Julia Ärzte zum Verlieben Band 72

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BITTERSÜß WIE DEINE KÜSSE von LOWE, FIONA
Ausgerechnet ihr Boss Dr. Luke Stanley bittet sie, sich um seine kleine Tochter zu kümmern! Chloe kann dem frisch verwitweten Singledad seinen Wunsch nicht abschlagen. Doch bald weckt Luke nicht nur ihr Mitgefühl, sondern auch eine ebenso verlockende wie verbotene Sehnsucht …

VERSUCHUNG FÜR SCHWESTER BELLA von ROBERTS, ALISON
Bella ist hin- und hergerissen: Soll sie als Privatschwester für Dr. Oliver Dawsons Mutter arbeiten? Dann müsste sie unter einem Dach mit ihm leben. Mit einem Mann, dessen Blicke sie sinnlich erschauern lassen - und der für sie doch nur Verachtung zu empfinden scheint …

MEIN EX, EIN BABY UND ICH von RUTTAN, AMY
Charlotte wollte ihren sexy Exverlobten Dr. Quinn Devlyn nie wiedersehen, aber jetzt ist er ihre einzige Hoffnung. Nur mit seiner Hilfe kann sie das Baby ihrer besten Freundin retten. Hauptsache, sie lässt sich nicht noch einmal von ihm den Kopf verdrehen …


  • Erscheinungstag 30.01.2015
  • Bandnummer 0072
  • ISBN / Artikelnummer 9783733702793
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Fiona Lowe, Alison Roberts, Amy Ruttan

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 72

FIONA LOWE

Bittersüß wie deine Küsse

Ein rubinroter Kussmund, ein sinnliches Lächeln und weibliche Kurven: Schwester Chloe weckt heißes Verlangen in Dr. Luke Stanley, als er nach seinem Sabbatjahr ins Gold Coast City Hospital zurückkehrt. Was ist nur mit ihm los? Seit dem schmerzlichen Verlust seiner Frau hat er sich doch geschworen, keine andere mehr anzusehen – geschweige denn, zu begehren …

ALISON ROBERTS

Versuchung für Schwester Bella

Dr. Oliver Dawson hat eine Regel: Triff dich nie mit Krankenschwestern. Doch was soll er tun, wenn seine Mutter ausgerechnet die bildschöne, betörende Bella als Privatschwester engagiert? Tag und Nacht mit Bella unter einem Dach, gerät Oliver gegen seinen Willen bald immer stärker in Versuchung. Und plötzlich steht sein geordnetes Leben Kopf …

AMY RUTTAN

Mein Ex, ein Baby und ich

Auf was hat er sich da bloß eingelassen? Spontan hat Dr. Quinn Devlyn sich bereit erklärt, seine Exverlobte Dr. Charlotte James wiederzutreffen – natürlich nur, um ihr bei der Rettung eines Babys zu helfen. Doch auch fünf Jahre nach ihrer Trennung ist da sofort wieder diese unwiderstehliche erotische Spannung zwischen ihnen …

GOLD COAST CITY HOSPITAL

DAS TEAM:

 

Dr. Callie Richards

Neonatal-Spezialistin

Dr. Cade Coleman

Pränatalchirurg

Dr. Nikolai (Nick) Kefes

Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe

Dr. Luke Stanley

Chefarzt plastische Chirurgie

Richard

Oberarzt

Keri Letterman

Stationsschwester

Chloe Kefes

Krankenschwester

Julie

Röntgenassistentin

Lizzie

Stationssekretärin

Kate

Krankenschwester

Greg Lindall

Pfleger

Emily

Schwesternschülerin

Jean

Agenturschwester

Dr. Ken Mendaz

Neurochirurg

Sarah Watson

Intensivpflegeschwester

Lisa

Krankenschwester

Sara Hennessy

Krankenschwester

   

PATIENTEN:

   

Nengah Putu

Mr Tan

Ethan Popovic

Glenda Wharton

Mrs Luciano

Harry Jameson

Finn Hudson

Mr Morgan

Baby Nicols

   

UND:

 

Tahlia

Keris Tochter

Jack

Kates Sohn

Phil

Kates Mann

Mrs Putu

Nengahs Mutter

Anna

Lukes Frau

Amber

Lukes Tochter

Stephanie (Steph) Markham

Lukes Schwester

Marty

Stephanies Mann

Elspeth, Lexie, Jess

Stephanies Töchter

Darren

Tischlerlehrling

Dr. Alex Rodriguez

Neurochirurg (Angel Mendez Children’s Hospital)

1. KAPITEL

„Alles Gute zum Geburtstag!“

Jubelrufe und Glückwünsche regneten auf sie herab, bunte Luftballons schwebten an die Decke, und Chloe Kefes wusste nicht, ob sie lachen oder weinen oder die Flucht ergreifen sollte. Zumute war ihr vor allem nach Letzterem, als sie überrascht in die lächelnden Gesichter ihrer Kolleginnen und Kollegen starrte.

Langsam betrat sie das Konferenzzimmer, wurde von allen umringt und umarmt, bis ihr schließlich jemand einen Styroporbecher mit einem kleinen Schluck Sekt in die Hand drückte.

Chloe hatte nicht den geringsten Verdacht geschöpft, als sie kurzfristig zu einer wichtigen Fallbesprechung gerufen wurde. Die Abteilung für Plastische Chirurgie des Gold Coast City Hospitals brummte wie ein Bienenstock, da musste es manchmal schnell gehen. Das hier jedoch war eine raffinierte Finte gewesen.

„Auf Chloe!“ Sie erhoben ihre Becher.

„Alles Liebe, Chloe.“

„Lass dich feiern.“

Wieder wurde sie gedrückt, oder man klopfte ihr auf die Schulter, und dann verschwand die Hälfte der Anwesenden eilig, um wieder an die Arbeit zu gehen.

„Pass auf, dass Richard nicht alle Tim Tams aufisst“, rief Julie, die Röntgenassistentin, ihr noch über die Schulter zu.

Übrig blieben neben ihrer Kollegin Kate und der Stationsschwester diejenigen, die jetzt Dienstschluss hatten: eine Krankenpflegeschülerin, ein Medizinstudent und der Oberarzt Richard, der einen Ruf als Schokoladenjunkie weghatte.

Chloe fand allmählich ihre Sprache wieder. „Oh, Leute, das hättet ihr nicht machen müssen.“ Ich wünschte, ihr hättet es nicht getan.

Keri Letterman, die Stationsschwester, lächelte zufrieden. „Hast du etwa geglaubt, dass wir deinen Dreißigsten sang- und klanglos vorbeiziehen lassen?“

„Wow“, meinte der gerade mal zwanzigjährige Student leise zu der einundzwanzigjährigen Schwesternschülerin. „Für so alt habe ich sie nicht gehalten.“

Ein fröhliches Lächeln wollte Chloe nicht so ganz gelingen, und auch ihre Antwort kam nicht so unbefangen heraus, wie sie es sich gewünscht hätte. „Eigentlich nicht.“ Bis vor wenigen Minuten hatte sie noch geglaubt, dem Radar der Geburtstagspolizei, wie Keri und Kate auch genannt wurden, entgangen zu sein. Allerdings hätte sie es besser wissen sollen nach dem Trubel, den der fünfzigste Geburtstag der Stationssekretärin ausgelöst hatte. Woran Lizzie selbst nicht ganz unschuldig gewesen war, da sie den Countdown Tage vorher schon bei jeder sich bietenden Gelegenheit mitgezählt hatte.

Chloe hingegen hatte keiner Menschenseele verraten, dass sie Geburtstag hatte, und erst recht nicht, dass es der gefürchtete dreißigste war.

„Gut, dass ich Nick und Lucy mit ihren süßen Zwillingen in der Kantine getroffen habe. Sie haben mir erzählt, dass heute dein besonderer Tag ist. Von dir hätten wir es ja wohl nie erfahren.“

Richtig. „Wer braucht Feinde, wenn er einen großen Bruder hat?“, scherzte Chloe. Im Gegensatz zu anderen hier am Krankenhaus brachte sie ihr Privatleben nicht mit an den Arbeitsplatz – auch, weil sie so gut wie keins hatte.

Stattdessen redete sie über ihr neues Apartment mit Meerblick – es brauchte ja niemand zu wissen, dass sie vom Ozean nur einen kleinen Ausschnitt von ihrer Küchenzeile aus sah – und von Wanderungen im Regenwald rund um den Mount Warning oder ihren jüngsten Abenteuern beim Seekajakfahren. Viel persönlicher wurde sie nicht.

Aus gutem Grund. Schon vor langer Zeit hatte Chloe gelernt, dass die Leute umso mehr fragten, je offener man aus seinem Leben erzählte. Solange sich die Fragen um die letzten beiden Jahre drehten, war alles in Ordnung. An die Zeit davor mochte sie nicht einmal denken.

„Und, was hast du geschenkt bekommen?“ Richard leckte sich Schokolade von den Fingern.

Sie holte ein Foto aus ihrer Kitteltasche. „Chester.“

„Oh, ist der niedlich!“ Ihre Kollegin Kate überschlug sich fast vor Begeisterung. „Wie alt ist er?“

„Acht Wochen.“

„Der ist ja noch klein. Wer passt auf ihn auf, wenn du arbeitest?“

„Ich bringe ihn in die Hunde-Kita.“

„Hunde-Kita?“ Richard verdrehte die Augen. „Wenn du uns hier Fotos von einem Hund zeigst, ist das nur ein Zeichen, dass du einen Mann und ein Baby brauchst.“

Die Worte waren wie Messerstiche, und sie hatte Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Richard war ein netter Kerl, der allerdings keine Ahnung hatte, wie sehr sie sich nach einer eigenen Familie sehnte.

Ein Wunsch, der nie in Erfüllung gehen würde.

„Hunde sind viel einfacher“, entgegnete sie betont unbekümmert. „Und im Gegensatz zu dir ist mein Hündchen gut erzogen.“

Richard lachte gutmütig. Sein Pager klingelte, und nach einem kurzen Blick darauf bedeutete er Student und Schülerin, ihm zu folgen, schnappte sich die letzten beiden Schokoladenkekse und verließ mit einem verschmitzten Lächeln den Raum.

Keri betrachtete das Bild von Chester. „Er ist wirklich süß. Habe ich dir schon das Foto von Tahlia gezeigt, wo sie als Katze verkleidet ist?“

„Ja.“ Chloes Lächeln drohte einzufrieren. Sie hatte alle Fotos von Tahlia gesehen, angefangen von dem Moment, als sie nach der Entbindung auf der Brust ihrer Mutter lag, bis zu den jüngsten Aufnahmen von der Feier zu ihrem zweiten Geburtstag. Ganz die stolze Mutter, teilte Keri ihre Freude über jeden Entwicklungsschritt ihrer kleinen Tochter mit jedem, der es hören wollte. Und mit allen anderen auch.

„Jack fährt jetzt ohne Stützräder.“ Kate holte ihr Handy aus der Tasche und zeigte eine Aufnahme ihres zweiten Sohns.

„Er ist so groß geworden“, meinte Keri.

„Wahnsinn, wie schnell das geht. Ich weiß noch, wie er seine ersten Schritte machte, und jetzt ist er sechs und fährt Fahrrad.“ Kate wischte über das Display. „Hier, Chloe, das musst du dir ansehen.“

„Toll“, antwortete sie schwach. Mit dem Foto von Chester wollte sie sich eigentlich vor solchen Situationen schützen. Leider schien die Sache nach hinten loszugehen. Der tapsige Welpe erinnerte die anderen nur daran, dass sie süße Kinder hatten.

„Alles okay, Chloe?“

Sie besserte ihr Lächeln nach, strahlend, so gut es ging. „Klar, wieso?“

„Du zerdrückst gleich deinen Becher.“

„Dann brauche ich wohl mehr Sekt.“ Sie schnappte sich die Flasche, goss sich einen großen Schluck ein und kippte ihn hinunter.

Kate hielt ihr ihren Becher hin, damit sie nachfüllte. „Und, was hast du heute Abend Schönes vor?“

Mit Chester am Strand spazieren gehen, mir was vom Inder holen und ins Bett kriechen und alle vier Staffeln der neuen Serie sehen. Kate wäre allerdings entsetzt. Verheiratet und als Mutter kleiner Kinder sah sie das Single-Dasein und die damit verbundenen Freiheiten in verklärtem rosigem Licht.

„Ich bin mit ein paar Freunden im Bedroom.“ Was nicht völlig gelogen war. Schlafzimmer ist Schlafzimmer.

Kates Augen leuchteten auf. „Oh, ich war ewig nicht mehr in einem Nachtklub. Du bist zu beneiden, Chloe.“

„Ich wette, Nick und Lucy werden dich von vorn bis hinten verwöhnen.“ Keri fing an, aufzuräumen.

Chloe dachte an ihren wunderbaren großen Bruder, den einzigen Menschen, auf den sie sich seit ihrem sechzehnten Lebensjahr immer hatte verlassen können. Sie hatten viel durchgemacht, sich oft gegenseitig aufgerichtet, wenn einer von ihnen den Mut zu verlieren drohte. Das hatte sie nur noch mehr zusammengeschweißt.

Vor Kurzem hatte Nick geheiratet, und Chloe freute sich sehr für ihn. Ihre Schwägerin Lucy war genau die Frau, die er brauchte. Aber mit der Hochzeit und der Geburt der Zwillinge änderte sich sein Leben, und natürlich stand jetzt nicht mehr seine Schwester für ihn im Mittelpunkt. Chloe mochte Lucy, und sie liebte auch ihre kleinen Nichten. Trotzdem fiel es ihr schwer, sie um sich zu haben, und manchmal vermisste sie ihren Bruder einfach.

„Nick hat es geschafft, dass das Café Sunset heute für uns schon um sechs aufgemacht hat. Wir haben draußen gefrühstückt und den Sonnenaufgang …“

„Tut mir leid, wenn ich die Feier unterbrechen muss.“

Chloe fuhr herum. Die tiefe, leicht abschätzige Männerstimme hörte sich nicht so an, als ob ihrem Besitzer auch nur irgendetwas leidtäte.

„Luke?“ Keri stieß einen kleinen Freudenschrei aus und lief zu ihm, umarmte ihn.

Steif blieb er stehen und ließ die Sympathiebekundung über sich ergehen wie jemand, der ohne Schirm im Regen warten muss – in der Hoffnung, dass der Schauer bald vorübergeht.

Chloe blinzelte, hätte am liebsten ihre Brille geputzt. Dieser hagere Mann mit den silbergrauen Schläfen sollte Luke Stanley sein? Der Chirurg, der nicht nur für seine herausragenden Fähigkeiten auf dem Gebiet der plastischen Chirurgie, sondern auch für seine humorvolle, entspannte Art äußerst beliebt war? Ihre Erinnerungen passten nicht zu dem Bild, das er jetzt bot.

Nicht dass sie ihn persönlich gut gekannt hätte. Im Grunde waren sie sich nur ein einziges Mal begegnet, vor ungefähr einem Jahr. Chloe wurde heute noch rot, wenn sie daran dachte.

Es war ihr erster Tag auf der Station gewesen.

Wegen ihres Alters hielt jeder sie für eine erfahrene Krankenschwester. Woher sollten sie auch wissen, dass ihr Leben mit sechzehn eine dramatische Wendung genommen hatte, die alle ihre Pläne für Schule und Beruf über den Haufen warf? Chloe war achtundzwanzig, als sie ihr Studium abschloss. Deshalb musste sie doppelt so hart arbeiten wie ihre jüngeren Kolleginnen, denen man aufgrund ihrer Jugend einiges nachsah.

Chloe war also entschlossen, keine Fehler zu machen. An jenem ersten Tag konzentrierte sie sich auf den Verbandswechsel bei einem Patienten, dem ein Finger wieder angenäht worden war. Während sie in Gedanken abhakte, was zu tun war und welches Material sie brauchte, ertönte hinter ihr eine tiefe, wohlklingende Stimme.

„Hallo, Mr Benjamin.“

Erschrocken wirbelte sie herum und vergaß dabei völlig, dass sie eine offene Flasche mit Jodlösung in der Hand hielt. Angetrieben von der plötzlichen Bewegung schoss die rotbraune Flüssigkeit heraus, flog durch die Luft, verharrte einen Moment, wie um Chloe und ihre Ungeschicklichkeit zu verspotten, bevor sie sich der Schwerkraft ergab und auf Chefarzt Dr. Stanley landete. Ihrem neuen Boss.

Als die hässlichen dunklen Flecken sich auf seinem fein gestreiften Hemd ausbreiteten, hätte Chloe in Tränen ausbrechen können.

„Oh, es tut mir so leid“, stammelte sie. „Natürlich werde ich Ihnen das Hemd ersetzen.“ Auch wenn ihr Gehalt nicht darauf ausgelegt war, Zweihundert-Dollar-Hemden einzukaufen, so musste sie wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. Und mal wieder in den Topf mit dem mühsam angesparten Geld für einen Wagen greifen.

Dr. Stanley hob den Kopf und lächelte. Sein gelocktes schwarzes Haar schimmerte im Licht wie Rabengefieder. „Das ist nun heute schon der dritte Angriff, den dieses Hemd aushalten muss. Meine Frau verzieht jedes Mal das Gesicht, wenn ich es trage. Damit meint sie anscheinend, dass es nicht meine Farbe ist und ich Hemden lieber nicht allein aussuchen sollte“, meinte er gut gelaunt. „Unser Baby scheint der gleichen Ansicht zu sein, sonst hätte es sich nicht darauf erbrochen, als ich schon fast zur Tür hinaus war. Und jetzt dies. Ich glaube, Sie haben mir einen Gefallen getan, Schwester … Entschuldigung, ich weiß gar nicht Ihren Namen.“

„Kefes. Chloe Kefes. Ich habe heute hier angefangen.“

„Sie kümmert sich großartig um mich, Doc“, mischte sich Mr Benjamin ein.

Chloe hätte ihn umarmen können.

„Davon bin ich überzeugt.“ Dr. Stanley machte ein nachdenkliches Gesicht. „Unser Geburtshelfer hieß Kefes. Er arbeitet auch hier am Gold Coast City, und ich glaube, meine Frau hat sich heimlich in ihn verliebt, als er unsere kleine Amber auf die Welt holte.“ Er lachte, zog sein Smartphone hervor und zeigte ihr ein Neugeborenes in einer Babybadewanne.

Mit den großen dunklen Augen und dem schwarzen Haarschopf sah das Kind seinem Vater sehr ähnlich. Chloe dachte an ein anderes, ein verlorenes Baby und zitterte am Abgrund der tiefen Schlucht voll Trauer und Reue, die sich immer wieder in ihr auftat.

„Das ist Amber, eine Stunde nach ihrer Geburt.“ Dankbarkeit und Respekt schwangen in seiner Stimme mit. „Glauben Sie mir, ich habe ihn genauso bewundert wie meine Frau. Sie sind nicht zufällig mit ihm verwandt?“

Um nicht an Babys denken zu müssen, griff sie nach der Unterhaltung über ihren Bruder wie nach einer Rettungsleine, und der bedrohliche Abgrund wich zurück. „Nick ist mein Bruder, und er ist wirklich bewundernswert, nicht nur als Arzt.“

Chloe allein wusste, welche Opfer Nick gebracht und wie hart er gearbeitet hatte, um dort anzukommen, wo er heute stand. Deshalb freute sie sich besonders, wenn jemand ihn so begeistert lobte wie Dr. Stanley.

Der lächelte anerkennend. „Geschwister, die sich beide für die Medizin entschieden haben. Sind Sie in einer Arztfamilie aufgewachsen?“

Sie schüttelte den Kopf, wehrte die bedrückenden Erinnerungen heftig ab. „Sind Sie sicher, dass ich Ihnen das Hemd nicht ersetzen soll?“

„Absolut.“ Wieder lächelte er auf diese unbefangene, charmante Art. „Machen Sie sich keine Gedanken. Anna wird sich vielleicht sogar bei Ihnen bedanken, dass Sie es endgültig ruiniert haben.“ Er wandte sich seinem Patienten zu. „So, Mr Benjamin, dann zeigen Sie mir mal Ihre Hand. Wir wollen sehen, ob meine Näharbeit Ihre Begegnung mit der Kreissäge wieder wettgemacht hat.“

Es war Chloes erste und einzige Begegnung mit Luke Stanley – bis heute. Nicht lange danach verschickte die Verwaltung eine Rundmail mit der Information, dass Dr. Stanley ein Sabbatjahr nehmen würde. Damals hatte Chloe nicht weiter darüber nachgedacht. Chefärzte kamen und gingen, für Chloe blieben die Patienten das Wichtigste.

Wenn sie den Chirurgen so betrachtete, fragte sie sich unwillkürlich, ob er seine Auszeit an einem Ort verbracht hatte, wo nie die Sonne schien. Hätte sie ihn früher als groß, gut aussehend, sonnengebräunt und charmant mit einem umwerfenden Lächeln beschrieben, so wirkte er jetzt blass, müde und angespannt.

Keri lächelte, während sie einen Schritt zurücktrat. „Ich habe Ihren Namen auf der OP-Liste gesehen und mich schon gefragt, wann Sie bei uns Hallo sagen.“ Sie deutete auf die beiden Krankenschwestern. „An Kate erinnern Sie sich bestimmt, aber Chloe kennen Sie, glaube ich, noch nicht.“

Kate hob grüßend die Hand. „Willkommen zurück, Luke.“

„Danke.“ Das klang fast knurrig.

Dann wandte er sich Chloe zu. In den einst tiefgründigen, vor Lebensfreude leuchtenden grünen Augen lag ein undurchdringlicher Schatten. Auch schien er sie nicht wiederzuerkennen. Luke nickte nur knapp. Dabei fiel ihm eine dunkle Strähne in die Stirn.

Damals hatte jedes Haar an seinem Platz gelegen, akkurat geschnitten von einem teuren Herrenfriseur, und seine Haut war glatt rasiert. Heute bedeckten Bartstoppeln sein markantes Kinn, und das sicher schon länger als drei Tage. Und statt der maßgeschneiderten Anzughose und einem eleganten Hemd trug Luke ein dunkelrotes Poloshirt und zerknitterte Chinos, die aussahen, als hätte er darin geschlafen. Vielleicht kam er gerade vom Flughafen und litt unter Jetlag?

„Diese Woche steht ein komplizierter Eingriff bei einem Jungen an, den die Stiftung aus Bali hat herfliegen lassen“, sagte er zu Keri. „Nach einem Unfall mit siedendem Öl hat er starke Vernarbungen davongetragen und kann weder den Mund schließen noch den Kopf bewegen. Er braucht Einzelbetreuung, und ich möchte, dass er nicht in der Pädiatrie, sondern von einer Krankenschwester aus der Plastischen gepflegt wird.“

Die Stationsschwester nickte. „Wann ist die OP?“

„Donnerstag.“

Keri blickte auf den Dienstplan. „Chloe ist bis Sonntag eingeteilt.“

„Gut.“

Nein, überhaupt nicht! Das beklemmende Gefühl wurde stärker. Sie pflegte Erwachsene, keine Kinder!

Luke musterte sie. Seine trostlose Miene verriet eine Traurigkeit, die sie selbst nur zu gut kannte. Chloe hatte gelernt, ihr nicht auf den Grund zu gehen, sie möglichst wegzuschieben. Als sie versuchte, die melancholische Stimmung abzuschütteln, die sein Blick ausgelöst hatte, blitzte in den grünen Augen unerwartet etwas auf.

Ihre Haut prickelte, und ein erregender Schauer rieselte ihr über den Rücken. Gefühle, die hier nichts zu suchen hatten. Der Mann war verheiratet, hatte Familie, und damit war er für Chloe verbotenes Terrain.

Und vom Moralischen einmal abgesehen, sie kannte ihn nicht einmal. Warum fühlte sie sich plötzlich zu ihm hingezogen? Ihr Körper musste da etwas falsch verstanden haben. Mitgefühl, geweckt von dem freudlosen Ausdruck in seinen Augen, sollte das einzige Gefühl sein, das sie für ihn hegte. Sonst nichts – und auf keinen Fall Lust.

„… um acht im OP, Chloe.“

Da war es wieder, das verbotene Prickeln, nur weil er ihren Namen aussprach. Ohne es zu wollen, lauschte sie dem Klang seiner tiefen Stimme nach, bis sie begriff, was er gesagt hatte. Ihr klopfte das Herz im Hals, und sie sah Keri Hilfe suchend an. „Jackie hat viel mehr Erfahrung mit Kindern.“

„Stimmt, aber du hast Dienst und sie nicht.“

„Ich könnte tauschen.“ Sie wandte sich an Kate. „Wie wär’s, Kate? Als Geburtstagsgeschenk für mich?“

„Tut mir leid, Chloe, wir haben ein Familientreffen. Du weißt ja, wie das ist.“

Eben nicht. Außer Dinner mit Nick hatte sie seit vierzehn Jahren kein Familientreffen mehr gehabt.

Luke stieß einen frustrierten Seufzer aus, leise nur, aber seine Missbilligung hallte laut von den Wänden wider. Der Chirurg bedachte Chloe mit einem düsteren Blick, der die dunklen Schatten unter seinen Augen nur verstärkte. „Verzeihen Sie, wenn meine Pläne Ihnen lästig sind.“

Für gewöhnlich ließ sie sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen, aber mit seinem beißenden Sarkasmus traf er einen Nerv. Chloe drückte die Schultern durch. „Davon kann keine Rede sein, Dr. Stanley. Ich weise nur darauf hin, dass meine Erfahrungen erwachsene Patienten betreffen und ich Ihrem Patienten deshalb nicht gerecht werden könnte.“

„Ach, verdammt, ich verlange ja nicht von Ihnen, dass Sie mit ihm spielen sollen.“ Er fuhr sich durchs Haar. „Hören Sie, ich brauche eine fähige Krankenschwester aus der Plastischen. Entweder Sie können den Job übernehmen, oder Sie können es nicht.“

„Sie kann es auf jeden Fall“, meldete sich Keri besänftigend zu Wort und warf Chloe einen Blick zu. Was ist denn mit dir los? „Chloe wird ein Team von drei Schwestern leiten, sodass das Kind rund um die Uhr betreut wird, solange es nötig ist.“

Chloe atmete tief durch, um der aufsteigenden Panik Herr zu werden. Um Kinder machte sie einen großen Bogen. Selbst während der Ausbildung war es ihr mit einer gehörigen Portion Glück gelungen, so wenig wie möglich mit kleinen Patienten zu tun zu haben. Während ihres Praktikums auf der Kinderstation brach eine Grippe-Epidemie aus, und die Betten mit der bunten Eulen-Bettwäsche wurden für Erwachsene gebraucht. Um die sich Chloe sofort freiwillig kümmerte.

Jetzt schien ihr Glück jedoch mit fliegenden Fahnen die Seite zu wechseln.

Keri nahm Luke am Arm und lotste ihn zur Tür. „Wie geht es Anna und Amber? Freuen sie sich, wieder im sonnigen Australien zu sein?“

Luke wurde bleich. „Wissen Sie es etwa nicht?“

Bei der tonlosen Frage rann es Chloe eiskalt über den Rücken.

„Ich glaube nicht“, antwortete Keri zögernd.

Er mied ihren Blick, sah hinaus in den Flur. „Anna ist vor dreizehn Monaten gestorben.“

Chloe spürte seinen Schmerz körperlich und so stark, dass sie unwillkürlich den Becher in ihrer Hand zerquetschte. Der erfolgreiche, vom Glück verwöhnte Chirurg hatte alles verloren.

Keri sank gegen den Türrahmen. „Es tut mir so leid, Luke. Wir hatten ja keine Ahnung …“

„Jetzt wissen Sie es.“ Luke hatte sich wieder unter Kontrolle, als er sich zu Chloe umdrehte. „Donnerstag um acht. Seien Sie pünktlich.“ Aufrecht und mit steifen Schritten verließ er das Zimmer.

In diesem Augenblick hätte Chloe alles gegeben, um dem Donnerstag aus dem Weg zu gehen. Vage bekam sie mit, wie Kate und Keri schockiert die Neuigkeiten verarbeiteten. Sie selbst war in Gedanken schon bei den nächsten Tagen, wahrscheinlich Wochen, die vor ihr lagen. Verschwunden war der Mann, der bei allen wegen seines lockeren, humorvollen Wesens beliebt gewesen war. Stattdessen musste sie mit einem Chirurgen zurechtkommen, der nur noch ein Schatten seiner selbst schien und für andere kaum ein freundliches Wort, geschweige denn ein Lächeln übrig hatte.

Was für ein Start in ihr einunddreißigstes Lebensjahr!

2. KAPITEL

„Wie war es heute mit ihr?“

Luke saß mit seiner Schwester am Gartentisch unter einem riesigen Sonnensegel und beobachtete, wie Amber mit ihren älteren Cousinen durch die Gegend flitzte. Er mochte nicht daran denken, dass er mit ihr gleich nach Hause fahren musste. In ein leeres, totenstilles Zuhause.

„Die Mädchen haben die ganze Zeit mit ihr herumgetollt. Sie hat drei Stunden lang geschlafen.“ Steph zuckte bedauernd mit den Schultern. „Wahrscheinlich wirst du sie heute Abend nicht so schnell ins Bett kriegen. Tut mir leid.“

„Vielleicht tobt sie sich jetzt noch ein bisschen aus und schläft dann um sieben ein.“

Seine Schwester warf ihm einen fragenden Blick zu. „Und, wie war’s?“

„Was?“

„Wieder im Gold Coast City zu sein.“

Er sah die erschrockenen Gesichter der Krankenschwestern vor sich. „Sie wussten nichts davon.“

„Oh, Luke.“ Sanft berührte sie seinen Arm.

„Ich dachte, sie hätten es irgendwie erfahren.“ Er schwenkte sein Glas, die Eiswürfel klirrten. „In Krankenhäusern wird so viel getratscht.“

„Vielleicht haben sie nichts davon gehört, weil es in Frankreich passiert ist.“

„Kann sein.“ Luke leerte sein Glas, versuchte, nicht an jenen Abend zu denken, als die Gendarmen ihm erklärten, dass sein Wagen auf die Gegenfahrbahn geraten war. „Ich musste es ihnen sagen, Steph. Ich musste mir ansehen, wie schockiert sie waren. Mir ihr Mitleid anhören. Und ich hatte gedacht, dass das vorbei ist. Wenigstens das.“

„Es wird mit der Zeit einfacher.“

„Sag das nicht.“ Verärgert sah er sie an. Er hasste diese Plattitüden. Luke hatte zu viele gehört, ohne ihnen einen Trost abgewinnen zu können. Besser fühlten sich hinterher nur die anderen, die, die solche Worte aussprachen. Ihm halfen sie nichts. Nichts konnte ihn über die bittere Wahrheit hinwegtäuschen, dass er seine geliebte Frau getötet hatte.

Steph presste die Lippen zusammen. „Anna wird uns immer fehlen“, sagte sie. „Aber du weißt, was ich meine. Das Krankenhaus betreten, mit den Leuten reden – das wird dir irgendwann leichter fallen. Außerdem haben sie die Neuigkeiten bis Donnerstag verdaut und längst ein neues Thema. Und wenn man bedenkt, wie oft das Personal seit letztem Jahr gewechselt hat, kennt dich die Hälfte wahrscheinlich nicht einmal.“

Unerwartet dachte er an grünbraune Augen hinter einem schwarzen Brillengestell und schimmerndes kastanienbraunes Haar. Die Krankenschwester schien ihm vertraut, und doch war er sicher, dass er ihr nie zuvor begegnet war. An diese Augen, grün mit braunen Pünktchen und berührend tiefgründig, hätte er sich erinnert. Andererseits wusste er, dass starke Trauer das Erinnerungsvermögen trüben konnte. Die Krankenschwester hatte auch nicht so reagiert, als ob sie ihn kannte. Verdammt, er wusste nicht, warum er überhaupt an sie dachte.

Luke versuchte, das Bild beiseitezuschieben, doch wie in einem Film spulte sein Gehirn weitere Eindrücke ab. Ein lächelndes Gesicht, ein rubinroter Kussmund und weibliche Rundungen. Kurven, die in Zeiten dürrer Models bei den heutigen Frauen nicht besonders beliebt waren. Aber sie strahlten eine betörende Sinnlichkeit aus.

Sein Mund wurde trocken, und wieder durchfuhr ihn das gleiche flüchtige, doch intensive Verlangen wie vorhin in ihrer Gegenwart. Er rieb sich den Nacken. Was war mit ihm los? Anna war erst ein Jahr tot, und er vermisste sie an jedem einzelnen Tag. Luke wollte keine andere Frau ansehen, geschweige denn, sie begehren.

„Alles okay, Luke?“

Nein. „Klar.“ Der prüfende Blick seiner Schwester gefiel ihm nicht, und er beschloss, das Thema zu wechseln. „Vom Kindergarten hat jemand angerufen. Sie nehmen Amber auch an den anderen Tagen, wenn du deine große Reise machst.“

„Gut zu hören“, sagte sie erleichtert. „Na ja, wenn du das Haus um die Ecke nicht verkauft hättest …“

Luke schüttelte den Kopf, als er an das stilvolle moderne Haus mit den fünf Schlafzimmern, dem Swimmingpool und dem spektakulären Blick auf den Gezeitenkanal mit dem regen Bootsverkehr dachte.

Anna und er hatten es gekauft, als er am Gold Coast City Hospital anfing. Das Kinderzimmer für Amber eingerichtet. Luke hatte selbst tapeziert, und er wusste noch wie heute, dass Anna einen Blick auf die Tapete mit den pastellfarbigen Luftballons darauf geworfen und ihn geneckt hatte. Bleib bloß bei deinem Job, sagte sie.

„Ich könnte nicht mehr in dem Haus leben, auch wenn es praktisch wäre, weil ihr in der Nähe wohnt. Außerdem spielt es vorerst sowieso keine Rolle, weil ihr zwei Monate unterwegs seid.“ Er fuhr sich durchs Haar. „Ich bin dir sehr dankbar, dass du dich an drei Tagen der Woche um Amber gekümmert hast, damit ich überhaupt praktizieren konnte. Aber ich möchte nicht, dass du dein Leben völlig auf mich abstellst. Seit ich Marty kenne, redet er von diesem Trip quer durch den Kontinent von Adelaide nach Darwin. Ihr sollt das meinetwegen nicht noch länger aufschieben.“

„Luke, wir sind eine Familie. Da hilft man sich gegenseitig. Und sobald wir zurück sind, nehme ich Amber gern wieder drei Tage wöchentlich.“ Lächelnd beugte sie sich vor. „Sie ist ein süßer Schatz, und wir lieben sie. Seit sie bei uns ist, liegen mir die Mädchen nicht mehr damit in den Ohren, dass sie noch ein Geschwisterchen haben wollen. Wenn du so willst, eine Win-Win-Situation.“

Er versuchte, ihr Lächeln zu erwidern. „Also keine Nachwuchspläne mehr?“

„Nein. Marty wollte zwei Kinder und ich vier, deshalb bleibt es bei dem Kompromiss von drei.“

Luke glaubte, einen wehmütigen Unterton herauszuhören, doch bevor er nachfragen konnte, stolperte Amber und fiel mit einem überraschten Aufschrei ins Gras.

„Nichts passiert, Honey“, rief Luke beruhigend, während er aufstand und über den Rasen ging. Er hob seine Tochter hoch und warf einen raschen Blick auf Knie und Ellbogen. Nichts abgeschürft, nur ein paar Grasflecken bedeckten die zarte Kinderhaut. Luke gab Amber einen Kuss auf die runde Wange. „Zeit fürs Bad, kleine Dame.“

„Entchen spielen?“, fragte Amber hoffnungsvoll.

„In deiner Badewanne.“ Luke machte sich auf Protest gefasst, weil sie ihre geliebten Cousinen verlassen und mit ihm mitkommen musste.

„Okay.“

„Gut.“ Er küsste sie wieder, unterdrückte die Traurigkeit, die in ihm aufstieg. „Dann wollen wir mal …“ Nach Hause, das brachte er nicht heraus.

Das Cottage, in dem sie wohnten, war nur ein Haus, kein Zuhause.

Chloe kontrollierte die Vitalzeichen des kleinen Nengah, während der Sechsjährige schlief. Auf dem schneeweißen Kopfkissen wirkten sein schwarzes Haar und die olivfarbene Haut noch dunkler, und in dem großen Krankenhausbett schien er fast zu verschwinden. Er war schmal und zart, brauchte Schutz. Ihren Schutz.

Sie biss sich auf die Lippe, als eine Welle von Gefühlen sie überrollte … das Bedürfnis, ihn zu umsorgen, gleichzeitig Schmerz, Trauer, Verlust. Sie hatte ihr Baby verloren und mit ihm jede Chance, Mutter zu werden. Rein aus Selbstschutz heraus hatte sie sich für die Erwachsenenpflege entschieden, und in ihrer Freizeit ging sie Kindern zwar nicht aus dem Weg, aber sie suchte auch keinen Kontakt zu ihnen.

Aus bitterer Erfahrung wusste Chloe, dass es ihr nur schadete, wenn sie an die Vergangenheit dachte. Also kratzte sie zusammen, was sie an professioneller Haltung aufbringen konnte. Er ist ein Patient wie jeder andere, sagte sie sich.

Sie griff nach dem Indonesisch-Wörterbuch, das sie gekauft hatte, und blätterte darin herum. Gestern Abend hatte sie eine kleine Liste mit Fragen nach Schmerzen, nach Durst und anderem zusammengestellt. Die Englischkenntnisse der Mutter waren jedoch noch begrenzter als Chloes Indonesisch. Das Wörterbuch schien also unentbehrlich.

Die beiden Frauen verständigten sich einigermaßen. Nengah hatte keine Schmerzen, und das war im Moment das Wichtigste für seine Genesung.

Chloe unterdrückte ein Gähnen. Ein langer Tag lag hinter ihr, und erst in einer Stunde würde sie abgelöst werden. Ihr Dienst hatte sehr früh angefangen, da Luke Stanley sie schon bei der Operation dabeihaben wollte. Sie war noch vor ihm da und sprach mit dem Anästhesisten über die postoperative Schmerzmedikation, während der Rest des Teams den OP vorbereitete. Eine der Schwestern legte Dr. Stanleys Lieblingsmusik auf, doch als er schließlich den Raum betrat, verlangte er, dass sie abgestellt wurde.

Die Stimmung im OP veränderte sich schlagartig. Es herrschte eine angespannte Stille, bedeutungsvolle Blicke wurden getauscht. Luke Stanley operierte nahezu stumm, forderte nur manchmal schroff ein Instrument, wenn die Instrumentierschwester nicht schnell genug war. Chloe wusste, dass alle Anwesenden voller Mitgefühl und Verständnis für den Chirurgen waren, aber in dieser Stimmung hätten sie nie gewagt, es zu zeigen.

Sie überprüfte die Infusion, die Nengah mit Schmerzmitteln versorgte, und begann mit der viertelstündlichen Kontrolle der Hauttransplantate. Eine gute Durchblutung war entscheidend, und sie wollte warme, rosige Haut sehen, keine kalte, weiße.

„Wie geht es ihm?“

Beim Klang der tiefen Stimme fuhr Chloe herum. Genau wie bei ihrer ersten Begegnung vor fünfzehn Monaten hatte sie ihn nicht kommen hören. Zum Glück hielt sie gerade nichts in den Händen. Dafür erwartete sie diesmal kein lächelndes Gesicht, das ansteckend gute Laune verbreitete. Dunkle Schatten lagen unter Lukes Augen, und die Haut über den hohen Wangenknochen schien straff gespannt.

„Sehr gut“, antwortete sie und suchte nach Worten, um die Anspannung, die plötzlich den Raum erfüllte, zu mildern. „Müssen Sie sich immer so anschleichen?“

Die schwarzen Brauen zogen sich zusammen. „Wie meinen Sie das?“

Sie ignorierte den barschen Unterton und lächelte tapfer. „Langsam wird es bei Ihnen zur Gewohnheit, mich zu erschrecken.“

Verständnislos blickte er sie an. „Ich sehe Sie zum ersten Mal bei einem Patienten.“

„Kurz bevor Sie nach Frankreich gingen, haben Sie so leise das Krankenzimmer betreten, dass ich mich total erschrocken und Sie mit Jodlösung überschüttet habe.“

„Chloe? Nicks Schwester?“ Das klang zweifelnd.

„Richtig. Glück für Sie, dass meine Hände heute leer sind.“

Er zuckte mit den breiten Schultern. „Sagen Sie mir sofort Bescheid, wenn Sie Veränderungen bei Nengahs Transplantaten feststellen. Meine Handynummer haben Sie?“

Chloe unterdrückte ein Seufzen. So viel dazu, eine freundliche Atmosphäre zu schaffen. „Ja, die habe ich. Verlassen Sie jetzt das Krankenhaus?“

„Ja“, antwortete er steif. „Ich muss meine Tochter aus dem Hort abholen. Sie sehen es nicht gern, wenn ich zu spät komme.“

„Ihre Tochter wahrscheinlich auch nicht.“

Flammender Ärger brannte in den grünen Augen. „Glauben Sie, ich lasse Amber gern zehn Stunden lang in der Tagesbetreuung? Ihr bleibt leider nichts anderes übrig, und mir auch nicht.“

Laut und feindselig hervorgestoßen, waren seine Worte wie eine Ohrfeige. Chloes Herz begann zu rasen.

Nengahs Mutter, die in ihrem Sessel eingenickt war, schreckte hoch. „Apa yang salah?“ Furchterfüllt sah sie von einem zum anderen.

Chloe musste sie nicht verstehen, um zu begreifen, dass sie sich Sorgen um ihren Sohn machte. Rasch streckte sie die Hand aus, um Mrs Putu zu beruhigen.

„Semuanya baik“, sagte Luke sanft. „Es ist alles in Ordnung.“

Terimakasih, Doktor.“ Sichtlich erleichtert sank sie wieder zurück.

Chloe drehte sich zu Luke um. Einerseits überrascht, wie leicht ihm die fremde Sprache von den Lippen glitt, und gleichzeitig wütend auf ihn, weil er Mrs Putu Angst gemacht hatte. Und weil er ihr selbst wegen seiner Tochter etwas unterstellte, das sie überhaupt nicht so gemeint hatte.

Es fiel ihr nicht leicht, ruhig zu bleiben, während sie ihn zur Tür begleitete. „Ich verurteile Sie nicht, weil Sie sie in den Hort geben“, sagte sie leise, aber mit Nachdruck. „Ich wollte nur sagen, dass es Ihrer Tochter bestimmt auch nicht gefällt, wenn Sie später kommen.“

Luke überragte sie um gut dreißig Zentimeter, und ein dezenter Hauch seines Aftershaves, ein herber Duft nach moosgrünen Wäldern, stieg ihr in die Nase. Seine Augen waren dunkel und voller Emotionen, die sie nicht alle deuten konnte. Eine überlagerte jedoch alle: von Schmerz erfüllte Trauer.

Groß, dunkel, umwerfend, trotz der düsteren Ausstrahlung.

Ihr Herz machte einen Satz, und das Gefühl, das sie dabei durchrieselte, hatte nichts mit Kummer oder Ärger zu tun.

Oh nein, ermahnte sie sich. Auch wenn der Mann trauert, du musst ihn nicht retten. Du musst dein eigenes Leben in den Griff bekommen. Du hast einen Hund, der dich vergöttert. Kümmere dich um ihn.

Das sinnliche Prickeln verriet, dass ihr Körper anderer Ansicht war. Es ist so lange her …

Sie atmete langsam tief durch, verdrängte die verlockenden Gefühle. „Hier ist alles in Ordnung, Dr. Stanley. Gehen Sie ruhig und holen Sie Ihre Tochter ab.“

So entlassen zu werden, schien ihm nicht zu schmecken. Luke Stanley rieb sich die Schläfe, als hätte er Kopfschmerzen. „Dann gute Nacht“, sagte er.

Chloe blickte ihm nach, als er ohne eine Entschuldigung ging, und versuchte, sich nicht darüber zu ärgern. Sie war es gewohnt, mit Chirurgen zusammenzuarbeiten, die sich für den Nabel der Welt hielten und von allen anderen erwarteten, dass sie ihnen die Füße küssten. Die wenigsten entschuldigten sich für ihr schlechtes Benehmen.

Allerdings war Luke Stanley immer die goldene Ausnahme von der Regel gewesen.

Die Leute hatten sich buchstäblich überschlagen, um mit ihm zusammenzuarbeiten. Seine fachlichen Fähigkeiten waren herausragend, und für seinen Humor liebten sie ihn – von Krankenschwestern und – pflegern über Beschäftigungstherapeuten bis hin zu den Reinigungskräften. Und wann immer er ein Team zusammenstellte, mit dem er im Auftrag der Stiftung sechs Wochen lang unentgeltlich in Asien oder Afrika Hasenscharten und Gaumenspalten operierte, meldeten sich stets mehr Bewerber, als Plätze vorhanden waren.

Dieser Mann jedoch war mit dem Tod seiner Frau verschwunden.

Kummer und Verzweiflung waren Chloe nicht fremd, sie wusste, wie es war, wenn man in ein tiefes schwarzes Loch fiel. Ein Jahr lang war auch sie in dieser Dunkelheit verloren gewesen. Erst ihr geliebter Bruder Nick hatte es geschafft, sie wieder ans Licht zu holen.

Es war ein schmerzhafter Prozess, aber sie schaffte es. Jahre später, als Jason sich von ihr trennte, weil sie ihm kein Kind schenken konnte, schwankte sie wieder am Abgrund. Doch auch das hatte sie überlebt. Heute war ihr Leben nicht so, wie sie es sich als naive Sechzehnjährige erträumt hatte. Es war auch nicht das Leben, das sie im Grunde ihres Herzens wollte, aber sie hatte ihren Frieden damit gemacht.

Du könntest ihm zeigen, wie es geht.

Laut wie eine Alarmsirene hallte der Gedanke durch ihren Kopf, und sie hätte gern den Knopf gefunden, um ihn abzustellen.

Okay, als Krankenschwester erkannte sie schnell, wenn jemand Hilfe brauchte. Und Luke Stanley brauchte tatsächlich dringend welche. Aber sie fürchtete auch, dass sie ihren mühsam erkämpften Seelenfrieden aufs Spiel setzte, wenn sie sich um einen trauernden Mann und sein kleines Kind kümmerte.

Chloe beschloss, mit Keri und Kate zu sprechen. Die beiden kannten Luke viel besser als sie.

„Will Bunny“, schluchzte Amber an Lukes Schulter.

„Hallo, Amber, ich bin Mr Clown.“ Luke hoffte, dass seine Stimme wie die eines Clowns klang, während er die weiche Schlenkerpuppe vor Ambers Gesicht schwenkte.

Amber stieß den Clown weg. „Will Bunny!“

In seinem Kopf setzte ein schmerzhaftes Pochen ein. Luke ärgerte sich über sich selbst und fühlte gleichzeitig mit seiner kleinen Tochter. Wie konnte er nur vergessen, noch einmal nachzusehen, ob ihr geliebtes Kuscheltier im Rucksack war, als er Amber vom Hort abholte?

Weil du an Chloe Kefes gedacht hast.

Es hatte ihm keine Ruhe gelassen, dass er sich nicht an sie erinnert hatte. Anders als viele seiner Kollegen vergaß er selten Namen und Gesichter. Erst recht nicht, wenn eine besondere Verbindung bestand wie in ihrem Fall, dass sie Nicks Schwester war. Aber dass sie sich schon einmal begegnet waren, ja, dass sie ihm Jodlösung aufs Hemd geschüttet hatte, das war komplett weg gewesen.

Das störte ihn gewaltig. Fast genauso sehr, dass er immer wieder an sie dachte – an die vollen roten Lippen, ihr bezauberndes Lächeln, das in ihren Augen tanzte wie Sonnenlicht auf dem Wasser.

Es war schnell erloschen, als er sie angefahren hatte. Dabei war es nicht Chloes Schuld, dass Amber ihre Mutter verloren hatte und den Tag im Hort verbringen musste. Nein, dafür trug ganz allein er die Verantwortung.

Ambers hysterisches Weinen wurde lauter.

Arme Kleine. Ihr Kuschelhase war ihr Rettungsanker, das einzig Beständige in ihrer Welt, in der sich immer wieder etwas veränderte. Ihr Vater war tagsüber nicht mehr zu Hause, und auch ihre Tante und die geliebten Cousinen waren von einem Tag auf den anderen nicht mehr da.

Den Leiter des Horts hatte Luke schon angerufen. Der gute Mann war voller Mitgefühl für seine Situation, aber leider nicht bereit gewesen, eine halbe Stunde Fahrt auf sich zu nehmen, um den Hort aufzuschließen und den Hasen zu holen.

Luke reihte alle Kuscheltiere nebeneinander auf. „Sieh mal, Teddy ist traurig, nimm ihn doch mal in den Arm.“

Amber schrie zum Steinerweichen.

Da jeder Versuch, sie ins Bett zu bringen, kläglich gescheitert war, trug Luke sie nach draußen auf die Terrasse. Leise rauschten die Wellen an den Strand. Durch die wenigen Wolkenfetzen fiel silbriges Mondlicht auf den Pazifik und brachte das Wasser zum Glitzern. Luke legte sich auf eine der Sonnenliegen mit Amber auf dem Bauch und streichelte sanft ihren schmalen Rücken.

Während sie, eingehüllt in tintenschwarze Dunkelheit, dalagen, verebbten Ambers herzzerreißende Schluchzer zu einem leisen Schluckauf. Irgendwann wurden ihre Atemzüge ruhiger, und der kleine Körper entspannte sich. Luke wagte es nicht, sie in ihr Bett zu tragen. Wenn sie nun aufwachte, wieder ihren geliebten Hasen vermisste und das ganze Drama von vorn losging?

Er kannte das viel zu gut. Selbst jetzt noch, in einem anderen Haus, wachte er nachts manchmal auf und streckte die Hand nach Anna aus. Aber sie war nicht da. Sie würde nie wiederkommen, weil er einen fatalen Fehler gemacht hatte, den er nicht mehr gutmachen konnte. Zum Glück blieb Amber erspart, dass sie ihre Mutter vermisste. Jedenfalls hoffte er das. Amber war erst sechs Monate alt gewesen, als Anna starb. Konnte man jemanden vermissen, an den man sich nicht erinnerte?

Luke zog ein Badelaken von der Liege neben ihm und deckte sich und seine Tochter zu. Amber mochte keine Mutter mehr haben, doch sie war in einer großen liebenden Familie geborgen, die sie vergötterte. Aber war das genug?

Unwillkürlich sah er warme grünbraune Augen vor sich, schob das Bild jedoch schnell beiseite. Er hatte immer nur Augen für eine einzige Frau gehabt. Und auch wenn Anna tot war, so verspürte er nicht das geringste Bedürfnis, sich nach jemand anders umzuschauen. Schon die Vorstellung widerstrebte ihm zutiefst. Doch als er die Augen schloss, tauchten wieder Erinnerungen an ein bezauberndes Lächeln, an süße Grübchen und schimmerndes kastanienbraunes Haar auf. Luke versuchte, sie zu verdrängen, lauschte der Brandung und sehnte sich nach dem erlösenden Schlaf.

Die Fahrstuhltüren schlossen sich. Neonatal-Spezialistin Callie Richards hätte am liebsten ihren Pager ausgestellt und sich eine Stunde lang in der stählernen Kabine verkrochen. Natürlich konnte sie nur davon träumen, denn die Säuglingsintensivstation war voll mit kranken Babys. Eins davon könnte ihre Hilfe brauchen, wie Nick Kefes, der am Gold Coast City sehr beliebte Geburtshelfer, ihr gerade mitgeteilt hatte. Callie hoffte nur, dass Nick wie immer übervorsichtig war, sodass sie vielleicht heute Nacht in ihrem eigenen Bett schlafen durfte.

In welchem Bett willst du sonst schlafen? Bestimmt nicht in dem von Cade Coleman, dem arroganten Kerl.

Halt den Mund!

Callie ärgerte sich darüber, dass sie immer wieder von solchen Gedanken überfallen wurde. Die Erinnerung daran, was sie sich geleistet hatte, ließ sich nicht so einfach abschütteln. Wie konnte sie so heftig mit Cade Coleman flirten? Und warum vergaß sie die Sache nicht endlich? Er wäre schließlich nicht der einzige Mann, den sie ganz schnell vergessen hatte … nachdem sie ihre Schuhe genommen und auf Zehenspitzen leise seine vier Wände verlassen hatte, um ihn nie wiederzusehen.

Abgesehen davon war sie mit Cade nicht einmal so weit gekommen wie bei den anderen. Sie hatten sich nicht geküsst, geschweige denn miteinander geschlafen. Allerdings war es ein dummer Fehler gewesen, mit ihm zu flirten. Ein Anfängerfehler, über die sie doch längst hinaus war.

Regel Nummer eins: Fang nie etwas mit Kollegen an. Es hätte ihr im Nachhinein noch gründlich den Spaß verdorben, wenn sie ihren Bettgenossen täglich bei der Arbeit begegnet wäre.

Emotional verkümmerte Männer wie Cade verdienen keinen zweiten Gedanken. Callie wiederholte den Satz wie ein Mantra.

Der Aufzug hielt mit einem feinen „Ping!“, die Türen öffneten sich, und Callie betrat den Flur. Zu ihrer Verwunderung stand Chloe Kefes an einem der großen Fenster, hinter dem die Räume für die spezielle Säuglingspflege lagen. In der Päppelstube, wie die Schwestern sagten. Dort standen Babybettchen aufgereiht für die Frühchen, die sich so gut entwickelt hatten, dass sie bald in die liebevolle Obhut ihrer Eltern entlassen werden konnten.

„Hi, Chloe. Du hier? Die Plastische liegt ja nicht gerade um die Ecke.“

Die Wangen der Krankenschwester färbten sich rosig. „Ich war auf dem Rückweg von der Pathologie.“

„Und da hast du gern einen Umweg gemacht.“ Callie lachte. In der Hektik, die in diesem großen Krankenhaus herrschte, brauchte jeder einmal eine Gelegenheit, Luft zu holen. Sie folgte Chloes Blick. Zwei Jungen, Zwillinge, hatten jeder ein Händchen unter der bunten Häschendecke hervorgezogen und erkundeten die Luft, wie es schien.

„Die beiden waren so krank, und sieh sie dir jetzt nur an. Es juckt ihnen buchstäblich in den Fingern, das Leben zu entdecken“, meinte Callie zufrieden.

„Hmm.“

Callie warf ihr einen fragenden Blick zu. Nicks Schwester war sonst gesprächiger. „Harter Tag?“

Chloe zuckte mit den Schultern. „Ich bin immer gern zur Arbeit gekommen, aber in den letzten Wochen ist die Stimmung ziemlich angespannt. Egal, was wir tun, anscheinend können wir nichts richtig machen.“

„Luke Stanley?“

„Wenn der Chefarzt nicht glücklich ist …“

„… ist es keiner.“ Callie kannte Luke nicht, aber sie hatte gehört, dass seine Frau jung gestorben war. Verständnisvoll berührte sie Chloe am Arm. „Wenn ich einen schlechten Tag habe, komme ich oft hierher und sehe mir die Babys an.“ Sie lächelte. „Sie haben etwas an sich, dass es einem gleich besser geht. Man braucht sie nur anzusehen und schöpft wieder Hoffnung.“

Chloe wich so schnell vom Fenster zurück, dass sie beinahe gegen sie geprallt wäre. „Ich muss zurück zur Arbeit, Callie. Wir sehen uns.“

Bevor Callie noch ein Wort sagen konnte, eilte die Krankenschwester davon. Erstaunt von dem abrupten Abschied blickte sie ihr nach, bis sie im Fahrstuhl verschwand. Chloe war sonst so fröhlich … einer dieser Menschen, die fast zu strahlend, zu gut gelaunt waren, um wahr zu sein. Callie wusste jedoch, dass bei ihr das sonnige Wesen echt war. Chloe Kefes gehörte zu den besten Krankenschwestern am Gold Coast City Hospital, weil sie neben ihren hohen fachlichen Qualitäten über Empathie und ein herzliches Lachen verfügte, das einfach gut tat. Luke Stanley musste ihr wirklich das Leben schwer machen, wenn sie so niedergedrückt war.

Männer. Es sollte kein Problem sein, mit ihnen zusammenzuarbeiten, aber in der Realität sah das oft anders aus. Callie erstickte den Gedanken an Cade im Keim. Sie hatte sich ein Mal bei ihm lächerlich gemacht, das reichte. Mit Cade Coleman war sie fertig.

Sie machte bei ihren kleinen Patienten die Runde. Dem Baby mit der Bronchomalazie schien es besser zu gehen, und sie hoffte, dass es ab morgen ohne CPAP-Beatmung zurechtkam. Danach half sie einer Mutter, ihr zu früh geborenes Kind zum ersten Mal im Arm zu halten. Es war ein berührender Moment.

Callie liebte ihren Beruf. Anders als in ihrem Privatleben hatte sie hier im Krankenhaus alles im Griff und wusste genau, was sie tat. Als sie die Entlassungspapiere für die Zwillinge unterschrieb, hatte Nick noch nicht zurückgerufen. Callie beschloss, die Zeit zu nutzen, um etwas zu essen.

Sie wollte gerade den Personalraum betreten, als sie Lachen und einen Satz hörte, bei dem sie wie angewurzelt stehen blieb.

„Oh, Mädels, dieser Cade Coleman ist der schärfste Mann, der je auf unseren Fluren gewandelt ist.“ Die Stimme gehörte Sara Hennessy, einer der Säuglingsschwestern.

„Ich weiß“, antwortete eine, die Callie nicht kannte. „Und dieser Akzent. Der Typ braucht nur Hallo zu sagen, und ich könnte ihn in die nächste Abstellkammer zerren.“

„Er ist seit Ewigkeiten mit Abstand der beste Neuzugang im Gold Coast City. Eine der OP-Schwestern hat mir erzählt, dass Callie Richards …“

Ach herrje, nein! Hastig machte Callie auf dem Absatz kehrt und stieß die Tür zum Säuglingszimmer auf. Es kostete sie Mühe, nicht zu rennen. Ein einziger dummer Fehler – und das hatte sie nun davon! Es war schon schlimm genug, wie sie sich ihm beim Tanzen an den Hals geworfen und ihm signalisiert hatte, dass er auch mehr haben könnte. Aber mit anzuhören, wie die Krankenschwestern über sie tratschten, das war mehr, als sie ertragen hätte. Schließlich hatte sie viel dafür getan, dass ihr Privatleben das blieb, was es war – privat.

Niemals wollte sie irgendjemandem die Gelegenheit geben, über sie zu reden. Von heute an waren Cade Coleman und jeder andere Mann in diesem Krankenhaus tabu!

„Wozu schreibt man klare Anweisungen auf, wenn niemand sie liest?“

Lukes Stimme troff vor Sarkasmus, und Chloe zählte stumm bis fünf. Es hatte nichts genützt, dass sie zusammen mit Keri, Kate und den anderen überlegt hatte, wie man mit ihm am besten umging. In den letzten zwei Wochen hatte sich nichts geändert. Im Gegenteil, es war noch schlimmer geworden.

Oh, warum musste Keri ausgerechnet heute zu einer Fortbildung und hatte ihr die Verantwortung für die Station übertragen? Jetzt musste sie sich mit dem Mann auseinandersetzen, den sie insgeheim den Panther nannte. Genau wie die große schwarze Wildkatze war er vollkommen – schlank, muskulös, stark. Manchmal glühte in seinen grünen Augen ein Feuer, ein leidenschaftlicher Eifer, der Chloe unwillkürlich erschauern ließ.

Sie wollte das nicht, wollte sich nicht zu ihm hingezogen fühlen. Von Männern hatte sie genug, und einer wie er, der emotionale Altlasten mit sich herumschleppte, der konnte ihr nur wehtun.

Stark bleiben, ermahnte sie sich. Denk daran, du willst mit Männern nichts mehr zu tun haben, vor allem nicht mit diesem.

Erregendes Verlangen durchzuckte sie, und sie verdrängte es schnell. So, wie Luke jetzt war, mochte sie ihn nicht einmal. Warum reagierte ihr Körper auf ihn? Wenn der Mann eine seiner Launen hatte, schlug er verbal um sich. Okay, er trauerte um seine Frau. Deshalb entschuldigte das Team vieles. Trotzdem hatte er nicht das Recht, selbst die einfachsten Anstandsregeln in den Wind zu schießen.

Chloe sah auf, in sein attraktives Gesicht, und hielt seinem finsteren Blick stand. „Auch Ihnen einen guten Tag, Dr. Stanley. Willkommen auf Station sechs.“

„Morgen, Chloe“, erwiderte er knapp, als sei ihm klargeworden, dass er zumindest erst hätte grüßen müssen, bevor er sich beschwerte. „Mrs Whartons Drainageschläuche hätten heute entfernt werden müssen. Die Frau hat mit ihrem Brustkrebs schon genug durchgemacht. Dass die Schläuche so bald wie möglich gezogen werden, damit sie weiß, wie ihre neuen Brüste aussehen, ist das Mindeste, das sie erwarten darf.“

„Da stimme ich Ihnen zu.“

„Ich will nicht Ihre Zustimmung.“ Er rieb sich die Schläfen. „Ich will, dass die Drainage gezogen wird.“

„Das wird sie auch.“ Chloe versuchte, geduldig zu bleiben. „Da Sie heute Vormittag eine lange OP-Liste hatten, waren wir mit der Nachsorge vollauf beschäftigt. Außerdem haben wir heute eine Schwester weniger, und soweit ich mich erinnere, hatten Sie keinen genauen Zeitpunkt für die Entfernung der Drainage genannt. Der Tag ist ja noch nicht zu Ende.“ Sie lächelte beschwichtigend. „Ich versichere Ihnen, dass die Schläuche gezogen sind, wenn ich um drei Uhr Dienstschluss habe.“

„Gut“, erwiderte er schroff, während er eine Verordnung auf eine andere Patientenkarte kritzelte. „Sorgen Sie dafür.“

Das brachte das Fass zum Überlaufen. Chloe wollte nicht mehr stillhalten. „Dr. Stanley?“

Er steckte seinen silbernen Kugelschreiber wieder in die Brusttasche. „Ja?“

„Ich bin nicht Keri, und ich arbeite noch nicht so lange mit Ihnen zusammen wie sie, aber ich mache meine Arbeit gut. Wenn ich Ihnen mein Wort gebe, können Sie sich darauf verlassen. Ich bin sicher, dass ich von Ihnen den gleichen professionellen Respekt erwarten kann, den ich Ihnen erweise.“

Trotz des latenten Kopfschmerzes, der hinter seinen Augen lauerte, rührten ihre Worte etwas in ihm an. Himmel, seit wann führst du dich auf wie ein knurriger Griesgram?

Seit du deine Frau getötet hast. Der zerstörerische Gedanke breitete sich in ihm aus wie flüssiges Gift und verstärkte den Hass, den Luke auf sich selbst verspürte. Amber konnte er noch davor schützen, doch bei der Arbeit brach er sich manchmal Bahn, sosehr Luke sich auch bemühte, sich zusammenzureißen.

„Ich habe Kopfschmerzen.“ Er rieb sich die Augen, suchte Zuflucht in einer Ausrede, weil es einfacher war, als Chloe die Wahrheit zu sagen.

Es geschah ihm recht, dass sie ihn ungläubig ansah. Die Rechtfertigung für sein grobes Verhalten hatte auch in seinen Ohren lahm geklungen.

„Das tut mir leid.“ Sie straffte die Schultern. „Aber müssen Sie es an uns auslassen? Hier …“ Chloe fischte einen Tablettenblister aus ihrer Tasche. „Nehmen Sie eine Ibuprofen.“

Luke nahm die weiße Pille entgegen und versuchte zu lächeln. „Da spricht die echte Krankenschwester.“

Ihr üppiger Mund verzog sich zu einem Lächeln, und die Wärme, die immer in ihm aufstieg, wenn er Chloe Kefes begegnete, verwandelte sich in flüssige Glut. Chloe fing an zu lachen, ein herrlicher Klang, der Luke an Zeiten erinnerte, in denen er noch unbeschwert gewesen war. Einen flüchtigen Moment lang verblassten die stets gegenwärtigen Schuldgefühle, und er genoss das wunderbare Empfinden, mit allen Sinnen lebendig zu sein.

Verräter.

Die Freude erstickte, als hätte jemand eine schwere dunkle Decke darauf geworfen. Er verdiente es nicht, froh zu sein. Luke hatte Mühe, sich nicht abrupt abzuwenden … weg von Chloe, weg von der Versuchung, sich etwas zu wünschen, das ihm nicht länger zustand im Leben.

Du musst mit ihr zusammenarbeiten.

Chloe konnte nichts dafür, dass Anna tot war. Und auch nichts dafür, dass er mit einem einzigen Fehler sein Leben zerstört hatte.

Luke sah sie an, suchte nach Worten, um sich zu entschuldigen. „Ich schätze Ihre Arbeit hier, Chloe.“

„Danke.“

Die Grübchen vertieften sich, und ihre Augen leuchteten, als sie ihn anlächelte. Die verräterische Hitze flammte wieder auf, erfüllte ihn mit einer unstillbaren Sehnsucht, bevor sie erlosch und die gewohnte Bitterkeit zurückließ. Luke sträubte sich dagegen, jedes Mal, wenn er die Station betrat, auf diese Achterbahn der Gefühle zu geraten. Aber er konnte schlecht die Verwaltung bitten, Chloe woanders einzusetzen. Da kam ihm ein Gedanke – die perfekte Lösung für sechs Wochen oder mehr.

„Sie haben sich großartig um Nengah gekümmert. Ich finde, Sie sollten sich dem Team der Stiftung anschließen, das nächste Woche nach Afrika fliegt.“ Er bemühte sich um ein aufmunterndes Lächeln. „Jenny Patrick sucht noch Freiwillige, und Sie haben einen natürlichen Draht zu Kindern.“

Sie zuckte zusammen, als ob er sie geschlagen hätte. „Danke für Ihr Vertrauen, aber das geht nicht.“

„Warum nicht?“, stieß er barsch hervor, aus Furcht, dass sein Plan nicht aufgehen könnte. Bei ihr hingegen musste es wie Ärger ankommen.

Und wirklich, sie sah ihn ungläubig an, als könnte sie es nicht fassen, dass er ihr diese Frage gestellt hatte. „Weil …“ Chloe wurde rot. „Weil es einfach nicht geht.“ Sie nahm Glenda Whartons Medikationsformular und klatschte es ihm gegen die Brust. „Schreiben Sie bitte ein geringer dosiertes Schmerzmittel auf, ich ziehe die Schläuche jetzt sofort.“

Ihr Gesichtsausdruck zeigte eine Mischung aus Abwehr und Schmerz – Empfindungen, die ihm allzu vertraut waren –, und Luke sagte kein Wort mehr. Sosehr er Chloe am liebsten nur noch von Weitem gesehen hätte, verletzen wollte er sie auch nicht. Rasch notierte er die neue Verordnung und ging.

Dabei beschlich ihn das untrügliche Gefühl, dass sie, genau wie er, mit Dämonen kämpfte, die sie niemandem zeigen wollte.

3. KAPITEL

„Er müsste den ganzen Nachmittag schlafen. Ich habe ihn heute Morgen fast bis Burleigh Heads gejagt.“ Chloe setzte Chester ins Hundekörbchen, das in einem Laufstall stand.

Lucy war zwar mit den Zwillingen zu einer Freundin gefahren, aber Chloe wollte nicht, dass der Welpe im Haus herumstromerte und ihrer Schwägerin vielleicht noch mehr Arbeit machte. Mit den Zwillingen war sie schon genug beschäftigt.

Chloe hätte eigentlich ihr freies Wochenende gehabt, doch jetzt wurde sie für drei Stunden gebraucht. Sie arbeitete gern, konnte allerdings ihren Hund nicht allein lassen.

„Du kommst schon klar mit deinem Onkel, hm?“ Nick kraulte ihn an den Ohren.

„Genieß die Zeit mit ihm, einen richtigen Neffen wirst du nie haben.“

Erschrocken, dass ihr das herausgerutscht war, senkte Chloe den Kopf. Seit Jahren hielt sie ihren Kummer fest unter dem Deckel. Warum er sich jetzt und ausgerechnet bei ihrem Bruder ein Ventil suchte, war ihr ein Rätsel. Nick war der Einzige, der in allen Einzelheiten wusste, was damals passiert war. Ohne ihn wäre sie heute nicht mehr am Leben.

Nick blickte sie besorgt an. „Alles okay?“

„Das wird schon.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Wahrscheinlich stecke ich den dreißigsten Geburtstag doch nicht so leicht weg, wie ich dachte.“

„Kann hart sein, so eine Null.“ Nick legte den Arm um sie und drückte sie kurz.

„Oh ja.“ Gerade die letzten zwei Wochen hatten ihr viel abverlangt. Nicht nur der Geburtstag, sondern auch die Arbeit mit Luke Stanley und die Pflege des balinesischen Jungen. Sie war sogar zu den Frühchen gegangen, um die sie sonst einen Bogen machte. Hatte der Sehnsucht nachgegeben, die immer mit Trauer verbunden war, weil der Anblick der Babys sie daran erinnerte, dass sie selbst nie eins haben würde.

„Ich muss los“, sagte sie und trat zurück. „Zum Glück ist Luke Stanley heute nicht da, das macht vieles einfacher.“

„Hab Geduld mit dem Mann, Chloe“, mahnte Nick sanft.

Sie schlang sich ihren Lederrucksack auf die Schulter. „Mit Keri und Kate kommt er ganz gut zurecht, und ich versuche ja, Verständnis für ihn zu haben. Aber manchmal ist es eine Tortur, mit ihm zusammenzuarbeiten.“

„Für Trauer gibt es kein Verfallsdatum.“

„Wem sagst du das, Nick? Grüß Lucy und die Zwillinge von mir.“

„Mache ich. Und, Chloe …“

Schon an der Tür, drehte sie sich noch einmal um. „Ja?“

„Sieh nach vorn, versprochen?“

Vertraute Worte, mit denen sie sich in schweren Zeiten gegenseitig Mut gemacht hatten. Chloe nickte. „Natürlich.“

Sie zog die Tür hinter sich zu und ging den kurzen Weg zu Fuß zum Krankenhaus. An diesem sonnigen Samstagnachmittag war in der Notaufnahme die Hölle los. Chloe trug sich ein und stellte sich vor.

„Gerade haben wir zwei Rugbyspieler hereinbekommen, beide mit Gehirnerschütterung und Kopfverletzungen“, erklärte Greg Lindall, der verantwortliche Pfleger. „Ich habe schon in der Plastischen angerufen, es kommt gleich jemand runter.“

„Okay, ich kümmere mich um sie.“ Chloe schlüpfte in einen sterilen Kittel, schnappte sich Verbandszeug und machte sich auf zu den Kabinen. In einer saßen zwei muskelbepackte braun gebrannte Männer, neben denen der Instrumentenwagen aussah wie aus einer Puppenstube, und hielten sich ein Kühlpack an den Kopf.

„Hi, ich bin Chloe.“

„Finn Hudson“, sagte der eine.

„Harry Jameson“, folgte der andere.

Chloe überflog die Notizen, die bei der Aufnahme gemacht worden waren, und las das Alter der Spieler. „Okay, Jungs, die Akten verraten mir, dass es nicht die erste Gehirnerschütterung ist. Wäre es nicht Zeit, mit dem Spiel aufzuhören?“ Mit ihrer schmalen Taschenlampe prüfte sie Harrys Pupillen.

„Wir sind zweiunddreißig und noch nicht tot“, antwortete er und zuckte zusammen, als sie die Kopfwunde inspizierte.

„Mag ja sein, aber wiederholte Gehirnerschütterungen können ernsthafte Folgen haben. Sie wollen doch nicht mit vierzig an Gedächtnisverlust leiden, oder? Wie wäre es mit Tennis?“

Die bulligen Kerle starrten sie an, als hätte sie eine Umschulung zum Floristen vorgeschlagen. Chloe lachte. „Na schön, vielleicht nicht gerade Tennis, aber es gibt viele Sportarten, bei denen die Verletzungsgefahr nicht so hoch ist und die einen trotzdem fordern. Radfahren oder Paddeln, zum Beispiel. Ich selbst fahre begeistert Seekajak.“

„Wenn Sie mir Unterricht geben, könnte ich es mir noch mal überlegen.“ Finn grinste charmant.

Lachend genoss sie den kleinen Schlagabtausch. Sie war es gewohnt, dass Patienten mit ihr flirteten, und sie ließ sich darauf ein, weil sie wusste, dass es nie zu etwas führen würde.

„Ihre Kopfwunde kann ich nähen, Harry, aber die Verletzung am Auge überlasse ich lieber einem Oberarzt aus der Plastischen Chirurgie.“

„Ja, damit das hübsche Gesicht auch hübsch bleibt“, neckte Finn.

„Alles Natur, ich habe mir nicht für teures Geld Gesichtscreme im Internet bestellt, so wie du“, schoss Harry zurück.

Chloe hörte den Albereien der beiden zu, während sie einen Bereich rund um die Wunde vorsichtig rasierte und die Stelle säuberte, bevor sie sie lokal betäubte. Sie nähte gern, immer zufrieden, wenn sie mit der gebogenen Nadel die Wundränder fein zusammengezogen hatte. Als sie schließlich einen Verband anlegte, streckte Greg den Kopf in die Kabine.

„Hast du einen Moment Zeit?“

„Klar.“ Sie streifte die Handschuhe ab. „Bin gleich zurück.“

„Was gibt’s?“, fragte sie, nachdem sie die Kabine verlassen hatte.

Greg deutete mit dem Kopf zum Ende des Flurs, der zum Personalraum führte.

Luke Stanley stand im Türrahmen – groß, düster und trotzdem verboten gut aussehend.

Bei seinem Anblick durchrieselte es sie heiß, aber im nächsten Moment ärgerte sie sich darüber. Warum bekam sie diese verrückte Anziehung nicht in den Griff?

Er hielt ein kleines Mädchen auf dem Arm, schwarzhaarig wie er, sicher seine Tochter. Sie schmiegte sich an seine breite Brust und klammerte sich an ein Plüschtier.

Luke hat heute keinen Dienst.

Tausend Fragen stürmten auf sie ein. Was macht er hier? Warum um alles auf der Welt bringt er seine Tochter mit? Die Notaufnahme wirkte schon bedrückend auf Erwachsene, wie musste sich erst ein Kleinkind fühlen?

Krank sah die Kleine nicht aus. Allerdings traute Chloe ihrer Einschätzung nicht. Sie hatte zu wenig Erfahrung mit Kindern.

Luke, seine Miene wie üblich eine starre Maske, winkte Chloe zu sich.

Zögernd ging sie zu ihm. „Gibt es ein Problem?“

„Ja.“ Er klang erschöpft. „Richard hat mich vor einer halben Stunde angerufen. Sein Wagen ist auf dem Weg vom Lamington National Park liegen geblieben, und der Abschleppdienst braucht mindestens drei Stunden, um ihn hierherzubringen.“

Allmählich verstand sie. „Und Sie springen für ihn ein.“

„Genau. Er sagte mir, dass bei einem Patienten eine Verletzung nahe am Auge genäht werden muss.“

Chloe warf einen Blick auf das Mädchen, das sie mit halb geschlossenen Lidern ansah. Damit Luke nähen konnte, musste er seine Tochter absetzen und jemanden haben, der auf sie aufpasste. Chloe zuckte innerlich zusammen, als eine düstere Ahnung sie beschlich. „Ich wünschte, Sie hätten vorher angerufen. Mr Jameson ist nicht direkt ein Notfall. Er bleibt die nächsten vier Stunden unter Beobachtung, sodass Richard rechtzeitig wieder hier sein sollte, um die Wunde zu nähen. Sie und Ihre Tochter …“

„Amber“, sagte er leise.

Chloe holte bebend Luft. „Sie und Amber können Ihren freien Samstagnachmittag genießen.“

Luke seufzte. „Drei Stunden sind nur eine grobe Schätzung, es könnte durchaus länger dauern. Da ich Amber sowieso schon geweckt habe, wäre es am besten, ich nähe sofort, statt später vielleicht noch einmal hierher zu müssen.“

Und wie wollen Sie das machen? wäre die nahe liegende Frage gewesen, aber sie hütete sich, sie auszusprechen. Stattdessen sagte sie betont sachlich: „Ich lege Ihnen alles Nötige bereit.“

„Danke, das kann ich selbst.“ Unerwartet lächelte er, blickte ihr dabei direkt in die Augen.

Sein Lächeln zauberte ein unbeschreibliches, ein faszinierendes Leuchten in seine grünen Augen. Und als ob jemand in schwelende Glut geblasen hätte, zündete es ein Feuer in ihr, das sie schwach machte vor Sehnsucht und Verlangen. Ihre Knie drohten nachzugeben, und unwillkürlich drückte sie den Rücken Halt suchend an die Wand.

Das ist nicht wahr. Ein Lächeln konnte nicht diese Wirkung auf sie haben!

Du weißt, wie er ist, ermahnte sie sich. Er ist schwierig, unvernünftig und macht anderen das Leben schwer.

Ihr Körper scherte sich nicht darum, Herz und Seele zu beschützen. Wie ausgehungert saugte er die sinnlichen Gefühle auf, wollte mehr davon, wollte die schlanken Männerhände auf der Haut spüren, lustvoll, liebkosend und …

Chloe kämpfte dagegen an, versuchte, sich zu fangen.

„… um Amber kümmern?“

Die Lust starb einen schnellen Tod, als Chloes umnebelter Verstand die Frage entzifferte. „Aber … sie kennt mich nicht, und ich habe Dienst und …“ Ihre Stimme verlor sich, als sie sah, wie sein Lächeln erlosch und einem Ausdruck Platz machte, dessen Anblick Chloe kaum ertragen konnte.

„Es tut mir leid, wenn ich Ihnen zur Last falle, Chloe“, sagte er steif. „Glauben Sie mir, wenn ich eine Wahl hätte, hätte ich Sie nicht gefragt.“

Sie begriff, was es ihn gekostet hatte, sie um diesen Gefallen zu bitten. Und wäre sie sonst lieber in haiverseuchten Gewässern geschwommen als Zeit mit Kindern zu verbringen, so erschien es ihr jetzt unendlich herzlos, ihm die Bitte abzuschlagen.

Innerlich zitternd atmete sie einmal tief durch. „Natürlich“, sagte sie dann. „Ich passe auf Amber auf.“

Es konnte ja wohl nicht so schlimm sein, zwanzig Minuten lang auf ein Kleinkind zu achten.

„Da bin ich wieder.“ Luke betrat den Aufenthaltsraum.

„Oh, gut!“ Chloes Erleichterung war mit Händen greifbar.

Was er sich nicht erklären konnte, da Amber ruhig am Tisch saß und malte, vor sich ein großes Blatt Papier und Buntstifte. Chloe hingegen war schon an der Tür, als könnte sie nicht schnell genug verschwinden.

„Wie war es?“, fragte er.

„Gut.“ Das Lächeln erreichte ihre Augen nicht.

„Wirklich? Sie kann sehr anstrengend sein. Manchmal finde ich, dass eine komplizierte Operation leichter ist.“

Jetzt blitzte ein echtes Lächeln in ihren schönen Augen auf. „Und ich dachte schon, es läge an mir. Sie hat sich an ihren Hasen geklammert, als hinge ihr Leben davon ab. Dann habe ich ihr die Buntstifte hingelegt, und plötzlich war sie wie ausgewechselt.“

Er betrachtete seine süße kleine Tochter, die mit so vielem fertig werden musste, weil Anna nicht mehr am Leben war. Luke wünschte sich, dass Amber geborgen und vertrauensvoll aufwuchs, ohne Angst vor Veränderungen. Ihr das zu bieten war keine leichte Aufgabe, war er doch immer auf die Freundlichkeit fremder Menschen angewiesen.

Chloe Kefes ist keine Fremde.

Er rieb sich den Nacken. „Normalerweise würde meine Schwester auf Amber aufpassen, aber sie macht Urlaub. Vielen Dank für Ihre Hilfe, Chloe.“

„Gern geschehen.“ Sie nickte, und ihr kastanienbrauner Pferdeschwanz strich über ihren Hals, lenkte Lukes Blick auf die samtweiche Haut. Fast hätte Luke die Hand ausgestreckt, um sie zu berühren.

Er unterdrückte das Bedürfnis, wollte aber auch nicht, dass Chloe schon ging. „Kann ich Ihnen einen Tee oder Kaffee machen?“, bot er an und nahm einen Becher vom Regal.

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Ich sollte wieder an die Arbeit gehen.“

Ihre Zurückhaltung war verständlich. Mit ihm zu arbeiten war sicher nicht leicht. Mit so einem Chef setzte man sich nicht einfach zu einem lockeren Plausch zusammen.

„Greg meinte, Sie könnten sich Zeit lassen. Der Ansturm ist erst einmal vorbei.“ Als sie den Mund öffnete, sicher, um zu protestieren, fügte er schnell hinzu: „Den halbstündlichen Check bei Finn und Harry habe ich gemacht, Sie haben also wirklich ein bisschen Zeit. Außerdem weiß ich, wo die Schokoladenkekse sind.“

„Schokolade?“ Übermut tanzte in ihren Augen. „Wenn das so ist, haben Sie mich überredet.“

„Ke’se?“ Hoffnungsvoll blickte Amber von ihrer Zeichnung auf.

„Ja, Süße, du darfst auch einen“, versprach er, bevor er Chloe wieder ansah. „Was möchten Sie trinken?“

„Einen Latte, falls Sie mit dem Ding da zurechtkommen.“ Sie deutete mit dem Daumen auf die moderne Edelstahlmaschine.

Luke lächelte und genoss das ungewohnte Gefühl. „Nicht nur das – ich beherrsche es sogar. In Italien habe ich einen Barista-Kurs gemacht.“

Ungläubig musterte sie ihn. „Im Ernst?“

„Ich bin nicht nur ein schwieriger Chirurg“, versuchte er, sich irgendwie zu entschuldigen.

„Das freut mich“, entgegnete sie lächelnd. „Ich kann es kaum erwarten, auf der Station Ihre anderen Seiten kennenzulernen.“

So hatte noch nie jemand mit ihm gesprochen. Seine Familie nicht. Nicht einmal Anna. „Sind Sie immer so direkt?“

Ein leichtes Schulterzucken, fast zu unbekümmert. „Wenn ich nicht auf mich selbst achte, wer soll es dann tun?“

Ihre Worte gingen ihm unter die Haut. Trotzige Tapferkeit, die ihn traurig stimmte.

„Hund malen.“ Amber hielt Chloe ihren Buntstift hin.

Zögernd, so schien es ihm, ging sie zu seiner Tochter und nahm den Stift, setzte sich neben Amber und zeichnete mit schnellen Strichen einen goldgelben Hund mit großen braunen Augen. „Bitte schön, Kleines.“

„Chester.“ Amber klatschte in die Händchen.

„Chester?“ Luke stellte den Milchkaffee mit dem perfekt temperierten Schaumhäubchen vor Chloe hin und fragte sich, wo Amber das neue Wort gelernt hatte.

„Mein Hund.“ Chloe nippte am Kaffee, schloss kurz die Augen und öffnete sie mit einem Ausdruck purer Verzückung. „Oh, Sie haben nicht nur angegeben. Sie können wirklich Kaffee machen.“

Luke musste lachen. „Sie sorgen nicht gerade dafür, dass einem der Erfolg zu Kopf steigt, hm?“

„Richtig.“ Sie zwinkerte ihm zu und trank noch einen Schluck. Und in ihren Augen blitzte etwas auf, eine genießerische, fast lustvolle Hingabe.

Ihm war klar, dass sie den Kaffee genoss, doch er konnte nicht wegsehen, hielt ihren Blick fest wie gebannt, während die Hitze, die er vorhin unterdrückt hatte, wieder aufloderte wie ein sengendes Feuer. Ein Feuer, von dem er gedacht hatte, dass es für immer erloschen war, als Anna starb.

Autor

Fiona Lowe

Fiona Lowe liebt es zu lesen. Als sie ein Kind war, war es noch nicht üblich, Wissen über das Fernsehen vermittelt zu bekommen und so verschlang sie all die Bücher, die ihr in die Hände kamen. Doch schnell holte sie die Realität ein und sie war gezwungen, sich von den...

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