Julia Ärzte zum Verlieben Band 101

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RIVALEN BIS ZUM ERSTEN KUSS von RUTTAN, AMY
Dr. Nate King ist einfach unwiderstehlich attraktiv - und ab sofort Florences größter Konkurrent in der Hollywood Hills Klinik! Als sie gegen jede Vernunft seinen spontanen Kuss erwidert, riskiert sie damit nicht nur ihren Job, sondern auch ihr Herz …

ENDLICH LIEBE FÜR DR. DRISCOLL von NEIL, JOANNA
Wie keine Frau zuvor weckt Caitlin plötzlich zärtliche Gefühle in Dr. Brodie Driscoll. Aber ist sie so kurz nach ihrer Trennung überhaupt schon offen für eine neue Liebe? Brodie fürchtet, dass sie sich nur in seine Arme schmiegt, um ihren Ex eifersüchtig zu machen …

EINE AFFÄRE MIT DIR IST NICHT GENUG! von MACKAY, SUE
Schweren Herzens beendet Olivia ihre leidenschaftliche Affäre mit Zac, bevor sie sich noch hoffnungslos in den überzeugten Single-Doc verliebt. Doch als sie ihn jetzt bei einer Spendengala wiedertrifft, knistert es sofort wieder gefährlich heiß …


  • Erscheinungstag 30.06.2017
  • Bandnummer 0101
  • ISBN / Artikelnummer 9783733709518
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Amy Ruttan, Joanna Neil, Sue MacKay

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 101

AMY RUTTAN

Rivalen bis zum ersten Kuss

Atemberaubend schön, klug und voller Leben: Dr. Florence Chiu ist absolut Nates Typ – und genau deshalb tabu für ihn! Denn seit ihm der Tod seiner Ex das Herz brach, hat der erfolgreiche Chirurg der Liebe abgeschworen. Aber je länger er mit Flo zusammenarbeitet, umso weniger kann er der Versuchung widerstehen, sie zu küssen …

JOANNA NEIL

Endlich Liebe für Dr. Driscoll

Als Caitlin in ihren Heimatort zurückkehrt, um ihre Mutter zu pflegen, trifft sie ihren Jugendschwarm Brodie wieder. Doch egal, wie charmant der Kinderarzt sie plötzlich umwirbt, weiß sie: Wenn sie nicht verletzt werden will, darf sie sich nicht zu sehr auf ihn einlassen! Denn Brodie hält bestimmt immer noch nicht viel von festen Beziehungen, oder?

SUE MACKAY

Eine Affäre mit dir ist nicht genug!

Das hat noch keine Frau gewagt! Dr. Zac Wright ist empört, dass Olivia ihn einfach so verlässt. Normalerweise macht er Schluss! Als er die attraktive Ärztin jetzt anlässlich einer exklusiven Spendengala wiedersieht, nimmt er sich fest vor, sie zu ignorieren. Nur wie? Wenn schon ein Blick von ihr genügt, um ihn sofort wieder heiß zu erregen …

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HOLLYWOOD HILLS KLINIK

DAS TEAM:

Dr. Florence (Flo) Chiu

Transplantationsmedizinerin

Dr. James Rothsberg

Klinikleiter, Facharzt für Plastische Chirurgie

Freya Rothsberg

PR-Managerin der Klinik

BRIGHT HOPE KLINIK

DAS TEAM:

Dr. Mila Brightman

James‘ Exverlobte

PATIENTEN:

Kyle Francis

Filmschauspieler

Eva Martinez

UND:

Dr. Nathaniel (Nate) King

Transplantationsmediziner

Ms. Martinez

Evas Mutter

Deanna Lewis

Jakes Mutter

Cecil McKenzie

Investor

Ian Brownstone

Investor

Travis Fleming

Investor

Johnny

Flos Exfreund

Serena

Nates Exfreundin

1. KAPITEL

Es ist genau wie früher.

Dr. Florence Chiu konnte sich nur zu gut daran erinnern, wie sie als junges Mädchen in die Klinik gebracht worden war. Das laute Surren der Rotorblätter hatte sich für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt. Genau wie der unangenehme Ruck beim Landen, bei dem ihr furchtbar übel geworden war. Selbst jetzt, Jahre später, reichte der Anblick eines landenden Rettungshubschraubers, um all ihre Erinnerungen wieder wachzurufen.

Grauer Dunst trübte den Himmel. Wäre sie daheim in Seattle gewesen, dann hätten diese Wolken Regen prophezeit. Doch sie war in Los Angeles, und der Dunst war nur Smog. Auch an dem Tag, als sie in die Klinik geflogen worden war, hatte es geregnet.

Wie aus Eimern.

Und ihr Vater hatte dem Piloten wütende Befehle auf Mandarin zugebrüllt. Einem Piloten, der nur Englisch sprach. Wenn er sehr aufgeregt war, fiel ihr Vater immer in seine Muttersprache zurück. In diesem Augenblick war er nicht nur aufgeregt, er war außer sich gewesen.

Flor holte tief Luft und verschränkte fröstelnd die Arme. Jetzt war nicht der Zeitpunkt für einen Ausflug in die Vergangenheit.

Normalerweise machte es sie nicht nervös, wenn ein neuer Chirurg in die Hollywood Hills Klinik kam, doch dies war nicht einfach nur ein Kollege. Er war ihr Konkurrent. Der Chirurg, der gleich landen würde, war auf Wunsch ihres Patienten extra aus New York eingeflogen worden. Und dieser Patient war nicht irgendjemand, sondern der weltberühmte, mit Preisen überhäufte Schauspieler Kyle Francis. Ein Filmstar, in den Flo schon als Teenager heimlich verliebt gewesen war. Natürlich hatte sie alle seine Filme gesehen – was hätte sie auch sonst machen sollen? Wenn man ständig krank war, waren die Freizeitmöglichkeiten beschränkt.

Trotz seines noch immer jugendlichen Aussehens war Kyle schwer krank. Sein Herz und seine Lunge waren so schwer geschädigt, dass er vor wenigen Tagen auf einer Pressekonferenz zusammengebrochen war. Man hatte ihn daraufhin in die Hollywood Hills Klinik gebracht. An diesem Punkt war Flo ins Spiel gekommen.

Sie war eine weltweit anerkannte Transplantationsspezialistin – und genau das brauchte Kyle. Noch dringender brauchte er allerdings ein passendes Spenderherz und gleichzeitig eine Spenderlunge.

Sein Fall war eine Herausforderung für Flo, doch sie war zuversichtlich, dass sie ihn heilen konnte. Vorausgesetzt, es gab rechtzeitig Spenderorgane. Kyles Zustand verschlechterte sich rapide, was die Erfolgsaussichten dramatisch sinken ließ.

Gerade als Flo ihren Patienten in den OP bringen lassen wollte, um ihn während der Wartezeit optimal zu stabilisieren, war sie aufgehalten worden.

Freya, ihre Chefin, hatte die Bombe platzen lassen: Man hatte einen anderen Chirurgen engagiert.

„Warum?“, hatte Florence verständnislos gefragt. „Freya, ich bin eine verdammt gute Chirurgin! Ich bin dem Eingriff absolut gewachsen, und das weißt du auch!“

„Natürlich weiß ich das, Flo. Beruhige dich. Aber mir sind die Hände gebunden. Mr. Francis’ Management hat nach Dr. King verlangt. Er ist der berühmteste Transplantationsmediziner der Ostküste und hat Mr. Francis schon seit einer Weile in seiner Praxis in Manhattan behandelt. Wir haben keine Wahl, als diesen Wunsch zu respektieren. Du wirst dich also damit abfinden müssen, mit Dr. King zusammenzuarbeiten.“

Was sollte Flo darauf erwidern?

Aus diesem Grund stand sie nun auf dem Dach der Klinik und wartete darauf, dass der Hubschrauber mit Dr. King an Bord landete. Vermutlich war er ein alter, eingebildeter und vor Geld stinkender Besserwisser, der es als Zumutung empfand, mit ihr zu arbeiten. Von dieser Sorte hatte sie schon einige Mediziner kennengelernt. Manchen Ärzten, vor allem, wenn sie sehr erfolgreich waren, fiel es schwer zu glauben, dass eine dreißigjährige Chirurgin ihnen das Wasser reichen konnte.

Als der Hubschrauber landete, duckte Flo sich instinktiv und strich sich ihr langes schwarzes Haar aus dem Gesicht. Sobald die Rotorblätter stillstanden, kam sie näher, um den Kollegen zu begrüßen.

Bitte, sei kein Idiot! Bitte! Das würde mein Leben so anstrengend machen …

Flo konnte fast alles ertragen, aber Idioten fand sie schrecklich.

Aber vielleicht war dieser Kollege ja ganz nett. Andererseits hatte sie gehört, dass er ziemlich arrogant sein sollte.

Die Tür des Hubschraubers öffnete sich, und Flo blieb vor Überraschung der Mund offen stehen. Dr. King sah vollkommen anders aus, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Er war überhaupt noch nicht alt; vielleicht Mitte dreißig. Und er war groß, braun gebrannt und durchtrainiert. Sein blondes, kurz geschnittenes Haar war etwas zerzaust und rahmte sein perfekt geschnittenes Gesicht ein. Der maßgeschneiderte graue Anzug betonte seine breiten Schultern und seine muskulösen Beine. Er sah aus wie der umschwärmte Kapitän eines Highschool-Football-Teams. Vermutlich hatte er sein Medizinstudium mit einem Sportstipendium finanziert.

Er war der Typ Mann, der sich niemals für ein ständig krankes Mauerblümchen interessieren würde. Der Typ Mann, nach dessen Aufmerksamkeit sie sich während ihrer gesamten Jugend gesehnt hatte.

Johnny war ebenfalls gut aussehend gewesen, wenn auch nicht so umwerfend wie Dr. King. Und ihre Beziehung hatte ein katastrophales Ende genommen. Entschlossen schüttelte Flo den Gedanken an ihren Exfreund ab.

Zu ihrem Entsetzen lief sie knallrot an, als Dr. King sie ansah. Mit seinen hellblauen Augen musterte er sie von oben bis unten. Sein Blick verunsicherte sie, weckte jedoch gleichzeitig ihr Interesse. Sie fragte sich, wie es sich anfühlen würde, einen Mann wie ihn zu küssen. Natürlich tadelte sie sich sofort für diesen Gedanken.

Egal, wie attraktiv sie ihn fand – sie durfte nicht vergessen, dass er ihr Konkurrent war.

Konzentrier dich! Er starrt dich an.

Erst in diesem Moment bemerkte Flo, dass der Hubschrauber schon wieder abgehoben hatte.

„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte Dr. King sich höflich.

„Ja, natürlich. Hallo, Dr. King. Ich bin …“

„Ich habe keine Zeit für Smalltalk. Bringen Sie mich bitte zu meinem Patienten.“

Na prima. Er ist also doch ein Idiot. Und ein arroganter noch dazu.

Nun gut, mit arroganten Chirurgen konnte sie umgehen. Ihr Vater war ein sehr erfolgreicher und sehr arroganter Geschäftsmann mit Firmen in Seattle und Peking. Flos Mutter war der einzige Mensch, der ihm die Stirn bieten konnte, und sie hatte ihre Tochter in diese Disziplin gründlich eingewiesen. Immer wieder hatte sie ihr eingeschärft, sich niemals zu beugen und immer die eigene Position zu verteidigen.

„Mein Name ist Dr. Chiu, und ich bin die leitende Transplantationsmedizinerin hier in der Hollywood Hills Klinik. Ich bin Mr. Francis’ behandelnde Ärztin, seit er nach seinem Zusammenbruch eingeliefert wurde.“

Stirnrunzelnd sah Dr. King sie an. „Ach, wirklich?“

„Ja. Und nun folgen Sie mir bitte, Dr. King. Ich bringe Sie zu unserem Patienten.“

Mit dem Fahrstuhl fuhren sie in die VIP-Etage.

„Sagten Sie gerade ‚unser‘ Patient, Dr. Chiu?“

„Ja.“

„Ehrlich gesagt verwirrt mich das ein bisschen. Kyle Francis ist seit Jahren bei mir in Behandlung. Ich habe ihn auf die Transplantationsliste gesetzt. Ich finde, er ist mein Patient.“

Flo lächelte sarkastisch. „Oh nein. Er ist unser Patient. Mr. Francis’ Management mag Sie eingeflogen haben, aber das ändert nichts daran, dass ich hier die Chefärztin der Transplantationsabteilung bin. Auch wenn ich Ihnen einige chirurgische Privilegien gewähre, sollten Sie das niemals vergessen, Freundchen.“

Amüsiert grinste er sie an. „Freundchen? Das hat lange niemand mehr zu mir gesagt.“

Flo verdrehte die Augen. „Tut mir leid. Meine Mutter sagt das immer.“

Inzwischen waren sie oben angekommen, und Flo führte Dr. King zu Kyles luxuriösem Zimmer am Ende des Gangs.

„Als er eingeliefert wurde, hatte er eine Bradykardie. Wir haben Kreislauf und Atmung stabilisiert, aber es besteht kein Zweifel daran, dass sein Herz immer schwächer wird. Ihm läuft die Zeit davon, und er braucht dringend ein linksventrikuläres Unterstützungssystem.“

„Ein LVAD?“ Dr. King nickte. „Ich kann diese Idee nachvollziehen, aber sie erscheint mir doch etwas voreilig. Wir wissen schließlich nicht, wodurch der Kollaps verursacht wurde. Als er New York letzte Woche verließ, war sein Zustand stabil. Das LVAD würde eine Transplantation komplizieren.“

„Das ist mir natürlich klar, Dr. King. Meine Entscheidung ist alles andere als voreilig. Ich habe schon mehrere Herz-Lungen-Transplantationen durchgeführt, und ich versichere Ihnen, dass ich ganz genau weiß, was ich tue.“

„Falls das stimmt – warum hat er die LVAD nicht längst?“

Echt jetzt?

„Ich wollte ihn gerade für den Eingriff vorbereiten, als sein Management angeordnet hat, alle Maßnahmen ruhen zu lassen, bis Sie da sind, Dr. King.“

„Nate.“

„Wie bitte?“

„Bitte nennen Sie mich Nate. Ich heiße Nathaniel, aber alle sagen Nate. Und wie soll ich Sie nennen, Dr. Chiu?“

„Wie wäre es mit Dr. Chiu?“

Flo wollte an Nate vorbei ins Krankenzimmer gehen, doch er versperrte ihr den Weg. „Wenn Sie meinen Patienten kennen würden, dann wüssten Sie, dass er ein sehr informeller Typ ist. Es entspannt ihn, wenn alle in seiner Umgebung locker sind. Deshalb denke ich, dass es für ihn am besten ist, wenn wir uns mit unseren Vornamen ansprechen.“

„Ich heiße Florence, aber alle nennen mich Flo“, erklärte Flo seufzend und reichte ihm das Tablet mit Kyles Krankenakte.

Nate grinste. „Danke, Flo. Dann wollen wir uns mal unseren Patienten ansehen.“

Mit zusammengebissenen Zähnen folgte sie ihm in den Vorraum von Kyles Suite. Das konnte ja lustig werden.

Obwohl er in San Francisco aufgewachsen war und seine Eltern noch immer in der Nähe lebten, war Nate nicht besonders glücklich darüber gewesen, nach Kalifornien zurückzukommen. Seit seinem Medizinstudium war er nicht mehr hier gewesen, und das war viele Jahre her.

Genau genommen war er seit dem Unfall nicht mehr in Kalifornien gewesen. Seit Serena am El Capitan in Yosemite National Park verunglückt und gestorben war. Nate konnte es einfach nicht aushalten, an dem Ort zu sein, wo sie sich verliebt hatten. Wo sie ein Leben auf der Überholspur geführt hatten – Wellenreiten im Pazifik, Ski fahren auf dem Mammoth Mountain, Klettern –, es gab keinen Sport, der ihnen zu gefährlich gewesen war.

Serena war genauso ein Adrenalin-Junkie gewesen wie er.

Doch dann, während einer Klettertour, die sie schon unzählige Male gemacht hatten, hatte ein Sicherungshaken sich gelöst, und Serena war abgestürzt.

Die Schuldgefühle nagten noch immer an ihm. Er war sich so sicher gewesen, alle Haken und Seile überprüft zu haben, doch irgendetwas musste er übersehen haben. Serenas Tod lastete schwer auf ihm.

Nach dem Unfall war ihm klar geworden, wie leichtsinnig sie gewesen waren. Deshalb hatte er das Stipendium in Harvard angenommen und sich in sein Studium gestürzt. Nate hatte an Serenas Grab geschworen, dass er der beste Transplantationsmediziner des Landes werden würde. Sein Schwerpunkt lag auf der Erforschung von lebenserhaltenden Methoden, um die Wartezeit für eine Organspende zu überbrücken.

Denn jeden Tag starben Menschen, während sie auf ein Spenderorgan warteten.

Auch Serena war so gestorben.

Denk jetzt nicht an sie!

Nate starrte auf das Tablet und die Aufnahmen von Kyles Herz.

Mist. Flo hatte recht.

Kyle brauchte dringend ein linksventrikuläres Unterstützungssystem.

Nate bemerkte, dass Flo ihn aufmerksam beobachtete, und musste sich ein Grinsen verkneifen. Sie war wirklich eine streitsüchtige Person. Nate war überzeugt, dass sich hinter ihrer Fassade einer kühlen, kompetenten Ärztin eine große Leidenschaft verbarg.

Ihre Haut war makellos, und ihr langes, glattes pechschwarzes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden, aus dem sich einige vorwitzige Strähnen gelöst hatten. Flos große Augen waren dunkelbraun und erinnerten Nate an flüssige Schokolade. Ihre vollen roten Lippen waren fest zusammengepresst, als würde sie nur darauf warten, ihn triumphierend angrinsen zu können, sobald er zugab, dass sie recht gehabt hatte.

Dr. Florence Chiu war klug, atemberaubend schön und voller Leben. Sie ließ sich nicht von ihm einschüchtern, auch wenn er fast dreißig Zentimeter größer war als sie.

Hätte Nate nicht schon vor langer Zeit beschlossen, den Frauen für immer abzuschwören, wäre sie definitiv der Typ Frau gewesen, für den er sich interessiert hätte. Er mochte ihre Kratzbürstigkeit, und es gefiel ihm, dass sie eine Transplantationschirurgin war. Unter anderen Umständen wäre sie die perfekte Frau für ihn gewesen.

Hör auf, so über sie zu denken!

Obwohl er sie erst seit wenigen Minuten kannte, war ihm klar, dass sie ihm gefährlich werden konnte. Er war definitiv nicht auf der Suche nach einer neuen Liebe.

Serenas Tod hatte ihm das Herz gebrochen, und er würde es nicht riskieren, sich noch einmal auf eine Frau einzulassen. Flo war also tabu. Außerdem war er schließlich zum Arbeiten hier. Es ging einzig und allein um seinen Patienten.

Seine Karriere war für Nate das Allerwichtigste – das durfte er nicht vergessen. Liebe stand nicht zur Debatte, denn das verdiente er nicht.

Er räusperte sich. „Sie hatten recht, Dr. Chiu. Er braucht sofort ein LVAD. Ich nehme an, Sie haben bereits alles vorbereitet?“

Flo nickte. „Wir können sofort anfangen. Tut mir leid, dass Sie vergeblich nach Kalifornien gekommen sind.“

„Wieso sollte es vergeblich gewesen sein?“

„Nun, Sie sehen doch sicher ein, dass ich sehr gut alleine zurechtkomme. Sie können also beruhigt nach New York zurückfliegen.“

Sie war wirklich hartnäckig.

„Ach, Dr. Chiu. Ich werde nirgendwo hingehen. Mr. Francis ist mein wichtigster Patient. In New York werde ich von einigen sehr kompetenten Kollegen vertreten, und deshalb werde ich bleiben und Ihnen bei der OP helfen.“

„Das ist ein Scherz, oder?“

„Nein. Wenn es um meine Patienten geht, mache ich niemals Scherze. Mr. Francis ist seit Jahren mein Patient, und ich werde auf jeden Fall bei der Transplantation dabei sein. Selbst wenn das bedeutet, dass ich Monate oder gar Jahre in Kalifornien bleiben muss.“

Flo wollte gerade etwas erwidern, als der Herzalarm in Kyles Zimmer losging. Sie stürmten in die Suite, wo zwei Krankenschwestern bereits die Reanimation vorbereiteten.

„Wir verlieren ihn!“, rief Schwester Olivia verzweifelt, während sie das Bett absenkte und ihre Kollegin den Defibrillator von der Wand nahm.

Flo erfasste die Situation mit einem Blick und erteilte einige knappe Befehle. Nate wich nicht von Kyles Seite.

Er würde nicht fortgehen. Selbst wenn er längere Zeit in Kalifornien bleiben musste. Und auch nicht, wenn sein Aufenthalt hier bedeutete, dass er ständig mit Dr. Chiu zusammen sein würde. Er würde der Versuchung widerstehen, denn er war aus härterem Holz geschnitzt.

Oder etwa nicht?

2. KAPITEL

Bitte stirb nicht!

Angespannt blickte Flo immer wieder auf die Monitore, während sie Kyle Francis versorgte. Gleichzeitig versuchte sie zu ignorieren, dass Dr. Nate King auf der anderen Seite des Bettes stand und sie tatkräftig unterstützte. Falls Kyle sterben sollte, würde er ihr garantiert die Schuld dafür geben. Er schien genau der arrogante Typ von Chirurg zu sein, der Fehler immer bei anderen suchte.

Das alles wäre nicht passiert, wenn man sie nicht in ihrer eigenen Abteilung zum Abwarten gezwungen hätte, und Flo war fest entschlossen, Freya und James Rothsberg diesen Sachverhalt sehr deutlich zu vermitteln. Vor allem, falls Kyle starb.

„Los jetzt!“, murmelte sie, während sie sich ausmalte, wie sie Kyles Management zur Rede stellen würde.

Der Herzmonitor fing an zu piepen. Endlich hatten sie wieder einen Herzschlag, und Flo atmete erleichtert auf.

„Gute Arbeit!“, rief sie dem Team zu und streifte ihre Latexhandschuhe ab. „Bereiten Sie Mr. Francis sofort für den Eingriff vor. Ich reserviere einen OP.“

„Und veranlassen Sie noch einmal ein großes Labor, Schwester“, fügte Nate hinzu, ohne Flos Mitarbeiterin auch nur anzusehen.

Olivia blickte unsicher zu Flo herüber, die aber bestätigend nickte.

Nate studierte noch immer Kyles Monitore, sodass Flo hoffte, sich unbemerkt an ihm vorbei nach draußen schleichen zu können. Sie hatte in diesem Moment absolut keine Lust auf weitere Demonstrationen seiner Arroganz. Augenblicke wie diese erinnerten sie immer lebhaft daran, wie sie damals während einer Orchesterprobe zusammengebrochen war. Sie war erst vierzehn gewesen, als ihre Niere versagt hatte, und war sofort in die Klinik gebracht worden. Ihre eigenen Erinnerungen waren verschwommen, doch ihre Eltern erzählten ihr immer wieder, wie sie fast gestorben wäre. Damals hatte sie dringend auf einen Organspender gewartet – genau wie Kyle heute. Allerdings waren ein Herz und eine Lunge gleichzeitig noch deutlich schwieriger zu bekommen als eine einzelne Niere. Die Liste der Wartenden war lang, und es nützte nichts, dass Kyle ein berühmter Schauspieler war. Spenderorgane wurden nach strengen, objektiven Kriterien verteilt.

Immerhin würde das linksventrikuläre Unterstützungssystem Kyle etwas Zeit verschaffen.

Als Flos Niere versagt hatte, war die Schädigung schon so groß gewesen, dass eine Dialyse nicht mehr möglich gewesen war. Gerade noch rechtzeitig hatte sie eine Spenderniere bekommen.

Gut, dass man mit nur einer Niere überleben konnte.

Sie hatte nie mehr als eine gehabt.

Flos Magen zog sich bei dem Gedanken daran zusammen. Seit ihrer Transplantation wusste sie, dass ihre Zukunft ungewiss war. Sie hatte ihre Niere nun seit fünfzehn Jahren. Wie lange würde sie noch funktionieren? Wann würde sie wieder in einem Krankenhausbett liegen und auf ein neues Spenderorgan warten?

Es konnte jederzeit geschehen.

Deshalb war es wichtig, dass sie ihr Leben in vollen Zügen genoss, solange es noch möglich war.

„Wohin gehen Sie, Dr. Chiu?“

Verflixt!

Sie drehte sich um und bemerkte, dass Nate ihr auf den Flur gefolgt war.

„Ich reserviere den OP für unseren Eingriff.“

„Schön, dass Sie ‚unseren Eingriff‘ gesagt haben.“

Flo verdrehte die Augen. „Ich versichere Ihnen, dass ich den Eingriff auch allein durchführen kann.“

„Natürlich könnten Sie das, aber würde es genauso viel Spaß machen?“, erwiderte Nate mit einem provozierenden Grinsen.

„Glauben Sie mir, ich habe immer sehr viel Spaß bei meinen OPs“, gab Flo hoheitsvoll zurück.

Nate musste lachen, wobei Flo seine sehr weißen Zähne in seinem gebräunten Gesicht auffielen. Außerdem hatte er eine helle Narbe an seiner linken Augenbraue und eine weitere am Kinn.

Er war definitiv ein unverschämt attraktiver Mann.

„Also, woher bekomme ich einen Pieper und OP-Klamotten? Ein Büro wäre übrigens auch nicht schlecht.“

„Wie gut, dass Sie so bescheiden sind“, bemerkte Flo trocken.

„Nun ja, da ich eine Weile hierbleiben werde, wäre es schon schön, wenn ich irgendwo meine Forschung fortsetzen könnte.“

„Was erforschen Sie denn? Oder ist das ein Geheimnis?“

„Aber nein, überhaupt nicht. Ich habe in den letzten Jahren eine Menge publiziert. Meine Themen sind regeneratives Gewebe und neuartige Geräte und Verfahren, um die Lebensdauer von beschädigten Organen zu verlängern, während die Patienten auf Spenderorgane warten.“

Flo war sehr beeindruckt und rügte sich im Stillen dafür, seine Publikationen nicht recherchiert zu haben.

„Das mit dem Büro müssen Sie morgen mit Freya Rothsberg besprechen. Sie ist schon nach Hause gegangen.“

„Okay. Aber OP-Kleidung bekomme ich auch, ohne dass die Chefin zustimmt, oder?“

Flo musste lachen. Nate hatte wirklich Charme, das ließ sich nicht bestreiten. Sie deutete auf einen Schreibtisch vor dem OP-Trakt, an dem ein Krankenpfleger saß und Daten in einen Computer eingab. „Fragen Sie den Kollegen dort. Er wird Ihnen zeigen, wo alles ist.“

Nates Lächeln ließ ihr Herz ein bisschen schneller schlagen, und als er sich umdrehte, um mit dem Pfleger zu sprechen, konnte sie nicht anders, als wohlwollend seine Rückseite zu betrachten.

Hör sofort auf, ihn so anzustarren!

Flo konnte sich keine romantischen Verwicklungen erlauben. Nur ein einziges Mal hatte sie eine Beziehung gehabt, doch als sie Johnny von ihrer Transplantation erzählt hatte, war er Hals über Kopf verschwunden und hatte ihr damit das Herz gebrochen. Er hatte in einer Partnerin mit fragilem Gesundheitszustand eine Belastung gesehen und sie einfach fallen gelassen. Seitdem ging Flo jedem Flirt aus dem Weg, um nicht noch einmal so enttäuscht zu werden. Sie hatte Johnny vertraut und sich ihm offenbart, doch als er ihre lange Narbe entdeckt hatte, war er entsetzt zurückgewichen. Danach war in seinem Blick keine Zuneigung mehr gewesen, sondern nur noch Abscheu und Angst. Und Mitleid.

Deshalb hatte Flo der Liebe abgeschworen und war – obwohl sie schon dreißig war – noch immer Jungfrau.

Sie konnte sehr gut ohne Liebe und Sex leben. Außerdem würde ein potenzieller Partner sich garantiert in ihr Leben einmischen und ihr zum Beispiel sagen, dass ihre „Abenteuerliste“ lächerlich und verrückt war. Genau das würde sie aber niemals zulassen. Sie bestimmte allein, wie sie ihr Leben lebte; das ging niemanden etwas an. Mit der Organspende war ihr ein neues Leben geschenkt worden, und sie hatte nicht vor, dieses neue Leben genauso zu verbringen wie ihre Kindheit und Jugend – nämlich in Watte gepackt von zwei überfürsorglichen Eltern.

Nein, sie würde ihr Leben voll auskosten. Würde jede Herausforderung annehmen und Abenteuer erleben. So lange, bis ihre Niere wieder versagte und sie erneut auf die Warteliste kam. Doch diesmal würde sie während des Wartens nicht denken, das wahre Leben verpasst zu haben. Sie würde wundervolle Erinnerungen haben und nichts bedauern.

Kein Mann auf der Welt hatte das Recht, ihr das zu verderben.

„Absaugen bitte“, sagte Flo.

„Mit Vergnügen.“ Normalerweise war Nate derjenige, der die Anweisungen gab, doch heute stand er auf der anderen Seite des OP-Tischs und assistierte der leitenden Chirurgin. Es wäre gelogen, wenn er behauptet hätte, dass ihn das nicht störte.

Andererseits musste er Flo hoch anrechnen, dass sie ihn in ihren OP mitgenommen hatte. Sie war die Abteilungsleiterin und er nur der Gastarzt, der auf Wunsch des Patienten hinzugezogen worden war. Es war Nate vollkommen klar, dass er sich in Dr. Flo Chius Revier befand.

Obwohl es ihm nicht gefiel, dass sie seinen Patienten operierte, konnte er nicht anders, als ihre außergewöhnliche chirurgische Begabung zu bewundern. Ihre schlanken, kleinen Hände hielten Kyles Herz perfekt, während sie sehr präzise das Gerät einsetzte und vernähte. Ein Gerät, das Kyle im Idealfall eine Weile am Leben erhalten würde.

„Wissen Sie, weshalb LVADs lange Zeit nicht bei Kindern und Frauen eingesetzt wurden?“

„Natürlich weiß ich das, Dr. King!“

„Die Frage war nicht an Sie gerichtet, Dr. Chiu, sondern an die Assistenzärzte hier im Raum.“

Flo sah ihn stirnrunzelnd an. „Hier gibt es keine Assistenzärzte. Die Hollywood Hills Klinik ist kein Lehrkrankenhaus. Alle Mediziner hier sind Fachärzte für Chirurgie mit Spezialisierung in Transplantationsmedizin.“

„Auch ein Facharzt kann noch etwas dazulernen.“ Nate sah sich um. „Also, wer weiß die Antwort?“

Betretenes Schweigen.

„Würde bitte jemand Dr. Kings Frage beantworten?“, bat Flo kühl. „Und danach hört Dr. King hoffentlich mit seinem Kardiologie-Quiz für Anfänger auf.“

Gelächter erklang, und auch Nate konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Sie lässt sich wirklich nicht die Butter vom Brot nehmen.

Er mochte Frauen, die genau wussten, was sie wollten.

Es schien nicht viel zu geben, wovor Flo Angst hatte.

„Das LVAD war früher zu groß für den Brustkorb von Kindern und Frauen“, erklärte einer der Ärzte schließlich.

„Ganz genau. Danke.“ Nate wandte sich wieder an Flo. „Sehen Sie, das ist der Grund für meine Forschungsarbeit. Vielleicht möchte dieser junge Kollege mich ja dabei unterstützen, während ich hier in Los Angeles bin.“

„Vielen Dank, Dr. King“, sagte der Chirurg verblüfft.

Flo warf Nate einen wütenden Blick zu.

Soll das ein Scherz sein?

„Ich habe die Sinnhaftigkeit Ihrer Forschung nie infrage gestellt, Dr. King. Im Gegenteil. Doch da Mr. Francis jetzt stabilisiert ist, jedoch aufgrund seines Zustands nicht verlegt werden kann, können Sie ruhig wieder nach New York fahren. Ich informiere Sie, sobald UNOS ein Herz und eine Lunge für ihn hat.“

„Genau da liegt das Problem, Dr. Chiu. UNOS wird nämlich nicht Sie, sondern mich anrufen, denn ich bin derjenige, der Mr. Francis auf die Liste gesetzt hat.“

Diesmal war Flos Blick vernichtend.

„Sie sind also fest entschlossen, bis zur Transplantation bei uns zu bleiben?“

„Wenn es um meine Patienten geht, kann ich sehr hartnäckig sein.“

Flo sah ihn über ihren Mundschutz hinweg an, und Nate konnte an ihren Augen erkennen, dass sie lächelte.

„Wissen Sie, Dr. Chiu, ich denke, wir sollten uns gemeinsam um Mr. Francis kümmern. So müssten Sie nicht ständig hier in der Klinik sein. Oder haben Sie kein Privatleben?“

„Was soll das denn heißen? Wie kommen Sie darauf, ich könnte kein Privatleben haben?“

„Bitte, so war das nicht gemeint. Ich bin mir sicher, dass Sie ein sehr spannendes Leben haben. Gibt es jemanden an Ihrer Seite?“

„Wie bitte?“

„Haben Sie einen Partner? Einen Freund?“

Im Saal war leises Gekicher zu hören, das jedoch abrupt verstummte, als Flo ihr Team drohend ansah.

„Nicht, dass es Sie irgendetwas anginge, Dr. King, aber nein, ich habe keinen Freund. Meine Arbeit ist das Wichtigste in meinem Leben.“

„Oh, das ist aber schade.“

Flo stöhnte. „Sie sind also auch einer dieser Männer?“

„Welche Männer meinen Sie?“

„Männer, die glauben, eine Frau sei nur dann ein vollwertiger Mensch, wenn sie einen Partner hat.“

„Nein, das denke ich nicht. Es ist nur …“ Er verstummte, weil er an Serena denken musste. „Das Leben ist einfach zu kurz.“

Flo sah ihn an, und er bildete sich ein, Zustimmung in ihrem Blick zu erkennen. Als ob auch sie ganz genau wusste, wie zerbrechlich das Leben war. Was mochte sie erlebt haben? Ob sie auch einen geliebten Menschen verloren hatte?

Nate hoffte, dass es nicht so war, denn diesen Schmerz wünschte er nicht einmal seinem ärgsten Feind.

„Sie haben vollkommen recht, Dr. King“, sagte Flo. „Das Leben ist viel zu kurz. Aber immerhin haben wir Kyle mit dieser OP etwas Zeit verschafft, sodass er hoffentlich nicht zu den zehn bis fünfzehn Patienten gehört, die versterben, während sie auf ein Spenderorgan warten.“

Nate nickte, erwiderte jedoch nichts weiter. Schweigend beendeten sie den Eingriff. Kyle hatte wirklich Glück gehabt, als man ihn zu Dr. Chiu gebracht hatte.

Sie war unglaublich talentiert.

Gemeinsam konnten sie es schaffen, Kyle zu retten.

Nein. Ich muss damit aufhören, in der Wir-Form zu denken!

Flo war genau der Typ Frau, für den er sich früher brennend interessiert hätte. Und genau dieser Gedanke machte Nate Angst. Die Zusammenarbeit mit ihr würde eine ständige Versuchung für ihn sein.

Er musste also Abstand zu ihr wahren, auch wenn das schwierig war. Alles musste streng professionell bleiben. Außerhalb der Klinik durfte es keinen Kontakt geben. Denn Nate konnte es nicht riskieren, noch einmal sein Herz zu verlieren.

Denk jetzt nicht an Serena. Du hast es nicht verdient, um sie zu trauern!

Nachdem sie die OP erfolgreich beendet hatte, verließ Nate wortlos den OP, wusch sich und zog sich um. Er brauchte dringend frische Luft, und so machte er sich auf den Weg zum Hubschrauber-Landeplatz auf dem Dach des Gebäudes.

Draußen war es heiß. In New York war vom Frühling noch nichts zu merken gewesen, doch hier in L. A. herrschten bereits sommerliche Temperaturen. Nate war gar nicht aufgefallen, wie sehr er das sonnige Wetter in Kalifornien vermisst hatte. Er atmete tief ein und hoffte, seine Anspannung dadurch etwas zu mildern.

Es war lange her, seit er so aufgewühlt gewesen war.

Seit Serenas Tod war er sorgfältig darauf bedacht gewesen, seine Gefühle unter einem riesigen Berg von Arbeit zu verstecken. Obwohl er sich ganz bewusst niemals auf andere Menschen einließ, war die Begegnung mit Flo ihm unter die Haut gegangen.

Dabei kannte er sie doch erst seit einigen Stunden.

Wenn er mit ihr zusammen war, vergaß er die Vergangenheit. Sie sorgte dafür, dass er seine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle hatte.

„Da sind Sie ja!“

Er war so überrascht, ihre Stimme zu hören, dass er zusammenzuckte.

„Wieso sind Sie mir gefolgt?“, fragte er eine Spur zu scharf.

„Jetzt seien Sie mal nicht so gereizt! Ich bin Ihnen nachgegangen, weil ich Ihnen das hier geben wollte.“ Sie reichte ihm eine Chipkarte für Angestellte, mit der er künftig Zugang zu allen Räumen der Klinik hatte.

„Tut mir leid. Danke.“

„Ich hätte sie auch einfach behalten können. Dann wären Sie hier auf dem Dach gefangen gewesen.“ Sie lächelte maliziös. „Was Sie übrigens verdient gehabt hätten – nach all den indiskreten Fragen, die Sie mir vorhin im OP gestellt haben.“

„Ich wollte nur die Stimmung etwas aufheitern.“

Wie absolut lächerlich!

In New York war er stets ernst und reserviert. Sowohl Assistenten als auch Fachärzte zitterten wie Espenlaub, wenn er in der Nähe war. Er war alles andere als bekannt dafür, im OP für gute Stimmung zu sorgen. Und er hatte keine Ahnung, was heute über ihn gekommen war.

Flo verschränkte die Arme vor ihrer Brust. „Es war nicht nötig, die Stimmung aufzulockern. Außerdem habe ich gehört, dass Ihnen eine entspannte Atmosphäre normalerweise nicht sonderlich am Herzen liegt.“

„Wer sagt denn so was?“

„Mr. Francis. Als er erfuhr, dass sein Management Sie angefordert hatte, hat er mich vor Ihnen gewarnt. Er sagte, Sie seien ein arroganter Mistkerl.“

„Also wirklich, Dr. Chiu! Das hat er doch nie im Leben so formuliert.“

„Stimmt“, lenkte Flo augenzwinkernd ein. „Er hat noch viel deutlichere Worte gewählt.“

Nate musste schmunzeln, denn er konnte sich diese Unterhaltung lebhaft vorstellen. Als er Flo ansah, fiel ihm auf, dass sie offenbar auch eine weiche Seite hatte. Für einen Moment hatte sie ihre Fassade der unnahbaren Abteilungsleiterin abgelegt, und er glaubte, Zuneigung und Wärme in ihrem Blick zu erkennen.

Eigenschaften, die er schon viel zu lange schmerzlich vermisst hatte.

„Danke, dass Sie mir heute geholfen haben. Ich bin sehr froh, dass wir Kyle stabilisieren konnten. Hoffentlich schafft er es, bis UNOS Sie anruft.“ Sie lächelte ihm zu. „Ich lasse Sie jetzt wieder in Ruhe. Falls Sie etwas brauchen, können Sie mich ja anpiepen lassen. Ich werde noch eine Weile in der Klinik sein.“

Sie wollte gehen, doch noch ehe sie sich umdrehen konnte, hatte Nate nach ihrem Arm gegriffen. Fragend sah sie ihn an.

„Danke, dass Sie sich so gut um meinen Patienten kümmern. Ich bin sehr froh, dass eine Chirurgin Ihres Kalibers da war, um Kyle zu helfen. Ich werde nachher UNOS anrufen und Sie auf die Kontaktliste setzen lassen.“

Er sah ihr an, dass sie überrascht und auch erfreut über seine Worte war. Ihre Wangen waren zart gerötet, aus ihrem Zopf hatte sich eine Strähne gelöst, die sie sich hinters Ohr schob, und ihre Augen leuchteten.

Nate wusste, dass er sie gehen lassen sollte, doch er schaffte es nicht. Er war wie hypnotisiert von ihr, und ohne weiter darüber nachzudenken, zog er sie an sich und küsste sie.

Einen kurzen Augenblick lang – während er ihre süßen Lippen schmeckte – schmiegte sie sich an ihn. Er schlang seine Arme um ihre Taille und küsste sie noch inniger. Eng umschlungen standen sie auf dem Dach, als würde die Welt um sie herum stillstehen.

Nate wäre gern noch weitergegangen. Wären sie gerade in seinem Apartment in New York gewesen, dann hätte er Flo jetzt hochgehoben und zu seinem Bett getragen. Doch leider waren sie auf einem Klinikdach in Los Angeles.

Er war im Begriff, sich auf gefährliches Terrain zu begeben.

Dann wurde ihm klar, was er gerade tat.

Das hier war das Gegenteil von Abstand halten. Und Abstand war sehr, sehr wichtig.

Er löste sich von ihr und trat einen Schritt zurück. Verlegen fuhr er sich durchs Haar und hoffte, dass sein Herzschlag sich wieder normalisieren würde.

Flo stand wie versteinert vor ihm und war genauso schockiert wie er. Mit großen Augen sah sie ihn an.

„Es tut mir leid. Ich weiß nicht …“ Nate brach ab. Doch, er wusste ganz genau, was über ihn gekommen war. Und er war furchtbar wütend auf sich selbst, weil er es so weit hatte kommen lassen.

„Schon gut“, sagte sie schnell. „Nur ein kurzer Hormonrausch. Alles klar. Wir werden es vergessen und nie wieder darüber sprechen, Dr. King.“

Und dann, noch bevor er irgendetwas erwidern konnte, drehte sie sich auf dem Absatz um und rannte davon.

3. KAPITEL

Flo schreckte aus dem Schlaf auf und wusste einen Augenblick lang nicht, dass sie im Bereitschaftsraum war. Der Pager in ihrer Hosentasche vibrierte. Sie kramte ihn hervor und warf einen Blick aufs Display. Freya Rothsberg suchte nach ihr.

Mist.

Sie hoffte, dass es nicht darum ging, ihr Büro mit Nate zu teilen. Noch gestern wäre es ihr egal gewesen, doch nun war ihr klar, dass ein gemeinsames Büro keine gute Idee wäre.

Er hatte sie völlig überrumpelt, als er sie so unvermittelt in seine Arme gezogen und geküsst hatte. Eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf hatte ihr dringend geraten, sich aus seiner Umarmung zu befreien, doch dazu war sie nicht in der Lage gewesen. Denn es war der heißeste Kuss gewesen, den sie je bekommen hatte.

Verglichen mit Nates Kuss war alles, was sie zuvor in ihrem Leben erlebt hatte, sehr, sehr züchtig und zurückhaltend gewesen. In seinen Armen hatte Flo ein nie gekanntes Verlangen verspürt. Mit jeder Faser ihres Körpers hatte sie sich nach mehr als einem Kuss gesehnt, und der Teil von ihr, der jeden Moment des Lebens auskosten wollte, hatte ihr laut zugerufen, die Chance zu nutzen und mit Nate zu schlafen.

Doch natürlich hatte ihre Vernunft schnell wieder die Oberhand gewonnen und sie daran erinnert, wie es beim letzten Mal gewesen war, als sie einen Mann so nah an sich herangelassen hatte, dass sie fast Sex mit ihm gehabt hätte. Ihre Narbe hatte Johnny eine Heidenangst gemacht. Sie war der unwiderlegbare Beweis dafür, dass Flo nicht gesund war und dass ein Leben mit ihr ein unkalkulierbares Risiko darstellte. Ein Risiko, das niemand freiwillig einging. Das hatte Johnny ihr unmissverständlich klargemacht.

Außerdem – was wusste sie schon über Sex? Sie hatte schließlich noch nie welchen gehabt.

Es war also gut, dass Nate das Ganze gestoppt hatte, bevor es richtig peinlich geworden wäre. Es würde auch so schon schwierig genug werden.

Flo stand auf, bürstete ihr Haar und putzte sich die Zähne. Dann machte sie sich auf den Weg zu ihrem Büro, wo sie sich hastig umzog. Da sie nicht zum ersten Mal in der Klinik übernachtet hatte, hingen in ihrem Büroschrank mehrere Kleidungsstücke.

Sie wählte eine seriös aussehende weiße Bluse und einen dunklen kurzen Rock mit Nadelstreifen aus. Dazu noch schwarze Pumps, und sie war mehr als angemessen gekleidet.

Schnell steckte sie noch ihr Haar auf, bevor sie ihren weißen Kittel überzog. Bevor sie losging, griff sie nach ihrem Tablet, um Kyles Akte zu studieren. Bestimmt wollte ihre Chefin wissen, wie es dem prominenten Patienten ging.

Freya erwartete sie im Besprechungsraum in der Vorstandsetage. Als Flo eintrat, saß Nate bereits am Konferenztisch. Sie versuchte, nicht zu erröten.

Er plauderte gerade angeregt mit Freya, doch als Flo hereinkam, sah er sie mit seinen leuchtend blauen Augen ungeniert an. Es kostete Flo all ihre Selbstbeherrschung, kühl und geschäftsmäßig zu bleiben. Sie war fest entschlossen, sich von Nate nicht aus dem Konzept bringen zu lassen.

Sie waren Kollegen. Mehr nicht.

Alles andere war sinnlos, denn selbst wenn sie sich näherkämen, würde er sofort Reißaus nehmen, sobald er ihre Narbe entdeckte. Wie Johnny.

„Tut mir leid, dass du warten musstest, Freya.“

„Schon gut, Flo. Bitte setz dich.“ Freya wies auf den Stuhl gegenüber von Nate.

Angestrengt versuchte Flo, Nates Blick auszuweichen.

„Wie ich gehört habe, hat Mr. Francis’ Zustand sich stabilisiert?“ Fragend sah Freya Flo vom Kopfende des Tisches aus an.

„Ja, so ist es“, bestätigte Flo und schaltete ihr Tablet ein. „Möchtest du den OP-Bericht lesen?“

Freya hob abwehrend ihre Hände. „Nein, nicht nötig. Wir sind nicht hier, um über Mr. Francis’ OP zu sprechen.“

„Aber du hast mir doch geschrieben, du wolltest wegen Kyle Francis mit mir sprechen …“ Verwirrt sah Flo ihre Chefin an.

„Nun ja, indirekt geht es auch um Mr. Francis.“ Mit einem Klick schaltete Freya den Beamer an, und ein Bild erschien auf der großen Leinwand hinter dem Konferenztisch.

Flo fiel vor Schreck beinahe vom Stuhl, als sie die Titelseite einer lokalen Zeitung sah.

Ärzte von Superstar Kyle Francis haben heiße Affäre, während der Schauspieler mit dem Tode ringt.

„Und dann wäre da noch das hier.“ Freya projizierte das nächste Bild auf die Leinwand, und eine Nahaufnahme von Flo und Nate, eng umschlungen und in ihren leidenschaftlichen Kuss vertieft, erschien mit der Bildunterschrift ‚Liebesaffäre zwischen Herzchirurgen‘.

„Wir sind doch gar keine Herzchirurgen“, versuchte Nate die Situation mit einem Scherz zu entschärfen. „Transplantationschirurgie ist eine eigene Fachrichtung.“

Freya sah ihn tadelnd an. „Trotzdem weiß alle Welt, dass Kyle Francis auf ein Spenderherz und eine Spenderlunge wartet.“

„Wie ist das bekannt geworden?“

„Einer der Rettungsassistenten hat mit der Presse gesprochen. Zum Glück war es niemand aus unserer Klinik. Trotzdem werden die Sicherheits- und Vertraulichkeitsstandards der Hollywood Hills Klinik nun infrage gestellt. Erst ist jemand vom Rettungsdienst indiskret, und dann erwischt ein Reporter auch noch die beiden behandelnden Ärzte beim Rumknutschen auf dem Klinikdach. Unser guter Ruf ist in Gefahr!“

Flos Magen zog sich bei Freyas Worten zusammen. Wie hatte sie nur so dumm sein können? Auch wenn sie nur für den Augenblick lebte und gern Herausforderungen annahm, lag ihr nichts ferner, als ihre Karriere in der Hollywood Hills Klinik zu gefährden.

„Freya, es tut mir so leid …“

„Schon gut. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Flo. Es gibt einen einfachen Weg, dieses Problem zu lösen.“ Sie lächelte Flo und Nate freundlich, aber bestimmt an. „Deshalb freut es mich auch, dass ihr beide so seriös angezogen seid. Wir werden nämlich im Anschluss an unsere kleine Besprechung eine Pressekonferenz abhalten.“

„Wozu brauchen wir denn eine Pressekonferenz?“, fragte Nate.

„Um über Kyles Eingriff zu berichten. Sein Management hat uns teilweise von der Schweigepflicht entbunden. Sie denken, dass es gute PR für ihn ist. Außerdem werden wir über einen Pro-bono-Fall sprechen, an dem ihr beide beteiligt seid. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt mit der Bright Hope Klinik, und die Patientin ist Eva Martinez, ein Kind, das eine Nierentransplantation braucht. Ihre alleinerziehende Mutter, die den Lebensunterhalt für sich und die Kleine als Kellnerin verdient, ist als Lebendspenderin geeignet und wird ihrer Tochter eine ihrer Nieren spenden. Die Presse ist sehr interessiert an diesem Fall.“

Flos Herz setzte einen Schlag lang aus, als Freya von Eva Martinez sprach. Eva war zwölf, nur ein wenig jünger, als Flo es damals gewesen war. Der Fall brachte tief in ihrem Inneren eine Saite zum Klingen.

„Natürlich“, stimmte Flo zu, nachdem sie sich wieder gesammelt hatte. „Selbstverständlich operiere ich das Kind ohne Honorar. Kein Problem.“

„Das ist noch nicht alles“, fuhr Freya fort und lehnte sich mit verschränkten Armen in ihrem Stuhl zurück. „Wir müssen eine Erklärung dazu abgeben, weshalb zwei berühmte Transplantationschirurgen sich wie zwei Teenager auf dem Dach unseres Krankenhauses küssen und sich dabei auch noch erwischen lassen.“

„Es hatte nichts zu bedeuten“, beeilte Flo sich zu sagen. „Und es wird nie wieder vorkommen.“

Nate sah sie an, als hätte sie ihm eine Ohrfeige verpasst. „Darin stimme ich Flo absolut zu. Es war ein einmaliger Ausrutscher. Eine Übersprunghandlung nach einer anstrengenden OP.“

„Es interessiert mich nicht, wie es dazu gekommen ist. Und es ist mir völlig gleichgültig, wie meine Mitarbeiter ihr Liebesleben gestalten. Was mir allerdings nicht egal ist, ist die Tatsache, dass ihr dabei auf dem Dach der Klinik erwischt worden seid, obwohl wir unseren VIP-Patienten absolute Diskretion und Sicherheit zusagen. Deshalb möchte ich, dass ihr so tut, als wärt ihr ein Paar. Zwei Erwachsene in einer festen Beziehung.“

Flo blinzelte, denn sie konnte nicht glauben, was sie gehört hatte. „Wie bitte?“

„Das Hollywood-Hills-Dream-Team wird das Leben von Eva Martinez und das von Kyle Francis retten. Die positive PR, die diese beiden Fälle der Klinik bringen werden, dürfen wir uns nicht entgehen lassen. Wir müssen unseren guten Ruf wiederherstellen. Dazu gehört, eure Seriosität zu betonen. Und bis das gelungen ist, seid ihr zwei ein Paar.“

Nate wusste, dass er diese verrückte Idee ablehnen und gehen sollte. Er war schließlich nicht bei Freya angestellt. Andererseits konnte er sich nur dann um seinen Patienten kümmern, wenn er bleiben durfte.

Außerdem wollte er Flo nicht verletzen.

Sie lebte und arbeitete hier, und er durfte nicht zulassen, dass ihr guter Ruf wegen seiner Impulsivität litt. Er hatte also im Grunde keine Wahl. Egal, ob es ihm passte oder nicht – er musste mitspielen. Es war ja eigentlich auch keine große Sache. Sie mussten nur eine Weile vorgeben, zusammen zu sein.

„Ist gut“, erklärte er.

„Ist gut?“ Schockiert sah Flo ihn an. ‚Hast du den Verstand verloren?‘, schien ihr Blick zu sagen.

„Ich habe kein Problem mit dieser kleinen Täuschung. Und natürlich bin ich gern bereit, dem kleinen Mädchen zu helfen. Da bereits eine Spenderin gefunden ist, dürfte es kein Problem werden.“

Freya lächelte zufrieden. „Sehr gut. Wie sieht es mit dir aus, Flo?“

In Flos Kopf überschlugen sich die Gedanken. „Ähm … Ich schätze, es ist okay. Den Pro-bono-Eingriff mache ich gern, und die andere Sache … wird wohl auch kein Problem sein.“

„Sehr gut.“ Zufrieden stand Freya auf. „Ich sehe euch dann in zehn Minuten im großen Besprechungsraum zur Pressekonferenz.“

Wortlos sahen Nate und Flo Freya nach, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Nate hätte gern etwas gesagt, hätte sich gern bei Flo entschuldigt, weil sein impulsives Benehmen sie in diese unmögliche Lage gebracht hatte. Er hatte für einen Moment die Kontrolle verloren – und das war ihm schon sehr lange nicht mehr passiert.

„Ich schätze, wir sollten in den Presseraum gehen“, brach er schließlich das Schweigen.

Mit verschränkten Armen sah Flo ihn an. „Was sollte das?“

„Was meinst du?“

„Wieso hast du diesem lächerlichen Vorschlag einfach so zugestimmt? Du arbeitest doch gar nicht für Freya. Wieso hast du diese Farce nicht zum Anlass genommen, nach New York zurückzufahren?“

Nate schnaubte. „Das hätte dir so gepasst, nicht wahr?“

„Mein Vorschlag hat nichts mit Kyles Behandlung zu tun.“

„Wirklich nicht?“ Nate beugte sich über den Tisch zu ihr herüber, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. „Du versuchst doch schon seit meiner Ankunft, mich so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Ganz einfach, weil es dir nicht passt, dass sich ein anderer Chirurg in deinem Revier aufhält.“

Flo grinste. „Stimmt. Das gefällt mir in der Tat nicht. Trotzdem hatte ich mich damit abgefunden, dass du in der nächsten Zeit hier bist. Ehrlich gesagt hätte ich mich vermutlich genauso verhalten, wenn Kyle mein Patient gewesen wäre. Aber ich verstehe nicht, weshalb du Freya gegenüber so zuvorkommend gewesen bist.“

„Ganz einfach: Ich bin schuld daran, was da oben auf dem Dach passiert ist. Das hätte niemals geschehen dürfen. Offenbar hat mein Verstand kurzzeitig ausgesetzt. Könnte ich die Zeit zurückdrehen und diesen Kuss zurücknehmen, dann würde ich es sofort tun. Es war definitiv ein Fehler.“

Über Flos Gesicht huschte ein Ausdruck von Enttäuschung. „Aha.“

„Lass uns einfach professionell sein und gute Miene zum bösen Spiel machen. Das Ganze hat ja auch einen positiven Aspekt: Ich freue mich darauf, mit dir zusammen diese Nierentransplantation bei dem Mädchen zu machen. Auch wenn es ein Routine-Eingriff werden dürfte.“

Einen kurzen Augenblick lang glaubte Nate, Schmerz in Flos Blick zu erkennen, doch sie hatte sich sofort wieder unter Kontrolle und stand auf. „Genau. Eine nette, kleine Pro-bono-OP als PR-Maßnahme.“

Hörte er da Bitterkeit aus ihren Worten?

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er.

„Ach, plötzlich interessierst du dich dafür, wie es mir geht?“

„Naja, ich bin ja jetzt offiziell dein Freund – also fange ich am besten gleich an, mich auch entsprechend zu benehmen.“

Kopfschüttelnd sah Flo ihn an. „Na, dann kommen Sie, Dr. Herzensbrecher. Bringen wir diese leidige Pressekonferenz hinter uns.“

„Du hältst mich für einen Herzensbrecher?“, neckte Nate sie beim Hinausgehen.

Flo streckte ihm die Zunge heraus.

Als sie in den Presseraum traten, richteten sich alle Blicke auf sie, und aufgeregtes Getuschel war zu hören. Die Liebesgeschichte des „Dream-Teams“ hatte sich also schon herumgesprochen.

Wie selbstverständlich griff Nate nach Flos Hand. Als Flo daraufhin zusammenzuckte, beugte er sich zu ihr herüber und flüsterte: „Entspann dich. Wir müssen uns wie ein verliebtes Pärchen benehmen. Und Händchen halten gehört definitiv dazu.“

Flo nickte resigniert und ging hocherhobenen Hauptes neben ihm zum Podium.

Obwohl ihm klar war, dass es nur eine Täuschung war, gefiel es Nate, ihre schmale, weiche und doch so geschickte Hand in seiner zu spüren.

Es fühlte sich irgendwie richtig an.

Zu richtig.

Als sie aufs Podium traten, begann ein Blitzlicht-Gewitter, und von allen Seiten wurden ihnen Fragen zugerufen. Flo wirkte etwas befangen; offenbar war sie Presse-Auftritte nicht gewohnt. Ganz im Gegensatz zu Nate.

Er hielt regelmäßig Vorträge vor großem Publikum. Der einzige Unterschied zu diesem Auftritt war, dass er normalerweise nicht vorgab, mit einer Frau zusammen zu sein.

Andererseits war es ihm gar nicht so unangenehm, für Flos Partner gehalten zu werden. Es beunruhigte ihn nur ein wenig, wie sehr ihm diese Rolle gefiel. Er hätte sie gern noch einmal geküsst.

Die ganze letzte Nacht hatte er schlaflos in seinem Hotelbett gelegen und an sie gedacht. Irgendwann war er sogar hinunter in den Pool gegangen und war über eine Stunde lang geschwommen, um endlich müde zu werden. Und um seine überschüssige Energie loszuwerden.

Energie, die er sehr gern woanders verbraucht hätte.

Denk jetzt nicht darüber nach!

„Alles ist gut“, flüsterte Nate Flo ins Ohr. „Einfach lächeln. Denk daran, dass wir es für die Hollywood Hills Klinik tun.“

„In Ordnung“, gab Flo mit zusammengebissenen Zähnen zurück.

Sie setzten sich links und rechts von Freya an den Tisch.

Nate versuchte, so gelassen wie möglich zu wirken.

Er würde es schaffen und einfach cool bleiben.

Diese Scharade war zwar lächerlich, aber er würde es hinbekommen, denn er war willensstark und souverän.

Das Ganze war schließlich nur Show. Eine riskante, dumme Vorspiegelung falscher Tatsachen.

Er hätte sich niemals darauf einlassen dürfen.

4. KAPITEL

Flos Blut rauschte in ihren Ohren. Sie mochte große Menschenmengen nicht besonders. Veranstaltungen wie diese erinnerten sie unangenehm an ihre Highschool-Zeit, als sie bei allen Aktivitäten unbeteiligt am Rand sitzen musste, weil sie zu krank war, um mitzuspielen oder mitzufeiern. Ihre Mutter hatte ihr beigebracht, sich durchzusetzen, doch das bezog sich normalerweise auf die Auseinandersetzung mit nur einer Person. Hier in diesem Raum waren aber viele Menschen. Sehr viele. Und nur die wenigsten von ihnen waren Mediziner.

Es machte Flo nichts aus, vor Kollegen zu sprechen. Auch Fortbildungsveranstaltungen oder Kongresse waren kein Problem. Aber eine Pressekonferenz? Damit hatte sie keine Erfahrungen. Genauso wenig, wie sie Erfahrungen darin hatte, einen Raum am Arm des attraktivsten Manns zu betreten.

Was hatte Nate nur an sich, das sie so aus dem Konzept brachte? Es gab noch mehr gut aussehende Männer in der Klinik. James Rothsberg zum Beispiel. Mit seinem blonden Haar und den leuchtend blauen Augen sah er definitiv sehr gut aus. Trotzdem war Flo seinetwegen noch nie nervös geworden.

Vermutlich, weil ich James Rothsberg noch nie geküsst habe. Und auch nicht das Bedürfnis verspüre, es zu tun.

Ganz im Gegensatz zu Nate King. Seit dem Intermezzo auf dem Dach konnte Flo an nichts anderes mehr denken.

Reiß dich jetzt zusammen!

Freya gab gerade eine Erklärung ab, doch Flo konnte sich nicht darauf konzentrieren. Es ging um die Kooperation der Hollywood Hills Klinik mit der Bright Hope Klinik. Flo bemerkte, dass eine zierliche Frau mit kastanienrotem Haar und haselnussbraunen Augen bei jedem Satz von Freya zustimmend nickte. Das musste Mila Brightman sein, die Leiterin der Bright Hope Klinik.

Interessanter war allerdings der Blick, mit dem James Rothsberg Mila ansah. Flo erkannte intuitiv, dass er für Mila genauso empfand wie sie für Nate King. Sie fragte sich, ob zwischen den beiden etwas lief. Für gewöhnlich war James sehr souverän und beherrscht, doch heute verhielt er sich anders. Es schien, als würde unter seiner Oberfläche eine bislang versteckte Leidenschaft brodeln.

Sie musste sich jetzt auf die Pressekonferenz konzentrieren! Diese Schwärmerei für Nate war sinnlos, denn sobald er ihre Narbe entdeckte, würde sowieso alles vorbei sein. Genau wie bei Johnny.

„Und als Meilenstein in der Zusammenarbeit zwischen der Bright Hope Klinik und der Hollywood Hills Klinik freuen wir uns, Ihnen mitteilen zu können, dass unser Dream-Team, Dr. Florence Chiu und Dr. Nathaniel King – zwei der besten Transplantationschirurgen unseres Landes – den Fall Eva Martinez übernehmen, während sie sich weiterhin um Kyle Francis kümmern.“ Freya winkte Flo ans Mikrofon heran.

Du schaffst das!

Applaus brandete auf, und nachdem sie ans Mikrofon getreten war, wurde sie mit Fragen aus dem Publikum überhäuft. Nate stand auf und trat neben sie. „Bitte immer nur einer auf einmal. Ich bin mir sicher, dass Dr. Chiu sehr gern alle Ihre Fragen beantwortet.“ Sein Tonfall war bestimmt und selbstbewusst. Sofort verstummten die Reporter, und er setzte sich wieder hin.

„Sie dort drüben, was möchten Sie wissen?“, eröffnete Flo die Fragerunde.

„Fotos von Ihnen und Dr. King haben bei uns allen Fragen bezüglich der Sicherheitsstandards in der Hollywood Hill Klinik aufgeworfen. Patienten machen sich Sorgen wegen der Diskretion und fragen sich, ob die Ärzte hier sich noch angemessen auf ihre Arbeit konzentrieren oder eher darüber nachdenken, mit wem sie als Nächstes ins Bett hüpfen.“

Flo spürte, wie sie vor Verlegenheit errötete. „Ich kann Ihnen versichern, dass ich mich voll und ganz auf meine Patienten konzentriere.“

Wieder stand Nate auf. „Dr. Chiu und ich sind in einer festen Beziehung. Wir sind nach einer anstrengenden OP aufs Dach gegangen, um etwas frische Luft zu schnappen, und wurden von unseren Gefühlen überwältigt. Ist Ihnen das noch nie passiert? Haben Sie Ihre Partnerin noch nie geküsst, weil sie gerade glücklich und erleichtert über den Ausgang einer schwierigen Aufgabe waren? Das täte mir leid für Sie.“

Gelächter erklang aus dem Publikum.

„Damit ist aber immer noch nicht die Sicherheitslücke erklärt“, beharrte der Reporter.

„Das Foto wurde von einem Paparazzo vom gegenüberliegenden Gebäude aus gemacht. Wir können nicht kontrollieren, was in den Häusern in der Nachbarschaft geschieht, aber Fotos vom Inneren unserer Klinik und natürlich von unseren Patienten hat es noch nie gegeben. Unsere Sicherheitsvorkehrungen sind einwandfrei“, erklärte Freya bestimmt.

Damit schien diese Frage beantwortet. Ein anderer Journalist trat vor. „Seit wann sind Sie und Dr. King ein Paar?“

„Seit einigen Monaten. Wir trafen uns, um Mr. Francis’ Gesundheitszustand zu diskutieren, als dieser wegen seines neuen Films in Kalifornien war“, log Flo.

Nate nickte und legte locker seinen Arm um sie. Diese freundschaftliche Geste reichte, um bei Flo eine Gänsehaut hervorzurufen. Gut, dass Nate es nicht merkte.

„Können Sie uns etwas über Mr. Francis’ Zustand sagen?“

„Natürlich. Mr. Francis leidet schon seit längerer Zeit an einer Herzinsuffizienz, wodurch auch seine Lunge in Mitleidenschaft gezogen wurde. Aus diesem Grund benötigt er sowohl eine Herz- als auch eine Lungentransplantation. Wir warten nun auf geeignete Spenderorgane. In der Zwischenzeit versuchen wir, seinen Zustand stabil zu halten.“

Nate nickte Flo aufmunternd zu, nahm ihre Hand und ging mit ihr zurück zu ihren Plätzen. Erleichtert setzte Flo sich neben ihn. Es fühlte sich gut an, seine Hand zu halten. Doch dann erinnerte sie sich daran, dass ihre Verliebtheit nur eine Farce war.

Er hatte ihr schließlich sehr deutlich gesagt, dass er nicht interessiert war und den Kuss gern ungeschehen machen würde.

Genau das wollte ich doch, oder etwa nicht?

„Wenn es nun keine weiteren Fragen gibt, beende ich hiermit die Pressekonferenz“, erklärte Freya. „Falls sich noch Nachfragen ergeben, melden Sie sich gern bei mir. Vielen Dank für Ihr Kommen.“

„Siehst du, so schlimm war es doch gar nicht“, bemerkte Nate leise, ohne ihre Hand loszulassen.

„Nein.“ Flo stand auf und wollte gerade gehen, als James sie zu sich und Freya heranwinkte.

Oh nein. Was ist denn jetzt noch?

„Gute Arbeit, Flo“, lobte Freya.

James nickte. „Ja, du warst sehr souverän.“

„Danke.“

„Ich denke, wir haben es nicht nur geschafft, den Ruf der Hollywood Hills Klinik wiederherzustellen, sondern auch noch gute PR für die Kooperation mit dem Bright Hope gemacht.“

„Da stimme ich voll und ganz zu!“ Mila war zu ihnen getreten und streckte Flo ihre Hand entgegen. „Dr. Mila Brightman. Freut mich, Sie kennenzulernen. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie glücklich ich darüber bin, dass Sie und Dr. King Evas Transplantation übernehmen.“

„Es ist uns ein Vergnügen.“

„Die öffentliche Aufmerksamkeit wird unserem angeschlagenen Image guttun. Ich habe mir deshalb schon große Sorgen gemacht.“

„Was du in deinem Zustand möglichst vermeiden …“ James brach ab und wich dem vernichtenden Blick seiner Schwester betreten aus. Überrascht sahen alle Freya an.

„Nun, da einige Leute es ja offenbar nicht schaffen, ein Geheimnis für sich zu behalten, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als die Katze aus dem Sack zu lassen. Ich bin schwanger.“

James lächelte verlegen. „Ich freue mich sehr für dich, Freya.“

Dann drehte er sich zu Mila um, und Flo bemerkte, dass eine eigenartige Spannung zwischen ihnen bestand. James sah aus, als würde er Mila am liebsten in den Arm nehmen, hielt sich jedoch zurück. Sie fragte sich, was zwischen den beiden vorging, doch natürlich stellte sie keine Fragen.

„Ich muss jetzt los“, erklärte Flo stattdessen. „Ich möchte noch nach meiner neuen Patientin sehen.“

Freya nickte. „Danke, Flo.“

Hastig ging Flo davon. Sie hatte vorerst genug von peinlichen Situationen. Schlimm genug, dass sie und Nate eine Beziehung vortäuschen mussten. Besonders lästig fand sie es, wie sehr diese Sache sie beschäftigte.

Sie musste sich schließlich auf ihre Patienten konzentrieren.

Evas Fall ging ihr sehr nahe. Nur dass Flo ihre Niere nicht von ihrer Mutter, sondern von einem anonymen Spender bekommen hatte. Sie musste oft daran denken, dass sie nur deshalb leben durfte, weil dieser Unbekannte gestorben war.

Obwohl ihre Nainai – ihre Großmutter – immer behauptet hatte, sie sei ein zähes kleines Ding, war Flos Leben immer härter als das ihrer Altersgenossen gewesen. Sie war als Frühchen auf die Welt gekommen und hatte sich immer mehr anstrengen müssen als alle anderen.

In der Halle sah sie Nate, der sich angeregt mit einigen Kollegen unterhielt. Allein sein Anblick reichte, um ihren Puls zu beschleunigen. Schnell machte sie auf dem Absatz kehrt und ging in die entgegengesetzte Richtung.

Reiß dich zusammen, Flo!

Sie durfte dem Verlangen, das er in ihr weckte, auf keinen Fall nachgeben. Sie waren nur zum Schein zusammen. Es war eine Komödie, mehr nicht.

Aber es war so schwer, seine Freundin zu spielen. Und so gefährlich. Denn sie war nicht so zäh, wie ihre Nainai dachte.

Nate hatte Flo am anderen Ende der Halle gesehen und war erstaunt darüber, dass sie ihm offenbar aus dem Weg ging. Das passte gar nicht zu ihr. Bisher hatte sie nicht gerade den Eindruck gemacht, dass sie sich leicht einschüchtern ließ. Im Gegenteil, sie hatte ihm bei jeder Unterhaltung die Stirn geboten.

Eine ihrer vielen Eigenschaften, die er bewunderte.

Er musste aufhören, ständig an sie zu denken!

Entschlossen wandte er sich wieder seinen Gesprächspartnern zu, auch wenn er von der Unterhaltung nicht mehr viel mitbekommen hatte, seit Flo aufgetaucht war.

Wie war er nur in diese absurde Situation geraten? In seiner Klinik in New York wäre niemand jemals auf die Idee gekommen, ihm so etwas vorzuschlagen. Doch natürlich war seine Klinik in New York auch kein Privatkrankenhaus für Prominente, das sich mit seiner absoluten Diskretion brüstete.

„Dr. King?“

Nate drehte sich um und sah James Rothsberg hinter sich stehen. Neben James stand eine attraktive Rothaarige.

„Stören wir Sie?“

„Nein, gar nicht“, beeilte Nate sich zu sagen.

James nickte. „Ich möchte Ihnen Mila Brightman von der Bright Hope Klinik vorstellen.“

Nate gab ihr die Hand.

„Schön, Sie kennenzulernen“, sagte Mila mit einem charmanten Lächeln.

„Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite“, erwiderte Nate.

In diesem Augenblick bemerkte Nate einen seltsamen Ausdruck in James’ Blick. Er schien eifersüchtig zu sein und eine stumme Warnung aussprechen zu wollen. Nate fragte sich, was wohl zwischen James und Mila vorging.

Natürlich ging es ihn nichts an, doch die Spannung zwischen den beiden war fast greifbar – und erinnerte ihn unmissverständlich an sein Verhältnis zu Flo.

Unsinn. Das bildest du dir nur ein. Du bist paranoid!

„Ich wollte mich gern bei Ihnen und Dr. Chiu persönlich dafür bedanken, dass Sie Evas Fall übernehmen. Sie ist ein ganz besonderes Kind.“

„Gern geschehen. Ich freue mich, dass ich helfen kann. Doch nun entschuldigen Sie mich bitte. Ich muss mich um meinen Patienten kümmern.“

Nate war froh, dass er sich verabschieden konnte. Die Atmosphäre zwischen James und Mila löste ein leises Unbehagen bei ihm aus.

Als er sich nach einigen Metern noch einmal umdrehte, sah er, dass sie sich schweigend und mit angespannter Miene ansahen, bevor sie in verschiedene Richtungen davongingen.

Genau aus diesem Grund vermied er es, sich mit Frauen einzulassen. Vor allem bei der Arbeit. Er brauchte seine ganze Aufmerksamkeit für seine Patienten.

Am besten sagte er Freya, dass er bei diesem PR-Gag doch nicht mitmachen wollte. Doch was wurde dann aus Flo?

Das ist doch nicht mein Problem!

Leider war es das doch. Zumindest ein bisschen, denn schließlich war er schuld an dem Kuss gewesen. Seine Schwäche hatte sie in diese leidige Situation gebracht. Hätte er sich besser unter Kontrolle gehabt, dann hätte er der Versuchung widerstanden und ausreichend Abstand zu ihr gewahrt. Das sollte er von nun an unbedingt tun. Und das würde er auch.

Wem willst du hier eigentlich etwas vormachen?

Er musste dringend aus dem Krankenhaus hinaus und zurück in sein Hotel, um einige Stunden zu schwimmen. Nur so konnte er die Anspannung loswerden, die ihn in noch viel größere Schwierigkeiten bringen und die er hinterher aus tiefstem Herzen bedauern würde.

5. KAPITEL

Was um alles in der Welt mache ich hier bloß?

Sie hatte den unangenehmen Chlorgeruch in der Nase, und ihr wurde klar, dass sie diesen Duft schon als Teenager verabscheut hatte. Vermutlich, weil er sie daran erinnerte, wie sie teilnahmslos am Beckenrand sitzen musste, während ihr Bruder und ihre Schwester im Wasser herumtollten. Sie selbst war immer zu krank gewesen, um schwimmen zu gehen.

Hier am Beckenrand von Nate Kings Hotelpool zu stehen und besagten Adonis seine Bahnen durchs Wasser ziehen zu sehen, war eine echte Herausforderung. Flo gelang es kaum, ihn nicht sehnsüchtig anzustarren.

Eigentlich hatte sie mit ihm reden wollen, bevor er die Klinik verlassen hatte. Wenn sie wirklich diese lächerliche Show abziehen wollten, mussten sie einige Einzelheiten besprechen. Effizienz gehörte zu Flos herausragenden Eigenschaften.

Deshalb führte sie auch ständig Listen. Sie war extrem gut organisiert, und wenn sie etwas machte, dann richtig.

Wenn sie also Nate Kings Freundin spielen sollte, dann würde sie in dieser Rolle perfekt sein.

Nate war nun offenbar fertig mit seinem Trainingsprogramm, denn er stieg am gegenüberliegenden Beckenrand aus dem Wasser. Erst als er ein Handtuch um seine Hüften geschlungen hatte und so immerhin teilweise seinen durchtrainierten Körper bedeckte, wagte Flo, ihn direkt anzusehen und zu ihm zu gehen.

„Nate“, begrüßte sie ihn.

Überrascht drehte er sich zu ihr um. „Dr. Chiu!“

„Du nennst mich Flo. Schon vergessen? Wir sind ein Paar.“ Sie lachte nervös, doch Nate blieb ernst. „Ich wollte noch mit dir reden, aber du warst schon weg. Deshalb bin ich hergekommen.“

„Worüber?“, erkundigte er sich und trocknete sich mit einem zweiten Handtuch Gesicht und Haare ab.

„Über unsere ‚Beziehung‘.“ Mit den Händen deutete sie Anführungszeichen an.

Er stöhnte. „Jetzt?“

„Hast du etwas anderes vor? Eine Verabredung?“

Nun lächelte Nate, doch sein Lächeln war nicht so heiter wie sonst, sondern eher ein wenig provozierend. „Wärst du eifersüchtig, wenn es so wäre?“ Er trat einen Schritt auf Flo zu. „Wie würdest du reagieren?“

„Ich bin selbstverständlich nicht eifersüchtig! Aber unserer Klinik und damit unseren Patienten zuliebe solltest du dich zurückhalten. Es wäre unpassend.“

Er lachte hämisch. „Na, wie gut, dass unser kleines Täuschungsmanöver kein bisschen unpassend ist.“

Flo erinnerte sich Freyas Argumentation. „Wir versuchen nur, eine etwas heikle Situation wieder in den Griff zu bekommen.“

Nate sah sie fragend an. „Wirklich? Und du hast all deine anderen Verabredungen abgesagt? Was sagen denn deine Liebhaber dazu?“

Flo sah ihn ungeduldig an. „Was soll das? Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich keinen Freund habe. Ich lebe nur für meine Arbeit.“

Kopfschüttelnd ging er an ihr vorbei. „Woher wusstest du überhaupt, wo ich bin?“

„Freya hat es mir gesagt.“ Flo folgte ihm in die Hotelhalle und zu den Fahrstühlen.

„Natürlich. Das hätte ich mir denken können.“

„Na hör mal, ist es nicht selbstverständlich, dass ich weiß, wo mein Freund wohnt? Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir ja schon seit einigen Monaten zusammen sind.“

„Du hast ja recht. Darüber hatte ich nicht nachgedacht. Solche Schwindeleien sind nicht gerade meine Stärke.“ Die Türen des Fahrstuhls öffneten sich, und er trat ein. „Kommst du nicht mit hoch?“

„In dein Zimmer?“ Flo hoffte, dass ihre Stimme ihr Entsetzen nicht verriet. Sie konnte nicht mit in sein Zimmer gehen. Das gehörte nicht zum Plan.

Nate grinste provozierend. „Natürlich. Wir müssen doch glaubwürdig sein. Hast du das nicht gerade eben selbst gesagt?“

„Ich könnte doch in der Hotelbar auf dich warten.“

„Tja, ich schätze, das würden die Paparazzi dort drüben am Empfang sehr aufschlussreich finden.“

Flo drehte sich alarmiert um und sah die Reporter.

Verdammt.

Hastig folgte sie Nate in den Fahrstuhl – gerade noch rechtzeitig, denn einer der Fotografen hatte sie bereits entdeckt.

Nate lacht. „Sehr anmutig, Dr. Chiu“, neckte er sie.

„Wann hast du sie bemerkt?“

„Schon vor einer Weile.“

„Du hättest mich warnen können.“

„Das habe ich. Deshalb bist du jetzt hier im Fahrstuhl und nicht in der Hotelbar.“

„Trotzdem hätte ich lieber in der Bar gewartet“, murmelte sie.

„Warum?“

Weil es ungefährlicher ist.

„Ich kenne dich doch gar nicht. Irgendwie finde ich es unpassend, mit dir in dein Hotelzimmer zu gehen.“

Nates Grinsen wurde noch breiter. Auf seiner Etage angekommen, ging er voraus zu seiner Suite und öffnete mit der Schlüsselkarte die Tür. Flo blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, denn womöglich lauerten schon hinter der nächsten Ecke weitere Reporter.

Sie schloss die Tür hinter sich und sah sich beeindruckt um. Die Suite war geräumig und sehr elegant eingerichtet. Neben dem Schlafzimmer, in das Nate umgehend verschwand, gab es ein Wohnzimmer und eine kleine Küche.

Flo stellte ihre Tasche ab und ging zu einem der großen Flügelfenster, von wo aus man einen atemberaubenden Blick über die Skyline von Los Angeles hatte.

„Im Kühlschrank sind Getränke!“, rief er ihr aus dem Schlafzimmer zu. „Ich werde schnell duschen.“

„Ist gut. Danke.“

Sekunden später hörte Flo das Rauschen des Wassers und zwang sich, nicht an einen nackten, mit Seifenschaum bedeckten Nate zu denken.

Herzukommen war definitiv eine ganz schlechte Idee.

Warum hatte sie nicht einfach gewartet, bis sie sich das nächste Mal in der Klinik getroffen hätten? Welcher Teufel hatte sie geritten, als sie sich auf den Weg zu ihm gemacht hatte?

Flo setzte sich steif auf die Sofakante und wartete. Entschlossen versuchte sie, nicht daran zu denken, wie er vorhin ausgesehen hatte, als er aus dem Schwimmbecken gestiegen war. Männer mit seiner Figur hatte sie bislang nur im Fernsehen und auf Werbeplakaten gesehen.

Ein Mann und eine Familie waren anfangs ebenfalls auf ihrer Liste gewesen, doch dann hatte sie lernen müssen, wie Männer auf ihre Narbe reagierten. Als Johnny sie wegen ihrer Krankheit – oder besser, wegen der Möglichkeit, dass sie wieder krank werden könnte – verlassen hatte, war Flo klar geworden, dass sie diesen Punkt von ihrer Liste streichen musste.

Ehemann, Kinder und Romantik hatte das Schicksal für sie nicht vorgesehen. Damit hatte sie sich abgefunden, doch jetzt – nur wegen einer kleinen Dummheit auf dem Dach der Hollywood Hills Klinik – befand sie sich in einer Situation, von der sie geglaubt hatte, dass sie sie niemals wieder erleben würde.

Aber es ist nur eine Täuschung. Es ist nicht echt!

Trotzdem beunruhigte diese Sache sie, denn ihr war völlig klar, dass sie sich sehr von Nate abgrenzen musste. Auf keinen Fall durften Gefühle ins Spiel kommen! Sie konnte sich ein wenig amüsieren, aber sie durfte Nate nicht allzu nah an sich heranlassen, denn sobald es Kyle Francis besser ging, würde Nate nach New York verschwinden, und sie würde wieder allein sein.

„Wolltest du nichts trinken?“

Erschrocken fuhr sie aus ihren Gedanken auf. Nate stand frisch geduscht und angezogen in der Tür.

„Wie wäre es, wenn wir nach unten gingen?“ Sie wich seinem Blick aus.

„Ist gut. Aber zunächst sollten wir ein paar Regeln festlegen. Wir haben behauptet, schon seit einigen Monaten zusammen zu sein. Du darfst also nicht so verklemmt und verlegen sein.“

„Ich bin kein bisschen verklemmt, sondern immer sehr professionell!“

Nate verdrehte die Augen. „Bei seinem Freund ist man aber nicht professionell.“

„Freund. Das hört sich an, als wären wir noch in der Highschool.“

„Dann eben Liebhaber.“

Eine sanfte Röte überzog ihr Gesicht, und sie spürte einen leisen Schauer der Erregung, als sie sich Nate als ihren Liebhaber vorstellte.

Auf diesem Gebiet kannte sie sich leider nicht besonders gut aus.

Verlegen räusperte sie sich. „Na gut. Dann bin ich ab jetzt total entspannt, wenn ich in deiner Nähe bin.“

Nate konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Bist du sicher, dass dir das gelingt?“

„Natürlich.“

„Beweise es!“

„Wie?“

„Küss mich noch einmal.“

Nate hatte keine Ahnung, was er sich dabei gedacht hatte. Es war ihm einfach herausgerutscht. Und er würde lügen, wenn er behauptete, dass er sie nicht küssen wollte. Konnte es irgendjemanden geben, der sich nicht wünschte, von Flo geküsst zu werden? An ihren geröteten Wangen erkannte er, dass sie das Knistern zwischen ihnen genauso spürte wie er.

Sie begehrte ihn, wehrte sich jedoch gegen dieses Gefühl.

Und genau das sollte ich auch tun!

In diesem Moment wurde ihm klar, dass er etwas wirklich Dummes getan hatte. Nach Serena hatte keine Frau jemals wieder diese Wirkung auf ihn gehabt.

Natürlich hatte er sich gelegentlich zu einer Frau hingezogen gefühlt, doch er hatte es immer geschafft, Distanz zu halten.

Autor

Sue MacKay
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