Julia Ärzte zum Verlieben Band 119

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DIE WÜSTE, DIE STERNE UND DU von BERLIN, AMALIE
Er ist atemberaubend sexy, aber Prinz Dakan Al Rahal ist auch ihr Boss. Sie soll in seinem Land ein modernes Krankenhaus bauen. Für Architektin Nira Hathaway steht fest: Ein Flirt mit dem Arzt kommt nicht Frage. Doch ihr Herz sagt ihr etwas anderes …

EINE FAMILIE FÜR DOKTOR MAGUIRE von MACKAY, SUE
Eine Frau und Kinder hat sich Notarzt Conor Maguire bisher versagt, denn die Männer in seiner Familie sterben früh. Der bezaubernden Krankenschwester Tamara kann er trotzdem nicht widerstehen. Und bald will er mehr von ihr als zärtliche Küsse …

LIEB MICH NOCH EINMAL WIE DAMALS von TAYLOR, JENNIFER
Eine einzige leidenschaftliche Nacht hat Lowri damals in Italien mit Neurochirurg Vincenzo verbracht, dann entdeckte sie, dass sie schwanger war. Auf ihre Briefe hat er nie reagiert. Doch jetzt ist ihre Tochter erkrankt, und nur Vincenzo kann sie retten …


  • Erscheinungstag 16.11.2018
  • Bandnummer 0119
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711511
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Amalie Berlin, Sue MacKay, Jennifer Taylor

PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 119

AMALIE BERLIN

Die Wüste, die Sterne und du

Prinz Dakan Al Rahal kehrt aus England zurück in seine Heimat, um dort ein modernes Krankenhaus zu errichten. Die sexy Architektin Nira Hathaway verdreht ihm auf den ersten Blick den Kopf, und schon bald knistert es gewaltig zwischen ihm und der schönen Halbbritin. Doch dann findet Dakan heraus, wer ihr Vater ist, und weiß: Diese Frau ist tabu für ihn …

SUE MACKAY

Eine Familie für Doktor Maguire

Schon einmal hat ein Mann ihr Herz gestohlen – und das Vermögen ihrer Familie. Seitdem hat Krankenschwester Tamara nur unverbindliche Affären. Doch eine sinnliche Nacht mit ihrem Boss, Notarzt Doktor Conor Maguire, bleibt nicht ohne Folgen. Tamara erwartet ein Kind. Conor will das Kind – und er will sie. Aber kann sie ihm wirklich vertrauen?

JENNIFER TAYLOR

Lieb mich noch einmal wie damals

Neurochirurg Vincenzo Lombardi traut seinen Augen nicht, als Lowri nach all den Jahren wieder vor ihm steht. Seit ihrer heißen Romanze vor fünf Jahren hat er nicht mehr an die bildhübsche Krankenschwester gedacht. Jetzt erfährt der eingefleischte Junggeselle: Er ist Vater. Und Lowri will noch ein Kind von ihm – um ihre kranke Tochter zu retten …

TITEL4

TEXT AUS DEM INH-PDF

1. KAPITEL

Die Hitze, an die sich Prinz Dakan Al-Rahal nur zu gut aus seiner Kindheit erinnern konnte, machte ihm schwer zu schaffen. Widerwillig trat er aus dem klimatisierten, neu errichteten Hochhaus im Herzen der Hauptstadt seines Königreichs.

Seines Königreichs auf Zeit, denn er war nur vorübergehend der Landesvater von Mamlakat Almas – nur solange sein Vater in England war, wo er an den Hochzeitsfeierlichkeiten seines älteren Sohns teilnahm.

Obwohl Dakan seinen Vater erst seit wenigen Tagen vertrat, konnte er sich nicht erinnern, je so schlecht gelaunt gewesen zu sein – was nicht nur an den ungewohnt warmen Temperaturen lag.

Natürlich wäre es vernünftig und dem Klima angemessen gewesen, wenn er eines der traditionellen weiten und hellen Gewänder angezogen hätte, doch Dakan zog seine maßgeschneiderten dunklen Anzüge vor. Auch wenn diese deutlich besser zum englischen Schmuddelwetter passten, in dem er sich für gewöhnlich aufhielt.

Was gäbe er in diesem Augenblick für einen ordentlichen Herbststurm. Oder auch nur für den wolkenverhangenen Himmel eines trüben Nachmittags am Meer. Doch solange weder der König noch Dakans älterer Bruder Zahir zurückkamen, saß er in Mamlakat Almas fest.

Genau wie die Architektin, die Zahir engagiert hatte, um den Bau der neuen Klinik zu leiten. In diesem Augenblick saß sie vermutlich in ihrem kleinen Büro und arbeitete an ihren Entwürfen.

Der Gedanke daran, dass dieser Klinikneubau das Gesundheitssystem seines Heimatlandes revolutionieren und endlich ins 21. Jahrhundert befördern würde, hatte Dakans Stimmung ein wenig aufgehellt. Dieses Projekt war der einzige Lichtblick an einem Tag, der bis jetzt nur aus lästiger Büroarbeit bestanden hatte.

Der Klinikneubau war für Dakan eine Herzensangelegenheit, der er sich voller Elan widmete. Umso enttäuschter und frustrierter war er, als er die Architektin nicht an ihrem Arbeitsplatz antraf. Sie hatte offenbar nichts Besseres zu tun gehabt, als zu einer kleinen Besichtigungstour aufzubrechen. Typisch.

An einer roten Ampel drängte er sich durch die haltenden Autos hindurch, seine drei Leibwächter dicht auf den Fersen. Über einen Platz, der mit wunderschönen bunten Fliesen ausgelegt war, eilte er auf den Basar zu. Doch Dakan hatte keinen Blick für die Schönheit seiner Umgebung. Ihm war warm. Viel zu warm. Und es machte ihn wütend, dass er die Architektin nicht angetroffen hatte. Aber am allermeisten störte ihn, dass er überhaupt hier sein musste.

In England war es im Winter manchmal empfindlich kalt, doch in der aktuellen Jahreszeit war das Wetter meistens angenehm. Abgesehen davon konnte er in England gehen, wohin er wollte. Er wurde nicht von Leibwächtern verfolgt, konnte sich mit Frauen verabreden, die er sich aussuchte, und durfte selbst Auto fahren. England bot ihm alles, was er wollte – insbesondere eine Freiheit, die er in Mamlakat Almas nicht besaß.

Sein Leben in England war ausgesprochen angenehm. Er hatte einen netten Freundeskreis, eine beeindruckend luxuriöse Wohnung und großartige berufliche Aussichten. Nachdem er sein Medizinstudium beendet und seine Facharztausbildung abgeschlossen hatte, war Dakan umhergereist, um sich verschiedene Praxen anzusehen. Doch noch ehe er sich für eine entschieden hatte, war er nach Hause zurückbeordert worden. Er hatte also gute Gründe, sehr schlecht gelaunt zu sein.

Noch ein Block, und der kunstvolle Fußgängerweg mündete auf eine große Geschäftsstraße, die zu einem der ältesten und imposantesten Gebäude der Stadt führte – einem Meisterwerk byzantinischer Baukunst.

Dakan ahnte, dass es im Inneren noch genauso voll wie eh und je sein würde. An unzähligen Ständen boten Händler alles an, was man zum Leben brauchte. Auch wenn rund um den Basar herum viele neue und hochmoderne Gebäude entstanden waren, war das alte Bauwerk noch immer der wichtigste Ort, an dem sich die Händler tummelten.

Dakan liebte seinen Vater sehr, doch er stimmte mit dessen äußerst konservativer Politik nur selten überein. Manchmal, wenn der König sich wieder einmal entschieden gegen Fortschritt und Reformen stellte, verspürte Dakan das dringende Bedürfnis, ihn kräftig durchzuschütteln. Oder eine Revolte anzuzetteln, um Zahir als neuen Herrscher einzusetzen. Dakan selbst würde danach natürlich nach England zurückkehren.

Doch solche Gedanken brachten ihn jetzt nicht weiter. Er musste diese Architektin finden. Als Erstes würde er sich ihre Telefonnummer geben lassen, um nicht noch einmal vergeblich in ihr Büro zu kommen. Wieso dachte diese Frau eigentlich, sie könnte sich wie eine Touristin aufführen? Sie war schließlich zum Arbeiten hier!

Vielleicht wäre auch ein dezenter Hinweis darauf, dass zahlreiche einheimische Firmen nur zu gern ihren Job übernehmen würden, eine gute Idee.

Er wusste nicht einmal, wie sie aussah.

Als Britin war sie vermutlich blond. Oder brünett. Aber mit heller Haut. Er brauchte also nur nach einer europäisch aussehenden Touristin Ausschau zu halten. Oder besser noch nach einer Europäerin mit Leibwächter. Natürlich! Er würde einfach den Leibwächter anrufen lassen. Wieso hatte er daran nicht schon früher gedacht?

„Finden Sie bitte heraus, mit wem sie unterwegs ist, und rufen sie ihn an“, wies er seine Entourage an, bevor er sich ins Getümmel stürzte. Da er größer als die meisten seiner Landsleute war, hatte er einen guten Überblick. Es half auch, dass er sofort erkannt wurde und alle ihm Platz machten. Schon nach wenigen Minuten war er schweißüberströmt.

„Sie sind in der dritten Arkade, Eure Hoheit“, informierte ihn einer seiner Leibwächter. Dakan nickte dankbar und machte sich auf den Weg. Nach wenigen Metern entdeckte er die vertraute Palastuniform. Neben der Wache stand eine Frau mit smaragdgrünem Kopftuch. Ob das die Architektin war? Manchmal verhüllten auch Ausländerinnen ihr Haar aus Respekt vor den örtlichen Gepflogenheiten.

Er griff nach dem Ellenbogen der Frau und drehte sie zu sich um. Mit großen, blassgrünen Augen sah sie ihn an. Nein, das konnte sie nicht sein. Diese Frau hatte einen zu dunklen Teint für eine Britin. Und sie sah zu exotisch aus.

Verdammt. Es war für ihn schon gewagt genug, eine Ausländerin einfach anzufassen, doch bei einer Einheimischen war es ein unverzeihlicher Fauxpas.

Nira Hathaway blickte auf und sah den wohl attraktivsten Mann, der ihr jemals begegnet war. Groß, breite Schultern, leicht zerzaustes, dunkles Haar und fast schwarze Augen. Als ihre Blicke sich trafen, schlug ihr Herz schneller, und ihre Knie wurden weich.

Der Mann zog seine Hand zurück und verbeugte sich. „Bitte verzeihen Sie. Ich habe Sie verwechselt.“ Sein Arabisch klang wie Musik in ihren Ohren.

„Kein Problem, Sir. Darf ich Sie fragen, für wen Sie mich gehalten haben?“ Niras Arabisch war zwar besser als vor einigen Wochen, doch sie war noch weit davon entfernt, fließend oder gar akzentfrei sprechen zu können. Seitdem sie in Mamlakat Almas angekommen war, hatte sie kaum Gelegenheit gehabt, es anzuwenden, da sie fast immer allein war.

Vor einigen Monaten hatte sie endlich angefangen, einen Sprachkurs zu machen – ein Wunsch, den sie schon als Kind gehabt hatte. Natürlich kam sie nur langsam voran; in ihrem Alter lernte man nun einmal nicht mehr so schnell wie als Kind.

Normalerweise hätte sie sich nie getraut, diesen Mister Universum einfach anzusprechen, doch er hatte gesagt, dass er sie mit jemandem verwechselt hätte. Das bedeutete, sie erinnerte ihn an jemanden; an eine Frau, die hier im Land lebte. War das eine erste Spur?

Seine dunklen, verführerischen Augen wanderten von ihr zu ihrer Eskorte, und er runzelte die Stirn. „Sind Sie Nira Hathaway?“, erkundigte er sich auf Englisch.

Sie nickte und wechselte ebenfalls in ihre Muttersprache. Sie durfte auf keinen Fall mit diesem umwerfenden Mann flirten, denn sie hatte keine Ahnung, welche ungeschriebenen Regeln dafür in diesem Land galten. Vermutlich verabredeten Frauen sich in Mamlakat Almas nicht so einfach mit fremden Männern und machten auch keine neuen Bekanntschaften auf dem Basar.

„Ja, das bin ich. Und wer sind Sie?“

„Dakan Al-Rahal“, antwortete er und sah sie tadelnd an. Nira wurde flau im Magen. Natürlich! Er sah Zahir auffallend ähnlich. Genauso groß, das gleiche energische Kinn, eine ähnliche Haarfarbe. Sie hätte ihn erkennen müssen. Peinlich, dass die Begegnung mit einem attraktiven Mann sie derart aus dem Konzept brachte.

Genau wie sein Bruder Zahir war auch Dakan Mediziner. Arzt und Prinz – was für eine Kombination. Ein Adonis in einem maßgeschneiderten dunkelgrauen Anzug. Bestimmt war er es gewohnt, Frauen durcheinanderzubringen.

Vermutlich gab es irgendein Hofprotokoll, das jetzt von ihr erwartet wurde. Wie sollte sie ihn ansprechen? Was sollte sie sagen? Hallo, ich bin Nira und liebe Strandspaziergänge bei Sonnenuntergang?

„Guten Tag. Ich wusste nicht, dass wir heute verabredet waren, Prinz Dakan.“ Na also, es ging doch. Oder hätte sie ihn mit „Eure Hoheit“ anreden müssen? Wieso hatte sie solche Etikette-Fragen nicht vor ihrer Reise geklärt? Zahir war sehr unkompliziert gewesen und hatte seinen Titel nie erwähnt. Doch hier im Land, noch dazu auf diesem Basar wie aus Tausendundeiner Nacht, erschien es ihr falsch, einfach Dakan zu sagen. Oder Mr. Al-Rahal. Mr. Universum war sowieso passender.

„Offenbar war es naiv von mir anzunehmen, dass ich Sie in Ihrem Büro antreffen könnte. Dabei dachte ich, Sie würden für die Planung des Krankenhauses bezahlt und nicht für Basarbesuche.“ Sein Ton war alles andere als freundlich. Um sie herum hatte sich inzwischen ein Kreis Neugieriger gebildet, und es herrschte eine bedrückende Stille, die Nira dabei half, wieder klar denken zu können.

Verärgert sah sie den Prinzen an. Sie hasste es, unberechtigterweise beschuldigt zu werden. „Oh nein! Ich werde nach geleisteten Stunden bezahlt und nicht pauschal! Also nur, wenn ich tatsächlich an dem Projekt arbeite. In dieser Hinsicht ist meine Firma sehr genau. Sie brauchen also keine Angst zu haben, dass ich Ihnen diesen Ausflug auf den Basar in Rechnung stelle.“

Sie reckte das Kinn. „Während meiner ersten Tage hier habe ich meinen Arbeitsplatz eingerichtet und einiges vorbereitet, doch heute war ich fertig und habe darauf gewartet, dass Sie mit mir die nächsten Schritte besprechen. Ich habe schon einige Skizzen gemacht und …“

„Ich schlage vor, wir setzen unsere Unterhaltung in Ihrem Arbeitszimmer fort. Hier halten wir nur die Leute vom Einkaufen ab.“ Mit dem Kopf wies er auf die immer größer werdende Menschenmenge, die sie umringte. Obwohl die meisten ihr Gespräch vermutlich nicht verstanden, war den Zuschauern klar, dass sie sich mit einem Mitglied des Königshauses stritt. Entsprechend entsetzt blickten die Leute sie an.

Nira nickte, denn bestimmt war es taktisch unklug, den Prinzen vor seinen Untertanen in eine peinliche Situation zu bringen. Abgesehen davon wollte sie keinesfalls unhöflich oder gar respektlos erscheinen. „Natürlich. Tut mir sehr leid. Sie haben vollkommen recht.“

Wortlos folgte sie ihm durch die Markthallen. Wie von selbst bildeten die Besucher, seine Untertanen, eine Gasse, um sie durchzulassen. Draußen angekommen war mit einem Schlag der verführerische Duft nach exotischen Gewürzen verflogen und einem anderen, schwer fassbaren Geruch gewichen, der Nira schon bei ihrer Ankunft aufgefallen war. Obwohl es etwas salzig roch, war es nicht das Meer. Mamlakat Almas hatte zwar eine Küste, doch die Hauptstadt lag in einem Tal, das von Wüste und einer Gebirgskette umgeben war. Ob es Wüstengeruch war? Hatte Sand überhaupt einen Duft?

Mit gesenktem Blick folgte Nira dem Prinzen zurück in das luxuriöse Penthouse, in dem sie untergebracht war. Es war nicht so, dass sie kein Interesse daran gehabt hätte, sich umzuschauen. Im Gegenteil, sie hätte nichts lieber getan. Und es lag auch nicht daran, dass ihr neuer Boss sie einschüchterte – auch wenn es sie ein bisschen nervös machte, ihn verärgert zu haben.

Nein, es war ihre Art, sich unsichtbar zu machen. Es lag eine große Kraft und auch Verletzbarkeit im direkten Blickkontakt, und dieses Land – so sehr sie es auch genoss, hier zu sein – war ihr noch immer beängstigend fremd.

Schon früh hatte sie gelernt, so wenig wie möglich aufzufallen, doch hier in Mamlakat Almas waren ihr die üblichen Verhaltensweisen noch nicht vertraut genug, um sie als Tarnung zu nutzen.

Während des Heimwegs hatte der Prinz kein Wort gesprochen. Bestimmt war es eine gute Idee, selbst das Schweigen zu brechen. „Dieses Gebäude ist wunderschön. Es kommt mir vor, als hätte man die Inneneinrichtung eines hochherrschaftlichen Hauses aus dem New York der Zwanzigerjahre in eine moderne Glaskonstruktion gesetzt. Ich hatte erwartet, dass dieser Stil auch in meinem Apartment fortgeführt würde, aber es ist ganz anders. Sehr weitläufig und modern mit großen, bodentiefen Fenstern. Dieser Mix aus zwei Stilepochen ist beeindruckend und perfekt gelungen.“

Dakan blieb vor dem Fahrstuhl stehen und drückte auf den Knopf. Dann verschränkte er wartend die Arme vor seiner Brust. Im funkelnd sauberen Glas der Tür spiegelte sich sein finsteres Gesicht wider – und Nira tat das Einzige, das ihr einfiel: Sie plapperte einfach weiter. Irgendwie musste es ihr doch gelingen, das Eis zwischen ihnen zu brechen.

„Nehmen Sie zum Beispiel diese Fahrstuhltür. Das ist definitiv Jugendstil.“ Vorsichtig fuhr sie mit den Fingern über die filigrane Schnitzerei. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sogar ein Originalteil ist und keine Nachbildung. Sehen Sie sich mal an, wie kunstvoll die Intarsien eingearbeitet sind.“ Nun blickte sie ihn direkt an, und wieder fühlte sie dieses unbeschreibliche Kribbeln im Bauch.

Leider ging ihr Plan nicht auf. Prinz Dakan machte keinerlei Anstalten, auf ihren höflichen Small Talk einzugehen, sondern zog nur leicht eine Augenbraue hoch. Was wollte er ihr damit sagen? Fand er ihre Ausführungen interessant, oder wollte er, dass sie aufhörte?

Offenbar Letzteres, denn er drückte demonstrativ ein weiteres Mal auf den Fahrstuhlknopf. Hatte es ihn wirklich derart verärgert, dass er sie nicht angetroffen hatte? Was hatte er denn erwartet? Dass sie stundenlang untätig herumsaß, bloß weil seine Hoheit eventuell den Wunsch verspüren könnte, sie aufzusuchen?

Allmählich wurde auch Nira wütend. Sie war schließlich nur kurz auf den Basar gegangen und nicht zu einer mehrtägigen Exkursion in die Wüste aufgebrochen. Und natürlich würde ihre Firma ihm diese Zeit nicht in Rechnung stellen. Sie sollte einfach aufhören, höfliche Konversation zu machen – vor allem, da er sowieso nicht antwortete.

Endlich öffnete sich die Fahrstuhltür, und Prinz Dakan und seine Begleiter traten hinaus. Sie würde jetzt auch einfach schweigen. Sollte er doch wütend sein. Ob er sie oben anschreien würde? Mit einem mulmigen Gefühl folgte Nira den Männern, sorgsam darauf bedacht, genug Abstand zwischen sich und ihnen zu lassen, um jede versehentliche Berührung zu vermeiden.

Wieso konnte Dakan nicht so sein wie Zahir? Der ältere Bruder war viel freundlicher und aufgeschlossener. Er hätte sich bestimmt gern mit ihr über Architektur unterhalten.

Oben angekommen öffneten sich die Türen zum Penthouse wie von selbst. Offenbar wurden sie erwartet – genau wie Dakan es offenbar für angemessen hielt. Wenn sie also diesen Job behalten wollte – und das war definitiv der Fall –, musste sie sich mit ihm arrangieren und durfte sich weder mit ihm streiten noch ihn mit einem ihrer sorgfältig angespitzten Bleistifte erstechen. Egal, wie gern sie es getan hätte.

Wie selbstverständlich ging Dakan voran in das sehr modern und elegant eingerichtete Penthouse. Mit seinem dunkelgrauen Anzug und den glänzenden schwarzen Schuhen passte er perfekt ins Ambiente aus kühlem Stahl, schneeweißen Wänden und dunkelgrauem Marmor.

Vor Niras Schreibtisch blieb er stehen. Es war ein Jammer, dass Zahir nicht mehr da war und sie sich stattdessen mit Dakan auseinandersetzen musste.

Mit einem leisen Seufzer setzte Nira sich und öffnete ihren Laptop. Da sie offenbar keine andere Wahl hatte, würde sie es einfach so schnell und effizient wie möglich hinter sich bringen. Nach diesem Gespräch würde sie hoffentlich ihre Aufgaben für die nächsten Wochen etwas genauer planen können. Doch egal, wieviel es zu tun gab: Sie würde sich nicht verbieten lassen, auch etwas vom Land zu sehen, denn auch sie hatte ein Recht auf Freizeit!

„Ich weiß nicht, welche Anweisungen Prinz Zahir Ihnen gegeben hat …“

„Er hat mir überhaupt keine Anweisungen gegeben“, unterbrach Dakan sie, während er sich einen Stuhl heranzog. „So arbeiten wir in unserer Familie nicht.“ Er saß nun neben ihr, um einen guten Blick auf den Bildschirm zu haben. Auf den Bildschirm und das Foto ihrer Eltern, das ebenfalls auf dem Schreibtisch stand.

Da ihr Zusammentreffen bislang nicht gerade optimal verlaufen war, hielt Nira es für keine gute Idee, wenn er ahnte, dass sie nicht nur aus beruflichen Gründen in seinem Land war. Unauffällig drehte sie deshalb den Bilderrahmen um. „Gut, dann formuliere ich es anders: Ich weiß nicht, inwieweit Prinz Zahir mit Ihnen über die Pläne gesprochen hat. Ich hatte ihm bereits einige Entwürfe und mehrere Skizzen gezeigt und …“

„Wir fangen noch einmal von vorn an.“ Wieder hatte dieser unhöfliche Kerl sie unterbrochen. Zum Glück hatte er seinen Stuhl ein Stück nach hinten gerückt, sodass sie ihn nicht direkt ansehen musste. Also zurück auf Start. Nun gut. Wenn er darauf bestand, bitte sehr.

Nira öffnete den Ordner mit ihren allerersten Entwürfen. „Zahir und ich haben als erstes die Zeitpläne grob abgesteckt und uns über die Bauweise unterhalten, damit er abschätzen konnte, wie lange der Bau eines funktionsfähigen Neubaus dauern würde. Es gibt dabei mehrere Varianten, und ich habe für jede einzelne einen separaten Ablaufplan erstellt.“

„Ich will, dass es möglichst schnell geht.“

Ungeduldig war er also auch noch. Angestrengt starrte Nira auf den Bildschirm, um dem Impuls zu widerstehen, sich zu ihm umzudrehen. „Am effizientesten wäre es, das gesamte Gebäude in einem Rutsch zu bauen und dann alle Abteilungen gleichzeitig in Betrieb zu nehmen. Aber es gibt eine Alternative, die ich für sehr vernünftig halte und die es erlauben würde, einzelne Bereiche viel früher nutzen zu können. Eine Art zeitversetzte Fertigstellung.“

„Zeitversetzt?“, wiederholte Dakan nachdenklich, während er sein Jackett auszog. „Sie meinen, die Abteilungen werden nacheinander fertig und dann auch gleich genutzt statt alle auf einmal?“

„Ja.“ In diesem Moment fing die Animation an. „Bei einer zeitversetzten Bauweise würden wir eine Abteilung nach der anderen in Angriff nehmen. Das Gesamtprojekt würde etwas länger dauern, aber dafür könnten einzelne Bereiche früher genutzt werden. Außerdem bietet diese Variante den Vorteil, dass man flexibler auf neue Anforderungen reagieren und aus eventuellen Fehlern lernen kann.“

Dakan nickte. „Diese Idee gefällt mir. So machen wir es. Aber wir fangen mit zwei Abteilungen parallel an, die bei Bedarf später noch weiter ausgebaut werden können: mit der Notaufnahme und mit der Allgemeinmedizin. So sind die wichtigsten und am stärksten frequentierten Bereiche frühestmöglich verfügbar.“

Im Laufe des Gesprächs war die Anspannung, die Nira bei Dakan gespürt hatte, merklich abgefallen. Er war ganz offensichtlich genauso engagiert wie Zahir. Und er hatte zum Glück seinen herrischen, ungeduldigen Ton abgelegt. Mit diesem Mann würde sie arbeiten können. Er war anders als sein Bruder, aber er war auch ein Arzt, und sie hatten ein großes gemeinsames Ziel: Sie wollten eine qualitativ hochwertige, moderne Klinik bauen.

„Mit zwei Abteilungen parallel anzufangen ist zwar möglich, aber Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass es schneller gehen würde, wenn wir es nacheinander machten. Es sei denn, Sie stellen noch mehr Leute ein.“

„Die Arbeitskräfte sind kein Problem. Aber können Sie zwei Projekte gleichzeitig realisieren? Die architektonische Feinplanung dauert zwar seine Zeit, doch ich würde mit den Vorarbeiten sehr gern so schnell wie möglich anfangen. Ist das möglich?“

Nun drehte Nira sich doch zu ihm um und sah ihn an. Dakan hatte sich weit zu ihr vorgebeugt, sodass unverhofft eine verstörende Intimität entstand. Obwohl sie über die Arbeit sprachen, sahen sie sich tief in die Augen. Nira war zwar nicht schüchtern, doch sie wollte nicht schon wieder gegen irgendwelche unbekannten Benimmregeln verstoßen, und so wandte sie schließlich ihren Blick ab und fixierte einen Punkt hinter ihm.

Es war vermutlich vernünftig, ihre eigenen Erkundungstouren zunächst nach hinten zu verschieben, bis das Bauprojekt angelaufen war. Sie wollte Dakan demonstrieren, dass seine Ziele auch ihre Ziele waren. Er war schließlich der Kunde. Ein sehr reicher Kunde, der vielleicht Folgeaufträge erteilen würde, wenn er mit ihrer Arbeit zufrieden war. Für ihre Karriere als Architektin war eine solche Referenz Gold wert.

Sie würde also warten. Schließlich hatte sie sechsundzwanzig Jahre gewartet – da kam es auf ein paar Wochen mehr auch nicht an.

2. KAPITEL

„Erst während der laufenden Arbeiten die Planungen abzuschließen ist nicht direkt meine erste Wahl“, sagte Nira, die sich wieder ihrem Laptop zugewandt hatte. Natürlich war es ein bisschen unhöflich, Dakan den Rücken zuzukehren, doch sie wollte ihn nicht unnötig lange ansehen müssen. Ihre Reaktion auf diesen unverschämt attraktiven Prinzen fing an, sie zu beunruhigen.

Es wäre eine ziemlich dumme Idee, sich in ihn zu verlieben oder auch nur an einen romantischen Flirt mit ihm zu denken. Gut, er sah toll aus, besaß eine unglaubliche Anziehungskraft und hatte dieses verwegene Etwas, das sie leider sehr anziehend fand. Dennoch war ihr klar, dass es keine Cinderella-Story geben würde. Es war klug, unerwiderte Zuneigung konsequent zu ignorieren. Vor allem, wenn das Objekt der Begierde ein unerreichbarer Prinz war.

Außerdem gab es genügend andere Aspekte ihrer persönlichen Geschichte, die sie noch näher beleuchten wollte. Ein arabischer Liebhaber stand nicht auf ihrer Liste. Diesen Punkt hatte ihre Mutter bereits abgehakt – mit schlimmen Folgen.

Schluss jetzt, sie musste sich konzentrieren!

„Eine sukzessive Planung ist theoretisch natürlich möglich, aber vorher müsste zumindest die Grobplanung des gesamten Komplexes fertig sein. Solche Details wie die Gesamtgröße jeder Einheit und die sinnvollste Anordnung der einzelnen Abteilungen. Es ist eine Herausforderung, so vorzugehen, aber ich denke, es würde funktionieren.“

Ein großer Vorteil dieses Konzepts lag darin, dass sie so länger bleiben konnte. Sie würde miterleben, wie das von ihr entworfene Gebäude tatsächlich gebaut wurde!

Dakan rückte an den Schreibtisch und griff nach einem Bleistift und Niras Skizzenblock. „Gut, dann fangen wir wie besprochen mit den ersten zwei Teilgebäuden an. Ich werde dafür sorgen, dass Sie jede Art von Ausrüstung bekommen, die Sie benötigen.“

Nira beugte sich vor, um einen Blick auf seine Notizen zu werfen. Erstaunlicherweise hatte er eine wunderschöne, fast schon künstlerische Handschrift.

„Haben Sie Zeichenunterricht gehabt?“

„Zeichenunterricht?“ Befremdet sah er sie an. „Das ist leider kein Bestandteil des Medizinstudiums.“

„Sie schreiben, als hätten Sie einen Kalligrafie-Kurs gemacht.“

Einen langen Augenblick lang sagte er nichts, und Nira befürchtete schon, wieder einmal etwas Falsches gesagt zu haben. Dabei war es doch keine dumme Frage gewesen. In vielen Schulen gab es auch in höheren Jahrgängen Kunstunterricht.

Endlich sah Dakan sie mit einem verschmitzten Lächeln an, das ihn sofort viel weniger prinzenhaft aussehen ließ. „Nein, wie kommen Sie darauf?“

„Ihre Schrift ist so gleichmäßig und harmonisch. Dabei dachte ich immer, alle Ärzte hätten eine schluderige Handschrift.“

„Als Kind habe ich von rechts nach links geschrieben. Als ich dann Englisch lernte, war es eine riesige Umstellung, in die andere Richtung zu schreiben. Ich musste mir angewöhnen, ganz ordentlich zu sein, um keine Fehler zu machen.“

„Natürlich. Daran hab ich nicht gedacht. Dabei kenne ich das Problem. Wenn ich versuche, etwas auf Arabisch zu schreiben, ist es fast immer unleserlich, oder ich verschmiere die gerade geschriebenen Wörter mit meiner Hand.“

Sie wandte sich wieder dem Block zu. Dakan hatte also auch eine private Seite; war nicht nur Prinz sondern manchmal auch einfach nur ein Mediziner. Trotzdem war er ihr Kunde, und Kunden sollten im Idealfall nicht bemerken, dass man sie zum Dahinschmelzen fand.

„Ich brauche noch einige Angaben zu den erwarteten Patientenzahlen. Und möchten Sie, dass die Patienten das Krankenhaus als eine kleinteilige, eher einfache Einrichtung wahrnehmen oder eher als modernes, großes Klinikum?“

Sofort hatte sie wieder seine ganze Aufmerksamkeit. „Es soll groß sein. Groß und beeindruckend. Die Menschen sollen es nicht ignorieren können. Unser Klinikum soll Standards in der ganzen Region setzen und die medizinische Versorgung endlich auf westliches Niveau anheben.“

Das war eine klare Ansage. Geld schien offenbar keine Rolle zu spielen, was ihre Arbeit natürlich sehr erleichterte. „Ich brauche trotzdem einen Anhaltspunkt, was die Patientenzahlen betrifft. Schon allein, um zu verhindern, dass wir zwei unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was wir unter einem großen Klinikum verstehen. Außerdem wäre es sehr vorteilhaft, wenn ich mir einige der bestehenden Einrichtungen ansehen könnte. Ich weiß, dass Sie so schnell wie möglich starten wollen, aber eine Idee von dem, was die zukünftigen Nutzer bis jetzt unter einem Krankenhaus verstehen, ist wirklich wichtig.“

Er legte den Bleistift weg und sah sie an. „Sie wollen sich die Krankenstation ansehen? Leider ist sie alles andere als funktional. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein Besuch irgendeinen Nutzen hätte. Womöglich würden Sie sich sogar mit irgendetwas anstecken.“

„Wenn Sie meinen … Aber wir werden doch das alte Gebäude behalten und in den neuen Komplex integrieren, oder?“ Zumindest war das Zahirs Plan gewesen, auf dem das gesamte Konzept beruhte.

Dakan schrieb noch etwas auf und lehnte sich dann zurück. „Nein, das werden wir nicht. Wir haben genügend Platz. Während wir Abteilung für Abteilung neu bauen, lassen wir das alte Krankenhaus einfach weiterlaufen. Sobald alles fertig ist, wird das Gebäude dann abgerissen.“

Es würde also kein Zusammenführen von alten und neuen Bestandteilen geben. Nun gut, wenn er es so wollte. Im Grunde war der Gedanke, etwas völlig Neues zu schaffen, sogar ziemlich verlockend. Trotzdem wollte sie sich einen Eindruck der bestehenden Verhältnisse verschaffen.

„Dennoch möchte ich mir zunächst eine Krankenstation und auch das Haus eines Heilers ansehen. Zahir – ich meine, Prinz Zahir – hat gesagt, es gibt mehrere Heiler in der Umgebung. Ich muss sehen, wie die Warteräume und die Rezeption gestaltet sind und wie alles funktioniert. Nur so kann ich sicherstellen, dass die Menschen sich in der neuen Klinik wohlfühlen.“

Verblüfft über ihre Hartnäckigkeit sah er sie an, und Nira befürchtete schon, sie hätte den Bogen überspannt und er würde sie anbrüllen. Doch Dakan blieb ganz ruhig.

„Ich weiß, dass Zahir und Sie eine andere Herangehensweise besprochen hatten, Miss Hathaway. Aber jetzt bin ich verantwortlich, und ich habe andere Pläne.“

Ob er sie mit dieser förmlichen Anrede provozieren wollte? Leider wusste Nira immer noch nicht, wie sie ihn ansprechen sollte. Dieses Problem würde sie als Allererstes lösen.

„Bitte nennen Sie mich Nira.“

„In Ordnung, Nira. Also – ich habe dieses Projekt geerbt, und ich habe lange und gründlich darüber nachgedacht. Ich will ein modernes Hightech-Krankenhaus. Eine Klinik, wie sie auch in London, Sydney oder New York stehen könnte.“

„Prinz Dakan.“ Sie benutzte weiterhin den förmlichen Titel, denn schließlich hatte er ihr keine andere Anrede angeboten. „Ihr Bruder hat mir sehr deutlich gesagt, dass der König eine derart moderne Lösung nicht wünscht. Wir haben ihm mehrere Entwürfe unterbreitet, die er allesamt rundweg abgelehnt hat.“

Der einzige Grund, weshalb sie für diesen Job ausgesucht worden war, bestand in der Tatsache, dass sie sich jahrelang – manche behaupteten, obsessiv – mit der Architektur des arabischen Raums beschäftigt hatte.

Bevor sie nach Mamlakat Almas gekommen war, hatte sie Zahir per Mail verschiedene Skizzen geschickt, die der König jedoch abgelehnt hatte. Seit sie vor vier Tagen angekommen war, hatte sie an alternativen Entwürfen gearbeitet, doch zufrieden war sie mit ihren Ideen noch nicht.

„Es reicht nicht, ein paar Tage lang in einem Büro in Ihrem Königreich zu sitzen und auf dem Reißbrett Vorschläge zu entwickeln. Ich brauche Eindrücke von Ihrem Land, um kreativ zu sein. Doch außer der fantastischen Skyline und dem Basar heute habe ich noch nichts gesehen.“

„Mein Vater ist nicht da“, erinnerte Dakan sie und sah ihre Zeichnungen durch. „Er wird folglich an der Auswahl des Konzeptes nicht beteiligt sein.“

„Aber er kommt doch irgendwann zurück, oder etwa nicht?“, warf Nira ein.

„Das will ich hoffen“, murmelte Dakan trocken und betrachtete aufmerksam die Skizze eines Brunnens, die Nira für sehr gelungen hielt.

„Wasser hat immer etwas sehr Beruhigendes. Sehr förderlich für Wartebereiche“, erklärte sie und versuchte, sich ihre Begeisterung nicht allzu sehr anmerken zu lassen.

„Stimmt. Aber so etwas verzögert den Bau auch. Wir wollen so schnell wie möglich erste funktionsfähige Einheiten eröffnen. Um das schmückende Beiwerk können wir uns ganz am Schluss kümmern.“

„Das Grundkonzept muss dennoch von Anfang an bestehen“, widersprach Nira. „Bauliche Besonderheiten wie beispielsweise die Wasseranschlüsse müssen schon bei der Planung berücksichtigt werden. Sie wollen ja sicher nicht, dass wir hinterher alles wieder aufreißen müssen, weil irgendwelche Leitungen fehlen.“

„Na gut. Dann lassen Sie halt alles für den Brunnen vorbereiten“, lenkte er ein. Offenbar gefiel ihm die Idee genauso gut wie ihr. „Dennoch müssen wir so schnell wie möglich anfangen.“

„Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich muss wirklich noch einige Dinge klären, bevor ich die finalen Entwürfe mache. Zum Beispiel weiß ich nicht einmal, ob alle Patienten im gleichen Wartezimmer sein können oder ob es eine Trennung nach Geschlecht oder Stellung oder sonst etwas gibt. Ich weiß vielleicht eine Menge über arabische Architektur und Kunst, und ja, ich lerne seit anderthalb Jahren Ihre Sprache, aber ansonsten weiß ich fast nichts über Ihr Land. Es ist allein dem Internet zu verdanken, dass ich gelernt habe, wie man ein Kopftuch bindet, und dass Henna zwar wunderschön aussieht, aber so schwierig aufzutragen ist, dass ich es niemals allein schaffen würde, egal, wie gut ich zeichnen kann. Ich möchte diesen Job hier nicht vermasseln und Ihr Geld und Ihre Zeit verschwenden, nur weil ich mich nicht gründlich genug informiert habe.“

„Sind Ihre Eltern nicht Einwanderer gewesen? Oder zumindest Ihre Mutter?“

Ihre Mutter? Es hatte also nichts genützt, das Foto wegzudrehen.

„Meine Mutter ist Britin. Helle Haut, rötliches Haar – ganz klischeehaft“, erklärte Nira zögernd. Wie hatte die Unterhaltung nur so abdriften können? „Ich weiß, ich sehe aus, als hätte ich einen arabischen Hintergrund, aber ich bin in einem kleinen Dorf im Norden Englands aufgewachsen, wo alle so aussahen wie meine Mutter und niemand so wie ich … wie wir.“

„Und Ihr Vater?“

Ihr Vater …

Oder genauer: das Geheimnis, das ihn umgab.

Plötzlich fühlte Nira sich müde und erschöpft. „Ich habe keine Ahnung.“

Nira wusste genau drei Dinge über ihren Vater: wie er auf dem einzigen Foto, das sie besaß, aussah; dass er irgendwo aus dem Nahen Osten stammte und dass ihre Mutter sich kategorisch geweigert hatte, auch nur eine einzige Frage über ihn zu beantworten.

Sie hatte es Nira einfach nicht erlaubt, diesen Teil ihrer Familiengeschichte zu erforschen.

Aus dem konsequenten Schweigen ihrer Mutter hatte Nira geschlossen, dass die Beziehung kein glückliches Ende genommen hatte. Doch es gab keinen Grund, sich dafür zu schämen! Was war schon dabei, dass sie ihren Vater nicht kannte? Das ging schließlich vielen Leuten so. Trotzig hob sie ihr Kinn und sah Dakan an.

Ein uneheliches Kind zu sein, war in diesem Teil der Welt vermutlich eine Schande, und wenn er wollte, konnte er deshalb gern die Nase rümpfen. Doch was auch immer zwischen ihren Eltern vorgefallen war – es hatte nichts mit ihr zu tun. Und erst recht nicht mit ihrem beruflichen Können.

„Zusammengefasst: Ich brauche mehr Informationen, wenn der Neubau nicht genauso kulturell entwurzelt erscheinen soll wie ich. Genau wie Sie möchte ich, dass die Klinik nach ihrer Fertigstellung von der Bevölkerung auch angenommen und genutzt wird. Das gelingt am besten, wenn die Menschen sich dort wohlfühlen.“

Der Prinz nickte langsam. Zu langsam, als dass sie seine Gedanken auch nur vermuten konnte. Mit seinen dunklen Augen sah er sie sekundenlang an. „Sie haben recht. Die Menschen sind überall gleich, egal, wie sie aussehen oder wo sie aufgewachsen sind. Jeder möchte sich sicher und geborgen fühlen.“

Anscheinend war er doch einigermaßen empathisch. Und es schien ihn kein bisschen zu interessieren, dass ihre Herkunft alles andere als königlich war.

„Die Patienten dürfen nicht den Eindruck bekommen, man habe sie irgendwo abgestellt und vergessen.“ Er griff nach ihrem Block und kritzelte einige Zahlen neben die Liste mit Fachabteilungen. „Nehmen Sie diese Fallzahlen als Grundlage für Ihren Entwurf. Ich werde mich mit den Handwerkern und Baufirmen in Verbindung setzen und mich um die medizinische Ausstattung kümmern. In zwei Tagen bin ich zurück.“

Zwei Tage. Nira nickte wortlos. Was sollte sie auch sagen? Dakan war aufgestanden und warf sich seine Jacke über, während er zur Tür ging. Sie blickte auf seine Notizen – Zahlen, Abteilungen und Pfeile, die auf die räumliche Anordnung hindeuteten.

Eine Einrichtung fehlte jedoch.

„Was ist mit den Heilern?“, rief sie ihm nach. „Bekommen sie keine eigenen Räume?“

„Es wird keine Heiler geben. Nur Ärzte“, erwiderte er, ohne sich auch nur noch einmal umzusehen.

Zwei Tage später stand eine völlig übermüdete Nira vor dem großen Kurvenschreiber und sortierte die Ausdrucke. Dakan konnte jeden Augenblick eintreffen, und dann würde sich entscheiden, ob er ihr die Aufgabe zutraute, für die sie nach Mamlakat Almas gekommen war, oder ob ihre Entwürfe im Papierkorb landen würden.

„Sie tragen es also noch immer?“, erkundigte Dakan sich schmunzelnd, während er eintrat.

„Was meinen Sie?“

„Das Kopftuch. Ich hatte angenommen, dass Sie es inzwischen leid sein würden.“

Unwillkürlich griff Nira nach dem bunten Seidentuch. Ihre Haushälterin, Tahira, hatte ihr während der letzten Tage beigebracht, wie man es band.

„Ich dachte, als Gast in Ihrem Land wäre es angemessen, es zu tragen. Ich möchte mich Ihren Sitten und Gebräuchen ein wenig anpassen. Abgesehen davon gefällt es mir.“

„Es sind nicht direkt meine Sitten und Gebräuche. Ich lebe sozusagen zwischen zwei Welten, und ehrlich gesagt vermisse ich England gerade sehr. Es ist mir deshalb ein großes Vergnügen, mit einer britischen Architektin zusammenzuarbeiten. Wenn man bei sich zu Hause ist, darf man übrigens das Kopftuch gerne ablegen. Es wird eigentlich nur in der Öffentlichkeit getragen.“

„Aber Sie sind doch ein Fremder für mich“, konterte Nira provozierend. Natürlich kannte sie die Spielregeln selbst.

„Ach ja? Bin ich das?“, erkundigte er sich mit gespielter Entrüstung. „Dann sollte ich daran dringend etwas ändern. Sie werden mich besser kennenlernen – bei einem gemeinsamen Abendessen.“

Da sie einen eher schlechten gemeinsamen Start gehabt hatten, war Nira davon ausgegangen, dass ihre Zusammenarbeit mit Dakan sich als schwierig erweisen würde. Doch heute war er um Lichtjahre besser gelaunt als beim letzten Mal. Fast kam es ihr so vor, als würde er mit ihr flirten.

„Da wir nun Freunde sind, möchte ich, dass Sie mich Dakan nennen. Zumindest, wenn wir allein sind.“

Sein treuherziger Blick brachte sie zum Lachen, und nach kurzem Zögern zog sie ihre Haarnadeln heraus und nahm das Kopftuch ab. Verlegen strich sie sich durchs Haar, das sicher nach allen Seiten widerspenstig abstand.

Dakan lächelte, und Nira musste sich eingestehen, dass ihr Herz zu rasen begann. Lieber Himmel, der Kerl war wirklich unverschämt attraktiv. Während der letzten zwei Tage hatte sie vergeblich versucht sich einzureden, dass er gar nicht so umwerfend war und dass sie vermutlich nur eine kleine Wahrnehmungsstörung gehabt hatte.

Doch nun blieb ihr nichts anderes übrig, als zu kapitulieren und sich einzugestehen, dass er ihr schlicht und einfach den Kopf verdreht hatte.

Sein verschmitztes Grinsen ließ sie ahnen, dass er sich seiner Wirkung auf Frauen durchaus bewusst war und sie sehr genoss.

Nun gut, sie würde sich ihm nicht an den Hals werfen, denn sie hatte sehr konkrete eigene Pläne. Pläne, die auf keinen Fall vorsahen, eine von vornherein zum Scheitern verurteilte Romanze mit einem Prinzen zu beginnen.

Eine tragische Liebesgeschichte pro Familie reichte.

Dakan rief Tahira herbei und bestellte ein Abendessen für zwei. Dann wandte er sich Niras Entwürfen zu. Während der nächsten Stunde diskutierten sie die Vor- und Nachteile aller Grundrissvarianten und einigten sich schließlich auf einen Kompromiss.

„Haben Sie die Skizzen dabei, die Sie mir noch zeigen wollten?“, erkundigte sich Nira.

„Ich zeige sie Ihnen nach dem Essen.“

„Wieso nicht schon während des Essens? Es könnte ein Arbeitsessen sein.“ Neugierig sah sie sich um und suchte nach einer Mappe oder einer Posterrolle.

Doch Dakan holte eine DVD aus seiner Jackentasche und steckte sie in Niras Laptop. „Beim Essen will ich nicht über die Arbeit reden. Also werfen wir gleich einen Blick …“ Er verstummte, als er das Foto auf dem Schreibtisch sah. Ein attraktives Paar, die Frau mit Sommersprossen und rotblondem Haar, der Mann schwarzhaarig und mit deutlich dunklerer Haut. Er nahm den Bilderrahmen – ein offensichtlich selbst gebasteltes Kunstwerk aus winzigen Steinen – und sah sich das Paar genauer an.

„Sind das Ihre Eltern?“ Fragend sah er Nira an.

In ihrem Blick spiegelten sich Vorsicht und Zurückhaltung wider, genau wie beim letzten Mal, als er nach ihrem Vater gefragt hatte. Nach ihrem Vater, von dem sie angeblich nichts wusste.

„Ich dachte, Sie wüssten nicht, wer Ihr Vater ist.“

„Stimmt. Ich kenne weder seinen Namen, noch weiß ich, woher er kommt. Ich habe nur dieses eine Foto.“

Behutsam nahm sie es ihm ab, als hätte sie Angst, er würde es versehentlich kaputt machen.

„Er sieht aus …“ Wie jemand, den Dakan kannte. Leider fiel ihm nicht ein, an wen der Mann ihn erinnerte. Aber konnte das überhaupt sein? Wie wahrscheinlich war es schon, dass er zufällig ihren Vater kannte. Millionen von Menschen lebten „irgendwo im Nahen Osten“. „… als wäre er glücklich“, sagte Dakan stattdessen. „Sie sehen beide sehr glücklich aus. Ich schätze, ihre Beziehung wurde erst später schwierig.“

„Das vermute ich auch.“

Dakans Neugier war geweckt. Bestimmt gab es einen Grund dafür, dass Nira dieses Foto ihres Vaters mit sich herumtrug. Doch es wäre ziemlich unsensibel gewesen, weiter nachzubohren, denn Nira fühlte sich bei dieser Unterhaltung offensichtlich nicht besonders wohl. Außerdem konnte er an der Situation sowieso nichts ändern. Trotzdem ging ihm der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf, dass er diesen Mann schon einmal gesehen hatte.

„Wissen Sie, wo die Aufnahme gemacht wurde?“

„Nein. Meine Mutter hat mir nie gesagt, in welchem Land sie damals war. Vermutlich in seinem Heimatland, aber genau weiß ich es nicht.“

„Sie war also irgendwo hier in der Region, hatte eine Affäre, wurde schwanger und ist wieder heimgefahren?“

„Vermutlich.“

Nira schien sich immer mehr zurückzuziehen, je länger sie darüber sprachen. Keine Spur mehr von ihrem wundervollen Lächeln, das sie ihm noch vor wenigen Minuten geschenkt hatte. Stattdessen war sie nun sehr angespannt. „Ich würde Ihnen gern mehr darüber erzählen, aber leider weiß ich nichts weiter über ihn.“ Sie stellte das Foto wieder auf den Schreibtisch, diesmal jedoch so weit weg, dass es außerhalb von Dakans Reichweite war.

„Ich habe meine Mutter sehr oft gefragt, aber sie hat nie geantwortet. Und sie hat alle meine Versuche unterbunden, mich mit meiner Herkunft oder auch nur mit dem Nahen Osten zu beschäftigen. Einmal hat sie sogar zwei Bücher verbrannt.“

In diesem Moment kündigte die Haushälterin das Abendessen an. Erleichtert stand Nira auf und entschuldigte sich kurz. Fluchtartig verließ sie das Arbeitszimmer in Richtung Bad.

Er sollte wirklich aufhören, sie auszufragen. Im Grunde mochte er andere Menschen, doch sobald es emotional wurde, fühlte Dakan sich immer etwas hilflos. Das war eindeutig Zahirs Terrain. Sein Bruder hätte gewusst, was er zu Nira sagen sollte, damit sie sich besser fühlte. Gute Herrscher konnten so etwas. Und er nun einmal nicht.

Eines allerdings konnte er ziemlich gut, und Dakan war sich sicher, dass er Nira damit augenblicklich auf andere Gedanken bringen würde. Seit ihrem heftigen Zusammentreffen auf dem Basar hatte er ununterbrochen darüber nachgedacht, wie es wohl sein mochte, sie zu küssen.

Ein beängstigender Impuls, denn normalerweise vermied er es, irgendein Interesse an einer Frau zu zeigen, da sonst sein Vater unverzüglich die Hochzeitsglocken läuten hörte. Auch wenn Nira Britin war, so sah sie doch aus wie die Prinzessinnen, die sich seine Eltern für ihn wünschten. Schon allein deshalb war sie ganz und gar nicht sein Typ. Dakan stand auf Frauen, die europäisch aussahen – blond oder brünett mit heller Haut und hellen Augen. Nun ja, zumindest was die Augen betraf, erfüllte sie die Kriterien. Ihre großen, grünen Augen zogen ihn immer wieder in ihren Bann.

Auch sein Bruder Zahir bevorzugte offenbar Frauen, die nicht aus Mamlakat Almas stammten, hatte er doch gerade Adele geheiratet, seine große Liebe aus England.

In dem Durcheinander, das diese große Neuigkeit ausgelöst hatte, war es Zahir irgendwie gelungen, den König zu einer Modernisierung des Gesundheitssystems zu überreden.

Dakan rechnete insgeheim damit, dass sein Vater alle Pläne, die er und Nira gerade ausarbeiteten, nach seiner Rückkehr umgehend über den Haufen werfen würde. Deshalb hoffte er auch, dass Zahir bald zurückkam.

Auch wenn er es sich nicht anmerken ließ, so saßen seine Zweifel, ob er alles richtig machte, doch tief. Aber das Projekt war ihm nun einmal übertragen worden, und er musste es nach bestem Wissen und Gewissen ausführen, auch wenn er eigentlich nicht derjenige Sohn war, der zum Anführer geboren worden war.

Nira wusste gar nicht, wie gut sie es hatte! Auch wenn sie unter der Abwesenheit ihres Vaters litt, konnte sie doch frei über ihr Leben entscheiden. Er hingegen fühlte sich wie gefangen in seiner Rolle als Prinz. Nur wenn er in England war, fiel dieser Druck von ihm ab, und er konnte ein normales Leben führen.

Nira kam zurück, und er wartete höflich, bis sie sich an den Esstisch gesetzt hatte.

„Also, dann erzählen Sie mal, wie es Ihnen gelungen ist, eine Expertin für Architektur des Nahen Ostens zu werden, obwohl Ihre Mutter Ihre Bücher verbrannt hat.“

„Ich schätze, ihr war nicht klar, dass auch meine Fachbücher Kapitel über diese Region enthielten. Abgesehen davon waren es meist Bücher aus der Stadtbibliothek – das hätte keinen so guten Eindruck gemacht.“

Er sollte nicht darüber schmunzeln – wirklich, wer verbrannte denn heutzutage noch Bücher?

„Ihr jugendliches Aufbegehren bestand also darin, Bücher aus der Bibliothek in Ihr Zimmer zu schmuggeln?“

„Ja. Was haben Sie denn hereingeschmuggelt? Männermagazine?“

Sie flirtete mit ihm. Machte sexuelle Anspielungen. Er liebte es, wenn Frauen das taten, vor allem, wenn sie ihn dabei so betont unschuldig ansahen wie Nira gerade.

„Ich brauchte nichts zu schmuggeln. Ich war in einem Jungeninternat. Dort gab es alles, was das Herz pubertierender Knaben begehrte.“ Dakan konnte kaum noch den Blick von der sexy Architektin abwenden, die ihm da gegenübersaß und ihm tief in die Augen blickte. Er musste dringend das Thema wechseln.

„Lebt Ihre Mutter noch?“

Nira zuckte nicht direkt zusammen, aber ihr Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass er ein heikles Thema angesprochen hatte.

„Ja, sie ist quicklebendig. Und sehr aufgebracht darüber, dass ich gerade hier bin.“

„Ruft sie Sie täglich an, um Sie zur Heimkehr zu bewegen?“

Er würde das tun.

„Wir sind längst über die Streitphase hinaus. Zurzeit befinden wir uns in der Anschweigephase. Ich habe sie wegen meiner Fragen zu meinem Vater nie sehr bedrängt, weil ich wusste, dass es sie verletzt, doch sie hat keinerlei Verständnis für meinen Standpunkt in dieser Angelegenheit. Ich schicke ihr täglich eine Mail, damit sie weiß, dass ich noch lebe. Aus irgendeinem absurden Grund befürchtet sie, ich würde entführt und müsste den Rest meines Lebens in einem Harem verbringen. Augenblick mal … Haben Sie etwa einen Harem?“

Sie sah ihn mit so übertriebener Entrüstung an, dass Dakan sich vor Lachen fast an seinem Wasser verschluckte.

„Die Harems wurden aufgelöst, als meine Eltern heirateten. Es war eine der Bedingungen meiner Mutter, bevor sie den Antrag meines Vaters annahm.“

„Dann bin ich ja beruhigt!“ Nira lehnte sich zurück und sah ihn an.

„Schicken Sie Ihrer Mutter wenigstens Fotos?“

„Nein, nur immer den gleichen Text: Ich lebe noch. Ich weiß, es ist kindisch, aber ich habe einfach keine Lust mehr auf die endlosen Diskussionen mit ihr.“

Obwohl Nira sich Mühe gab, gelassen zu wirken, merkte Dakan, dass die Angelegenheit sie sehr mitnahm.

„Wusste Ihre Mutter, dass Sie Arabischunterricht genommen haben?“

„Ich habe es ihr erst kurz vor meiner Abreise erzählt. Es war kein Unterricht im klassischen Sinn, sondern ein Online-Kurs, bei dem ich schnell gemerkt habe, dass man Arabisch nicht über Nacht lernt.“

Dakan wechselte in seine Muttersprache. „Sie können also schon Hallo sagen und nach dem Weg fragen?“

Konzentriert hörte Nira ihm zu und antwortete dann langsam und stockend, jedes Wort sorgfältig abwägend. Auf diese Art ging die Unterhaltung weiter, wobei Nira allerdings immer wieder englische Wörter einstreute, die sie noch nicht übersetzen konnte.

Sie erzählte ihm, dass sie ihre eigene Familiengeschichte erforschen wollte und dass sie hoffte, in ihrer Freizeit viel vom Land zu sehen. Natürlich ohne dass sie ihre Arbeit darüber vernachlässigen würde.

Dakan bekam ein schlechtes Gewissen. Wie jeder andere Mensch hatte auch Nira ein Recht auf Freizeit und Privatleben. „Sobald Sie den ersten Entwurf fertig haben und die Bauleute anfangen können, werde ich dafür sorgen, dass Sie sich in unserer Region umsehen können. Wie wäre es mit einem Ausflug nach Dubai?“

„Ich würde mir lieber zunächst Mamlakat Almas ansehen.“

„Natürlich. Falls Sie sich allerdings bei Ihrer Erkundungsreise verletzen, wären Sie in Dubai deutlich besser aufgehoben als hier bei uns. Hat Zahir Ihnen gesagt, dass Sie sich vorsorglich ein Antibiotikum mitbringen sollen?“

„Nein. Aber er bat mich, ihn selbst anzurufen, falls ich krank würde.“

„Rufen Sie mich an, wenn Sie einen Arzt brauchen.“

„Sind die Heiler wirklich so schlecht?“

„Die Heiler helfen manchmal durchaus, doch viele von ihnen kennen ihre Grenzen nicht. Der Heiler meiner Mutter zum Beispiel …“ Dakan verstummte. Bestimmt war es der Königin nicht recht, wenn er aus dem Nähkästchen plauderte. „Bei Infektionen beispielsweise kommt es sehr oft zu schweren Verläufen. Auch chirurgische Eingriffe sind äußerst problematisch.“

Er konnte Nira nichts über den Gesundheitszustand seiner Mutter erzählen und durfte auch nicht die entsetzliche Geburt seines jüngeren Bruders erwähnen. All das war viel zu persönlich. Nicht nur, weil es die Privatangelegenheit seiner Mutter war, sondern auch, weil er seinem Vater nie ganz verziehen hatte, sie in diese furchtbare Situation gebracht zu haben.

Nira sah ihn so fragend an, dass er liebend gern mit ihr darüber gesprochen hätte. Er und Zahir hatten die Sache kurz diskutiert, doch auch wenn er seinen Bruder liebte, war Dakan sich doch jede Sekunde der Tatsache bewusst, dass sie keine gleichrangigen Gesprächspartner waren. Genau das war auch der Grund dafür, dass er überall lieber war als in seiner Heimatstadt.

„Geht es ihr jetzt besser? Ihrer Mutter, meine ich.“

Er musste sich konzentrieren!

„Ja. Vor zwei Monaten musste sie nach England reisen, um sich einem chirurgischen Eingriff zu unterziehen, den sie schon vor vielen Jahren hätte machen lassen müssen. Doch aus politischen Gründen war es lange nicht möglich, sodass sie jahrelang still vor sich hin gelitten hat.“

Tiefes Mitgefühl spiegelte sich in Niras wundervollen grünen Augen wider. „Ist sie immer noch im Krankenhaus?“

„Nein. Mein Vater und sie sind danach auf Reisen gegangen. Ich weiß gar nicht genau, wo sie im Augenblick sind. Aber es geht ihr wieder gut. Ihr Heiler hat immerhin irgendwann eingesehen, dass eine Operation nötig ist. Damit ist er deutlich progressiver als die meisten seiner Kollegen. Und mein Vater …“

So ganz genau wusste Dakan nicht, was er eigentlich sagen wollte. Genau genommen sollte er vermutlich auch nichts über seinen Vater preisgeben. Wenn allerdings irgendjemand etwas von Familiendramen verstand, dann war es vermutlich die Frau, die ihm gegenübersaß und so offen über ihre eigene Geschichte gesprochen hatte.

Er wollte es ihr gern erklären, und so wechselte er wieder ins Englische – nicht nur, weil sie ihn so besser verstand, sondern auch, um zu verhindern, dass die Hausangestellten ihnen zuhörten.

„Es gibt einen Grund dafür, dass ich so vehement gegen Heiler in der neuen Klinik bin. Ich will um jeden Preis verhindern, dass sie sich dem Fortschritt in den Weg stellen. Wenn wir ihnen Räume in dem neuen Gesundheitszentrum geben, werden sie die richtigen Ärzte als ihre Konkurrenz betrachten und bekämpfen. Und sobald ich wieder fort bin, gibt es niemanden mehr, der eingreifen würde.“

„Ich kann gut verstehen, dass Ihnen das so am Herzen liegt. Allerdings ist mir immer noch nicht ganz klar, was diese Heiler eigentlich machen. Ist es ein homöopathischer Ansatz?“

„Die Heiler und Kräuterkundigen arbeiten eng zusammen. Sie diagnostizieren Krankheiten und stellen dann heilende Tinkturen oder Elixiere her. Ihre Aufgüsse beinhalten oft wirksame Bestandteile, zum Beispiel Kräuter, Mineralien, Öle und Gewürze. Ihr Ansatz ist meist, den ganzen Körper zu betrachten und zu behandeln und nicht nur den Teil, der gerade Symptome zeigt. Der Grundgedanke ist also durchaus nachvollziehbar – im Gegensatz zur Homöopathie, wo Wirkstoffe so weit verdünnt werden, dass sie nicht mehr nachweisbar sind. Hier ist bestenfalls ein Placebo-Effekt möglich.“

„Ihre Begeisterung für Homöopathie hält sich ja offenbar sehr in Grenzen“, bemerkte Nira lächelnd und heiterte Dakan damit sofort wieder auf.

„Stimmt.“

„Insgesamt hört sich das mit dem ganzheitlichen Ansatz und den Naturarzneien doch gar nicht so schlecht an.“

„Es ist ja auch nicht nur schlecht. Aber sie überschätzen sich sehr oft und sind nicht bereit, ihre Grenzen zu akzeptieren.“

„Sie wollen also verhindern, dass der König Ihre Arbeit nach seiner Rückkehr wieder zunichtemacht, doch Sie wissen noch nicht genau, wie er darauf reagieren wird, dass Sie die ursprünglichen Pläne geändert und die Heiler verbannt haben.“

„Falls Zahir unbedingt Heiler in der Klinik will, muss er eben heimkommen und sich selbst um das Projekt kümmern.“

Dakan hoffte inständig, dass sein Bruder auf seiner Seite sein würde. Oder dass sein Bruder überhaupt zurückkam. Denn erst dann konnte Dakan wieder nach England abreisen. Im Augenblick gefiel es ihm jedoch ausnehmend gut, in seiner Heimat zu sein, und er wünschte sich nichts mehr, als Nira Hathaway wieder zum Lachen zu bringen.

„Nur für den Fall, dass Sie Zweifel an meiner Baukompetenz haben“, fing Dakan mit sehr ernsthafter Miene an, „sollten Sie wissen, dass ich als Kind das größte Lego-Spielhaus der Welt gebaut habe. Ich war so eine Art Lego-Wunderkind. Alle meine Bauwerke waren perfekt proportioniert. Ich brauchte nie dieses Winkelding.“

„Sie meinen einen Winkelmesser“, half Nira ihm lachend. „Das hört sich nach einer echten Herausforderung an. Haben Sie dieses Haus noch irgendwo?“

„Nein, leider nicht.“ Wieder blickte er ernst. „Es wurde gesprengt.“

Entsetzt sah Nira ihn an. „Jemand hat eine Bombe auf Ihr Lego-Haus geworfen?“

Sekundenlang gelang es ihm, ihrem fassungslosen Blick standzuhalten, doch dann musste er lachen. „Ach, Nira, das war jetzt eine sehr typisch europäische Reaktion. Nicht in allen Ländern des Nahen Ostens herrschen Krieg und Terror.“

Mit grimmigem Gesicht blickte sie auf dem Tisch umher. Hatte sie etwa vor, etwas nach ihm zu werfen? Womöglich Geschirr? Sie griff nach dem Brot.

„Warten Sie!“ Dakan war kurz versucht, sich ebenfalls Munition zu besorgen, um sich verteidigen zu können, doch ihm fiel noch rechtzeitig auf, dass eine solche Verhaltensweise ganz und gar unangemessen war.

Nira musterte ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, und brach sich ein Stückchen Brot ab.

„Als uns das Lego-Haus zu langweilig wurde, haben Zahir und ich ein Katapult geklaut. Dann überredeten wir die Diener, unser riesiges Lego-Bauwerk an den Strand zu bringen, und haben es mit den größten Steinen, die wir tragen konnten, fachmännisch dem Erdboden gleichgemacht.“

Da war es endlich wieder, ihr perlendes, mitreißendes Lachen.

„Ich schätze, wenn Sie lange genug suchen, können Sie noch heute Legosteine am Strand finden.“

„Okay, ich verzeihe Ihnen Ihre Unverschämtheit noch ein letztes Mal. Sie haben Glück, dass die Legosteine weg sind, denn ich hätte Sie sonst zu einem Wettbewerb herausgefordert, der den Klinikbau garantiert um Wochen verzögert hätte.“

„Andererseits …“, warf Dakan ein, „wäre es vielleicht gar keine so schlechte Idee, den Neubau etwas farbenfroher zu gestalten. Rote, gelbe und blaue Steine und vielleicht ein grünes Dach – das wäre doch mal etwas anderes.“

Nira gab vor, über seinen Vorschlag ernsthaft nachzudenken. „Eine Frage hätte ich da noch: Wie um alles in der Welt konnten Sie ein echtes Katapult stehlen? Wie alt waren Sie denn, als Sie keine Lust mehr auf das Lego-Haus hatten? Zwanzig?“

Unverhofft warf sie nun tatsächlich ein Stückchen Brot nach ihm, das Dakan geschickt auffing und sich in den Mund steckte. „Ich war sechs, Zahir fast zwölf. Das Katapult war nur ein Modell aus dem Waffenarsenal im Palast, ein Museumsstück. Nach dieser Aktion wurden wir beide bestraft; Zahir viel schlimmer als ich, da er der Ältere war. Es gab eine lange Lektion über Verantwortungsbewusstsein und Vorbildfunktionen, die er meiner Meinung nach etwas zu gründlich gelernt hat.“

Hier mit ihr zu reden und zu lachen ließ Dakan fast vergessen, wo er war und wohin er nach ihrem Abendessen zurückkehren musste – nämlich in den Palast, zu seinen ungeliebten Pflichten. Er musste tun, was von ihm erwartet wurde, oder zumindest musste er es versuchen.

Er musste so sein wie Zahir – eine Aufgabe, an der er nur scheitern konnte. Doch dies war nicht der Zeitpunkt für Grübeleien über sein verkorkstes Dasein. Er sollte sich besser um Niras Probleme kümmern – da bestand immerhin ein bisschen Hoffnung auf Erfolg. Und inzwischen glaubte er, ihr helfen zu können.

Je mehr er sich mit ihr unterhielt, desto sicherer war er, ihrem Vater schon einmal begegnet zu sein. An irgendjemanden erinnerte sie ihn, vor allem ihre Mimik.

Aber woher kannte er ihren Vater? Hatte er ihn hier getroffen? Oder in einem der benachbarten Länder? In England war es nicht gewesen, da war Dakan sich sicher. Da er in einem britischen Internat gewesen war, hatte er seit seiner frühen Kindheit nur die Ferien in Mamlakat Almas verbrachte. Es musste also möglich sein, diese wenigen Wochen zu rekonstruieren, um die Möglichkeiten eines Zusammentreffens mit dem Mann einzugrenzen.

Bei der nächsten Gelegenheit würde er sich das Foto noch einmal ganz genau ansehen, es vielleicht sogar abfotografieren. Irgendwo in den Tiefen seiner Erinnerung würde er dann bestimmt fündig werden.

Nira durfte davon jedoch noch nichts erfahren. Es wäre unverantwortlich, ihr Hoffnungen zu machen, solange er ihren Vater noch nicht zweifelsfrei identifiziert hatte.

„Ab jetzt sprechen wir wieder Arabisch“, verkündete er. „Um es fließend zu sprechen, müssen Sie so viel wie möglich üben. Erzählen Sie mir, welche berühmten Gebäude Sie mit Legosteinen nachgebaut haben!“

3. KAPITEL

Am nächsten Tag saß Dakan im Arbeitszimmer seines Vaters und kümmerte sich um den täglichen Papierkram, als plötzlich sein Telefon klingelte.

Nira?

Er ließ seinen Stift fallen und hastete zu seinem Telefon, das gerade am Ladekabel hing. Ein Gespräch mit Nira wäre der Höhepunkt seines Tages. Der einzige Höhepunkt. Es machte ihm Spaß, sie aus der Reserve zu locken, und ihr schien das Spiel mit dem Feuer auch zu gefallen, denn sonst wäre sie wohl kaum auf seinen Flirt eingegangen. Am liebsten hätte Dakan den ganzen Tag nichts anderes getan, als mit ihr zu reden. Die Wortgefechte mit ihr waren mit Abstand das Amüsanteste, das er in seiner Heimat seit der Geschichte mit dem Katapult erlebt hatte.

Bevor er abnahm, warf er einen Blick aufs Display. Schade, es war nicht Nira. Aber immerhin die zweitbeste Variante.

„Zahir! Schön, dass du anrufst. Ich laufe gerade Amok. Du solltest wirklich so schnell wie möglich heimkommen, um zu verhindern, dass ich Quatsch mache.“

„Dir auch einen guten Morgen, Dakan.“ Sein Bruder war wie immer vollkommen gelassen. „Was stellst du denn gerade an? Führst du das Recht auf einen Harem wieder ein?“

„Eigentlich gar keine so schlechte Idee …“ Grinsend ließ Dakan sich in seinen Bürostuhl fallen. „Ich mag die Architektin, die du angeheuert hast. Sie würde in einem durchsichtigen Haremsgewand sicher ziemlich heiß aussehen.“

„Ich fürchte, du bekämst es mit Mutter zu tun, falls du das versuchen würdest. Abgesehen davon arbeitet Nira für dich, also halt dich gefälligst zurück!“

„Zu spät.“

Na los, Zahir, sei der Vernünftige von uns beiden!

„Du schwindelst doch hoffentlich, oder?“, fragte Zahir entsetzt. „Wehe, du hast Unsinn angestellt!“

„He, ich bin hier gerade der König vom Dienst. Also sei nicht so respektlos, oder ich denke mir irgendeine … diplomatische Maßnahme aus. Eine Sanktion beispielsweise. Oder ich verurteile dich zu einem Arbeitseinsatz hier im Palast. Den Klinikneubau betreuen zum Beispiel, damit ich endlich wieder abreisen kann.“

„Ist es denn wirklich so schlimm, mit Nira zu arbeiten?“

„Überhaupt nicht. Es liegt nicht an ihr; sie ist großartig und eine sehr interessante Frau. Außerdem ein kleines bisschen durchgeknallt.“

„Also genau dein Typ.“

Diesmal musste Dakan lachen. „Stimmt. Irgendwie schon. Aber irgendwie auch nicht. Wie geht es übrigens Adele? Vermisst sie den Palast schon? Hol sie mal ans Telefon; bestimmt möchte sie gern mit mir reden. Und noch lieber würde sie sicher zurückkommen und ein, zwei Jahrzehnte bleiben.“

„Adele ist schwanger.“

Dakans Magen zog sich zusammen. „Oh, das ging ja schnell.“

Keine sonderlich passende Reaktion.

„Ja.“

Zahir ließ das Wort im Raum stehen, denn es war Dakan sofort klar, was diese Neuigkeit bedeutete. Zahir würde nicht heimkommen. Es war undenkbar, dass er seiner Frau eine Entbindung im maroden Gesundheitssystem seines Heimatlandes zumutete.

„Glückwunsch!“

Endlich die richtige Antwort.

Zahir schwieg einen Moment. Offenbar suchte er nach den richtigen Worten.

„Es sind doch nur neun Monate. Genau genommen sogar nur noch acht.“

„Natürlich.“

Dakans Pläne fielen wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Gab es einen Ausweg? Irgendeine Möglichkeit, die seinen Aufenthalt verkürzen konnte?

„Vater und Mutter werden schon früher heimkehren. Schon in wenigen Wochen“, versuchte Zahir ihn zu trösten.

Der Klinikneubau würde dennoch in Dakans Zuständigkeitsbereich bleiben. Er konnte nicht einfach abreisen, nur weil seine Eltern wieder da waren. Zahir praktizierte dieses Modell zwar seit Jahren und kam immer nur dann aus London hergeflogen, wenn er akut gebraucht wurde, doch für das Klinikprojekt musste jemand ständig vor Ort sein. Vermutlich jahrelang.

Er saß also auf unbestimmte Zeit in Mamlakat Almas fest.

Es sei denn …

Gäbe es ein Geburtszentrum, würden Zahir und Adele zurückkommen. Er konnte einfach die Reihenfolge ein bisschen ändern und als Erstes eine Entbindungsstation bauen lassen. Bestimmt wäre sie noch vor Adeles Geburtstermin fertig.

Seit zwei Tagen hatte Nira Dakan nicht gesehen und fast rund um die Uhr gearbeitet. Wenn sie nicht gerade mit den Entwürfen beschäftigt gewesen war, hatte sie immer wieder das gemeinsame Abendessen Revue passieren lassen.

Beim Gedanken an ihre Unterhaltung, an seine tiefen Blicke und sein offenes Flirten schlug ihr Herz schneller.

An diesem Morgen war sie gleich nach dem Aufstehen an ihr Reißbrett gegangen und hatte sich nicht einmal richtig angezogen. Wozu auch? Sie und Tahira waren allein – also konnte sie ruhig in ihrem Top und den Pyjama-Hosen herumlaufen, ungeschminkt und die Haare, die vom Duschen noch etwas feucht waren, offen.

„Guten Tag!“

Dakans Stimme schickte einen freudigen Schauer der Erregung über ihren Rücken. Mit ihrem Bleistift in der Hand drehte sie sich zu ihm um und schenkte ihm ein so strahlendes Lächeln, dass er ihren unangemessenen Aufzug hoffentlich übersah.

Interessiert sah sie auf die Pläne, die er in der Hand hielt. „Möchten Sie unseren Entwurf von vorgestern besprechen?“

„Ja und nein. Es gibt eine kleine Planänderung.“

„Ach ja? Und was ändert sich?“

„Wir verschieben die Arbeit am Klinikneubau. Es gibt ein neues Projekt, das jetzt wichtiger ist.“

„Ein neues Projekt?“ Sie sah ihn fragend an.

„Wir werden zuallererst das alte Klinikgebäude renovieren. Der dortige Operationssaal ist grauenvoll. Ich habe bereits mit den benachbarten Königreichen vereinbart, dass sie in den nächsten Wochen unsere chirurgischen Patienten übernehmen. Wir werden zwei OP-Säle mit allen technischen Finessen bauen. Und dann möchte ich, dass gleich nebenan eine kleine Entbindungs- und Säuglingsstation errichtet wird, damit das Baby untergebracht werden kann.“

„Welches Baby?“

„Zahir und seine Frau erwarten Nachwuchs.“

Nira lächelte gerührt. „Sie möchten also alles dafür vorbereiten, dass das Kind hier geboren werden kann?“

„Genau. Ein oder zwei Mutter-Kind-Zimmer, ein Inkubator für den Notfall, ein Badezimmer und so weiter.“

„Wie viel Zeit haben wir?“

„Adele ist noch ganz am Anfang der Schwangerschaft. Trotzdem soll alles so schnell wie möglich gebaut werden, damit sie herkommen können. Sobald Sie die Pläne fertig haben, werde ich eine Baufirma beauftragen. Danach kümmern wir uns dann wieder um den Rest des Klinikneubaus.“

Nira liebte Herausforderungen, und das hier war definitiv eine große, die sie aber meistern würde. „Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie es so eilig haben, weil Ihr Bruder und seine Frau nicht nach Mamlakat Almas zurückkommen, solange es keine sichere Möglichkeit für die Entbindung gibt? Die Planänderung ist also eigentlich für Sie selbst, denn nur wenn Zahir wieder da ist, sind Sie von Ihren Pflichten hier entbunden.“

„Korrekt.“ Verschmitzt sah er sie an.

„Haben Sie keine Angst, dass Zahir Ihre Pläne wieder über den Haufen wirft? Sie haben die Entwürfe nicht mit ihm abgestimmt, oder? Mir gefällt die Vorstellung nicht, dass ich wieder von vorn anfangen muss, sobald er das Projekt übernommen hat.“

„Nira, machen Sie sich keine Sorgen. Sie arbeiten für mich, denn ich bin der Verantwortliche, und ich habe alles sorgfältig durchdacht.“

„Mir ist vollkommen klar, dass ich für Sie arbeite. Ich versuche nur, Ihre Logik zu verstehen. Einerseits wollen Sie Ihre Pläne durchsetzen, andererseits tun Sie alles, damit Zahir so schnell wie möglich heimkehrt – auch wenn dies die Gefahr birgt, dass er dann alles wieder ändern könnte.“

Dakan seufzte. Sie hatte natürlich recht. Er wusste selbst nicht ganz genau, was er eigentlich wollte, und ihm war klar, dass die Situation sehr verzwickt werden konnte.

Noch mehr beunruhigten ihn allerdings seine Gefühle für Nira. Die schöne Architektin konnte ihm wirklich gefährlich werden. Sehr gefährlich. Und die Tatsache, dass sie in Pyjamahose und einem sehr knappen Top herumlief, machte das Ganze nicht besser.

„Es ist mir sehr wichtig, das alte, korrupte System auszumerzen“, erklärte er ein wenig zu heftig und wunderte sich im gleichen Augenblick selbst über seine Worte, denn normalerweise interessierte er sich nicht für die Staatsangelegenheiten. Zahir war der Thronfolger und damit entscheidungsbefugt. Für Dakan selbst war ein Leben als Gefolgsmann seines Bruders vorbestimmt, mehr nicht.

„Na gut. Ich schätze, Sie sind es nicht gewohnt, sich für Ihre Anweisungen rechtfertigen zu müssen. Da sind solche kleinen Wutausbrüche vermutlich nicht ungewöhnlich.“

Sie hatte so ruhig und gelassen gesprochen, dass er kurz überlegte, ob er sich verhört hatte. Doch ihre zuckenden Mundwinkel verrieten sie.

„Wenn ich einen Wutausbruch habe, wird es etwas lauter. Das hier war nur ein ganz gewöhnlicher Anfall von Arroganz.“

Nira beugte sich über den Schreibtisch und kritzelte etwas auf einen der Entwürfe, wobei ihre unfassbar langen, lockigen Haare ihr Gesicht verdeckten.

Lächelte sie? Oder hatte er den Bogen überspannt und sie beleidigt? Er vermochte es nicht zu sagen.

Wie gern hätte er ihr offenes, ein wenig zerzaustes Haar berührt und sein Gesicht darin vergraben, um ihren zarten Duft in sich einzusaugen.

Das waren natürlich ganz und gar unangemessene Gedanken, denen er keinesfalls nachgeben durfte. Entschlossen richtete er sich auf. „Ich lasse Sie jetzt besser allein, damit Sie weiterarbeiten können.“

„Nein, bleiben Sie! Ich habe noch einige Fragen.“

„In Ordnung.“ Langsam ging er zurück zum Schreibtisch und setzte sich. Nira stand am Reißbrett und betrachtete einen der Entwürfe, sodass Dakan einen Augenblick unbeobachtet war. Er nutzte die Gelegenheit, um mit seinem Handy unauffällig einige Fotos von dem gerahmten Foto ihrer Eltern zu machen, das wieder neben ihrem Laptop stand.

Dann blätterte er ihren Skizzenblock durch und betrachtete begeistert ihre Zeichnungen. Nira hatte mehrere Varianten für die Anordnung der Abteilungen entworfen, und obwohl er sich dagegen ausgesprochen hatte, waren an mehreren Stellen Behandlungsräume für die traditionellen Heiler integriert. Darüber würden sie also noch sprechen müssen.

Ihr eleganter Stil beeindruckte ihn sehr. Obwohl sie behauptet hatte, eher klassische Konzepte zu bevorzugen, waren ihre Gebäude alles andere als konservativ. Sie war offensichtlich sehr kreativ und kühn in der baulichen Gestaltung, ohne jedoch den Bezug zum traditionellen arabischen Stil zu verlieren.

„Was haben Sie eigentlich vor diesem Auftrag bei Ihrer Firma gemacht?“

„Alles Mögliche. Aber ich hatte nie die Projektleitung, sondern wurde je nach Bedarf in verschiedene Teams gesteckt.“

„Wie hat Zahir Sie dann gefunden?“

„Er gab meiner Firma den Auftrag, erklärte ihnen, was ihm vorschwebte, und da mein Chef weiß, dass ich mich sehr intensiv mit arabischer Architektur beschäftigt habe, schlug er mich vor.“

„Dann war es gar kein höflicher Small Talk, als Sie so begeistert über dieses Gebäude hier sprachen?“

„Nein, ganz und gar nicht. Auch wenn ich natürlich versucht habe, Sie damit abzulenken, damit Sie nicht weiterhin Ihre schlechte Laune an mir auslassen.“

Schuldbewusst senkte Dakan den Blick. „Tut mir leid. Ich hatte einen schlechten Tag.“

„Offensichtlich“, bemerkte Nira trocken.

„Sie mögen also den Kontrast zwischen alten Fassaden und modernem Innenleben?“

„Ja, sehr. Es ist immer wieder faszinierend, wie Menschen sich durch ihre Bauten verwirklicht haben. Ich weiß gar nicht, wie ich es ausdrücken soll, ohne dass Sie mich für komplett verrückt halten. Architektur, besonders die arabische, begeistert mich einfach!“

Dakan beobachtete sie dabei, wie sie mit ihren Händen fast zärtlich über die Entwürfe fuhr, bevor sie plötzlich innehielt und nachdenklich mit dem Ende ihres Bleistifts gegen ihre perfekt geschwungene Unterlippe klopfte. Ihre glänzenden Augen und die hitzig geröteten Wangen ließen sein Herz schneller schlagen.

„Bestimmt finde ich es kein bisschen verrückt. Erzählen Sie es mir!“

Lenk mich ab. Sei total verrückt – vielleicht schreckt mich das ja ab.

„Da wäre ich mir nicht so sicher“, murmelte sie abwesend.

„Na los!“, forderte er sie auf und warf einen Radiergummi nach ihr. Als das kleine Gummistück ihre Hüfte streifte, sah sie ihn endlich an. Seufzend hob sie es auf und setzte sich neben ihn.

„Ich habe es ja schon angedeutet: Ich weiß absolut nichts über meine Familie väterlicherseits. Nicht einmal, ob es überhaupt eine gibt. Die Architektur war meine einzige Verbindung zu ihm. Ich kann das Gefühl nicht gut beschreiben, aber schon seit meiner Jugend fühle ich mich durch diesen Teil der arabischen Kultur mit ihm verbunden. Als wir uns kürzlich im Basar trafen, war es besonders intensiv. Es war irgendwie, als ob ich die Szene wiedererkenne – obwohl ich nie zuvor da war. Total verrückt.“

Dakan hatte eine verschrobene, irrationale Erklärung erwartet, doch hier ging es um etwas anderes. Ihre Stimme hatte bei ihrem letzten Satz ein wenig gezittert.

Verletzlichkeit.

Sollte er näher darauf eingehen? Oder überschritt er damit eine Grenze, die er besser respektieren sollte?

„Bücher über die Architektur des Orients wurden für mich zu einer Art Familienalbum. Die Bilder berühren mich, und jetzt, da ich all die Bauwerke tatsächlich sehe, bin ich vollkommen überwältigt. Und ja, mir ist klar, dass das seltsam und verschroben klingt.“ Sie wich seinem Blick aus. „Ich kann es nicht besser ausdrücken, tut mir leid.“

Dakan hatte keine Ahnung, was er sagen sollte, doch er wusste genau, was sie meinte. Zuerst hatte er geglaubt, sie würde nur ein bisschen für die märchenhafte Welt seiner Heimat schwärmen, doch nun wurde ihm klar, dass sie es ernst meinte. Sie brauchte diese Erfahrungen, um eine schmerzhafte Lücke in ihrem Leben zu füllen.

Er konnte es kaum ertragen, ihr nicht helfen zu können. Langsam stand er auf, trat hinter ihren Stuhl und strich ihr die langen, wilden Locken aus dem Gesicht. Seine Geste war nur ein Vorwand, sie endlich berühren zu können, denn er hätte nichts lieber getan, als sie in den Arm zu nehmen und zu trösten.

Wie erstarrt saß Nira auf ihrem Stuhl. „Was machen Sie denn da?“

„Ihr Haar ist zerzaust.“ Zärtlich ließ er ihre Locken durch seine Finger gleiten und genoss den zarten Duft ihres Shampoos, der ihm in die Nase stieg. Er musste sofort damit aufhören, sich vorzustellen, wie ihr wundervolles Haar sich auf seiner nackten Brust anfühlen mochte.

„Ich finde, Sie sind kein bisschen seltsam und erst recht nicht verschroben“, sagte er mit heiserer Stimme. „Es ist doch völlig verständlich, dass Sie versucht haben, eine Verbindung zu diesem Teil Ihrer eigenen Geschichte herzustellen.“

„Ich weiß gar nicht, wieso ich Ihnen das alles erzählt habe.“ Nun hörte sie sich nicht mehr ganz so verletzlich an, sondern eher etwas atemlos.

„Ich habe Sie dazu gebracht, es mir zu erzählen, denn ich glaube, Sie mussten dringend mit jemandem darüber reden.“

„Natürlich behaupten Sie, dass ich nicht verrückt bin. Alles andere wäre ziemlich unhöflich.“

„Jeder von uns hat doch seine kleinen Macken“, versuchte er sie zu besänftigen. Doch er hatte nicht die geringste Lust, über seine eigenen nachzudenken. Selbsterkenntnis war eher Zahirs Zuständigkeitsbereich. Sein eigener bestand darin, immer so beschäftigt zu sein, dass er keine Zeit hatte, allzu viel nachzudenken.

Entschlossen wechselte er das Thema. „Morgen machen wir eine Ortsbesichtigung beim alten Krankenhaus.“

Nira drehte sich zu ihm um und strahlte ihn an.

„Und ich werde dafür sorgen, dass Sie alles zu sehen bekommen, was Sie interessiert. Versprochen. Säulen, Bogengänge, Gewölbedecken, Mosaike, die königlichen Gemächer … Alles, was Sie möchten.“

„Oh, wie schön!“ Genau wie Dakan war auch Nira aufgestanden und stand nun dicht vor ihm. Ohne nachzudenken, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

Dakan schob seine Hände in die Hosentaschen, um sich selbst davon abzuhalten, sie an sich zu ziehen. Dann nickte er und trat einen Schritt zurück. „Ich hole Sie um acht Uhr morgens ab. Ziehen Sie sich alte Klamotten an; sie werden vermutlich dreckig werden.“

4. KAPITEL

Während sie auf Dakan wartete, stand Nira am Fenster ihres Penthouses und blickte andächtig über die Stadt. Sie konnte sich gar nicht sattsehen an all den Gebäuden, den beiden wunderschönen Moscheen – eine modern, eine viele Hundert Jahre alt – und den vielen Türmen. Insbesondere die Mischung aus alten, orientalischen Bauten und neuen, modernen Gebäuden faszinierte sie.

Ihre Vorliebe für byzantinische, ottomanische und persische Architektur hatte ihr schon öfter verwunderte Blicke eingebracht. Umso schöner war es, dass Dakan sie offenbar verstand.

Gut, dass ihr erstes eigenes Bauprojekt ein Klinik-Komplex war. So war sie gezwungen, funktionell und pragmatisch zu planen, und lief nicht Gefahr, von ihrer Leidenschaft für verschnörkelte Häuser aus Tausendundeiner Nacht überwältigt zu werden.

„Ich hatte Sie doch gebeten, etwas Praktisches anzuziehen. Etwas, das ruhig schmutzig werden darf.“

Schon wieder war es Dakan gelungen, unbemerkt einzutreten.

Autor

Sue MacKay
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Jennifer Taylor

Jennifer Taylor ist Bibliothekarin und nahm nach der Geburt ihres Sohnes eine Halbtagsstelle in einer öffentlichen Bibliothek an, wo sie die Liebesromane von Mills & Boon entdeckte. Bis dato hatte sie noch nie Bücher aus diesem Genre gelesen, wurde aber sofort in ihren Bann gezogen. Je mehr Bücher Sie las,...

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Amalie Berlin
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