Julia Jubiläum Band 7

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DIE GELIEBTE DES SCHEICHS von PORTER, JANE
Ein letztes romantisches Wochenende soll Bryn ihrem Mann Prinz Kahlil schenken, dann wird er der Scheidung zustimmen. Bryn muss stark bleiben! Denn als Kahlil sie in seinen goldenen Haremsgemächern zärtlich umwirbt, spürt sie: Er ist immer noch der Herrscher ihres Herzens!

HEIß WIE DER WIND DER WÜSTE von FAITH, BARBARA
Als der feurige Scheich Karim die junge Journalistin Diane aus der Hand von Entführern befreit, ist sie ihm unendlich dankbar. Auf ihrer abenteuerlichen Flucht durch Wüsten und Berge kommen sie sich näher und erleben leidenschaftliche Stunden unter dem Sternenzelt. Doch hat ihre Liebe eine Zukunft? Auf Karim wartet bereits eine Braut …

IN DER SONNENGLUT DES ORIENTS von MATHER, ANNE
Märchenhaft geliebt, vom Schicksal beschenkt: Wie in 1001 Nacht fühlt Alice sich in den Armen des orientalischen Prinzen Alain. Bis ihre Affäre durch eine Intrige endet. Jahre später ist Alice erneut in Alains Palast geladen. Wiederholen sich Glück - und Enttäuschung?


  • Erscheinungstag 09.03.2018
  • Bandnummer 7
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711399
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jane Porter, Barbara Faith, Anne Mather

JULIA JUBILÄUMSBAND BAND 7

1. KAPITEL

Der Klingelton hallte noch durch den gefliesten Flur, als Bryn zur Haustür ging. Sie erhaschte einen flüchtigen Blick auf ihr Spiegelbild. Prachtvolles weißes Kleid, glänzende blaue Augen, gerötete Wangen. Eine strahlende Braut. Sie fühlte sich wirklich wunderschön, schöner als seit Jahren. In sieben Tagen würde sie vor dem Traualtar stehen, um Stanleys Frau zu werden.

Lächelnd summte Bryn den Hochzeitsmarsch vor sich hin und öffnete schwungvoll die Tür. Die goldene Nachmittagssonne blendete sie.

Blinzelnd machte sie breite Schultern aus. Hohe Wangenknochen. Einen faszinierenden Mund. Es gab nur einen Mann, der solch einen Mund hatte. Ihr blieb das Herz stehen. „Was – was – machst du hier?“

„Hallo, Darling. Schön, dich zu sehen.“

Die Zeit blieb stehen, verschob sich, und für den Bruchteil einer Sekunde war sie sprichwörtlich woanders. Es war genau der Tag, an dem sie ihn kennengelernt hatte. Der Tag, an dem sie ihren kleinen Volkswagen zurückgesetzt und seinen silberfarbenen Mercedes gerammt hatte. Ihr Wagen hatte Totalschaden, bei seinem war kaum eine Beule zu sehen.

Bryn spürte wieder diesen Aufprall, sie bekam keine Luft, ihr Mund war vor Beklemmung leicht geöffnet. „Kahlil.“

„Du erinnerst dich also an mich. Schön.“ Er wirkte amüsiert, doch seine goldbraunen Augen lächelten immer, wenn er erbost war. Er wedelte mit einem Blatt Papier. „Vielleicht erinnerst du dich auch hieran“, sagte er mit seiner samtigen Stimme.

Bryn starrte mit leerem Blick auf das Blatt, unfähig, die Worte zu lesen. Nur seine Stimme drang zu ihr durch, diese erotische Stimme, das geschliffene Englisch, das er als Kind auf einem Internat in England gelernt hatte. „Was ist das?“

„Du erkennst es nicht?“

Kraftlos hielt sie sich an der Tür fest. „Nein.“

Kahlil lachte leise. Es war ein warmes, nachsichtiges Lachen. Dieselbe Nachsichtigkeit hatte er ihr gegenüber zu Beginn ihrer Ehe gezeigt. „Es ist das kleine Papier, das bestätigt, dass wir per Gesetz zusammengehören.“

Bryn brachte keinen Ton heraus. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Er muss verrückt sein, dachte sie und zwang sich, ihm in die Augen zu sehen.

Doch er sah nicht aus, als wäre er verrückt. Er wirkte eher ruhig und absolut beherrscht, als wisse er genau, was er tat, als hätte er diesen Überraschungsbesuch genauestens geplant.

Eine Woche vor ihrer Hochzeit …

Ihre Gedanken drehten sich im Kreis, ihr Verstand war lahmgelegt von Schock und Angst. Was wäre, wenn Kahlil Ben entdeckte? Was wäre, wenn er herausfand, dass sie einen gemeinsamen Sohn hatten?

Nein. Sie würde niemals zu ihm zurückgehen. Niemals. Bryn richtete sich zu voller Größe auf. Ihre Entschlossenheit gab ihr Mut. „Ich verstehe nicht, was du willst.“

„Das wirst du aber gleich, Darling.“ Interessiert musterte er sie von oben bis unten. „Ich will wissen, warum du wieder heiraten willst, obwohl du noch mit mir verheiratet bist.“

Noch mit ihm verheiratet? Lächerlich. Wenn er glaubte, er könne sie damit einschüchtern, dann täuschte er sich gewaltig. Schließlich war sie keine achtzehn mehr, war nicht mehr die kindliche Braut.

„Wir sind nicht mehr verheiratet“, entgegnete sie scharf. „Vor drei Jahren sind wir geschieden worden.“ Warum weigerte er sich immer noch, die Scheidung zu akzeptieren? Drei Jahre waren seitdem vergangen, um genau zu sein, dreieinhalb Jahre. „Ich bin nicht in der Stimmung für irgendwelche Spielchen. Vielleicht sind bei euch in Zwar oder überhaupt im Mittleren Osten Scheidungen nicht möglich, aber hier in Amerika sind sie absolut legal.“

„Darling, das weiß ich. Hast du vergessen, dass ich in Harvard Jura studiert habe, einer amerikanischen Universität? Ich weiß sehr gut: Eine amerikanische Scheidung ist legal, doch wir wurden niemals geschieden.“

Der drohende Unterton in seiner Stimme war unüberhörbar. Bryn hob den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. „Wenn du das lustig findest …“

„War ich jemals ein Spaßvogel?“

Nein, dachte sie. Er ist tatsächlich ein Mann, dem der Sinn für Humor völlig abgeht.

„Ich versuche nur, dich vor weiteren Peinlichkeiten zu bewahren“, fügte er in seiner aufreizend ruhigen Art hinzu. „Ich hatte überlegt, ob ich warten soll, bis du die Kirche betrittst. Die Szene habe ich schon direkt vor mir gesehen. Die Gäste in den Bänken, dein Bräutigam, ungeduldig wartend am Altar. Im Smoking – er trägt doch einen Smoking, oder?“

Sie konnte es nicht ertragen, Zielscheibe seines Spotts zu sein. In der Vergangenheit hatte sie erlebt, wie er andere fertig gemacht hatte, aber niemals sie. Zu ihr war er immer freundlich gewesen und liebevoll.

Das Herz wurde ihr schwer, als sie daran dachte. Die ungewollte Erinnerung quälte sie. Ihre Ehe war nur kurz gewesen. Zu kurz, aber sie konnte nicht zurück. Konnte die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. „Ich denke, es ist Zeit, dass du gehst.“

Er stellte den Fuß in die Tür, um zu verhindern, dass sie sie schloss. „Ich habe versucht, höflich zu sein, aber vielleicht muss ich deutlicher werden. Es wird keine Hochzeit geben am nächsten Samstag. Solange ich lebe, wirst du keinen anderen Mann heiraten. Niemals.“

Sie biss die Zähne zusammen, versuchte, ihre Wut im Zaum zu halten. Dort, wo er herkam, konnten die Männer ihre Frauen vielleicht in Schleier hüllen, ihnen vorschreiben, wie sie sich zu kleiden hatten und wohin sie gehen durften. Aber nicht in den Vereinigten Staaten, nicht in ihrer Heimat. „Ich gehöre dir nicht.“

„Doch, du gehörst mir.“

„Menschen sind keine Gegenstände, Kahlil!“

Er drückte die Tür weit auf und zog Bryn an sich. Seine Hände umschlossen ihren Brustkorb, die Daumen lagen unter ihren Brüsten. Ihre Brüste kribbelten, ihre Sinne reagierten genauso heftig wie früher auf ihn. In null Komma nichts konnte er ihre Leidenschaft entfachen.

Kahlil neigte sie ein wenig nach hinten. Ihr Herz begann zu rasen. „Wie kommst du auf die Idee, ich könnte zulassen, dass du einen anderen Mann heiratest? Wie konntest du glauben, dass ich dich jemals aufgeben würde?“

„Weil die Scheidung …“ Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Sie verspürte plötzlich Angst, jedoch nicht vor ihm, sondern der Gedanke, noch mit ihm verheiratet zu sein, erschreckte sie. Ihre Ehe war zu Ende.

„Welche Scheidung?“, fragte er.

„Unsere Scheidung.“

Im dunklen Flur tanzten unheilvolle Schatten auf seinem Gesicht. „Es gibt keine Scheidung. Du hast die letzten Papiere nicht zurückgeschickt, und die Scheidungsangelegenheit wurde ad acta gelegt, weil einige Dokumente nicht unterschrieben waren.“

Bryn bekam einen trockenen Mund. Ihr Herz hämmerte laut in der Brust. Jeden Schlag spürte sie fast schmerzhaft. „Dokumente?“, stotterte sie und wiederholte das Wort, als sei es ein Fremdwort.

„Ich habe die Scheidung angefochten. Niemals hätte ich akzeptiert, dass du mich verlassen hast. Also habe ich dem Richter gesagt, dass von böswilligem Verlassen keine Rede sein könne, sondern dass du nur vorübergehend abwesend seist. Daraufhin hat er dir einige Dokumente zugeschickt, die du aber nie ausgefüllt hast. Deshalb ist die Scheidung nicht rechtskräftig.“

„Du hast den Richter bestochen. Du hast ihm Geld gegeben …“

„Jetzt rede dir nichts ein. So korrupt ist euer Rechtssystem nicht. Wenn du jemandem die Schuld geben willst, dann dir selbst.“

Er hatte sie sprachlos gemacht, ihr den Atem genommen, die Worte, die Wut.

Hatte er womöglich recht? War ihr irgendein wichtiges Papier entgangen?

Ihr Geist arbeitete auf Hochtouren, und sie versuchte, sich an das erste Jahr zu erinnern, die ersten entsetzlichen Monate mit dem Baby, als sie ums Überleben kämpfen musste. Sie war ein halbes Dutzend Mal in ebenso vielen Monaten umgezogen, hatte zusätzlich zu ihrem normalen Job noch Nebenjobs angenommen, um die Rechnungen bezahlen zu können. Sie schluckte und sagte schließlich: „Ich wusste nicht, dass man in Texas eine Scheidung anfechten kann.“

„In Texas ist alles möglich.“

Plötzlich hatte sie das Bild vor Augen, wie er Ben hochhob, mit ihm an Bord seines Privatjets ging und abflog. Er würde Ben für sich beanspruchen. Sie würde ihren Sohn nie wiedersehen. Die Vision war so schrecklich, so lebendig, real und schmerzhaft, dass sie meinte, er hätte den Dolch, den er in seiner Heimat unter den Gewändern trug, direkt in ihr Herz gestoßen. „Warum tust du das?“

Er musterte sie eingehend. „Du hast mich geheiratet. Du hast einen Schwur abgegeben. Ich halte mich an den Schwur. Und du wirst es auch tun.“

„Ich werde nie wieder mit dir zusammenleben, Kahlil.“

„Aber du bist meine Frau. Und du bleibst meine Frau.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr war kalt. Ein Leben lang an ihn gebunden zu sein, wäre ein Leben in Ketten. Und Ben – sie schloss die Augen. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Ben mit ihr gefangen war.

Entschlossen hob sie den Blick und heftete ihn auf das Gesicht des Mannes. Einst hatte sie ihn unglaublich gut aussehend gefunden. Jetzt erschien er ihr nur noch Furcht erregend. „Was willst du?“

„Dich.“

Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Niemals. Sie grub die Fingernägel in ihre Oberarme. „Nie im Leben.“

Er lächelte. Es war ein hartes, kompromissloses Lächeln. „Oh doch. Darauf verwette ich mein Leben.“ Kahlil öffnete die Tür und trat hinaus auf die schmale Veranda. „Ich schicke dir morgen meinen Wagen. Wir werden zusammen zu Abend essen und über unsere Zukunft sprechen.“

Mit geballten Fäusten ging sie auf ihn los. „Es gibt keine Zukunft für uns!“

„Doch, die gibt es. Wie passt dir sieben Uhr?“

Um die Zeit konnte sie noch nicht weg. Sie musste sich um Ben kümmern – ihn baden, ins Bett bringen und ihm eine Geschichte erzählen. Auf der anderen Seite konnte sie aber auch nicht riskieren, dass Kahlil zu ihr kam.

„Du kannst dich nicht einfach wieder in mein Leben drängen. Wenn es stimmt, was du sagst …“ Ihre Stimme versagte. Sie schluckte, unfähig, diesen Gedanken auszusprechen. Nach einem Moment angespannten Schweigens zwang sie sich weiterzureden. „Das schaffe ich nicht. Ich muss einige Telefonate führen, und dann ist da natürlich auch noch Stan …“

„Ach ja, der nette alte Stanley Hopper. Dein Boss, dein Verlobter, dein Versicherungsagent.“

„Verschwinde.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin im Four Seasons abgestiegen. Und ich verlasse die Stadt erst, wenn wir die Sache geklärt haben.“ Er beugte sich vor und küsste sie auf die Lippen. „Übrigens, du siehst in dem Kleid bezaubernd aus.“

Sie hatte ganz vergessen, dass sie ihr Hochzeitskleid trug. Sie hatte es anprobiert, um sich zu vergewissern, ob nicht noch irgendetwas geändert werden musste. „Ich wollte nur sehen, wie es passt.“

„Es passt.“ Er lächelte. Seine Augen funkelten. „Wunderschön.“

Eine Stunde, nachdem Kahlil sie endlich verlassen hatte, bebte Bryn innerlich noch immer. Sie hatte sich umgezogen, eine Tasse Tee gekocht, konnte sich jedoch nicht entspannen und ruhiger werden.

Kahlil täuschte sich. Er musste sich täuschen. Sie war nicht mehr mit ihm verheiratet. Sie war nicht seine Frau. Sie konnte es nicht sein.

Ihre Gedanken rasten, als sie Ben aus dem Kindergarten abholte.

Wenn sie wirklich noch Kahlils Frau war, dann hatte er auch ein Recht darauf, Ben zu sehen.

Als sie an diesem Abend das Essen für ihren Jungen zubereitete, fiel es ihr schwer, ihre Sorgen vor ihm zu verbergen. Sein fröhliches Geplapper, das sie normalerweise so sehr genoss, zerrte an ihren Nerven, und sie war froh, als er endlich ins Bett ging und sie Ruhe hatte, um nachzudenken.

Unruhig ging sie in dem kleinen Wohnzimmer auf und ab. Die einzige Möglichkeit, Ben vor der drohenden Gefahr zu bewahren, war, ihn vor Kahlil geheim zu halten. Sie wusste nicht, wie sie dies anstellen sollte, doch es musste ihr gelingen. Anders ging es nicht.

Bryn nahm sich am nächsten Tag frei und verbrachte ihn damit, einige Telefonate zu führen – mit dem Gericht, mit Anwälten und allen, die ihr vielleicht helfen konnten, die Fakten bezüglich ihrer Scheidung zu klären. Entsetzt vernahm sie, dass tatsächlich ein Dokument fehlte und der Scheidungsfall vor über einem Jahr ad acta gelegt worden war.

Kahlil hatte also recht. Die Ehe – ihre Ehe – existierte nach texanischem Recht noch.

Es dauerte zwei Tage, bis sie diese schreckliche Wahrheit akzeptierte. Zwei Tage Magenschmerzen, zwei schlaflose Nächte, in denen sie sich verfluchte, weil sie so nachlässig gewesen war und nicht darauf geachtet hatte, dass die Scheidung wirklich abgeschlossen wurde. Es war allein ihr Fehler.

Schließlich rief sie bei Stan an und teilte ihm die schreckliche Nachricht mit. Er kam sofort zu ihr, und sie diskutierten stundenlang, doch an den Tatsachen ließ sich nichts ändern, und sie konnten nichts anderes tun, als ihre Hochzeit aufzuschieben. Stan benahm sich wie ein echter Gentleman, machte ihr keine Vorwürfe, sondern sagte ihr seine volle Unterstützung zu.

Nachdem er gegangen war und im Haus wieder Ruhe herrschte, musste Bryn noch einen letzten unangenehmen Anruf tätigen.

Sie wählte die Nummer des Four Seasons Hotels und wurde mit Kahlils Präsidentensuite verbunden. Wenn er überrascht war, von ihr zu hören, so ließ er es sich nicht anmerken. Doch Bryn wollte nicht plaudern. Mit kühler, förmlicher Stimme schlug sie ein Treffen für den folgenden Abend vor und nannte ihm ein bekanntes Restaurant in Dallas.

Kahlil bot an, ihr einen Wagen zu schicken, doch sie lehnte ab. Sie würde selbst dorthin kommen, sagte sie ihm, nach dem Dinner nach Hause fahren, und das wäre dann das letzte Mal, dass sie sich sahen.

Doch der Abend begann nicht so, wie sie ihn geplant hatte. Zuerst sprang ihr Wagen nicht an, und statt Ben zum Babysitter zu bringen, musste sie die Frau anrufen und bitten, Ben abzuholen. Schließlich war sie noch gezwungen, Kahlil anzurufen und eine Nachricht zu hinterlassen, da sie wegen ihrer Probleme mit dem Wagen zu spät kommen würde. Bevor das Taxi kam, fuhr eine schwarze Limousine vor dem Haus vor. Kahlil. Sie wusste es, ohne ihn zu sehen oder zu hören. Sie spürte ihn. Fühlte seine Stärke, seine Verärgerung, seine Willenskraft.

Vom Wohnzimmerfenster aus sah sie, dass er aus dem Fond stieg und neben der geöffneten Tür stehen blieb. Er bewegte sich nicht. Er sprach nicht. Er wartete einfach, doch seine Haltung drückte seine Überzeugung aus, dass sie ihm gehörte. Ihm allein.

Die schwarze Limousine fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. Bryn konnte sich auf nichts konzentrieren. Sie hörte Kahlil sagen, dass er die Reservierung geändert und ein ruhigeres Restaurant ausgewählt hatte, in dem sie sich besser unterhalten konnten. Er sagte etwas darüber, dass unerledigte Dinge zwischen ihnen noch besprochen werden müssten, doch ihr fiel nichts ein, was zwischen ihnen unerledigt sein könnte. Ihrer Meinung nach waren sie miteinander fertig. Es war aus und vorbei.

Nicht, dass sie es so gewollt hätte.

Die Limousine hielt vor einem der exklusivsten Restaurants in Dallas. Die Wände waren in vornehmen blau-gold Schattierungen gehalten, und von der Decke hingen extravagante Kristallleuchter.

„Hungrig?“, fragte Kahlil und legte die Hand an ihren schmalen Rücken.

Ihr Körper reagierte sofort auf ihn, und Bryn bekam eine Gänsehaut. Sie machte einen Schritt zur Seite, geschockt über ihre Empfindsamkeit. Seine Berührung sollte sie absolut kalt lassen. „Nein.“

Der Maître d’hôtel grüßte höflich und brachte sie zu einem Separee mit einem schweren Vorhang, um mehr Intimität zu schaffen, falls dies gewünscht wurde.

Nachdem Bryn Platz genommen hatte, wanderte ihr Blick zu dem dicken, purpurfarbenen Behang, und sie betete, dass er zurückgezogen blieb. Kahlil bestellte einen Drink und die Vorspeise. Ihre Hände zitterten leicht, und sie hatte Schwierigkeiten, normal zu atmen.

„Lächle“, sagte er und lehnte sich in die dicken Polster zurück. „Du siehst aus, als würdest du gefoltert.“

„Dies ist die reinste Folter für mich.“

„Sind wir schon so weit gekommen?“, mokierte er sich. Er schüttelte den Kopf und betrachtete sie mit finsterem Gesichtsausdruck. „Es gab Zeiten, da wärst du für mich gestorben.“

Das Leben mit dir hätte mich fast umgebracht.

Aber sie sagte es nicht. Er wusste nichts über ihre letzte Nacht in Tiva oder über ihre Freundschaft mit seinem Cousin, eine Freundschaft, die sich als schrecklicher, fast tragischer Fehler entpuppte. „Du kannst nicht einfach über mein Leben bestimmen, Kahlil. Drei Jahre sind vergangen, dreieinhalb Jahre, seit wir zusammen waren. Ich habe mich verändert …“

„Ja, du bist rebellisch geworden.“

„Ich bin erwachsen geworden. Ich lasse mir von niemandem mehr etwas befehlen.“

„Ich habe dir nie etwas befohlen. Du hast sehr begierig alles für mich getan.“

Ihr wurde übel.

Sie wollte nicht an die Vergangenheit denken, wollte nicht über ihre Beziehung nachgrübeln. „Kahlil, ich will die Scheidung, und ich werde sie morgen früh gleich als Erstes beantragen. Stan kennt einen ausgezeichneten Anwalt. Ich werde wieder heiraten.“

Kahlil schnaubte verächtlich. „Ich hoffe, dein Stan ist ein geduldiger Mann, denn er wird sehr, sehr lange warten müssen. Ich werde alle Möglichkeiten ausschöpfen, dich an mich zu binden.“

Sie starrte ihn an, als sei er der Teufel in Person. „Warum? Was habe ich dir getan?“

Sein Blick glitt über ihre nackten Schultern und das schlichte schwarze Kleid. „Du hast dein Wort gebrochen.“

Das war es also. Hier ging es nur um Rache. Um Vergeltung. Ihr Magen verkrampfte sich vor Angst, und ihr wurde wieder bewusst, wie gefährlich die Situation für Ben war.

Die Vorspeise wurde serviert, ein pikant gewürztes Krabbengericht aus dem Ofen mit gebutterten Croutons und Käse. Bryn liebte Krabben, aber im Moment war ihr so übel, dass sie den Duft kaum ertragen, geschweige denn etwas essen konnte. Kahlil, stellte sie fest, aß auch nichts. „Ich dachte, du seist so hungrig.“

„Das bin ich auch. Ich warte darauf, dass du anfängst.“

„Mir ist der Appetit vergangen.“

Sie starrte Kahlil an, ärgerte sich über sein gutes Aussehen, die schwarzen Haare, die starken Brauen, die Linie seiner Lippen.

Die Trennung von ihm war ihr schwergefallen, und die Flucht war ein Wagnis gewesen. Anschließend hatte sie hart kämpfen müssen, um sich ein neues Leben aufzubauen. Und jetzt, da sie endlich bereit war, wieder zu heiraten, tauchte er hier auf.

Ein gefährlicher Mann. Ein Mann, der sie mit einem einzigen Blick aus seinen schönen Augen entwaffnen konnte. Sie hatte ihn zu sehr geliebt, doch er hatte ihr nicht all das geben können, was sie von ihm brauchte.

Blindlings erhob sie sich, das lange schwarze Kleid verhedderte sich. Er griff nach ihrem Handgelenk und zog sie zurück. „Wir sind noch nicht fertig miteinander.“

„Ich gehe, wann es mir passt!“ Was glaubte er eigentlich, wer er war? Bryn warf den Kopf zurück, Tränen schimmerten in ihren Augen. „Es ist mir unbegreiflich, dass ich einmal geglaubt habe, dich zu lieben. Wie dumm ich war!“

„Du hast es nicht geglaubt, du hast mich geliebt.“

„Das gehört der Vergangenheit an“, erwiderte sie verbittert. „Jetzt empfinde ich nur noch Hass für dich.“

„Liebe, Hass, wen interessiert das schon? Mich interessiert mehr, dass du dein Eheversprechen einhältst. Mir ist klar, du warst sehr jung, als wir geheiratet haben, aber ich habe dir Zeit gegeben, erwachsen zu werden. Dreieinhalb Jahre. Jetzt nehme ich dich wieder mit nach Hause.“

„Zwar ist nicht mein Zuhause!“

Er schnippte mit den Fingern. „Ich habe keine Lust, darüber zu diskutieren. Tatsache ist, dass dein Platz in Tiva ist, im Palast, wo du meine Kinder zur Welt bringen wirst.“

„Das ist etwas, was nie passieren wird.“

„Du glaubst, du wirst an der Seite deines langweiligen Versicherungsagenten glücklicher? Ich habe ihn von meinen Leuten überprüfen lassen. Er ist ein Mann ohne Feuer, ein Mann ohne Drive …“

„Ich liebe ihn.“

„Das ist mir egal. Du kannst ihn nicht haben.“ Sie wurde wütend. So wütend, dass sie die Hand hob, um ihn zu ohrfeigen. Bevor sie jedoch ihr Ziel traf, hielt er sie am Handgelenk fest. „Hast du den Verstand verloren?“

Ihr Handgelenk prickelte unter seinem festen Griff. „Lass Stan da raus. Das hat er nicht verdient.“

„Aber du. Du hast mich beleidigt. Und meine Familie. Du hattest eine Verpflichtung – du warst Prinzessin al-Assad – und du hast mein Volk verlassen.“

Ihr Handgelenk begann zu schmerzen. „Bitte lass mich los.“

„Ich erwarte eine Entschuldigung.“

„Du tust mir weh.“

Seine Nasenflügel bebten, seine dunklen Augen funkelten, doch er lockerte den Griff und ließ ihr Handgelenk los. Dann schloss er die schweren Vorhänge, um sie vor den Blicken der anderen Gäste zu schützen.

Die Tränen, die Bryn krampfhaft zurückgehalten hatte, strömten ihr plötzlich über die Wangen. Sie presste die Lippen aufeinander und rang um Selbstbeherrschung.

„Reiß dich zusammen“, sagte er barsch. „Ich kann nicht zulassen, dass meine Frau in der Öffentlichkeit weint.“

„Du hast den Vorhang zugezogen. Niemand kann es sehen.“

„Ich sehe es.“

Alles an ihm war so hart. Jedes Wort klang barsch. Sie presste die Lippen zusammen, entschlossen, sich nicht auf ein weiteres Wortgefecht mit Kahlil einzulassen. Er war rhetorisch weit besser als sie. Er war in allem viel besser als sie, aber deswegen waren seine Bedürfnisse noch lange nicht wichtiger als ihre.

Kahlil musste ihr Schweigen als Nachgiebigkeit gedeutet haben, denn sein harter Gesichtsausdruck wurde ein wenig weicher. „Wenn du keinen Streit willst, dann provozier mich nicht. Ich bin nicht die lange Strecke gereist, um von einer Frau verspottet zu werden.“

War er schon immer so arrogant gewesen? So verdammt herablassend? Vielleicht hatte ihr sein Machogehabe damals gefallen, aber jetzt erfüllte es sie mit Angst. Angst wegen Ben. Bens Zukunft.

Wenn Kahlil wüsste, dass er einen Sohn hatte, würde er darauf bestehen, dass Ben in Zwar aufwuchs, dem kleinem Scheichtum im Mittleren Osten, das reich an Ölvorkommen war. Zwar war wunderschön, aber dort gab es nicht die Freiheit, die Bryn und Ben von Texas gewohnt waren.

Abrupt beugte Kahlil sich vor, griff unter ihr Kinn und zog sie zu sich. Sie zuckte innerlich zusammen, doch nach außen ließ sie sich nicht anmerken, welche Wirkung seine Berührung auf sie hatte.

Als er mit dem Daumen über ihre Lippen strich, erbebte sie am ganzen Körper, eine Reaktion, die sie nicht vor ihm verbergen konnte.

„Du bist ziemlich scheu geworden“, sagte er mit gedehnter Stimme. „Berührt Stan dich denn nie?“

„Meine Beziehung zu Stan geht dich überhaupt nichts an.“

„Eine kühne Antwort für eine Frau in dieser prekären Situation.“

Sie zwang sich zu einem Lächeln. Keinesfalls würde sie sich von Kahlil unterkriegen lassen. „Ich habe mich verändert, Kahlil. Ich bin nicht mehr das Mädchen, das du geheiratet hast.“

„Schön. Dann müssen wir beide Veränderungen hinnehmen. Ich bin auch nicht mehr der Mann, den du geheiratet hast.“ Er lachte, doch es war ein humorloses Lachen. „Du hast dich verändert. Du bist noch hübscher geworden.“

„Hör auf, mir zu schmeicheln.“

„Ich schmeichle dir nicht. Ich habe in meinem Leben viele Frauen kennengelernt, aber ich kenne keine Frau wie dich. Keine, die so süß ist wie du, so lieblich …“

„Hör auf.“

„Deine helle, makellose Haut. Deine Augen, so blau wie Saphire. Dein Mund, schöner als eine Rose.“

Ein Schauer lief ihr über den Rücken, ihre Haut begann zu prickeln. Hör nicht hin. Lass nicht zu, dass er dir unter die Haut geht. Du hast es bisher ohne ihn geschafft. Du schaffst es auch weiter. „Ich bin nur interessant für dich, weil du mich nicht haben kannst.“

Immer noch lächelnd, ließ er sie los. Doch der Blick in seinen Augen wurde härter. „Ich kann dich haben. Ich habe es nur noch nicht darauf ankommen lassen.“

Nein, bisher nicht. Doch plötzlich wusste sie, dass er extrem skrupellos werden konnte.

Sein Lächeln verblasste. „Weiß Stan, dass du flatterhaft bist?“

„Er weiß, dass ich dich verlassen habe.“

„Hast du ihm erzählt, dass du verschwunden bist, ohne eine Nachricht zu hinterlassen? Oder mir einen Abschiedskuss zu geben? Weiß er, dass du einfach deine Tasche und deinen Pass genommen hast und gegangen bist?“

„Er weiß, dass ich meine Tasche genommen habe und gerannt bin.“ Sie wich seinem Blick nicht aus. Wenn er die harte Tour wollte, dann würde sie mitspielen.

„Hat Stan dich je gefragt, warum du mich verlassen hast?“

„Er weiß, dass ich unglücklich war. Das genügt ihm.“

Kahlil hob sein Weinglas, drehte den Kelch, und der rote Wein schimmerte in dem Kerzenlicht. „Was für ein verständnisvoller Mann. Wird er auch so verständnisvoll reagieren, wenn du von ihm genug hast und ihn wegwirfst?“

Sein Spott war scharf wie eine Rasierklinge und schnitt tief ein.

Am liebsten wäre sie einfach fortgelaufen, doch sie wusste, dass sie nicht weit kommen würde. Diesmal nicht. „Ich habe dich nicht weggeworfen.“

„Nein? Das Gefühl hatte ich aber. Es machte auch auf andere den Eindruck. Im Palast kursierten die wildesten Gerüchte. Der Skandal wirkte sich auf das gesamte Scheichtum aus. Nicht nur ich habe mein Gesicht verloren.“

„Welcher Skandal?“

„Es ging das Gerücht, dass du – mir untreu warst.“

2. KAPITEL

„Nein!“ Das Blut schoss Bryn in die Wangen. Wie konnte Kahlil so etwas denken? Wie konnte er diesem üblen Gerücht Glauben schenken?

Die Tatsache, dass er es tat, schmerzte mehr, als sie erwartet hatte.

Zuerst hatte sie angenommen, er sei ihretwegen gekommen. Sie hatte auch gehofft, dass er Amins Niedertracht durchschaut hatte. Stattdessen glaubte er, dass sie ihm untreu gewesen war. Offensichtlich war er gar nicht auf die Idee gekommen, dass es sich auch anders verhalten könnte.

Dann hatte er auch versagt. Zwei Mal.

Tränen brannten in ihren Augen, Tränen, die sie nie geweint hatte.

Ihn zu verlassen, hatte sie fast zerstört. Es war der schwierigste Schritt in ihrem Leben gewesen. Und als sie wieder in Texas war und entdeckte, dass sie schwanger war, war ihre Welt zusammengestürzt.

Das Baby, das Kahlil sich so sehr gewünscht hatte. Das Baby, von dem er niemals etwas erfahren würde. Das schlechte Gewissen hatte sie fast umgebracht. Gepriesen sei die Armut. Dadurch war sie gezwungen gewesen, jeden Morgen aufzustehen und zu arbeiten, bis sie abends todmüde ins Bett fiel.

Kahlil mochte sich über Stan und seine Versicherungsagentur lustig machen, doch der Job dort als Sekretärin hatte ihr das Leben gerettet. „Warum lässt du dich nicht einfach von mir scheiden, und dann ist die Sache erledigt?“, fragte sie mit heiserer Stimme.

„Das kann ich nicht.“

„Warum nicht?“ Sie hob den Blick zu Kahlil und bemerkte die frappierende Ähnlichkeit mit ihrem Sohn. Dieselben Augen, dieselbe Nase, derselbe Mund. Warum war ihr das nicht früher aufgefallen? Ben war Kahlil wie aus dem Gesicht geschnitten.

„Zu einfach“, erwiderte er kurz angebunden. „Ich gehe nie den einfachen Weg.“

Sie wusste, wovon er sprach. Er hatte sie zu Beginn ihrer Beziehung gewarnt, dass ihre Ehe einen Aufstand heraufbeschwören würde, hatte die Reaktion seiner Familie vorhergesagt, einschließlich der ablehnenden Haltung seines Vaters. Kahlil hatte erklärt, sie würden dafür zahlen müssen, doch Bryn hatte nur abgewinkt und ihn geküsst. Sie war sicher gewesen, die Zuneigung der Familie gewinnen zu können, sicher, dass Kahlils Liebe ausreichte.

Sie hatte sich getäuscht.

Ihre Schultern verkrampften sich, ihr Nacken wurde steif. Ihr Blick ruhte auf seinem markanten Profil. Einst hatte sie es geliebt, dieses Gesicht zu küssen. Sie erinnerte sich, wie sie die kleine Narbe neben seiner Nase mit Küssen liebkost hatte.

Wieder verspürte sie tiefen Kummer. Sie hatte ihn geliebt. Damals. Sie hatte nichts anderes gewollt, als mit ihm zusammen zu sein. Sie hatte ihn bis zum Wahnsinn geliebt und immer wieder die Bestätigung gesucht, dass er ebenso empfand. Stattdessen jedoch hatte er sich zurückgezogen, seine Wärme verschwand hinter einer unpersönlichen Maske. Pflichterfüllung, Land, Geschäft. Seine Welt war nicht länger ihre Welt. Jeder begann, sein eigenes Leben zu führen.

„Wie wichtig ist dir die Scheidung?“

Seine Frage schockierte sie. Er spielte mit ihr dasselbe grausame Spiel, das eine Katze mit einer Maus spielte, bevor sie sie tötete.

Sie hob das Kinn und wollte ihm trotzen. Dieses Spielchen würde sie nicht mitspielen.

Doch ihr Trotz verflüchtigte sich, als sie den Ernst der Angelegenheit erkannte. Bens ganze Zukunft stand auf dem Spiel. Statt Kahlil zu provozieren, musste sie mit ihm zusammenarbeiten, ihn bei Laune halten. Mrs. Taylor, die auf Ben aufpasste, würde ihn um elf Uhr nach Hause bringen. Es blieben ihr also gerade noch drei Stunden. Um elf muss sie unbedingt zu Hause sein. Ohne Kahlil. „Sehr wichtig.“

„Wichtig genug, um alles zu riskieren?“

„Was meinst du mit ‚alles‘?“

„Ein Wochenende lang gehörst du mir.“

Sie starrte ihn an.

Er beugte sich zu ihr vor. „Ich will dich ein Wochenende lang für mich haben.“

„Was bezweckst du damit?“

„Ich gebe dir die Möglichkeit, dein Leben in den Griff zu bekommen.“

„Ich verbringe ein Wochenende mit dir, und du garantierst mir die Scheidung?“

„Wenn du meine Bedingungen erfüllt hast.“

Aus seinem Mund klang das so einfach. Bryns Kopf war merkwürdig leer. Keine Worte, kein Geräusch schien zu ihr durchzudringen. „Und die Bedingungen …“

„Ich möchte ein langes Wochenende mit dir verbringen. Vier Tage. Drei Nächte. In einer Stadt meiner Wahl.“

Es pochte in ihren Schläfen. „Als deine Frau?“

„Als meine Geliebte.“

Sie hob den Kopf, ihre Blicke trafen sich. Er lächelte, doch aus seinen Augen sprach keine Wärme. „Du sollst wieder mir gehören – nur mir.“

Etwas in ihr wurde wachgerüttelt. Trotz allem, was geschehen war, verspürte sie Sehnsucht nach ihm. Er wusste genau, wie sie auf ihn reagierte. Er wusste, dass er sie ohne Probleme verführen konnte. „Du glaubst, ich hätte nicht die Kraft, dich ein zweites Mal zu verlassen.“

Er zuckte mit den Schultern. „Habe ich das gesagt?“

„Das ist gar nicht nötig. Ich kenne dich.“

„Wenn du dem zustimmst, werde ich die Scheidungspapiere in Zwar bearbeiten lassen.“ Er machte eine Pause, um seine Worte einsinken zu lassen. „Du opferst mir drei Tage deines Lebens. Das muss dir eine gemeinsame Zukunft mit Stan doch wert sein, oder?“

Der Preis war hoch …

Drei Nächte in Kahlils Bett. Drei Nächte Sex mit ihm. Vor ihrem geistigen Auge erschien das Bild von aneinandergeschmiegten Körpern, warmer, feuchter Haut, und sie spürte, dass ihr das Blut in die Wangen schoss. „Das ist ein sehr demütigender Vorschlag.“

„Aber er eröffnet dir Möglichkeiten. Hoffnung für die Zukunft.“

Hoffnung für die Zukunft. Bens Zukunft.

Bryn holte tief Luft und dachte tatsächlich über sein Angebot nach. Nur für einen Moment. Allein. Nackt. Schwach. Ohne Probleme würde er ein Feuer in ihr entfachen, und ihr Verlangen nach ihm wäre wieder groß. Wie früher.

Es war zu riskant. Für sie selbst und für Ben. Sie fühlte sich hilflos. Irgendetwas Wunderschönes, Geheimnisvolles passierte jedes Mal mit ihr, wenn sie mit ihm zusammen war. Sie fühlte sich lebendiger, sinnlicher, aber genau das war es, wofür sie teuer bezahlen musste. Kahlil weckte Gefühle und Wünsche in ihr, die sie nicht kontrollieren konnte. Emotionen sollten nicht so tief gehen.

„Ich kann nicht“, flüsterte sie. „Es geht einfach nicht.“

Er verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. „Du musst nicht sofort antworten. Vielleicht möchtest du ein wenig länger darüber nachdenken. Nimm dir eine Stunde Zeit. Oder zwei. Schließlich geht es um deine Zukunft.“

Als sie mit dem Dinner fertig waren, warf Kahlil eine Hand voll Geldscheine auf den Tisch. Wechselgeld für Kahlil und ein kleines Vermögen für sie selbst. Davon würde sie ein paar neue Schuhe für Ben kaufen können. Vielleicht würden sie sich von so viel Geld sogar einen Ausflug an die Golfküste erlauben können.

Tränen brannten in ihren Augen, als Kahlil sie zu der wartenden Limousine führte. Er hatte keine Ahnung, wie es war, wenn man sich jeden Einkauf zweimal überlegen musste. Jeden neuen Monat derselbe Teufelskreis – Miete, Gas, Stromrechnung, Auto usw. Stan hatte angeboten, ihr zu helfen und die Rechnungen für sie zu bezahlen. Irgendwann war sie versucht gewesen, sein Angebot anzunehmen, doch sie war standhaft geblieben. Auch seine häufigen Heiratsanträge hatte sie stets abgelehnt – bis letztes Jahr Weihnachten.

Der ständige Widerstand hatte sie aufgerieben, und schließlich hatte sie akzeptiert, dass Stanley der Richtige war. Nicht für sie. Aber für Ben.

Wie betäubt glitt Bryn auf dem Rücksitz der Limousine und legte den Sicherheitsgurt an.

Kahlil gab dem Fahrer Anweisungen, zu ihrem Haus zu fahren.

Der Nebel in Bryns Kopf lichtete sich, als ihr bewusst wurde, wie gefährlich es war, Kahlil in die Nähe ihres Hauses zu lassen. Sie hatte zwar Bens Spielzeug weggeräumt, doch es könnten immer noch Sachen herumliegen, die sie übersehen hatte. „Wollen wir nicht noch ein wenig durch die Gegend fahren?“

„Durch die Gegend fahren?“

Sie ignorierte Kahlils ungläubigen Gesichtsausdruck. „Oder lass uns spazieren gehen. Es ist eine so schöne Nacht. Das erste Mal seit Wochen ist es nicht schwül.“

Kahlil sah sie argwöhnisch an. „Was verbirgst du vor mir?“

Die Tatsache, dass er sie so leicht durchschauen konnte, verstärkte ihre Angst, aber auch ihre Entschlossenheit, ihn so schnell wie möglich loszuwerden. Sie hatte jetzt schon das Gefühl zu ertrinken und fürchtete, ein zweites Mal nicht von ihm loszukommen. Kahlil war so clever, zu clever, und auch zu wütend.

Vor ihrem geistigen Auge erschien Ben, wie er freudig aus dem Haus gelaufen war, als Mrs. Taylor ihn heute Abend abgeholt hatte. Seine kleinen weißen Turnschuhe flogen über den Bürgersteig, seine Minijeans war aufgekrempelt. Sie kaufte die Kleidung immer ein wenig größer, damit sie nicht nur eine Saison lang passte, sondern zwei oder vielleicht sogar drei.

An Mrs. Taylors Wagen war er stehen geblieben, hatte sich umgedreht und ihr einen Handkuss zugeworfen. „Ich hab dich lieb, Mommy!“

Seine Lebensfreude rührte sie, und lachend hatte sie einen Handkuss zurückgeworfen. Sie war etwas besorgt, wie jedes Mal, wenn sie sich von ihm verabschiedete. Was, wenn etwas passierte? Wenn sie einen Unfall hätten? Wenn sie ihn verlöre? Was, wenn …

Diese vielen „was, wenn …“ machten sie verrückt.

Nein, das würde nicht geschehen. Mit allen Mitteln würde sie kämpfen, um Ben zu beschützen. Er war ihr ein und alles.

Bryn sah Kahlil an und lächelte leicht. „Ist es so merkwürdig, spazieren gehen zu wollen?“

„Das hast du doch nie gern getan.“

„Natürlich nicht. Ich war achtzehn. Damals interessierten mich Motorräder und Rennwagen und alles, was mein Herz höher schlagen ließ.“ Du zum Beispiel, dachte sie unwillkürlich. Du hast mein Herz tausendmal am Tag höher schlagen lassen.

Die Nacht war still, die Straßen fast verlassen. Die Limousine hielt an dem beliebten Park mitten in der Stadt an, und Kahlil und Bryn stiegen aus.

Der ungewöhnlich milde Septemberabend roch anders als gewöhnlich. Der Sommer neigte sich dem Ende zu, der Herbst kam mit seinem Duft nach welkendem Laub.

Kahlil sagte nichts. Und Bryn versuchte nicht, ihn zum Reden zu bringen. Sie suchte nach einer Alternative zu seinem Vorschlag. Doch ihr fiel keine Lösung ein. Selbst eine Flucht mit Ben kam nicht infrage. Diesmal würde Kahlil sie nicht fortgehen lassen. Er würde sie finden, und dann würde sie zahlen müssen.

„Es gibt keine andere Möglichkeit“, sagte Kahlil plötzlich, als hätte er ihre Gedanken gelesen, und warf ihr einen forschenden Blick zu. „Du entkommst mir nicht.“

Sie verspürte von Kopf bis Fuß ein nervöses Prickeln. Wie war es nur möglich, dass er genau wusste, was sie dachte? „Du willst mich doch nur demütigen.“

„Ach ja?“ Er blieb stehen und sah sie spöttisch an. „Und du? Du hast mich vor meiner Familie und meinem Volk lächerlich gemacht. Du hast Glück. Was auf dich zukommt, spielt sich eher – privat ab.“

„Wieso bist du so sicher, dass ich deinem Vorschlag zustimmen werde?“

„Du warst früher sehr mutig. Du hast dich nach Abenteuern gesehnt, nach Reisen, nach dem Unbekannten. Übt das Unbekannte keinen Reiz mehr auf dich aus?“

Nein. Nicht mehr, seitdem sie Mutter geworden war. Jetzt machte sie sich ständig wegen Ben Sorgen. Um seine Sicherheit und seine Zukunft. Und seit sie selbst Mutter war, fragte sie sich, was ihre Eltern sich dabei gedacht hatten, sie als kleines Kind durch den Mittleren Osten zu schleppen, mit ihr in Zelten oder im Wohnwagen zu leben und an verlassenen Plätzen irgendwo am Ende der Welt zu schlafen. Sie hatten ein gefährliches Leben geführt und es teuer bezahlen müssen.

Ihre Eltern waren ihr nur noch durch Fotos in Erinnerung. „Ich ziehe jetzt die einfachen Dinge vor“, erwiderte sie. „Unkomplizierte Beziehungen.“

„Wie die mit Stan?“

Sie warf ihm einen warnenden Blick zu. „Lass ihn da raus.“

„Wie könnte ich. Er ist der Feind.“

„Stan ist nicht der Feind. Du bist es.“

Er lachte. „Vier Tage. Vier Tage, und du könntest frei sein. Du könntest Stan heiraten. Eine Familie haben. Dein Leben hier weiterleben.“

Wie clever von Kahlil. Wie manipulierend. Der Teufel wollte sie in Versuchung führen.

Aber der Teufel kannte sie, musste sie sich eingestehen. Er hatte nicht vergessen, dass sie immer wieder die Hände nach ihm ausgestreckt hatte, ermattet von den Freuden der Liebe, doch so begierig darauf, dass sie nicht genug bekommen konnte.

Das war in ihrer Beziehung mit Stan nicht so. Ihr Fehler, sie wusste es, doch trotz der Dankbarkeit, die sie ihm entgegenbrachte, verspürte sie keine Leidenschaft. Sie redete sich ein, dass sich ihre Gefühle nach der Hochzeit ändern würden. Doch war dies tatsächlich so? Konnten sie sich überhaupt ändern?

Verstohlen sah sie zu Kahlil hinüber. Das Mondlicht beleuchtete sein Profil. Wenn sie mit ihm ging, wenn sie alles tat, worum er sie bat, würde er sie dann wirklich freilassen? Konnte sie ihm vertrauen? Würde er zu seinem Wort stehen?

Sie hatte das Gefühl, in der Falle zu sitzen. Das Atmen fiel ihr schwer. Sie würde erst wieder ruhig atmen können, wenn sie sich von ihm befreit hatte. „Vier Tage, drei Nächte. Aber ich bestimme Ort und Hotel.“

„Den Ort und das Hotel?“

„New York“, sagte sie. „Das Ritz-Carlton Hotel.“ Ein paar Nächte mit ihm in New York. Was konnte daran so schlimm sein? Sie würde sich darauf einlassen, und dann hätte sie die Scheidung.

„Paris. Das Ritz-Carlton.“

„Ich werde die Staaten nicht verlassen.“

„Du vertraust mir nicht.“

„Nein.“ Sie hob das Kinn. „Im Moment benimmst du dich wie Richter, Jury und Henker in einer Person. Das ist nicht fair.“

Er lachte. „Du glaubst doch nicht, dass du so einfach davonkommst? Du wirst einiges dafür tun müssen, um mich zufrieden zu stellen.“

Vor Wut schäumend, ging sie zurück zur Limousine. Ihr war bewusst geworden, dass sie nur Zeit verschwendete – seine, ihre, Bens. Kahlil sah in seiner teuren Kleidung vielleicht wie ein moderner Mann aus, aber seine Denkweise war feudalistisch.

Die Limousine hielt vor ihrem Haus, und Kahlils Fahrer öffnete die Wagentür. Bevor sie aussteigen konnte, hielt Kahlil sie am Ellenbogen fest.

„Mit mir zu gehen, ist vielleicht nicht sicher“, sagte er sanft, „aber es könnte sich als das Klügste erweisen, was du je in deinem Leben getan hast. Alles im Leben ist ein Risiko. Selbst die Freiheit.“

Sie entgegnete nichts.

Leicht strich er über ihren nackten Arm. Die Berührung ließ sie erbeben. „Das Wochenende wird auch für dich ein Spaß sein“, fuhr er fort. „Du sehnst dich nach mir. In dir lodert bereits ein Feuer.“

Fasziniert starrte sie auf ihren Arm. Sie fühlte sich fiebrig, ihre Haut prickelte, ihr Körper erwachte zum Leben. So hatte sie immer auf ihn reagiert. Voller Verlangen und Sehnsucht nach seiner Berührung. Auch jetzt verspürte sie heftige Erregung, ihr Puls raste. Er war wie eine Droge, süß und gefährlich, bewusstseinsverändernd. In seinem Bett, in seinen Armen würde sie alles für ihn tun.

Ihr Zuhause verlassen, ihren Namen ändern, ihm zu Füßen liegen. Sie verlor die Beherrschung, wenn sie in seinen Armen lag, und das beschämte sie.

Ihr Atem ging schwer, sie war hin und her gerissen zwischen widersprüchlichen Wünschen. Weglaufen. Bleiben. Schreien. Küssen.

Sie spürte seinen Schenkel an ihrem, seine Hüfte, seine Wärme. Er versprach intensive sinnliche Freuden, Freuden, die sie nur bei ihm erfahren hatte.

Ihre Wangen wurden heiß. Sie schloss die Augen, fühlte sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Wieder stand sie unter seinem Einfluss.

Hör auf damit.

Wach auf. Du darfst es nicht tun. Denk an Ben. Denk an die Gefahren im Palast. Und nicht zuletzt: Denk an Amin.

Sie öffnete die Augen. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, und die Realität kehrte zurück. „Ich kann nicht, Kahlil. Wir müssen einen klaren Schlussstrich ziehen.“ War das ihre Stimme? So hoch?

Dünn? Voller Panik?

„Klarer Schlussstrich“, höhnte er. „Auf keinen Fall, Darling. Dann bleibst du meine Frau.“

„Das ist nicht fair!“

„Das Leben ist nie fair.“

Sie drehte das Gesicht fort, um ihre Gefühle vor ihm zu verbergen. Wenn sie nicht mit ihm ging, würde Kahlil Ben entdecken. Doch ein Wochenende mit ihm zu verbringen, war, als würde sie sich freiwillig in die Höhle des Löwen begeben.

Es ging um Bens Zukunft. Oder ihre.

Bens oder ihre.

Ben siegte. „Kein anderer Mann würde eine Frau dazu zwingen“, stieß sie bitter hervor, unfähig, ihre Wut und Verzweiflung noch länger zu verbergen. Er hatte nie die Absicht gehabt, sie freizugeben. Er hatte ihr Zeit zugestanden, aber er hatte ihr nicht verziehen. Freiraum, aber keine Freiheit. Und ohne Scheidung könnte sie Ben verlieren.

Kahlil antwortete nicht. Es war nicht nötig. Beide wussten, dass er nicht irgendein Mann war. Er war ein Scheich, sein Wort war in seinem Land Gesetz.

„Meine Güte, wie sehr ich dich hasse“, murmelte sie.

„Das ist mir egal. Ich will nur haben, was mir gehört. Und du, Frau, gehörst mir.“

Er würde sie küssen. Sie wusste es, spürte es, noch bevor er den Kopf senkte. Die Alarmglocken schrillten in ihrem Kopf, denn in seinen Armen war sie schrecklich schwach. Der Gedanke machte sie krank.

Sie versuchte, sich ihm zu entziehen, doch Kahlil hielt sie fest und drückte sie zurück in den Ledersitz. „Du kannst mir nicht entkommen. Aber eigentlich glaube ich gar nicht, dass du das willst.“ Und dann küsste er sie.

Seine Behutsamkeit überraschte sie, der Duft seines Aftershaves, ein Duft, der zu ihm gehörte, seit sie ihn kennengelernt hatte. Als ihre Lippen sich das erste Mal berührt hatten, hatte sie ihn sehnsüchtig eingeatmet. Ihr Herz hatte laut geklopft, und ihr Kopf war voller spektakulärer, farbenfroher Bilder gewesen. Sie sah den Vollmond über dem elfenbeinfarbenen Sand, die Orangenbäume innerhalb der Stadtmauern, fühlte die Wärme der Nacht in der dunkelsten Stunde …

Kahlil.

Unwillkürlich schloss sie die Augen, öffnete die Lippen, hieß ihn willkommen. Sie hatte ihn geliebt, oh ja, sie hatte ihn so sehr geliebt. Er war ihr ein und alles gewesen, mit Herz und Seele hatte sie ihm gehört.

Kahlil.

Sein Kuss schickte Stromstöße durch ihren Körper. Ihr wurde heiß zwischen den Schenkeln, und sie spürte die Spannung im ganzen Körper.

Hilflos klammerte sie sich an ihm fest, als ein Beben durch ihren Körper ging. Er war ihr vertraut und so wundervoll warm. Monatelang hatte sie jede Nacht geweint, weil sie ihn vermisste. Seine Leidenschaft, seinen Duft, ihr kurzes, bittersüßes gemeinsames Jahr.

Ihr Körper wurde für ihn weich, empfänglich und ignorierte die Revolte ihres Verstandes. Sie wollte an nichts anderes denken als an den Genuss, in seinen Armen zu liegen.

Er schob eine Hand zu ihren Brüsten, seine Berührung entfachte ein Feuer in ihr. Bebend schmiegte sie sich enger an ihn, suchte den Körperkontakt und seine Stärke.

„Sag mir“, bat er mit belegter Stimme, „reagierst du auch so auf Stan?“

Bryn erstarrte. Sie stieß heftig gegen Kahlils Brust und versuchte, sich ihm zu entziehen.

Er lachte. „Oh, hör jetzt nicht auf, Darling. Ich bin ziemlich erregt.“

Reue und Pein schossen wie scharfe Pfeile durch sie hindurch und erinnerten sie daran, wer Kahlil wirklich war. Ein Wüstling. Ein Wüstling aus einem grausamen Land. Ihr Schmerz verwandelte sich in Wut, und sie hob die Hand und schlug ihm auf die Wange. Der Schlag hallte erschreckend laut in der Stille des Wagens wider.

Er bewegte sich nicht. Meine Güte, was hatte sie getan? Wie hatte sie ausgerechnet ihn schlagen können? „Es tut mir leid.“

Er sagte nichts, und sie saß wie erstarrt auf ihrem Sitz, die Hand an den Mund gepresst, die Augen weit geöffnet vor Schock. Sie starrte auf seine Wange und sah trotz der Dunkelheit, dass sie rot wurde.

„Zweimal hast du heute Abend die Hand gegen mich erhoben, einmal hast du mich tatsächlich getroffen.“ Seine Stimme klang völlig ausdruckslos. „Das ist keine gute Angewohnheit.“

Sie wollte sich noch einmal entschuldigen, doch sie brachte keinen Ton über die Lippen. Zu viele widersprüchliche Gefühle zerrissen sie. Sie liebte ihn, sie hasste ihn. Sehnte sich nach seiner Berührung und wollte ihn doch verletzen.

Es war zum Verrücktwerden. In seiner Nähe zu sein, machte sie verrückt. Wie sollte sie es schaffen, ihm wieder zu entfliehen?

„Diese Angewohnheit muss ich dir schleunigst austreiben. Verstehst du, Prinzessin al-Assad?“

„Nenn mich nicht Prinzessin. Ich bin keine Prinzessin.“

„Doch. Solange du meine Frau bist, hast du ein Anrecht auf meinen Namen, mein Vermögen, meinen Schutz.“

„Nein …“

„Du kannst dem nicht entkommen. Unsere Hochzeit hat dein Leben verändert.“ Er nahm ihre Hand und zog sie hinter sich her aus dem Wagen. „Für immer.“

3. KAPITEL

Im Haus klingelte das Telefon. Bryn hörte es draußen auf dem Bürgersteig. Schnell lief sie die Treppe hinauf und mühte sich mit dem Schlüssel ab. Aber ihre Hände zitterten so sehr, dass sie es nicht schaffte, ihn ins Schloss zu stecken.

„Brauchst du Hilfe?“, fragte Kahlil spöttisch.

„Nein!“

Das Telefon klingelte immer noch. Die Hartnäckigkeit des Anrufers bereitete Bryn Sorgen. War es Mrs. Taylor? War Ben womöglich etwas passiert? Endlich steckte der Schlüssel, und sie schloss auf. In dem Moment hörte das Telefon auf zu klingeln.

Kahlil musste ihrem Seufzer entnommen haben, wie frustriert sie war, denn als er an ihr vorbeiging, berührte er ihre Nasenspitze mit dem Finger. „Wenn es wichtig war, Liebes, ruft er wieder an.“

Ohne Aufforderung ging er ins Haus hinein, durch die dunkle Diele hindurch in ihre winzige Küche. Bryn folgte ihm wütend.

Mit angespannter Haltung beobachtete sie, wie er kritisch die Schränke musterte, von denen die Farbe abblätterte, und den abgenutzten beigefarbenen Linoleumboden inspizierte. Nichts entging ihm, nicht einmal die alten Geschirrtücher, die an einer Chromstange hingen.

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du Geld brauchst?“, fragte er schließlich und drehte sich zu ihr um. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt. Diese Haltung betonte seine breiten Schultern. Kahlil war auch für amerikanischen Standard ein ausgesprochen großer und muskulöser Mann.

Sie schnappte nach Luft. Ihr Kopf schmerzte, das Herz war ihr schwer. Sie würde nicht zulassen, dass sein Reichtum ihre Gefühle verletzte. Dieses Haus war ihr Zuhause und erinnerte sie an jeden schönen Moment ihres Lebens mit Ben. An sein erstes Lächeln, seinen ersten Zahn, seinen ersten Schritt, sein erstes Wort. Babypuder und Schlaflieder. Püriertes Gemüse und süße, feuchte Küsse. Es war ein Kokon, den sie um sich und ihrem Sohn herum gesponnen hatte. Eine kleine Welt, die ihr Kraft gegeben hatte. Bis jetzt.

„Ich brauche dein Geld nicht. Mein Haus gefällt mir. Es ist gemütlich.“

„Gemütlich nenne ich etwas anderes. Dies hier ist alt und verfallen.“

Sie biss die Zähne zusammen, kämpfte gegen die Tränen der Scham an. Natürlich rümpfte er die Nase über Secondhand-Möbel. In Scheich al-Assads Welt war alles vom Feinsten. Die teuersten Autos. Die elegantesten Möbel. Die schönsten Juwelen. Aber sie konnte sich diesen Luxus nicht erlauben. Sie schaffte es kaum, jeden Monat die Miete zu bezahlen. Aber Ben war gesund und glücklich, und sie würde seine Sicherheit nicht gegen den Luxus der ganzen Welt tauschen. „Ich habe dich nicht hereingebeten. Wenn es dir nicht gefällt, sieh zu, dass du verschwindest. Du weißt, wo die Tür ist.“

„Und dann? Oh nein, ich bleibe.“ Er lehnte sich entspannt gegen den Küchentresen und lächelte. „Ich muss jedoch sagen, für eine Frau aus den Südstaaten ist deine Gastfreundschaft schockierend. Eigentlich gehört es sich doch, einem Gast eine Erfrischung anzubieten.“

In spätestens einer Stunde musste sie ihn los sein. In einer Stunde würde Mrs. Taylor Ben bringen. „Es ist spät, Kahlil.“

„Ja, und eine Tasse Kaffee wäre sehr nett. Danke.“

Sie verspürte ein Pochen in den Schläfen. Welchen Sinn hatte es, mit ihm zu streiten? Er war taub, wenn er nichts hören wollte, und blind, wenn es ihm in den Kram passte. Genau das hatte sie in Tiva auseinandergebracht. Kahlil hatte sich in die Angelegenheiten des Palasts vertieft, Bryn war einsam und verlassen gewesen. Sie hatte damals versucht, mit ihm zu sprechen, aber er hatte sie nicht gehört, ebenso wenig wie jetzt.

Erschöpft stellte sie den Kessel auf den Herd und kochte den Kaffee so, wie Kahlil es sie gelehrt hatte. Französisch. Stärker und dunkler als der Kaffee, den man in Amerika kochte. Einige Gewohnheiten, stellte sie fest, legte man nur schwer ab.

„So gemütlich du dein Haus findest, ich denke, wir könnten etwas Besseres für dich finden. Du brauchst etwas, was deiner Position entspricht. Ich werde dir eine Haushälterin besorgen. Einen Fahrer. Bodyguards.“

Sie drehte sich nicht einmal um. „Ich brauche weder Bodyguards noch einen Fahrer. Vielleicht bin ich finanziell knapp, aber ich bin eine ausgezeichnete Hausfrau. Du wirst nirgends ein Staubkörnchen finden.“

„Ich will dir das Leben nur erleichtern.“

„Eine Scheidung würde mir das Leben erleichtern. Nicht eine Haushälterin.“

„Denk nicht an das Geld …“

„Das tue ich auch nicht“, unterbrach sie ihn kurz. Sie dachte nur an Ben. „Hör auf damit. Du kannst nicht mein Leben bestimmen.“

„Ich mache mir ernsthaft Sorgen um deine Sicherheit.“

Genau in dem Moment klingelte das Telefon erneut. Bryn zuckte zusammen. Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie wollte nicht ans Telefon gehen, konnte das Klingeln aber auch nicht ignorieren.

Kahlil bemerkte ihre Unentschlossenheit. „Lass es klingeln“, sagte er so autoritär wie stets. „Es geht uns jetzt nichts an.“

Obwohl er etwas von ihr entfernt stand, konnte sie seine Nähe fühlen und sein Aftershave riechen. Würzig und schwer rief es Erinnerungen an den Orient wach, mit Kardamom und all den anderen Gewürzen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihn nackt auf seinem gigantischen Bett liegen. Er besaß den Körper eines Gottes. Er liebte wie ein Gott. Sie hatte ihn verehrt wie einen Gott.

Dann war er von dem Podest gefallen, und nichts zwischen ihnen war mehr wie zuvor gewesen, was sie empfänglich für Amins gefährliche Spiele machte.

Wieder klingelte das Telefon. Viermal. Fünfmal.

Sie wollte den Anruf entgegennehmen, doch Kahlil hinderte sie daran, indem er die Hände auf ihre Schultern legte. „Lass das Telefon. Hör mir zu, was ich dir sagen will.“

„Ich kann nicht …“

„Du kannst. Du musst. Du hast mich drei Jahre warten lassen. Ich denke, du bist mir fünf Minuten ungeteilte Aufmerksamkeit schuldig.“

Doch sie hörte nur auf das Klingeln und zählte insgeheim mit. Sechs. Sieben. „Einen Augenblick, Kahlil.“

„Nein.“

Sie schloss die Augen, ihr Körper bebte, ihr Herz stand beinahe still. Acht. Neun. Dann hörte es auf.

„Du hast nicht über mich zu bestimmen, Scheich al-Assad, und du wirst mich nicht wieder in dieses Gefängnis stecken!“, fauchte sie. Ihre Wut richtete sich nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen seine Familie, seine Sitten, seine Unfähigkeit, sie als etwas anderes als einen Teil von sich zu sehen. „Der Palast war nie ein Gefängnis!“

„Ich habe mich aber so gefühlt. Du hast mich allein gelassen, gefangen im Harem.“

„Du wusstest von Anfang an, dass die Frauen in ihren eigenen Quartieren essen, schlafen und sich aufhalten. Du bist im Mittleren Osten aufgewachsen. Du kanntest unsere Sitten.“

„Aber ich habe dich geheiratet. Ich habe erwartet, mit dir zusammen zu sein.“

„Das warst du auch. Nachts. Fast jeden Abend habe ich dich zu mir bringen lassen. Es sei denn, ich war geschäftlich unterwegs oder hatte irgendwelche gesellschaftlichen Verpflichtungen.“ Er holte tief Luft und legte die Fingerspitzen an die Schläfen. „Egal, wie du über das Leben im Palast denkst, wir dürfen deine Sicherheit nicht aufs Spiel setzen. Das Problem ist, als millionen-, nein milliardenschwere Prinzessin bist du eine Zielscheibe für Anschläge.“

„Niemand weiß, dass ich deine Frau bin!“

„Sie werden es erfahren.“

Die Gewissheit in seiner Stimme ließ sie erschauern. Er würde es an die Öffentlichkeit zerren, dass sie zu ihm gehörte. Er würde dafür sorgen, dass niemand wie Stan sich je in sie verliebte. Er würde dafür sorgen, dass sie in ihrem Elfenbeinturm allein blieb. „Du willst mich zu einer Gefangenen in meinem eigenen Haus machen.“

„Das ist der Preis, den wir für unseren Reichtum bezahlen.“

Tränen traten ihr in die Augen, und sie drehte den Kopf weg.

„Deine Eltern sind von Extremisten getötet worden“, fuhr er etwas sanfter fort. „Gerade du müsstest doch wissen, wie gefährlich die Welt ist.“

„Und ich habe entschieden, ohne Angst zu leben.“ Nach ihrer Flucht aus Zwar hatte sie exotischen Lokalen und wilden Abenteuern den Rücken zugekehrt. Keine großen Reisen mehr. Keine Sehnsucht mehr nach weit entfernten Orten. Das unstete Leben ihrer Eltern hatte die Familie zerstört. Das würde sie Ben nicht antun.

„Ich werde nicht jemand anderes werden, nur damit du deinen Seelenfrieden hast“, fügte sie hinzu. Sie wollte nicht an die Bombenexplosion auf dem Marktplatz denken oder an ihr Entsetzen über den Tod ihrer Eltern. Sie war zu ihrer Tante Rose nach Dallas geschickt worden. Rose war wundervoll gewesen, und sie war nach wie vor dankbar für die Warmherzigkeit und Unterstützung ihrer Tante.

Sie spürte mehr, als dass sie es hörte, dass Kahlil hinter sie getreten war. „Und ich werde nicht zulassen, dass dir ein Haar gekrümmt wird“, murmelte er und zog sie an sich.

Sie erstarrte, und er küsste ihren Nacken.

Seine Lippen auf ihrer Haut – das schönste Gefühl, das sie sich vorstellen konnte.

Ein Schauer lief durch ihren Körper, ihr wurde heiß. Nur ein Kuss, und sie begehrte ihn wie eh und je. Nur eine Berührung, und sie schmolz dahin.

Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Heiße Tränen traten ihr in die Augen. Sie wollte seine Hand an ihren Brüsten spüren, an ihrem Bauch, ihren Schenkeln.

Langsam zog er die Spangen aus ihrem Haar und strich über die langen Strähnen. „Kein Haar wird dir gekrümmt werden“, wiederholte er und liebkoste mit den Fingern die seidigen Strähnen. „Trotz allem begehre ich dich. Ich will immer noch mit dir schlafen.“

„Nein.“ Es war ein verzweifeltes Nein, denn ihr Körper sagte etwas anderes. Sie fühlte Hitze, wo sie Kälte spüren sollte, war schwach, obwohl sie hart sein müsste. Widersteh ihm. Widersteh ihm!

„Ja. Und ich vergebe dir“, fügte er hinzu und küsste wieder ihren Nacken. Seine Hände lagen auf ihren Schultern und hielten sie fest. „Ich vergebe dir und will nur, dass du wieder nach Hause kommst.“

Seine Worte rissen alte Wunden auf und erinnerten sie an das Geheimnis, das sie vor ihm hatte. Die letzten drei Jahre hatte sie damit verbracht zu vergessen, dass sie je zu ihm gehört hatte, hatte versucht zu ignorieren, dass ihr Kind …

Aber sein Zuhause würde niemals ihr Zuhause sein, nicht nach dem, was Amin getan hatte. Nicht nach dem, was sie getan hatte.

Sie spürte Kahlils Lippen an ihrem Nacken und schloss die Augen. Ihr Kopf sank nach vorn, und sie gab sich ganz ihren Gefühlen hin. Begierde flammte in ihr auf, das Bedürfnis, gehalten, berührt und geliebt zu werden. Bei Stan hatte sie noch nie dieses Gefühl gehabt, nie diese Leidenschaft verspürt.

Das Wasser in dem Kessel begann zu kochen, und ein leiser Pfeifton ertönte. „Wir müssen nach vorne sehen“, stammelte sie. Kahlil würde nie verstehen, warum sie sich an seinen Cousin Amin gewandt hatte. „Ich will die Vergangenheit vergessen. Ich will in die Zukunft blicken.“

Das Pfeifen wurde lauter. „Aber ich kann es nicht.“

„Warum nicht? Du bist einer der kultiviertesten und gebildetsten Männer im Mittleren Osten. Du hast in Oxford und Harvard studiert …“

Er nahm den Kessel vom Herd, der schrille Pfeifton verebbte. „Na schön, ich habe im Westen studiert, im Innern bin ich jedoch Araber. Und mein Stolz fordert Gerechtigkeit, Wiedergutmachung. Auge um Auge, Zahn um Zahn …“

„Du willst mich nur demütigen“, sagte sie erneut und drehte sich langsam zu ihm um.

„Nenn es, wie du willst.“

„Und wenn ich dieses Wochenende nicht mit dir verbringe, werde ich niemals frei sein.“

Er entgegnete nichts. Er brauchte nichts zu sagen. Kahlil beobachtete, wie sich ihre Augen weiteten und Wut und Trotz die blaue Iris in funkelnde Saphire verwandelten. „Du lässt mir wirklich keine andere Wahl, oder?“, fragte sie. Er hielt ein Lächeln zurück. Sie bot ein Bild verletzter Unschuld, leuchtende Augen, bebende Lippen. Oh, kannte er nicht diesen Ausdruck? Und hatte er diesen Einwand nicht mindestens tausendmal in Gedanken gehört seit jener Nacht, in der sie ihn verlassen hatte?

Selbst in ihrer Wut war sie hübscher als ein Fotomodell, mit ihrem süßen herzförmigen Gesicht, das von hellblonden Haaren eingerahmt war. Er hatte ihre Haare immer geliebt, hatte es geliebt, die seidigen Strähnen, die in herrlichen Goldtönen schimmerten, durch die Hände gleiten zu lassen.

Es hatte ihn um den Verstand gebracht, als Amin ihm von Bryns bevorstehender Hochzeit erzählte. Er konnte nicht glauben, dass sie tatsächlich einen anderen Mann heiraten wollte. Die Wut brannte so heiß in ihm, dass er Angst vor dem hatte, was er würde tun können, wenn er zu ihr käme, doch als sie die Tür geöffnet hatte, war die Wut verblasst und nur Entschlossenheit übrig geblieben. Sie gehörte ihm. Sie würde mit ihm nach Hause kommen.

„Natürlich hast du die Wahl. Entweder gehörst du mir drei Nächte lang, oder du gehörst mir für den Rest deines Lebens, auf dem Papier. Es liegt also an dir.“

Entsetzt starrte sie ihn an, und einen Moment lang verspürte er fast Mitleid, bis er sich daran erinnerte, wie sie ihn verlassen hatte. Keine Entschuldigung, kein Versuch der Versöhnung, nichts. Sie hatte geschworen, ihn bis ans Ende des Lebens zu lieben, und sie hatte diesen Schwur nach weniger als einem Jahr gebrochen.

Es war höchste Zeit, dass sie die Bedeutung eines Versprechens lernte. In Zwar hing das Leben davon ab.

Bryn drehte sich um und brühte Kaffee auf. Er beobachtete ihre Hände, sah ihren konzentrierten Gesichtsausdruck.

Sie reichte ihm seine Tasse, sorgsam darauf bedacht, ihn nicht zu berühren. „Woher weißt du eigentlich, dass ich wieder heiraten will?“

„Amin hat es mir gesagt.“ Er hob die Tasse an die Lippen und trank einen Schluck von dem starken schwarzen Getränk. Ihm entging das plötzliche Aufflackern in ihren Augen nicht, und auch nicht, dass sie die Lippen zusammenpresste. „Es ist mir unverständlich, warum du Amin so sehr hasst. Das hat er nicht verdient. Niemand hat dich mehr unterstützt als er.“

„Natürlich.“

„Du traust mir nicht?“

„Ich misstraue ihm“, entgegnete sie kalt. „Wie hat er herausgefunden, dass ich heiraten will?“

Kahlil zuckte mit den Schultern. „Er hat die Anzeige im Internet entdeckt, als er die Zeitung von Dallas las.“

„Was für ein Zufall! Findest du das nicht ziemlich merkwürdig? Amin liest im Internet die Zeitung von Dallas? Warum sollte er sich für Nachrichten aus Dallas interessieren?“

„Ich habe hier einige Investitionen laufen. Ölraffinerien.“ Er beobachtete, wie sie sich bemühte, ihr Temperament zu zügeln, und runzelte die Stirn. „Du spottest über seine Loyalität, aber er war treuer als du, meine junge Ehefrau.“

Es lag ihr auf der Zunge, Amin zu verraten, Kahlil die schreckliche Wahrheit über seinen Cousin zu erzählen, doch bevor sie etwas sagen konnte, hörte sie einen Wagen vor ihrem Haus vorfahren.

Sie bekam eine Gänsehaut. Das konnte doch noch nicht Mrs. Taylor sein, oder?

Sie ging an die Tür. Rannte beinah. Sie hörte Kahlil sprechen, irgendetwas über ihre Entscheidung, doch sie antwortete nicht. Panisch vor Angst, brachte sie kein Wort über die Lippen.

Durch das Fenster erhaschte Bryn einen flüchtigen Blick auf Mrs. Taylors alten Ford Pick-up. Und neben Mrs. Taylor entdeckte sie einen dunklen Haarschopf. Ben.

Das war der Anruf gewesen. Mrs. Taylor wollte Bescheid sagen, dass sie Ben schon früher nach Hause brachte. Und da kamen sie nun zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Ben lief seinem Vater direkt in die Arme.

„Freunde?“, fragte Kahlil und trat hinter sie. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, spürte jedoch seine Anspannung, als er den Blick auf den Wagen draußen richtete.

Die Autotür wurde geöffnet, und ein Kind in Jeans, T-Shirt und Turnschuhen sprang heraus.

Im nächsten Moment hatte Bryn schon die Tür geöffnet und war die Stufen hinabgelaufen. Sie rannte auf den Wagen zu, hatte nur Augen für Ben. Als sie zu ihrem Sohn kam und ihn in die Arme schloss, wusste sie, dass sie verloren hatte.

Ihr wurde kalt. Sie begann zu zittern. Ihre Beine gaben nach, und sie sank auf den rauen Asphalt. Es war vorbei. Das Versteckspiel, das Weglaufen, die Geheimniskrämerei. Es war vorbei.

Sie hielt Ben fest umschlungen. Jede Entscheidung in ihrem Leben, jeder Fehler, den sie gemacht hatte, hatte hierher geführt.

Sie hörte Kahlils Schritte hinter sich. Hilflos schloss sie die Augen, betete für ein Wunder, betete, dass sie irgendwie mit Ben verschwinden und den schrecklichen Moment, der jetzt unweigerlich kommen würde, verhindern könne. Stattdessen blieb Kahlil neben ihr stehen, beugte sich über sie, seine Beine nur wenige Zentimeter von ihrem gesenkten Kopf entfernt.

„Würdest du mir bitte erklären, was das zu bedeuten hat?“, fragte Kahlil ruhig.

In ihrem Magen rumorte es, sie begann, mit den Zähnen zu klappern.

Aber Ben, jung und unschuldig, hob den dunklen Kopf und starrte Kahlil an. Die großen braunen Augen hatte er auf das wütende Gesicht seines Vaters geheftet. „Mommy, wer ist dieser Mann?“

4. KAPITEL

Kaum saßen sie an Bord des Learjet, da begannen die Motoren zu dröhnen, und der Flieger setzte sich in Bewegung. Er rollte die Startbahn entlang und hob ab. Die Lichter von Texas wurden kleiner, und die schwarze Nacht erstreckte sich vor ihnen.

Bryn schlang ihre Arme fester um Ben, ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sie war dankbar, dass er endlich schlief. Während der Fahrt zum Flughafen hatte er unentwegt unschuldige und doch beunruhigende Fragen gestellt. Wohin fahren wir, Mommy? Wohnen wir in einem Hotel? Können wir schwimmen gehen?

Können wir schwimmen gehen?

Oje, was für eine Frage! Für ihn war dies ein Abenteuer, eine aufregende Abwechslung vom eintönigen Alltag. Er war bei seiner Mommy, saß in einem Flugzeug, hatte ein Glas Limonade bekommen. Was wünschte sich ein dreijähriger Junge mehr?

Sie schloss die Augen und konnte kaum noch die Tränen unterdrücken. Alles, wofür sie die letzten drei Jahre gekämpft hatte, war verloren. Bens Sicherheit war infrage gestellt. Alles hing von Kahlil ab.

Der hatte nichts gesagt, seit sie vor zwei Stunden an Bord gegangen waren. Aber sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, in welch übler Stimmung er war. Oh, er war verärgert. Nein, er war mehr als verärgert, er kochte vor Wut.

Sie schluckte den Kloß hinunter, der in ihrem Hals steckte, und hatte das Gefühl, sich daran zu verschlucken. Angst, Panik und Bedauern wüteten in ihr und brachten sie um den Verstand.

Was würde jetzt geschehen? Was würde Kahlil tun?

Ben bewegte sich ungeduldig, protestierte gegen ihren festen Griff. Sanft wiegte sie ihn in ihren Armen.

Der Junge entspannte sich wieder, der kleine Körper kuschelte sich an sie, und seine Wange ruhte an ihrer Brust.

Sie spürte seinen Atem und sein Beben, als er im Schlaf seufzte. Das Herz wurde ihr schwer, ihre Liebe zu ihm war so intensiv, dass sie fast schmerzte. Hatten ihre Eltern sie auch so sehr geliebt? Und wenn ja, warum hatte sie es nicht gewusst?

Die Zeit ohne ihre Eltern war jetzt schon fast genauso lang wie das Leben mit ihnen, und die Erinnerung an sie verblasste. Nicht die Gesichter, die sah sie immer wieder auf Fotos, aber ihre Stimmen, ihre Bewegungen, die Unterhaltungen, die sie geführt hatten. Sie erinnerte sich an ihre Liebe für ihre Arbeit, ihre Leidenschaft für die Wüste und das Nomadenvolk des Mittleren Ostens, aber sie konnte sich nicht an die Dinge erinnern, die sie zu ihr gesagt hatten, die Bemerkungen über ihre Interessen, ihre Bedürfnisse, ihre Träume.

Im Moment waren ihre Bedürfnisse nicht wichtig. Jetzt ging- es um Ben. Seine Interessen. Seine Bedürfnisse. Und sie schwor sich, wie sie es auch schon bei seiner Geburt getan hatte, dass er in Sicherheit leben würde. Und dass er ihre Liebe spüren würde.

Sie drückte einen Kuss auf seine warme Stirn, bevor sie ihm sanft die schwarzen Haare aus dem Gesicht strich. Er war ein hübscher Junge, schwarze Haare, dunkle Augen, perfekt. Er ähnelte Kahlil sehr …

„Wann ist sein Geburtstag, Bryn?“

Kahlil wusste es. Es war offensichtlich, dass Ben sein Sohn war. Dieselben Augen, dieselbe Nase, dieselben hohen Wangenknochen. Obwohl Ben noch so jung war, konnte man jetzt schon erkennen, wie er als Mann einmal aussehen würde.

„Achter Mai“, erwiderte sie mit Tränen in den Augen.

Kahlil sagte nichts. Es war auch nicht nötig. Sie wusste, dass er schnell nachrechnete. Ihre Hochzeit, die Monate danach, die Geburt von Ben. Sie hatte ihn zu einem Zeitpunkt empfangen, als sie an nichts anderes dachte als an Sex mit Kahlil. Sie hatte ihn leidenschaftlich und verzweifelt begehrt, ihre Sinne waren hellwach gewesen, ihr Herz voll Liebe. Sie hatte sich nie so lebendig gefühlt.

„Mein Sohn“, stellte Kahlil fest, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst. „Ja.“

Kahlil erhob sich von seinem Sitz und ging durch die Kabine. Er trat an einen kleinen Tisch und nahm eine getrocknete Frucht von einem Silbertablett. „Du hast einen schrecklichen Fehler gemacht“, sagte er und setzte nach einer Pause hinzu: „So ruhig, Prinzessin al-Assad? Den ganzen Abend hast du gezetert, und jetzt schweigst du?“

Sie konnte den Blick nicht von der Aprikose in seinen Fingern wenden. Er drückte sie, presste sie zwischen den Fingern platt, als wollte er sie zerquetschen, sie zwingen, sich ihm zu unterwerfen. Nur mit Mühe schaffte sie es, den Blick von der Frucht zu seinem Gesicht zu heben. „Es tut mir leid.“

Er steckte die Aprikose in den Mund, kaute langsam und schluckte sie schließlich hinunter. „Es tut dir nur leid, dass ich dein Geheimnis herausgefunden habe.“

Sie überlegte, ob er recht hatte. War das der einzige Grund, warum sie dieses überwältigende Bedauern empfand?

Wieder dachte sie an ihre Eltern, deren Liebe zueinander und zur Arbeit nur wenig Raum für die Tochter ließ. Hatte sie Kahlil den Sohn aus reinem Egoismus vorenthalten? Hatte sie Ben verschwiegen, um jemanden für sich allein zu haben, den sie lieben konnte?

Ein solcher Egoismus hätte Ben aber nur geschadet. „Nein. Das stimmt nicht“, antwortete sie schließlich. „Alles, was ich getan habe, geschah nur, um Ben zu schützen.“

„Glaubst du, ich würde meinem Sohn wehtun?“ Kahlils Stimme war eiskalt. „Denkst du wirklich, dass ich so ein Mann bin?“

Nein, aber er war blind, zumindest, was seinen Cousin betraf. Kahlil favorisierte Amin. Hatte es immer getan, würde es immer tun.

Amin könnte Ben schaden. Wenn Amin sie attackierte, warum sollte er dann vor Ben haltmachen?

„Dein Schweigen spricht Bände“, meinte Kahlil.

„Ich habe nur an Ben gedacht“, erwiderte sie sanft und zog den Jungen fester an sich. „Alles wird anders für ihn.“

„So wie es sein soll.“

„Er wird Angst haben.“

„Es wird ihm gut gehen. Er hat jetzt mich.“

Kahlil würde ihr doch den Jungen nicht wegnehmen, oder? Das würde er ihr – oder Ben – doch nicht antun?

Sie geriet in Panik bei dem Gedanken und hielt den Atem an. Die Tränen brannten in ihren Augen. „Ich tue alles, was du willst, aber sei gut zu ihm. Er ist noch so klein …“

„Das sehe ich selbst. Ich sehe auch, wie sehr er dich liebt. Niemals würde ich ihm wehtun, Bryn. Ich werde doch meinem eigenen Fleisch und Blut nicht wehtun.“

Sie beugte den Kopf. „Fliegen wir nach Zwar?“

„In sechs Stunden werden wir in Tiva landen.“

Und Amin? War er dort? Würde er warten? „Deine Familie – weiß sie, dass ich komme?“

„Mein Vater ist tot“, erwiderte Kahlil kurz angebunden. „Er ist vor fast zwei Jahren gestorben.“

„Das tut mir leid. Ich wusste es nicht.“

„Liest du keine Zeitung?“

Sie war allem aus dem Weg gegangen, was mit Zwar zusammenhing oder an ihr altes Leben mit Kahlil erinnerte. „Tut mir leid“, erwiderte sie hilflos.

„Meine Cousine Mala, die etwa so alt ist wie du, ist jetzt in London an der Universität. Sie wird also nicht da sein.“

„Und Amin?“

Kahlil warf ihr einen scharfen Blick zu. „Er lebt in Europa. Zieht das Nachtleben von Monte Carlo dem in Tiva vor.“

Erleichtert atmete sie auf. Das war die beste Nachricht, die sie seit Tagen gehört hatte.

Kahlil schenkte sich einen Drink ein. „Möchtest du auch etwas?“, fragte er und hielt die Karaffe mit dem Likör hoch.

„Nein. Danke.“

Die goldene Flüssigkeit schimmerte in dem Cognacschwenker. „Erzähl mir von meinem Sohn.“

Richtig. Ben war ein Fremder für Kahlil. Einen Moment lang hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie ihm seinen Sohn vorenthalten hatte. Doch hatte sie eine andere Wahl gehabt?

„Ich möchte gern alles über ihn wissen“, fügte Kahlil sanft hinzu.

„Ben ist für sein Alter manchmal etwas altklug“, begann sie vorsichtig. „Er ist intelligent, sehr sanftmütig und lieb. Er hat nichts Gemeines an sich.“

„Womit spielt er gern?“

„Autos, Eisenbahn. Außerdem liebt er Ballspiele.“

„Was hat er sich zu Weihnachten gewünscht?“

Bryn hatte plötzlich einen Frosch im Hals. Diese Frage konnte sie nicht beantworten. Nicht, weil sie sich nicht an seinen Wunsch erinnerte, sondern weil die Erinnerung daran unangenehm war.

Nie in ihrem Leben würde sie vergessen, wie Ben im Kaufhaus auf dem Schoß des Weihnachtsmannes gesessen hatte und um einen Daddy bat. Nicht ein neues Auto oder ein Spiel oder ein Haustier. Nein, er wünschte sich einen Daddy.

Der Weihnachtsmann hatte sie über Bens Kopf hinweg angesehen, und sie hatte das Gefühl gehabt, ein totaler Versager zu sein. Am schlimmsten aber war der Weihnachtstag gewesen. Bens Enttäuschung zu erleben, dass der Weihnachtsmann seinen einzigen Wunsch nicht erfüllt hatte. Der Junge hatte jämmerlich geweint.

Bens Tränen hatten sie fast umgebracht und waren ausschlaggebend für ihre Entscheidung gewesen, Stans Heiratsantrag anzunehmen.

„Was hat er sich gewünscht?“ Kahlil ließ nicht locker.

„Eine Familie“, erwiderte sie leise und wich seinem Blick aus.

„Warum bist du nicht zu mir gekommen?“

Sie schüttelte den Kopf, blind vor Tränen.

Eine Minute verging, bevor Kahlil weitersprach. „Ich weiß nicht, was mich wütender macht. Die Tatsache, dass du mein Kind vor mir versteckt hast, oder dass ein fremder Mann die Vaterrolle übernehmen soll.“

Der Kummer in der Stimme des Mannes, den sie einst so sehr geliebt hatte, brach ihr fast das Herz.

Kahlil stieß einen verzweifelten Seufzer aus. „Dir fällt offensichtlich keine Entschuldigung ein.“

„Jedenfalls keine, die du akzeptieren würdest.“

Er drehte sich langsam zu ihr um und sah sie an. „Du und ich, Bryn das wäre die Familie gewesen, die er braucht.“

Tränen rollten ihr über die Wangen. Sie selbst hatte sich auch eine richtige Familie gewünscht. Das war etwas, was sie nie gehabt hatte, nicht, nachdem ihre Eltern gestorben waren – und deshalb war es genau das, was sie sich am meisten für Ben wünschte, und was sie sich selbst am meisten gewünscht hatte, als sie Kahlil geheiratet hatte. Aber es hatte nicht funktioniert.

Autor

Barbara Faith
Barbara Faith de Covarrubias wurde am 19. Februar 1921 geboren. Von 1978 bis zu ihrem Tod am 10. Oktober 1995 schrieb sie vor allem für Silhouette mehr als 40 Liebesromane. Die meisten ihrer Romane spielen in Mexiko, Spanien, USA oder Marokko, darum sind auch ihre Protagonisten häufig lateinamerikanischer Herkunft.
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