Palast der sinnlichen Träume

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Nie hat Lucy ihn vergessen: Scheich Khaled, der nach leidenschaftlichen Nächten einfach verschwand. Doch jetzt führt das Schicksal sie in sein fernes Wüstenreich. Mutig bittet sie Khaled um ein Wiedersehen. Und spürt sofort: Noch immer schwelt ein Feuer zwischen ihnen. Doch was wird geschehen, wenn der Prinz die Wahrheit über ihren kleinen Sohn erfährt?


  • Erscheinungstag 09.06.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733709860
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Es tut mir leid.

Die Worte hingen noch in der Luft zu, obwohl der Mann, der sie gesagt hatte, längst aus dem Zimmer gegangen war.

Es tut mir leid.

Das Mitgefühl in der Stimme des Arztes hatte hilflose Wut in Khaled aufsteigen lassen. Der Mann hatte den Kopf geschüttelt, bedauernd gelächelt und war dann gegangen. Khaled blieb allein zurück, mit einem zerschmetterten Knie, einer zerschmetterten Karriere. Zerschmetterten Träumen.

Er brauchte die Röntgenbilder gar nicht erst anzusehen, um zu wissen, wie es um ihn stand. Er war nur noch das Wrack eines Mannes.

Vor dem Fenster zogen graue Wolken auf, die den Himmel über London verdunkelten. Prinz Khaled el Farrar wandte den Kopf ab, die Hände zu nutzlosen Fäusten geballt. Unaufhörlich tobte der Schmerz durch seinen Körper. Er hatte sich geweigert, ein Schmerzmittel zu nehmen, weil er wissen wollte, womit er es zu tun hatte, womit er es den Rest seines Lebens zu tun haben würde.

Kein Chirurg, keine Therapie der Welt konnte weder seine Rugbykarriere noch sein verletztes Knie wiederherstellen und ihm Hoffnung auf eine Zukunft geben. Mit achtundzwanzig war er am Ende.

Ein zögerndes Klopfen ertönte von der Tür her, dann streckte Eric Chandler, Mittelfeldspieler der englischen Rugbynationalmannschaft, den Kopf ins Zimmer.

„Khaled?“ Er trat in den kargen Raum und schloss die Tür hinter sich.

„Du weißt es?“, stieß Khaled hervor.

Eric nickte. „Der Arzt hat es mir erzählt.“

Khaled biss die Zähne zusammen, ein dünner Schweißfilm bedeckte seine Stirn. Die Schmerzen wurden immer schlimmer. Er bohrte die Nägel in die Handflächen. „Ich werde nie wieder Rugby spielen. Ich werde nie wieder …“ Er hielt inne, brachte die Worte nicht über die Lippen. Sie auszusprechen würde seine Niederlage erst wirklich machen.

Eric schwieg, was Khaled ihm hoch anrechnete. Was gab es auch zu sagen? Welche mitleidige Phrase konnte ihm jetzt noch helfen? Dem Satz des Arztes gab es nichts mehr hinzuzufügen. Es tut mir leid.

Mitgefühl änderte nichts. Dadurch wurde sein Knie auch nicht wieder gesund.

„Was ist mit Lucy?“, fragte Eric schließlich in die Stille hinein, in der Khaleds raue Atemzüge das einzige Geräusch waren.

Lucy. Der Name ließ Erinnerungen lebendig werden, die ihm zusätzliche Qualen bereiteten. Was konnte Lucy jetzt noch von ihm wollen? Verbitterung und Kummer stiegen in ihm auf. Er wandte den Kopf ab. Als er zu sprechen begann, wunderte er sich, wie gleichgültig seine Stimme klang. Wie kalt. „Was ist mit ihr?“

Überrascht schaute Eric ihn an. „Khaled … sie möchte dich sehen.“

„Etwa so?“ Mit einer Hand deutete er auf sein verletztes Bein. „Das glaube ich nicht.“

„Sie macht sich Sorgen.“

Khaled schüttelte den Kopf. Natürlich empfand Lucy etwas, vielleicht sogar Liebe, für den Mann, der er gewesen war. Aber bestimmt nicht für den Mann, der er jetzt war und – viel schlimmer – den Mann, der er bald sein würde. Der Gedanke, wie sie vor ihm zurückschreckte und ihn voller Mitleid ansah, ließ ihn wieder die Hände zu Fäusten ballen. „Du dir offenbar auch“, meinte er kühl zu dem ehemaligen Teamkameraden und beobachtete, wie Erics Augen wütend aufblitzten. Ihm tat alles weh, von seinem zerschmetterten Knie bis zu seinem leidenden Herzen. Er konnte es nicht ertragen, so viel Schmerz zu spüren, weder körperlich noch seelisch. Khaled fühlte sich, als würde er innerlich entzweigerissen. „Was bedeutet dir Lucy?“, fragte er und wusste doch ganz genau, dass er sich unfair verhielt.

Nach langem Schweigen entgegnete Eric: „Nichts. Es geht darum, was sie dir bedeutet.“

Wieder wandte Khaled den Kopf und starrte aus dem Fenster. Die Wolken waren dichter geworden, hüllten die Stadt ein und verbargen sie unter einer undurchdringlichen Decke. Er schloss die Augen. Sofort sah er Lucy vor sich mit ihren langen dunklen Haaren. Und dann war da noch ihr atemberaubendes Lächeln. Mit diesem Lächeln hatte sie ihn erobert. Er spürte, wie etwas in seinem Innern schmolz. Wenn sie lächelte, fühlte er sich, als hätte sie ihm einen Schatz geschenkt.

Sie arbeitete als Physiotherapeutin für das englische Rugbyteam. Seit zwei Monaten hatten sie eine Affäre.

Zwei unglaubliche Monate. Und jetzt das. Jetzt würde er nie wieder Rugby spielen, niemals mehr der Mann sein, den alle bewunderten. Das Wissen verletzte sein Ego, natürlich, aber der Schmerz ging noch tiefer, reichte bis in seine Seele.

Alles war ihm genommen worden. Alles.

Er dachte an den Anruf seines Vaters, an das Leben, das in seinem Heimatland Biryal auf ihn wartete. Noch eine Strafe. Das Leben, das er sich so hart erkämpft hatte, war vorbei.

Er schlug die Augen auf. „So viel bedeutet sie mir nicht.“ Es tat weh, die Worte zu sagen, so zu tun, als seien sie wahr. „Wo ist sie?“

„Sie ist nach Hause gegangen.“

Ein krächzender Laut entrang sich seiner Kehle, Bitterkeit schwang darin mit, dabei hatte er lachen wollen. „Konnte wohl nicht länger bleiben, oder?“

„Khaled, du bist stundenlang operiert worden.“

„Ich will sie nicht sehen.“

Eric seufzte. „Vielleicht morgen?“

„Nie wieder!“

Die Weigerung hallte mit derselben Endgültigkeit durch das Zimmer wie die Worte des Arztes. Es tut mir leid.

Auch ihm tat es leid. Nur, das änderte nichts.

Khaled sah, wie sein Freund erstarrte. Langsam schüttelte Eric den Kopf. „Khaled …?“

Auf seinen Lippen erschien ein emotionsloses Lächeln. Er wollte nicht, dass Lucy ihn so sah. Er konnte es nicht ertragen, hilflos vor ihr zu liegen – also würde er es nicht tun. Er musste eine Entscheidung treffen. Und getrieben von einem dumpfen Schmerz fiel sie ihm erstaunlich leicht. „Es gibt hier nichts mehr für mich, Eric.“ Niemanden. Er tat einen quälenden Atemzug. „Es ist Zeit, dass ich nach Biryal und zu meinen Pflichten zurückkehre.“ Zu den wenigen Verpflichtungen, die sein Vater ihm erlaubte. Einen Moment stellte er sich sein zukünftiges Leben vor: ein verkrüppelter Prinz, der das Mitleid seines Volkes akzeptierte, die herablassende Haltung seines eigenen Vaters, des Königs, hinnahm.

Dieses Leben kam ihm unmöglich, unerträglich vor, doch die Alternative war noch schlimmer: In England zu bleiben und miterleben zu müssen, wie das Leben seiner Freunde, das seiner Geliebten ohne ihn an ihm vorbeizog. Anfangs würden sie noch versuchen, ihm zu helfen. Doch schon bald würde er in ihren Blicken erkennen können, dass sie seine Gegenwart als Belastung empfanden. Dafür würde er sie hassen. Und er würde sich selbst hassen.

Hatte er all das nicht schon einmal erlebt? Er hatte gesehen, wie seine Mutter unter dem Mitleid der anderen Menschen verwelkt, wie das Leben aus ihrem Körper gewichen war. Verglichen damit, war ihre Krankheit gar nicht so schwer gewesen.

Besser, er ging nach Hause. Insgeheim hatte er immer gewusst, dass er eines Tages nach Biryal zurückkehren musste. Nur dass es auf diese Weise geschah, damit hatte er nicht gerechnet. Humpelnd, verletzt und beschämt.

Die Schmerzen wurden stärker, legten sich wie Stahlbänder um seine Brust und quetschten jedes Leben, jede Hoffnung, jede Freude aus seinem Leib.

„Khaled, ich hole dir etwas. Ein Schmerzmittel oder …“

Erics Stimme wurde immer leiser, die Welt um Khaled versank in Finsternis. Trotzdem gelang es ihm, den Kopf zu schütteln.

„Nein. Geh einfach.“ Er rang nach Luft. „Bitte.“ Noch ein Atemzug. Seine Lungen fühlten sich an, als ständen sie in Feuer. „Bitte … erzähl Lucy nichts davon. Sag ihr … gar nichts.“ Es war am besten, wenn sie nichts über seinen Zustand erfuhr.

„Sie wird wissen wollen …“

„Nein! Es wäre nicht fair.“ Mit brennenden Augen wandte er sich ab.

Nach langem Schweigen, während Khaled sich auf die Unterlippe biss, um die Tränen zurückzuhalten, verließ Eric endlich das Zimmer. Erst jetzt ergab der Prinz sich seinen Schmerzen, erlaubte all der Qual und dem Leid sich auszubreiten, bis er daran zu ersticken drohte.

Die ersten Regentropfen klatschten dumpf und schwer gegen das Fenster.

1. KAPITEL

Vier Jahre später.

Als das Flugzeug die Wolkendecke durchbrach, verrenkte Lucy Banks sich fast den Hals, um einen Blick auf das Inselreich Biryal erhaschen zu können. Doch unter ihr erstreckte sich nur das blau glitzernde Wasser des Indischen Ozeans.

Seufzend lehnte sie sich wieder zurück. Noch fühlte sie sich nicht bereit, sich Biryal zu stellen, geschweige denn dem Kronprinzen, Scheich Khaled el Farrar.

Khaled … Schon der Name ließ unzählige Bilder vor ihrem geistigen Auge aufblitzen. Sein atemberaubendes Lächeln, sein Blick, der den ihren quer durch einen überfüllten Pub nach einem Spiel gefangen nahm, das Prickeln, das sie überlief, wenn er ihr in die Augen schaute, das Glücksgefühl, das durch ihre Adern strömte und ihren Herzschlag beschleunigte.

Und dann folgten, gegen ihren Willen, stärkere, süßere Erinnerungen. Jene, die sie dicht in ihrem Herzen bewahrte, obwohl ihre Vernunft ihr gebot, sie zu vergessen. Einen Moment erlaubte sie sich, sich doch in ihnen zu verlieren und errötete, weil zusammen mit den Bildern auch das Verlangen in ihr aufstieg. Immer noch.

Sie lag in Khaleds Armen. Träge strömte das goldene Licht des Nachmittags durch die Fensterläden. Ein helles Lachen entrang sich ihrer Kehle. Seine Lippen berührten die ihren, seine Hände streichelten ihren Körper, als sei er ein unermesslicher Schatz, während sie sich gemeinsam bewegten, ihre Seelen miteinander verschmolzen.

Schamlos gab sie sich seinen Liebkosungen, seinen Zärtlichkeiten hin. Sie genoss die Freiheit, zu lieben und geliebt zu werden. Alles schien so einfach zu sein, so klar, so richtig.

Die Scham war später gekommen, hatte ihre Seele verbrannt und ihr Herz gebrochen, als Khaled ohne Erklärung, ohne ein Wort des Abschieds England verlassen hatte.

Sie fragte seine Teamkameraden. Alles, was sie wussten, war, dass er schlicht gegangen war.

Lucy schluckte und drängte die Erinnerungen zurück.

„Alles in Ordnung?“, fragte Eric Chandler und ließ sich auf den Sitz neben sie fallen.

Trotzig hob Lucy das Kinn und zwang sich zu einem Lächeln. „Es geht mir gut.“

Von all den Menschen, die ihre Verliebtheit mitbekommen hatten verstand Eric es – sie – vielleicht noch am ehesten. Er war Khaleds bester Freund gewesen. Und nach seinem Verschwinden war er ihrer geworden.

Doch sein Mitgefühl wollte sie nicht; es grenzte zu sehr an Mitleid.

„Du hättest nicht mitkommen müssen“, sagte er.

Dieses Gespräch hatten sie schon einmal geführt, als zum ersten Mal von einem Freundschaftsspiel gegen Biryals neu aufgestellte Rugbymannschaft die Rede war.

Müde schüttelte sie den Kopf. Sie hatte keine Lust, die alten Gründe zu wiederholen. Eric wusste genau, weshalb sie diesen Schritt gehen musste.

„Du schuldest ihm gar nichts“, fuhr er fort.

Lucy seufzte. „Ich schulde Khaled die Wahrheit“, erwiderte sie leise.

Die Wahrheit, mehr nicht. Sie wollte ihm eine Botschaft übermitteln, dann konnte sie mit ruhigem Gewissen und leichtem Herzen wieder gehen. Aus diesem Grund war sie nach Biryal gekommen. Um Khaled zu sehen und die Sache ein für alle Mal zu beenden.

Angespannt stand Khaled auf der Landebahn von Biryals einzigem Flughafen und beobachtete, wie die große Maschine zur Landung ansetzte.

Sein Magen zog sich zusammen, ein pulsierender Schmerz beherrschte sein Knie. Dennoch setzte er eine entspannte Miene auf und lächelte.

Wer würde in dem Flugzeug sitzen? Er hatte sich die Passagierliste nicht allzu genau angesehen. Einige Spieler von früher würden dabei sein, manche aus dem Begleitteam würde er kennen und natürlich den Trainer, Brian Abingdon.

Seit er damals halb bewusstlos vom Platz getragen worden war, hatte er außer Eric keinen von ihnen mehr gesehen.

Und was war mit Lucy? Gegen seinen Willen schmuggelte sich die Frage in seine Gedanken. Khaled presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.

Er würde jetzt nicht an Lucy denken. Seit vier Jahren hatte er keinen Gedanken mehr an sie verschwendet. Es war wirklich erstaunlich, wie viel Kraft es kostete, nicht an jemanden zu denken.

Nicht an das Gefühl ihrer seidigen Haare, wenn er mit den Fingern hindurchfuhr, nicht an das Gefühl ihrer Wimpern an seinen Wangen, nicht an ihr kehliges Lachen, das ihn immer wieder überraschte und den Wunsch weckte, sie in die Arme zu ziehen.

Zu spät wurde Khaled klar, dass er doch an sie dachte. Er verlor sich geradezu in sentimentalen Erinnerungen. Und das hatte überhaupt keinen Sinn. Er bezweifelte, dass Lucy sich an Bord des Flugzeugs befand. Und selbst wenn …

Selbst wenn …

Sein Herz tat einen Sprung, als ein Gefühl in ihm aufwallte, dass verdächtig nach Hoffnung aussah. Angewidert schüttelte Khaled den Kopf. Selbst wenn sie an Bord war, spielte es keine Rolle.

Es durfte keine spielen.

Vor vier Jahren hatte er für sie beide eine Entscheidung getroffen. Jetzt musste er damit leben. Für immer.

Das Flugzeug setzte auf der Landebahn auf und rollte dann auf das Flughafengebäude zu.

Khaled straffte sich. Vier Jahre lang hatte er auf diesen Augenblick hingearbeitet; er konnte sich jetzt nicht verstecken. Er wollte diese Konfrontation, trotz – oder gerade wegen? – seiner Schmerzen. Er war am Ziel. Der Tag der Abrechnung war gekommen.

Gleißendes Sonnenlicht begrüßte Lucy, als sie aus der Maschine stieg. Gestartet waren sie bei trübem Januarwetter; auf den heißen trockenen Wind, der den Duft von Salz und Sand mit sich brachte, war sie nicht vorbereitet. In dem hellen Licht wirkte die Landschaft sehr hart und unversöhnlich.

Während sie in ihrer Tasche nach der Sonnenbrille kramte, griff Eric nach ihrem Ellenbogen, um sie die letzten Stufen der Gangway nach unten zu geleiten.

„Er ist hier“, murmelte er ihr ins Ohr. Noch während ihr Herz sich vor Aufregung zusammenzog, verspürte sie eine gewisse Gereiztheit in sich aufsteigen. Sie brauchte Eric nicht als Regisseur dieses Dramas. Sie wollte überhaupt kein Drama.

Das hatte sie bereits hinter sich. Jetzt war es an der Zeit, Schluss mit dieser Theaterinszenierung zu machen und sich wie eine Erwachsene zu verhalten. Ruhig. Gefasst.

Gleichgültig.

Sie entzog sich Erics Griff und setzte die Sonnenbrille auf. Nun konnte sie die Landschaft deutlicher ausmachen. Ein paar Büsche jenseits der Landebahn, schroffe Berge in der Ferne.

Und Khaled. Sie musterte sein Profil, und erst jetzt wurde ihr klar, dass sie die ganze Zeit nach ihm Ausschau gehalten hatte.

Er unterhielt sich mit Brian, dem Trainer. Seine Bewegungen wirkten steif, abgehackt, fast schien es, als fühle er sich unbehaglich, obwohl er offen und freundlich lächelte. Dann klopfte er dem anderen Mann in einer freundschaftlichen Geste auf die Schulter.

Mit einiger Anstrengung gelang es ihr, den Blick abzuwenden.

Lucy hatte nicht vor, zu Khaled zu gehen. Für diese Begegnung war sie noch nicht bereit. Doch als besäßen sie einen eigenen Willen, trugen ihre Beine sie in seine Richtung. Ein paar Meter vor ihm blieb sie stehen. Und dann schaute er auf.

Selbst auf die Entfernung nahm sein Blick sie gefangen und machte sie hilflos. Schwach. Sie war froh, dass sie ihre Sonnenbrille trug. Sonst hätte er ihre Augen gesehen und in ihnen … was? Kummer? Verlangen?

Nein!

Kämpferisch hob Lucy das Kinn, während Khaled sie weiterhin mit ausdrucksloser Miene musterte. Sie bemerkte die feinen Linien um seinen Mund herum, die Härte in seinen Augen. Und dann, ohne das geringste Zeichen des Wiedererkennens, wandte er sich ab.

Genauso gut hätte sie eine Fremde oder eine Statue sein können. Und bevor sie es verhindern konnte, stieg das Gefühl der Demütigung in ihr auf. Sie spürte, wie einige aus der Mannschaft sie neugierig ansahen. Es waren genug Leute von früher dabei, die sich an die Ereignisse von vor vier Jahren erinnerten. Lucy drückte den Rücken durch, schob die Tasche höher auf ihre Schulter und schlenderte betont lässig davon.

Am liebsten wäre sie im Boden versunken. Seine Ablehnung tat so weh.

Es war nur ein Blick, schimpfte sie mit sich. Hör sofort mit dem melodramatischen Theater auf. Vor vier Jahren hatte sie sich völlig gehen lassen. Tagelang hatte sie geweint und sich mit einem Becher Eiscreme in ihrem Bett verkrochen. Noch nie hatte sie sich so ausgenutzt und wertlos gefühlt.

Und nun reichte ein flüchtiger Blick, um all die schrecklichen Empfindungen von damals zu wecken.

Entschlossen schüttelte Lucy den Kopf. Nein, sie würde nicht zulassen, dass Khaled diese Gefühle in ihr wach rief. Diese Art Macht würde sie ihm nicht verleihen.

Die nächsten zwanzig Minuten verbrachte sie mit Dingen, bei denen sie nicht nachzudenken brauchte. Die Gepäckstücke mussten sortiert, die Pässe herausgesucht werden.

Warmer Schweiß rann ihr über den Rücken. In diesem Land war es viel heißer, als sie erwartet hatte. Manchmal wanderte ihr Blick zu Khaled hinüber. Ihm schien die Hitze überhaupt nichts auszumachen.

Warum auch? Schließlich war er hier aufgewachsen. Er war der Kronprinz dieses Inselreiches. Damals war ihr keine dieser Tatsachen wirklich bewusst gewesen. Sie hatte in ihm stets den charmanten Rugbystar gesehen, der in Eton zur Schule gegangen war und dessen Stimme und Wortwahl so klangen, als verbringe er seine Sommer in Surrey oder Kent.

Für die englischen Besucher stand ein Bus bereit, in den die Reisenden nun fröhlich miteinander plaudernd einstiegen. Khaled hingegen marschierte zu einer luxuriösen Limousine mit dunkel getönten Scheiben. Er schaute sich nicht einmal um.

„Lucy? Wir müssen gehen.“

Sie drehte sich um. Neben ihr stand der Mannschaftsarzt Dan Winters. Ihr direkter Boss. Sie nickte und schaffte es sogar zu lächeln.

„Ja, richtig.“

Im Bus suchte sie sich einen leeren Platz im hinteren Teil. Aus dem Fenster konnte sie einen Blick auf die Limousine erhaschen, die gerade auf die einsame Wüstenstraße in Richtung der schroffen Berge einbog. Hinter ihr blieb nur eine Staubwolke zurück.

Warum hielt sie nach Khaleds Wagen Ausschau? Warum kümmerte es sie?

Sie presste die Lippen zusammen. Das erste Wiedersehen hatte sie überrascht, das war alles. Langsam stieß sie den Atem aus und stellte erleichtert fest, dass sie ihre Selbstbeherrschung wiedergefunden hatte.

Der Bus holperte über die Schotterpiste durch die Wüste in Richtung Lahji, der Hauptstadt von Biryal. Lucy beugte sich zu Aimee, der Ernährungsberaterin des Teams, die einen Platz vor ihr saß.

„Weißt du, wo wir untergebracht sind?“

Aimee grinste. „Hast du es noch nicht gehört?“ Ihre Augen funkelten vor Freude. „Wir wohnen im Palast, als Ehrengäste des Prinzen.“

„Was?“ Lucy blinzelte. Als sie die volle Bedeutung der Worte begriff, stieg Entsetzen in ihr auf. „Du meinst Prinz Khaled?“

Aimees Grinsen wurde noch breiter. „Ja, ist er nicht hinreißend? Ich hätte ja nie gedacht, dass ein Scheich mich reizen könnte, aber …“

„Ich verstehe“, unterbrach Lucy sie. Sie lehnte sich wieder zurück und starrte aus dem Fenster. Ihre Gedanken rasten. Unterdessen hatten sie die spärlichen Büsche und Sträucher hinter sich gelassen, und die ersten niedrigen Gebäude, kaum mehr als Hütten mit Strohdächern, kamen in Sichtweite. Ein paar knochige Ziegen waren an einen Metallzaun gebunden und blökten jämmerlich. Dann verschwanden auch sie in der Staubwolke, die der Bus aufwirbelte.

Sie wohnten im Palast. Bei Khaled. Damit hatte sie nicht gerechnet. Wenn sie sich ihr Gespräch mit Khaled ausgemalt hatte, dann hatten sie sich auf neutralem Boden getroffen, im Stadion vielleicht oder in der Lobby eines Hotels. Irgendwo, wo es sicher war.

Wieder blickte sie aus dem Fenster. Gerade erreichten sie Lahji. Lucy wusste nicht viel über Biryal – absichtlich hatte sie nicht nach Informationen über das Inselreich gesucht. Allerdings war ihr bekannt, dass die Hauptstadt Lahji klein und sehr alt war. Und tatsächlich wirkten die Gebäude aus rotem Lehm, als würden sie schon seit tausend Jahren der Zeit trotzen.

In der Ferne standen einige moderne Hochhäuser aus Glas und Stahl, dann waren sie auch schon wieder aus der Stadt heraus und zurück in der Wüste. Das Meer ließ sich als dunkle Fläche am Horizont nur erahnen.

Dafür rückten die Berge näher, dunkel, schroff und gewaltig. Es waren keine hübschen bewaldeten Berge mit verschneiten Spitzen, sondern nackte Ungetüme aus Stein.

„Da ist der Palast!“, rief Aimee begeistert aus. Lucy beugte sich vor und sah, dass der Palast, Khaleds Zuhause, unangreifbar, wie das Nest eines Adlers, auf einem der Berggipfel thronte.

Nach schier endlosen Minuten verstummte das Röcheln des Motors, der Bus hielt vor einem Tor. Die Einfahrt zum Palast war aus dem Felsen geschlagen worden, zwischen zwei maurischen Bögen hing ein schmiedeeisernes Fallgitter. Lucy kam es so vor, als betrete sie ein mittelalterliches Gefängnis.

Der Eindruck verstärkte sich noch, als das Gitter, nachdem sie es passiert hatten, mit einem rasselnden Geräusch heruntergelassen wurde. Der Bus hielt in einem Innenhof, der ebenfalls aus dem Fels geschlagen worden zu sein schien.

Lucy stieg mit den anderen aus und sah sich neugierig um. Trotz des blauen Himmels und der hellen Sonne war es in dem Hof kühl. Die hohen Mauern und der alles überragende Berggipfel schienen den Palast in ewigen Schatten zu tauchen.

„Unheimlich, was?“, murmelte Eric, der sich zu ihr gesellte. „Der Palast zählt zu den Meisterwerken östlicher Architektur, aber mir gefällt er nicht sonderlich.“

Lucy lächelte schwach und zuckte die Schultern. Sie nahm sich vor, weder ängstlich noch beeindruckt zu sein.

Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Khaled einige Teammitglieder begrüßte. Als er ihnen lächelnd auf die Schultern klopfte, wandte sie sich ab, um sich um ihr Gepäck zu kümmern. Sie erspähte ihren Koffer, doch da trat auch schon ein Bediensteter auf sie zu, schüttelte freundlich den Kopf und deutete auf sich.

Lucy nickte und trat einen Schritt zurück. Der Mann griff nach ungefähr einem Dutzend Gepäckstücken und machte sich auf den Weg in den Palast.

„Meine Dienerschaft wird euch eure Zimmer zeigen.“

Der Klang dieser Stimme ließ ihr Herz und ihr Denken erstarren. So kalt und unpersönlich. Khaled. Wie ein Fremder.

Langsam wandte sie sich um. Sie spürte, dass Eric sich neben ihr versteifte.

„Hallo, Khaled“, sagte er, bevor sie noch ein Wort herausbringen konnte. Khaled neigte den Kopf und lächelte schwach.

„Hallo, Eric. Wie schön, dich wiederzusehen.“

„Lange her, was?“, erwiderte Eric mit spöttisch hochgezogener Augenbraue.

„Ja“, stimmte er zu. „Viel hat sich geändert.“ Er wandte sich Lucy zu. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sein Blick einen Moment auf ihr ruhte, fast wie eine Liebkosung. Dann wurde seine Miene wieder so unlesbar wie zuvor. „Hallo, Lucy.“

Auf einmal fühlte ihre Kehle sich trocken und eng an. Und während die eine Hälfte von ihr gerne auf Khaleds höflichen Ton eingegangen wäre, hätte die andere am liebsten geschrien und mit dem Fuß aufgestampft. Irgendwie gelang es ihr, ein kühles Lächeln aufzusetzen. „Hallo, Khaled.“

Einen Augenblick musterte er sie noch aufmerksam, dann machte er eine leichte Verbeugung. „Ich fürchte, ich muss mich nun wieder um meine Pflichten kümmern. Ich hoffe, dein Zimmer gefällt dir.“ Auf seinen Lippen erschien ein winziges, fast zaghaftes Lächeln. Dann drehte er sich um und ging.

Lucy murmelte ein Abschiedswort in Erics Richtung, dann folgte sie einem weiteren Diener ins Innere des Palastes.

Nur vage war sie sich des Labyrinths aus Fluren, Treppen und Korridoren bewusst, durch das sie liefen. Ohne Hilfe, so viel war ihr klar, würde sie den Rückweg nie finden. Schließlich öffnete der Diener eine Tür, betrat das dahinterliegende Zimmer und stellte ihren Koffer ab. Dann verabschiedete er sich mit einem flüchtigen Nicken.

Nach der Kargheit, die Biryal bislang geboten hatte, überraschte das Zimmer mit überbordendem Luxus. Ein großes Doppelbett und ein Schrank aus dunklem Teakholz nahmen den meisten Platz ein. Dominiert jedoch wurde der Raum von einem riesigen Fenster, das eine atemberaubende Aussicht bot.

Bis zu diesem Moment hatte sie Biryal nur als Ansammlung von Büschen und Staub, Sand und Steinen wahrgenommen. Aber vom Gipfel des Berges aus war die wahre Schönheit des Landes zu erkennen. Zerklüftete Felsen und bizarr geformte Bäume bildeten einen reizvollen Kontrast. Biryal ist nicht schön im herkömmlichen Sinn, entschied Lucy. Stattdessen besaß die wilde raue Landschaft ihren ganz eigenen, durchaus ein wenig Angst einflößenden Charme.

Das hier war Khaleds Land, sein Zuhause. Es versetzte ihr einen Stich zu erkennen, wie wenig sie eigentlich über ihn wusste. Für sie war Khaled immer nur Khaled gewesen, der aufsteigende Star an Englands Rugbyhimmel.

Mit einem traurigen Seufzen wandte sie sich vom Fenster ab. Auf einmal fühlte sie sich zutiefst verunsichert. Sie wollte nicht an die Vergangenheit erinnert werden, wollte die gemeinsame Zeit mit Khaled nicht wieder lebendig werden lassen. Je länger sie allerdings hier war, desto unmöglicher erschien ihr dieses Vorhaben.

Sie konnte wohl kaum erwarten, ihn zu sehen, mit ihm zu sprechen, ohne an damals zu denken. Wie Glasscherben blitzten die Erinnerungen in ihrem Kopf auf, wunderschön und schmerzhaft zugleich.

Dass er sich ihr gegenüber so gleichgültig verhalten hatte, löste neue Schmerzen aus. War denn ein kleines Hallo zu viel verlangt? Was – diese Frage musste sie nun stellen – hatte sie eigentlich erwartet?

Wir waren nur ein paar Monate zusammen, ermahnte sie sich. Nur ein paar wundervolle, unglaubliche Monate.

Vier Jahre später bedeutete ihm diese Zeit überhaupt nichts mehr. Und ihr sollte sie auch nicht mehr wichtig sein.

Lucy schüttelte den Kopf und schob die trostlosen Gedanken beiseite. Sie hatte eine Aufgabe zu erfüllen, und allein darauf musste sie sich konzentrieren. Zunächst jedoch beschloss sie, zu Hause in London anzurufen.

„Lucy, du hörst dich müde an“, sagte ihre Mutter, nachdem Lucy endlich herausgefunden hatte, wie das Telefon in ihrem Zimmer funktionierte.

„Es war ein langer Flug.“

Autor

Kate Hewitt

Aufgewachsen in Pennsylvania, ging Kate nach ihrem Abschluss nach New York, um ihre bereits im College angefangene Karriere als Schauspielerin weiter zu verfolgen. Doch ihre Pläne änderten sich, als sie ihrer großen Liebe über den Weg lief. Bereits zehn Tage nach ihrer Hochzeit zog das verheiratete Paar nach England, wo...

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