Julia Saison Band 44

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IN ITALIEN ERWACHT DIE LIEBE von SPENCER, CATHERINE
Dieser gut aussehende Fremde soll ihr Ehemann sein? Diese italienische Villa ihr Zuhause? Nach einem Unfall hat Maeve ihr Gedächtnis verloren. Sie weiß nur eins: Sobald Dario Costanzo sie berührt, verspürt sie eine prickelnd erotische Spannung.

EINE WOCHE, SIEBEN NÄCHTE ... von HUNTER, KELLY
Ihr Herz verschenken? Bloß nicht! Davor hat Madeline Angst. Bis sie in der Glitzermetropole Singapur eine Affäre mit dem charismatischen Luke Bennett beginnt. Sieben Tage, sieben Nächte - dann wird er abreisen, und ihr Herz ist wieder sicher. Was für ein Irrtum!

BRANDUNG DER LEIDENSCHAFT von GRADY, ROBYN
Ninas Herz rast. Nicht vom Adrenalin, weil sie mit dem Leben davon gekommen ist, sondern weil ihr Retter, der sie durch die Brandung trägt, sehr sexy ist! Und clever dazu: Als Nina gefeuert wird, macht er ihr einen Vorschlag, ebenso unverschämt wie verführerisch …


  • Erscheinungstag 06.07.2018
  • Bandnummer 44
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711566
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Catherine Spencer, Kelly Hunter, Robyn Grady

JULIA SAISON BAND 44

1. KAPITEL

Um zehn Uhr morgens, auf den Tag genau einen Monat nach dem Unfall, kam der Anruf, den nie zu erhalten Dario Costanzo befürchtet hatte.

„Ich habe Neuigkeiten, signore“, verkündete Arturo Peruzzi, Leiter der Neurologischen Abteilung und Maeves behandelnder Arzt. „Ihre Frau ist heute Morgen aus dem Koma aufgewacht.“

Der nüchternen Stimme des Arztes entnahm Dario, dass dies nicht die einzige Neuigkeit über den Zustand seiner Frau sein würde. Während der letzten Wochen hatte er sich über mögliche Folgeschäden bei schweren Kopfverletzungen informiert. Nichts von dem, was er gelesen hatte, verhieß Gutes. „Aber? Es gibt doch ein Aber, oder, Doktor?“

„Korrekt.“

Dario hatte gedacht, er sei gegen alles gewappnet. Jetzt musste er feststellen, dass dem nicht so war. Bilder von Maeve, als er sie das letzte Mal gesehen hatte, den Kopf in dicke Bandagen gewickelt, Schläuche, die sie am Leben hielten, stießen frontal zusammen mit jenen, wie sie ausgesehen hatte, bevor alles so schrecklich schiefgegangen war.

Anmutig, schön, elegant.

Wie Sonnenlicht.

Die Seine.

Und jetzt? Er ließ sich auf den Stuhl hinter seinem Schreibtisch fallen, befürchtete, seine Beine könnten nachgeben. „Sagen Sie es mir.“

„Körperlich wird sie komplett genesen. Natürlich ist sie im Moment noch schwach, doch wir gehen davon aus, dass sie bald entlassen werden kann, um sich zu Hause zu erholen. Das Problem, Signor Costanzo, ist ihr Kopf.“

Dio, nicht das! Da wäre es vielleicht besser gewesen, wenn …

„Nach einem solchen Trauma ist es allerdings keineswegs ungewöhnlich und lange nicht so ernst, wie es klingt.“

Ihm wurde bewusst, dass er sich sofort das Schlimmste ausgemalt hatte, und konzentrierte sich wieder auf die Erklärungen des Neurologen.

„Ihre Frau leidet an retrograder Amnesie, also Gedächtnisverlust. Sie hat keine Erinnerung mehr an ihre … unmittelbare Vergangenheit.“

Peruzzis kurzes Zögern war Dario nicht entgangen, seine Ängste flammten erneut auf. „Was heißt ‚unmittelbar‘?“

„Das ist das Ungewöhnliche. In der Regel bezieht sich die Amnesie auf die Vorfälle vor dem Trauma. Im Falle Ihrer Frau jedoch reicht es sehr viel weiter zurück. Ich muss Ihnen leider sagen, dass sie sich weder an Sie noch an das Leben mit Ihnen erinnert.“

Psychogene Amnesie, hysterische Amnesie – Ausdrücke, die er vor einem Monat nicht einmal gehört hatte, über die er jetzt jedoch alles wusste. „Wollen Sie damit sagen, ihr Gedächtnisverlust ist psychologisch bedingt, nicht physisch?“

„Es scheint so. Die gute Nachricht ist, dass dieser Zustand nicht von Dauer ist. Mit der Zeit wird sie ihr Erinnerungsvermögen zurückgewinnen.“

„Innerhalb welchen Zeitraums?“

„Das lässt sich nicht vorhersagen. Es könnte innerhalb von Minuten geschehen, sobald sie wieder in ihre vertraute Umgebung kommt, es ist jedoch eher wahrscheinlich, dass es Tage oder Wochen dauern wird und die Erinnerungen in Etappen und Bruchstücken zurückkehren. Der Versuch, den Prozess zu beschleunigen, würde nur mehr Schaden anrichten. Niemand wird sie zwingen können, sich zu erinnern. Und genau dieser Punkt bringt mich zu meinem eigentlichen Anliegen, Signor Costanzo. Wir Ärzte haben das uns Mögliche getan, jetzt liegt es bei Ihnen, Ihren Teil zu übernehmen.“

„Wie?“

Diese Frage verfolgte ihn seit einem Monat, ohne dass er eine Antwort gefunden hätte. Wie war es möglich, dass er sich über das Ausmaß ihrer Unzufriedenheit so getäuscht hatte? Wie, nach allem, was sie einander versprochen hatten, hatte sie sich einem anderen Mann zuwenden können? Wie hatte sie so wenig Vertrauen in ihn, ihren Ehemann, setzen können?

„Geduld ist der Schlüssel. Bringen Sie Ihre Frau nach Hause, aber überfordern Sie sie nicht mit einer Unzahl von Menschen. Sie soll sich erst sicher mit Ihnen fühlen.“

„Wie soll das funktionieren, wenn sie sich nicht einmal an mich erinnert?“

„Wenn sie erst kräftiger ist, werden wir ihr sagen, wer Sie sind. Sie sind der einzige nahe Verwandte, sie muss wissen, dass sie nicht allein auf der Welt ist. Schließlich hat sie ein ganzes Jahr ihres Lebens verloren, das ist für jeden Menschen beängstigend. Zeigen Sie ihr, dass sie von Ihnen als die Person geschätzt wird, an die sie sich selbst erinnert. Erst wenn ihr Vertrauen in Sie gewachsen ist, können Sie ihr die anderen Familienmitglieder langsam vorstellen.“

„Zu den anderen Familienmitgliedern gehört auch unser sieben Monate alter Sohn. Was schlagen Sie vor? Soll ich ihn als Kind der Köchin ausgeben?“

Falls der Arzt den Sarkasmus erkannt hatte, ließ er sich nichts anmerken. „Bringen Sie ihn woanders unter“, antwortete er unverblümt. „Sie haben doch eine Schwester, und Ihre Eltern wohnen auch nicht weit entfernt. Jemand wird sich doch sicher eine Weile um den Jungen kümmern können?“

„Sie meinen, ich soll sie täuschen? Wie soll ihr das helfen?“

„Es wird ein enormes Schuldgefühl in ihr auslösen und emotionale Narben hinterlassen, wenn sie erfährt, dass sie die Erinnerung an das eigene Kind verloren hat. Es geht gegen die Natur jeder Mutter zu vergessen, dass sie ein Kind geboren hat. Dies ist der kritischste Faktor, hier müssen Sie extrem vorsichtig vorgehen.“

„Ich verstehe.“ Maeve war aus dem Koma aufgewacht, doch geheilt war sie noch lange nicht. „Sonst noch etwas?“

„Ja. Im Moment müssen Sie davon ausgehen, dass Ihre Ehe nur auf dem Papier besteht. Intimitäten mit einem Mann, der zwar ihr Ehemann ist, aber auch ein völlig Fremder, stellen eine unnötige Komplikation im Heilungsprozess dar.“

Na großartig! Das Eine, was wirklich gut zwischen ihnen gewesen war, musste gestrichen und Sebastiano zu den Verwandten ausgelagert werden. „Gibt es denn nichts, was ich tun kann?“

„Doch, natürlich“, kam es von Peruzzi. „Ihre Frau hat das Erinnerungsvermögen verloren, nicht den Verstand. Sie wird viele Fragen haben. Beantworten Sie diese wahrheitsgemäß. Beschönigen Sie nichts und, vor allem, üben Sie keinen Druck aus. Jede Information ist wie das Teilstück eines Gemäldes auf einer weißen Leinwand. Wenn genügend Teilstücke vorhanden sind, wird sie das Gesamtbild allein vollenden.“

„Und wenn sie etwas erfährt, das ihr unangenehm ist?“

„Dann ist es an Ihnen, signore, ihr Unterstützung anzubieten. Sie muss die Gewissheit haben, dass sie sich auf Sie verlassen kann, ganz gleich, was in der Vergangenheit passiert ist. Werden Sie das schaffen?“

„Ja“, antwortete Dario. Welche andere Wahl hatte er denn schon? „Kann ich sie besuchen?“

„Verbieten kann ich es Ihnen nicht, aber ich rate dringend davon ab. Ihr Erscheinen könnte Konsequenzen haben, die sich nicht vorhersagen lassen. Halten Sie sich daran fest, dass Sie schon bald wieder zusammen sind und Ihre Beziehung erneuern können.“

„Sicher, das sehe ich ein.“ Er hätte lachen mögen, weil es so weit von der Wahrheit entfernt war. „Und danke für Ihre Zeit.“

„Keine Ursache. Ich wünschte, ich könnte den Angehörigen aller meiner Patienten derart gute Nachrichten überbringen. Ich melde mich bei Ihnen, sobald Ihre Frau entlassen werden kann. Sollten Sie noch Fragen haben, können Sie mich jederzeit anrufen. Viel Glück, Signor Costanzo.“

Dario hängte den Hörer ein und drehte sich grübelnd zum Fenster. Marietta Pavia, das junge Kindermädchen, das er eingestellt hatte, saß mit ihrem Schützling im Schutz des schattigen Gartens und sang dem Jungen vor. Dass eine Ehefrau ihren Mann vergaß, den sie leid geworden war, konnte man noch nachvollziehen, auch wenn es wenig schmeichelhaft war. Doch wie war es möglich, dass eine Mutter jegliche Erinnerung an ihr erstes Kind aus ihrem Kopf und ihrem Herzen löschte?

Eine Stimme, kultiviert und gebieterisch, ertönte hinter ihm und riss ihn aus seinen Gedanken. „Dem, was ich hören konnte, entnehme ich, dass sich ihr Zustand verändert hat.“

Dario wandte sich zu dem Neuankömmling um. In dem eleganten Kleid, das schwarze Haar zu einem klassischen Chignon aufgesteckt, schimmernde Perlen an Hals und Ohren, sah man Celeste Costanzo ihre neunundfünfzig Jahre nicht an, eher hätte man sie für eine gepflegte Mittvierzigerin gehalten. „Du siehst aus, als wolltest du die Mailänder Modewelt im Sturm erobern, Mutter, und nicht auf einer Insel entspannen.“

„Nur weil man auf Pantelleria nicht im Licht der Öffentlichkeit steht, muss man nicht nachlässig werden, Dario – und wechsle nicht das Thema. Was gibt es Neues?“

„Maeve ist aus dem Koma erwacht. Sie wird sich vollständig erholen.“

„Also wird sie leben?“

„Du solltest nicht so enttäuscht klingen“, erwiderte er trocken. „Immerhin ist sie die Mutter deines Enkels.“

„Sie ist eine Zumutung, und ich verstehe nicht, wieso du sie auch noch verteidigst, nach allem, was vorgefallen ist.“

„Wir können nur vermuten, was vorgefallen ist, Mutter. Von den beiden Menschen, die die Wahrheit kennen, ist der eine tot und der andere hat das Gedächtnis verloren.“

„Ah, das ist also ihre Vorgehensweise? Sie erinnert sich nicht daran, dass sie dich verlassen und deinen Sohn mitnehmen wollte?“ Celeste verzog spöttisch den Mund. „Wie praktisch.“

„Das ist lächerlich, Mutter. Maeve ist nicht in der Verfassung für ein solch kalkuliertes Spiel. Ihre Ärzte sind zu erfahren, um auf so etwas hereinzufallen.“

„Du hältst die Diagnose also für gerechtfertigt?“

„Ja. Du solltest das ebenfalls tun.“

„Ich fürchte, das ist mir nicht möglich, mein Sohn.“

„Ich empfehle dir, es noch einmal zu überdenken, wenn du weiterhin in meinem Heim willkommen sein möchtest“, sagte er kalt.

Celestes Teint wurde blasser. „Ich bin deine Mutter!“

„Und Maeve ist meine Frau.“

„Für wie lange noch? Bis sie wieder wegläuft? Bis Sebastiano auf der anderen Seite der Erdkugel aufwächst und einen anderen Mann Papa nennt? Was wird nötig sein, Dario, damit du erkennst, was für eine Frau sie ist?“

„Sie ist die Frau, die meinen Sohn geboren hat“, knurrte er. Der Ärger, der seit Wochen in ihm brodelte, drohte überzulaufen. „Ich erwarte von dir, dass du damit aufhörst, ihre angeblichen Versäumnisse als Ehefrau und Mutter ständig herauszustellen.“

„Das wird auch nicht nötig sein, mein Lieber“, erwiderte seine Mutter ungerührt. „Das übernimmt sie dann schon selbst.“

Jeder in der Klinik, von der Hilfspflegekraft bis zum Professor, kam, um sich von ihr zu verabschieden.

Jeder versicherte ihr, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Sie hatte einen Autounfall gehabt, ihr Erinnerungsvermögen würde mit der Zeit schon zurückkehren.

So wie auch jeder ihre Fragen, wer die Blumen schickte und die Rechnungen zahlte, ignoriert hatte. Als eine Pflegekraft sich verplapperte und einen „er“ erwähnte, da hatte das junge Ding einen Blick von der Oberschwester zugeworfen bekommen, der die Sahara in eine Eiswüste verwandelt hätte.

„Er“ – wer?, hatte Maeve nachhaken wollen, doch da sie nicht wirklich mit einer Antwort rechnete, fragte sie stattdessen: „Darf ich zumindest erfahren, wohin ich gehe, wenn ich entlassen werde?“

„Aber natürlich, Liebes“, hatte die Oberschwester in jenem Ton geantwortet, den man bei neugierigen kleinen Kindern benutzte. „Dorthin zurück, wo Sie vorher gelebt haben, zu den Menschen, die Sie lieben.“

Wo immer das sein mochte!

Einige Tage vor ihrer Entlassung hatten die Ärzte ihr gesagt, sie würde zur Rekonvaleszenz an einen Ort namens Pantelleria fahren. Sie hatte nie davon gehört.

„Wer wird dort sein?“

„Dario Costanzo …“

Von ihm hatte sie auch noch nie gehört.

„… Ihr Ehemann.“

Und das hatte sie so sprachlos gemacht, dass sie keine Fragen mehr stellte.

Jetzt standen sie alle um die schwarze Limousine herum versammelt und winkten ihr lächelnd mit den besten Wünschen nach. „Sie werden uns fehlen. Schauen Sie doch mal rein, wenn Sie in der Nähe sind. Aber dann auf eigenen Beinen.“

Und plötzlich, nachdem sie sich tagelang gewünscht hatte, der Rund-um-die-Uhr-Bewachung zu entkommen, hatte sie Angst, diese Menschen zu verlassen. Sie gehörten zu „Nach dem Unfall“ und waren ihr einziger Bezug zur Gegenwart. „Vor dem Unfall“ war ein verloren gegangenes Kapitel im Buch ihres Lebens. Dass sie im Zuge stand, es wiederzufinden, und zu dem Mann zurückkehrte, den sie offenbar während dieser Zeit geheiratet hatte, sollte sie mit Vorfreude erfüllen. Stattdessen löste es pure Panik in ihr aus.

Genau wie der Gedanke, sich unter die Menschenmenge am Flughafen mischen zu müssen. Sie hatte sich doch im Spiegel gesehen. Hager und abgezehrt sah sie aus. Ihr Haar, einst lang und dicht, war jetzt kurz geschnitten und verbarg die gezackte Narbe an ihrer linken Schläfe kaum. Die Kleidung schlotterte an ihr, als hätte sie endlos viele Kilos verloren oder litte an einer unaussprechlichen Krankheit.

Doch als die Limousine den Flughafen erreichte, fuhr der Wagen nicht zum Abflugterminal, sondern bog auf ein separates Gelände ein, wo ein Privatflugzeug wartete und ein freundlicher Steward ihr an Bord half.

Wer war ihr Mann, dass sie Anrecht auf solchen Luxus hatte, sie, die einzige Tochter eines Klempners und einer Supermarktkassiererin, aufgewachsen in einem bescheidenen Viertel von Vancouver?

Sich an die Eltern zu erinnern, die ihre Tochter abgöttisch geliebt hatten, ließ Tränen in ihre Augen steigen. Würden sie noch leben, dann führe sie zu ihnen, zurück zu dem kleinen Haus auf der von Ahornbäumen beschatteten Straße, nicht weit entfernt von dem Park, in dem sie als Siebenjährige das Fahrradfahren gelernt hatte. Ihre Mom würde sie verwöhnen und Brombeerkuchen backen, und ihr Vater würde ihr sagen, wie stolz er auf sie war, weil sie etwas aus sich gemacht hatte. Doch die beiden waren tot, ihr Vater verstarb nur wenige Monate nach seiner Pensionierung, ihre Mutter drei Jahre später. In dem kleinen Haus lebten jetzt Fremde.

Und Maeve, von den emotionellen Anstrengungen des Tages erschöpft und für den Start im Ledersessel eines sündhaft luxuriösen Jets angegurtet, befand sich in diesem Moment auf dem Weg in ein Leben, das für sie nichts als ein einziges großes Fragezeichen war.

2. KAPITEL

Der Steward war zwar nicht unbedingt redselig, aber zumindest nicht so verschlossen wie das Krankenhauspersonal, als Maeve danach fragte, wohin man sie bringe.

„Die Insel heißt Pantelleria“, erklärte er, als er Maeve den exquisiten Lunch servierte. „Man nennt sie auch die schwarze Perle des Mittelmeers.“

„Und die Insel gehört zu Italien?“

Sì, signora. Knapp hundert Kilometer der südlichsten Spitze Siziliens vorgelagert und weniger als achtzig Kilometer von Tunesien entfernt. Das liegt in Afrika.“

Den Verstand hatte sie nicht verloren. Sie wusste, wo Afrika war und wo Tunesien lag. Aber Pantelleria? Bei dem Namen klingelte nichts. „Erzählen Sie mir von dieser schwarzen Perle.“

„Ein kleines windiges Eiland, sehr isoliert. Die Straßen sind nicht besonders gut, aber die Reben wachsen dort besonders süß, das Meer ist von einem wunderschönen klaren Blau und die Sonnenuntergänge … magnifico.“

Es hörte sich nach dem Paradies an. Oder nach einem Gefängnis. „Leben dort viele Leute?“

„Außer den Touristen … nein, nicht viele.“

„Habe ich dort lange gelebt?“

Offensichtlich fiel der Wechsel vom Geographischen zum Persönlichen auf wenig fruchtbaren Boden. Mit verschlossener Miene richtete der Stewart sich auf, als würde die Militärparade abgenommen. „Was darf ich Ihnen zu trinken bringen, signora?“

Lächelnd versuchte sie, ihn herauszulocken. „Was trinke ich denn normalerweise?“

Umsonst, er war auf der Hut. „Wir haben Wein, Saft, Milch und acqua minerale frizzante an Bord. Wenn Sie wünschen, serviere ich Ihnen auch gern einen Espresso.“

„Mineralwasser, bitte“, erwiderte sie knapp. Wer immer am Ende dieser Reise auf sie wartete, sollte besser mit offenen Antworten aufwarten können. Diese Geheimnistuerei wurde ihr langsam zu viel.

Doch sämtliche ihrer Fragen verflüchtigten sich, als der Jet schließlich auf dem Boden zum Stehen kam und sie den Mann erblickte, der an der Landebahn stand, um sie zu begrüßen.

Wenn Pantelleria die schwarze Perle des Mittelmeers war, dann war er der Topas-Prinz. Gut ein Meter neunzig groß, dunkelbraun gebrannt und so attraktiv, dass sie den Blick gewaltsam losreißen musste, bevor sie noch anfing zu seibern, nahm er ihre Hände in seine. „Ciao, Maeve. Ich bin dein Mann. Es ist schön, dich wieder zu Hause zu haben. Du siehst gut aus.“

Sein dichtes schwarzes Haar war perfekt geschnitten, er trug Leinenhosen und ein Hemd aus feinster ägyptischer Baumwolle. Im Vergleich zu diesem elegant gekleideten Fremden und augenscheinlichen Besitzer des silbernen Jets kam Maeve sich wie ein zerrupftes Küken und völlig fehl am Platze vor.

Im Stillen musste er Ähnliches denken, denn trotz seiner freundlichen Worte hatte sie das gleiche Mitleid in seinen dunkelgrauen Augen aufblitzen sehen, das sie ihre ganze Kindheit verfolgt und mehr Narben hinterlassen hatte, als jeder Autounfall es je könnte.

Das arme Ding. Mit diesen Zähnen kann sie ja durch Zaunlatten an einem Maiskolben knabbern …

Kein Wunder, dass sie sich hinter all dem Haar versteckt …

Ich würde sie ja zu meiner Party einladen, aber sie passt einfach nicht zu uns …

Ein Kiefernorthopäde hatte ihr schließlich zu dem perfekten Lächeln verholfen, hinter dem sie sich versteckte, wenn sie sich unsicher fühlte. „Du musst verzeihen, aber dein Name ist mir entfallen.“

Das musste das Lächerlichste sein, was sie je von sich gegeben hatte. Falls er ebenso dachte, ließ er sich nichts anmerken.

„Ich heiße Dario.“

„Dario.“ Sie wiederholte den Namen, ließ die Silben über die Zunge rollen, so als könne sie damit ihre Erinnerung in Gang setzen. Es wirkte nicht.

„Lass uns zum Wagen gehen. Der Wind weht heute extrem heiß.“

Er führte sie zu einem Porsche Cayenne. Dieses Mal also keine schwarze Limousine, aber teurer, das wusste sie. Und ja, er hatte recht mit dem Wind. Ihr Haar – oder das, was davon noch übrig war – wiegte sich wie Stoppeln auf einem Weizenfeld, und Schweißtropfen bildeten sich zwischen ihren Brüsten. Dankbar für die Klimaanlage, ließ sie sich auf den Beifahrersitz gleiten. Sie war froh, den letzten Teil ihrer Reise vor sich zu haben. Der Flug hatte zwar keine zwei Stunden gedauert, aber da sie nicht gewusst hatte, was sie erwartete, war sie angespannt wie eine überdrehte Feder gewesen.

Da Dario sich offensichtlich nicht beflissen fühlte, ein Gespräch anzufangen, schaute Maeve hinaus auf die vorbeirauschende Szenerie, still darum flehend, irgendetwas möge ihr bekannt vorkommen. Die Uferstraße um die Insel war eng und gewunden, aber die Gegend war hübsch.

Linkerhand zogen sich Weinstöcke in die Hügel hinauf, von Steinmauern gestützt. Dazwischen wuchsen einzelne Olivenbäume und stellten sich schief dem Wind entgegen. Rechterhand schlugen die Wellen des azurblauen Meeres an schwarzes Lavagestein. Daher hatte die Insel wohl ihren Beinamen.

Irgendwann fuhren sie durch ein bezauberndes Fischerdörfchen. Seltsame würfelähnlich geformte Gebäude mit perforierten Kuppeldächern und tiefen Rillen im Dach standen eng beisammen.

„Um Regenwasser zu sammeln“, erklärte Dario, als die Neugier in Maeve stärker wurde als ihre Angst, das drückende Schweigen zu brechen. „Pantelleria ist eine Vulkaninsel mit vielen unterirdischen Quellen, doch aufgrund des Schwefelgehalts ist das Wasser ungenießbar.“

Leider brachte auch diese Information keinerlei Erinnerung zurück. Die Minuten verstrichen, ohne dass ihr lakonischer Ehemann sich Mühe gegeben hätte, die Unterhaltung in Gang zu halten.

„Dein Steward sagte mir, es sei eine kleine Insel.“

„Sì.“

„Also ist dein Haus nicht weit entfernt?“

„Auf Pantelleria ist nichts weit entfernt. Die Insel ist keine fünfzehn Kilometer lang und nur fünf Kilometer breit.“

„Dann sind wir bald da?“

„Sì.“

„Wie mir gesagt wurde, haben wir vor dem Unfall hier gelebt.“

Ein Muskel zuckte in seiner Wange. „Sì.“

So jemanden nannte man wohl einen Mann der wenigen Worte! „Und wie lange sind wir verheiratet?“

„Etwas mehr als ein Jahr.“

„Sind wir glücklich?“

Er verspannte sich, eine Falte erschien auf seiner Stirn. „Augenscheinlich nicht.“

Bestürzt starrte sie ihn an. Diesem umwerfenden Mann hatte sie das Eheversprechen gegeben. Sie trug seinen Namen, war abends in seinen Armen eingeschlafen und morgens mit seinen Küssen aufgewacht. Und irgendwie war das alles verschwunden. „Wieso nicht?“

Es waren schlanke kräftige Finger, die jetzt das Lenkrad fester hielten. Ohne Ehering. Wie auch sie keinen Ring trug. „Unsere Lebensumstände waren nicht ideal.“

Es drängte sie, ihn nach dem Warum zu fragen, doch die Distanz in seiner Stimme war selbst für jemanden in ihrem verwirrten Zustand nicht zu überhören. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Landschaft.

Dario war von der Hauptstraße abgebogen und fuhr einen asphaltierten Weg durch ein Villenviertel entlang. Vor einer hohen Mauer verlangsamte er das Tempo, und schmiedeeiserne Tore schwangen lautlos auf und wieder zu, sobald der Wagen hindurchgefahren war.

Von Zwergpalmen gesäumt, wand sich die Zufahrt scheinbar endlos durch einen gepflegten Park bis zu einer Residenz, die opulenter war als alle, an denen sie vorbeigefahren waren. Der große Flachbau, im Baustil dem Bild der ursprünglichen Inselhäuser angepasst und mit dem typischen Kuppeldach auf dem Haupthaus, zog sich mit mehreren Flügeln versetzt über das Grundstück.

Vor dem beeindruckenden Vordereingang brachte Dario den Wagen schließlich zum Stehen und stellte den Motor ab. „Willkommen zu Hause, Maeve.“

Sie stieg aus. Der Wind hatte sich gelegt, der würzige Duft von Pinien hing in der Abendluft, die ersten Sterne blinkten am Himmel. Schon von hier aus konnte man das Mittelmeer blitzen sehen.

Maeve schloss die Augen, atmete tief ein und fragte sich, wie es möglich war, dass sie sich an ein solches Anwesen nicht erinnerte.

Dario lehnte sich an den Wagen und musterte sie. Ihre Silhouette zeichnete sich gegen den Abendhimmel ab. Als sie aus dem Flugzeug gestiegen war, hatte ihn ein Schock durchzuckt. Sobald sein Blick auf sie gefallen war, hatte er das Recht des Ehemannes wahrnehmen und sie in seine Arme ziehen wollen. Nur Peruzzis Warnung, sie nicht zu drängen, hatte ihn davon zurückgehalten. Das, und die Angst, dass er sie vielleicht zerdrücken könnte.

Sie war immer schlank gewesen, doch nicht so zerbrechlich wie jetzt, so als könnte der leiseste Windhauch sie von den Klippen wehen. Sie wirkte regelrecht durchsichtig. Kein Wunder, dass der Arzt ihn ermahnte, Geduld zu haben. Erst einmal musste sie körperlich zu Kräften kommen. Der Rest – ihre Geschichte, die Ereignisse, die zu dem Unfall geführt hatten – konnte warten.

Mit ihren Fragen hatte sie ihm schon mehr entlockt, als er preisgeben wollte. Nun, das würde ihm nicht noch einmal passieren. Er war nicht an die Spitze eines Multi-Milliarden-Dollar-Imperiums aufgestiegen, weil er sich nicht unter Kontrolle hatte.

„Möchtest du vielleicht eine Weile hier draußen bleiben und dir mit einem kleinen Spaziergang durch den Park die Beine vertreten?“

Sie fuhr sich mit den Fingern durch das kurze Haar. „Nein, danke. Es ist zwar noch früh, aber ich bin doch sehr müde.“

„Dann komm. Die Haushälterin wird dir dein Zimmer zeigen.“

„Kenne ich sie?“

„Nein. Sie hat erst letzte Woche hier angefangen. Ihre Vorgängerin ist nach Palermo gezogen, um mehr Zeit mit ihren Enkelkindern verbringen zu können.“

Er nahm die kleine Reisetasche aus dem Wagen und gab Maeve den Vortritt ins Haus. In der großen Halle schaute sie sich um – Ventilatoren an der hohen Decke, weiße Wände und schwarzer Marmorboden.

„Lebst du immer hier?“

„In der Regel nicht. Normalerweise komme ich an den Wochenenden her, um zu entspannen.“

Ein leiser Schauer durchlief sie. „Werde ich hier allein sein?“

„Nein, Maeve. Bis du dich zu Hause fühlst, bleibe ich bei dir.“

„Im selben Zimmer und … im selben Bett?“

Möchtest du das?, wollte er fragen. Bilder stürzten auf ihn ein, Bilder von losgelösten leidenschaftlichen Nächten. Fast wünschte er, er könnte es vergessen. „Du wirst dein eigenes Zimmer haben, so lange du wünschst. Aber ich bin immer in deiner Nähe. Falls du mich brauchst“, sagte er und beglückwünschte sich still zu seiner Antwort. Er drängte sie nicht, ließ aber die Möglichkeit für ein normales Eheleben in der Zukunft offen. Peruzzi wäre stolz auf ihn.

„Oh.“ Fast hörte sie sich enttäuscht an. „Das ist sehr aufmerksam von dir. Danke für alles.“

„Prego.“

Sie trat näher. „Äh … sind meine Sachen noch hier?“

„Ja. Alles ist genau so, wie du es hinterlassen hast.“ Nur das blutgetränkte Kleid, das sie am Tag des Unfalls getragen hatte, existierte nicht mehr. Das war das Eine, an das sie sich hoffentlich nie erinnern würde. „Hier kommt Antonia.“ Er war erleichtert über die Ablenkung. „Sie wird dich in deine Suite führen und sich darum kümmern, dass du alles hast, was du brauchst. Ruh dich aus. Wir sehen uns dann morgen früh.“

Sobald die beiden Frauen, die eine mollig und rund, die andere so zierlich und zerbrechlich, im linken Flügel des Hauses, wo die Gästezimmer lagen, verschwunden waren, ging Dario in die entgegengesetzte Richtung zu seinem Arbeitszimmer. Kaum dass er die Tür hinter sich ins Schloss gedrückt hatte, griff er zum Telefon und rief seine Schwester Giuliana an, die gleich nebenan wohnte.

Sie meldete sich nach dem ersten Klingeln. „Ich habe schon auf deinen Anruf gewartet. Ist Maeve sicher zu Hause angekommen?“

„Ja.“

„Wie geht es ihr? Ist es so schlimm wie befürchtet?“

„Ah, Giuliana.“ Zu seinem Entsetzen wollte seine Stimme brechen. Er musste sich erst einen Moment sammeln. „Sie ist zerbrechlich wie feinstes Glas. Die Reise hat sie ausgelaugt. Wir sind vor ein paar Minuten angekommen, und sie ist direkt zu Bett gegangen.“

„Das arme Ding! Ich wünschte, ich könnte rüberkommen, um ihr zu sagen, wie sehr ich sie mag und wie froh ich bin, dass sie wieder zurück ist.“

„Ich auch. Ich wünschte, du könntest ihr ihren Sohn zeigen und sie würde sich daran erinnern, dass sie Mutter ist. Aber so weit ist es noch lange nicht.“

„Ich weiß, Dario. Kleine Schritte, nicht wahr? Das hat ihr Arzt geraten.“

„Nicht so klein, wie er es wohl gerne hätte. Maeve hat mir bereits entlockt, dass unsere Ehe nicht ideal ist. Nicht gerade der beste Anfang, um unser gemeinsames Leben wieder aufzubauen.“

„Wenn ihr euch stark genug liebt, ist es möglich, um das zurückzubekommen, was ihr einst hattet. Die Frage ist, ob ihr das tut.“

„Für sie kann ich nicht sprechen, Giuliana.“

„Dann sprich für dich selbst. Ich weiß, euer Start war nicht der beste, und du hast sie aus Ehrgefühl geheiratet, aber ich dachte immer, ihr habt es geschafft.“

„Bis alles schiefgegangen ist.“

Und genau hier lag der Knackpunkt. Konnten sie beide über die Ereignisse in der Vergangenheit hinwegkommen, oder hatten sie zu viel verloren, um einander je wieder zu vertrauen?

Giuliana schien die Gedanken ihres Bruders zu erraten. „Maeve liebt dich, Dario. Dessen bin ich sicher.“

„Wirklich? Ich wünschte, ich könnte mir auch sicher sein. Aber ich habe dich nicht angerufen, um dich mit meinen Zweifeln zu belasten, sondern um herauszufinden, wie du dich hältst, mit einem zusätzlichen Kind. Ist Sebastiano eine große Belastung?“

„Überhaupt nicht. Marietta ist vielmehr eine große Hilfe. Cristina liebt ihren kleinen Cousin und spielt ständig mit ihm. Er ist ein so zufriedenes Baby, weint überhaupt nur, wenn er Hunger hat oder die Windel gewechselt werden muss.“

„Ja, er ist der eine Lichtblick in der ganzen düsteren Geschichte.“

„Und zu jung, um zu verstehen, was geschehen ist.“

„Hoffen wir, dass er es nie herausfinden muss.“ Dario hielt kurz inne. „Ist irgendjemand von der Familie vorbeigekommen?“

„Wenn du damit unsere Mutter meinst … ja. Sie will das Baby zu sich nehmen, aber ich bin unnachgiebig, Sebastiano bleibt bei uns.“

„Ich hatte gehofft, sie würde mit Vater nach Mailand zurückkehren. Das Letzte, was Maeve jetzt gebrauchen kann, ist ein Zusammenstoß mit ihr.“

„Leider scheint sie entschlossen zu bleiben. Mach dir keine Gedanken, Dario, ich kann mich schon behaupten. Und Lorenzo wird nicht zulassen, dass sie sich einmischt.“

Das wusste er. Seine Mutter konnte manchmal anstrengend sein, aber sein Schwager würde sich ebenso wenig von ihr herumkommandieren lassen wie er selbst. „Ich bin wirklich dankbar für eure Hilfe. Gib meinem Sohn einen Gutenachtkuss von mir. Ich würde ja selbst vorbeikommen und …“

„Nein, es ist wichtiger, dass du bei Maeve bleibst. Sie sollte nicht allein sein, bevor sie sich nicht wieder gefangen hat.“

Und wie lange das dauern mochte, konnte niemand sagen. Dario beendete den Anruf, goss sich einen großzügigen Drink ein und trat hinaus auf die Terrasse in die laue Sommernacht.

Peruzzi hatte gut reden, Geduld zu predigen. Dario war nie ein besonders geduldiger Mann gewesen. Er hatte zu viele Tage seine Arbeit vernachlässigt, weil er sich nicht konzentrieren konnte. Zu viele Tage mit einem Scotch als einziger Gesellschaft verbracht. Und zu viele Nächte allein in einem Bett geschlafen, das für zwei gemacht war.

Ein leises Geräusch unterbrach seine Grübeleien, ein bekannter Duft erreichte ihn. Er drehte sich um und sah sie in der offenen Glasschiebetür stehen. In dem langen flatternden Kaftan hatte Maeve nie ätherischer und verführerischer ausgesehen.

„Wolltest du nicht zu Bett gehen?“, fragte er, als er die Sprache wiedergefunden hatte.

„Ich konnte nicht einschlafen.“

„Zu viel Aufregung?“

„Vielleicht.“ Sie machte einen Schritt auf ihn zu, dann noch einen. „Oder vielleicht habe ich auch genug geschlafen, und es wird Zeit, endlich aufzuwachen.“

3. KAPITEL

Warum blieb er so reglos stehen? Der Mut wollte Maeve verlassen, am liebsten wäre sie zurück in ihre sichere Suite gerannt.

Ihre Suite … eine Oase des Friedens. Ruhige Pastellfarben, um die an Amnesie leidende Hausherrin nur ja nicht aufzuregen. Luxuriöser, als man sich vorstellen konnte, mit direktem Blick aufs Meer. Doch von dem Moment an, da sie über die Schwelle dieses Hauses getreten war, fühlte sie sich unbeschreiblich leer.

Hier war etwas geschehen, etwas, das hinausging über eine kriselnde Ehe. Diese atemberaubende Villa am Meer barg ein düsteres Geheimnis, und sie gedachte, dieses Geheimnis aufzudecken. Ob es ihrem verschlossenen Ehemann gefiel oder nicht, er war es, der ihr dabei helfen würde.

„Bietest du mir nichts zu trinken an?“, fragte sie unverblümt, auch wenn ihr Puls raste. Aber sie hatte schon vor langem gelernt, Angst zu beherrschen und mit kühler Haltung zu kaschieren.

„Ich weiß nicht, ob Alkohol unbedingt angebracht ist.“

„Wieso? Trinke ich etwa?“

Er lachte auf – ein tiefer, warmer Laut, der ihr streichelnd über die Haut fuhr. „Nein, das nicht.“

„Das beruhigt mich ungemein. Ich befürchtete schon, ich könnte eine von den Frauen sein, die sich mit Bier vollgießen und dann auf dem Tisch tanzen.“

„Ich habe dich noch nie Bier trinken sehen. Champagner, und dann höchstens ein Glas. Aber Medikamente und Alkohol vertragen sich nicht.“

„Ich nehme keine Medikamente ein. Schon seit zwei Wochen nicht mehr.“

„Nun, dann …“ Er rieb sich das Kinn. „Ich mache dir einen Vorschlag. Iss mit mir zu Abend, und ich öffne eine Flasche deines Lieblingsjahrganges.“

Sie wollte nicht zu eifrig erscheinen. „Na schön. Jetzt, da du von Essen sprichst, merke ich, dass ich Hunger habe.“

Eccellente. Entschuldige mich einen Moment, ich gebe nur der Köchin Bescheid, dass wir zu zweit sind.“

„Natürlich.“ Sein Lächeln ließ ihre Knie weich werden. Sobald er verschwunden war, sank sie auf die nächststehende Sonnenliege.

Der Ausblick war atemberaubend. Der riesige ovale Swimmingpool schien direkt in die Klippen gehauen zu sein – eine Illusion, natürlich, aber Resultat aufwendiger Planung und Konstruktion, wie nur die sehr, sehr Reichen es sich leisten konnten. Die Bougainvillea als Rahmen des Bildes jedoch war von der Natur beigesteuert worden.

Dario kehrte zurück, einen Eiskübel mit einer Flasche Champagner und zwei feinen Kristallflöten in der Hand. Er goss Champagner ein und reichte Maeve ein Glas, um mit ihr anzustoßen. „Salute!“

Salute! Danke für alles, was du getan hast.“

„Wie hätte ich es nicht tun sollen, Maeve? Ich bin dein Mann.“

„Richtig. Nun, was das betrifft …“

„Entspann dich, cara“, meinte er leise. „Ich habe das nicht gesagt, um meine ehelichen Rechte einzufordern.“

„Oh.“ Zusammen mit dem Champagner schluckte sie auch so etwas wie Enttäuschung hinunter. Nicht, dass sie es gar nicht abwarten konnte, mit einem Mann zu schlafen, den sie nicht kannte. Aber er schien sie sehr gut zu kennen, und dass er sosehr auf Distanz blieb, war nicht unbedingt schmeichelhaft. Andererseits … was hatte sie erwartet? „Unter den gegebenen Umständen ist es wohl verständlich.“

Er blickte sie scharf an. „Was meinst du?“

„Ich erinnere mich vielleicht nicht an unsere Hochzeit, aber ich bin nicht blind. Ich sehe aus wie eine Vogelscheuche.“

„Du musst dich von einem Unfall erholen, bei dem du fast das Leben verloren hättest. Du kannst nicht erwarten, dass du aussiehst wie vorher.“

„Trotzdem. Mein Haar …“ Unzufrieden zupfte sie an den kurzen Strähnen.

Er griff nach ihrer Hand. Eine Geste, die ein Vater machen würde, um sein Kind davon abzuhalten, an einer verheilenden Schürfwunde zu kratzen. Doch so harmlos es auch hatte sein sollen … seine Berührung jagte einen Stromstoß durch ihren Körper, elektrisierte sie an Stellen, die man in der Öffentlichkeit nicht laut erwähnte. Unwillkürlich presste Maeve ihre Knie zusammen wie eine Jungfrau zur Verteidigung ihrer Unschuld.

Nur gut, dass er ihre Gedanken nicht erraten konnte. Oder vielleicht konnte er es doch, denn er ließ ihre Hand los.

„Du hast wunderschönes Haar. Es erinnert mich an die Sonne, wenn sie auf Satin fällt.“

„Es ist zu kurz.“

„Es gefällt mir. So sieht man mehr von deinem schönen Gesicht. Du bist schön, auch wenn dir das im Moment vielleicht anders vorkommt.“

Selbst wenn er das Kompliment so nüchtern wie ein Preisrichter bei einer Hundeausstellung vorgebracht hatte, es war mehr, als sie erhofft oder verdient hatte.

Nach ihrem Bad war sie in den Ankleideraum gegangen, um etwas zum Anziehen für sich zu suchen. Die Auswahl war wahrlich groß genug. Unterwäsche und Dessous lagen fein säuberlich in Kommoden geordnet, in den Schränken fand sie luftige Sommerkleider, Röcke und Tops, dazu zwei oder drei elegante Dinneroutfits, Unmassen an Sandalen und Sandaletten sowie Strohhüte. Nichts übertrieben Formelles, aber alles erlesene Qualität, extravagant und teuer.

Sie hatte sich für solide Unterwäsche aus Baumwolle und den fließenden dunkelvioletten Kaftan entschieden, weil dieser ihrer abgemagerten Figur noch am ehesten schmeichelte. Was sie im Spiegel sah, gab ihr zumindest den Mut, Dario im Haus zu suchen, doch jetzt, unter seinem prüfenden Blick, wand sie sich.

„Du bringst mich in Verlegenheit“, murmelte sie.

„Aber wieso? Du bist bezaubernd. Ich werde kaum der erste Mann sein, der dir das sagt.“

„Nein, mein Vater hat’s auch immer gesagt. Aber er war parteiisch. In Wahrheit war ich das hässliche Entlein, vor allem als Teenager.“

„Das glaube ich unbesehen.“

Ihr stand der Mund offen. „So?“

„Natürlich. Wie sonst hättest du dich in einen so eleganten Schwan verwandeln können?“

Er lachte, und plötzlich fiel sie in sein Lachen mit ein. Es war so lange her, seit sie gelacht hatte. Es bewirkte etwas Erstaunliches. Es löste den harten Knoten in ihrem Innern, sie fühlte sich frei und unbeschwert, zum ersten Mal seit Wochen. „Danke. Es ist nett, dass du das sagst.“

„Du selbst bist dein unerbittlichster Kritiker, Maeve.“ Er strich leicht über ihre Hand. „Was hat dich dazu gemacht?“

„Ich würde annehmen, dass ich es dir bereits erzählt habe. Schließlich sind wir verheiratet.“

„Mag sein. Aber da wir von vorn anfangen … Erzähle es mir noch einmal.“

„Ich war schon immer schüchtern, doch in der Pubertät wurde es noch schlimmer. In einer Gruppe war ich immer regelrecht versteinert. Meine Eltern schickten mich auf eine Mädchenschule, als ich dreizehn war. Ich musste die wenigen Freunde, die ich hatte, zurücklassen und betrat eine Welt, in der ich der Außenseiter war.“

„Du hast keine neuen Freunde gefunden?“

„Nicht wirklich. Mädchen können als Teenager sehr grausam sein. Ich wurde nur geduldet oder komplett ignoriert. Ganz unschuldig daran war ich nicht, weil ich mich immer mehr zurückzog und nicht aufzufallen versuchte. Was nicht leicht ist, wenn man größer als alle anderen ist und schrecklich schlaksig. Das lange Haar wurde zu einer Art Besessenheit, weil ich mich dahinter verstecken konnte.“ Sie nippte an ihrem Glas und schaute auf das Meer hinaus. „Ich wünschte mir, so zu sein wie die anderen, offen, selbstsicher, kess, doch ich war eben ich. Eine graue Maus. Schulisch akzeptabel, aber gesellschaftlich langweilig und fad.“

„Und wann hat sich das geändert?“

„Woher willst du wissen, dass sich das geändert hat?“

„Das Mädchen, das du da beschreibst, hat nichts mit der Frau zu tun, die ich kenne.“

Nach außen hin vielleicht nicht. Aber es brauchte sie nur jemand an ihre alten Unsicherheiten zu erinnern, und schon wurde sie wieder zu dem linkischen jungen Mädchen.

„Maeve, was hat den Ausschlag gegeben?“, hakte er leise nach, als sie nicht antwortete.

Sie erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen. „In meinem letzten Jahr rief mich die Direktorin bei der Schulversammlung aufs Podium und forderte alle Schülerinnen auf, einen genauen Blick auf Maeve Montgomery zu werfen. Erst dachte ich, ich hätte irgendeine Regel gebrochen und würde jetzt an den Pranger gestellt. Ich kam schier um vor Angst. Um es mir nicht anmerken zu lassen, stand ich gerade wie ein Stock und starrte über die Köpfe im Saal hinweg, ohne auch nur zu blinzeln. Doch stattdessen setzte sie zu einer Lobrede an. Jede Schulabgängerin solle sich ein Beispiel an mir nehmen. Wenn eine ihrer Schülerinnen über die Straße ging oder an einer Bushaltestelle stand, dann wollte sie bei ihr die gleiche Haltung und Würde sehen.“

„Ich verstehe. Die Außenseiterin passte also doch ins Bild, und sogar sehr gut.“

„Vermutlich. Ich war sicher nicht das glänzende Vorbild, zu dem sie mich machte, aber ihr Lob gab mir erheblichen Auftrieb. Die älteren Jahrgänge betrachteten mich von da an mit einem ganz besonderen Respekt und die jüngeren geradezu mit Ehrfurcht.“

„Wichtig ist doch, wie hast du dich selbst gesehen, cara?“

„Mit anderen Augen.“ In jener Nacht hatte sie sich vor den Spiegel gestellt, etwas, das sie sonst immer vermieden hatte, und sah nicht mehr den schlaksigen Teenager, sondern eine Fremde mit langen Beinen, sanften Kurven, makellosen Zähnen und leuchtend blauen Augen.

Doch das sagte sie nicht laut, das hätte eingebildet geklungen. „Ich schwor mir, mich nie wieder für mich selbst zu schämen, sondern mich der Welt zu stellen und die Ideale zu ehren, die meine Eltern mir vermittelt hatten – Ehrlichkeit, Treue, Anständigkeit.“

„Nur halten nicht alle Menschen sich an ihre Schwüre.“

Sein bitterer Ton schockierte sie. „Ich maße mir nicht an, für andere zu sprechen, Dario, aber ich kann überzeugt sagen, dass ich immer mein Bestes gegeben habe, mich an meine Versprechen zu halten.“

Einen Moment lang starrte er sie mit steinerner Miene an, und als er sprach, klang seine Stimme so kalt wie die blitzenden Sterne am Himmel. „Sicher, Liebes. Es ist eine so schöne Nacht, dass ich das Dinner auf die Terrasse bestellt habe. Ich hoffe, es ist dir recht.“

„Natürlich. Aber ich mag es nicht, dass du so abrupt das Thema wechselst.“

Er zuckte nur gleichgültig mit einer Schulter. Doch das würde sie nicht durchgehen lassen. Sie war lange genug bei Schwestern und Ärzten gegen die Mauer des Schweigens angerannt. Von dem Mann, der behauptete, ihr Ehemann zu sein, würde sie das nicht hinnehmen.

„Ignorier mich nicht, Dario. Du hast angedeutet, dass ich lüge. Ich will wissen, wieso. Was habe ich getan, dass du mir nicht glaubst?“

Bevor er etwas erwidern konnte, kam die Haushälterin, um Bescheid zu geben, dass das Dinner serviert sei. Dario führte Maeve zum anderen Ende der Terrasse, wo unter einem Dachvorsprung ein Tisch mit Silber und Kristall gedeckt war. Kerzen schwammen in Schalen und sandten flackernde Schatten. Musik erklang leise aus verborgenen Lautsprechern. Der Duft der Nachtblüher hing in der Luft. Es war eine märchenhafte Szenerie, doch durch den Wortwechsel war die Atmosphäre noch immer angespannt.

Antonia trug das Essen auf, blieb aber in Hörweite stehen, was nur leichte Konversation möglich machte. Doch schließlich war das Essen vorbei, das Geschirr abgetragen und Antonia wieder im Haus.

Maeve fiel Dario ins Wort, der gerade die therapeutischen Vorzüge der heißen Quellen auf der Insel in den höchsten Tönen lobte. „Also, wir sind wieder allein. Du kannst jetzt aufhören, den Fremdenführer zu spielen. Bitte beantworte mir die Frage, die ich stellte, bevor wir unterbrochen wurden. Und sag nicht, ich solle es vergessen. Ich habe genug davon, dass die Leute nicht offen zu mir sind.“

„Es war nur eine Anmerkung.“ Der Wein in seinem Glas schien plötzlich interessanter zu sein als ihr Gesicht. „Ich habe zu viele Geschäftsleute getroffen, deren Handschlag nichts wert ist. Das hat mich ein wenig verbittert gemacht, fürchte ich.“

„Das ist schade.“

„Das ist es.“ Endlich schaute er sie an. „Ich entschuldige mich, Maeve, wenn ich dich beleidigt haben sollte. Das war nicht meine Absicht. Ich könnte durchaus verstehen, wenn du mir unter dem Tisch vors Schienbein treten würdest.“

Sein Lächeln kam zurück, so überwältigend wie zuvor. Sie genoss die Wärme, die es in ihr auslöste. „Ich vergebe dir … unter einer Bedingung. Bisher habe ich die meiste Zeit geredet, aber ich möchte mehr über dich erfahren.“

„Einverstanden.“

„Und ich würde gern einen kleinen Spaziergang machen, während ich dich ausfrage.“

„Bist du sicher, dass du Kraft dafür hast? Du bist gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen worden.“

„Solange ich nicht über die Klippen klettern oder einen Marathonlauf absolvieren muss, werde ich es schon schaffen.“

„Dann lass uns gehen.“

Er führte sie einen gepflasterten Pfad entlang, der sich durch mehrere voneinander abgetrennte Gärten wand.

„Wieso sind diese Gärten eingeschlossen?“ Sie fand die hohen Mauern beengend.

„Als Schutz vor dem Wind. Diese Zitronenbäume, zum Beispiel, würden den scirocco niemals überstehen.“

Vermutlich hatte sie das einmal gewusst, so wie auch die anderen tausend kleinen Details, die das Leben hier auf der Insel ausmachten. Das konnte vorerst warten. Zuerst musste sie den großen Rahmen für ihre Situation abstecken. „Ich sehe schon, ich habe viel zu lernen.“

D’accordo, dann lass uns anfangen. Wo soll ich beginnen?“

„Mit deiner Familie. Schließlich ist sie ja durch unsere Heirat auch meine Familie. Kommen sie manchmal her?“

„Ja.“

„Sind sie jetzt hier?“

„Ja.“

„Ich habe niemanden gesehen.“

„Sie leben auch nicht in meinem dammuso.“

„Dammuso?“

Sein Grinsen war selbst im Dunkeln zu erkennen. „Das Wort stammt aus dem Arabischen und bedeutet so viel wie Haus – oder genauer: ‚höhlenartige Konstruktion‘. Die Gebäude und die Baumethode sind auf ganz Pantelleria die gleichen.“

Nicht ganz, dachte sie. Die Häuser hier mochten alle Bogenfenster haben und Kuppeldächer, aber die meisten waren Welten entfernt von der luxuriösen Villa, in der er lebte. „Wo wohnen sie dann?“, fragte sie.

„Wir sind alle Nachbarn. Meine Schwester wohnt gleich nebenan, und meine Eltern neben ihr.“

„Und wenn ihr nicht auf der Insel seid?“

„Dann ist Mailand unser Wohn- und Firmenhauptsitz. Aber dort wohnen wir nicht so eng beieinander. Du und ich haben ein Penthouse, wie auch meine Eltern. Und meine Schwester lebt mit ihrem Mann in einer Villa am Stadtrand.“

„Du hast keine anderen Geschwister? Nur die eine Schwester?“

„Richtig.“

„Hat sie Kinder?“

„Ja. Aber ich möchte dich noch nicht mit Namen und Zahlen überlasten.“

„Einverstanden. Dann erzähle mir von diesem Firmenhauptsitz. Um was für ein Unternehmen handelt es sich genau?“

„Ein Familienbetrieb, von meinem Großvater in den Zwanzigerjahren gegründet. Nach dem Krieg wollte er es armen und verwaisten Kindern ermöglichen, auch die schönen Seiten des Lebens zu sehen und Ferien zu verbringen. Er hat klein hier in Italien angefangen, hat verwahrlostes Land günstig aufgekauft und Erholungsparks darauf gebaut. Um diese Ferienorte für Kinder aus armen Familien weiterhin verwirklichen zu können, hat er seine unternehmerischen Fähigkeiten dann auf lukrativere Projekte gerichtet und Golf-, Ski- und Strandressorts entwickelt. Ein Teil des Gewinns nutzte er für die von ihm gegründete Stiftung.“

„Er scheint ein sehr netter Mann gewesen zu sein. Ich wünschte, ich hätte ihn kennengelernt.“

„Ja, von dem, was erzählt wird, muss er ein feiner Mensch gewesen sein. Er starb in den frühen Sechzigerjahren. Heute ist CIR Internazionali ein überall auf der Welt bekannter Name und unterstützt inzwischen mehrere Kinderhilfsorganisationen.“

„Wo passt du ins Bild?“

„Ich bin Senior Vizepräsident neben meinem Vater, Firmenvorstand und CEO. Ich leite die europäischen und nordamerikanischen Operationen.“

„Also habe ich einen Wirtschaftsgiganten geheiratet.“

„Sieht so aus.“ Sie waren inzwischen bei der Steintreppe angekommen, die sie zu der dem Meer zugewandten Hausseite bringen würde. „Vorsicht, die Stufen sind ein wenig uneben“, warnte er und nahm ihre Hand.

Dieses Mal ließ er ihre Finger nicht bei der ersten Gelegenheit los. Das Schimmern der Lampen vom Haus war die einzige Lichtquelle, die dunkelblauen Mondschatten schufen eine seltsam isolierte Atmosphäre. Maeve hielt seine Hand fester.

„Fast so, als wären wir die einzigen beiden Menschen auf der Welt“, murmelte sie.

Dario nahm auch ihre andere Hand und zog sie zu sich heran. Zwar berührten sich ihre Körper nicht, dennoch war Maeve jäh von dem elektrisierenden Bewusstsein seiner Nähe erfüllt. Es hätte sie nicht verwundert, wenn plötzlich blaue Funken durch die Luft gesprungen wären. „Würde es dich beunruhigen, wenn wir es wären?“

„Nein.“ Sie hob ihm ihr Gesicht entgegen. „Ich kann mir niemanden denken, mit dem ich lieber zusammen wäre.“

Und er tat das, was sie sich schon seit dem Augenblick wünschte, seit sie ihn zum ersten Mal erblickt hatte – er beugte den Kopf und küsste sie. Nicht auf die Wange, wie er es vorher getan hatte, sondern auf den Mund. Nicht kühl und distanziert, sondern wie ein Mann, der von zurückgehaltener Leidenschaft verbrannt wurde.

Maeve schwankte, schloss die Augen, genoss jeden Sekundenbruchteil seiner Umarmung. Die aufflammende Leidenschaft war berauschender als Champagner. Und solange der Kuss dauerte, schwand die drückende Leere, die sich mit dem Betreten der Villa auf sie gelegt hatte.

Doch dann war es vorbei. Er hob den Kopf und hielt sie von sich ab. Sein Atem ging ebenso unregelmäßig wie ihrer. „Ich denke, für heute hast du genug erfahren“, murmelte er heiser.

„Noch nicht“, wisperte sie. Die Einsamkeit, die er hinterließ, stach wie tausend Nadeln in ihr Herz. „Eine Frage habe ich noch.“

„Welche?“

„Wenn wir so küssen können, Dario … wie kommt es dann, dass unsere Ehe nicht glücklich ist?“

4. KAPITEL

Nein, der gute Doktor Peruzzi wäre überhaupt nicht zufrieden. Ehrlich antworten, aber die Dinge nicht gewaltsam vorantreiben. In der Theorie hatte sich das relativ einfach angehört, doch in der Praxis erwies sich dieser Rat als Gang durch ein Minenfeld.

Sie zu küssen war auch keine sehr gute Idee gewesen, wie Dario klar wurde. Er war frustriert, angesichts vieler Dinge, die er gar nicht alle aufzählen konnte. Schmerzhaft erregt und halb verrückt vor Verlangen nach einer Frau, die ihn nicht erkennen würde, falls sie auf der Straße aneinander vorbeiliefen. Er war sicherlich nicht in der Verfassung, noch weitere ihrer scharfsinnigen Fragen zu beantworten.

Also versuchte er, Zeit zu schinden. „Wie kommst du darauf, dass unsere Ehe nicht glücklich ist?“

„Du hast es gesagt, weißt du nicht mehr?“

Hatte er, leider. Er wünschte, er hätte nachgedacht, bevor er den Mund aufgerissen hatte. Sie mochte einen großen Teil der Geschichte vergessen haben, aber ihr Verstand arbeitete auf Hochtouren. Er spürte ihren brennenden Blick, selbst in der Dunkelheit.

„Standen wir vor der Scheidung, Dario?“

War das der Fall gewesen? Nur sie kannte die Antwort. „Nein.“ Er hielt sich an die Fakten. Es gab keinen Antrag, kein Rechtsanwalt war damit beauftragt worden, finanzielle Angelegenheiten oder das Sorgerecht zu regeln.

„Was war dann das Problem?“

Er suchte krampfhaft nach einer ehrlichen Antwort, die nichts preisgab. „Alle Ehen machen manchmal holprige Zeiten durch.“

„Aber wir sind doch noch nicht lange verheiratet. Wir müssten praktisch noch in den Flitterwochen sein.“

Dannazione! Als Nächstes würde sie fragen, wo sie die Flitterwochen verbracht hatten. Peruzzi wäre nicht begeistert, wenn sie die Umstände ihrer Heirat erfuhr! „Nur weil ein paar Stolpersteine auf dem Weg lagen, musst du nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen. Für jede Enttäuschung gab es hundert glückliche Momente. Und für mich ist einer davon, dich wieder zu Hause zu haben.“

„Wenn dir so viel an mir liegt, warum hast du mich dann nicht im Krankenhaus besucht?“

„Ich habe dich besucht, Maeve. Nach dem Unfall habe ich wochenlang an deinem Bett gesessen und gebetet, dass du lebst. Nur hast du keine Erinnerung daran. Ich konnte nichts für dich tun.“

„Und als ich aus dem Koma aufwachte, warum bist du da nicht gekommen?“

„Weil die Ärzte davon abgeraten haben. Vor dir lag ein langer Weg bis zur Genesung, nichts sollte den Heilungsprozess stören.“

„Seit wann stört ein Besuch des Ehemannes den Heilungsprozess bei seiner Frau?“

„Wenn die Frau keinerlei Erinnerung an ihren Mann hat?“, konterte er.

„Oh.“ Sie kaute an ihrer Lippe. „Ja, vermutlich.“

Dario sah die Chance, das Gespräch endlich auf ungefährlicheres Gebiet zu lenken. „So schwer es auch für dich sein mag, Maeve, du musst dich gedulden. Peruzzi hat dringend davor gewarnt, dass du dich überforderst. Er wäre entsetzt, dass du an deinem ersten Tag aus dem Krankenhaus heraus bist und noch immer nicht schläfst.“

„Aber da ist doch noch so Vieles, das ich nicht weiß!“

Entschieden führte er sie ins Haus. „Und noch so viele Tage, um alles herauszufinden. Wir wollen keinen Rückfall riskieren.“

Offensichtlich hatte er das Zauberwort gefunden. „Himmel, nein!“ Sie erschauerte. „Das würde ich nicht durchstehen.“

„Dann wünsche ich dir jetzt eine gute Nacht.“ Er achtete auf genügend Abstand und küsste sie zart auf die Wange.

Doch plötzlich klammerte sie sich aufgewühlt an ihn. „Irgendwann werde ich mich an uns erinnern, nicht wahr?“

„Ja.“

„Versprochen?“

„Ich gebe dir mein Wort.“ Sanft machte er sich von ihr los. „Geh jetzt zu Bett. Wir sehen uns morgen früh.“

Sie träumte von zu Hause. Nur, dass es nicht mehr ihr Zuhause war. Jemand anders wohnte in ihrem Apartment, und sie stand am Grab ihrer Eltern, ihre gesamte Habe in Koffern und Kisten um sich herum.

„Ich gehe fort, für immer“, teilte sie ihren Eltern mit. „Ich werde euch immer im Herzen tragen.“

Die Blätter an den Bäumen raschelten. „Du darfst nicht gehen, du gehörst hierher.“

„Ich muss.“ Sie zeigte auf eine schemenhafte Gestalt in der Ferne. „Er braucht mich. Ich kann ihn rufen hören …“

„Nein.“ Die Äste bogen sich hinunter, wanden sich um sie, hielten sie gefangen. Die Blätter wollten sie ersticken …

Maeve schreckte aus dem Schlaf auf. Das Bettzeug hatte sich um sie gewickelt, sie war in Schweiß gebadet, und das Blut rauschte in ihren Ohren.

Die Sonne schien durchs Fenster. Verzweifelt versuchte sie an dem Traum festzuhalten. Sie war sicher, dass sie kurz davor gestanden hatte, sich zu erinnern. Doch die Wolken, die schon so lange ihr Gedächtnis umhüllten, bauschten sich wieder zusammen, verdeckten das Bild. Aber vielleicht morgen Nacht. Oder die Nacht danach …

Es klopfte an der Tür. Dario? Erwartungsvoll rappelte sie sich aus dem Bett auf und eilte in den Salon. „Moment!“, rief sie und fuhr sich mit den Fingern durch ihr Haar, auch wenn es nicht viel nützte.

Sie zog die Tür auf und stand nicht, wie erhofft, ihrem Mann gegenüber, sondern Antonia, die ein Tablett mit Kaffee und frischem Obst in den Händen hielt.

Die Haushälterin nickte mit einem freundlichen Lächeln und stellte das Tablett auf dem Tisch auf der Terrasse ab. Viel Englisch sprach sie nicht und ihr italienischer Dialekt war schwer verständlich, doch mit vielen Gesten vermittelte sie Maeve, dass der signore längst gefrühstückt habe und außer Haus sei, und dass er zum Lunch mit der signora zurückkehren würde.

Überrascht schaute Maeve auf die Messinguhr. Es war weit nach zehn. Da hatte sie den halben Vormittag schon verschlafen! Sie entließ die Haushälterin mit einem Dank und goss sich etwas Espresso in die Tasse, um sie dann mit der aufgeschäumten heißen Milch aus dem Kännchen aufzufüllen. Sie mochte sich nicht an das Luxusleben in dieser exklusiven Oase erinnern, aber sie wusste, dass sie keinen starken Kaffee mochte. Das Personal offensichtlich auch.

Das Koffein vertrieb die Reste des Schlafs und ließ sie von rastloser Energie erfüllt zurück. Die Kaffeetasse in der Hand, wanderte sie durch den eingeschlossenen Garten, steckte sich ab und an eine von den blauen Trauben oder eine Pfirsichscheibe in den Mund. Mit jedem Schritt tauchte eine neue Frage auf. Wohin war Dario gegangen? Was hatte ihr Traum zu bedeuten? Wieso verfolgten die Traumbilder sie noch immer? Was würde sie heute Neues erfahren? Wie lange noch, bevor sie sich erinnerte?

Die Sonne stach von einem wolkenlosen Himmel herab. Das Land, das sie am Horizont erkannte, musste Afrika sein. Linker- und rechterhand reckten sich mit Wein überwachsene Mauern empor, und direkt vor ihr, etwas tiefer gelegen, konnte sie den Swimmingpool einladend glitzern sehen.

Nun, warum sollte sie nicht schwimmen gehen? Das würde sie vielleicht von den quälenden Fragen ablenken. Und warum sollte sie einen Bikini anziehen, der ihr sowieso nur mit jeder Bewegung von der abgemagerten Figur rutschen würde? Sie war allein und von Mauern geschützt, niemand würde sie sehen.

Auf dem Servierwagen beim Haus fand sich ein Stapel mit Handtüchern. Maeve nahm sich eines der Badelaken, legte es am Poolrand ab und – bevor die eigene Courage sie verließ – zog sich das Nachthemd über den Kopf und tauchte mit einem Hechtsprung ins Wasser.

Es fühlte sich paradiesisch an, das Wasser strich wie kühler Satin über ihre Haut. Maeve schwamm Bahn um Bahn. Ausgelaugt von der ungewohnten Anstrengung, drehte sie sich schließlich auf den Rücken und ließ sich treiben. Es war ein wunderbares Gefühl von Freiheit und Wohlbehagen.

Wieso ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie nicht mehr allein war, hätte sie nicht sagen können. Vielleicht war es das Aufblitzen einer Sonnenbrille, das sie aus den Augenwinkeln erkannte, vielleicht fiel ihr auch das offen stehende Tor in der Mauer auf, das vorhin ganz sicher noch geschlossen gewesen war. Oder es lag an dem unangenehmen Prickeln, das ihr über den Rücken lief. Plötzlich schien die Luft kühler, so als hätte sich eine Wolke vor die Sonne geschoben. Das Warum war egal, nicht egal war jedoch, dass sie splitterfasernackt war.

Eiligst schwamm sie zu der Pooltreppe, blieb bis zum Hals unter Wasser, schlang die Arme um die angezogenen Beine und drückte sich in die Ecke.

„Für Schamhaftigkeit ist es jetzt wohl zu spät, meine Liebe“, erklärte die unerwartete Besucherin. Sie zog die Sonnenbrille auf die herrschaftliche Nase herunter und musterte Maeve unerbittlich. „Aber Anstand war noch nie deine Stärke, nicht wahr?“

„Ich … ich hatte niemanden erwartet“, stammelte Maeve. Sie wünschte, der Boden würde aus dem Pool herausbrechen und das Wasser sie mit hinaus in den Ozean schwemmen.

„Offensichtlich nicht.“

„Ich gehe davon aus, dass wir uns vorher schon begegnet sind?“

Die Frau seufzte. „Leider.“

„Ich verstehe.“ Wer immer diese Frau sein mochte, eine Freundin war sie nicht. „Ich fürchte, ich erinnere mich nicht.“

„Davon hat man mich schon zu überzeugen versucht.“ Noch ein Seufzer, länger, schwerer. „Ich wünschte, mir erginge es ebenso. Leider ist das nicht der Fall. Ich erinnere mich nur allzu gut.“

„Und Sie mögen mich nicht. Darf ich nach dem Grund fragen?“

„Du gehörst nicht zu uns. Wirst es nie. Warum mein Sohn auch nur einen zweiten Blick auf dich verschwendet hat, wird mir auf ewig unverständlich bleiben.“

Diese Frau war ihre Schwiegermutter?!

Die peinliche Würdelosigkeit dieses Zusammentreffens weckte alte, nur allzu bekannte Ängste in Maeve. Sie krochen kalt über ihre Haut. „Ungeachtet dessen, was Sie über mich denken mögen … würden Sie mir bitte dennoch das Handtuch geben?“, bat sie wie betäubt.

Die Frau bedachte Maeve mit einem vernichtenden Blick, bevor sie das Badelaken mit der Spitze ihres eleganten Schuhs in Reichweite schob. Maeve breitete es wie einen Schirm um sich aus, während sie aus dem Wasser stieg, dann wickelte sie es sich fest um den Körper, sodass es sie von der Brust bis an die Knie bedeckte. Mit dem eleganten Aufzug ihrer Schwiegermutter konnte sie sicher nicht mithalten, doch immerhin war sie nun bedeckt.

Maeve kratzte die Reste ihres Stolzes zusammen und sah der Besucherin in die Augen. „Ich bedaure, dass unser Wiedersehen unter solch peinlichen Umständen erfolgt. Um eine Wiederholung zu vermeiden, würde ich Sie bitten, in Zukunft nicht mehr unangekündigt in meinem Privatquartier zu erscheinen.“

„In Zukunft wartest du, bis du in mein Haus eingeladen wirst, Mutter“, ertönte da eine eiskalte männliche Stimme vom offenen Gartentor her.

Na bestens! Als wäre sie nicht schon genug erniedrigt, tauchte ausgerechnet jetzt Dario auf, um ihren halbnackten Körper in all seiner mageren Herrlichkeit zu sehen!

Irgendwo hatte sie mal gelesen, dass Frauen mit Charakterstärke selbst in einer unmöglichen Situation Haltung wahrten und vor nichts davonliefen.

Maeve war gleich, was Frauen mit Charakterstärke taten. Sie ergriff die Flucht.

Mit hartem Griff fasste Dario seine Mutter beim Ellbogen und führte sie durch das Tor und außer Hörweite.

„Du bist verärgert“, setzte sie an, als er sie endlich losließ.

„Ärger beschreibt es nur unzureichend, Mutter“, presste er wütend hervor. „Was, zum Teufel, hast du hier zu suchen?“

„Ich versichere dir, meine Absichten waren völlig harmlos. Ich wollte nur Hallo sagen.“

„Harmlos, sicher! Du hast nicht das Recht, überhaupt hier aufzutauchen, nicht nach dem, was ich dir beschrieben habe. Was hast du dir dabei gedacht?“

„Dass ich sie vielleicht falsch beurteilt habe. Ich wollte ihr eine zweite Chance geben. Doch sie … Madre di Dio! Sie schwimmt nackt im Pool, stellt sich jedem schamlos zur Schau. Kannst du dir so etwas vorstellen?“

Nur zu gut. Hätte er sie hier gefunden, wäre er zu ihr in den Pool gestiegen. Er musste sich das Grinsen verkneifen. „Und was ist schlimm daran?“

„Jeder vom Personal hätte sie überraschen können. Was hätten die armen Leute dann tun sollen?“

„Das, was du auch hättest tun sollen, Mutter. Sich zurückziehen, so schnell und so diskret wie nur möglich.“

Sie strich sich über die makellose Frisur. „Nun, da ich keine Lust auf eine Wiederholung habe, werde ich sie auch nicht wieder stören.“

„Richtig.“ Er schob sie zu ihrem geparkten Auto. „So leid es mir tut, aber du zwingst mich zu diesem drastischen Schritt … Solange sich die Situation mit meiner Frau nicht völlig normalisiert hat, wirst du dich von meinem Grundstück fernhalten, Mutter.“

Durch die heruntergelassene Scheibe warf sie ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. „Ich verstehe.“

„Tust du das wirklich? Hast du überhaupt eine Vorstellung, welchen Schaden du hättest anrichten können, wenn du Sebastiano erwähnt hättest?“

„Ich würde ihr nie von Sebastiano erzählen. Wenn es nach mir ginge, würde sie ihre sieben Sachen zusammenpacken und niemals erfahren, dass sie dir einen Sohn geboren hat.“

Der Kies spritzte unter den Reifen auf, als sie davonbrauste.

Dario kehrte in den Gästeflügel zurück. Von Maeve war keine Spur zu sehen. Das Tor zu ihrem Garten war verschlossen, auf das Klopfen an ihrer Tür reagierte sie nicht. Er sah sie erst wieder, als er zum Lunch auf die Terrasse kam. Sie wartete bereits auf ihn, in einem luftigen Sommerkleid in schillernden Pinktönen. Sie wirkte darin wie ein graziler Schmetterling, jederzeit bereit, erschreckt davonzufliegen.

„Hübsches Kleid“, versuchte er die Atmosphäre zu lockern, „obwohl mir das Badelaken auch sehr gut gefiel.“

Sie lief rot an. „Diese Sache tut mir leid, Dario.“

„Wieso? Meine Mutter ist schließlich diejenige, die unangemeldet aufgetaucht ist.“

„Trotzdem … Ich hätte gern einen besseren Eindruck gemacht, anstatt den schlechten, den sie offensichtlich von mir hat, zu bestätigen. Was habe ich getan, dass sie mich nicht mag?“

„Du hast mich geheiratet.“ Er goss zwei Aperitifs ein. „Italienischen mammas fällt es immer schwer, die Ehefrauen ihrer Söhne zu akzeptieren. Wenn sie dich besser kennenlernt, wird sie ihre Meinung ändern.“

„Vielleicht, wenn wir eigene Kinder haben?“

Fast verschluckte er sich an dem Wermut. „Ja, vielleicht.“

Sie kaute an ihrer Lippe. „Ich habe letzte Nacht viel nachgedacht.“

Maeve dachte viel zu viel nach, für seinen Geschmack. „Über was?“

„Du erwähntest, dass du die nordamerikanische Seite des Familienunternehmens leitest. Schließt das Kanada mit ein?“

„Ja.“ Schon jetzt gefiel ihm die Richtung nicht, die dieses Gespräch nahm.

„Warst du auch in Vancouver? Haben wir uns dort kennengelernt?“

„Ich bin öfter in Vancouver, aber da haben wir uns nicht getroffen.“

„Sondern?“

Er zögerte. Keine zehn Minuten mit ihr, und schon ging es wieder durch das sprichwörtliche Minenfeld. „Du hast Urlaub gemacht. In Italien.“

„Allein?“

„Mit einer Freundin.“

„Wo?“

„In Portofino.“

„Und du warst auch dort in Urlaub?“

„Meine Jacht lag dort im Hafen vor Anker. Im Sommer verbrachte ich öfter die Wochenenden dort.“ Und hatte die Nacht mit Freunden durchgefeiert. Aber das brauchte sie nicht zu wissen.

„Ich auf deiner Jacht? Das kann ich mir nur schwer vorstellen. Wie bin ich dorthin gekommen?“

„Du warst nicht auf der Jacht, sondern im Casino.“ Er grinste, als die Zweifel auf ihrer Miene durch entrüstete Empörung ersetzt wurden. „Am Roulettetisch.“

„Das ist noch schwerer zu glauben. Ich war nie eine Spielerin.“

Nein, deshalb war es ja auch so leicht gewesen, sie vom Spieltisch wegzulocken und ihr genügend Champagner einzuflößen, um ihr die Hemmungen zu nehmen.

Lasterhaft, wie er zu jener Zeit noch gewesen war, hatte er sich gedacht, dass es Spaß machen müsste, einem so jungen hübschen Ding eine unvergessliche Nacht zu bereiten. Nur hatte er nicht damit gerechnet, sich für den Rest seines Lebens an sie gebunden wiederzufinden …

5. KAPITEL

Sie war ihm sofort aufgefallen. Mehr als eine Perlenkette und ein schlichtes trägerloses kleines Schwarzes war nicht nötig, um ihre Schönheit herauszustellen. Sie besaß die Haltung und Würde einer Herzogin. Doch es war die Gleichgültigkeit in ihrem blauen Blick, als dieser auf seinen traf, die sein Interesse weckte, viel mehr als ihre Eleganz. Er war es nicht gewohnt, vom anderen Geschlecht ignoriert zu werden.

Die Frau, mit der sie zusammen hier war, entsprach viel eher der stereotypen Touristin, die man in den Casinos fand – zu grell, zu viele Juwelen, zu laut.

„Halte meinen Platz frei“, girrte sie und klaubte die gewonnenen Chips zusammen. „Ich gehe mir nur schnell die Nase pudern.“

„Tun Frauen das wirklich?“ Er trat an den soeben frei gewordenen Platz an ihrer Seite.

Die Herzogin gönnte ihm nur einen überheblichen Blick. „Entschuldigung?“

„Pudern Frauen sich immer noch die Nase?“

„Ich weiß es nicht“, lautete die kühle Antwort. „Ich frage üblicherweise nicht. Dieser Platz ist übrigens besetzt.“

„Von Ihrer Freundin, ich weiß. Ich werde ihn freihalten, bis sie zurückkommt.“ Ein neues Spiel begann. „Setzen Sie nicht?“

„Nein, ich bin nur hier, um Pamela Gesellschaft zu leisten. Außerdem habe ich keine Chips.“

Er schob einen Stapel Chips vor sie hin. „Jetzt haben Sie welche.“

Sie krauste nur die Nase. „Das kann ich nicht annehmen. Ich kenne Sie nicht. Da könnte ja jeder kommen.“

Sowohl amüsiert wie auch leicht pikiert über ihren unfeinen Kommentar, stellte er sich so seriös wie nur möglich vor. „Mein Name ist Dario Costanzo. Jeder hier wird Ihnen bestätigen, dass ich ein achtbarer Mann bin.“

Ein Hauch Rot erschien auf ihren Wangen. „Ich wollte Sie nicht beleidigen. Dennoch kann ich das nicht annehmen. Ich kenne auch die Spielregeln gar nicht.“

„Ich könnte sie Ihnen beibringen.“

Maeve schob die Chips zu ihm zurück. „Nein, danke.“

Er betrachtete sie forschend. „Sie amüsieren sich nicht, oder?“

„Nein“, gab sie zu. „Das hier ist nichts für mich. Ich bin nur wegen meiner Freundin hier.“

„Was ist denn etwas für Sie?“

„Etwas, wo es ruhiger ist und nicht so viele Menschen sind.“

„Kommen Sie mit mir. Ich kenne da den perfekten Ort für Sie.“

Ihr Blick hätte jeden anderen Mann in Stein verwandelt. „Nein, danke.“

„Weil Sie noch immer vermuten, ich könnte der hiesige Axtmörder sein?“

Trotz aller Bemühungen ließ sich ein leichtes Lächeln nicht zurückhalten. „Der Gedanke ist mir gekommen, ja.“

„Dann gestatten Sie mir, Ihre Ängste zu beruhigen.“ Er winkte den Casino-Manager heran, den er schon seit Jahren kannte. „Frederico, wären Sie so nett und würden bei dieser jungen Dame für mich bürgen? Sie ist sich nicht sicher, ob sie mir trauen kann.“

Frederico, ein weißhaariger Mittfünfziger und die Verkörperung von gepflegter Eleganz und Seriosität, streckte unmerklich den Rücken durch. „Signor Costanzo ist einer unserer meistgeschätzten Kunden, signora. Ich kann Ihnen versichern, dass Sie sich in allerbester Gesellschaft befinden.“

Sie zuckte leicht zusammen, als hinter hier lautes Gelächter ertönte. „Ich muss zugeben, ich bin versucht, Ihr Angebot anzunehmen, doch ich kann Pamela nicht allein lassen.“

Im nächsten Augenblick machte er sie darauf aufmerksam, dass Pamela längst anderweitig Ablenkung gefunden hatte. Sie saß mit einem Mann zusammen am nächsten Spieltisch, der alt genug war, um ihr Vater zu sein.

„Sicher, geh nur“, sagte sie auch sofort und winkte mit der beringten Hand. „Wir sehen uns dann morgen. Für heute habe ich noch große Pläne.“

Die hatte Dario auch. Mehr und mehr fasziniert von der kühlen Distanziertheit seiner Herzogin, führte er sie in ein kleines intimes Restaurant, wo man ihm als häufigem Gast sofort einen ruhigen Tisch auf der von Lampions erleuchteten Terrasse zuwies.

„Besser?“, erkundigte er sich.

„Viel besser.“ Mit einem erleichterten Seufzer streifte sie die Pumps von den Füßen und wackelte mit den nackten Zehen.

Mit jeder Minute mehr bezaubert, löste er sich die Krawatte, öffnete den obersten Knopf seines Hemdes und ermunterte sie, von sich zu erzählen.

Er erfuhr, dass sie Maeve Montgomery hieß und aus Vancouver, Kanada, kam. Sie hatte das College abgeschlossen und als Verkaufsleiterin in einem Geschäft für Brautmoden gearbeitet, bis sie ihre wahre Berufung als persönliche Ausstatterin für Kunden mit viel Geld, aber wenig Sinn für Stil gefunden hatte. Sie schneiderte ihre Kleider selbst, hatte eine enge Beziehung zu ihren Eltern gehabt, die inzwischen beide verstorben waren, und war nur in Italien, weil sie in letzter Minute von Mrs. Elliott-Rhys, eine ihrer langjährigen zufriedenen Kundinnen, gebeten worden war, Pamela auf der Italienreise zu begleiten. „Die Begleiterin, mit der Pamela eigentlich fahren wollte, brach sich eine Woche vor der Abreise das Bein, und Mrs. Elliott-Rhys war nicht wohl bei dem Gedanken, ihre Tochter allein unterwegs zu wissen.“

Autor

Catherine Spencer

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