reagieren könne.

Aber er würde sich vergebens bemühen, denn sie war nicht bereit, seine Liebkosungen zu erwidern, nachdem er sie so in Angst und Schrecken versetzt hatte.

Er streichelte ihre Wangen, dann fuhr er ihr mit den Fingern durchs Haar, während er die Lippen langsam wieder auf ihre presste – und plötzlich spürte Joanna entsetzt, wie sich tief in ihrem Innern etwas zu rühren begann. Sie fühlte eine Erregung in sich aufsteigen, die ihren Puls schneller pochen ließ.

Nein, nur das nicht, wehrte sie sich insgeheim. Aber vergeblich, ihr Körper sprach eine eigene Sprache. Sie öffnete die Lippen und erwiderte seinen Kuss, während sie sich ihm entgegendrängte.

Als er die Zungenspitze über ihre Lippen gleiten ließ, stöhnte sie ganz leise auf, was ihm keineswegs entging. Er flüsterte etwas, das sie nicht verstand. Dann nahm er sie in die Arme und zog sie so fest an sich, dass sie seinen muskulösen Oberkörper an ihren Brüsten spürte. Schließlich teilte er ihr die Lippen mit der Zunge und erforschte ihren Mund. Dabei jagten ihr heiße und kalte Schauer der Erregung über den Rücken. Sie erbebte in seinen Armen, als er eine ihrer Brüste umfasste und die aufgerichtete Spitze zärtlich liebkoste.

Wieso lasse ich das alles geschehen? fuhr es ihr durch den Kopf. Sie glaubte ihn zu hassen – und trotzdem ließ sie liebevoll die Hände über seine Brust gleiten und spürte das heftige Pochen seines Herzens. Und als er ihren Hals mit vielen kleinen Küssen bedeckte, neigte sie den Kopf nach hinten und stöhnte wieder auf.

Völlig unvermittelt ließ er sie los, so dass sie unsanft in den Sitz zurückfiel. Sie blickte auf und sah ihm in die Augen – und die Zeit schien stillzustehen. Schließlich errötete sie, während Khalil angespannt lächelte.

„Verstehen Sie nun?“, meinte er beinahe lässig und startete den Motor. „Ich nehme nur das, was man mir freiwillig gibt – wie ich bereits sagte.“

Joanna fühlte sich zutiefst gedemütigt. „Ich habe verstanden“, erwiderte sie und versuchte, das Beben in der Stimme zu überspielen. „Weil ich eine Frau bin, hätte ich Ihren mächtigen Khalil nicht beleidigen dürfen.“

„Sie begreifen schnell.“

„In diesem Fall hatte ich leider eine ziemlich lange Leitung. Fahren Sie mich jetzt bitte zurück nach …“

„Wir fahren nicht nach Casablanca zurück, Joanna.“ Er wendete zwar den Wagen, schlug aber nicht die Richtung ein, aus der sie gekommen waren. Stattdessen lenkte er das Auto über einen holprigen Feldweg auf ein großes, undefinierbares Gebilde zu, das wie ein Schatten vor ihnen auftauchte. Im Licht der Scheinwerfer erkannte sie, dass es ein kleines zweimotoriges Flugzeug war, wie auch ihr Vater eines besaß. Allerdings verzierte den Rumpf dieser Maschine ein Raubvogel mit gespreizten Flügeln.

Unwillkürlich schrie Joanna auf und griff Khalil ins Lenkrad. Aber geistesgegenwärtig riss er ihr in Sekundenschnelle die Hände weg.

„Lassen Sie das“, befahl er. Dann brachte er den Wagen zum Stehen, stellte den Motor ab, zog den Schlüssel heraus und öffnete die Tür. Joanna sah Gestalten in langen Gewändern herbeieilen, die den Kopf neigten, als Khalil aus dem Fahrzeug stieg.

„Ist die Maschine abflugbereit?“, fragte er.

„Ja, seit wir Ihre Nachricht erhalten haben, mein Herr“, antwortete einer der Männer, ohne dabei den Kopf zu heben.

Khalil zog Joanna hinter sich her. „Kommen Sie“, befahl er.

Doch sie dachte gar nicht daran, ihm zu folgen, sondern begann, laut zu schreien. Völlig unbeeindruckt hob er sie daraufhin kurz entschlossen auf die Arme, beförderte sie in die Maschine und stieg selbst ein. „Lassen Sie uns rasch abfliegen“, befahl er den Männern.

Wieder verneigte sich alle und legten dabei die Hände an die Stirn. Mit dieser Geste bezeugten sie ihm ihre Ergebenheit.

Plötzlich ging Joanna ein Licht auf. „Sie sind gar nicht der Minister, Sie sind Khalil höchstpersönlich!“

Er lachte spöttisch. „Wie ich schon sagte, Joanna, Sie begreifen schnell!“

Sie wirbelte zu den Männern herum. „Wissen Sie, dass er mich gekidnappt hat? Dafür wird er seinen Kopf verlieren. Sie alle werden …“ Als sie das Dröhnen der laufenden Motoren hörte, wandte sie sich wieder an Khalil. „Was wollen Sie damit erreichen?“, fragte sie flehentlich. „Verlangen Sie mehr Geld? Sie brauchen es nur zu sagen …“ Als das Flugzeug sich in Bewegung setzte, geriet sie in Panik. „Hören Sie! Bringen Sie mich auf der Stelle zurück. Nein, das brauchen Sie gar nicht, ich kann selbst fahren. Geben Sie mir die Wagenschlüssel …“

„Wir haben drei Stunden Flug vor uns. Ruhen Sie sich etwas aus“, unterbrach er sie ungerührt.

„Das wird Folgen haben!“

Khalil stemmte die Hände in die Hüften und schaute Joanna kühl an. Ihr sank der Mut, und sie dachte, wie dumm sie doch gewesen war, nicht gleich zu erkennen, wen sie vor sich hatte.

„Die Dinge nehmen nun ihren Lauf“, sagte er.

Joanna musterte ihn sekundenlang. Seine Miene wirkte grausam und unnachgiebig. Dann setzte sie sich hin und schaute wie blind aus dem Fenster, während das Flugzeug über die sandige Piste raste und schließlich in den schwarzen Nachthimmel abhob.

Er hatte recht, es war geschehen. Ihr blieb nur noch die Hoffnung, dass man sie bald befreien würde.

4. KAPITEL

Das ergab alles keinen Sinn. Joanna saß reglos da und versuchte verzweifelt, Antworten auf die vielen Fragen zu finden. Die ganze Sache erschien ihr so rätselhaft wie ein Sphinx.

Warum hatte Khalil sie in dem Glauben gelassen, er sei Hassan? Er hätte sich in dem Augenblick zu erkennen geben können, als er entdeckte, dass es keinen Jo Bennett gab.

Und wohin brachte er sie nun? Sie schaute auf das Leuchtzifferblatt ihrer Uhr. Inzwischen waren sie bereits über eine Stunde unterwegs, und es gab keine Anzeichen dafür, dass sie bald irgendwo landen würden. Ihr schauderte. Nein, dachte sie, das ist ganz gewiss kein kurzer Ausflug. Offenbar entfernten sie sich immer weiter von Casablanca.

Und die nächste Frage, die sich ihr stellte und die sie am liebsten, erschöpft, wie sie war, verdrängt hätte, war, warum er sie überhaupt entführte.

Als das Flugzeug in ein Luftloch absackte, nutzte sie die Gelegenheit und spähte durch den Vorhang, der den winzigen Raum, in dem sie untergebracht war, von dem übrigen Passagierraum trennte. Khalil war kurz nach dem Start ins Cockpit gegangen und hatte sie mit einem Mann in einem langen Gewand allein gelassen, der sich in tiefes Schweigen hüllte. Dann schloss sie die Augen und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.

„Ist Ihnen kalt?“

Erschrocken öffnete sie die Augen wieder – und sogleich verkrampfte sich ihr das Herz, denn vor ihr stand Khalil. Er hatte sich umgezogen und trug nun ein langes weißes Gewand, in dem er unglaublich gut aussah.

„Ist Ihnen kalt, Joanna?“

„Kalt?“, wiederholte sie und gab sich absichtlich verständnislos, denn sie brauchte einige Sekunden, um sich an sein verändertes Aussehen zu gewöhnen.

„Sie zittern ja. Kein Wunder bei diesem freizügigen Kleid.“ Er bedachte sie mit einem verächtlichen Blick.

Joanna errötete. Am liebsten hätte sie das Oberteil des grünen Seidenkleids hoch- und den Rock heruntergezogen, doch diese Genugtuung gönnte sie ihm nicht. Stattdessen faltete sie ruhig die Hände im Schoß und schaute Khalil in die Augen. „Oscar de la Renta wäre enttäuscht, wenn ihm Ihr Urteil über sein Modellkleid zu Ohren käme, Hoheit. Er hat es allerdings nicht nach dem Geschmack eines hinterwäldlerischen Herrschers entworfen.“

Die Beleidigung saß. Khalil kniff die Augen zusammen. „Sie haben sicherlich recht, Joanna. Es dient hauptsächlich dem Zweck, einen Mann zu verführen und ihn alles vergessen zu lassen, so dass er sich nur noch auf den Preis konzentriert, der darin mehr oder weniger verborgen ist.“ Er verzog den Mund zu einem Lächeln.

„Ich habe mich lediglich für das Dinner im Oasis-Restaurant angezogen. Hätten Sie mich rechtzeitig darüber informiert, dass wir eine Flugreise machen, hätte ich selbstverständlich etwas Passendes mitgenommen“, erwiderte sie kühl lächelnd.

„Hätte ich es Ihnen vorher gesagt, dann wären Sie gar nicht erst gekommen.“

Damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen.

„Aber Sie frieren tatsächlich“, stellte er fest. „Es ist töricht, hier vor Kälte zitternd herumzusitzen, ohne um eine Decke zu bitten.“

„Ahmed!“ Khalil schnippte mit den Fingern, und sogleich sprang der Mann auf, der im Gang gegenüber saß. Nachdem Khalil ihm etwas gesagt hatte, das sie nicht verstand, verneigte Ahmed sich und verschwand. „Ahmed holt Ihnen eine Decke, Joanna. Wenn Sie sonst noch etwas brauchen …“

„Nur meine Freiheit.“

„Wenn Sie sonst noch etwas brauchen“, wiederholte er ungerührt, „Kaffee oder Tee …“

„Hören Sie schlecht? Ich habe gesagt ….“

Plötzlich rang sie nach Luft, denn er packte sie so fest an den Schultern, dass der Druck seiner Finger auf ihrer Haut schmerzte und sie die Wärme seines Körpers spürte.

„Nehmen Sie sich in Acht! Ihre verbalen Attacken reichen mir für heute!“

„Lassen Sie mich los!“

„Vielleicht ist Ihnen nicht bewusst, wie ernst Ihre Lage ist, Joanna. Wir fliegen nicht zum Spaß im Kreis herum!“

„Ich glaube, Sie machen einen schrecklichen Fehler, Khalil. Sie haben immer noch Zeit, mit heiler Haut aus der Sache herauszukommen“, sagte sie angespannt und zwang sich, seinem unnachgiebig harten Blick standzuhalten.

Sekundenlang schaute er sie schweigend an, nur das eintönige Dröhnen der Motoren durchdrang die Stille. Schließlich lächelte er. „Wie rücksichtsvoll von Ihnen, Joanna. Ihre Besorgnis um mein Wohlergehen rührt mich. Sie könnten sogar Recht haben, vielleicht habe ich etwas falsch gemacht.“

Joanna schöpfte wieder Hoffnung und erklärte deshalb rasch: „Wenn Sie mich jetzt zurückbringen, dann ….“

„Womöglich hätte ich mir das, was Sie mir vorhin so gnädig angeboten haben, doch nehmen sollen.“

Joanna sprang auf. „Wie können Sie es wagen, so mit mir zu reden?“

„Hoheit?“

Bevor Khalil sich zu Ahmed umdrehte, der ihm eine Wolldecke reichte, legte er Joanna die Hand auf die Schulter und drückte sie wieder auf den Sitz. „Danke, Ahmed. Sie können gehen.“

Während der Mann hinterm Vorhang verschwand, legte Khalil Joanna die Decke auf den Schoß. „Sie haben ein so hitziges Temperament, dass Ihnen eigentlich warm genug sein müsste. Doch falls das nicht ausreicht, sollten Sie vielleicht diese hier nehmen.“

„Verdammt!“ Joanna schleuderte das kuschelige Plaid auf den Boden. „Was bilden Sie sich eigentlich ein, wer Sie sind?“

Ungerührt hob er die Decke auf und legte sie ihr wieder in den Schoß. „Ich bin der Mann, in dessen Händen Ihr Schicksal liegt. Nun wickeln Sie sich das Ding schon um, sonst helfe ich Ihnen.“

Das tat sie dann auch, konnte jedoch der Versuchung nicht widerstehen, ihn mit samtweicher Stimme zu fragen: „Haben Sie etwa Angst, kein Lösegeld zu bekommen, falls ich krank werde und sterbe?“

Er setzte sich neben sie und streifte dabei unabsichtlich ihren Oberschenkel mit seinem. „Warum so dramatisch, Joanna? Sie sind jung und gesund und weit davon entfernt, zu sterben.“

„Aber darauf läuft doch alles hinaus, oder nicht?“ Sie fürchtete sich davor, die Wahrheit zu erfahren, war allerdings jetzt froh, die Frage ausgesprochen zu haben. „Sie verlangen Lösegeld von meinem Vater, stimmt’s?“

„Lösegeld?“, wiederholte er stirnrunzelnd.

Autor

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Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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