Julia Herzensbrecher Band 4

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SO HEIß KÜSST NUR EIN PRINZ von LYNN RAYE HARRIS
Prinzessin Antonella sollte Prinz Cristiano di Savaré hassen - er ist der größte Feind ihres Landes. Doch ihr Körper verrät sie: Als Cristiano sie auf seiner Luxusjacht in der Karibik mit einem lustvollen Kuss überrascht, spürt sie gegen ihren Willen ein sinnliches Prickeln …

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  • Erscheinungstag 28.09.2018
  • Bandnummer 4
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711757
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lynn Raye Harris, Penny Roberts, Jane Porter

JULIA HERZENSBRECHER BAND 4

1. KAPITEL

Prinz Cristiano stand vor dem Spiegel und knöpfte sein Smokinghemd zu. Das sanfte Schwanken des Bodens unter seinen Füßen war der einzige Hinweis darauf, dass er sich auf einer Jacht befand und nicht in einer luxuriösen Hotelsuite. Mehr als zweitausend Meilen war er geflogen, um an diesem Abend hier zu sein. Ganz entspannt sah sein Spiegelbild demnach nicht aus: Die Falten auf seiner Stirn und um die Mundwinkel ließen ihn älter wirken, als er wirklich war – einunddreißig, im besten Mannesalter.

Daran musste er noch arbeiten, ehe er sich auf die Jagd nach dieser Frau begab. Ein Vorhaben, das ihm keinen Spaß machte, das aber leider sein musste. Widerwillig zwang er sich zu einem Lächeln. Ja, schon besser, entschied er nach einem weiteren Blick in den Spiegel.

Bisher hatte sich kaum eine Frau seinem Charme entziehen können.

Er schlüpfte in die Smokingjacke und schnippte einen Fussel vom Revers. Was würde Julianne denken, wenn sie ihn jetzt sähe? Er würde alles dafür geben, wenn sie jetzt neben ihm stünde, seine Krawatte zurechtzupfte und ihn ermahnte, nicht so ernst dreinzuschauen.

„Julianne“, murmelte er leise. Sie waren nur einen Monat lang verheiratet gewesen – und das war schon so lange her, dass er sich nicht einmal mehr richtig an ihre Haarfarbe erinnern konnte oder den Klang ihres Lachens. Das mochte ja normal sein, aber es machte ihn immer wieder wütend und auch traurig. Nie würde er es sich verzeihen, dass er ihren Tod nicht verhindert hatte.

Viereinhalb Jahre war es her, dass er sie in den Hubschrauber steigen und an die gefährliche Grenze zwischen Monterosso und Monteverde hatte fliegen lassen, trotz eines mulmigen Gefühls im Magen.

Julianne war Medizinstudentin gewesen und wollte ihn zu einem Hilfseinsatz begleiten. Als er den im letzten Moment absagen musste, hatte sie darauf bestanden, ohne ihn zu fliegen. Sie war der Meinung gewesen, dass sie als neue Kronprinzessin am Frieden mit Monteverde mitarbeiten müsse. Sie war Amerikanerin und glaubte, deshalb gefahrlos beide Länder besuchen zu können.

Und er hatte sich überzeugen lassen.

Cristiano schloss die Augen. Die Nachricht, dass eine monteverdische Bombe das Leben seiner Frau und das von drei anderen Hilfskräften ausgelöscht hatte, löste eine Wut und Verzweiflung in ihm aus, wie er sie nie zuvor erlebt hatte.

Er trug die Schuld an ihrem Tod. Sie würde noch leben, wenn er sie nicht hätte gehen lassen … wenn er sie überhaupt nie geheiratet hätte. Warum hatte er es getan? Diese Frage stellte er sich seit damals immer wieder.

Er glaubte nicht an überspringende Funken oder Liebe auf den ersten Blick, und doch hatte er sich so stark zu ihr hingezogen gefühlt, dass es ihm nur richtig erschien, sie vom Fleck weg zu heiraten.

Eine Entscheidung, die Julianne das Leben gekostet hatte.

Aus purem Eigennutz war er diese Ehe eingegangen, denn er musste heiraten und wollte sich von seinem Vater seine zukünftige Gattin nicht vorschreiben lassen. Er hatte ein lebenslustiges, wunderschönes Mädchen gewählt, das er kaum kannte. Der Sex mit ihr war großartig, und er mochte sie. Er hatte sie mit seinem Antrag überrumpelt und ihr die Welt versprochen.

Und sie hatte ihm geglaubt …

Basta!

Er musste die Gedanken an Julianne verdrängen, wenn er sich unter Raúl Vegas Gäste mischen wollte. Diese dunklen Zeiten waren vorüber. Er hatte ein neues Ziel vor Augen und würde erst ruhen, wenn er dieses erreicht hatte.

Monteverde.

Die Prinzessin. Der Grund, warum er auf dieser Jacht war.

„Ist das nicht ein wunderbarer Abend?“

Prinzessin Antonella, die gerade aus ihrer Kabine trat, wich erschrocken zurück, als sie vor sich einen Mann an der Reling lehnen sah. Wellen klatschten leise an den Schiffsrumpf, von einem der anderen Boote im Hafen klang Gelächter herüber, die laue Luft duftete intensiv nach Jasmin.

Doch all das schien sie nicht zu bemerken. Ihr Blick hing wie gebannt an der großen Gestalt, eine dunkle Silhouette vor der hell erleuchteten Stadt im Hintergrund. Als er einen Schritt auf sie zu machte, fiel der Schein einer Decklampe auf sein Gesicht.

Sie erkannte ihn sofort, obwohl sie ihm nie begegnet war. Dieses attraktive Gesicht mit den markanten Wangenknochen und den sinnlichen Lippen, umrahmt von pechschwarzem Haar, gehörte genau dem Mann, mit dem sie im Augenblick unter keinen Umständen sprechen sollte.

Antonella holte tief Luft, kämpfte um ihre kühle Distanziertheit, für die sie bekannt war. Warum war er hier? Wusste er, wie verzweifelt sie war?

Natürlich nicht – woher auch?

„Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?“

Antonella schluckte. Er sah noch viel besser aus als auf den Fotos in den Zeitschriften. Und viel gefährlicher. So gefährlich, dass in ihrem Kopf sofort alle Alarmglocken schrillten. „Keineswegs. Sie haben mich nur ein wenig erschreckt.“

Unter dem trägen Blick, mit dem er sie musterte, begann ihre Haut zu prickeln. „Wir sind uns noch nicht vorgestellt worden.“ Seine Stimme war so weich und verführerisch wie dunkle Schokolade. „Ich bin Cristiano di Savaré.“

„Ich weiß, wer Sie sind“, erwiderte Antonella – viel zu schnell.

„Ja, das dachte ich mir.“

Es klang wie eine Beleidigung. Antonella schaffte es dennoch, die würdevolle Haltung zu wahren, die einer Prinzessin zustand. „Warum sollte mir der Name des Kronprinzen von Monterosso nicht geläufig sein?“

Der erbittertste Feind ihres Landes. Obwohl die Geschichte der drei Schwesterstaaten – Monteverde, Montebianco und Monterosso – schon immer problematisch gewesen war, führten heute nur noch Monteverde und Monterosso gegeneinander Krieg. Unwillkürlich musste Antonella an die monteverdischen Soldaten denken, die heute Abend an der umkämpften Grenze Dienst taten, an die Stacheldrahtzäune, die Landminen und Panzer. Sie wurde von tiefen Schuldgefühlen erfasst.

Die Soldaten waren ihretwegen dort, für alle Bewohner von Monteverde. Sie beschützten ihr Volk vor einer Invasion.

Antonella durfte ihre Leute nicht im Stich lassen. Ihre Mission hier musste Erfolg haben. Ihre Nation durfte nicht vom Angesicht der Weltkarte verschwinden, nur weil ihr Vater ein Tyrann war, der sein Volk in den Ruin getrieben hatte.

„Etwas anderes habe ich auch nicht erwartet, Principessa“, erwiderte er mit kühler Selbstsicherheit.

Sie hob ihr Kinn an, erinnerte sich an die Ermahnungen ihres Bruders. Lass dir niemals deine Angst anmerken! „Was führt Sie hierher?“

Mit diesem Grinsen hatte sie nicht gerechnet – schneeweiße Zähne blitzten in der Dunkelheit auf. Es war in etwa so freundlich wie das Knurren eines hungrigen Löwen. Sie spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten.

„Das Gleiche wie Sie, nehme ich an. Raúl Vega ist ein sehr vermögender Mann. Er kann einem Land, das ihn als Geschäftspartner gewinnt, viele Arbeitsplätze einbringen.“

Antonella gefror das Blut in den Adern. Sie brauchte Raúl Vega, nicht dieser … dieser arrogante, viel zu gut aussehende Kerl, der schon alle Vorteile seiner Macht und seiner Position genoss. Monterosso war ein sehr reiches Land; Monteverde hingegen brauchte Vega Steel. Für ihr Volk ging es um Leben oder Tod. Seit der Entmachtung ihres Vaters hielt ihr Bruder das Land allein mit seiner Willenskraft zusammen. Aber lange würde das nicht mehr so gehen. Sie brauchten fremde Investoren, einen Mann mit dem Einfluss eines Vega, der anderen Investoren zeigte, dass sich in Monteverde Geld verdienen ließ.

Die astronomischen Darlehen, die ihr Vater aufgenommen hatte, waren fällig und die Staatskasse leer. Ein Vertrag mit Vega Steel war ihre letzte Rettung.

Wenn Cristiano di Savaré wüsste, wie nahe sie dem Bankrott standen …

Nein. Das konnte er gar nicht wissen. Niemand wusste davon. Doch lange konnte ihr Land diesen elenden Zustand nicht mehr verheimlichen. Bald würde es die ganze Welt wissen – und Monteverde aufhören zu existieren. Der Gedanke daran gab ihr den Mut, sich diesem Mann entgegenzustellen.

„Erstaunlich, dass Monterosso sich für Vega Steel interessiert“, erwiderte sie kühl. „Mein Treffen mit Signor Vega hingegen ist nicht geschäftlicher Natur.“

Cristiano grinste süffisant.

Antonella wollte ihn abblitzen lassen, hatte sich jedoch nur lächerlich gemacht. Mist.

„Ja, das hörte ich.“

Antonella zuckte unmerklich zusammen. Er hatte es geschafft, dass sie sich billig fühlte – ohne auszusprechen, was er wirklich dachte. Das war auch nicht nötig; sie verstand ihn auch so.

„War es das, Euer Hoheit?“ Ihr Ton war mehr als frostig. „Ich werde nämlich zum Dinner erwartet.“

Er trat noch einen Schritt näher an sie heran, und sie musste sich zusammennehmen, nicht vor ihm zurückzuweichen. Jahrelang hatte sie vor ihrem cholerischen Vater gekuscht und nach seiner Verhaftung geschworen, sich nie wieder vor einem Mann zu ducken.

Aufrecht stand sie vor ihm und wartete.

„Erlauben Sie mir, Sie zu begleiten, Principessa.

Er war so nah. Beängstigend nah. „Danke, ich finde den Weg allein.“

„Gewiss.“ Sein Lächeln war keines. Hinter seiner formellen Höflichkeit spürte sie Feindschaft. Dunkelheit. Leere.

„Doch ich könnte glauben, dass Sie Angst vor mir haben“, fuhr er fort.

Antonella schluckte hart. Er hatte sie durchschaut. „Warum sollte ich?“

„Eben.“ Auffordernd hielt er ihr seinen Arm hin.

Noch zögerte sie. Nein, sie würde nicht kneifen. Sicher, mit ihm gesehen zu werden, war ein Verrat an ihrem Land, aber sie waren in der Karibik; Monteverde war weit weg. Niemand würde es je erfahren.

„Also schön.“ Sie legte ihre Hand auf seinen Arm – und erschrak, als ein intensives Prickeln durch ihren Arm fuhr. Cristiano zu berühren war wie ein sanfter elektrischer Stromschlag.

Doch er war der Feind, rief sie sich in Erinnerung, der personifizierte Teufel, wenn man sie fragte. Und als er seine Hand auf die ihre legte, verspürte sie einen Anflug von Panik, fühlte sich gefangen, obwohl sie ganz locker auf ihrer ruhte. Beinahe unpersönlich. Ganz so, wie ein eleganter Herr eine Dame zu einem Empfang geleitet.

Dennoch schlug ihr das Herz bis zum Hals. Dieser Mann hatte etwas an sich, etwas Dunkles und Gefährliches. Er war so ganz anders als die Männer, mit denen sie gewöhnlich Umgang pflegte.

„Weilen Sie schon lange in der Karibik?“, erkundigte er sich, während sie über das Außendeck schlenderten.

„Ein paar Tage“, antwortete sie abwesend und wünschte, er würde etwas schneller gehen. Sie wollte keine Minute länger als nötig in seiner Gesellschaft verbringen. „Aber ich habe noch nicht viel von der Insel gesehen.“

„Das dachte ich mir.“

Sein überheblicher Tonfall ärgerte sie. Sie blieb abrupt stehen. „Was soll das denn heißen?“

Er drehte sich zu ihr um und musterte sie ganz ungeniert. Fast beleidigend. Dennoch ertappte sie sich dabei, wie sie in der Dunkelheit herauszufinden versuchte, welche Farbe seine Augen hatten. Blau? Grau wie die ihren?

„Soll heißen, Principessa, dass man nicht viel von einem Land sieht, wenn man die meiste Zeit auf dem Rücken liegt.“

Antonella schnappte nach Luft. „Wie können Sie es wagen!“

„Aber das weiß doch jeder, verehrte Antonella Romanelli. Im letzten halben Jahr haben Sie doch weltweit von sich reden gemacht. Sind kreuz und quer durch Europa gereist, haben keine Party ausgelassen und sich jeden Mann geschnappt, auf den Sie gerade Lust hatten. Wie Vega zum Beispiel.“

Seine Worte schmerzten, als hätte er ihr einen Pfeil ins Herz geschossen.

Antonella wirbelte herum, doch Cristiano packte sie am Handgelenk und hielt sie zurück. Ihr Herz hämmerte vor Angst so schnell, dass sie glaubte, jeden Moment ohnmächtig zu werden. Er war ein starker Mann, genau wie ihr Vater. Die Erinnerung an so manche familiäre Konflikte holte Antonella eiskalt ein. Er war leicht erregbar und schnell mit der Faust dabei, wenn er wütend war. Und das war er oft. Antonella hatte diese Faust mehr als einmal zu spüren bekommen.

„Lassen Sie mich los!“, fauchte sie Cristiano an.

„Ihr Bruder sollte Sie besser im Auge behalten“, meinte er und lockerte seinen Griff. Sofort entriss sie ihm ihre Hand und rieb sich das Handgelenk, obwohl er ihr nicht wehgetan hatte.

Plötzlich kochte sie vor Wut – ihre Angst war vergessen. „Was bilden Sie sich überhaupt ein? Nur weil Sie der Thronfolger von Monterosso sind, glauben Sie, etwas Besonderes zu sein? Mein Leben geht Sie nichts an.“ Ihr Lachen klang bitter. „Ich weiß, was Sie über mich und mein Volk denken. Aber eins steht fest: Monterosso hat uns in den letzten tausend Jahren nicht besiegt und wird uns auch nie besiegen.“

„Bravo.“ Seine Augen glitzerten gefährlich. „Sehr leidenschaftlich. Da fragt man sich, zu welchen Gefühlsausbrüchen Sie unter gewissen anderen Umständen fähig sind.“

„Das werden Sie nie erfahren, Euer Hoheit. Ich schwöre, lieber stürze ich mich hier über Bord, als mit einem Mann wie Ihnen ins Bett zu gehen.“

Dabei war sie noch nie mit irgendeinem Mann im Bett gewesen, aber das wusste er ja nicht. Wenige Partys, ein paar Gerüchte und Fotos hatten genügt, um die Wahrheit in eine gemeine Lüge zu verwandeln. Eine Lüge, die sie dem einen Mann verdankte, dem sie genügend vertraut hatte, um mit ihm auszugehen, nachdem sie dem eisernen Griff ihres Vaters entronnen war. Als er jedoch zudringlich wurde und sie ihm eine Abfuhr erteilt hatte, hatte er aus gekränkter Eitelkeit behauptet, sie hätte eine Affäre mit ihm gehabt, und die Geschichte so ausgeschmückt, dass nun alle Welt glaubte, sie hüpfe von einem Bett ins nächste.

O Gott, Männer machten sie krank. Und dieser hier war keine Ausnahme.

Sie sahen nur die Äußerlichkeiten. Ihre Schönheit war ihr einziges Kapital, nachdem ihr Vater ihr nie erlaubt hatte, einen Beruf zu erlernen. Und ihr Schutzschild, hinter dem sie ihre Ängste und Geheimnisse verbergen und sicher sein konnte, von niemandem verletzt zu werden.

Der Klang von Cristianos Gelächter riss sie aus ihren Gedanken. Zu spät wurde ihr klar, dass sie gerade den Mann herausgefordert hatte, dem der legendäre Ruf eines Frauenhelden vorauseilte. Einen Mann, über den die Frauen mit Ehrfurcht und Entzücken tuschelten.

Cristiano war verheiratet gewesen, doch seine Frau starb kurz nach der Hochzeit. Seither hatte keine Frau ihn länger als ein paar Wochen halten können. Er war ein unverbesserlicher Herzensbrecher. Ein Mistkerl, wie ihre Freundin Lily, die Kronprinzessin von Montebianco, gesagt hätte.

„Warum gleich so dramatisch“, erwiderte er grinsend und schlenderte weiter auf sie zu, während sie zurückwich, bis sie mit dem Rücken an der Kabinenwand stand. Und dann tat er das Ungeheuerliche, legte die Hände rechts und links von ihrem Kopf an die Wand, sodass sie ihm auf würdevolle Weise nicht entkommen konnte. „Soll ich Ihren heiligen Schwur mit einem Kuss testen?“

„Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!“, japste sie.

„Warum nicht?“

„Sie sind mein Feind!“

Wieder lachte er, aber ohne jeden Humor. Das verwirrte sie – oder vielleicht war es nur seine überwältigende Nähe, die ihre Sinne in Aufruhr versetzte.

Er senkte den Kopf. „In der Tat. Aber Sie sind eine Frau, und ich bin ein Mann. Die Nacht ist lauschig, perfekt für ein leidenschaftliches …“

Antonella war wie gelähmt. Gleich würde sein Mund den ihren erobern, würde sie seine heißen Lippen spüren, wäre sie in höchster Gefahr. Ihr Puls schnellte in die Höhe, ihre Haut prickelte, ihr wurde heiß …

Im allerletzten Moment, als seine Lippen nur noch eine Haaresbreite von ihren entfernt waren, als sein heißer Atem sich mit ihrem mischte, kam sie wieder zu Sinnen, duckte sich und entwischte dem Gefängnis seiner Arme. Cristiano ließ es geschehen, wenn auch leise fluchend.

„Sehr gut, Antonella. Offenbar sind Sie in diesem Spiel geübt.“

Nach außen hin bewahrte Antonella Haltung, fragte sich jedoch im Stillen, warum ihr Name so exotisch klang, wenn er ihn aussprach. „Sie sind abscheulich. Sie nehmen sich einfach, was Ihnen nicht gehört, und das auf rücksichtslose Weise. Aber nichts anderes habe ich von Ihnen als Vertreter von Monterosso erwartet.“

Wenn sie geglaubt hatte, ihn damit zu beleidigen, irrte sie sich. Sie erntete nur ein wölfisches Grinsen, das so eiskalt war, dass sie zu frösteln begann.

„Ausflüchte, Principessa, Ausflüchte. Darin sind Sie gut. Weil Ihr Land nicht so erfolgreich und wohlhabend ist wie das meine, machen Sie uns für Ihre Misere verantwortlich. Und setzen dabei unschuldige Leben aufs Spiel.“

„Das muss ich mir nicht anhören“, fauchte sie und wandte sich ab.

„Ja, laufen Sie nur zu Ihrem Stahlmagnaten. Wir werden ja sehen, was ihm mehr wert ist – seine Geliebte oder sein Bankkonto.“

Antonella fuhr herum. Keine Spur mehr von Cristianos blasierter Freundlichkeit; aus seiner Stimme sprach purer Hass. „Was meinen Sie damit?“

Er kam wieder näher, und wieder fühlte sie sich, als säße sie in der Falle.

„Damit meine ich, dass auch ich Vega etwas anzubieten habe, meine Teure.“ Sein Blick glitt an ihr herab, und sofort spürte sie wieder dieses elektrisierende Sirren. „Und ich wette, dass mein Geld Ihren … freizügigen Charme aussticht.“

„Wie können Sie es wagen!“

„Sie wiederholen sich, Gnädigste.“

Antonella bebte vor Wut. Dieser Mann war unmöglich, in höchstem Maße unverschämt – und doch spielten ihre Gefühle verrückt. Nein, das war nur ihr Zorn, der es ihr heiß und kalt über den Rücken laufen ließ, der ihr Blut zum Sieden brachte. Dieser Kerl drohte ihre ganze harte Arbeit zunichte –, ihr Vega abspenstig zu machen, ehe sie überhaupt Gelegenheit hatte, ihn für sich einzunehmen. Sie brauchte dieses Stahlwerk für Monteverde. Unter allen Umständen.

Und deshalb musste sie ihre aufgewühlten Sinne zur Ruhe zwingen. Musste sich in den Mantel der Eisprinzessin hüllen. Ganz gleich, welche Gefühle dieser Mann in ihr auslöste, sie musste endlich wieder einen klaren Gedanken fassen.

„Das war vermutlich kein guter Anfang“, gurrte sie. Sie musste ihn einwickeln, ihn in der Hoffnung wiegen, dass es doch eine kleine Chance auf eine gemeinsame Nacht gäbe, bis sie Vega Steel in der Tasche hatte.

Trotz ihrer Unerfahrenheit sollte es ihr nicht allzu schwerfallen, diese Rolle zu spielen. Sie wusste, dass sie sich, wenn nötig, in ihr wahres Ich zurückziehen und nur ihre äußere Hülle agieren lassen konnte. Darin hatte sie es in den Jahren als Tochter eines gewalttätigen Vaters zur Meisterin gebracht.

Cristiano rührte sich nicht, als sie die Hand nach ihm ausstreckte, mit den Fingerspitzen über seine frisch rasierten Wangen strich, über seine vollen Lippen, das Kinn.

Sein Blick war unmöglich zu deuten. Doch plötzlich flammte etwas in seinen Augen auf, das sie ängstigte und gleichzeitig erregte. Vielleicht ging sie zu weit, machte einen Fehler …

„Sie spielen mit dem Feuer, Principessa“, raunte er.

Antonella ignorierte alle Bedenken, als sie die Hand in seinen Nacken schob, die Finger in seinem Haar vergrub und sich näher an ihn schmiegte. Könnte sie das wirklich tun?

Aber ja. Sie würde ihm zeigen, was die Prinzessin von Monteverde draufhatte. Sie würde sich nicht von ihm einschüchtern und ihn nicht gewinnen lassen.

Ganz langsam zog sie seinen Kopf zu sich herab. Und obwohl Cristiano es geschehen ließ, wusste sie, dass nicht sie hier das Kommando führte, sondern er sie nur für einen Moment führen ließ.

Noch einmal strich sie über seine Wangen und diese verführerischen Lippen – sie konnte einfach nicht anders. Doch übertreiben durfte sie ihre Zärtlichkeiten nicht, sonst würde er ihr Spiel sofort durchschauen. Er sollte nur glauben, er könnte sie erobern, damit ihr genügend Zeit blieb, Raúl für seine Investition in Monteverde zu gewinnen.

„Sie sollten wissen“, hauchte sie und legte so viel Erotik in ihre Stimme, wie sie konnte, „dass Sie dem Paradies ganz nahe sind …“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und beugte sich so weit vor, dass ihre Lippen sich beinahe berührten. „Ganz nahe, Cristiano.“ Zum ersten Mal nannte sie ihn bei seinem Vornamen.

Dann trat sie unvermittelt einen Schritt zurück und wollte ihn einfach stehen lassen. Er sollte darüber nachdenken, was gerade geschehen war.

Doch er packte sie am Handgelenk und riss sie an sich. Lauf, solange du noch die Gelegenheit hast! Doch es war zu spät.

Mit vernichtender Zielstrebigkeit presste er seine Lippen auf die ihren. Der Kuss war fordernd, beherrschend – so hatte noch kein Mann sie je geküsst. Spielerisch strichen seine Lippen über ihren Mund, warteten auf ihre Reaktion. Als sie ihre Lippen öffnete – um zu protestieren? Ihn zu beißen? Was zu tun? –, spürte sie auch schon seine Zunge in ihrem Mund.

Ihr wurde heiß. Es war, als tropfte warmes Wachs in ihre Glieder, das sie träge machte, gefügig, wo sie doch stark sein musste. Er hatte sie mit diesem Kuss völlig überrumpelt. Dabei war es nicht das erste Mal, dass ein Mann sie küsste. Doch noch nie hatte sie sich in einem Kuss so verloren.

Sie wollte sich in ihm auflösen, wollte sehen, wohin dieses herrlich prickelnde Gefühl sie führte. Es war wunderbar, außergewöhnlich …

Ihr Verstand meldete sich erst wieder, als er sie an den Hüften fasste und sie mit einem Ruck an sich presste. An seinen kräftigen, harten Körper.

Oh Gott, war das …?

Nein. Das konnte sie nicht zulassen. Er war der Feind, verdammt noch mal! Sie kämpfte gegen ihre Gefühle, gegen ihn, musste schleunigst aus diesem süßen Strudel auftauchen.

Sie rettete sich aus dieser fatalen Situation, indem sie ihn gerade so fest in die Zunge biss, dass er zurückzuckte. Beinahe wäre es um sie geschehen gewesen.

Er fluchte leise. Und dann lachte er. Lachte. „Dafür verdienen Sie eine Tracht Prügel, cara. Und die verpasse ich Ihnen, wenn wir beide nackt im Bett liegen.“

Ihr war schwindlig, ihr Blut kochte, und sie wollte nur eines: ihm entfliehen. Doch sie durfte keine Schwäche zeigen. Resolut machte sie sich von ihm los.

Sein Blick brannte sich in ihre Augen. „Sie sollten wissen, dass ich immer bekomme, was ich will. Immer.“

Unwillig stellte sie fest, dass tief in ihrem Inneren immer noch eine kleine, heiße Flamme loderte. Sie musste weg. Weit, weit weg. „Ich kann nicht behaupten, dass es ein Vergnügen war, Sie kennenzulernen, Hoheit, aber Sie müssen mich entschuldigen, mein Liebhaber erwartet mich.“

„Sehr gern, Principessa“, erwiderte er spöttisch. „Aber ich habe das Gefühl, dass Sie sich bald einen neuen Liebhaber nehmen.“

Es war ein fataler Fehler gewesen zu glauben, dass sie ihn täuschen könnte. Doch sie musste dieses überhebliche Grinsen aus seinem Gesicht wischen. „Möglich, aber das werden ganz sicher nicht Sie sein.“

„Man soll nie Versprechungen machen, die man nicht halten kann. Die erste Regel in der Kunst der Staatsführung.“

„Darum geht es hier nicht.“

„Ach, nein?“

Um eine Antwort verlegen, drehte sie sich um und eilte in den Speisesaal. Raúl war gerade in ein Gespräch mit einem kleinen, kahlköpfigen Mann vertieft. Er sah kurz zu ihr hin und lächelte. Sie lächelte zurück. Raúl war ein attraktiver Mann, der in seinem maßgeschneiderten Smoking eine gute Figur machte.

Aber er brachte ihr Blut nicht in Wallung. Nicht so wie Cristiano. Ärgerlich schob sie die Gedanken an den Prinzen beiseite, durchquerte den Saal und ließ sich von Raúl zur Begrüßung auf die Wangen küssen.

„Da bist du ja, Antonella. Ich wollte schon einen Suchtrupp aussenden.“

Antonella lachte, doch ihr Lachen klang selbst in ihren Ohren brüchig und gekünstelt.

„Eine Dame von Stand verspätet sich immer, Liebling“, erwiderte sie lächelnd.

Raúl reichte ihr ein Glas Champagner, und in dem Moment, als sie es an die Lippen hob und daran nippte, betrat Cristiano di Savaré den Saal.

Ihr Herz machte einen solchen Satz, dass sie sich beinahe verschluckt hätte.

„Entschuldige mich einen Moment, meine Liebe“, sagte Raúl und ging Cristiano entgegen.

Verdammt! Sie musste die beiden voneinander fernhalten, musste Raúl noch heute Abend davon überzeugen, in Monteverde zu investieren. Die Zeit drängte. Und sie durfte nicht zulassen, dass dieser arrogante, unverschämte Mistkerl ihre Pläne durchkreuzte.

Entschlossen steuerte sie mit ihrem Glas in der Hand auf die beiden Männer zu, wurde jedoch nach wenigen Schritten versehentlich von einer älteren Dame am Ellbogen angerempelt.

„Bitte, verzeihen Sie, Eure Hoheit!“, rief diese aus. „Wie ungeschickt von mir!“

„Keine Sorge“, beeilte sich Antonella zu erwidern. „Ich habe keinen Tropfen verschüttet.“

Aber die Dame ließ sich nicht überzeugen, unterzog Antonellas Kleid einer ausgiebigen Musterung, und als Antonella sie endlich beruhigt hatte, musste sie zu ihrem Entsetzen feststellen, dass Raúl den Saal verlassen hatte. Und der Kronprinz von Monterosso mit ihm.

2. KAPITEL

Sie stand für alles, was er verachtete.

Cristiano saß Antonella Romanelli bei Tisch direkt gegenüber und musste zusehen, wie sie Raúl Vega in ihren Bann zog, der die Aufmerksamkeit dieser schönen Frau sichtlich genoss.

Mit Recht.

Ihr elfenbeinfarbenes Seidenkleid umhüllte sie wie eine zweite Haut und brachte ihre Brüste charmant zur Geltung. Mit ihrer dunklen Lockenpracht, dem üppigen Dekolleté und ihrem so locker zur Schau getragenen Selbstbewusstsein war Prinzessin Antonella eine Frau, die durch ihr bloßes Erscheinen einen Raum zum Leuchten brachte. Er kannte Fotos von ihr, doch nichts hatte ihn auf diese außerordentliche Wirkung ihrer Schönheit vorbereitet. Sie war, mit einem Wort, umwerfend.

Als sie sich vor ihrer Kabinentür zu ihm umgedreht hatte, hatte er plötzlich einen Druck in der Brust verspürt, der nicht mehr gewichen war. Er, der auf einen Kampf vorbereitet und sicher gewesen war, diesen zu gewinnen, war von ihr niedergestreckt worden, wie von einem Blitz getroffen.

Dio.

Er durfte nicht vergessen, dass es ohne die Romanellis schon vor vielen Jahren Frieden in Monteverde und Monterosso gegeben hätte. Zahlreiche Menschen hätten leben können, anstatt sinnlose, blutige Tode zu sterben.

Paolo Romanelli war ein selbstherrlicher Despot gewesen. Und sein Sohn Dante war mit Sicherheit keinen Deut besser. Immerhin hatte er seinen eigenen Vater entmachtet. Welcher Sohn tat so etwas? Und welche Tochter flatterte durch die Weltgeschichte, wechselte ihre Liebhaber wie ihre Unterwäsche und scherte sich einen feuchten Kehricht um die Exzesse ihrer Familie?

Mit dieser Gleichgültigkeit hatte er gerechnet, um an sein Ziel zu gelangen. Antonella war eine Frau mit exquisitem Geschmack, aber einem schrumpfenden Bankkonto. Sein Plan war gewesen, sie mit Designerkleidern und einem luxuriösen Lebensstandard zu ködern, doch mit seiner überbordenden Reaktion auf sie vorhin auf Deck hätte er diesen beinahe zunichtegemacht. Er wollte sie gefügig machen, nicht ihren Hass auf ihn schüren.

Unwillkürlich umklammerte Cristiano den Stiel seines Weinglases. Er hatte die Chance, sich Monteverde ein für alle Mal untertan zu machen. Hätte er erst einmal die Regierung unter seine Kontrolle gebracht und die Romanellis abgesetzt, könnten die Kinder beider Nationen glücklich und unbeschwert aufwachsen und müssten sich nicht mehr vor Bomben fürchten.

Im Moment herrschte Waffenstillstand. Doch ein einziger Bombenanschlag von einer Extremistengruppe, und dieser zerbrechliche Frieden wäre dahin.

Er wollte den Frieden auf Dauer sichern, koste es, was es wolle. Ganz gleich, wen er dafür opfern müsste.

Er hörte Antonella lachen. Gut, sie war eine wunderschöne Frau und schien einen Anflug von Verletzbarkeit zu besitzen, der ihn anzog. Aber das war mit Sicherheit nur gespielt. Perfekt gespielt, zugegeben, aber er kannte solche Frauen. Verwöhnt und oberflächlich, nicht mehr als hübsche, seelenlose Hüllen.

Raúl beugte sich zu Antonella hin, doch die drehte im letzten Moment den Kopf zur Seite, sodass sein Kuss auf ihrer Wange landete. Interessant.

Nachdenklich nippte Cristiano an seinem Wein. Wenn sie glaubte, Raúl bereits eingewickelt und mit einer hübschen Schleife versehen zu haben, dann täuschte sie sich. Cristiano hatte einiges auf die Beine gestellt, um Raúl für sich einzunehmen. Der hatte zwar noch nicht zugesagt, doch er würde Monterossos Angebot nicht ausschlagen. Er war ein viel zu erfahrener Unternehmer, um sich von einer Frau, und mochte sie noch so schön sein, von einem so lukrativen Geschäft abbringen zu lassen.

Jetzt sah Antonella Cristiano zum ersten Mal direkt an, seit sie sich an Raúls Tisch gesetzt hatte. Ihr Blick jagte einen heißen Schauer durch seinen Körper, was ihn sehr irritierte, doch während er ihn erwiderte, stellte er überrascht fest, dass sie leicht errötete.

Interessant.

Als Raúl gleich darauf seine Hand auf die ihre legte, erschrak sie. Ihr Kopf fuhr herum, ihre Röte vertiefte sich, und Cristiano verspürte so etwas wie Triumph. Sie begehrte ihn, das spürte er ganz deutlich. Ja, das war ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Das schlechte Gewissen stand ihr im Gesicht geschrieben, als Raúl sie besorgt betrachtete. „Geht es dir gut, Liebes? Du wirkst so angespannt.“

„Was? N…nein, ich fühle mich prächtig. Mir ist nur ein wenig warm. Heute Abend ist es schrecklich heiß, finden Sie nicht auch?“, fragte sie in die Runde.

Etliche Gäste pflichteten ihr bei, und es entspann sich eine Unterhaltung über das tropische Klima, über die gegenwärtige Hurrikansaison und ob ein Piña Colada einer Bahama Mama nicht vorzuziehen sei. Leeres Geschwätz, dachte Cristiano genervt, für das er Antonella nur noch mehr verachtete.

Als das Abendessen endlich vorüber war und die Gäste sich an Deck versammelten, um das Feuerwerk über Canta Paradiso zu bestaunen, bemerkte Cristiano, dass Antonella wie eine Klette an Raúls Arm hing, als hätte sie Angst, ihn noch einmal aus den Augen zu verlieren.

Zu spät, mia bella.

„Ah, Cristiano“, sagte Raúl, während er mit Antonella auf ihn zusteuerte. „Fühlst du dich wohl in dieser paradiesischen Umgebung?“

Si. Die Aussicht ist wirklich … außergewöhnlich.“

Antonella schlug die Augen nieder, als er seinen Blick über sie schweifen ließ. Errötete sie abermals?

Raúl bemerkte diesen kurzen Blickaustausch nicht. „Kaum zu glauben, dass es schon fünf Jahre her ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.“

Antonella sah Raúl fragend an. „Du kennst den Prinzen?“

„Wir waren zusammen in Harvard“, erklärte Raúl und klopfte Cristiano kumpelhaft auf die Schulter.

„Aber in Zukunft dürfen wir nicht mehr so viel Zeit verstreichen lassen.“

Raúl lächelte ihn bedeutungsvoll an. „Dein Wort in Gottes Ohr, mein Freund.“

Cristiano entging nicht, dass ihr vertrauter Umgang Antonella zutiefst beunruhigte.

Mit dem Wind wehte eine Brise von Antonellas verführerischem Duft zu ihm herüber. Lavendel und Vanille? Ein Hauch von Zitrone? Als er sie geküsste hatte, wäre er am liebsten darin ertrunken.

Die Erinnerung an diesen Kuss ärgerte und erregte ihn gleichermaßen. Warum reagierte er nur so stark auf diese Frau? Er war nicht mit der Absicht hierher gekommen, sie zu verführen. Er hatte geglaubt, sein Vorhaben mit einer großen Geldsumme und ein paar Schmeicheleien abwickeln zu können. Mit einem leeren Versprechen oder zwei.

Doch sein Körper schien anderes im Sinn zu haben. Höchste Zeit also, seinen Handel mit Raúl abzuschließen und sich dann um sein eigentliches Anliegen zu kümmern. „Raúl, wenn du einen Moment Zeit für mich hast, würde ich unser Gespräch von vorhin gern zum Abschluss bringen. Ich muss nämlich morgen früh zeitig nach Monterosso zurückfliegen.“

Raúl nickte. „Natürlich. Wenn du uns bitte entschuldigen möchtest, meine Liebe?“, wandte er sich an Antonella.

„Ich muss ebenfalls mit dir sprechen“, erwiderte sie mit erhobener Stimme. „Und am liebsten sofort.“

Ihre Augen blitzten kampflustig wie die einer Kriegerin.

Raúl schien verwirrt. Und auch ein wenig verärgert. Cristiano lachte im Stillen. Sie machte es ihm wirklich zu einfach. Kein Mann schätzte derart aufsässiges Verhalten bei seiner Geliebten, und schon gar nicht in Gegenwart von Zeugen. Eine kluge Frau hätte ihre Forderungen später angebracht, wenn sie zusammen im Bett lagen. Tja, ihr Problem, nicht das seine.

„Ist schon in Ordnung, Raúl“, sagte Cristiano. „Ich kann warten.“

Er konnte sich diese Großzügigkeit leisten. Sie hatte das Spiel bereits verloren.

Antonella hätte schreien mögen. Raúl und Cristiano waren jetzt schon über eine Stunde verschwunden. Was war passiert? Was, wenn Raúl entschieden hatte, seine Stahlwerke in Monterosso zu bauen?

Sie hatte alles darangesetzt, ihn zu überzeugen, aber sie hatte kein gutes Gefühl. Was konnte Monteverde Vega Steel schon bieten? Gut, das Land besaß riesige Eisenerzvorkommen, aber mehr auch nicht.

Abgesehen von einem königlichen Titel. Ja, auch den hatte sie Raúl in Aussicht gestellt, als sie sein Zögern gespürt hatte. Warum nicht? Seit ihrer Geburt war sie dafür ausersehen gewesen, sich zum Vorteil für Monteverde zu verehelichen, was zwei Mal auch beinahe geklappt hätte. Inzwischen war ihr Vater zwar entmachtet worden, doch sie war es ihrem Volk schuldig, ihren Teil zu dessen Wohlergehen beizutragen.

Harte Zeiten erforderten harte Maßnahmen. Bevor sie es zuließ, dass ihr Land in den Ruin trieb, würde sie einen Mann heiraten, den sie nicht liebte.

Offenbar war sie, was Liebe anbelangte, zum Scheitern verurteilt. Sie war allen romantischen Träumen zum Trotz noch nie verliebt gewesen. Sie hatte nicht ansatzweise eine vergleichbare Liebe erlebt wie Lily, die Frau, die Antonellas zweiter Beinahe-Ehemann geheiratet hatte. Wie es wohl sein musste, einen Mann zu haben, der sie so ansah wie Nico Cavelli seine Lily? Der alles dafür gab, mit ihr zusammen zu sein?

Aber das würde sie nie erfahren.

Nicht alle Männer sind wie mein Vater. Nicht alle Männer werden gewalttätig, wenn ihnen etwas gegen den Strich ging …

Antonella schüttelte den Kopf, um diese trübseligen Gedanken zu verscheuchen. Es war ja noch gar nicht gewiss, dass sie wieder versagt hatte. Es bestand immer noch die Möglichkeit, dass ihr königlicher Titel und ihr Erz für Raúl verlockender waren als alles, was Cristiano di Savaré ihm anzubieten hatte.

Sie zupfte ihren verrutschten Schal zurecht und schlenderte weiter über das Deck. Die meisten der Gäste waren wieder an Land gegangen oder auf ihre eigenen Jachten zurückgekehrt. Der Wind wehte die Klänge von Musik und entferntem Gelächter aus dem Hafen herüber.

Als Antonella merkte, dass sie abwesend an einem Fingernagel kaute, fluchte sie innerlich. Sie hatte nicht mehr Nägel gekaut, seit sie zwölf war und ihr Vater sie gezwungen hatte, eine halbe Flasche Tabasco auszutrinken, um es ihr abzugewöhnen. Mit Erfolg – ihr war zwei Tage lang so schlecht gewesen, dass sie glaubte, sterben zu müssen.

Aber Cristiano hatte sie völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Er war aus Monterosso und dazu der zukünftige König dieses Landes, was absolut gegen ihn sprach.

Und dennoch überkam sie jedes Mal, wenn sie an ihn dachte, ein sinnliches Verlangen nach ihm. Halt. Sie mochte ihn nicht, und sie traute ihm keinen Meter über den Weg.

Ein kalter Schauer durchfuhr sie. Und wenn sie nun doch versagt hatte?

„Vielleicht sollten Sie so spätabends nicht so viel Kaffee trinken, Verehrteste.“

Antonella wirbelte auf dem Absatz herum. Ihr Herz hämmerte, aber nicht vor Angst. Warum verunsicherte er sie nur so? „Wovon reden Sie, geschätzter Prinz?“, erwiderte sie nicht minder spöttisch.

„Rastloses Umhertigern. Zu viel Koffein.“

Antonella schloss die Augen und zählte bis fünf. Er wusste, dass er sie irritierte. Schlimmer noch, er schien es zu genießen. Das durfte sie nicht länger zulassen. Sie musste sich unter Kontrolle behalten.

„Ich hatte einen Espresso. Aber danke für Ihr Mitgefühl.“

Cristiano lehnte sich lässig an die Reling und sah sie an, wobei er seinen Blick immer wieder auf ihr Dekolleté konzentrierte. Typisch Mann. Aber daran war sie inzwischen gewöhnt.

„Sie platzen wahrscheinlich schon vor Neugier, worüber wir gesprochen haben, oder?“

„Da irren Sie sich. Ich bin nicht geschäftlich hier.“

Er lachte nur. „Das erwähnten Sie bereits. Wie sollen wir diese Geschäfte nennen? Das älteste Gewerbe der Welt?“

Lass dich bloß nicht provozieren! Hatte Raúl ihm erzählt, dass sie sich ihm angeboten hatte, im Austausch für die Stahlwerke? Oder bluffte er nur?

„Das habe ich überhört“, erwiderte sie sehr kühl, obwohl ihr das Herz vor Wut bis zum Hals schlug, und sie überlegte, ob sie ihm sagen sollte, dass sie noch nie mit einem Mann geschlafen hatte. Aber das würde er ihr ohnehin nicht glauben.

„So empfindlich, cara?

„Überhaupt nicht. Ich kann Sie nur nicht leiden. Oder Ihre Heuchelei.“

„Oh, das verletzt mich aber zutiefst.“ Er bleckte die Zähne zu einem wölfischen Grinsen.

Antonella wünschte, er würde über die Reling springen und endlich verschwinden. „Wo ist Raúl?“

„Ich bin nicht Ihr Privatsekretär, Principessa. Wenn Sie wissen wollen, wo er steckt, müssen Sie ihn schon suchen“, entgegnete er mit einer gewissen Schärfe. „Aber wie kommen Sie eigentlich darauf, ich sei ein Heuchler? Es gefällt mir, dass Sie etliche Liebhaber hatten. So wissen Sie wenigstens, wie man mit einem männlichen Körper umgeht, und wir müssen keine kostbare Zeit im Bett vergeuden.“

Vielleicht hatte sie doch zu viel Koffein intus. Ihr Puls raste wie verrückt. „Vergessen Sie es, Cristiano. Ich werde niemals mit Ihnen ins Bett gehen.“

„Seien Sie sich bloß nicht so sicher.“ Seine Stimme war jetzt ein sinnliches Raunen, das über ihre Nervenenden strich und sie erschauern ließ.

„Ich weiß genau, was ich will und was nicht. Und Sie will ich ganz bestimmt nicht.“

Unversehens griff Cristiano nach ihrer Hand, hielt sie ganz fest und hob sie an seine Lippen. „Kennen Sie Ihren hübschen Körper wirklich, Antonella? Nur zu oft führen Körper und Seele einen erbitterten Kampf. Wussten Sie das nicht?“

Ehe sie in ihren verwirrten Gedanken eine Antwort finden konnte, berührte er mit der Zungenspitze die Innenfläche ihrer Hand.

Antonella hielt die Luft an, als sie spürte, wie ein heftiges Verlangen durch ihren Körper rieselte und sich in ihrem Schoß sammelte. Warum jetzt? So lange sie sich erinnern konnte, versuchten Männer, sie in ihr Bett zu locken, doch noch nie hatte ein Mann sie so erregt wie dieser Cristiano.

Zu schade, dass er der falsche Mann war. Sie musste ihm ihre Hand entziehen, musste Abstand zwischen sie bringen und durfte nie wieder allein mit ihm sein.

Aber es gelang ihr nicht. Sie saß in der Falle, war gefangen, als hätte er sie mit Handschellen an sich gefesselt.

„Halt“, stieß sie hervor, ihre Stimme nicht mehr als ein gequältes Flüstern.

„Wirklich? Ihr Körper sagt nämlich etwas ganz anderes.“

„Woher wollen Sie das wissen?“

„Das sehe ich. Ihre Wangen sind allerliebst gerötet.“

„Es ist heiß.“

Cristiano ließ ein kehliges Lachen hören, küsste ihre Fingerspitzen und zog sie an sich. „Und es kann noch heißer werden. Warum diese Anziehung leugnen, hm? Wo wir doch so ein perfektes Paar sind.“

„Ich …“

Ein Schatten glitt über sie, dann hörte Antonella eine Stimme sagen: „Oh, Verzeihung.“

Augenblicklich wand sie sich aus Cristianos Griff und sah gerade noch, wie Raúl kehrtmachte und sich entfernte. Verflucht! Wütende Tränen brannten hinter ihren Augen, aber sie hielt sie zurück. Sie musste ihm sofort nachgehen. Vor etwas mehr als einer Stunde hatte sie ihm angeboten, ihn zu heiraten, und jetzt das! Was musste er von ihr halten?

Sie musste die Sache wieder geradebiegen. Um der Zukunft von Monteverde willen.

Aber erst musste sie diesem arroganten Kerl, der ihr in so kurzer Zeit so viele Schwierigkeiten gemacht hatte, die Meinung sagen.

„Das haben Sie absichtlich getan!“ Sie hätte auf ihre innere Stimme hören und sich nicht von seinem attraktiven Äußeren und dieser knisternden Spannung zwischen ihnen fesseln lassen dürfen. Stattdessen hatte sie die Zukunft ihres Landes leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Und wofür? Für einen Kuss? Von einem Mann, den sie verachtete?

War sie denn verrückt geworden?

„Wie kommen Sie denn darauf, Principessa?“

Antonella ballte verzweifelt die Hände zu Fäusten. Ihr Puls dröhnte ihr in den Ohren. Sie war eine Närrin, eine unverbesserliche Närrin, die bei einem Mann immer noch nach einem Funken Gefühl suchte. Dabei war er ihr Feind. Und das hatte er, im Gegensatz zu ihr, keine Sekunde lang vergessen.

„Weil Sie egoistisch sind, deshalb. Weil es Ihnen egal ist, ob Sie jemandem wehtun oder was Sie zerstören, um Ihren Willen durchzusetzen.“

Sein Mundwinkel kräuselte sich, aber ein Lächeln konnte man das nicht nennen. „Nun, mir scheint, dann sind wir verwandte Seelen.“

„Nein. Ich achte die Gefühle anderer. Und jetzt gehe ich zu Raúl und bitte ihn um Verzeihung.“

„Das ist nicht nötig.“

„Aber sicher ist es das.“

„Ich fürchte nein, Antonella. Sie sind Teil des Vertrags.“

„Vertrag?“ Wie konnten die beiden einen Vertrag aushandeln, der sie einschloss? Das war doch nicht möglich!

„Vega Steel wird seine Werke in Monterosso bauen. Und Monteverde wird das Erz liefern.“

„Niemals“, spuckte sie förmlich. Das war absolut undenkbar! Sie sollte ihr Erz an Monterosso verkaufen, damit der König in seinen Fabriken noch mehr Panzer und Maschinengewehre bauen konnte? Damit die Saverés ihr Land und ihr Volk langsam vernichten konnten? Sicher, Monteverde brauchte das Geld, aber nicht um diesen Preis.

„Sie werden Ihre Position sicher noch einmal überdenken wollen.“ Er klang freundlich, aber das war nur Fassade.

Antonella reckte forsch ihr Kinn in die Höhe. „Warum sollte ich?“

„Aus einem ganz einfachen Grund“, erklärte er, und sein Blick war dabei so eisig, dass Antonella unwillkürlich die Arme vor der Brust verschränkte, um nicht zu zittern. „Es geht um Ihre Existenz.“

3. KAPITEL

„Es kommt ein Sturm auf, Euer Hoheit.“

Antonella blinzelte den Stewart an, der ein Frühstückstablett auf dem kleinen Tisch in ihrer Kabine abstellte, und zog das Laken bis zum Hals hoch. Sie war völlig erledigt, hatte vor Sorgen kaum geschlafen.

„Ja, ein Hurrikan. Er kommt direkt auf Canta Paradiso zu. Wir werden in Kürze ablegen. Sie können an Bord bleiben, wenn Sie das wünschen, oder auf die Insel zurückkehren und ein Flugzeug nehmen.“

„Wo ist Signor Vega?“

„Er wurde wegen dringender Geschäfte nach São Paulo gerufen. Er ist sehr zeitig aufgebrochen.“

Antonella sank der Mut. Sie wusste, dass es vergeblich wäre, doch sie hatte noch einmal mit Raúl sprechen und ihn bitten wollen, Monteverde eine Chance zu geben. Dazu war es jetzt zu spät.

Nein. So leicht würde sie sich von Cristiano nicht besiegen lassen. Sie hatte die ganze Nacht darüber nachgegrübelt, wie sie ihr Land vor dem Bankrott retten könnte, wenn Raúl bei seinem Entschluss bliebe. Dante könnte nach Montebianco reisen und den König um ein Darlehen bitten, um ihre momentane Krise zu überbrücken. Gut, ihr Vater hätte beinahe einen weiteren Krieg mit Montebianco angezettelt, als er deren Kronprinzessin verhaften ließ, aber das war jetzt Monate her.

Und falls Dante sich weigerte, mit dem König zu sprechen, würde sie zu Lily gehen und sie fragen, ob sie nicht ihren Ehemann, den Prinzen von Montebianco, um Hilfe bitten könnte. So oder so, es gab noch eine winzige Chance – wenn sie schnell handelte.

„Vielen Dank“, erwiderte Antonella. „Ich werde zum Flughafen fahren.“

Kaum hatte der Steward die Kabine verlassen, sprang sie aus dem Bett und schnappte sich ihr Handy. Sie musste Dante erreichen. Sie hatte es noch in der Nacht versucht, war aber nicht durchgekommen. Vielleicht wegen des Sturms.

Nein, viel wahrscheinlicher war, dass wieder einmal das Telefonnetz von Monteverde zusammengebrochen war. Es fehlte einfach das Geld, um die veralteten Anlagen ordentlich zu warten.

Auch diesmal hatte sie kein Glück. Wütend klappte sie ihr Handy zu und zog sich eilig an. Je früher sie im Flugzeug nach Hause saß, desto besser.

Kurz darauf ging sie an Deck, um ihre Fahrt zum Flughafen zu arrangieren, und stolperte beinahe, als sie den Mann sah, der mit dem Kapitän der Jacht in ein Gespräch vertieft war.

Im Smoking hatte Cristiano schon eine blendende Figur gemacht, aber in Bermudas, Poloshirt und Flip-Flops sah er aus wie die Sünde selbst.

Er drehte sich zu ihr. Auch die Augen des Kapitäns verfolgten jeden ihrer Schritte, doch es war Cristianos Blick, den sie auf sich brennen spürte, obwohl er seine Augen hinter einer dunklen Sonnebrille verbarg.

Antonella trug ein leichtes Etuikleid und Sandalen mit flachen Absätzen. Das Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden und nur sehr wenig Make-up aufgelegt. Sie wollte bewusst keine Aufmerksamkeit erregen, doch das gelang ihr auch heute nicht.

„Haben Sie von dem Sturm gehört?“, fragte Cristiano, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten.

Antonella strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte. „Ja. Wann legt die Barkasse zum Hafen ab?“, wandte sie sich an den Kapitän.

„Das kann dauern“, antwortete Cristiano an seiner Stelle. „Wegen des Unwetters wollen alle in den Hafen. Haben Sie schon einen Flug gebucht?“

„Nein. Das erledige ich direkt am Flughafen.“

„Ich kann Ihnen einen Platz in meiner Maschine anbieten.“

Antonellas Puls flatterte so schnell wie die Flügel eines Kolibris. Dieser Mann war einfach unmöglich. „Danke. Das wird nicht nötig sein.“

Cristiano schob sich die Sonnenbrille ins Haar. Dunkle Gewitterwolken drängten in den Hafen. Seine Augen waren nicht blau oder grau, wie sie gedacht hatte, sondern dunkelbraun. Nein, die Iris war grün, aber von einem dunklen Kranz umringt.

Außergewöhnlich.

Warum war ihr das beim Dinner gestern Abend nicht aufgefallen?

„Principessa“, sagte er scharf.

Sie fuhr zusammen. „Was?“

„Haben Sie mir zugehört?“

„Ja, Sie sprachen von Ihrem Jet.“

„Richtig. Er ist startbereit, und ich habe einen Platz für Sie. Alle anderen Flüge sind ausgebucht, nachdem der Hurrikan seine Richtung geändert hat.“

Antonella schüttelte entschieden den Kopf. „Ich versuche trotzdem mein Glück.“

War sie verrückt geworden? Wieso schlug sie sein Angebot aus? Sie hasste ihn, aber das Wichtigste war doch, dass sie schnellstmöglich nach Monteverde kam, um mit ihrem Bruder zu sprechen. Wäre doch Dante statt ihr nach Canta Paradiso geflogen. Er hätte den Deal mit Vega Steel sicher erfolgreich abgeschlossen und ihr das alles hier erspart.

Aber er wurde gerade jetzt im Land gebraucht, außerdem stand seine Frau kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes. So war die Wahl auf sie gefallen. Und sie hatte kläglich versagt. Am liebsten wäre sie wieder in ihr Bett gekrochen und hätte sich die Decke über die Ohren gezogen.

„Seien Sie nicht kindisch“, schnappte Cristiano.

„Es ist nicht kindisch, die Gesellschaft von Menschen zu meiden, die man verachtet.“

„Das nicht, aber sich deshalb in Gefahr zu begeben.“

Schon schoben sich dicke Gewitterwolken über die Berggipfel hinter dem Hafen, und der Wind wurde immer stürmischer.

„Also schön, ich nehme Ihr Angebot an, sollte ich wirklich keinen anderen Flug bekommen.“

„Wie Sie wünschen, Principessa.“

„Aber ich kann unmöglich nach Monterosso fliegen.“

Wie würde das aussehen? Und wie käme sie anschließend nach Monteverde? Es gab keine direkten Flüge, und die Grenze war zu.

Seine Miene wurde strenger. „Natürlich nicht. Wir landen zuerst in Paris. Von dort aus können Sie die Weiterreise selbst arrangieren.“

Ihr kam ein düsterer Gedanke. „Woher weiß ich, dass Sie Wort halten? Dass Sie mich nicht nach Monterosso entführen und dann Lösegeld für mich verlangen?“

Seine Stimme strich über sie hinweg wie ein seidener Schal. „Sollte ich Sie kidnappen wollen, mia bella, hätte ich gewiss etwas anderes mit Ihnen vor …“

Drei Stunden vergingen, bis sie endlich in einem Taxi zum Flughafen saßen. In den Straßen herrschte Chaos. Alle wollten die Insel verlassen oder rannten umher, um ihre Häuser sturmsicher zu machen.

Cristiano klappte sein Handy zu. Seit es zu regnen begonnen hatte, gab es keinen Empfang mehr auf der Insel. Wütend fuhr er sich mit der Hand durch sein pechschwarzes Haar. Sie saßen nebeneinander auf der Rückbank, und Cristianos Oberschenkel schmiegte sich in jeder Kurve an den ihren, versengte bei jeder Berührung schier ihre Haut.

„Schaffen wir es?“, fragte sie besorgt.

Er war so nah. So nah, dass sie sich nur ein paar Zentimeter vorbeugen musste, damit ihre Lippen sich berührten.

Aber warum sollte sie das wollen?

„Ich denke schon. Wenn es weiterhin nur regnet, können wir starten.“

„Sicher?“ Unbewusst biss sie sich auf die Unterlippe.

„Ich bin Pilot, cara. Es dauert noch eine Weile, bis der Sturm zu gefährlich wird.“

„Dann ist es ja gut.“

Als Cristiano lässig den Arm auf die Rückenlehne legte, seufzte Antonella innerlich. Sie müsste sich vorbeugen, um den Kontakt mit seinem Arm zu vermeiden, was mehr als unbequem wäre und ihm wieder einen Sieg verschafft hätte. Also beschloss sie, die Berührung seines Arms mit ihrem Nacken und den Schultern zu erdulden.

Das Schrillen seines Telefons wenige Minuten später schreckte sie auf. Beinahe wäre sie eingeschlafen. Schnell drängte sie sich so weit wie möglich an die Tür.

Cristiano sprach hastig, falls die Verbindung wieder abreißen würde. Sein wütender Fluch war kein gutes Zeichen.

„Was ist passiert?“, fragte Antonella, kaum dass er aufgelegt hatte.

„Wir sitzen fest.“

„Was heißt, wir sitzen fest?“ Die Panik in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

Cristiano fluchte abermals. „Der Mechaniker hat ein Leck in der Bremsanlage entdeckt, und auf der Insel gibt es keine Ersatzteile.“

Antonella verbiss sich ein hysterisches Lachen. „Dann müssen wir eben versuchen, bei irgendeiner Fluglinie noch Plätze zu ergattern.“

„Die letzte Maschine ist vor zwanzig Minuten gestartet. Alle anderen Flüge sind wegen des Sturms gestrichen.“

Antonella starrte ihn an. „Und jetzt?“

„Müssen wir einen Platz zum Übernachten finden.“

Unglaublich. Hatte sich denn die ganze Welt gegen sie verschworen? „Und wie sollen wir das anstellen? Von einem Hotel zum nächsten gondeln und nach freien Zimmern fragen?“

„Nein, ich habe eine andere Idee. Zufällig kenne ich den Mann, dem die Insel gehört. Er hat ganz in der Nähe eine Villa.“

Antonella sagte kein Wort, während Cristiano dem Fahrer Anweisungen gab. Das alles behagte ihr zwar überhaupt nicht, aber immer noch besser, in einer privaten Villa unterzukriechen, als mit diesem Mann in einem Hotel gesehen zu werden. Ganz gleich, wie abgelegen die Insel auch sein mochte, es bestand immer die Möglichkeit, dass zufällig jemand von der Presse anwesend war und sie erkannte. Und ein Bild von ihr und Cristiano di Savaré würde ihrem Land einen verheerenden Schaden zufügen.

Wieder legte er seinen Arm hinter ihre Schultern, und wieder drückte sie sich in die Ecke.

„Vergebliche Liebesmüh“, raunte er ihr zu. „Hier ist es einfach zu eng.“

„Das habe ich auch schon bemerkt, aber Sie müssen ja nicht auch noch den Arm um mich legen.“

„Ach, ich dachte, das gefällt Ihnen?“ Der Sarkasmus in seiner Stimme machte sie wütend.

„Wohl kaum.“

„Warum sind Sie dann mitgefahren?“

„Ich hatte ja keine andere Wahl. Angeblich sind doch alle Flüge ausgebucht.“

„Stimmt. Aber dass Sie ausgerechnet meine Hilfe angenommen haben …“

Jetzt sah Antonella rot. „Gern habe ich das nicht getan, nein, aber ich bin ja nicht dumm.“

Sein Blick wurde scharf, nachdenklich. „Nein, das glaube ich auch nicht.“

„Was soll das nun wieder heißen?“

„Was immer Sie glauben, Principessa.“

„Ich glaube, dass Sie mich einfach nur ärgern wollen. Sie mögen mich nicht.“

„Für das, was ich im Sinn habe, muss ich Sie nicht mögen.“

Antonella zog scharf die Luft ein. „Wie können Sie mit einer Frau schlafen wollen, die Sie nicht leiden können?“

Sein Blick, irgendwo zwischen leicht amüsiert und total überheblich, trieb ihr die Röte in die Wangen. Hatte sie ihn falsch verstanden?

„Es gibt eine ganz schmale Kluft zwischen Hass und Leidenschaft, Principessa“, erwiderte er. „Das eine kann oft sehr befruchtend auf das andere wirken.“

„Das ist erschreckend.“ Sie hatte immer geglaubt, den Mann mögen zu müssen, mit dem sie das erste Mal schlafen würde, außer ihr Vater würde sie zu einer Ehe zwingen. Aber da das nun nicht mehr der Fall war, war sie mehr als erschrocken über ihre körperliche Reaktion auf Cristiano.

Er sah sie mit gespielter Überraschung an. „Wirklich? Erwarten Sie etwa, dass ich einer Frau mit Ihren Erfahrungen glaube, dass sie jeden Mann mochte, mit dem sie ins Bett gestiegen ist?“

Antonella biss die Zähne aufeinander. Sie hätte ahnen müssen, wohin diese Unterhaltung führte. „Darüber möchte ich mit Ihnen nicht sprechen.“

„Warum nicht? Schämen Sie sich?“

„Natürlich nicht!“

„Wie viele waren es? Wie viele Männer haben Sie in Ihr Bett gelockt?“

„Ich bin doch kein Marktweib, das seine Kunden anlockt! Süße Äpfel, kommen Sie, kaufen Sie!“

Einen Moment lang dachte sie, er würde lachen, doch er drehte sich zum Fenster und schwieg. Seinen Arm ließ er auf der Lehne liegen. Zum Teufel mit ihm! dachte sie und ließ sich zurück in den Sitz fallen.

Was für ein Heuchler!

Antonella verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte auch ihren Kopf zurück – an seinen Arm. Sie kochte vor Wut über seine unverschämten Anschuldigungen. Er wusste nichts von ihr, glaubte aber in seiner Selbstüberschätzung, sie zu kennen.

Arroganter Mistkerl!

Er raubte ihr die Luft zum Atmen. Am liebsten hätte sie das Fenster heruntergekurbelt und den Kopf hinausgestreckt. Aber es regnete zu stark. Und sie war müde. So verdammt müde. Während ihre Wut allmählich verrauchte, fielen ihr die Augen zu.

Schläfrig nahm sie seinen Geruch wahr; er duftete nach Regen und Gewürzen. Plötzlich wurde sie traurig. Warum das? wunderte sie sich. Dann merkte sie, dass sein Geruch sie an ihre Kindheit erinnerte, an den Gewürztee, den ihre Mutter für sie gekocht hatte, wenn sie krank war. Ihre wunderschöne Mutter, die so früh gestorben war. Hatte ihr Vater da begonnen, so gewalttätig zu werden?

Sie wusste es nicht, hatte immer versucht, diese Erinnerungen auszublenden. Wie den Tag, als ihr Vater Dantes Hamster in der Hand zerquetschte, weil Dante vergessen hatte, ihn zu füttern. Er war damals zehn gewesen und hatte den Tod seines Hamsters reglos hingenommen.

Sie hingegen hatte sich die Augen ausgeweint. Und diesen Anblick nie vergessen. Noch Jahre später waren ihr die Tränen gekommen, wenn sie daran dachte.

Ihr Gesicht fühlte sich plötzlich kühl an. Luft strich über ihre feuchten Wangen.

Nein, nicht jetzt. Bitte nicht!

Rasch wischte sie sich die Tränen ab, damit Cristiano sie nicht weinen sah.

„Heulen hilft auch nicht“, bemerkte er hartherzig, doch seine Stimme klang dabei seltsam belegt.

Antonella wandte sich von ihm ab und wünschte ihn zur Hölle. „Ich bin nur müde. Lassen Sie mich in Ruhe.“

Würde sie nie frei davon sein? Würde ihre Vergangenheit sie immer wieder zu Tränen rühren? In solchen Momenten fühlte sie sich so schwach, so hilflos, hasste ihren Vater.

Ihre Tränen flossen jetzt in Strömen, und sie fing an, leise zu schluchzen. Sie konnte sich gegen diese Erinnerungen nicht wehren, und gegen diese Schuldgefühle. Sie hätte etwas tun müssen, hätte …

Cristiano murmelte einen Fluch, dann zog er sie unvermittelt an sich.

„Nein, lassen Sie mich los“, fauchte sie und versuchte, sich aus seiner Umarmung frei zu machen.

Aber er ließ sie nicht los. Im Gegenteil, er umfasste ihren Kopf mit beiden Händen und drückte ihn an seine Brust. Sie wand sich und wehrte sich, aber er war einfach zu stark. Nach einer Weile ließ sie resigniert die Schultern sinken.

Da lockerte sich sein Griff. Er begann, zärtlich ihren Nacken zu streicheln und murmelte dabei leise Worte an ihr Ohr, die im Heulen des Windes draußen und dem Regen, der gegen die Scheiben prasselte, beinahe untergingen. Aber plötzlich merkte sie, dass er sang.

Er sang ihr ein Lied vor.

Antonella war völlig perplex. Das war eine so liebevolle Geste, und ausgerechnet von dem Mann, von dem sie es am wenigsten erwartet hätte. Hatte er doch etwas begriffen?

Sie vergrub ihre Hände vorne in seinem Hemd und hielt sich daran fest, während sie mit aller Entschlossenheit gegen ihre Tränen ankämpfte. Sie hatte allen Grund der Welt, diesen Mann zu hassen, aber im Augenblick war er ihr einziger Trost. So geborgen hatte sie sich schon seit Jahren nicht mehr gefühlt.

Als das Taxi vor einer Villa in einer abgelegenen Bucht hielt, waren Antonellas Tränen getrocknet, doch sie ärgerte sich maßlos, dass sie sich so hatte gehen lassen. Ausgerechnet vor ihm! Sein Hemd war an der Brust zerknittert und fleckig von ihrer zerflossenen Wimperntusche, was Cristiano jedoch gnädig überging.

Madonna mia. Sobald der Besitzer sie hereingelassen hätte, würde sie sich in einem Zimmer verschanzen und erst wieder herauskommen, wenn der Sturm vorüber war. Je weniger Zeit sie in Cristianos Nähe verbrachte, umso besser.

Antonella wartete im Wagen, während er zur Villa ging, um zu sehen, ob der reichste Mann der Insel zu Hause war. War er nicht, doch nach ein paar Minuten hatte Cristiano es geschafft, ihn telefonisch in New York zu erreichen.

„Das Personal hat Urlaub“, erklärte er Antonella wenig später, „aber wir sind herzlich eingeladen, in der Villa den Sturm abzuwarten. Der Hausmeister bringt gleich die Schlüssel.“

„Sollen wir nicht doch lieber in der Stadt ein Hotel suchen?“ Der Gedanke, auf unabsehbare Zeit allein mit Cristiano in diesem Haus ausharren zu müssen, jagte ihr Angst ein. Sie fühlte sich im Augenblick nicht stark genug, ihn auf Abstand zu halten.

Cristiano schien ihren inneren Aufruhr nicht zu bemerken. „Da alle Flüge gestrichen sind, werden die Leute die Hotels stürmen. Hier haben wir eine sichere Unterkunft. Außerdem möchte unser Taxifahrer sicherlich bei seiner Familie sein, ehe der Sturm losbricht. Und wir sind hier zwei Stunden von der Stadt entfernt.“

Daran hatte sie gar nicht gedacht. „Natürlich“, erwiderte sie.

Eine Viertelstunde später hatten sie die Schlüssel und standen in der Diele. Die Villa war geräumig, aber nicht so pompös, wie sie erwartet hatte. Sie war im inseltypischen Stil eingerichtet, mit niedrigen Rattansofas, Bambusparkett, einfachen Webteppichen und Bildern mit tropischen Motiven. Antonella ging in die Küche im hinteren Teil des Hauses und blieb vor einer großen Glasfront stehen, deren Türen hinaus auf die Veranda und den Swimmingpool führten. Dahinter erstreckte sich eine leicht abschüssige und sehr gepflegte Rasenfläche, die an einer alten Steinmauer endete. Über die Mauer hinweg fiel ihr Blick auf einen weißen Sandstrand. Der Himmel war von dunklen Wolken verhangen, die Palmen bogen sich tief im Wind. Gestern noch war das Meer türkisblau gewesen, jetzt brodelte es unter grauen Wellen und weißen Schaumkronen.

Sie stand ganz still da, schaute und lauschte. Nach einer Weile wurde ihr klar, dass das dumpfe Grollen, das sie im Haus hörte, vom Wind kam, der um das Gebäude tobte. So ein Unwetter hatte sie noch nie erlebt.

„Wir werden das große Schlafzimmer beziehen.“

Antonella verbiss sich einen spitzen Schrei und fuhr herum. Sie hatte Cristiano nicht kommen hören.

Wir? Bist du taub? Ich sagte gestern Abend doch ganz deutlich, dass ich nicht mit dir schlafen werde.“ Etikette und Höflichkeiten halfen jetzt auch nicht mehr, dachte sie, als sie merkte, dass sie ihn geduzt hatte.

Mit den geschmeidigen Bewegungen einer Raubkatze kam Cristiano in die Küche geschlendert. Im düsteren Licht sah sie, dass er tropfnass war. Er zog sein Polohemd aus, wischte sich damit das Gesicht trocken und warf es anschließend lässig auf die marmorne Arbeitsplatte.

Antonella stockte der Atem. Sein Oberkörper schien ausschließlich aus Muskeln zu bestehen. Breite Schultern und eine kräftige Brust verjüngten sich zu schlanken Hüften. Seine Haut war gebräunt, wurde jedoch immer heller, je weiter ihr Blick nach unten wanderte. Ein dunkler Haarsaum verschwand im Bund seiner Bermudashorts, dem sie, wie sie erschrocken feststellte, mit ihrem Blick gern weiter gefolgt wäre, um auch den Rest zu sehen.

Abrupt hob sie den Kopf und sah ihm ins Gesicht, woraufhin Cristiano sie angrinste, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

„Du weißt, dass du es willst“, raunte er.

Antonella blinzelte. „Was soll ich wollen?“

Sein Grinsen wurde breiter. „Mit mir schlafen. Im großen Schlafzimmer.“

„Ganz sicher nicht“, erwiderte sie und schüttelte dabei vehement den Kopf. „Ich beziehe ein anderes Zimmer. Es gibt doch Gästezimmer, oder?“

„Gewiss, im oberen Stockwerk. Aber ich habe keine Lust, dich auszubuddeln, falls ein Baum aufs Haus fällt und dich unter sich begräbt.“

„Ich kann ja auch im Wohnzimmer übernachten. Die Sofas sehen recht bequem aus, und …“

„Nein, wir sollten zusammenbleiben, falls der Strom ausfällt oder irgendwas mit dem Haus passiert.“

Antonella verschränkte die Arme vor der Brust. „Woher beziehst du dein Wissen über Zyklone oder Hurrikans oder wie diese Stürme heißen? Da, wo wir herkommen, gibt es so etwas nicht.“

„Zum Glück, aber bei uns hat noch jeder Prinz in der Armee gedient.“ Sein Blick wurde so hart, dass Antonella schluckte. „Und da habe ich so einiges erlebt. Du kannst mir glauben. Ich weiß, wovon ich spreche.“

Antonella glaubte ihm kein Wort. „Dann bleibt mir also nicht anderes übrig, als mit dir in einem Zimmer zu nächtigen, wie?“

„Nicht, wenn du diesen Sturm überleben willst.“

Sein beiläufiger Tonfall ließ sie erschaudern. Antonella trat an die große Glasscheibe und starrte hinaus auf das tobende Meer. „Wie schlimm kann der Wind denn noch werden?“

„Komm darauf an, ob er die Richtung ändert oder nicht. Aber zweihundert Stundenkilometer kann er schon erreichen.“

„Oh Gott, sind wir dann hier wirklich sicher?“

Cristiano trat jetzt ganz dicht neben sie, als wüsste er, dass ihr seine Nacktheit genauso viel Angst einjagte wie der bevorstehende Wirbelsturm. „Die Bäume könnten ein Problem werden, und vermutlich wird der Strom ausfallen.“

„Und das Meer?“

„Nachdem das Grundstück ziemlich erhöht liegt, wird uns eine Springflut nichts anhaben können.“

Antonella ging zurück in die Küche, fischte ihr Handy aus ihrer Handtasche, hatte aber keinen Empfang. „Hast du hier Empfang?“

Cristiano folgte ihr und zog dabei sein Telefon aus der Hosentasche. „Nein.“

„Ich hätte noch einmal versuchen sollen, Dante zu erreichen“, sagte sie und schloss resigniert die Augen. „Er macht sich gewiss Sorgen.“

„Ach, er wird denken, dass du mit deinem Liebhaber zu beschäftigt bist, um zu telefonieren.“

„Ich rufe meinen Bruder jeden Tag an“, erklärte sie, ohne auf seine unverschämte Bemerkung einzugehen. „Wir stehen uns sehr nahe.“

„Das ist gut“, sagte Cristiano nachdenklich. „Sehr gut.“

Antonella konnte seinen Kommentar nicht deuten. Cristiano drehte sich um und begann, in einer Schublade zu kramen. Das Klappern von Silberbesteck zerrte an ihren Nerven. Sie musste etwas tun, sonst würde sie verrückt werden.

„Kann ich mich irgendwie nützlich machen?“

„Ja, du könntest Wasser in die Waschbecken und Badewannen laufen lassen.“

„Warum das?“, fragte sie verwundert.

„Weil wir kein Wasser haben, sollte der Strom und damit die Wasserpumpe ausfallen.“

Daran hatte sie nicht gedacht.

„Und sieh mal nach, was du an Kerzen, Taschenlampen, Batterien und Zündhölzern findest. Wenn du über ein Radio stolperst, nimm es auch mit. Bring alles ins Schlafzimmer. Ich suche auch noch ein paar Sachen zusammen und gehe anschließend raus, um die Fensterläden zuzumachen. Es wäre schön, wenn du mir ein paar Handtücher in die Küche legen könntest.“

Antonella biss sich auf die Unterlippe und musterte ihn. Dass er so praktisch veranlagt war, hätte sie nicht erwartet. Er schien die Lage wirklich im Griff zu haben.

„Meinst du, dass es so schlimm wird?“

Sein Ausdruck wurde ernst. „Alles ist möglich, Principessa. Wir sollten vorbereitet sein.“

Zwanzig Minuten später kam er völlig durchnässt in die Küche und zog als Erstes seine Shorts aus. Draußen schüttete es wie aus Kübeln. Antonella war nirgends zu sehen, hatte ihm aber Handtücher hingelegt. Unwillkürlich musste er an ihre rot verweinten Augen denken, verscheuchte das Bild aber gleich wieder.

Nein, er konnte kein Mitleid für sie aufbringen.

Sie war Monteverderin und eine Romanelli. Und er hatte einen Job zu erledigen. Ein Versprechen zu halten.

Er hatte bei Juliannes seligem Andenken geschworen, diesem Krieg ein Ende zu machen. Sein Volk brauchte Frieden. Zu lange hatten sie unter der Bürde dieses Konflikts gelebt.

Das war er seinem Volk schuldig. Und Julianne. Sie wäre heute noch am Leben, wenn er sie nicht hätte fliegen lassen.

Dio, er hätte sie niemals heiraten dürfen.

Er schnappte sich ein Handtuch und trocknete sich ab. Dabei versuchte er sich Julianne vorzustellen, sich an ihr Lächeln zu erinnern, doch was er sah, war ein anderes Gesicht.

Antonellas Gesicht.

Er konnte nicht leugnen, dass er sie begehrte. Und seine Gefühle für sie hatten nicht nur mit Sex zu tun. Als sie vorhin im Taxi geweint hatte, war das für ihn unglaublich schmerzvoll gewesen. Da hatte er sie ganz fest an sich gedrückt und ein Lied angestimmt, das seine Mutter ihm als kleiner Junge immer vorgesungen hatte, um ihn zu trösten.

Warum hatte er das getan?

Weil Antonella etwas an sich hatte, was er nicht erklären konnte. Sie war gerissen, spielte mit den Männern, trug aber auch eine Art von Traurigkeit in sich, einen Schmerz, der aus lange vergangener Erfahrung herrührte. Er wusste das, denn auch er trug diesen Schmerz in sich, erkannte sich selbst in ihr wieder.

Und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Sein Mitgefühl für sie war Verrat an seiner toten Gemahlin. Nicht weil sie eine Frau war – er hatte seit ihrem Tod viele Liebhaberinnern gehabt –, sondern weil sie Monteverderin war.

Cristiano warf das nasse Handtuch auf die Anrichte und wollte gerade nach einem trockenen greifen, um es sich um die Hüften zu knoten, als ein kurzer, spitzer Schrei ihn herumfahren ließ. Antonella stand in der Tür und starrte ihn mit offenem Mund an. Augenblicklich begann sein Körper auf ihren Blick zu reagieren.

Na und? Sie sollte ruhig sehen, welche Wirkung sie auf ihn ausübte. Daran war sie gewiss gewöhnt. Zum Teufel, wahrscheinlich erwartete sie nichts anderes.

Aber er durfte sich durch ihre Reize nicht von seinem Plan abhalten lassen, ihr Land unter seine Kontrolle zu bringen und Frieden zu schaffen.

Antonella machte auf dem Absatz kehrt und verschwand im Flur. Sie schien von seinem Anblick peinlich berührt zu sein – doch das war sicher nur Theater. Sie wollte, dass er Mitleid mit ihr hatte und den Beschützer rauskehrte. Einmal war ihr das heute auch schon gelungen.

Er schlang das Handtuch tief um seine Hüften. Es war lächerlich zu glauben, dass diese begehrenswerte Prinzessin, die er am Abend zuvor eng umschlungen mit Raúl Vega gesehen hatte, etwas anders war, als sie nach außen hin verkörperte – eine wunderschöne Frau, die sich gerne mit Männern vergnügte. Nach zahllosen Liebschaften war Raúl nur ihre jüngste Eroberung.

Autor

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