MEREDITH WEBBER
Wenn ein Scheich sein Herz verschenkt
Goldene Dünen, grüne Oasen, bunte Basare – und ein Mann, der
ihr jeden Wunsch erfüllt. Ist dieses Glück eine Fata Morgana? Liz
fürchtet, dass Scheich Khalifas Gefühle nicht ihr, sondern allein
dem Kind gelten, das sie unter dem Herzen trägt. Noch ahnt die
schöne Leihmutter nicht, was der Zauber ihrer Weiblichkeit in
einer sternenklaren Nacht bewirken kann …
JOANNA NEIL
Gegen Liebe gibt es kein Rezept
Verzweifelt versucht die beliebte Fernsehärztin Ellie Saunders
das Verlangen nach ihrem Chef zu bezwingen. Denn James Birchenall
eilt ein Ruf als Playboy voraus, und ihre Familien hassen
sich. Doch wie kein anderer hält er zu ihr, als die Presse ihre
Vergangenheit aufdeckt – und entführt sie kurzerhand vor den
Paparazzi auf sein Hausboot. Und in ein neues Leben?
CAROL MARINELLI
Warum so kühl, Schwester Bonita?
Wie soll Hugh seinem Ziehvater in die Augen sehen, wenn sein
Herz für dessen streng behütete Tochter brennt? Nach ihrem
verbotenen Kuss vergehen sechs Jahre, bis er Bonita wiedersieht.
Die widerspenstige Schöne scheint unnahbar, doch als ihr Vater
erkrankt, ist Hugh ihr Fels in der Brandung. Nur eines erkennt
der kluge Arzt nicht: Bonitas wahre Gefühle …
Wenn ein Scheich sein Herz verschenkt
1. KAPITEL
„Nur weil irgend so ein Vollpfosten mit mehr Geld als Verstand den Laden hier übernommen hat, heißt das noch lange nicht, dass gleich die Welt untergeht. Er hat das Giles gekauft, nicht unsere Seelen. Wir müssen …“
„Entschuldigung, was bedeutet das Wort Vollpfosten?“, wurde Dr. Elizabeth Jones in ihrer Rede vor dem Personal der Perinatalstation unterbrochen.
Von einer männlichen Stimme, tief, dunkel, leicht akzentuiert.
Unwillig blickte sie sich um … und ihr Herzschlag stockte eine Sekunde, als sie den Störenfried entdeckte.
Er war nicht umwerfend attraktiv, nicht mal besonders gut aussehend, aber – oh – unglaublich männlich!
Männlich arrogant, um genau zu sein.
Seine ganze Haltung, der leicht zur Seite geneigte Kopf und der gebieterische Blick vermittelten eine unmissverständliche Botschaft: Ich bin hier das Alphatier!
„Ups! Das ist Umgangssprache und beschreibt jemanden, der …“ Sie geriet ins Stocken, völlig konzentriert auf die Aufgabe, die bemerkenswerten Attribute des Mannes zu katalogisieren. Sinnvolle Sätze brachte sie da nicht zustande.
Glatte olivfarbene Haut, ein sorgfältig gestutzter Kinnbart, eine gerade Nase, kantige Wangenknochen – und Lippen, die sie sofort mit heißen, sinnlichen Küssen assoziierte.
Sein Anzug saß perfekt, so perfekt, als sei er ihm auf den Leib geschneidert worden.
„Ah, ich verstehe!“ Ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen. „Dieser ‚Vollpfosten‘ ist also ein Trottel, meinen Sie?“
Sein leichter Akzent klang so erotisch in ihren Ohren, dass sie erschauerte.
Höchste Zeit, sich zusammenzureißen. „Sorry, es war eine dumme Bemerkung. Allerdings ist unsere Klinik nicht unbedingt ein lohnendes Investitionsobjekt. Die Stiftungsstatuten verpflichten uns nämlich, einen bestimmten, nicht ganz unerheblichen Prozentsatz an Patienten unentgeltlich zu behandeln. Obwohl …“
Sie biss sich rasch auf die Zunge, bevor sie etwas sagte, was der Mann richtig übel nehmen würde. Inzwischen war sie nämlich fest davon überzeugt, besagten Vollpfosten höchstpersönlich vor sich zu haben. Natürlich könnte der neue Besitzer die Statuten ändern. Womit hier auch jeder rechnete. Welcher Dummkopf investierte schließlich in ein Verlustgeschäft?
Welcher Dummkopf investiert in ein Verlustgeschäft?
Auch wenn die Frau, die den Vortrag gehalten hatte, die Worte nicht aussprach, stand ihr die Frage doch deutlich ins Gesicht geschrieben.
Ein interessantes Gesicht, wie Khalifa fand – irgendwie fesselnd. Vielleicht lag es auch nur an der auffälligen, dunkel gerahmten Brille. Welche junge Frau trug heutzutage noch eine schwere schwarze Hornbrille? Die dunkle Farbe betonte zwar ihre zarte cremeweiße Haut, passte aber überhaupt nicht zur Farbe ihres Haars, das sie am Hinterkopf zu einem strengen Knoten zusammengefasst hatte. Dunkle Haare mit einem rötlichen Schimmer.
Insgesamt – trotz der unmöglichen Brille – durchaus reizvoll, doch er war nicht zu seinem Vergnügen hier, sondern aus geschäftlichen Gründen. Schade eigentlich …
„Wie Sie alle sicher längst erraten haben, bin ich der Vollpfosten, der diese schöne Klinik übernommen hat“, sagte er in die Runde. „Allerdings nicht, um damit Geld zu machen. Im Gegenteil, die ursprünglichen Statuten bleiben unangetastet. Ich beabsichtige, das Personal aufzustocken und die Ausstattung auf den neusten Stand der Technik zu bringen.“
Er zögerte. Eigentlich war er auf dem Weg gewesen, seine Pläne den Chefärzten der verschiedenen Abteilungen vorzustellen, und war nur noch einmal hergekommen, weil ihn diese spezielle Station besonders am Herzen lag. Aber da er nun schon mal hier war …
„Also, damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben: Scheich Khalifa bin Saif Al-Zahran. Nennen Sie mich bitte einfach Khalifa. Diese Klinik habe ich in der Hoffnung erworben, dass Sie mir helfen können. Und ich biete denjenigen unter Ihnen, die bereit sind, sich darauf einzulassen, eine interessante, bereichernde Erfahrung an.“
Er blickte in lauter leere Gesichter. Offensichtlich musste er sich weniger umständlich ausdrücken.
„Zu Ihrer Information: In meinem Heimatland – einem arabischen Inselstaat namens Al-Tinine – habe ich gerade eine nagelneue Klinik bauen lassen. Der Betrieb wurde aufgenommen, alles läuft reibungslos. Was noch fehlt, ist eine Perinatalstation nach Ihrem Vorbild. Weiterhin plane ich eine Art Personalaustausch, möchte Angestellte meiner Klinik für einige Zeit im Giles einsetzen, damit sie sich das nötige Know-how aneignen. Im Gegenzug würde ich mich freuen, ein paar von Ihnen für ein Projekt in Al-Tinine zu gewinnen.“
Das war hoffentlich deutlich genug.
Immerhin setzte sich die Rednerin von eben in Bewegung, um ihn zu begrüßen – Dr. Elizabeth Jones, wie er wusste, denn sie wollte er vorzugsweise für sein Projekt gewinnen.
Versehentlich stieß sie gegen den Aktenschrank, hinter dem sie sich bis eben verschanzt hatte. Ein Stapel Papiere fiel raschelnd zu Boden. Schnell eilte eine andere Frau herbei, um die Papiere aufzusammeln.
Mit ausgestreckter Hand ging Dr. Jones auf ihn zu. In natura war sie noch viel attraktiver als auf den Fotos, die er von ihr gesehen hatte. Auf denen hatte sie allerdings nicht diese scheußliche Brille getragen. Trotzdem, selbst dieses Ungetüm schaffte es nicht, ihre Schönheit zu entstellen.
„Wie geht es Ihnen, Dr. Khalifa?“, begrüßte sie ihn förmlich. „Sie halten uns sicher für einen ungehobelten Haufen, aber so aufregende Angebote kriegen wir nicht jeden Tag. Arbeiten in einem exotischen Land – wie spannend! Sie wollen unsere Ausstattung modernisieren? Da tanzen wir glatt Samba vor Freude.“
Khalifa hörte die Worte, nahm sie jedoch nicht wirklich auf. Zu sehr war sein Hirn damit beschäftigt, eine Tatsache zu verarbeiten, die ihm erst jetzt auffiel: Dr. Elizabeth Jones war eindeutig schwanger.
Sofort durchzuckte ihn ein bekannter Schmerz. Viel zu lange schon sein ständiger Begleiter, mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Immer unter der Oberfläche lauernd, bereit, jederzeit zuzuschlagen.
Dr. Jones musste ungefähr im selben Monat sein wie Zara, als er sie das letzte Mal lebend gesehen hatte.
Geistesgegenwärtig genug, um zu bemerken, dass ihm irgendetwas die Sprache verschlagen hatte, redete Dr. Jones weiter. „Ich muss sagen, Ihr Angebot klingt verlockend. Hier gibt es bestimmt einige, die begeistert zugreifen werden. Natürlich freuen wir uns ebenso sehr auf die Zusammenarbeit mit Ihren Kollegen. Sicher können wir viel voneinander lernen.“
Ihre Worte klangen freundlich, ihr leichtes Stirnrunzeln dagegen drückte Zweifel aus. Bevor Khalifa etwas erwidern konnte, ertönte eine leise Glocke. Sofort begann sich die kleine Versammlung aufzulösen.
„Entschuldigen Sie mich bitte“, sagte Dr. Jones. „Schichtwechsel. Die neue Crew hat übernommen, und ich werde gebraucht.“
Damit huschte sie an ihm vorbei nach nebenan in eine Art überdimensional großen Glaskasten. Die Wände waren mit Kinderbettchen gesäumt. Zwei Krankenschwestern standen über eins der Betten gebeugt. Dr. Jones eilte an ihre Seite.
Khalifa blieb, wo er war, da er nicht wusste, ob es sich um eine Isolierstation handelte. Er beobachtete, wie Dr. Jones sich vorbeugte, um die Wange des winzigen Wesens in dem Bettchen zu streicheln, während sie den Blick konzentriert auf den Monitor daneben richtete.
Inzwischen hatte eine der Schwestern einen voll ausgestatteten Laborwagen herangerollt. Dr. Jones schüttelte den Kopf. Nachdem sie ein paar Eintragungen in die am Fußende des Betts angebrachte Akte gemacht hatte, verließ sie den Raum.
„Sie sind ja immer noch da!“ Das klang überrascht und ziemlich geistesabwesend. In Gedanken war Dr. Jones anscheinend noch bei ihrem kleinen Patienten. „Sie leidet unter wiederkehrenden Apnoen“, sagte sie dann auch, „trotzdem möchte ich sie ungern schon wieder an das CPAP anschließen.“
„Sie haben die Überdruckbeatmung also erst kürzlich abgesetzt?“
Dr. Jones wirkte verblüfft. „Entschuldigung, wie unhöflich von mir, in Hieroglyphen zu reden. Aber wie ich sehe, sind Sie mit Ärztelatein vertraut. Na ja, kein Wunder eigentlich. Sie bauen schließlich Krankenhäuser, da kennen Sie sich aus.“
„Ja, ein bisschen weiß ich schon. Jedenfalls reichte es für einen Doktor in Medizin und einen Facharzt als Chirurg.“
„Oh, das ist mir jetzt wirklich peinlich.“ Ein verlegenes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Aber ich halte Sie auf. Sie möchten sicher noch die anderen Abteilungen besichtigen.“
„Nicht jetzt.“ Die Tatsache, dass Dr. Jones schwanger war, hatte ihn aus dem Konzept gebracht. Und zwar gewaltig. „Um ehrlich zu sein, gilt mein Hauptinteresse dieser speziellen Station. Ich hatte sogar gehofft, Sie dazu überreden zu können, nach Al-Tinine zu kommen, um dort eine ähnliche Station aufzubauen. In Fachkreisen ist man begeistert über den fantastischen Job, den Sie hier machen. Trotz des knappen Budgets, das Ihnen zur Verfügung steht.“
Dr. Jones fixierte ihn aufmerksam, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Khalifa fragte sich, was sie sah.
Einen exotischen Fremden in einem teuren Anzug?
Ein Vollpfosten mit mehr Geld als Verstand?
Bingo!
„Sie stellen sich also eine Station in etwa derselben Größe vor? Vermutlich ist der finanzielle Spielraum begrenzt?“
„Ganz und gar nicht, das hatte ich nicht andeuten wollen“, versicherte er ihr. „Okay, Kinderbetten aus Gold müssen es nicht gerade sein. Ansonsten lege ich Wert auf die modernste Ausstattung und einen großzügigen Personalschlüssel. Kurzum, ich möchte die bestmögliche Perinatalstation mit integrierter Intensiveinheit für den Süden unseres Landes.“
In ihren klaren blauen Augen, die sie aus unverständlichen Gründen hinter diesem scheußlichen Brillengestell versteckte, blitzte ein Lächeln auf. „Goldene Kinderbetten? Ganz Ihrer Meinung, schrecklich unpraktisch. Die müsste man ja ständig auf Hochglanz polieren.“
Ernst fügte sie hinzu: „Meine nächste Frage gilt Ihren Motiven. Wollen Sie diese Station, um Problembabys den bestmöglichen Start ins Leben zu ermöglichen oder weil Sie Ihre schicke neue Klinik damit schmücken möchten?“
Diese Frage schockierte ihn. Aber mal ehrlich, wären Zara und das Baby nicht gestorben, hätte er sich dann ernsthaft mit der Einrichtung einer Perinatalstation beschäftigt?
„Sie nehmen wohl kein Blatt vor den Mund“, konterte er verärgert. „Also, die Station ist notwendig, um Notfälle nicht länger in andere Kliniken verlegen zu müssen. Wenn ich recht informiert bin, nehmen Sie diesbezüglich eine Vorreiterrolle ein. Aus diesem Grund bin ich ja auf das Giles gekommen.“
Überflüssig zu erwähnen, dass es besonders ihr Ruf gewesen war, der ihn auf diese Klinik hatte aufmerksam werden lassen.
„Na gut.“ Die Tatsache, dass sie ihn verärgert hatte, schien sie nicht im Geringsten zu beeindrucken. „Wenn Sie sagen ‚Sie‘, meinen Sie dann mich im Besonderen oder das Personal im Allgemeinen?“
Ganz schön kess, diese Frau!
„Ich meine Sie im Besonderen“, erwiderte er. „Sie sind es, die ich will – beziehungsweise, die ich wollte.“
„Und nachdem Sie mich nun live und in Farbe erlebt haben, haben Sie Ihre Meinung geändert?“ Jetzt war Dr. Jones verärgert, das sah er an ihren funkelnden Augen. „Zu groß? Zu dünn? Falsches Geschlecht, obwohl der Name Elizabeth nun wirklich nicht auf einen bärtigen Kerl schließen lässt.“
„Zu schwanger.“
Die Bemerkung war ihm einfach so herausgerutscht. Ein Fehler, wie er an Dr. Jones’ Miene erkannte.
Ein schwerer Fehler!
„Aha?“
Ein einziges Wort, scharf wie die Klinge eines Dolches.
Bevor er sich mit irgendwelchen Floskeln aus der Affäre ziehen konnte, informierte sie ihn spitz: „Wie Sie sicher wissen, ist Schwangerschaft ein Zustand und keine Krankheit. Ich habe während der ersten zweiunddreißig Wochen gearbeitet, und ich beabsichtige weiterzuarbeiten, bis das Kind geboren ist. Darüber hinaus …“
Plötzlich erlosch das Feuer in ihrem Blick, und sie musste sich an dem Aktenschrank abstützen, der ihren „Zustand“ anfangs so perfekt getarnt hatte. Die Luft in dem kleinen Raum, der ihr als Büro diente, schien auf einmal zum Schneiden dick, geladen von Trauer und Resignation.
Doch Dr. Jones hatte sich schnell wieder gefangen. „Eigentlich ist ein Tapetenwechsel genau das, was ich jetzt brauche. Ich gehe davon aus, dass ich in Ihrer Klinik mein Baby zur Welt bringen kann. Im Giles wäre ich abkömmlich. Wir haben zwei Kinderärzte in Rufbereitschaft und eine junge ehrgeizige Kinderärztin, die ganz scharf darauf ist, meinen Job zu übernehmen. Sie sollte mich ohnehin vertreten. Alles perfekt also.“
Ihm fiel auf, wie betont nüchtern sie sich gab. Kein sanfter Unterton in ihrer Stimme, wenn sie das Baby erwähnte. Und sie trug keinen Ehering.
„Nun?“
Scheich Khalifa dieses eine Wort hinzuknallen musste ziemlich schroff klingen, dessen war Liz sich bewusst. Aber die Vorstellung, das Chaos in ihrem Leben wenigstens für eine Weile hinter sich lassen zu können, kam ihr vor wie ein rettender Anker. Ein Anker, den sie ganz dringend ergreifen wollte.
Zwar hatte sie inzwischen gelernt, mit Bills Tod umzugehen, doch die Tatsache, dass Oliver immer noch im Koma lag, und zwar ausgerechnet in dieser Klinik, belastete sie sehr. Ganz besonders, weil seine Eltern ihr nicht erlaubten, ihn auf der Intensivstation zu besuchen.
Olivers unverändert kritischer Zustand ließ auch sie – und das Baby – gewissermaßen in der Luft hängen. Fragen über Fragen und keine Antwort …
Würde Oliver wieder aus dem Koma erwachen? Falls ja, welche Schäden hatte sein Gehirn davongetragen? Würde er das Baby überhaupt noch wollen?
Seufzend wurde ihr bewusst, dass Dr. Khalifa weitergeredet hatte, während sie sich ihrem Selbstmitleid hingab. Jetzt erkundigte er sich nach ihrem Pass und ob es ihr möglich wäre, kurzfristig abzureisen.
„Kein Problem, ich könnte sofort los, noch heute!“, platzte sie heraus. Im nächsten Moment bereute sie ihren Übereifer. „Ach, ich rede Unsinn, hören Sie gar nicht hin. Realistisch wäre wohl eine Woche, damit ich eine ordentliche Übergabe hinkriege. Die Ärztin, die mich vertreten wird, war hier früher schon mal beschäftigt, sodass eine lange Einarbeitungsphase entfällt. Es ist ja auch nur für vorübergehend, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Ein Projekt, um die Station aufzubauen, und keine Festanstellung.“
Ihr Gegenüber schien leicht amüsiert, dann nickte er. Was ihn wieder genauso arrogant wirken ließ wie zuvor.
Dr. Khalifa konnte sie nicht ausstehen, darauf würde sie wetten.
„Müssen Sie eine solche Entscheidung nicht erst noch mit jemandem besprechen?“, fragte er.
„Nicht wirklich. Vorausgesetzt, ich übergebe die Station in kompetente Hände, wird die Klinikleitung keine Einwände erheben. Außerdem sind sie vorgewarnt. Sie haben die Möglichkeit des Personalaustauschs bereits mit den Verantwortlichen diskutiert, nehme ich an. Das Projekt ist ja ohnehin zeitlich begrenzt.“
Nun zog er die Stirn kraus. Irritierte ihn ihre Schwangerschaft immer noch? Tja, höchste Zeit, sich daran zu gewöhnen.
Das Schweigen zog sich unangenehm in die Länge, aber was blieb ihr noch zu sagen?
Zu ihrer Erleichterung übernahm Dr. Khalifa das Reden. „Also gut. Ich kontaktiere Sie im Lauf des Tages noch mal, um Datum und Uhrzeit unserer Abreise mit Ihnen abzustimmen. Vielleicht könnten Sie mir in der Zwischenzeit eine Liste mit dem nötigen Equipment zusammenstellen. Die Klinik in Al-Tinine hat ungefähr dieselbe Größe wie das Giles, auch die Perinatalstation sollte dann etwa dieselbe Bettenkapazität aufweisen.“
Das klang so kalt und formell, als erwartete er eine devote Verbeugung. Ha! Da konnte er lange warten. Nachdem er ihr wortlos den Rücken gekehrt hatte, um zu gehen, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, ihm die Zunge rauszustrecken.
„Hey, Mund zu, Zunge rein.“ Kopfschüttelnd tauchte ihre Freundin Gillian hinter ihr auf. „Wenn der gute Doktor sich nun umdreht?“
„Ach, geschieht im doch recht, dem arroganten Kerl.“
„Sag mal, was muss ich da hören? Du willst uns verlassen? Und das so überstürzt? Hier ist doch alles noch völlig ungeklärt. Das Baby, Oliver im Koma …“ Die Besorgnis war Gillian deutlich anzuhören.
„Olivers Eltern lassen mich sowieso nicht zu ihm. Und meine Vertretung steht schon in den Startlöchern. Worüber machst du dir also Sorgen?“
„Über deine Blitzentscheidung. So kenne ich dich gar nicht. Als es um die Leihmutterschaft ging, hast du monatelang gegrübelt. Kannst du das tun, sollst du das tun, wirst du dich nicht zu sehr an das Baby binden? Du hast dich mit tausend Fragen verrückt gemacht. Ich weiß ja, die letzten Monate waren die Hölle für dich. Aber meinst du wirklich, weglaufen hilft?“
Liz schüttelte den Kopf. „Nichts hilft“, erwiderte sie bedrückt. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Trauer um Bill je erträglich würde. „Aber wenn ich sowieso schon unglücklich bin, kann ich das genauso gut auch anderswo sein. An einem fremden Ort, wo alles neu für mich ist und ich wenigstens ein bisschen abgelenkt bin. Außerdem ist es eine tolle Herausforderung, quasi aus dem Nichts eine Perinatalstation aufzubauen. Genau das, was ich jetzt brauche.“
„Und das Baby?“
Eine Frage, die all ihren Freunden seit dem schrecklichen Unfall auf der Zunge brannte, wie Liz ahnte.
Hilflos zuckte sie mit den Schultern. „Keine Ahnung, ehrlich. Einen Unfall hatte ich nicht mit auf der Rechnung. Wir wissen nicht, ob Oliver je wieder aus dem Koma aufwacht. Und selbst wenn, was dann? Sie lassen mich ja nicht mal in seine Nähe. Mir bleibt nichts anderes übrig, als einfach weiterzumachen.“
Klang sie hart, gefühllos? Wahrscheinlich. Aber nachdem sie sich für die Leihmutterschaft entschieden hatte, hatte sie sich innerlich ein Stück weit abgeschottet, um zu verhindern, dass sie Gefühle für dieses kleine Wesen entwickelte, das sie austrug. Sie spielte dem Baby die Musik vor, die Bill und Oliver mochten. Erzählte ihm ausführliche Geschichten über seine Eltern. Immer sorgfältig darauf bedacht, nicht zu vergessen, dass dies nicht ihr Kind war.
Und nie sein würde.
Im Moment war die Zukunft des Babys genauso ungewiss wie ihre eigene. Kein Wunder, dass Dr. Khalifas Angebot da wie gerufen kam. Ein winziges Licht am Ende eines langen, dunklen Tunnels.
Khalifa saß im Konferenzraum zusammen mit der Klinikleitung und diversen Rechtsanwälten, um die Übernahme des Krankenhauses unter Dach und Fach zu bringen. Doch er hörte nicht zu, war in Gedanken ganz woanders: bei der attraktiven Ärztin mit der scheußlichen Brille. Eine schwangere Frau, die ihr Zustand völlig kaltzulassen schien.
Das kannte er von Zara ganz anders. Von Vorfreude auf das Baby erfüllt, hatte sie ihrem Ehemann noch weniger Interesse entgegengebracht als zuvor.
Aber worüber beschwerte er sich? Die arrangierte Ehe war ihm doch nur recht gewesen. Andere Dinge hatten ihn beschäftigt, wichtige Dinge wie der Bau des Krankenhauses und Staatsgeschäfte, nachdem er die Regentschaft von seinem sehr viel älteren Bruder übernommen hatte.
Sich verlieben, um eine Frau werben? Reine Zeitverschwendung!
Als Zara dann endlich schwanger und völlig fokussiert auf ihr Baby gewesen war, kam ihm das sehr gelegen. Es linderte seine Schuldgefühle, weil er zu wenig Zeit mit ihr verbrachte. Obwohl, im Nachhinein …
Khalifa rieb sich über das Gesicht, als könnte er so jede unbequeme Gefühlsregung wegwischen. Gefühle machten einen Mann schwach, davon war er überzeugt. Die lang zurückreichende Geschichte seines Stammes bewies, dass Überleben nur mit einem starken Anführer möglich war. Und jetzt war es an ihm, stark zu sein, um Al-Tinine von Grund auf zu modernisieren und inmitten der anderen reichen Ölnationen am Golf gut aufzustellen.
Nach der Sitzung verließ Khalifa beinahe fluchtartig den Raum. Dr. Jones … der Name geisterte unaufhörlich durch seine Gedanken.
Irgendetwas an ihr irritierte ihn. Mit ihrem offensichtlichen Desinteresse an ihrer Schwangerschaft hatte es nichts zu tun. War es ihre herausfordernde Haltung, die ihn aus dem Konzept brachte?
Zara hatte ihn nie herausgefordert, aber sie war ja auch seine Frau und keine Kollegin gewesen.
Vielleicht lag es daran, dass Dr. Jones vor etwas wegzulaufen schien – vermutlich dem Vater ihres Kindes. Wie hätte sie das Jobangebot in Al-Tinine sonst so schnell akzeptieren können? Ohne sich mit jemandem zu beraten – Familie, Freunden, Kollegen?
Ganz sicher ging sie irgendetwas oder irgendjemand aus dem Weg, anders konnte es gar nicht sein. Aber war das von Bedeutung? Und warum dachte er überhaupt ständig über sie nach? In der kurzen Zeit während seines Aufenthaltes hier gab es wirklich wichtigere Dinge zu erledigen.
Wahrscheinlich hatte seine Verwirrung einfach nur mit ihrer Schwangerschaft zu tun und den Erinnerungen, die ihr Zustand in ihm weckten.
Die Schuldgefühle …
Khalifa machte sich direkt wieder auf den Weg zur Perinatalstation. Versuchte sich einzureden, dass er sich die Abteilung nur noch einmal genauer ansehen wollte, dass es nicht Dr. Jones war, die ihn dort hinzog.
Gerade verließ sie mit besorgter Miene den Glaskasten, hatte es offenbar eilig, in ihr winziges Büro zu kommen. So eilig, dass sie fast mit Khalifa zusammengestoßen wäre.
„Sorry“, murmelte Liz geistesabwesend, bevor ihr bewusst wurde, in wen sie da hineingerannt war. „Oh, Sie sind’s! Tut mir wirklich leid. Ich bin ein fürchterlicher Tollpatsch, renne ständig Leute über den Haufen. Ehrlich gesagt, bin ich zurzeit in Gedanken dauernd mit diesem armen kleinen Würmchen hier beschäftigt. Dem Baby mit den Apnoen. Es wurde im Park ausgesetzt, eingewickelt in Zeitungspapier. Bis jetzt konnte die Polizei die Mutter nicht ausfindig machen. Wir nennen die Kleine Alexandra, nach dem Park.“
Halt die Klappe, Liz! Was brachte sie nur dazu, den armen Kerl immer total zuzutexten, sobald er unvorsichtig genug war, ihr vor die Füße zu laufen?
„Das Baby wurde in einem Park gefunden?“, fragte Dr. Khalifa ungläubig.
Trotz des traurigen Themas brachte sein Anblick ihr Herz dazu, schneller zu klopfen. Sie erschauerte. Lächerlich! Das musste sofort aufhören! Wahrscheinlich sowieso alles nur hormonell bedingt …
„Ja, letzte Woche. Anfangs ging es ihr den Umständen entsprechend gut, bis auf eine leichte Unterkühlung und gelegentliche Atemaussetzer. Aber jetzt …“
„Wer wird sich um sie kümmern?“, unterbrach Dr. Khalifa sie düster.
Liz seufzte. „Darüber zermartere ich mir auch schon den Kopf. Vermutlich kommt sie in eine Pflegefamilie. Zur Adoption wird man sie nicht freigeben, schließlich existiert irgendwo eine leibliche Mutter. Eine unglückliche Situation. Gerade jetzt braucht die Kleine dringend eine enge Bezugsperson.“
Warum vertraute sie diesem Fremden ihre Probleme an?
„Tja, bis man die Mutter findet und das Jugendamt entscheidet, ob Alexandra bei ihr leben soll, hängt die arme Kleine völlig in der Luft.“
Genau wie ich, fügte Liz im Stillen bedrückt hinzu.
Wieder fixierte Dr. Khalifa sie eindringlich. „Sie machen sich also Sorgen?“
„Natürlich mache ich mir Sorgen“, erwiderte sie schärfer als beabsichtigt. „Schließlich geht es hier um ein unschuldiges kleines Baby. Es reicht doch, dass es einen schwierigen Start ins Leben hatte.“
Für Khalifa ergab das einfach keinen Sinn: Dr. Jones’ Engagement für ein fremdes Baby und die offensichtliche Gleichgültigkeit gegenüber ihrer eigenen Schwangerschaft. Vielleicht deutete er die Signale falsch? Vielleicht zeigte sie zu Hause ein ganz anderes Gesicht, erzählte dem Ungeborenen Geschichten, sang ihm Lieder vor? So, wie Zara es getan hatte.
„Wird man nicht versuchen, den Vater des Babys ausfindig zu machen?“
Die Frage entlockte ihr ein Lächeln. „Ohne Mithilfe der Mutter dürfte das ziemlich schwierig werden. Alexandras Fall ist zwar durch sämtliche Medien gegangen, aber trotzdem … Womöglich wusste der Vater gar nichts von der Schwangerschaft. Vielleicht war das Ganze nur ein One-Night-Stand.“
Da keine Bitterkeit in ihren Worten mitschwang, schlussfolgerte Khalifa, dass ihre eigene Schwangerschaft nicht das Resultat eines solchen One-Night-Stands war. Sie war vielleicht ein Tollpatsch, doch auch sehr intelligent.
Apropos Tollpatsch …
„Was bedeutet eigentlich Tollpatsch?“, fragte Khalifa zusammenhangslos.
Jetzt musste sie lachen. Ein Lachen, das sie von einer attraktiven, geschäftsmäßigen Ärztin in eine wunderschöne Frau verwandelte. Ihre blauen Augen blitzten humorvoll, ihr Gesicht strahlte.
„Mit Tollpatsch bezeichnet man eine ungeschickte Person, jemanden wie mich. Ständig lasse ich etwas fallen, remple andere Leute an, stoße etwas um. Außer dieser zugegebenermaßen scheußlichen Brille habe ich bisher alle kaputtgekriegt: randlose goldgerahmte Kunststoffgestelle … Mit Kontaktlinsen hab ich’s auch schon versucht, aber da verliere ich immer sofort die fürs linke Auge. Irgendwann hatte ich dann fünf Linsen für mein rechtes Auge. Na ja, vielleicht ganz praktisch für ein fünfäugiges Monster …“
Sie unterbrach ihren Redeschwall, um kurz Luft zu holen.
„Also hab ich mich notgedrungen für dieses Ungetüm auf meiner Nase entschieden, das dickste, schwerste und leider auch hässlichste Gestell, das ich finden konnte“, sprudelte es dann weiter aus ihr heraus.
Jetzt wartete sie anscheinend auf einen höflich relativierenden Kommentar zu ihrer Tollpatschigkeit. Khalifa jedoch war viel zu sehr damit beschäftigt, zu ergründen, was genau an ihrem Lachen ihn so faszinierte. Bevor ihm seine guten Manieren wieder einfielen, redete sie auch schon weiter: „Keine Angst, während der Arbeit konzentriere ich mich immer voll auf meine Aufgaben. Das Problem ist, dass ich auch außerhalb der Klinik ständig in Gedanken auf Station bin, sodass ich durch die Gegend stolpere wie ferngesteuert.“
Ja, das konnte er nachvollziehen. Was er dagegen nicht verstehen konnte, war, wie Dr. Jones so unbefangen in Gegenwart eines Fremden aus dem Nähkästchen plauderte. So hatte er sie gar nicht eingeschätzt. Und doch überschüttete sie ihn hier mit Anekdoten über ihre Tollpatschigkeit, ausgesetzte Babys und fünfäugige Monster.
Seltsam … Wollte sie von etwas ablenken? Ihn davon abhalten, Fragen zu stellen?
Er hatte keine Ahnung, und es sollte ihn auch nicht interessieren. Schließlich war er hier, um die Perinatalstation zu besichtigen, und nicht, um eine bestimmte Ärztin zu analysieren.
Im nächsten Moment hörte er sich plötzlich fragen, wo sie sich ungestört unterhalten konnten.
„Im Innenhof gibt es eine ganz gemütliche Cafeteria. Die haben Sie auf Ihrem Rundgang bestimmt schon gesehen.“
Nachdem Dr. Jones sich auf der Station abgemeldet hatte, machten sie sich auf den Weg zur Cafeteria. „Wie viel Platz werden wir in Ihrer Klinik zur Verfügung haben?“, erkundigte Dr. Jones sich jetzt wieder ganz geschäftsmäßig.
„Ungefähr doppelt so viel wie hier.“
„Oh, großartig!“ Ihre blauen Augen leuchteten auf, die steile Falte zwischen den Brauen verschwand. „Das lässt uns genug Raum für ein Wartezimmer mit bequemen Liegesesseln und ein separates Stillzimmer. Im Moment quetschen wir die armen Mütter dazu hinter einen Paravent. Das Stillen ist besonders für unsere Mütter nicht leicht, weil die Babys daran gewöhnt sind, dass Milch aus einem Schlauch direkt in ihre hungrigen Bäuchlein fließt. Sie müssen erst lernen, sich für ihre Mahlzeiten ein bisschen anzustrengen.“
Während sie sprach, führte sie ihn einen langen Korridor entlang. Auf ihren hochhackigen Sandaletten war sie fast so groß wie er.
„Hier entlang, bitte.“ Dr. Jones ging in den üppig begrünten Innenhof vor. Auf jeder freien Fläche standen Töpfe mit prachtvoll blühenden Orchideen. „Ein ganz besonderer Ort, finden Sie nicht auch? Unser Stifter Mr Giles war passionierter Orchideenzüchter. Die Blumen, die Sie hier sehen, entstammen alle seiner Sammlung.“
Beeindruckt schaute Khalifa sich um. „Eine Oase des Friedens inmitten der Hektik eines normalen Krankenhausalltags. Sehr schön!“
„Also, was möchten Sie trinken? Tee? Kaffee? Oder lieber etwas Erfrischendes?“
„Danke, aber lassen Sie mich das übernehmen, Dr. Jones.“ Er tastete nach seiner Brieftasche. „Sie trinken …?“
„Kaffee. Schwarz, stark, mit zwei Stück Zucker. Da ich meinen Kaffeekonsum auf eine Tasse am Tag runtergefahren habe, brauche ich die volle Dröhnung. Und nennen Sie mich Liz, bitte“, fügte sie hinzu.
Wieder eine ihrer rätselhaften Bemerkungen … „Liz?“
„Die Kurzform für Elizabeth – nennen Sie mich bitte Liz, nicht Dr. Jones. Das klingt so schrecklich förmlich.“
Als er sich abwandte, um den Kaffee zu holen, wiederholte er in Gedanken ihren Namen: Liz. Plötzlich beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Ein Gefühl von drohender Gefahr … Dieses Gespür steckte ihm als Nachfahre eines alten Beduinenstamms im Blut.
Doch welche Gefahr konnte Dr. Jones – Liz – schon für ihn bedeuten?
„Zwei Kaffee, bitte, schwarz mit jeweils zwei Stück Zucker“, bestellte er beim Barista.
Allein die Tatsache, dass sie ihren Kaffee auf die gleiche Art tranken, reichte als Indiz für den bevorstehenden Weltuntergang wohl nicht aus …
Aberglaube war in seiner Heimat zwar weit verbreitet, Khalifa allerdings hatte nie an die Geschichten über missgünstige Dschinns und die Streiche, die sie den Menschen spielten, geglaubt. Genauso wenig wie an Unglück prophezeiende Wahrsager.
Vermutlich liebten eine Menge Leute ihren Kaffee schwarz mit zwei Stück Zucker.
Außerdem trank er seinen Kaffee nur im Ausland so. Zu Hause bevorzugte er arabischen Mokka, der ohnehin schon stark gesüßt war und in kleinen Tassen serviert wurde, von denen er mindestens drei trank.
Doch das seltsame Kribbeln in seinem Nacken wollte einfach nicht verschwinden.
2. KAPITEL
Die folgenden zehn Tage flogen nur so dahin.
Zehn Tage, prall gefüllt mit Reisevorbereitungen für Al-Tinine. Zunächst einmal war da die Kleiderfrage zu klären. Aus Rücksicht auf die Gepflogenheiten des Landes besorgte Liz sich eine Auswahl locker geschnittener langer Hosen und weiter, hoch geschlossener Tuniken mit langen Ärmeln. Ein paar gerade geschnittene, kaftanähnliche lange Kleider vervollständigten ihre Garderobe.
Khalifa – die vertrauliche Anrede ließ sie immer noch ein wenig erschauern – hatte sie mit reichlich Infomaterial über seine Heimat versorgt. Was bedeutete, dass Liz’ Abendstunden ebenfalls ausgefüllt waren. Mit spannender Lektüre, wie sie einräumen musste.
Im Norden des Landes lag die Hauptstadt von Al-Tinine, Al-Jabaya, anscheinend eine blühende Metropole. Der ärmere, wenn auch bevölkerungsreiche Süden dagegen war als „Unendliche Wüste“ bekannt. Dieser Teil des Landes war unter dem zwischenzeitlich zurückgetretenen Herrscher, Khalifas sehr viel älterem Bruder, jahrelang vernachlässigt worden. In der Oasenstadt Najme im Süden hatte Khalifa die neue Klinik errichten lassen.
Jetzt stand Liz abfahrbereit in einem unförmigen schwarzen Kleid vor ihrem Apartmenthaus. Gillian, die während ihrer Abwesenheit als Haus- und Katzensitterin fungieren würde, leistete der Freundin beim Warten Gesellschaft.
„Da kommt Ihr Prinz, Cinderella“, verkündete Gillian beim Anblick der schwarzen Stretchlimousine, die in die ruhige Seitenstraße einbog.
„Falsches Märchen“, gab Liz trocken zurück. „Ich fühle mich eher wie Scheherazade, die dem Sultan Nacht für Nacht eine Geschichte erzählt, um zu verhindern, dass er ihr am nächsten Morgen den Kopf abschlägt.“
Besorgt sah Gillian sie an. „Ein bisschen spät für kalte Füße, findest du nicht? Was ist los? Bis jetzt warst du gar nicht aufgeregt, nur irgendwie … lebendig.“
Es war das pure Adrenalin, das Liz angetrieben hatte. Nun, da die Abreise kurz bevorstand, entwarf Liz’ Fantasie ein Schreckensszenario nach dem anderen.
Überflüssig, Gill damit auch noch in Panik zu versetzen!
„Mir geht es gut“, behauptete sie. Als Khalifa aus dem Fond des Wagens stieg, schlug ihr Herz Purzelbäume.
Sie machte einen Schritt nach vorne, verfing sich mit dem Absatz in einem Gitterrost – und segelte direkt in Khalifas Arme.
Er reagierte blitzschnell, das musste man ihm lassen. Stützte sie am Ellbogen, während er den Arm um ihre Taille legte.
Die unerwartete Berührung brachte Liz völlig aus dem Konzept.
„Passen Sie auf, wo Sie hintreten!“ Echte Besorgnis schwang in diesen barschen Worten mit.
Was nicht dazu beitrug, Liz’ angespannte Nerven zu beruhigen.
Inzwischen hatte der Fahrer ihr Gepäck eingeladen und öffnete einladend die Tür zum Fond der Limousine. Zeit, Abschied zu nehmen. Zitternd vor Aufregung, fiel Liz Gillian um den Hals, bevor sie sich auf den weichen Ledersitz gleiten ließ, gefolgt von Khalifa.
„Wow, das ist ja irre geräumig hier drin. Wissen Sie, ich bin noch nie in einer Stretchlimo durch die Gegend kutschiert worden“, schwärmte sie. Hilfe, jetzt klang sie glatt wie ein alberner Teenager!
Halt die Klappe, Liz.
„Möchten Sie etwas trinken? Eine Limonade vielleicht?“ Khalifa öffnete einen kleinen, gut bestückten Barschrank.
Den Anblick von Wein und Champagner am frühen Morgen um halb sechs fand Liz so amüsant, dass sie sich gelöst zurücklehnte und ein leises Lachen ausstieß.
„Hey, Sie haben es mit einem Tollpatsch zu tun, nicht vergessen. Gar nicht auszudenken, wenn schäumende Orangenlimonade Ihre schicken Sitzbezüge ruiniert. Danke, ich habe gerade meine Dosis Koffein intus, überlebe also die einstündige Fahrt zum Flughafen.“
Da war es wieder – dieses Lachen, das Khalifa so faszinierte. Jedes Mal, wenn er es hörte – was während der vergangenen zehn Tage nicht allzu oft passiert war –, hielt er unwillkürlich inne, um seine neue Mitarbeiterin einfach nur anzusehen. Immer wenn sie etwas zum Lachen brachte – meist etwas völlig Absurdes –, verwandelte sie sich in eine strahlende Schönheit.
„Erzählen Sie mir von Najme“, forderte sie ihn interessiert auf.
Eine seiner leichtesten Übungen! Und die perfekte Ablenkung von den beunruhigenden Gedanken über sexy Dr. Jones.
„Najme bedeutet Stern. Wenn Sie erst die Schönheit der Oase sehen, auf der die Stadt erbaut wurde, verstehen Sie, woher der Name stammt. Dattelpalmen wachsen dort im Überfluss, ebenso wie Gräser und Farne. Die Ufer der gitternetzartig angelegten Wasserläufe sind von Schilfrohr gesäumt. Nach der Entdeckung riesiger Ölvorkommen schien es naheliegend, Al-Jabaya im Norden zur Hauptstadt zu machen, eine seit der Antike florierende Hafenstadt“, erzählte Khalifa.
„Also konzentrierte mein Bruder sich auf den Ausbau der nördlichen Infrastruktur, was zur Folge hatte, dass der Süden hinterherhinkte. Ich betrachte es als meine Aufgabe, diese Region ins einundzwanzigste Jahrhundert zu führen. Allerdings mit dem nötigen Fingerspitzengefühl.“
Gedankenverloren schaute er aus dem Fenster, sah Häuser, Ladenzeilen, Fabriken vorbeiziehen. Ja, Fingerspitzengefühl, das ist das Zauberwort, dachte er. Davon würde er jede Menge brauchen, um Veränderungen in Richtung Moderne zu bewirken, ohne Geschichte und Tradition seines Volkes zu zerstören.
Aus Rücksicht auf diese Traditionen hatte er Zara geheiratet, eine junge Frau aus dem Süden. In der Hoffnung, mit ihr an seiner Seite mehr bewirken zu können.
Und dann hatte er sie im Stich gelassen …
„Ist das Krankenhaus Ihr erstes Projekt dort?“, hörte er Dr. Jones fragen. Dankbar für die Ablenkung, berichtete er von den Bemühungen seines Bruders, dem Land Wohlstand zu bringen, indem er überall moderne Wohnungen und Schulen hatte bauen lassen. Die Gesundheitsversorgung war für alle Bürger kostenlos. Es gab allerdings nur eine Klinik in der Hauptstadt. Für die Menschen aus dem Süden existierte ein kostenloser Flugservice, um im Notfall rasche ärztliche Hilfe zu garantieren.
„Die Menschen aus dem Süden hatten schon immer gewisse Vorbehalte gegen ihre Landsleute aus dem Norden. Im Süden herrschte die Nomadenkultur vor, während die Leute im Norden seit Jahrhunderten sesshaft sind. Die Einwohner von Al-Jabaya waren Seeleute und Perlentaucher. Zwar trieben auch sie Handel wie die Wüstenstämme, aber zur See und nicht mit Karawanen. Auf diese Weise sind sie schon sehr viel eher in Kontakt mit anderen Ländern, anderen Kulturen gekommen, sind von Natur aus weltoffener.“
„Und Sie?“ Ihre Stimme klang sanft, als spürte Dr. Jones, wie sehr ihn das Schicksal seines Volkes bewegte.
„Meine Mutter stammte aus dem Süden, während die Mutter meines Bruders aus dem Norden kam. Mein Vater hat meine Mutter erst ziemlich spät geheiratet, eher aus politischen Gründen, um sich mit dem Süden zu verbinden. Da war die Mutter meines Bruders schon ziemlich alt. Auch meine Frau stammte aus dem Süden …“
Er hielt inne, weil ihm bewusst wurde, dass er seit Zaras Tod mit niemandem über sie geredet hatte. In seinem Umfeld vermied es jeder, sie zu erwähnen, um seine Gefühle zu schonen.
„Ihre Frau …“, hakte Dr. Jones behutsam nach.
„Sie starb bei der Geburt unseres Babys. Zusammen mit unserer Tochter. Es war eine Frühgeburt.“
Als Liz die Qual in Khalifas Stimme registrierte, konnte sie einfach nicht anders, sie legte ihre Hand auf seine.
„Ich verspreche Ihnen, Sie kriegen eine Perinatalstation vom Feinsten.“ Sanft drückte sie seine Hand. „Das bringt Ihnen Ihre Frau und Ihre Tochter nicht zurück, ich weiß. Aber es wird ihnen ein würdiges Andenken setzen.“
Plötzlich verlegen, zog sie die Hand zurück und versteckte sie in ihrem Schoß, um dem Drang zu widerstehen, den Scheich noch einmal zu berühren.
Das darauffolgende Schweigen wurde unerträglich. Liz fiel einfach nichts ein, um die Situation zu entspannen. Ihr war bewusst, dass sie eine unsichtbare Grenze überschritten hatte.
Sie beugte sich vor, um eine Flasche aus dem Barschrank zu nehmen, überbelegte es sich aber anders. Schäumende Orangenlimonade über die edlen Polster und ihren neuen Chef zu spritzen war auch nicht die Lösung. Also fischte Liz eine der Broschüren, die Khalifa ihr gegeben hatte, aus ihrer voluminösen Handtasche und lehnte sich in die Ecke zurück, um zu lesen. Wenn er das Schweigen brechen wollte, bitte.
Er tat es nicht. Fest entschlossen, nicht schon wieder draufloszuplappern, verkniff sie sich jeden Kommentar, als die Limousine an der Abzweigung zum Flughafen vorbeisegelte und in eine kleine Sackgasse einbog. Die führte zu einem mit Stacheldraht bewehrten Eisentor, vor dem ein Mann in der Uniform eines Sicherheitsdiensts patrouillierte.
Zu Liz’ Erstaunen salutierte der Mann ehrfurchtsvoll, als das eiserne Gatter lautlos zur Seite glitt. Die Limousine fuhr direkt auf das Rollfeld und hielt neben einem schnittigen Jet mit laufenden Motoren. Die schwarzen und goldfarbenen Schnörkel auf dem Rumpf der Maschine identifizierte Liz als arabische Schriftzeichen.
Jetzt konnte sie sich nicht länger beherrschen. „Was heißt das?“, wollte sie atemlos wissen, fasziniert vom eleganten Schwung der Schrift.
„Najme“, erwiderte ihr Gastgeber knapp.
Im nächsten Moment war er ausgestiegen und sprach mit einem offiziell aussehenden Mann am Fuß der Gangway.
Der Fahrer öffnete ihr die Tür, und Liz schlüpfte hinaus. Nicht ganz so geschmeidig wie ihr Begleiter, aber wenigstens ohne eine Bauchlandung hinzulegen.
„Dieser Gentleman hier wird Ihren Pass abstempeln, während mein Pilot Ihr Gepäck überprüft“, erklärte Khalifa geschäftsmäßig. „Eine lästige, aber leider notwendige Vorsichtsmaßnahme. Ich bin sicher, Sie verstehen das.“
Liz nickte benommen, froh, dass von ihr nichts weiter erwartet wurde, als das Prozedere abzuwarten. Nachdem sie dem Beamten ihren Pass ausgehändigt hatte, blieb sie neben der Gangway stehen, bis ein junger Mann erschien, der sie bat, an Bord zu kommen.
„Khalifa bringt Ihnen gleich Ihren Pass, und der Pilot lädt Ihr Gepäck ein“, erklärte der junge Mann. „Ich bin Saif, Khalifas persönlicher Assistent. Auf Flugreisen fungiere ich auch als Kabinensteward. Der Chef umgibt sich nicht gern mit Fremden.“
Liz lächelte in sich hinein. Wahrscheinlich hatte der junge Mann keine Ahnung, wie viel er ihr gerade über seinen Herrn und Meister verraten hatte. Aber darüber konnte sie später nachdenken. Jetzt musste sie sich darauf konzentrieren, die Gangway zu erklimmen, ohne über ihre eigenen Füße zu stolpern.
Im Innern der Maschine empfing sie komfortabler Luxus, unaufdringlich elegant, nicht pompös. Cremeweiße, üppig gepolsterte Sessel, bedeckt mit bunten Kissen. Ein feiner Duft hing in der Luft, nicht so aufdringlich wie Moschus – eher ein Rosenaroma mit leichter Zitrusnote.
Saif führte sie zu ihrem Platz. „Bitte setzen Sie sich.“ Er wartete, bis sie sich gehorsam in die weichen Polster hatte sinken lassen, bevor er ihr die Funktionen eines kleinen Monitors erklärte, den er aus dem Klapptischchen an ihrem Sitz hervorzauberte.
„In der Tasche neben Ihrem Sitz finden Sie eine Auflistung sämtlicher Programme und Filme, die Sie an Bord empfangen können. Sobald wir in der Luft sind, dürfen Sie auch gern Ihren Laptop benutzen. Zögern Sie bitte nicht, mich zu rufen, wenn Sie etwas brauchen. Einfach auf den Knopf da vorne drücken.“
In diesem Moment betrat Khalifa die Maschine, und Saif wandte sich ab. Khalifa kam zu ihr, um Liz ihren Pass zurückzugeben. Dann setzte er sich in den Sessel auf der anderen Seite des Gangs.
„Eine ganze Maschine, um zwei Personen durch die Luft zu befördern?“, fragte sie, um eine nonchalante Haltung bemüht.
„Die Maschine lässt sich zu verschiedenen Zwecken umfunktionieren, das schont Ressourcen“, erklärte Khalifa. „Die Flugzeit nach Al-Tinine beträgt fünfzehn Stunden. Ich habe mir überlegt, dass Sie sich in einem Bett wahrscheinlich wohler fühlen werden. Im hinteren Teil der Maschine hat man alles für Ihre Bequemlichkeit hergerichtet.“
„Ein Bett?“ Das war ja wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht. „Darf ich mal gucken?“
Jetzt lächelte er, wahrscheinlich weil sie so aufgeregt und wenig weltmännisch wirkte. Ihr Herz schlug die inzwischen schon vertrauten Purzelbäume. Ups … ein unnahbarer, abweisender Khalifa war eindeutig besser für ihren Seelenfrieden.
„Natürlich dürfen Sie, aber warten Sie bitte, bis wir in der Luft sind. Wie ich sehe, hat der Pilot die Tür bereits geschlossen. Wir sind also startbereit und warten nur noch auf das Okay vom Tower. Soll Saif Ihnen inzwischen etwas zu trinken bringen? Vielleicht einen kleinen Schluck Champagner, um Ihren ersten Trip in einem Privatjet angemessen zu feiern?“
„Ich kann auch mit Orangensaft feiern“, versicherte Dr. Jones rasch, wobei sie die Hand kurz zu ihrem Bauch wanden ließ. Das Mysterium ihrer Schwangerschaft … es wurde immer rätselhafter. Während der vergangenen zehn Tage hatte Khalifa sie nicht eine einzige Bemerkung über ihr Baby machen hören.
Den Vater des Babys hatte sie auch nicht erwähnt. Obwohl Khalifa ein beinahe irrationales Verlangen hatte, mehr über diesen Mann zu erfahren, konnte er sich nicht überwinden nachzufragen.
Natürlich hatte er sich die eine oder andere lockere Bemerkung einfallen lassen, um das Thema unauffällig darauf zu bringen. Hat der Vater des Kindes nichts dagegen, dass Sie ausgerechnet jetzt so weit reisen? Falls Sie zur Geburt des Kindes noch in Al-Tinine sind, wird der Vater dort hinkommen?
Doch dann sagte er sich jedes Mal, dass es ihn nichts anging, und verkniff sich eine Bemerkung.
Und es ging ihn ja auch nichts an. Dr. Jones war schließlich nur seine neue Mitarbeiterin. Okay, eine gewisse Neugier, wie sie tickte, war erlaubt. Mehr aber auch nicht.
Trotzdem machte ihn der seltsame Widerspruch stutzig: die liebevolle Art, wie sie ihre kleinen Patienten behandelte, und die seltsame Distanziertheit bezüglich ihrer eigenen Schwangerschaft.
Diese Frau war wirklich ein Rätsel.
Saif servierte ihnen frisch gepressten Orangensaft, und sie bedankte sich mit einem liebenswürdigen Lächeln, das nicht aufgesetzt wirkte, sondern von Herzen kam. Auch das war Khalifa an ihr aufgefallen: Sie bedachte alle Menschen um sich herum mit aufrichtiger Liebenswürdigkeit.
Im selben Moment wünschte er sich, sie würde ihn ebenfalls so anlächeln …
Stattdessen kramte sie ein paar Unterlagen aus ihrer Tasche und begann konzentriert zu lesen.
Um einem Gespräch auszuweichen?
Die Vorstellung ärgerte ihn. Normalerweise war es nämlich so, dass seine Begleiterinnen nur allzu scharf darauf waren, ihn mit ihrer Aufmerksamkeit zu überschütten. Na gut, Dr. Jones spielte natürlich in einer ganz anderen Liga als seine ehemaligen Verehrerinnen. Die Zeiten, in denen er sich mit solchen Frauen abgegeben hatte, waren ohnehin längst Geschichte.
Aber irgendein Thema musste es doch geben, über das sie reden wollte.
Er beschloss, einfach selbst die Initiative zu ergreifen. „Die kleine Alexandra – Ihr Findelkind –, konnten Sie da schon was regeln?“
Ein freudiges Lächeln erhellte ihr Gesicht. Sofort wünschte Khalifa, es gelte ihm und nicht dem Kind …
„Ja, stellen Sie sich nur vor, wie durch ein Wunder ist ihre Großmutter aufgetaucht. Die Familie stammt aus Melbourne. Rose, so heißt die Großmutter des Babys, hat uns erzählt, dass ihre Tochter schon länger etwas zu belasten schien. Dann ist sie zu einer Rucksacktour durch Australien aufgebrochen. Erst als Rose in den Fernsehnachrichten von dem Fall gehört hat, zählte sie eins und eins zusammen.“
Für Khalifa eine ziemlich befremdliche Vorstellung. In seiner Kultur lebten Frauen in enger Gemeinschaft. Es war nicht üblich, dass eine unverheiratete junge Frau allein zu einer längeren Reise aufbrach. Eine Schwangerschaft ließe sich in so einem Umfeld unmöglich verheimlichen.
„Hat die Tochter bei ihrer Mutter gewohnt?“, hakte er interessiert nach. „Oder sie zumindest regelmäßig getroffen? Hätte die Mutter die Schwangerschaft nicht bemerken müssen?“
Die Frage brachte ihm ein Lächeln ein.
„Die Tochter war wohl schon immer ziemlich füllig, so fiel die beginnende Schwangerschaft nicht so auf. Und sie hat sich natürlich zwischendurch immer wieder von den verschiedenen Stationen ihrer Reise gemeldet. Zu der Zeit, als man Alexandra fand, hatte sie sich in Brisbane aufgehalten. Jetzt scheint sie irgendwo im Landesinneren zu sein, deutlich dünner, wie die Fotos belegen, die sie ihrer Mutter vom Handy aus geschickt hat.“
„Daraufhin hat diese Rose also Kontakt zu Ihnen aufgenommen?“
„Ja, noch während die Nachrichten liefen. Rose scheint eine resolute Frau zu sein. Für sie kommt es überhaupt nicht infrage, dass ihr Enkelkind in einer Pflegefamilie landet. Per DNA-Test konnte die Verwandtschaft zweifelsfrei nachgewiesen werden. Gestern war Rose da, um ihre Enkeltochter abzuholen. Falls ihre Tochter nicht bereit oder in der Lage ist, sich um Alexandra zu kümmern, wird Rose diese Aufgabe nur zu gern übernehmen.“
„Na, dann sind ja alle glücklich und zufrieden“, sagte Khalifa und unterstrich seine Worte mit einem breiten Lächeln, das Liz auf sehr angenehme Art durch und durch ging.
Ups, das konnte ja heiter werden! Immerhin musste sie während der kommenden Wochen oder Monate mit diesem Mann zusammenarbeiten. Wenn sie bei jedem Lächeln zu einem liebeskranken Teenager mutierte, dann gute Nacht.
„Ja, ein Happy End für alle Beteiligten“, stimmte sie zu. „Ich muss zugeben, dass auch ich sehr erleichtert bin. Ich wäre ungern abgereist, ohne dass Alexandras Schicksal geklärt war.“ Nach kurzem Zögern fügte sie wider besseres Wissen hinzu: „Nichts ist schlimmer, als in der Luft zu hängen.“
Schnell konzentrierte sie sich wieder auf die Papiere in ihrem Schoß, obwohl sie deren Inhalt schon auswendig kannte. Liz hielt sich stets auf dem Laufenden, was ihre Arbeit betraf. Trotzdem wollte sie sich noch einmal mit den neuesten Erkenntnissen in der Perinatalmedizin beschäftigen, um beim Aufbau der neuen Station in Al-Tinine auch wirklich jeden Aspekt zu berücksichtigen.
Al-Tinine … Wenn Najme Stern hieß, welche Bedeutung hatte dann Al-Tinine? In den Prospekten, die Khalifa ihr gegeben hatte, stand bestimmt etwas darüber geschrieben. Liz beugte sich vor, um die Infobroschüren aus ihrer Tasche zu fischen.
Natürlich hätte sie auch fragen können.
Aber das bedeutete, eine neue Unterhaltung anzufangen. Dann müsste sie ihn ansehen, und womöglich würde er dann lächeln und …
Autsch!
Reichte es nicht, dass sie ein Elefant im Porzellanladen war? Entwickelte sie sich jetzt etwa auch noch zu einem unbeholfenen Klotz?
Hey, es muss daran liegen, was du während der vergangenen Monate alles durchgemacht hast, beruhigte sie sich. Das würde sich schon geben, und sie würde sich auf gewohnt professionelle Art ihrer Arbeit widmen. Hoffte sie wenigstens.
Dann wäre sie sicher auch endlich in der Lage, zu entscheiden, was aus dem armen Baby werden sollte!
Heimlich, die Hand unter den Papieren verborgen, tätschelte sie ihren gerundeten Bauch, als wollte sie sagen: Mach dir keine Sorgen, Kleines, das wird schon!
In Wirklichkeit hatte Liz nach wie vor nicht den geringsten Schimmer, wie sie dieses Problem lösen sollte. Okay, Oliver war immer noch der Vater des Babys. Sollte er irgendwann – hoffentlich bald! – in der Lage sein, sich um das Kind zu kümmern, dann war alles gut. Aber bis dahin …
Um die düsteren Gedanken zu verdrängen, warf sie kurzerhand ihren guten Vorsatz über den Haufen, nicht mit Khalifa zu reden. „Der Name Al-Tinine – hat er eine Bedeutung?“
Wieder mal typisch – natürlich musste Khalifa jetzt unbedingt lächeln!
Und weil er so dicht neben ihr saß, bemerkte sie auch das humorvolle Aufblitzen in seinen dunklen, samtweichen Augen.
Einfach hinreißend!
Elektrisierende Schauer durchliefen ihren Körper – schwangere Frauen sollten einer solch süßen Tortur nicht ausgesetzt werden!
„Warten Sie ab, und sehen Sie selbst“, meinte er so verheißungsvoll, dass das erregende Prickeln sich noch intensivierte. Oh nein, wie peinlich war das denn! Der Mann redete über den Namen seines Heimatlands, nicht über einen heißen Quickie im hinteren Teil der Flugzeugkabine.
Das Bett – ob es wohl ein Doppelbett war?
Kingsize?
Sofort lief in ihrem Kopfkino ein erotischer Streifen ab. Liz brauchte ihre ganze Willenskraft, um sich zusammenzureißen.
Konzentrier dich auf das Projekt!
Najme hatte ungefähr fünfzigtausend Einwohner und eine hohe Geburtenrate. Gut ein Drittel der Bevölkerung setzte sich aus nicht einheimischen Lehrern, Ärzten und anderen Fachkräften zusammen, die man angeheuert hatte, um die Modernisierung voranzutreiben.
Das bedeutete, drei Intensivbetten wären eigentlich völlig ausreichend. Wieso plante Khalifa in so großen Dimensionen?
„Erwarten Sie ein ansteigendes Bevölkerungswachstum oder weitere Zuwanderer in Najme? Oder weshalb planen Sie so großzügig?“
Die Frage war heraus, bevor Liz registrierte, dass Khalifa gerade mit Saif sprach. „Entschuldigen Sie bitte, ich wollte Sie nicht unterbrechen. Ich habe nur laut nachgedacht.“
Kein Lächeln diesmal. Auch gut. Warum war sie dann enttäuscht?
„Ich bespreche das Menü, und Sie denken an die Arbeit.“
In seiner Stimme schwang genug Belustigung mit, um das elektrisierende Prickeln wieder zu aktivieren. Oh … schön …
„Machen Sie denn nie Pause?“
„Heute ist Dienstag, ein ganz normaler Arbeitstag für mich. Und ja, klar mach ich mal Pause. Aber erst wollte ich noch diese Statistiken überprüfen.“
Jetzt lächelte er beinahe.
„Die Klinik versorgt nicht nur die eine Stadt, sondern ein Einzugsgebiet mit noch mal fast genauso vielen Bewohnern. Ich möchte für den Zeitpunkt gewappnet sein, wenn auch Angehörige der entlegenen Stämme sich der westlichen Schulmedizin anvertrauen. Wissen Sie, das ist ein ganz schöner Spagat. Das kulturelle Erbe meines Volkes zu bewahren und gleichzeitig den Schritt ins einundzwanzigste Jahrhundert zu schaffen. Dabei steht viel auf dem Spiel.“
„Zum Beispiel?“
„Traditionelle Werte und Fertigkeiten. Ein Beispiel: Die Muster, die die Frauen in ihre Matten weben, erzählen die Geschichte ihres Stamms. Diese Symbole zu lesen, wird seit Generationen an die Kinder weitergegeben. Jetzt gehen die Kinder zur Schule, leben oft gar nicht bei ihren Eltern, sondern in Internat, und lernen ganz andere Dinge. Wie lässt sich da gleichzeitig die Stammesgeschichte lebendig erhalten?“
Er seufzte. „Im Moment erwarte ich ja noch gar nicht wirklich, dass die Frauen einen Gynäkologen konsultieren und ihre Babys im Krankenhaus zur Welt bringen. Aber ich hoffe, dass sie wenigstens medizinische Hilfe suchen, wenn ein Neugeborenes ernsthaft erkrankt ist.“
Liz fragte sich, ob es ihm wohl sehr schwer fiel, über dieses Thema zu sprechen. Vermutlich weckte es schmerzliche Erinnerungen an seine verstorbene Frau.
„Natürlich gibt es und gab es auch schon immer traditionelle Hebammen, die den Frauen bei der Geburt beistehen“, erzählte er weiter. „Das ist ein guter Ansatzpunkt. Wir machen junge Stammesfrauen mit moderner Geburtshilfe vertraut. Die geben ihr Wissen dann an die traditionellen Hebammen weiter. So entsteht eine Art Schneeballsystem. Wir hoffen, auf diese Weise unter den Stämmen zu verbreiten, dass wir einem kranken oder schwachen Säugling Hilfe zum Überleben bieten können.“
„Da habe ich eine Idee. In Begleitung eines Übersetzers – oder auch zusammen mit Ihnen, wenn Ihre Zeit es erlaubt – könnte ich einige dieser abgelegenen Gebiete besuchen, wir könnten sogar ein Klinikbett mitnehmen. Um zu demonstrieren, wie wir die kranken Babys behandeln. Und sie zu beruhigen, dass die Familien als Besucher in der Klinik willkommen sind.“
Jetzt lachte Khalifa laut auf. „Bei uns bedeutet Familie nicht das, was Sie sich darunter vorstellen. Hier bekommen Sie es mit Tanten, Cousinen, Schwestern, Großmüttern zu tun – vierzig bis fünfzig Personen, die alle am Bett des Patienten Wache halten wollen.“
„Wirklich so viele?“ Liz fiel in sein Lachen mit ein. Als sie seinem Blick begegnete, schien plötzlich die Zeit stillzustehen. Intensiv sahen sie einander an. Erst Saifs Ankündigung, dass gleich das Menü serviert würde, zerstörte den Zauber.
Das Essen entpuppte sich als kulinarische Offenbarung. Die Vorspeise bestand aus eisgekühlten Melonenspalten und süßen roten Erdbeeren mit einem leichten Minzsirup. Danach gab es knusprige Entenbrust, angerichtet auf einem Bett aus ebenso knusprig gebratenen Kartoffelscheiben, dazu frischen weißen Spargel mit Buttersoße.
Bei den süßen Köstlichkeiten zum Dessert musste Liz passen. Stattdessen bediente sie sich reichlich von den frischen Früchten und dem delikaten Käse. Die Datteln, die dazu serviert wurden, waren weich und süß.
„Die stammen aus Najme“, erklärte Khalifa. „Ich darf mich rühmen, dass wir die besten Datteln der Welt produzieren.“
„Ah, gibt es tatsächlich so etwas wie eine Dattelolympiade?“, neckte sie ihn. „Nach welchen Kriterien beurteilt man die Kandidaten: Farbe und Größe? Geschmack?“
Forschend musterte Khalifa sein Gegenüber. Wo war die angespannte, gestresste Ärztin geblieben, die er in der Klinik erlebt hatte? War dies die echte Elizabeth Jones? Unbeschwert, fröhlich, immer zu Scherzen aufgelegt?
Um das beurteilen zu können, kannte er sie noch nicht lange genug. Plötzlich kam ihm ein Gedanke: Hatte es womöglich mit dem Vater des Kindes zu tun? Fühlte sie sich deshalb so entspannt, weil sie ihm entkommen war?
„Wir wissen einfach, dass unsere die besten sind“, behauptete er nachdrücklich. „Mit einer Dattelolympiade können wir zwar nicht dienen, aber vielleicht lassen Sie sich von unseren Falken beeindrucken. Unsere ‚Falkenolympiade‘ fällt genau in den Zeitraum Ihres Aufenthalts.“
Interesse blitzte in ihren Augen auf. „Falken?“
„Die Falknerei hat eine lange Tradition im gesamten Orient. Ein kulturelles Erbe, das wir unbedingt bewahren wollen. Sie werden staunen, welch prachtvolle Exemplare Sie zu sehen bekommen.“
„Falken“, wiederholte sie leise und lächelte in sich hinein. „Jetzt weiß ich mit Sicherheit, dass ich auf dem Weg in eine völlig andere Welt bin. Ich danke Ihnen.“ Ernst fügte sie hinzu: „Für diese Chance … und so viel mehr.“
Leise seufzend öffnete sie ihren Sicherheitsgurt und stand auf. „Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt gern mal das Flugzeugbett testen.“
Sofort eilte Saif herbei, der sich abrufbereit hinter dem Vorhang zur Bordküche aufhielt. Höflich nahm er Dr. Jones’ Arm und führte sie zur Schlafkabine.
Und nein, er, Khalifa bin Saif Al-Zahran, war nicht eifersüchtig auf seinen Assistenten, der das Privileg hatte, ihr so nahe zu sein. Warum sollte er auch?
Hinreißend oder nicht, die Frau war schließlich nur seine Mitarbeiterin.
Doch dann dachte er an diesen magischen Moment, als ihre Blicke sich getroffen hatten, und fragte sich, wem er hier eigentlich etwas vormachen wollte.
3. KAPITEL
Als Khalifa einige Stunden später die Tür zur Schlafkabine öffnete, nachdem er leise angeklopft hatte, schlief Dr. Jones bereits tief und fest, das kastanienrot schimmernde Haar auf dem weißen Kissen ausgebreitet. Wie es ihn reizte, mit den Fingern durch diese seidige Pracht zu streichen …
Er störte ihre Privatsphäre nur ungern. Aber der Pilot hatte ihn gewarnt, dass sie gleich ein Gebiet mit Turbulenzen durchfliegen würden. Khalifa wollte nicht, dass Dr. Jones unsanft aus dem Bett katapultiert wurde. An der Wand neben dem Bett waren Gurte angebracht, ähnlich denen an den Sitzen.
Würde er es hinkriegen, die Gurte zu schließen, ohne Dr. Jones aus dem Schlaf zu reißen?
War es nicht eigentlich völlig unangemessen, was er hier tat?
Sollte er sie nicht lieber aufwecken, damit sie sich selbst anschnallen konnte? Aber ihr Gesicht sah im Schlaf so wundervoll gelöst aus, alle Anspannung schien verschwunden.
Hm, er sollte sie nicht anstarren wie … wie ein Mann eine Frau ansah, die er begehrte.
Na ja, beim Anschnallen musste er natürlich schon hinschauen, wie sollte er es sonst bewerkstelligen? Behutsam zog er die Gurte über ihren Körper. Sie lag auf der Seite, der gewölbte Bauch war gut sichtbar. Ein Bein hatte sie angewinkelt, um ihr Gewicht auszubalancieren.
Khalifa zog die Gurte straff, allerdings nicht zu fest, um ihren Bauch nicht einzuschnüren. Unter dem dünnen Laken, mit dem sie sich zugedeckt hatte, konnte er die Konturen ihres Körpers deutlich erkennen. Sein Blick fiel auf ihr Gesicht. Ohne die dunkel gerahmte Brille wirkte es irgendwie verletzlich. Ein hübsches Gesicht, das Entschlossenheit, aber auch Wärme ausdrückte.
Er musste sofort hier raus.
Allein die Vorstellung, dass sie aufwachte und ihn dabei ertappte, wie er sie anstarrte …!
Doch Khalifa schaffte es nicht, sich von der Stelle zu rühren. Den Blick – nicht lüstern, eher erstaunt – fest auf sie gerichtet, stand er da und wunderte sich. Nie zuvor war er einer Frau begegnet, die ihm solche Rätsel aufgab.
Das ist ganz natürlich, soufflierte sein gesunder Menschenverstand. Schließlich kennst du sie ja kaum!
Und wirst sie vermutlich auch nie richtig kennenlernen. Sie anzuglotzen wie ein liebestoller Idiot bringt dich allerdings auch nicht weiter.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass nichts herumstand, was sich im Fall von Turbulenzen in ein gefährliches Geschoss verwandeln könnte, verließ er widerstrebend die Kabine.
Auf dem Weg zurück zu seinem Platz fragte er sich, ob es nicht ein
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