Ein charmanter Heiratsschwindler

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Der reiche Hoteltycoon Stephen Bartholomew ist so sexy, dass die hübsche Julie ihren eigentlichen Plan fast vergisst: Rache! Bei einem romantischen Picknick am Ufer der Loire verliert sie ihr Herz an ihn. Obwohl Julie befürchtet: Stephen ist ein Betrüger …


  • Erscheinungstag 28.09.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711771
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Glutrot sank die Sonne über dem Loiretal der Erde entgegen. Wie ein Feuerball setzte sie den Himmel in Flammen, der am Horizont in sattem Purpur erglühte, das schließlich in sanfte Pastelltöne überging und mit dem dunklen Blau des Nachthimmels verschmolz.

Der Anblick des Schlosses im Licht der Abenddämmerung war einfach atemberaubend. Wie im Märchen wirkte es mit seinen zahllosen weißen Türmchen und Giebeln, die im letzten Licht der untergehenden Sonne erglühten. Umgeben von ausgedehnten Parks, war es auf einer sanften Anhöhe erbaut, von der aus man eine fantastische Aussicht über das ganze Loiretal hatte.

Langsam senkte die Dunkelheit sich über das Land, doch die Fenster des Schlosses erstrahlten in hellem Lichtschein. Nur ein großes Rechteck im oberen Teil des Tuffsteingebäudes blieb finster. Und genau dort konnte man, wenn man ganz genau hinschaute, einen dunklen Schemen erkennen, der gerade über die Balustrade des Balkons kletterte. Nur Sekunden später war die schwarz gekleidete Gestalt durch die geöffnete Balkontür im Innern des Schlosses verschwunden.

Verstohlen wie ein Schatten huschte sie durch den Raum. Trotz der schier undurchdringlichen Finsternis gelang es ihr, sämtlichen Hindernissen auszuweichen und so das Zimmer zu durchqueren, ohne auch nur den geringsten Laut zu verursachen. Abgesehen vom leisen Ticken der antiken Standuhr war es so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.

Eilige Schritte auf dem Gang vor dem Zimmer ließen die Gestalt zusammenschrecken. Rasch suchte sie hinter einem wuchtigen Sessel Zuflucht, verschmolz mit der Dunkelheit. Angespannt und mit heftig klopfendem Herzen wartete sie. Zehn Sekunden. Zwanzig. Dann endlich entfernten die Schritte sich, wurden leiser und verstummten schließlich ganz.

Julie Matheson stieß ein erleichtertes Seufzen aus, zog sich die schwarze Kapuze vom Kopf und wischte sich mit dem Ärmel ihres ebenfalls tiefschwarzen Catsuits den Schweiß von der Stirn.

Dieser Job war nichts für sie, so viel stand fest. Allein die Aufregung der letzten Minuten hatte sie mit Sicherheit zehn Jahre ihrer restlichen Lebensspanne gekostet. Ihre Finger zitterten, als sie die Taschenlampe aus dem Beutel fischte, den sie sich um die schmalen Hüften geschlungen hatte. Sie blicke sich noch einmal wachsam um, ehe sie es endlich wagte, die Lampe einzuschal-ten.

Ein dünner Lichtstrahl durchschnitt die Dunkelheit, als Julie sich auf die Suche nach etwas machte, von dem sie selbst noch nicht so genau wusste, was es eigentlich war. Einfach irgendetwas, mit dem sie …

Ein leises elektrisches Summen ließ sie erschrocken herumwirbeln. Misstrauisch ließ sie den Strahl der Taschenlampe durch das Zimmer schweifen. Doch sie konnte nichts Verdächtiges entdecken.

Hätte sie genau hingeschaut und sich in dem Metier ein bisschen besser ausgekannt, wäre ihr sicherlich die winzige Kamera aufgefallen, die direkt über der Tür an der Decke angebracht war und sich jetzt langsam bewegte und jede von Julies Bewegungen aufmerksam folgte.

„Verdammt, Boss, wir haben sie! Das ist ganz sicher die Katze, darauf verwette ich einen halben Monatslohn!“

Angespannt beugte Jean-Pierre Arnauld sich über den Monitor der Infrarot-Überwachungskamera. Leicht amüsiert stellte Stephen Bartholomew fest, dass sein Sicherheitschef wirkte, als würde er jeden Moment anfangen, an seinen Fingernägeln zu kauen. Doch wahrscheinlich, dachte er ein wenig schuldbewusst, war Jean-Pierres Aufregung dem Ernst der Lage weit eher angemessen als seine eigene, eher lässige Betrachtungsweise.

Die Kamera schwenkte herum, und plötzlich war das Gesicht des Eindringlings zu erkennen. Mit einem Mal war Stephens Gelassenheit dahin. „Stopp“, rief er, und das Bild gefror auf dem Schirm. „Können Sie das näher heranholen, Jean-Pierre?“

„Natürlich Sir, aber sollten wir nicht lieber die Polizei …?“

„Tun Sie es, bitte.“

Wie elektrisiert betrachtete Stephen das Gesicht, das jetzt fast den gesamten Bildschirm ausfüllte.

„Fichtre.“ Vor lauter Aufregung verfiel Jean-Pierre in seine Muttersprache. „Verdammt, das ist ja eine Frau!“

Ja, es handelte sich in der Tat um eine Frau – und zwar um ein ganz besonderes Exemplar dieser Spezies, wie Stephen fand. Selbst das körnige Bild der Überwachungskamera konnte ihrer klassischen Schönheit keinen Abbruch tun. Sie sah aus wie eine Königin. Sinnliche Lippen, hohe Wangenknochen, große dunkle Augen und ein stolz vorgerecktes Kinn.

Für gewöhnlich ganz die Sorte Frau, die Stephen mit Vergnügen zu sich in seine Privaträume eingeladen hätte, doch dummerweise war ihm diese spezielle junge Dame bislang noch nicht vorgestellt worden – und das warf wiederum die Frage auf, was sie eigentlich in seinem Arbeitszimmer zu suchen hatte.

„Okay, Boss, ich werde jetzt die Flics … Verzeihung, ich meinte natürlich, ich werde die Polizei verständigen, damit sie der Lady ein hübsches neues Paar Armreifen verpassen können.“ Er lächelte siegessicher. „Dieses Mal hat das Kätzchen endgültig ausgespielt.“

Stephen, noch immer wie gebannt von dem Anblick der unbekannten Schönheit auf dem Überwachungsmonitor, riss sich mühsam los und wandte sich seinem Sicherheitschef zu, der bereits den Telefonhörer in der Hand hielt.

„Nicht, Jean-Pierre! Ich kümmere mich selbst um diese Angelegenheit.“

Jean-Pierres Kiefer sackte herab. Er starrte seinen Boss an, als hätte er den Verstand verloren. „Mr. Bartholomew, Sir! Das kann unmöglich Ihr Ernst sein! Dort oben im Arbeitszimmer ist höchstwahrscheinlich die Katze, einer der berüchtigsten Juwelendiebe unserer Zeit. Ich weiß, es sieht aus, als würde es sich um eine völlig harmlose Frau handeln, aber sie könnte bewaffnet sein. Außerdem können wir sie doch nicht einfach so davonkommen lassen!“

Doch Stephen war von seinem Vorhaben nicht mehr abzubringen. „Wer hat behauptet, dass ich so etwas vorhätte?“, erwiderte er ernst. „Vertrauen Sie mir, Jean-Pierre. Ich weiß, was ich tue.“

„Da bin ich nicht so sicher“, hörte Stephen seinen Sicherheitschef leise murmeln, aber er reagierte nicht darauf. Insgeheim war er sich selbst nicht sicher, was er mit dieser unüberlegten Aktion eigentlich erreichen wollte. Er wusste nur eines: Er konnte diese bezaubernde Frau, von der er sich aus unerklärlichen Gründen magisch angezogen fühlte, unmöglich einfach so den Behörden ausliefern.

Nicht, ehe er nicht alles in seiner Macht Stehende versucht hatte, sie auf den rechten Weg zurückzubringen.

Verflixt, das dauerte alles viel zu lange! Nervös durchwühlte Julie die Schubladen des wuchtigen Mahagonischreibtischs. Wieder nichts. Frustriert ballte sie die Hände zu Fäusten. Jeden Quadratzentimeter des Büros hatte sie inzwischen untersucht, ohne auch die winzigste Spur oder wenigstens einen einigermaßen brauchbaren Hinweis zu finden. Und langsam, aber sicher lief ihr die Zeit davon.

Erneut ließ sie den Strahl ihrer Taschenlampe durch den ganzen Raum schweifen, ohne jedoch auf etwas zu stoßen, das als Versteck für irgendwelche verfänglichen Unterlagen hätte dienen können. Sie schluckte einen unflätigen Fluch hinunter. Das konnte doch alles gar nicht wahr sein!

Und dann glaubte sie plötzlich wieder Schritte auf dem Korridor zu hören. Eilige Schritte, die sich rasch näherten. Wenn man sie hier erwischte …

Allein der Gedanke jagte Julie einen eisigen Schauer über den Rücken. Sie schüttelte den Kopf. Es machte keinen Sinn, sich auch nur eine Sekunde länger dem Risiko auszusetzen, entdeckt zu werden. Sie wusste ja nicht einmal, wo sie noch suchen sollte. Kurz entschlossen zog sie sich die Kapuze wieder über den Kopf und schaltete die Taschenlampe aus. Dann verließ sie das Büro auf demselben Wege, auf dem sie bereits hineingelangt war – indem sie über die Balkonbrüstung kletterte und den schmalen Vorsprung im Mauerwerk entlang bis zurück zu ihrem eigenen Balkon balancierte.

Im Laufschritt eilte Stephen den mit weißem Marmor ausgekleideten Korridor entlang. Der langflorige bordeauxrote Teppich verschluckte die Geräusche seiner Schritte – jedenfalls hoffte er das, denn die legendäre Katze würde sich sicherlich nicht so einfach in flagranti erwischen lassen. Dann, vor der Tür seines Arbeitszimmers, zögerte er plötzlich.

Noch war Zeit, die ganze Sache zu überdenken. Wahrscheinlich hatte Jean-Pierre recht, und Stephen verhielt sich im Augenblick einfach nur idiotisch. Nur, weil es sich bei der vermeintlichen Diebin um eine bildhübsche Frau handelte, hieß das nicht, dass sie ihm nicht gefährlich werden konnte. Im Gegenteil, vielleicht konnte sie ihm auch gerade deshalb wirklich gefährlich werden.

Es war nicht zu leugnen, dass diese Frau es ihm angetan hatte. Dabei kannte er sie nicht einmal, hatte nur einen kurzen Blick auf ihr Gesicht auf dem Bildschirm der Überwachungskamera erhascht. Dennoch wurde der Drang, sie zu sehen, mit ihr zu sprechen – sie zu berühren – von Augenblick zu Augenblick stärker.

Kurz entschlossen zog er den Magnetstreifen seiner Zugangskarte durch den Scannerschlitz, der rechts neben dem Türrahmen an der Wand angebracht war. Ein schnappendes Geräusch erklang, und die Tür schwang ein Stück weit nach innen auf. Im selben Moment hörte Stephen ein gedämpftes Poltern, dann hastige Schritte aus dem Inneren des Raums.

Mit einem unterdrückten Fluch tastete er die Wand nach dem Lichtschalter ab. Als er ihn endlich gefunden hatte, sah er nur noch einen dunklen Schatten, der durch die geöffnete Balkontür nach draußen verschwand. Ohne auch nur eine Sekunde über die möglichen Konsequenzen seines Handelns nachzudenken, setzte er dem Eindringling nach. Doch der Balkon war bereits verlassen, als er durch die vom Wind aufgebauschten Vorhänge ins Freie trat.

Er beugte sich über die Brüstung, schaute nach unten, doch von der Katze war nicht die geringste Spur zu entdecken. Sie war ihm entkommen.

„Ich hoffe, Sie verzeihen mir, wenn ich es so deutlich ausdrücke, Sir, aber Sie haben mehr Glück als Verstand gehabt.“ Jean-Pierre stand hinter ihm im Türrahmen und musterte ihn durchdringend. „Was haben Sie sich bloß dabei gedacht? Die Katze ist ein professioneller Juwelendieb. Dachten Sie im Ernst, Sie könnten hier einfach so hereinspazieren und sie festhalten?“

Stimmte, was Jean-Pierre sagte? Stephen war sich selbst nicht sicher. War er überhaupt zu einem klaren Gedanken fähig gewesen, nachdem er das Bild dieser Frau auf den Überwachungsmonitoren erblickt hatte? Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte sein Instinkt von diesem Moment an die Führung übernommen. Ein beunruhigender Gedanke, wie er fand. Was war bloß so besonders an dieser Frau, dass sie ihn so mühelos aus dem Gleichgewicht bringen konnte?

Gespielt gleichgültig zuckte er mit den Achseln, obwohl es in seinem Inneren brodelte. „Was passiert ist, ist nun mal passiert. Und da die junge Lady fort ist, halte ich es auch für überflüssig, die Polizei zu rufen.“

„Sie wollen die Flics da raushalten, Sir? Also, um ehrlich zu sein, das gefällt mir nicht. Ist es nicht unsere Pflicht, Informationen, die zur Ergreifung eines Straftäters führen können, an die Behörden weiterzuleiten? Ich meine, unsere Sicherheitskameras zeichnen zwar nichts auf, aber wir können die Katze immerhin beschreiben.“

Ja, dachte Stephen versonnen, in der Tat, das können wir. Dunkelhaarig, zierlich aber mit Rundungen genau an den richtigen Stellen und …

Er schüttelte den Kopf. Teils, um seinen Sicherheitschef zurückzupfeifen, zugleich aber auch, um diese bezaubernde Frau aus seinen Gedanken zu befreien. „Ich glaube nicht, dass das jetzt noch Sinn macht, Jean-Pierre“, sagte er. „Die Lady ist längst über alle Berge. Außerdem wissen wir doch gar nicht, ob es sich bei ihr tatsächlich um diese legendäre Juwelendiebin handelt, die man die Katze nennt. Vielleicht ist sie ja nur eine harmlose Touristin, die sich verlaufen hat.“

Jean-Pierres Augen wurden groß. „Verlaufen? Natürlich, Sir, die Dame ist bestimmt rein versehentlich über den Balkon im dritten Stock in Ihr Arbeitszimmer gelangt. Das könnte schließlich jedem passieren, nicht wahr?“

„Sarkasmus passt nicht zu Ihnen, Jean-Pierre“, erwiderte Stephen scharf, was sonst gar nicht seine Art war. „Ich erwarte von Ihnen, dass Sie meine Anweisungen befolgen, haben Sie mich verstanden? Kein Wort über diesen Vorfall zu irgendwem.“

Der Sicherheitschef nickte knapp, wandte sich dann brüsk ab und verließ mit steifen Schritten das Zimmer.

Seufzend setzte Stephen sich auf seinen ledernen Chefsessel, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen. Was war bloß in ihn gefahren? Jean-Pierre musste denken, dass er drauf und dran war, den Verstand zu verlieren, und das konnte er ihm nicht einmal übel nehmen. Vielleicht hatte sein Sicherheitschef ja sogar recht. Deckte er nicht gerade in diesem Augenblick eine potenzielle Gesetzesbrecherin?

„Stephen Bartholomew – oder wie auch immer Sie in Wahrheit heißen mögen –, Sie sind ein mieser Schuft! Ich …“

Unzufrieden schüttelte Julie Matheson den Kopf. Nein, das klang einfach nur lächerlich. Zudem traf es nicht einmal im Entferntesten den Kern dessen, was sie diesem Mann eigentlich sagen wollte. Dummerweise hatte ihre Mutter sie zu gut erzogen, um die Worte auszusprechen, die ihr bei dem Gedanken an ihn durch den Kopf schossen.

Noch einmal fixierte sie das Gesicht des Mannes, dessen Foto sie mit Klebeband auf den Spiegel ihres Hotelzimmers geklebt hatte. Dass er verboten gut aussah, ließ sich wirklich nicht bestreiten. Er hatte glänzendes rabenschwarzes Haar, das in auffälligem Kontrast zu den klaren tiefgrünen Augen stand. Sein markantes Kinn und die perfekten, wie in Stein gemeißelten Züge ließen in Julies Vorstellung Bilder von griechischen Gottheiten aufsteigen. Aber ein Gott? Nein, das war Stephen Bartholomew nun wahrlich nicht. Ganz im Gegenteil!

Es gab keinen Menschen auf dieser Welt, den sie so inbrünstig verabscheute wie diesen Mann. Stephen Bartholomew versinnbildlichte für sie alles, was schlecht und verdorben war. Deshalb hielt sich ihr schlechtes Gewissen auch in Grenzen, wenn sie daran dachte, dass sie in der letzten Nacht im Schutze der Dunkelheit in sein Arbeitszimmer eingedrungen war.

Nein, Stephen Bartholomew verdiente es nicht besser – wie übrigens auch die meisten anderen Angehörigen des männlichen Geschlechts, wenn man Julie danach befragte. Nach allem, was sie in ihrem bisherigen Leben erlebt hatte, sollte man Männern besser weder Vertrauen noch Glauben schenken, wollte man nicht Gefahr laufen, eine bittere Enttäuschung zu erleben. Dieser spezielle Mann jedoch war ein ganz besonders niederträchtiges Exemplar seiner Spezies, den man mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Strecke bringen musste.

Dummerweise war er bisher jedoch noch nicht einmal aufgetaucht, weswegen Julie sich zu dieser haarsträubend riskanten Aktion der gestrigen Nacht hatte hinreißen lassen. Nachdem sie mehr durch Zufall erfahren hatte, dass sich das Arbeitszimmer von Stephen Bartholomew direkt neben ihrer eigenen Suite befand, hatte sie die Hoffnung gehegt, dort endlich auf Hinweise oder gar Beweise zu stoßen. Ihr wurde jetzt noch ganz flau, wenn sie daran dachte, dass man sie um ein Haar auf frischer Tat ertappt hätte. Im letzten Moment hatte sie die Schritte auf dem Korridor gehört und sich dann schleunigst aus dem Staub gemacht. Leider mit leeren Händen.

Julie trat hinaus auf den großzügigen Balkon, der zu ihrer luxuriösen Suite gehörte, und lehnte sich an die Brüstung. Das Palais des Jeux, ein zum Kasino umgebautes Schloss mit angeschlossenem Hotel, war ein teures Pflaster. Jeder Tag, den sie hier verbrachte, kostete sie ein halbes Vermögen. Doch allein der bezaubernde Ausblick, der über den weitläufigen Park bis hin zum Ufer der Loire reichte, war jeden Preis wert.

Sorgsam gestutzte Buchsbäume flankierten den Weg, der mit weißen Kieselsteinen ausgestreut war und zum eigentlichen Schmuckstück der Gartenanlage führte: dem kleinen weißen Pavillon, an dessen gotischen Säulen sich leuchtend rote Kletterrosen emporrankten. Der süße Duft von Jasmin, Flieder und Lavendel erfüllte die Luft.

Atemberaubend, doch hatte Julie im Moment kein Auge für die Schönheiten der Natur. Noch immer kreisten ihre Gedanken um Stephen Bartholomew. Was sollte sie bloß tun, wenn er überhaupt nicht auftauchte? Zwar nagte sie nicht gerade am Hungertuch, doch auch ihre Rücklagen waren irgendwann einmal aufgezehrt. Bartholomew war es bereits gelungen, eine der Matheson-Schwestern in den Ruin zu treiben. Auf keinen Fall durfte ihm das ein zweites Mal gelingen.

Dennoch dachte Julie nicht eine Sekunde daran, kampflos das Feld zu räumen. Sie hatte den weiten Weg nach Frankreich auf sich genommen, um Stephen Bartholomew für seine Schandtaten zu bestrafen. Jemand musste ihm endlich die Maske der Rechtschaffenheit vom Gesicht reißen, ehe er noch weitere unschuldige Frauen ins Unglück stürzte.

Unbändiger Zorn stieg in ihr auf, als sie an ihre Schwester Chelsea dachte. Was dieses Scheusal ihr angetan hatte, war einfach unverzeihlich. Er hatte sie nicht nur finanziell ruiniert, sondern ihr zudem grausam das Herz gebrochen. Und Julie hatte es sich geschworen, ihn für das Unglück ihrer kleinen Schwester teuer bezahlen zu lassen. Denn auf die Polizei schien in dieser Hinsicht kein Verlass zu sein.

Realistisch betrachtet waren Julies Chancen, Bartholomew tatsächlich aufzuspüren, mehr als gering gewesen. Den Auskünften der ermittelnden Beamten nach zu urteilen wechselte dieser Schuft seinen Namen und seinen Aufenthaltsort häufiger als die meisten Menschen ihre Unterwäsche.

Es musste einfach ein Wink des Schicksals gewesen sein, dass er ausgerechnet die Immobilienagentur, bei der Julie angestellt war, damit beauftragt hatte, ein Palais an der Loire für ihn zu erwerben. Doch selbst da war Julie noch ahnungslos gewesen, um wen es sich bei diesem äußerst solventen Kunden handelte, von dem ihr Chef die ganze Zeit über schwärmte. Ihre Freundin Ivonne war für den französischsprachigen Raum zuständig, während Julie selbst sich auf den An- und Verkauf spanischer und mallorquinischer Fincas spezialisiert hatte. Ein harmloser Schnappschuss, aufgenommen während eines von Ivonnes Geschäftsdinners, hatte schließlich die Wahrheit ans Licht gebracht.

„Sieht er nicht wahnsinnig gut aus?“, hatte ihre Kollegin und gute Freundin geschwärmt, als sie ihr das Bild nichts ahnend in die Hand gedrückt hatte. Doch Julie hatte darauf nichts weiter gesehen als den personifizierten Teufel, der ihre Schwester Chelsea ins Unglück gestürzt hatte. Sie waren einander zwar niemals persönlich begegnet, doch Chelsea hatte ihr einmal ein Foto von ihm geschickt. Die Ähnlichkeit war einfach zu groß, um Zufall zu ein. Stephen Bartholomew war ihr Mann, darauf hätte Julie schwören können.

Von diesem Augenblick an war sie nicht mehr zu bremsen gewesen. Kurz entschlossen hatte sie sich eine Geschichte für ihren Chef ausgedacht und den nächsten Flieger nach Frankreich bestiegen. Und hier war sie nun, ohne jeden Plan, wie sie ihr Vorhaben verwirklichen sollte, Stephen Bartholomew als das zu entlarven, was er wirklich war: ein Betrüger, der seine ahnungslosen Opfer auf die Schlimmste aller möglichen Arten um ihr Vermögen brachte.

Irgendwie hatte sie sich das alles viel einfacher vorgestellt. Doch inzwischen war schon beinahe eine Woche vergangen, ohne dass sie die geringsten Fortschritte gemacht hätte. Lieber Himmel, nicht einmal gesehen hatte sie den Schuft bisher! Ihr Versuch, in sein Arbeitszimmer einzudringen und dort Beweise für seine zwielichtige Vergangenheit zu finden, war eine reine Kurzschlussreaktion gewesen – und gefährlich dumm dazu. Hätte man sie tatsächlich erwischt, wäre sie es nun, die sich vor französischen Gerichten verantworten musste, und nicht Stephen Bartholomew!

Julie ballte die Hände zu Fäusten und schüttelte den Kopf. Nein, es musste einen anderen Weg geben, diesem Verbrecher das Handwerk zu legen. Und sie, Julie Matheson, würde ihn finden.

2. KAPITEL

Obwohl das Kasino erst vor knapp zwei Monaten eröffnet hatte, konnte Stephen bereits jetzt mit den Einnahmen mehr als zufrieden sein. Über Anlaufschwierigkeiten jedenfalls brauchte er sich nicht zu beschweren. Schon am Tag der großen Eröffnung hatte es einen regelrechten Ansturm auf das Palais des Jeux gegeben, und Abend für Abend wurden es mehr Gäste.

Lächelnd durchquerte er die geräumige Vorhalle, die er nach dem Vorbild von Las Vegas mit einarmigen Banditen und anderen Geldspielautomaten hatte ausstaffieren lassen. Für ein paar Euro konnte man sich hier in luxuriösem Ambiente die Zeit vertreiben und mit ein wenig Glück mit einem satten Gewinn heimkehren.

Durch eine Tür im hinteren Teil der Vorhalle betrat Stephen den Bereich des Casinos, wo um die wirklich großen Einsätze gespielt wurde. Beim Umbau des Schlosses hatte er darauf bestanden, dessen Grundsubstanz so weit wie möglich unverändert zu lassen, und er hatte gut daran getan.

Von der hohen Decke hingen Kristallleuchter an polierten Messingketten und tauchten den Saal in ein leicht gedämpftes Licht. Auf dem glänzend polierten weißen Marmorboden lagen kostbare orientalische Teppiche, und in den kleinen Nischen und Erkern standen die exquisiten handgeschnitzten Möbelstücke, die er dem Vorbesitzer des Schlosses für einen geringen Aufschlag mit abgekauft hatte. Sie gaben dem Raum den geschmackvollen und kultivierten Glanz alter Zeiten, genau so, wie Stephen es sich erhofft hatte.

Zufrieden registrierte er, dass sowohl die Poker- als auch die Blackjacktische fast alle voll besetzt waren. Doch der Roulettetisch war das eigentliche Glanzlicht des Palais des Jeux. Hier waren sogar an den Wochentagen immer sämtliche Plätze belegt, und kaum ein Besucher verließ das Schloss, ohne wenigstens einen kurzen Blick darauf geworfen zu haben.

„Ein guter Abend, was meinen Sie, Christine?“

Als er sich nach einem geeigneten Barkeeper für das Palais umgeschaut hatte, war ihm von allen Seiten immer wieder dieselbe Person empfohlen worden: Christine Flaubart. Und die junge Französin machte ihrem Ruf alle Ehre. Sie war nicht nur in der Lage, jeden gewünschten Drink perfekt zu mixen, sie war zudem auch noch bildschön und verstand es, die Gäste mit ihrem Charme und ihrer positiven Ausstrahlung bei Laune zu halten, selbst wenn diese gerade ein halbes Vermögen am Spieltisch verloren hatten.

Jetzt lächelte sie strahlend. „Das kann man wohl sagen, Sir. Ein wirklich ausnehmend guter Abend. Es wird Zeit, dass die Getränkelieferung eintrifft“, fügte sie scherzhaft hinzu. „Sonst sitzen wir nämlich bald auf dem Trockenen.“

Stephen lachte und wollte gerade etwas erwidern, als ihm mit einem Mal der Atem stockte. Da war sie, stand einfach dort, als wäre nichts geschehen. Ihr ebenholzfarbenes Haar trug sie als lockeren Knoten im Nacken festgesteckt, der Satin ihres eng anliegenden bodenlangen Kleides schimmerte im Licht der Kronleuchter beinahe ebenso geheimnisvoll wie ihre Augen. Aber nur beinahe …

Wie gebannt beobachtete Stephen sie, während sie langsam ihren Blick durch den Saal schweifen ließ. Was tat sie hier? Das Treiben an den Spieltischen jedenfalls schien sie nicht sonderlich zu interessieren. Vielmehr machte sie den Eindruck, Ausschau nach irgendjemandem zu halten. Irgendjemandem – oder irgendetwas? Einer lohnenden Beute vielleicht, die jetzt noch den Hals einer anwesenden Dame schmückte, in ein paar Stunden jedoch schon den Besitzer gewechselt haben würde?

Und dann begegneten sich ihre Blicke, und Stephen vermeinte die Luft im Saal knistern zu hören vor Anspannung. Für einen Moment verstummten die Geräusche um ihn herum, und alles, was er wahrnahm, war das Pochen seines eigenen Herzens. Obwohl sie einander niemals zuvor begegnet waren, glaubte er in ihren unergründlichen dunklen Augen so etwas wie Erkennen aufblitzen zu sehen. Erkennen und noch etwas anderes, das ihn irritierte. Wut? Doch das konnte selbstverständlich nicht sein, denn wie sollte sie wütend auf ihn sein, wo sie ihn doch nicht einmal kannte. Und dann war dieser seltsame Ausdruck in ihren Augen auch schon wieder verschwunden, und Stephen war sicher, dass er sich getäuscht haben musste.

Jetzt lächelte sie und kam geradewegs auf ihn zu. Das feine Gewebe ihres Kleides raschelte bei jedem Schritt leise. Das Geräusch ließ Stephen einen wohligen Schauer den Rücken hinunterrieseln. Für einen Moment stellte er sich vor, wie es wäre, ihr den glatten Stoff über die Schultern zu streifen und …

Schluss damit!, rief er sich energisch zur Ordnung, ehe seine Fantasie mit ihm durchgehen konnte. Nach allem, was er wusste, war diese Frau eine gesuchte Juwelendiebin. Mit eigenen Augen hatte er gesehen, wie sie in sein Privatbüro eingebrochen war. Er sollte auf der Stelle die Polizei rufen und der Sache ein Ende bereiten – doch er brachte es einfach nicht über sich. Nicht nach dem, was mit Michael geschehen war …

Autor

Penny Roberts
Penny Roberts verspürte schon als junges Mädchen die Liebe zum Schreiben. Ihre Mutter sah es gar nicht gern, dass sie statt Schule und Hausaufgaben ständig nur ihre Bücher im Kopf hatte. Aber Penny war sich immer sicher, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, und ihr Erfolg als Autorin gibt ihr...
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