Julia Winterträume Band 8

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WIRD DIE LIEBE SIEGEN? von SANDRA MARTON
Endlich ist der ersehnte Tag gekommen! Catarina kann die strenge Klosterschule verlassen. Ganz überraschend wird sie von dem Multimillionär Jake Ramirez abgeholt. Er bittet sie, ihn umgehend nach New York zu begleiten. Dort will er möglichst schnell einen Ehemann für sie finden. Doch die erotische Spannung zwischen Catarina und dem attraktiven Jake ist so groß, dass sie weiß: Sie wird alle Heiratskandidaten, die er ihr vorstellt, ablehnen. Denn sie hat den Mann, der ihr den Zauber des Lebens und der Liebe zeigen soll, bereits getroffen ... Ein neuer Roman um die millionenschweren Ramirez-Brüder - auf der Suche nach dem Glück, das ihnen nur die Liebe schenken kann ...

ZAUBER DER WÜSTE von SUSAN MALLERY
In einer heißen Wüstennacht lässt Kayleen sich von Prinz As’ad zur Liebe verführen und ist überglücklich. Bis As’ad entdeckt, dass er ihr erster Mann ist, und ihr sofort einen Antrag macht. Nur aus Pflichtgefühl? Denn die magischen drei Worte sagt er nicht …

WILDROMANTISCHES WIEDERSEHEN von PENNY JORDAN
Sasha ist jung und schön, doch voller Angst - Angst vor der Rache des Mannes, den sie einmal so sehr liebte: Gabriel Calbrini, der nun als Vormund ihrer beiden kleinen Söhne wieder in ihr Leben tritt. Niemals hat Gabriel ihr verziehen, dass sie ihn damals verlassen hat - verlassen musste. Doch als sie sich nun am smaragdgrünen Meer an Sardiniens wildromantischer Küste wiedersehen, flammt erneut heiße Leidenschaft zwischen ihnen auf ...


  • Erscheinungstag 19.11.2013
  • Bandnummer 0008
  • ISBN / Artikelnummer 9783733702380
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sandra Marton, Susan Mallery, Penny Jordan

JULIA WINTERTRÄUME BAND 8

SANDRA MARTON

Wird die Liebe siegen?

Kaum aus der Klosterschule entlassen, entführt ein Fremder Catarina in das winterliche New York! Jake soll einen brasilianischen Mann für sie finden, nur dann erbt sie das väterliche Vermögen. Aber Catarina hat ihre Wahl beim ersten Blick in Jakes Augen getroffen: Sie will ihn! Wie soll sie ihm klarmachen, dass ihr Liebe wichtiger ist als alles Geld der Welt?

SUSAN MALLERY

Zauber der Wüste

Kayleen erliegt dem Zauber der Wüste – und dem des geheimnisvollen Prinzen aus 1001 Nacht! Klopfenden Herzens lässt sie sich von As’ad zärtlich in die Geheimnisse der Liebe einweihen. Sie ist glücklich in seinem Palast – bis sie plötzlich befürchten muss, dass As’ad nur eine Frau sucht, die ihm einen Thronfolger schenkt. Denn von Liebe spricht er nie …

PENNY JORDAN

Wildromantisches Wiedersehen

Entsetzt schnappt Sasha nach Luft: Im Gegenlicht der Sonne Sardiniens erkennt sie Gabriel. Den Mann, der ihr nicht verziehen hat, dass sie ihn verließ! Ängstlich geht sie auf ihn zu – und plötzlich wird ihre Begegnung zu einem wildromantischen Abenteuer: Sasha fühlt, dass sie Gabriel noch begehrt. Dabei weiß sie doch, dass er ihr niemals vergeben wird!

1. KAPITEL

Der Tag, an dem Jake Ramirez’ Leben auf den Kopf gestellt wurde, begann wie jeder andere.

Er stand um sechs Uhr auf, trank seine erste Tasse starken, schwarzen Kaffees, während er die New York Times überflog, die zweite, nachdem er sich geduscht und rasiert hatte. Kurz nach sieben nahm er, in grauem Anzug, weißem Hemd und mit dunkelblauer Krawatte, den Privatlift von seiner Maisonette-Wohnung auf der Fifth Avenue hinunter in die mit Marmor verkleidete Lobby.

Sein schwarzer Mercedes wartete auf ihn. Der Chauffeur stand schon lange in seinen Diensten und sollte es eigentlich besser wissen, als aus dem Wagen zu springen und dem Boss die Tür aufzuhalten; aber alte Gewohnheiten legte man nun mal nicht so leicht ab.

Jake war auf beiden Küstenseiten zu Hause, und man sagte über ihn, ihm gehöre die Hälfte aller Wolkenkratzer in Manhattan. Trotzdem waren die Leute, die für ihn arbeiteten, nicht seine Bediensteten.

„Morgen, Mr Ramirez.“

„Guten Morgen, Dario.“

Der Chauffeur reihte sich in den Verkehr ein. Wie jeden Morgen machte Jake für ein paar Minuten Small Talk mit dem Fahrer. Ob die Jets das Spiel am Sonntag wohl gewinnen würden? Hatte die älteste Tochter die Rolle in der Schulaufführung nun bekommen? Und dann, ebenfalls wie jeden Morgen, ließ Jake die Trennscheibe hochfahren, holte sein Handy hervor und begann seinen Arbeitstag.

Der erste Anruf galt seinem Büro. Er musste zu einem Frühstückstreffen an die Börse, aber er wollte sich kurz von seiner Assistentin auf den neuesten Stand bringen lassen. Belle war fast ein ebenso ausgeprägter Workaholic wie er. Gut möglich, dass sie schon an ihrem Schreibtisch saß.

Heute anscheinend jedoch nicht. Jake sprach eine Nachricht auf Band, während der Wagen weiter Richtung Zentrum fuhr. Das sparte Zeit. Und Zeit war von unschätzbarem Wert, wenn man ein Unternehmen in der Größe von „Ramirez Enterprises“ leitete.

Anrufe bei Leuten, mit denen er momentan zu tun hatte, folgten. Jake brauchte sich keine Notizen zu machen, er hatte ein unfehlbares Gedächtnis. Eine Zusicherung für den einen, eine Frage für den anderen, und dem Dritten teilte er mit, dass er Ende der Woche hinfliegen und sich persönlich um das Problem kümmern werde.

Das Handy klingelte, bevor er die nächste Nummer eintippen konnte. Jake überprüfte kurz das Display, bevor er den Anruf annahm.

„Guten Morgen, Belle.“

„Guten Morgen, Mr Ramirez. Ich wollte Sie nur daran erinnern, dass Miss Vickers heute Geburtstag hat.“

Mist. Jake schloss die Augen. Das hatte er komplett vergessen, trotz der Anspielungen, die Samantha ständig gemacht hatte – Anspielungen über Ringe mit großen einzelnen Diamanten, auch wenn er unmissverständlich klargemacht hatte, dass so etwas nicht zu seinem Plan gehörte.

„Stimmt. Nun, dann rufen Sie …“

„… beim Floristen an. Schon erledigt. Ich habe zwei Dutzend rote Rosen bestellt.“

„Gut. Und rufen Sie noch …“

„Tiffany’s wird am Mittag ein Saphirarmband liefern.“

„Saphire?“

„Miss Vickers’ Augen sind blau.“ Belle sagte das so nachdrücklich, dass Jake den Tadel in den knappen Worten hören konnte. Wäre es nicht nett, wenn er endlich mal auf solche Details achtete? Aber irgendwann sahen alle schönen Frauen gleich aus.

„Außerdem habe ich einen Tisch bestellt, im ‚Sebastian’s‘. Natürlich eine stille Nische im vorderen Teil.“

„Natürlich.“ Jake lächelte. „Und das haben Sie alles heute Morgen schon erledigt?“ Er warf einen Blick auf seine Uhr. „Ich hätte nicht gedacht, dass irgendjemand zu dieser Stunde schon zu erreichen ist.“

„Für Sie sind alle zu erreichen“, gab Belle trocken zurück. „Für den Fall, dass Ihnen das ‚Sebastian’s‘ nicht zusagt, habe ich eine zweite Reservierung im ‚Leonie’s‘ gebucht. Sagen Sie mir einfach, welches Restaurant Sie vorziehen, dann kann ich bei dem anderen gleich absagen.“

„Wie ist das ‚Sebastian’s‘?“

„Neu, in den Zeitungen gibt es noch keine Kritiken. Allerdings will man angeblich Madonna dort letzte Woche gesehen haben.“ Belle hielt kurz inne. „Das wird Miss Vickers sicher gefallen.“

Jetzt grinste Jake. War da nicht der Anflug von Missfallen in der Stimme seiner Assistentin zu hören? Er vermutete, Belle war nicht mit Samantha Vickers einverstanden. Seine Mutter übrigens auch nicht, auch wenn – oder gerade weil – sie Samantha im Fernsehen gesehen hatte: wie Sam die Frühjahrskollektion für „Emmeline Dessous“ auf dem Laufsteg präsentierte, nur spärlich bekleidet mit Strapsen, Spitzenunterwäsche und hohen Pfennigabsätzen, mit Schmollmund und einem Blick, der besagte, dass sie wild und nur zu zähmen war, wenn man über … eine lange Peitsche verfügte.

„In den Zeitungen wird dein Name ständig mit ihr in Verbindung gebracht, aber du hast sie mir nie vorgestellt“, hatte Sarah Reece ihm vorgehalten. „Diese Fernsehsendung war die einzige Möglichkeit, sie mir endlich einmal anzusehen.“

Er brachte seine Frauen grundsätzlich nicht mit in die Eigentumswohnung seiner Mutter. Aber das hatte Jake lieber für sich behalten.

„Dieser Aufzug, in dem Miss Vickers herumgelaufen ist …“ Ein zartes Rot hatte sich auf die Wangen seiner Mutter gestohlen, und Jake hatte sich zusammennehmen müssen, um nicht entnervt aufzustöhnen. Manchmal, so hatte er gedacht, war Sarah wirklich altmodisch, wie aus einer anderen Zeit. So züchtig und schamhaft. Er liebte sie dafür, aber er hatte keine Lust auf das gehabt, was unausweichlich nach diesem Satz folgen würde.

„Joaquim, es wird Zeit, dass du zur Ruhe kommt. All diese jungen Frauen, mit denen du ausgeht … Ich weiß, die Zeiten haben sich geändert, aber …“

„Aber du wünschst dir, ich würde mir endlich ein nettes Mädchen suchen.“

„Richtig.“

„Und heiraten.“

„Genau.“

„Ein Haus mit Kindern füllen, einen Hund anschaffen, den Porsche und den Mercedes gegen einen Kleintransporter und einen Familienkombi eintauschen und …“

„Jetzt machst du dich über mich lustig“, hatte seine Mutter ihn pikiert unterbrochen, und er hatte die Arme um sie gelegt und ihr versichert, dass das ganz bestimmt nicht seine Absicht sei und er eines Tages all diese Dinge tun würde.

Nur eben noch nicht jetzt.

Nicht, wenn es noch so viele Samanthas auf der Welt gab. Und vor allem nicht, wenn der Ausbau seines Imperiums das Wichtigste in seinem Leben war.

„Wenn Sie weder ins ‚Sebastian’s‘ noch ins ‚Leonie’s‘ wollen“, holte Belles Stimme ihn in die Gegenwart zurück, „kann ich auch bei diesem französischen Restaurant …“

„Nein, ‚Sebastian’s‘ hört sich gut an. Ach, Bellissima, was würde ich nur ohne Sie tun?“

„Sie würden wahrscheinlich wieder etwas verwechseln und in den Klatschspalten landen, weil Sie Rosen an eine Frau schicken, die Sie schon seit einem Monat nicht mehr gesehen haben.“

„Einmal“, protestierte Jake. „Das ist mir nur ein einziges Mal passiert.“

„Das reichte auch“, bekräftigte Belle mit der Selbstsicherheit einer Frau, die ihrem Boss zur Seite stand, seit er seine erste Million gemacht hatte. „Wie auch immer … Nach dem Frühstückstreffen haben Sie einen Termin mit …“

„Ich weiß.“

„Und danach einen späten Lunch mit dem Bürgermeister in Gracie Mansion.“

„Belle“, warf Jake mit amüsierter Ungeduld ein, „habe ich jemals einen Geschäftstermin vergessen? Gibt es sonst noch etwas Neues?“

„Nein. Oh, warten Sie … Kelsey vom Empfang bringt gerade etwas.“

„Was ist es?“

„Ein großer, wattierter Umschlag. Sie sagt, er wurde persönlich abgeliefert.“

„Dann öffnen Sie ihn.“

„Habe ich schon. Da ist ein Brief, versiegelt, und …“

„Und parfümiert, was?“ Jake seufzte. Manche Frauen waren wirklich hartnäckig, auch wenn er seine Absichten – oder eher den Mangel derselben – immer von Anfang an klarstellte. „Werfen Sie ihn in den Papierkorb.“

„Nein, kein Parfüm. Um genau zu sein, der Brief sieht ziemlich offiziell aus. Teures Bütten, kein Absender. Aber dafür steht ‚persönlich/vertraulich‘ drauf. Und ein Poststempel aus Brasilien.“

Jake runzelte die Stirn. Wer würde ihm einen vertraulichen Brief aus Brasilien schicken? Er hatte mal geschäftlich in Argentinien zu tun gehabt, aber nie in Brasilien.

„Da ist noch etwas“, hörte er Belles Stimme durch die Muschel. „Ein weißes Kästchen, so, wie man es beim Juwelier erhält. Soll ich Brief und Kästchen öffnen, Mr Ramirez?“

Belle war schon seit langem bei ihm, und es gab nur wenig, was sie nicht von ihm wusste, aber hier warnte ihn ein Gefühl, sich vorerst zurückzuhalten. Er hatte sein Vermögen gemacht, indem er seinen Instinkten folgte. „Nein, lassen Sie nur. Legen Sie mir beides auf meinen Schreibtisch, ich kümmere mich später darum.“

Und ich werde wahrscheinlich herausfinden, dass dieser Brief nichts weiter als eine clever aufgemachte Reklame für irgendein Timesharing-Projekt in Rio ist, einschließlich eines kleinen Werbegeschenks, um die Sache interessanter zu gestalten, dachte Jake zynisch.

Manchmal war es wirklich lästig, Geld zu haben.

Der Tag verlief gut.

Der Börsenpräsident befürwortete Jakes Sitz im Vorstand, dem Bürgermeister gefiel die Idee einer Wohltätigkeitsgala zugunsten der Obdachlosen in der Stadt, und der Vertreter des arabischen Firmenkonglomerats hatte endlich dem Preis für das Gebäude auf der Park Avenue zugestimmt, das Jake kaufen wollte.

Samantha rief ihn zweimal an, das erste Mal, um ihm für die Blumen zu danken, das zweite Mal mit dem überschwänglichen Dank für das Armband und um ihm zu sagen, dass sie beide für das kommende Wochenende zu einer Party in Connecticut eingeladen waren.

„Ich muss erst in meinem Terminkalender nachsehen, ob ich frei bin“, dämpfte er ihre Begeisterung, obwohl er genau wusste, dass er am Wochenende nichts vorhatte. Er mochte diese privaten Partys einfach nicht. Zu viele Menschen, die sich anbiederten, weil sie etwas von ihm wollten. Aber Sam machten diese Partys Spaß. Und da sie erst seit drei Wochen zusammen waren, war es noch nicht die Last, ihr zu Gefallen zu sein, die es später unweigerlich werden würde.

Jake war Realist. Seine Kindheit auf den Straßen der Bronx hatte dafür gesorgt.

Dario setzte seinen Chef kurz vor sieben vor dem Bürogebäude ab. Jake war spät dran, aber er hatte es sich zur Regel gemacht, am Ende des Tages noch einmal im Büro vorbeizuschauen, wenn er in der Stadt war. Eine alte Angewohnheit, das Bedürfnis, noch einmal nachzusehen, ob auch nichts aufgetaucht war, was noch seines persönlichen Augenmerks bedurfte.

Alle waren längst gegangen, auch Belle. Jakes Schritte auf dem Marmorfußboden hallten durch das Foyer. Er ging am Empfangspult vorbei, über verschiedene Korridore, hin zu seinem eigenen Bereich. In seinem Büro – einem Raum, dreimal so groß wie das Apartment, in dem er aufgewachsen war – schaltete er das Licht ein und steuerte über den kostbaren Teppich auf seinen Schreibtisch zu.

Er überflog die Notizen, die Belle ihm hingelegt hatte, kritzelte einige Anmerkungen an den Rand, dann rief er Sam an, um ihr Bescheid zu geben, dass er sich verspäten würde. Sein Blick fiel auf den Büttenumschlag und das weiße Kästchen, das darauf stand. Bei dem geschäftigen Tag heute hatte er überhaupt nicht mehr daran gedacht.

Er nahm das Etui zur Hand. Was wohl darin sein mochte? Ein amüsiertes Lächeln zuckte um seine Lippen. Er erhielt häufig unerwünschte Geschenke von cleveren Marketingleuten, angefangen beim ledergebundenen Terminplaner bis hin zum Siegelring aus Sterlingsilber. Das hier sah nach einem Ring aus, für eine Kladde war die Schachtel zu klein.

Jake stellte sie wieder ab und nahm den Brief zur Hand. Die Worte „persönlich/vertraulich“ prangten groß auf dem Papier, wie Belle schon gesagt hatte, zusammen mit dem brasilianischen Poststempel. Er hob den Umschlag an die Nase und roch. Auch hier hatte Belle recht gehabt – nicht die Spur von Parfüm, außer, so dachte er leicht boshaft, ein Hauch von Selbstherrlichkeit.

Was Timesharing-Angebote anbelangte, so spielten die hier ganz bestimmt in der Oberliga mit.

Er ritzte den Umschlag mit einem Brieföffner auf und zog ein einzelnes Blatt hervor. Der Briefkopf lautete auf „Estes & Kompagnons, Rechtsanwälte, Rio de Janeiro“, der Brief selbst war in Englisch geschrieben.

Sehr geehrter Mr Ramirez,

mein Name ist Javier Estes, ich bin Seniorpartner der Rechtsanwaltskanzlei Estes & Kompagnons …

Wenige gelesene Zeilen später sank Jake auf seinen Schreibtischstuhl. Der Raum um ihn herum schien plötzlich zu schrumpfen, es schien keine Luft mehr zum Atmen zu geben.

Alles, was er bisher geglaubt hatte, war unwahr. Der Vater, den er verehrt hatte, hatte nie existiert.

Er war nicht der Sohn eines armen lateinamerikanischen jungen Mannes, der bei den Befreiungskämpfen im südamerikanischen Dschungel als Held ums Leben gekommen war. Laut diesem Schreiben war Jake der Sohn eines reichen Brasilianers, der erst vor kurzem in seinem Bett gestorben war.

Die Worte des Anwalts deckten eine unerhörte Geschichte auf: Vor einunddreißig Jahren, während eines Aufenthalts in New York, hatte Enrique Ramirez eine kurze Affäre mit Sarah Reece gehabt. Sie war schwanger geworden, er nach Brasilien zurückgekehrt. Und er hatte sich nie wieder bei ihr gemeldet.

Jake war das Resultat dieser Liaison.

Da gab es noch mehr und andere Dinge, so unfassbar, dass sie einem den Atem raubten, aber damit konnte Jake sich im Moment nicht befassen. Es war einfach zu viel. Stattdessen las er noch einmal den Absatz, der aus allem, was seine Mutter ihm erzählt hatte, eine Lüge machte.

In seinen letzten Lebensmonaten hat mein Klient viel über seine Jugendsünden nachgedacht und sie ernsthaft bereut. Er suchte nach Möglichkeiten, um den Schaden, den er angerichtet hatte, wiedergutzumachen. Seinem Wunsch Folge leistend, lege ich ein kleines Zeichen seiner Wertschätzung für Ihre Mutter bei. Bitte leiten Sie es im Namen von Senhor Ramirez an sie weiter.

Jake schloss die Faust um das ungeöffnete Etui, zerdrückte es fast. Zwanzig Minuten später schritt er mit grimmiger Miene und zusammengepressten Lippen durch die Empfangslobby des Apartmenthauses am Sutton Place, wo seine Mutter wohnte. Der Portier setzte zu einer Begrüßung an, doch Jake schnitt ihm barsch das Wort ab.

„Melden Sie mich nicht an.“

Er hatte den Schlüssel zur Wohnung seiner Mutter, doch er benutzte ihn nicht. Stattdessen drückte er den Klingelknopf so heftig, dass er ihn fast aus dem Türpfosten geschoben hätte. Er sah das Auge im Spion, dann ging die Tür auf.

„Joaquim“, begrüßte ihn seine Mutter herzlich. Doch das Lächeln schwand schnell. „Was ist passiert?“

„Erklär du es mir, Mutter“, antwortete er schneidend. Mit einem Schritt war er in der Diele, schob die Tür zu und hielt seiner Mutter den Umschlag hin. Das leise Nachluftschnappen, als sie die brasilianische Briefmarke erkannte, entging ihm nicht. „Lies!“, verlangte er.

Sarah nickte nur stumm. Sie zitterte jetzt am ganzen Körper. Wer schrieb ihrem Sohn aus Brasilien? Und wer schrieb etwas, das ihren Sohn so wütend machte?

Wer? fragte sie sich immer noch, als sie ihr lang gehütetes Geheimnis in schwarzen Lettern auf weißem Bütten aufgedeckt sah.

Sie las. Sah auf, suchte verzweifelt nach Worten. Nach Worten, die die Wut und das Leid in den Augen ihres Jungen mildern könnten.

„Joaquim, das ist alles so lange her …“

Jake drückte ihr brüsk die weiße Schachtel in die Hand. „Hier, das ist für dich.“

Sarah starrte auf das Etui. „Ich … ich kann mir nicht denken … Joaquim, bitte, du musst mir zuhören …“

„Öffne es!“

Sie tat es. Ein Smaragdring blitzte ihr entgegen, der Stein so kalt wie ihr Herz. Eine Karte lag anbei.

Für Sarah, meine wunderschöne sanfte Taube.

Sarah Reece sah zu ihrem Sohn hoch, dann fiel sie in Ohnmacht.

Als sie wieder zu Bewusstsein kam, lag Sarah auf dem Sofa, einen kalten Waschlappen auf der Stirn. Joaquim hockte neben ihr.

„Geht es dir besser?“ Sein Ton war immer noch eisig, aber in seinen Augen lag jetzt die Sorge um seine Mutter.

Sarah nickte. „Ja, etwas.“ Sie nahm die Hand, die er ihr hinhielt, als sie sich aufsetzte. Nicht, weil sie die Hilfe brauchte, sondern weil sie Angst hatte, ihren Sohn zu verlieren.

„Also ist es wahr.“ Ein Muskel zuckte in seinem Gesicht.

Sie schluckte hart. „Ja.“

„Mein Vater war kein Soldat.“

„Nein.“

„Er ist auch nicht den Heldentod gestorben.“

„Nein“, antwortete Sarah mit schwacher Stimme.

Er verzog abfällig den Mund. „Und es war mit Sicherheit auch keine herzzerreißend romantische Liebesgeschichte, die der Krieg beendete.“

„Ich war jung. Viel zu jung. Ich bin in einem sehr strengen Haus groß geworden und wusste nichts von der Welt. Mir ist klar, wie schwierig es für dich sein muss, aber versuche zu verstehen, Joaquim …“

„Nenn mich nicht so“, fuhr er sie an. „Mein Name ist Jake. Ich bin Amerikaner, kein Brasilianer.“

„Jake.“ Der Name hinterließ einen schalen Nachgeschmack auf Sarahs Zunge. „Mein Sohn, bitte … Ich traf deinen Vater …“

„Sag Enrique. Oder Ramirez. Aber bezeichne ihn nie wieder als meinen Vater.“

„… ich arbeitete in einem Geschäft als Verkäuferin. Er betrat den Laden und wollte etwas kaufen. Er sah so gut aus, er war so charmant, und ich …“

„Du hast mit ihm geschlafen“, fiel Jake ihr kalt ins Wort. „Und dann hat er dich sitzen lassen, als er erfuhr, dass du mit seinem Bankert schwanger warst.“

„Nein!“ Sarah sprang auf. „Er hat es nicht gewusst.“

„Warum? Warum hast du es ihm nicht gesagt?“

Sarah sah den Hoffnungsfunken in Jakes Augen. Sie wusste, was er zu hören hoffte: irgendetwas Romantisches, in der Richtung, dass sie Enrique nicht mit der Wahrheit belasten wollte. Aber sie hatte lange genug gelogen. Sie hatte ja selbst an diese Lüge geglaubt.

„Als ich feststellte, dass ich schwanger war, war dein … war Enrique längst fort“, sagte sie leise.

„Und du hattest keine Möglichkeit, ihn zu kontaktieren“, schloss er bitter.

„Nein, keine. Alles, was mir von ihm blieb, warst du, Joaqu … Jake. Und ich liebe dich von ganzem Herzen.“

„Du hast mich belogen“, erwiderte er tonlos. „Mein ganzes Leben ist auf einer einzigen Lüge aufgebaut. All dieser Unsinn über ‚das Andenken meines alten Herrn ehren, der glorreiche Held …‘“

„Hättest du lieber die Wahrheit gehört?“

Damit hatte sie nicht unrecht, aber Jake war im Moment nicht dazu bereit, solche Eingeständnisse zu machen. „Du hättest nicht dieses ganze Drumherum erfinden müssen.“

„Zuerst reichte es aus, dich denken zu lassen, dein Vater sei tot. Aber dann änderte sich alles. Du warst siebzehn, warst mit den falschen Leuten zusammen. Rutschtest immer tiefer in Schwierigkeiten, kamst auf die schiefe Bahn.“ Ihre Stimme nahm einen ärgerlichen Klang an. „Ich habe getan, was ich tun musste, um dich vor dem Gefängnis zu bewahren.“

Jake betrachtete seine Mutter. In den letzten Minuten schien sie um Jahre gealtert.

„Ich tat, was ich für das Beste hielt.“

In seinem Herzen wusste er, dass sie recht hatte. Richtig oder falsch, sie hatte es für ihn getan. Mit siebzehn hatte er sich keinen Deut um etwas geschert. Er hasste die Schule, hasste die Slums, in denen sie lebten, hasste die trostlose Zukunft, die allen bevorstand, die er kannte.

Er hatte sich einen Cadillac „ausgeliehen“, war in der Gegend herumgefahren. Um seine Freunde zu beeindrucken? Um sich selbst zu beeindrucken? Bis heute kannte er die Antwort nicht. Er wusste nur, dass seine Mutter Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hatte nach dem Tag, an dem man ihn gefasst hatte.

Erst hatte sie einen Richter mit strenger Miene davon abgebracht, Jake in die Jugendstrafanstalt zu schicken, mit einer Geschichte, die Steine erweicht hätte – von einem jungen Paar, einander in inniger Liebe zugetan, und von einem Soldaten, kaum mehr als ein Junge, der auf fremdem Boden sein Leben geopfert und deshalb seinen Sohn nie gesehen habe.

Dann hatte sie Jake bearbeitet, seine Intelligenz einzusetzen, um Universitätsstipendien zu ergattern, anstatt Pläne auszuknobeln, die ihn immer tiefer in Schwierigkeiten brachten.

„Wenn du es nicht für dich selbst tun willst, dann tue es, um das Andenken deines Vaters zu ehren“, hatte sie zu ihm gesagt.

Jetzt musterte Jake seine Mutter, sah sie, wie sie damals gewesen sein musste. Jung, unschuldig, hingerissen von dem gut aussehenden Brasilianer mit viel Geld und nur wenig Moral, falls der Rest des Briefes ebenfalls die Wahrheit beschrieb.

Der Rest des Briefs.

„Jake?“

Er drückte ihre Hand. Im Moment konnte er sich zu mehr nicht durchringen.

„Ich habe heute Morgen gebacken.“ Ein vorsichtiges Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Den Apfelkuchen, den du so gerne magst. Es sei denn, du hast heute Abend noch etwas vor …“

In einer halben Stunde sollte er bei Samantha sein, aber sie, die pulsierende Stadt, das Leben, das er sich geschaffen hatte, schienen jetzt Lichtjahre entfernt.

„Nein“, sagte er, „ich habe nichts vor.“ Er räusperte sich. „Für deinen Apfelkuchen habe ich immer Zeit, Mama.“

Er lächelte, bis Sarah aus dem Zimmer gegangen war. Dann nahm er den Brief auf und setzte sich damit aufs Sofa.

Der zweite Absatz war fast so schockierend wie der erste.

Angeblich war Enrique Ramirez’ Flirt mit Sarah Reece nicht die einzige Affäre, die nicht ohne Folgen geblieben war. Ramirez hatte zwei weitere uneheliche Söhne gezeugt. Noch zwei Bankerte, dachte Jake kalt. Und jetzt sollte das Ramirez-Vermögen unter den dreien aufgeteilt werden.

„Als ob ich von diesem Dreckskerl auch nur einen Penny annehmen würde“, stieß Jake zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Sollten Sie die anderen beiden Männer kennenlernen wollen, so hieß es weiter in dem Brief, hat Senhor Ramirez eine Bedingung in seinem Testament festgehalten, die vorab zu erfüllen ist.

Eine Bedingung? Jake sprang auf. Wenn dieser Ramirez noch lebte, würde Jake jetzt nach Rio fliegen und ihm zeigen, was er mit seiner Bedingung machen konnte!

Jake las weiter. Ramirez musste wohl Vormund für ein brasi­lianisches Kind gewesen sein. Wollte Jake die Identität der anderen beiden Erben erfahren, so musste er an Ramirez’ statt diese Vormundschaft weiterführen. Details würden ihm schriftlich mitgeteilt werden, falls er Interesse bekundete.

„Interesse?“ Jake schnaufte verächtlich. Klar. Das war genau das, was er brauchte – Aufpasser spielen für irgend so ein Gör am anderen Ende der Welt!

Jake warf das Schreiben achtlos beiseite. Zur Hölle mit dem Schuft, der ihn gezeugt hatte. Zur Hölle mit Konditionen von einem Kerl, der schon unter der Erde lag und der sich jemals weder um ihn noch um seine Mutter gekümmert hatte.

Und zur Hölle damit, dass er nie die Namen seiner Halbbrüder erfahren würde. Denn das waren sie – seine Halbbrüder. Die einzigen anderen Menschen auf der Welt außer seiner Mutter, die durch Blutsbande mit ihm verbunden waren.

Jake starrte auf den Brief. Dann fluchte er, hob ihn auf, faltete ihn zusammen und steckte ihn sich in die Tasche.

Beim Aufbau seines Imperiums hatte er eines schnell begriffen: Es war immer unklug, Entscheidungen zu treffen, wenn man wütend war, und zudem wahrhaft dumm, ohne vorher nicht so viele Informationen wie möglich eingeholt zu haben.

„Der Kaffee ist fertig, Joaquim.“

Er würde erst mal bei diesem Javier Estes anrufen. Oder vielleicht würde er auch direkt nach Rio fliegen und persönlich bei diesem Mann auftauchen. Ja, das wäre wohl das Beste. Ein Treffen von Angesicht zu Angesicht.

„Joaquim?“

„Ich komme“, rief er.

Oh ja, dachte er, ich bin praktisch schon unterwegs.

2. KAPITEL

Laut Informationsbroschüre lag die Escola para Senhoritas Novas eingebettet zwischen den Bergen, nur wenige Kilometer entfernt von der Stadt.

Die Schule liegt im Einzugsbereich von Rio de Janeiro, sodass die jungen Damen das kulturelle Angebot der Stadt wahrnehmen können, und doch in gebührender Distanz, um nicht den Verlockungen anheimzufallen.

Die Wahrheit war, dass die „Schule für junge Damen“, geführt vom Orden der „Schwestern der Berge“ genauso gut auf dem Mars hätte sein können. Zweimal im Jahr führten die Nonnen die Mädchen in die Oper ins Teatro Municipal – aber nur diejenigen, die keinen Tadel auf ihrem Zeugnis stehen hatten. Ansonsten zeigte nichts, was in Rio oder in der „wahren Welt“, wie die Mädchen es nannten, passierte, irgendeinen Einfluss auf die Schule.

Der Tag begann um sechs Uhr morgens und endete um halb neun abends. Dann wurden die Lichter in den Schlafsälen gelöscht. Selbst den älteren Mädchen, so wie Catarina, die in eigenen Zimmern schliefen – wenn man knappe zehn Quadratmeter mit vier Betten denn ein eigenes Zimmer nennen wollte –, war es verboten, nach neun Uhr noch Licht anzulassen.

Mutter Elisabete sagte immer, dass noch nie etwas Gutes zu später Stunde entstanden sei.

Allerdings hatte sie noch nie erklärt, welche Wohltaten von der Morgenstund zu erwarten seien.

Catarina war klar, warum hier ein so strenges Regiment herrschte. Die Mädchen der Klosterschule stammten alle aus sehr wohlhabenden Familien. Das reglementierte, ja karge Leben von Montag bis Freitag diente dazu, den Charakter zu formen und zu festigen.

Auf der Fensterbank neben ihrem Bett hockend, das Kinn auf die angezogenen Knie gestützt, blickte Catarina Elena Teresa Mendes hinaus in die Nacht und seufzte leise.

Das Problem war, dass Catarina dieses Leben sieben Tage die Woche führte. Bis auf die beiden Ausflüge pro Jahr in die Oper hatte sie die Schule in den acht Jahren, die sie jetzt hier war, nicht verlassen.

Man konnte nicht am Wochenende nach Hause zur Familie fahren, wenn man keine Familie hatte.

Die Nacht war warm und mild. Catarina hatte das Fenster einen Spaltbreit geöffnet – was ebenso gegen die Regeln verstieß wie die Tatsache, dass sie um diese Zeit noch nicht im Bett lag. Aber sie wollte den Duft der wilden Blumen riechen, die dort unten im Hof blühten. Nicht einmal Mutter Elisabete war es gelungen, diese Blüten loszuwerden. Der Gärtner rupfte das Kraut auf ihr Geheiß hin jede Woche aus, nur um es aufs Neue sprießen und blühen zu sehen.

Catarina war ziemlich sicher, dass der alte Gärtner sich absichtlich nicht besonders anstrengte. Einmal, als sie zufällig an ihm vorbeigegangen war und gesehen hatte, wie er einen Wurzelballen vorsichtig in ein Tuch wickelte, hatte er ihr zugezwinkert, so, als wolle er sagen, dass Mutter Elisabete zwar mächtig sei, aber nicht mächtig genug, um diese wunderschönen Blumen auszurotten.

Die Blumen hatten ein Recht zu blühen. Catarina auch. Unglücklicherweise gab es für Catarina niemanden wie den alten Gärtner, der darauf achtete, dass sie eine Chance bekam.

Sie hasste weder die Schule noch die Mädchen oder die Schwestern für ihren begrenzten Horizont. Sie empfand nicht einmal Hass für Mutter Elisabete. Schließlich erledigte die Mutter Oberin nur ihren Job.

Catarinas langes, kastanienbraunes Haar, nur aus dem fest geflochtenen und aufgesteckten Zopf befreit, wenn sie zu Bett ging, fiel ihr über den Rücken, als sie zum Himmel aufblickte. Heute Nacht schienen ihr die Sterne heller denn je.

Vielleicht wegen dem, was vor ihr lag.

Morgen wurde sie einundzwanzig. Allein bei dem Gedanken erzitterte Catarina vor Aufregung.

Nie wieder um Punkt neun Licht aus. Nie wieder Unterricht in nutzlosen Fächern wie „Blumenarrangements für die Dinnerparty“, unterbrochen von Niesanfällen beim Abstauben und Einsortieren der Aktenordner in Mutter Elisabetes Arbeitszimmer.

„Wenn wir einen Computer mit Scanner hätten, könnte ich alle Daten in wenigen Tagen auf Diskette ordnen“, hatte sie nach zwei Wochen dieser nicht zu bewältigenden Aufgabe angemerkt.

Wie dumm von ihr. Dumm, dumm, dumm. Mutter Elisabete hatte sie so entsetzt angestarrt, als hätte sie den Vorschlag gemacht, den Leibhaftigen zum Dinner einzuladen.

„Wir werden diesen modernen Verlockungen nicht erliegen, Miss Mendes. Und woher haben Sie überhaupt von solchen Dingen erfahren?“

Durch Zeitungen und Zeitschriften, die der Bote des Lebensmittelhändlers für sie in die Schule schmuggelte. Aber das konnte sie nicht zugeben. „Ich weiß es eben.“

Zur Strafe wurde sie zwei Wochen lang jeden Abend nach dem Essen auf ihr Zimmer geschickt – wie eine Zwölfjährige anstatt wie eine fast einundzwanzigjährige junge Frau.

Catarina seufzte. Warum in der Vergangenheit wühlen? Noch eine Nacht, dann hätte sie ihre Freiheit zurück, die man ihr mit dreizehn genommen hatte, als Vater und Mutter bei einem Bootsunglück ums Leben gekommen waren. Ein Großonkel, den sie gar nicht kannte, hatte die Vormundschaft übernommen und sie in diese Klosterschule gesteckt.

Sie war zu sehr in ihre Trauer versunken gewesen, um sich um irgendetwas anderes Gedanken zu machen. Dumpf hatte sie sich in die Schulroutine eingefügt. Hatte zugesehen, wie andere Mädchen achtzehn wurden, ihren Abschluss machten und die Schule verließen. Mit wachsender Erwartung hatte sie ihrem achtzehnten Geburtstag entgegengefiebert.

„Was wird dann passieren?“, hatte sie die Mutter Oberin gefragt. „Wird man mich abholen? Wird mein Großonkel kommen? Wohin werde ich gehen?“

„Dein Onkel wird an diesem Tag kommen, ja“, hatte Mutter Elisabete bestätigt. „Er wird dir alles erklären.“

Catarina war begeistert gewesen. Sie würde ihrem Onkel also zum zweiten Mal begegnen. Sicher würde er sie mit sich nehmen, wohin auch immer das sein mochte. Am Morgen ihres achtzehnten Geburtstags wartete sie zitternd vor Aufregung in Mutter Elisabetes Arbeitszimmer, als er am Gehstock hereingehinkt kam und sich schwerfällig auf einen Stuhl sinken ließ.

„Onkel“, hatte sie ihn höflich begrüßt, „ich freue mich sehr, dich zu sehen.“

Der alte Mann hatte die Hände über dem goldenen Knauf seines Stocks verschränkt und sie aufgeklärt, dass sie an ihrem einundzwanzigsten Geburtstag ein beträchtliches Erbe von ihren Eltern erhalten würde, so hatten sie es testamentarisch verfügt.

Aber bis dahin müsse sie weiter in der Klosterschule bleiben.

Die Neuigkeit hatte sie erschüttert. Ohne auf den strengen Blick von Mutter Elisabete zu achten, hatte Catarina argumentiert, dass das Volljährigkeitsalter auch in Brasilien auf achtzehn gesunken sei. Ihr Onkel stimmte dem zu, aber das Testament der Eltern sei nun mal lange vor diesem Zeitpunkt aufgesetzt worden. Außerdem hatten die beiden damit wohl sicherstellen wollen, dass sich im Falle ihres Todes keine skrupellosen Mitgiftjäger an eine zu junge, zu naive Erbin heranmachten.

Catarina wusste auch, dass es neue Gesetze gab, die eine Frau in einem solchen Falle schützten.

Auch das bestätigte der Onkel, sagte ihr aber im gleichen Atemzug, dass die Bedingungen im Testament nicht anzufechten seien. Natürlich bliebe ihr immer noch die Wahl, das Erbe abzulehnen.

Selbst mit achtzehn und abgeschieden aufgezogen vom Rest der Welt, war Catarina klar, dass Freiheit zum großen Teil auf finanzieller Unabhängigkeit beruhte, vor allem, wenn man eine Frau war.

Also hatte sie ihre Enttäuschung geschluckt und sich auf weitere drei Jahre in einer Schule eingerichtet, in der man kaum etwas lernte, was in der Welt draußen von Nutzen war.

Die Zeit schlich dahin, dann, vor ein paar Monaten, hatte Mutter Elisabete Catarina zu sich bestellt.

„Es ist eine Änderung eingetreten, Miss Mendes. Ich hielt es für das Beste, dass Sie es sich persönlich anhören.“

Ihr Puls beschleunigte sich. Hatte der Onkel vielleicht doch einen Weg gefunden, das Testament der Eltern zu umgehen? Es blieben nur noch wenige Monate, bis sie einundzwanzig wurde, aber selbst diese wenigen Monate erlassen zu bekommen, wäre ein großes Glück.

Ein weißhaariger älterer Herr wartete auf sie mit ernstem Gesicht. Er stellte sich als Javier Estes vor, Anwalt ihres Großonkels. Ihr Onkel sei verstorben.

Er hielt inne, und an dem mahnenden Blick von Mutter Oberin erkannte Catarina, dass man eine Reaktion von ihr erwartete. Also gab sie ihrer Trauer über den Tod eines alten Mannes Ausdruck, den sie zweimal in ihrem Leben gesehen hatte, während ihr Herz immer schneller schlug. Hieß das etwa, damit waren auch die Bedingungen des Testaments außer Kraft gesetzt?

Nein, das bedeutete es nicht. Javier Estes teilte ihr mit, dass sie nun unter der Obhut eines gewissen Enrique Ramirez stehe. Leider sei Senhor Ramirez zu alt und zu krank, um sie persönlich aufzusuchen.

Also nichts Neues, dachte Catarina, nickte aber nur höflich.

Im Auftrag von Senhor Ramirez versicherte der Anwalt ihr, dass sich für sie nichts ändern würde. Sie solle sich keine Sorgen machen, sie werde weiterhin im Kloster leben, bis sie einundzwanzig wurde …

Und danach blieben ihr zwei Monate, um einen brasilianischen Ehemann zu finden, den ihr Vormund guthieß. Dann endlich könne sie ihr Erbe antreten.

Catarina spürte, wie ihr alles Blut aus den Wangen wich. „Was?“

„Hatte Ihr Onkel das nicht erwähnt?“

„Nein. Und ich glaube es auch nicht. Das ist einfach unmöglich!“

Estes holte ein Dokument aus seiner Aktentasche hervor, setzte eine Brille auf und begann laut vorzulesen. Ungeachtet Mutter Elisabetes empörten Zischens riss Catarina dem Anwalt die Seiten aus der Hand und las selbst.

Es stimmte. Nicht nur musste sie einundzwanzig sein, sie musste auch einen Brasilianer heiraten, den ihr Vormund für geeignet hielt.

Catarina verlor die Beherrschung. Sie protestierte, sie schrie, sie schlug mit der Faust auf den Tisch. Estes zuckte nur die Schultern, Mutter Elisabete schickte sie herrisch auf ihr Zimmer.

Sie dachte daran fortzulaufen, aber sie hatte keinen einzigen Real in der Tasche. Außerdem, wenn sie wegrannte, verlor sie allen Anspruch auf ihr Erbe. Und das brauchte sie, um die Freiheit wiederzuerlangen, die man ihr gestohlen hatte.

Jetzt, endlich, war es so weit. Noch eine Nacht, und sie würde diesen Ort verlassen.

Bisher hatte sie nichts von Javier Estes gehört. Vielleicht meldete er sich ja überhaupt nicht. Vielleicht würde ihr Geburtstag kommen, und sie konnte diesen Ort als freie Frau verlassen. Keine Männer mehr, die ihr vorschrieben, wie sie ihr Leben zu leben hatte. Keine Mutter Elisabete mehr, die sich an einen Moralkodex aus dem Mittelalter hielt. Und vor allem keine Bedingung, sie müsse einen achtbaren brasilianischen Mann heiraten.

Schritte waren auf dem Gang zu hören. Catarina schloss das Fenster und schlüpfte ins Bett. Ein Gebet an die heilige Teresa, ihre Namenspatronin. Ein Stoßgebet, dass ihre Hoffnungen sich morgen erfüllten.

Die wilde Inbrunst in dem Gebet rührte von den O’Brien-Genen her. Denn Catarina war keine reine Brasilianerin. Ihre Mutter war eine gebürtige O’Brien, geboren und aufgewachsen in Boston. Die Nonnen hatten ihr Bestes getan, um Catarina das vergessen zu machen – es war ihnen nicht gelungen.

Ein geeigneter brasilianischer Ehemann? Niemals! Sie hatte keineswegs vor zu heiraten, schon gar nicht einen schrecklichen alten Mann. Denn nichts anderes bedeutete das Wort „geeignet“.

Jake war noch nie zuvor in Rio gewesen.

Natürlich hatte er sich informiert. Es war eine Weltmetropole voller Leben und Kontraste, aber im Gegensatz zu seinen Mitpassagieren in der ersten Klasse der American Airlines warf er einen Blick auf den Zuckerhut, sah noch eine Welle sich am Strand der Copacabana brechen, und damit war sein Interesse erloschen.

Um vier Uhr hatte er einen Termin mit Javier Estes, mehr kümmerte ihn nicht. Er würde sich die Namen seiner Halbbrüder geben lassen – wenn Enriques Testament nicht nur ein schlechter Scherz war –, und danach würde er sich sofort wieder auf den Heimweg machen.

Aus der Ankunftshalle zu treten, war ein Schock. Zu Hause in New York wartete man zähneklappernd auf den angekündigten Schneesturm, hier herrschten mindestens dreißig Grad. Die Sonne schien blendend grell.

Jake nahm sich ein Taxi ins Hotel, duschte, zog sich um und kippte zwei Tassen heißen, süßen brasilianischen Kaffees hinunter, in der Hoffnung, er möge der Zeitumstellung und der Hitze entgegenwirken, und machte sich sofort auf den Weg zur Kanzlei, um dem ehrenwerten Anwalt zu verdeutlichen, was er mit den Bedingungen seines verstorbenen Klienten machen konnte.

Estes’ Sekretärin führte ihn in das Zimmer des Anwalts. Der Wind wurde Jake etwas aus den Segeln genommen, als er Estes gegenüberstand. Es war schwer, einen Mann zusammenzustauchen, der alt genug war, der eigene Großvater zu sein. Schlimmer noch – Estes eröffnete das Gespräch damit, er könne verstehen, dass Jake wütend sei.

„Ich habe ihm abgeraten, diese Bedingungen in seinen Letzten Willen zu setzen, aber Ihr Vater war leider ein sehr starrsinniger Mann.“

„Er war nicht mein Vater“, bestritt Jake steif. „Nicht in dem Sinn, in dem es zählt.“

Estes zog eine Augenbraue hoch. „Manch andere würden es vielleicht als den einzigen Sinn ansehen, der zählt.“ Er hob abwehrend die Hand, bevor Jake etwas erwidern konnte. „Ich möchte sichergehen, dass Sie verstehen, welches Erbe er Ihnen hinterlassen hat. Ein Drittelanteil eines beträchtlichen Vermögens, und …“

„Ich will sein Geld nicht.“

„… und“, fuhr Estes fort, „einige persönliche Informationen.“

„Die Namen meiner Halbbrüder.“ Jake nickte. „Nur aus diesem Grund bin ich hier.“

„Dann muss ich Sie jetzt fragen, Senhor Ramirez, sind Sie gewillt, die Bedingungen des Testaments zu erfüllen?“

Jake lehnte sich in den Stuhl zurück. „Wenn Sie mich damit fragen, ob ich nach der Pfeife eines toten Mannes tanzen will … Nein.“

„Ich hatte befürchtet, dass Sie das sagen würden, Senhor. Nun, in diesem Falle ist unsere Unterredung beendet.“ Estes erhob sich. „Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Rückflug.“

„Ich bin nicht den ganzen Weg hierher gekommen, um die Flucht zu ergreifen und nach Hause zurückzukehren, Senhor Estes.“

„Aber Sie sagten doch gerade …“

„Ich will diese Informationen. Und wenn ich Sie vor Gericht zerren muss.“

„Die Dokumente sind absolut unanfechtbar.“ Estes lächelte. „Ich weiß es, ich habe sie schließlich selbst aufgesetzt.“

„Sagt Ihnen der Name José Marin etwas?“

„Natürlich. Er ist ein guter Anwalt.“

„Lassen Sie die Spielchen, Estes. Er ist der beste Anwalt in Rio. Er wird mich vertreten.“

„Er ist sehr teuer.“

„Und ich bin sehr reich.“

Estes lächelte leicht. „Und sehr dickköpfig, wie mir scheint. Genau wie Ihr Vater.“

„Er ist nicht mein …“

„Es wird Jahre dauern, Senhor, und Sie werden keinen Erfolg haben. Sie werden die Namen Ihrer Halbbrüder nie erfahren. Ich bedaure es, aber das war der Wunsch Ihres … meines Klienten.“

Jake funkelte den alten Mann erbost an. Estes hatte recht. Marin hatte ihm das bei dem einstündigen Telefonat am Tag zuvor auch gesagt.

Estes schien zu spüren, dass Jake schwach wurde. „Wie schwierig kann es denn sein, zwei Monate auf dieses Mädchen aufzupassen, Senhor Ramirez? Sie ist wie ein Kind, und sie hat acht Jahre in einer Klosterschule verbracht.“

„Sie haben sie getroffen?“

„Natürlich.“

„Und?“

Estes drückte sich im Stillen die Daumen. „Sie ist so, wie man es erwarten würde.“ Das war keine Lüge. Das Mädchen entsprach genau den Erwartungen – wenn man einen hitzköpfigen Wirbelwind erwartete.

„Falls ich zustimmen sollte“, Jake betonte das Wort „falls“, „welche Pflichten übernehme ich damit? Muss ich ihr Schulgeld zahlen? Ihr Geburtstagskarten schicken, bis sie achtzehn ist? Ich habe nicht die geringste Ahnung, was ein Vormund so macht.“

„Nun, zum einen ist sie bereits achtzehn.“

Jake neigte den Kopf zur Seite. „Wozu braucht sie dann einen Vormund?“

„Sie wären nicht Ihr Vormund. Nicht genau, zumindest.“ Estes räusperte sich und zog ein Dokument aus einer Schublade. „Vielleicht sollten Sie die entsprechende Passage selbst lesen.“

Jake nahm das Testament entgegen und las den Abschnitt, den Estes ihm zeigte. Gleich darauf sah er verdutzt wieder auf. „Aber das ist doch verrückt!“

„Senhor Ramirez war im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, als er dieses Testament aufsetzte, einschließlich der Bedingungen.“

„Das Mädchen ist einundzwanzig?“

„Mit dem heutigen Tage.“

„Und ich soll sie in die Gesellschaft einführen, mich um sie kümmern, sie Männern mit tadellosem Charakter vorstellen, damit sie dann einen dieser Männer in den nächsten zwei Monaten heiratet?“ Jake sah den Anwalt fassungslos an. „Aber ganz sicher ist das verrückt.“

„Und der einzige Weg, wie Sie an die Informationen gelangen, die Sie haben möchten.“ Estes erhob sich. „Sollen wir zu der Schule fahren, damit Sie sie kennenlernen können?“

Keine drei Stunden später fuhren Jake und Estes in einem gemieteten Geländewagen auf das verschlossene schmiedeeiserne Tor zu, hinter dem ein Gebäude wie eine Burg aus dem Mittelalter aufragte.

„Ich freue mich, dass Sie Ihre Meinung doch noch geändert haben“, sagte Estes freundlich.

Jake seufzte nur und drückte auf die Hupe, als sie vor dem Tor zum Stehen kamen. Seine Meinung geändert? Eine sehr kultivierte Art, es auszudrücken. Er hatte doch gar keine Wahl. Eine Hand aus dem Grab war ihm an die Gurgel gefahren. Und er kannte nicht einmal den Namen seines Schützlings. Er hatte nicht daran gedacht, danach zu fragen.

„Ihr Mündel heißt Catarina“, sagte Estes, als hätte er Jakes Gedanken gelesen. „Catarina Elena Teresa Mendes.“

„Spricht sie Englisch?“

„Das weiß ich nicht.“

Das könnte ein Problem werden. Aber er konnte immer noch einen Dolmetscher anheuern. Ungeduldig drückte Jake erneut auf die Hupe.

Ein alter Mann kam auf das Tor zugeschlurft, zog es auf und ging zur Seite. Jake trat das Gaspedal durch und ließ eine Staubwolke hinter sich zurück. Vor der massiven Holztür mit Eisenbeschlägen, zu der graue Steinstufen emporführten, trat er auf die Bremse.

„Und hier hat dieses arme Ding acht Jahre lang gelebt?“

„Es ist eine ausgezeichnete Schule“, behauptete Estes rechtfertigend.

Auf Estes’ Klopfen hin wurde eine Sichtklappe in der Tür geöffnet, und das runzelige Gesicht einer Nonne erschien, die sofort auf Portugiesisch drauflosplapperte.

„Mutter Elisabete erwartet uns“, übersetzte Estes bereitwillig.

Sie gingen einen endlosen düsteren Korridor entlang, dessen Wände vor Feuchtigkeit glitzerten. Selbst an diesem heißen Tag war es hier fast kalt. Das Licht war so dämmrig, dass Jake fast an der Tür vorbeigelaufen wäre, die plötzlich vor ihnen auftauchte. Jake und Estes wurden in ein Zimmer gebeten, das mit schweren Mahagoni-Möbeln vollgestellt war. Dunkle Vorhänge verdeckten die Fenster.

Ein massiger Schreibtisch beherrschte das Zimmer, dahinter saß eine schmallippige Frau im schwarzen Ornat.

„Mutter Elisabete, das ist Joaquim Ramirez“, stellte Estes vor.

„Senhor Ramirez, es ist mir eine Freude.“

Jake bezweifelte das. Mutter Elisabete machte den Eindruck, als würde ein Lächeln ihr Gesicht zerspringen lassen.

„Catarina, wo bleiben deine Manieren!“, rügte sie scharf. „Begrüße unsere Gäste.“

Erst jetzt bemerkte Jake, dass noch jemand im Raum war. Eine Gestalt erhob sich von einem Stuhl in der Ecke.

Catarina Elena Teresa Mendes war groß und dünn und verschwand beinahe in den weiten Falten des hässlichen braunen Kleides, das ihr bis zu den Fußknöcheln reichte. Ihr Gesicht, soweit Jake das bei ihrem gebeugten Kopf erkennen konnte, war nichtssagend, das Haar mausbraun und straff um den Kopf geflochten.

Eine unscheinbare, gehorsame graue Maus. Jake entspannte sich ein wenig. Wie anstrengend konnte es schon sein, sich um ein solches Mädchen zu kümmern? Sicher, einen geeigneten Ehekandidaten zu besorgen, könnte schon etwas schwieriger werden, es sei denn, er fand einen Weg, sie etwas attraktiver zu machen. Einfach würde es nicht werden, aber ihr Vermögen wäre hilfreich. In New York hatte er miterlebt, wie reiche Erbinnen, die mit ihrem Aussehen einen Zug hätten entgleisen lassen können, sich formidable Ehemänner geangelt hatten.

Er musste nur ein paar Leute kontaktieren. Er kannte da noch jemanden an der brasilianischen Botschaft. Nicht gut, aber gut genug, um sich auf einen Drink mit ihm zu treffen. Er konnte ihm von Catarina erzählen, würde ein paar Einladungen zu Diplomatenpartys für sie arrangieren …

Jake spürte, wie die Anspannung ihn endgültig verließ. Genau. Er würde ein Apartment für die Kleine besorgen, Lucas anrufen, und dann würde sich praktisch alles mehr oder weniger von selbst ergeben.

„Miss Mendes“, sagte er freundlich. Die graue Maus sah nicht einmal auf. „Spricht sie Englisch?“

Die Mutter Oberin zuckte die Schultern. „Leider nur sehr wenig. Aber sie versteht, Senhor. Und Catarina weiß, was von ihr erwartet wird. Nicht wahr, Catarina?“, wandte sie sich scharf an das Mädchen.

Ein Kopfnicken, kein Blickkontakt. Na, wenigstens etwas. Stille breitete sich im Raum aus. Jake räusperte sich. Er kam sich vor wie ein Idiot … Müsste er jetzt etwas sagen?

„Ich gehe davon aus, dass Sie eine entsprechende Unterbringungsmöglichkeit für Catarina haben, Senhor Ramirez?“

Noch nicht, aber wozu das jetzt erwähnen? Je schneller er die Dinge in Bewegung brachte, desto eher war er Catarina Mendes los und konnte die beiden Fremden treffen, die seine Brüder waren. „Ja“, antwortete er bestimmt, „natürlich.“

Mutter Elisabete erhob sich mit einem Nicken. „Nun, dann können Sie sie jetzt mitnehmen.“

Jake blinzelte. „Jetzt sofort?“

„Ja. Mit dem heutigen Tag ist sie einundzwanzig. Wir haben keine Möglichkeiten für Mädchen, die älter als einundzwanzig sind.“

„Ich verstehe.“ Jake räusperte sich noch einmal. „Tja, dann … Miss Mendes? Senhor Estes? Sollen wir?“

„Ich bleibe noch zum Dinner“, beeilte Estes sich zu sagen. „Die Mutter Oberin und ich haben noch einige Angelegenheiten zu besprechen. Ich werde mit dem Taxi zurück in die Stadt fahren.“

Jake nickte. Es sah so aus, als wäre er mit der grauen Maus allein. „Nun … dann … sagen Sie Miss Mendes doch bitte, es wird Zeit zu gehen.“

Das Mädchen griff nach seiner ledernen Reisetasche. Jake bückte sich im selben Moment danach. Ihre Hände berührten sich. Catarina zog ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt.

Jake lächelte höflich und entschuldigte sich.

Das Mädchen murmelte etwas auf Portugiesisch.

Mutter Elisabete schnalzte mit der Zunge, Estes hüstelte. Wieso? War es so erstaunlich, dass die Kleine sich entschuldigte? Denn das war es doch bestimmt gewesen, was sie gesagt hatte, oder? Bei einem so folgsamen Kind konnte es doch gar nichts anderes sein.

Estes schüttelte Jake zum Abschied die Hand, sagte etwas zu dem Mädchen. Mutter Elisabete ebenso. Kein einziges Mal hob die Kleine den Blick, auch nicht, als sie neben Jake durch die große Tür hinaus und zum Geländewagen ging.

Jake warf die Reisetasche auf den Rücksitz und hielt den Wagenschlag für Catarina auf. Sie stieg ein und schnallte den Sicherheitsgurt an, alles, ohne einen Ton zu sagen oder Jake anzusehen. Armes Ding. Wahrscheinlich kam sie halb um vor Angst.

Jake wartete, bis sie auf der Landstraße waren, die durch die Berge führte. „Miss Mendes, ich weiß, für Sie muss das alles sehr ungewohnt sein …“

Keine Reaktion.

„Wir fahren jetzt nach Rio, in mein Hotel. Morgen fliegen wir in die Vereinigten Staaten. Ich werde Ihnen für die nächsten zwei Monate ein Apartment besorgen, einen Begleiter für Sie arrangieren …“

Immer noch nichts, kein Blick in seine Richtung, nicht einmal ein Kopfnicken. Verstand sie überhaupt, was er sagte? „Miss Mendes, Catarina … Ich weiß nicht, wie viel Englisch Sie verstehen, aber …“

„Ich spreche fließend Englisch.“

Hoppla. Catarina hielt sich am Türgriff fest, als der Wagen ausscherte. Ihr neuer Vormund – ihr Gefängniswärter – brachte das Fahrzeug jedoch schnell genug wieder unter Kontrolle, sodass sie nicht den Abhang hinunterstürzten.

„Wirklich?“, fragte er ungläubig.

„Englisch ist eine Weltsprache.“ Catarina strich angelegentlich ihr Kleid glatt. Sie spürte Jakes Blick auf sich gerichtet, aber er würde nicht viel mehr von ihr erkennen können als sie von ihm. Die Sonne war fast untergegangen, es wurde dämmrig. Aber was machte es schon, wie er aussah? Sie musste mit ihm gehen, und wenn er Quasimodos Zwillingsbruder wäre!

Mutter Elisabete hatte ihr die Fakten erklärt. Senhor Joaquim Ramirez wollte nichts mit ihr zu tun haben. Er war gezwungen worden, sie in seine Obhut zu nehmen, nun, da der alte Ramirez gestorben war. Und wenn sie sich nicht benahm, dann würde er das vielleicht nicht machen, und sie musste in der Schule für Junge Damen bleiben, bis der Anwalt herausgefunden hatte, was als Nächstes zu tun sei. Und niemand wusste, wie lange das dauern konnte.

Sie hatte mit dem Reden warten wollen, bis sie weit genug von der Klosterschule weg waren, aber die Ungeduld hatte die Oberhand gewonnen. Er sprach mit ihr wie mit einem Kind, und sie war es leid.

„Außerdem war meine Mutter Amerikanerin. Zu Hause sprachen wir Portugiesisch und Englisch gleichermaßen.“

„Ich verstehe“, sagte er, auch wenn Catarina das bezweifelte. „Das vereinfacht die Dinge erheblich, denn …“

„Da drüben ist ein Feldweg. Biegen Sie da ein, damit wir reden können.“

Fehler. Brave Klosterschülerinnen gaben keine Anordnungen.

„Ich meine …“ Jetzt flüsterte sie. „Bitte. Das alles ist ein Schock für mich. Könnten wir uns nicht erst ein wenig unterhalten?“

Seine Finger umklammerten das Lenkrad. Dann setzte er den Blinker, hielt am Straßenrand an und drehte sich im Sitz zu ihr um. „Hören Sie, Miss Mendes, mir gefällt dieser Deal auch nicht, aber da gibt es ein Testament mit gewissen Bedingungen. Estes sagte, er habe Ihnen alles erklärt, und Sie hätten es akzeptiert.“

„Aber das ist es ja! Niemand hat mir eine Wahl gelassen. Deshalb will ich ja …“

Der Rest ihres Satzes ging in dem Donnern eines vorbeifahrenden Lkws unter, dessen Scheinwerfer das Wageninnere kurz erhellten. Und Jake konnte zum ersten Mal einen Blick auf Catarina Mendes’ Gesicht werfen.

Sie war eine Schönheit.

Ihr Gesicht war nicht knochig, es war vornehm schmal. Eine gerade Nase und hohe Wangenknochen. Augen mit der Farbe schwarzen Kaffees, ein Mund mit rosigen, vollen Lippen, die sicherlich noch nie Make-up berührt hatte. Und schon gar kein Mann.

Sein Blick glitt tiefer. Dieser grässliche braune Sack, den sie da trug, wurde durch den Sicherheitsgut an ihren Körper gedrückt, und durch die Art, wie sie saß, nahm er den schlanken Hals wahr, ebenso wie die vollen, festen Brüste.

Jake verspürte ein Ziehen in seinen Lenden. Wohin war die graue Maus verschwunden?

„Ich kenne das Testament meiner Eltern“, sagte sie jetzt. „Wollen Sie mich wirklich zwingen, einen Mann zu heiraten, den ich nicht liebe?“ Sie legte ihm eine Hand auf den Arm und beugte sich mit bebenden Lippen und tränenglitzernden Augen vor. „Sie brauchen mich nur bis nach Rio mitzunehmen und mir für die nächsten zwei Monate Geld zum Leben zu leihen. Dann können Sie Estes anrufen, ihm sagen, ich sei gut verheiratet. Ich bekomme mein Erbe, zahle Ihnen meine Schulden zurück, und niemand wird je dahinter kommen.“

„Miss Mendes, Estes wird einen Beweis verlangen.“

„Ihnen fällt schon was ein. Ich bin sicher, dass Ihnen etwas einfällt. Bitte“, flüsterte sie, „ich flehe Sie an. Helfen Sie mir.“

Er wollte es. Welcher Mann würde das nicht tun? Vielleicht funktionierte es ja. Sie in Rio absetzen, ihr etwas Geld überlassen, eine Weile warten, dann Estes kontaktieren und ihn irgendwie überzeugen, dass die Testamentsbedingungen erfüllt waren …

Und vielleicht hatte er jetzt den Verstand verloren! Ein alter Fuchs wie Javier Estes ließ sich nicht so leicht täuschen! Das musste er ihr klarmachen.

„Senhor? Werden Sie mir helfen?“

Jake räusperte sich. „Ich wünschte, ich könnte es, aber …“

„Was zahlt Estes Ihnen?“

Die scharfen Worte passten genau zu ihrem Aussehen. Innerhalb von Sekundenbruchteilen hatte sich ihre Haltung verändert. Ihre Augen glänzten immer noch, aber jetzt vor aufflackernder Wut. Sie zog ihre Hand von seinem Arm zurück, als hätte sie in eine Kuhle voller Maden gefasst.

Jake kniff fassungslos die Augen zusammen. „Sie glauben, ich tue das hier für Geld?“

„Wie viel?“, wiederholte sie. „Ich verdopple die Summe.“

In diesem Moment wurde Jake klar, dass man ihn hereingelegt hatte. Das war kein folgsames Mädchen, das hier war eine Frau. Mutter Elisabete und Javier Estes hatten ihm eine heiße Kartoffel zugeworfen.

Sein erster Impuls war, den Wagen zu wenden und Catarina Mendes zum Kloster zurückzubringen. Sollten sie doch selbst einen Ehemann für die Lady besorgen!

Und dann? Was würde er dann tun? Nach Rio zurückkehren? Marin beauftragen, vor Gericht zu gehen? Auch wenn er von vornherein wusste, dass keine Chance bestand, das Testament anzufechten? Den Rest seines Lebens damit zubringen, jedem Mann, der ihm auch nur entfernt ähnlich sah, nachzustarren und sich zu fragen, ob das vielleicht ein Blutsverwandter von ihm sei?

Catarina hob das Kinn. „Nicht genug? Also gut, ich verdreifache …“

„Mir geht es nicht um Geld.“

„Das glaube ich Ihnen nicht. Warum sonst sollten Sie …?“ Sie schnappte nach Luft, als er sie bei den Schultern packte.

„Niemand kann mich kaufen, Miss Mendes“, sagte er schneidend. „Je eher Sie das begreifen, desto besser. Und ich werde tun, was ich tun muss.“

Sie kniff die Augen zusammen, stieß ein portugiesisches Wort aus, und Jake lächelte grimmig.

„Wie immer Sie mich gerade genannt haben, es trifft exakt zu. Ich bin ein Mistkerl, ein skrupelloser Schuft, Ihr schlimmster Albtraum … und was Ihnen sonst noch einfällt. Sie werden die nächsten zwei Monate leben, wo ich Sie unterbringe, Sie werden tun, was ich Ihnen sage, und Sie werden diese bissige Zunge im Zaum halten und die Männer bezaubern, die ich Ihnen vorstelle. Haben Sie das verstanden?“

Oh ja, sie hatte verstanden. Mutter Elisabete und der Anwalt hatten sie an ein Monster weitergereicht. Er sah vielleicht nicht wie ein Monster aus, er war jung und attraktiv, aber … wer behauptete denn, dass Monster immer hässlich sein mussten?

Catarina spürte heiße Tränen hinter ihren Lidern und drängte sie entschlossen zurück. Seit ihre Eltern gestorben waren, hatte sie nicht mehr geweint. Tränen waren ein Zeichen von Schwäche. „Das werden Sie noch bereuen, Senhor Ramirez.“

Das tat Jake bereits, aber er würde ihr nicht die Befriedigung geben und es laut eingestehen. Er warf ihr einen Blick zu, um ihr zu bedeuten, dass nichts, was sie sagte, ihn berühren konnte.

Fehler. Die Haarnadeln hatten sich gelöst, ihr Haar umrahmte in weichen Wellen ihr Gesicht. Ein Bild blitzte vor ihm auf, wie er die Finger in diese seidige Mähne vergrub, ihren Kopf zu sich heranzog und diesen weichen, unschuldigen Mund küsste.

Jake legte den Gang ein und raste wie von allen Teufeln gehetzt nach Rio zurück.

3. KAPITEL

Mit quietschenden Reifen bremste Jake vor dem Hotel ab.

Wenn er doch nur genauso rasant aus Rio und aus diesem Albtraum verschwinden könnte, wie er gefahren war. Einfach zum Flughafen, die nächste Maschine nach New York nehmen, die selbstsüchtigen Bedingungen des Mannes, der ihn gezeugt hatte, Catarina Mendes und überhaupt alles vergessen, was seit dem Eintreffen des Briefes aus Brasilien geschehen war.

Aber er konnte nicht. Vielleicht war es dumm von ihm, aber herauszufinden, wer seine Brüder waren, war zur wichtigsten Sache in seinem Leben geworden.

Und das wiederum verlieh ihm die Entschlossenheit, aus dem Wagen auszusteigen und auf die Beifahrerseite zu gehen, dort, wo sein Mündel unbeweglich wie eine Statue saß. Er kam zur gleichen Zeit bei der Tür an wie der Hotelpage.

„Senhor“, grüßte der Page höflich.

Jake riss die Wagentür auf. Catarina hatte das Fenster heruntergelassen, noch lange bevor sie die Stadtgrenze erreicht hatten, und den Kopf in den Fahrtwind gehalten. Als könnte sie etwas nicht ertragen. Ihn wahrscheinlich. Er hatte sie kommentarlos gewähren lassen, damit sie nur den Mund hielt!

Der Wind hatte ihre Strähnen wild herumgewirbelt, jetzt hätte sie gut die Rolle der Medusa in einem Gruselfilm übernehmen können. Nun, das passte auch bestens zusammen mit diesem formlosen braunen Sack!

Jake wartete darauf, dass sie seine Anwesenheit registrierte. Was sie nicht tat. Er beugte sich leicht vor, der Page stand direkt hinter ihm. Da er unnötiges Aufsehen vermeiden wollte, sagte er leise: „Steigen Sie aus, Miss Mendes.“

Nur ein Zucken um die Lippen, ansonsten rührte sie sich nicht.

Dann eben doch auf die harte Tour, dachte Jake. „Ich sagte, steigen Sie aus!“

Catarina sah ihn an, sah an ihm vorbei und rasselte etwas in Portugiesisch herunter. Jake drehte sich um, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der Page blass wurde.

Kein gutes Zeichen. „Was hat sie gesagt?“

Der Adamsapfel des Pagen hüpfte. „Ich kann nicht … Ich glaube nicht …“

Jake verstellte dem jungen Mann den Blick auf Catarina und lächelte. „Was hat die Lady gesagt?“, fragte er erneut.

„Sie … die Senhorita behauptet … Sie hätten sie entführt, Senhor.“

Jake schloss die Augen und atmete tief durch. Dann las er das Namensschildchen auf der Uniform des Pagen. „Andres“, setzte er vertraulich an, „ich fürchte, wir haben hier ein Problem.“

„Haben wir?“

„Sim.“ Er nahm Andres beim Ellbogen und führte ihn ein paar Schritte zur Seite. „Sehen Sie, die Lady … der Senhorita geht es nicht sehr gut. Hier oben.“ Bedeutungsvoll tippte er sich an die Schläfe.

Der Page blickte an Jakes Schulter vorbei zurück zum Wagen. „Ah.“

„Ich meine, jeder kann sehen, wie schlecht es ihr geht.“

Der Page stellte sich auf die Zehenspitzen, riskierte noch einen Blick und nickte.

Jake hätte seinen letzten Real verwettet, er wusste, was Andres jetzt dachte. Rio war voll von schönen Frauen, das hier war eines der exklusivsten Hotels der Stadt … Unter Garantie war dem Jungen noch nie ein weiblicher Gast begegnet, der eine Horrorperücke und einen Jutesack trug.

Der Page sah zu Jake zurück. „Ich verstehe, Senhor. Das ist wirklich schade. Sie ist noch so jung …“

„Stimmt.“

„Es tut mir sehr leid für Ihre …“

„Nichte“, ergänzte Jake hastig. „Ja, es ist wirklich ein Unglück.“ Er zog ein paar Geldscheine aus der Hosentasche und drückte sie dem Jungen in die Hand. „Wenn Sie vielleicht beim restlichen Hotelpersonal Bescheid sagen könnten, dass man sich keine Sorgen um den Lärm zu machen braucht, den meine … Nichte heute Abend möglicherweise veranstaltet …“

„Ja, natürlich, Senhor.“

„Wissen Sie, Andres, sie regt sich sehr leicht auf, und dann …“

„Ich verstehe schon. Wenn ich sonst irgendetwas für Sie tun kann …“

Ja, könntest du, dachte Jake. Enrique Ramirez aus seinem Grab reißen. Doch er schüttelte nur traurig lächelnd den Kopf, ganz der wohlwollende Onkel, und sagte, Nein danke, aber er werde erst einmal versuchen, allein mit … seiner Nichte klarzukommen. Damit ging er zum Wagen zurück, fasste Catarina beim Handgelenk und brachte seinen Mund nahe an ihr Ohr.

„Also“, flüsterte er drohend. „Sie können auf Ihren eigenen Füßen in dieses Hotel gehen, oder ich werfe Sie mir über die Schulter und trage Sie hinein. Was ist Ihnen lieber?“

Sie hob das Kinn. „Versuchen Sie es nur. Die policia wird hier sein, bevor Sie auch nur blinzeln können.“

„Kein Problem. Ich werde ihnen erklären, was ich auch schon dem Pagen klargemacht habe. Sie werden volles Verständnis für einen Mann aufbringen, der sich mit einer Nichte herumschlagen muss, die nicht ganz richtig im Kopf ist.“ Er lächelte dünn. „Vielleicht helfen sie mir ja sogar, eine Anstalt zu finden, in die ich Sie bis zu unserem Rückflug stecken kann.“

„Das würden Sie nicht wagen!“

„Lassen Sie es drauf ankommen.“

Catarina starrte ihn entsetzt an. „Warum tun Sie das?“

Jake ließ ihren Sicherheitsgurt aufschnappen. „Steigen Sie endlich aus, Catarina.“

„Wenn es Ihnen nicht um Geld geht …“

„Ich zähle bis drei.“

„Sind Sie mit Enrique Ramirez verwandt? Sie tragen den gleichen Namen.“

„Eins.“

„War er Ihr Vater? Lieben Sie ihn so sehr, dass Sie auch nach seinem Tod seinen Anordnungen folgen?“

„Zwei.“

„Was für ein Mensch unterwirft sich solch haarsträubenden Forderungen? Haben Sie keine eigene Meinung?“

„Drei.“ Jake griff nach ihr.

„Schon gut!“ Sie zuckte vor seiner Hand zurück. „Ich steige aus. Aber fassen Sie mich nicht an!“

Jake trat zur Seite, und Catarina stieg aus, rauschte an ihm vorbei, mit durchgestrecktem Rücken und hoch erhobenem Kopf, auch wenn sie vor Frustration am liebsten geweint hätte. Und aus Angst.

Die Angst in ihr war auf der Fahrt so stark geworden, dass sie meinte, ersticken zu müssen. Das Wissen, dass sie mit einem fremden Mann verheiratet werden sollte, das Wissen, dass ein Fremder über sie zu bestimmen hatte, hatte sie entsetzt.

Der Türsteher salutierte grüßend, die gläserne Drehtür schwang weit auf, und dann stand Catarina im Hotelfoyer.

Ihr Kaper folgte ihr auf den Fersen. „Kaper“ passte zu diesem Mann, der offensichtlich kein Herz, kein Gewissen und keine Moral besaß. Sie hatte sich geirrt. Sie hatte gedacht, sie würde ihn herumkriegen können. Aber niemand wickelte Joaquim oder Jake Ramirez, wie immer er sich nannte, ein.

Er war ein Macho. Muito macho.

Und er war schön.

„Schön“ mochte nicht das passende Wort für einen Mann sein, aber ihr fiel kein anderes ein. In Mutter Elisabetes Zimmer hatte sie ihn sich unter gesenkten Wimpern hervor genau angesehen. Und bevor sie hatte herausfinden müssen, wer er war und weshalb er gekommen war, hatte sie sich ein wunderbares Märchen erträumt, von einem dunkelhaarigen Ritter mit grünen Augen, der sie vor dem Drachen retten würde.

Was für ein Schock, als sich herausstellte, dass der Ritter selbst der Drache war.

Jetzt fragte sie sich bang, was sie noch über ihn herausfinden musste. Er hatte sie nach Rio gebracht, in sein Hotel, das gleißend war vor Licht und behaftet mit dem Geruch der Sünde.

Was würde mit ihr geschehen, wenn sie und Joaquim Ramirez erst allein waren? Sie zuckte zusammen, als sie seine Hand an ihrem Ellbogen fühlte.

„Benehmen Sie sich“, flüsterte er ihr zu.

Der Aufzug war direkt vor ihnen. Gäste stiegen aus. Frauen in kurzen Kleidern, kaum mehr als arrangierte Schals. Hohe Absätze, die die Trägerinnen dazu zwangen, beim Laufen die Hüften zu wiegen. Hingen sie deshalb so fest am Arm ihrer Begleiter? Lehnten sie daher so eng an der Seite des Mannes, Hüfte an Hüfte, Schenkel an Schenkel?

Die Leute starrten sie an, Catarina starrte zurück. Sie konnte kaum glauben, was sie sah. Diese Kleider, so tief ausgeschnitten, so hoch an den Schenkeln … Sie wurde rot. Ihre Unterwäsche zeigte weniger Haut.

Verspieltes Flüstern, sinnliches Lächeln, verzückte Gesichter. Catarinas Wangen brannten. Sie wusste, wie sie aussah … Ungeschminkt – Kosmetika waren in der Klosterschule nicht erlaubt, kunstvolle Frisuren auch nicht. Und dann dieses schlammbraune Ding, das sie in der Nähstunde geschneidert hatte. Sie konnte das Gemurmel regelrecht hören: Was machte ein Mädchen wie dieses mit einem Mann wie ihm, der alle anderen Männer ausstach?

Eine gute Frage.

Der Liftboy grüßte ihn mit Namen, als Ramirez sie vor sich in die Kabine schob. Schweigend fuhren sie nach oben. Auf dem Gang im Stockwerk seiner Suite zog er sie hinter sich her.

„Es ist völlig unnötig, so an mir herumzuzerren.“ Zu ihrem Entsetzen zitterte ihre Stimme. Um es zu kaschieren, hüstelte sie.

Sie musste fast rennen, um mit ihm Schritt zu halten. In der Schule war sie eines der größten Mädchen gewesen, selbst größer als die wenigen Männer, denen Einlass durch das schmiedeeiserne Tor gewährt worden war. Doch sie musste den Kopf heben, um ihren Kaper anschauen zu können. Es gefiel ihr nicht. Sie kam sich erdrückt vor.

„Ich sagte …“

„Ich habe es gehört.“ Einmal die Karte durch den Schlitz ziehen, und die hohen Doppeltüren der Suite schwangen auf. Catarina blieb stocksteif stehen, und Jake schob sie unsanft mit der Hand an ihrem Rücken in das Zimmer hinein. Erst als die Tür verriegelt war, knipste er das Licht an. Ein Lüster von der Größe ihrer Kemenate im Kloster flammte auf.

Sie befanden sich in einem Wohnraum, der ihr den Atem raubte. Überall üppige Blumenarrangements, die Fensterfront zeigte Rio im strahlenden Glanz seiner Nachtlichter.

„Okay“, begann Ramirez. „Zuerst sollten wir einige Dinge klarstellen.“

Er stand in der Mitte des Raumes, die Arme vor der Brust verschränkt, die Augenbrauen zu einem finsteren Stirnrunzeln zusammengezogen. Catarina blinzelte. Er wirkte riesig und überwältigend männlich.

Lass niemals wissen, dass du Angst hast – eine Philosophie, die sie in der schrecklichen Zeit nach dem Unglück ihrer Eltern gerettet hatte. Trotzdem schwand ihre Courage rapide. „Das Wesentliche haben Sie doch schon deutlich gemacht – Sie haben das Sagen, und ich muss gehorchen.“

„Ich habe das Sagen, wie Sie es ausdrücken, weil Ihre Eltern es so gewollt haben.“

„Das stimmt nicht!“ Der Ärger half ihr. „Sie übergaben mich der Obhut meines Onkels.“

„Richtig. Aber dann haben Sie auch ihn verloren. Es muss ein Schlag für Sie gewesen sein.“

Der „Schlag“ war erst heute erfolgt. Aber das würde sie ihm nicht sagen. „Stimmt. Er gehörte zur Familie.“

„Und ich nicht.“

„Nein.“ Ihr Kopf ruckte hoch. „Ich kenne Sie nicht. Ich weiß überhaupt nichts über Sie.“

Er zeigte ein freudloses Lächeln. „Dann sind wir ja quitt.“

„Sie wussten zumindest, wohin wir fahren, als wir die Schule verließen. Sie wissen, wohin es weitergeht. Sie wussten“, ihre Stimme begann zu zittern, „dass Sie die Kontrolle über mein Schicksal übernehmen würden, während ich noch dachte, ich würde endlich frei sein.“ Sie schluckte. „Erklären Sie mir wenigstens, warum Sie diesem … dieser unmöglichen Vereinbarung zugestimmt haben.“

Die Frage war wahrlich nicht unberechtigt, wie Jake sich eingestand. Ihre Eltern, das Schicksal und dieser verwünschte Enrique Ramirez hatten ihr Leben in seine Hände gegeben. Bis jetzt hatte sie sich gut gehalten, aber das war nur Fassade. Das Beben in ihrer Stimme, die hektischen roten Flecken in ihrem sonst bleichen Gesicht waren eindeutige Zeichen. Catarina Mendes war aus dem einzigen Zuhause fortgerissen worden, das sie kannte, einem Fremden zugeschoben, der ihr Leben bestimmen sollte, obwohl sie volljährig und eine Frau war …

Diesen Aspekt würde er besser beiseitelassen.

Sie hatte Angst, und er konnte es ihr nicht verdenken. Vielleicht sollte er es anders anfangen. „Miss Mendes, warum setzen wir uns nicht …“

„Ich will mich nicht setzen.“

„Gut, ich mich schon. Es war ein langer Tag. Ich bin müde, gereizt und halb verhungert.“ Er griff nach dem Telefon. „Was möchten Sie?“

„Meine Freiheit.“

„Das kann ich mir vorstellen. Aber …“

„Aber Sie wollen sie mir nicht geben.“

„So einfach, wie Sie sich das vorstellen, ist es nicht.“

„Doch, ist es“, protestierte Catarina verzweifelt. „Sie brauchen nur diesem Anwalt zu sagen, dass Sie verzichten.“

„Na schön, nehmen wir mal an, ich lasse Sie jetzt gehen. Was passiert als Nächstes?“

„Was meinen Sie? Ich wäre endlich frei.“

„Frei? Sie wären allein in einer riesigen Stadt, die genauso schön wie grausam ist. Sie müssten auf der Straße schlafen, wären der Gnade eines jeden ausgesetzt, dem Sie begegnen. Hört sich das für Sie nach Freiheit an?“

„Ich komme schon zurecht“, behauptete sie trotzig, obwohl ihr Magen sich bei der Vorstellung drehte.

„Sie haben das Wichtigste vergessen“, fuhr er fort. „Sie würden Ihr Erbe nicht bekommen.“

„Ich nehme mir einen Anwalt. Meine Eltern haben nie gewollt, dass mein Leben von einem Fremden bestimmt wird.“

„Ja, ich bin sicher, dass sie das nicht gewollt haben.“

„Sehen Sie, selbst Sie geben das zu. Mein Anwalt wird mit Javier Estes Verbindung aufnehmen und eine Aussetzung der Testamentskonditionen verlangen, und dann … Habe ich etwas Komisches gesagt, Senhor?“

„Ich lache nicht über Sie“, versicherte Jake sofort. „Noch gestern habe ich genau dasselbe gedacht: mir einen Anwalt zu nehmen, der sollte sich um Javier Estes kümmern, und – peng! – hätte ich nichts mehr mit der Sache zu tun.“ Sein Lächeln erstarb. „Ich habe mich geirrt. Es gibt keinen Ausweg. Wir sitzen zusammen fest. Das Testament Ihrer Eltern ist absolut wasserdicht. Genauso wie das meines …“, er fing sich rechtzeitig, „… wie das, das mich betrifft.“

Mit großen Augen, in denen Tränen glitzerten, schaute sie ihn an. „Warum sollte ich Ihnen glauben, Senhor?“

„Weil es die Wahrheit ist. Nichts wäre mir lieber, als dass Sie recht hätten. Denken Sie, mir macht diese Sache Spaß?“

Sie antwortete nicht. Er nahm es ihr nicht übel. „Hören Sie, es war wirklich ein langer Tag.“ Er deutete mit dem Kopf zu einer geschlossenen Tür. „Das da ist ein zweites Schlafzimmer mit einem privaten Bad.“ Er sah auf die Reisetasche. Sie schien viel zu klein, um die Habseligkeiten einer Person zu fassen, aber scheinbar besaß Catarina nicht mehr. „Warum machen Sie sich nicht frisch? Duschen Sie sich, ziehen Sie sich etwas Bequemeres an als dieses … nun … Kleid, das Sie da tragen.“

„Was stimmt mit diesem Kleid nicht?“ Sie hob das Kinn. „Ich habe es selbst genäht.“

„Tatsächlich? Nun ja, es ist …“ Er räusperte sich. „Gehen Sie nur. Ich bestelle uns etwas zu essen.“

„Machen Sie sich keine Mühe, ich habe keinen Hunger.“

„Nein? Auch gut. Ich habe Hunger für zwei. Sie können mir zusehen, wie ich zwei Portionen verputze.“

Sie hätte ihm ja noch gern gesagt, dass das Einzige, wobei sie ihm zusehen wollte, sei, wie er aus ihrem Leben verschwand, aber da drehte er sich auch schon um und bestellte beim Zimmerservice das Dinner, während er sich das Jackett von den Schultern schüttelte, die Manschettenknöpfe löste und sich die Hemdsärmel aufrollte.

Wie konnte dieser Mann es wagen, sich vor ihren Augen auszuziehen! Natürlich hatte sie schon die nackten Arme eines Mannes gesehen. Der alte Gärtner hatte sich manchmal die Ärmel hochgeschoben, wenn er …

Ihr stockte der Atem. Die Arme des Gärtners waren sehnig und die Haut faltig, aber die Arme ihres Kapers waren muskulös, seine Haut war straff und goldfarben und von einem feinen dunklen Flaum überzogen.

Jetzt nahm er auch noch die Krawatte ab. Kümmerte es ihn denn nicht, dass sie noch im Zimmer war? Doch anstatt etwas zu sagen oder sich zu rühren, schaute Catarina fasziniert zu, wie er sich das Hemd aufknöpfte.

Ein starker, gebräunter Hals, eine breite, muskulöse Brust. Während er weiterredete, zog er sich das Hemd aus dem Hosen­bund.

„Ja, amerikanischen Kaffee“, sagte er gerade. „Und frische Milch …“

Catarina starrte auf den flachen Bauch, weiter hinunter zu …

Er drehte sich um. Sie riss den Blick los, ihre Blicke trafen sich, und dann wirbelte sie auf dem Absatz herum und flüchtete ins Schlafzimmer.

Sobald Jake Wasser rauschen hörte, ging er in sein eigenes Schlafzimmer.

Vielleicht narrte Catarina ihn ja auch. Vielleicht hatte sie nur das Wasser aufgedreht und saß zusammengekauert hinter der Schlafzimmertür, wartete auf die erstbeste Gelegenheit zur Flucht in die Freiheit.

Vielleicht wäre das das Beste.

Dieser Ausdruck auf ihrem Gesicht, als hätte sie … ja, was hatte sie gesehen? Einen Geist? Ein Monster?

Einen Mann.

Wohl zum ersten Mal. Ein halb nackter Mann. Nun, halb nackt war übertrieben, doch für sie …

Ihr Blick. Nicht Angst hatte in ihren Augen gelegen; eher Neugier, Faszination. Als würde sie sich fragen, wie es wohl sein mochte, die Haut eines Mannes zu berühren. Mit den Fingern darüber zu fahren und den Unterschied zwischen ihrer Sanftheit und seiner Rauheit zu erkunden.

Autor

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