Bis zum letzten Kuss

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Die Paparazzi überschlagen sich, als Supermodel Poppy Graham den Hotelerben und Extremsportler Orsino Chatsfield heiratet. Doch das Blitzlichtgewitter ist kaum erloschen, da steht ihre Ehe schon vor dem Aus. Orsino macht weiter mit seinen gefährlichen Stunts, als müsse er sich etwas beweisen … Tiefenttäuscht verlässt Poppy ihn. Aber fünf Jahre später bekommt sie einen alarmierenden Anruf: Ihr Noch-Ehemann ist wieder ein Risiko eingegangen. Und diesmal hat er verloren. Schafft sie es, ihm ein letztes Mal zu verzeihen, oder wird es ein Abschied für immer?


  • Erscheinungstag 29.09.2015
  • Bandnummer 2198
  • ISBN / Artikelnummer 9783733702076
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Mit dem nächsten Flug, den ich erwische, bin ich bei dir.“

Der grimmige Tonfall seines Bruders entlockte Orsino ein schuldbewusstes Grinsen.

Kein Wunder, dass Lucca Nerven zeigt!

Die Nachricht, dass der eigene Zwilling dem Tod nur um Haaresbreite entkommen war, ließ wahrscheinlich niemanden kalt. Nach Jahren, in denen Orsino kein Risiko gescheut hatte, schien ihn das Glück nun verlassen zu haben. Mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert zu werden – und möglicherweise sogar bleibende Schäden davonzutragen –, zwang ihn, seinen rasanten Lebensstil auf den Prüfstand zu stellen.

„Kein Grund zur Eile, Lucca.“ Er nahm das Handy ans andere Ohr und stöhnte unterdrückt, als er an den Kopfverband stieß. „Es gibt nichts, was du hier tun könntest, außerdem …“ Er bemühte sich um einen leichten Tonfall. „Du würdest ja doch nur mit den Krankenschwestern flirten und mich darüber völlig vergessen.“

„Das habe ich überhört!“ Luccas Erleichterung über den schwachen Witz war ihm deutlich anzuhören. „Glaub mir, ich bin ein völlig neuer Mann. Für mich gibt es nur noch eine Frau, und die ist eine echte Prinzessin. Und was das Schwesternproblem betrifft, sind sie mit dir sicher ausreichend beschäftigt. Hast du schon ein Date klargemacht?“

Fast wäre Orsino entschlüpft, dass er keinen Schimmer hatte, ob die Krankenschwestern hübsch waren oder nicht, doch das musste Lucca nicht wissen … außer im absoluten Notfall. „Schon vergessen, dass du der Ladykiller von uns beiden bist?“

„Unsinn! Ich weiß doch, wie die Damenwelt auf dich reagiert, Bruderherz. Nachvollziehen kann ich es allerdings kaum, da ich der attraktivere Zwilling bin. Gib schon zu, dass du dich beidhändig weiblicher Fans erwehren musst.“

„Momentan eher nicht …“, murmelte Orsino, biss die Zähne zusammen und versuchte, Selbstmitleid und Ärger einfach herunterzuschlucken. Er war nicht wütend auf Lucca, sondern auf seine eigene prekäre Lage, sprich: die Katastrophe, zu der sich sein Leben gewandelt hatte.

„Und darum sollte wenigstens einer von uns bei dir sein“, beharrte Lucca, jetzt wieder völlig ernst. „Was du brauchst, ist Familie.“

„Familie …“, echote Orsino bitter.

Der Einzige, mit dem er in letzter Zeit aus diesem Umfeld zu tun gehabt hatte, war der CEO seines Vaters gewesen, Christos Giantrakos. Und aus welchem Anlass? Der unverschämte Grieche hatte ihn tatsächlich ersucht, nein, ihm geradezu befohlen, sich aufgrund seiner Reputation als Aushängeschild für das Familienunternehmen zur Verfügung zu stellen!

Orsino und sein Vater hatten sich nie besonders nahegestanden, trotzdem hätte sein alter Herr bei einem derartigen Ansinnen ruhig selbst zum Hörer greifen können.

„Ja, ich weiß, aber ich war in letzter Zeit ziemlich beschäftigt und …“

„Ich meine nicht dich, Lucca.“ Mit der unverletzten Hand rieb Orsino über sein stoppeliges Kinn und fühlte sich wie ein undankbarer Jammerlappen. „Tut mir leid, ich bin es einfach nicht gewohnt, tatenlos in einem Krankenbett liegen zu müssen. Trotzdem sollte ich meine miese Laune nicht an dir auslassen.“ Bei dem Gedanken, dass seine Verletzungen nicht sein einziges Problem waren, schloss er gequält die Augen. „Ich schätze dein Angebot wirklich, aber hier gibt es für dich nichts zu tun.“

„Vielleicht nicht gleich, aber später, wenn du aus der Klinik entlassen wirst.“

„Willst du für mich die Krankenschwester spielen?“ Allein die Vorstellung war absurd. „Das wäre es mir fast wert, dich hierher zu beordern.“

Lucca lachen zu hören, wärmte Orsino mehr als die Isolierdecken, in die man ihn nach dem Unglück gewickelt hatte. Bis zu diesem Moment hatte er nicht realisiert, was ihm wirklich wichtig war. Jetzt wusste er es und nahm sich vor, den eingeschlafenen Kontakt zu seinem Zwillingsbruder möglichst bald wiederaufleben zu lassen. Aber erst, wenn er kein Mitleid mehr bei anderen weckte.

„Warum unterschätzt du mich eigentlich immer?“, wollte Lucca wissen. „Nur weil du ein paar Minuten älter bist?“

„Unsinn, ich sehe dich nur gerade in Kittel und Häubchen vor mir. Eine faszinierende Vorstellung, kann ich dir sagen. Aber im Ernst, du musst dir keine Sorgen um mich machen, ich habe bereits jemanden gefunden, der mich pflegt.“

„Lucilla?“

„Nein, obwohl sie auch angerufen hat. Offensichtlich fühlt sich unsere große Schwester selbst nach all den Jahren noch für uns verantwortlich. Und das, obwohl sie diesen unmöglichen Griechen am Hals hat, der sie allmählich in den Wahnsinn treibt.“

„Aber du brauchst jemanden, der Erfahrung mit so etwas hat“, warf Lucca ein, ohne auf Lucillas Problem mit dem neuen CEO der Chatsfield Group einzugehen. „Jemanden, dem du vertraust.“

Fast hätte Orsino laut aufgelacht. Vertrauen?

Nein, das hatte absolut nichts mit seinen Gefühlen für Poppy zu tun. Nicht nachdem er sich geschworen hatte, sie endgültig zu vergessen. Aber die einsamen Tage im Berg, als er glaubte, sterben zu müssen, hatten seine Perspektive geändert … hatten ihn verändert.

Vertrauen würde er Poppy trotzdem nie wieder. Diese Gewissheit hatte ihm überhaupt erst die Freiheit und Kraft gegeben, noch einmal Kontakt zu ihr aufzunehmen.

Zwischen Poppy und ihm stand zu viel Unerledigtes, darum schaffte er es auch nicht, sie aus seinen Gedanken zu verbannen. Seit fünf Jahren versuchte er, sich einzureden, die Vergangenheit sei endgültig abgehakt. Doch das war Selbstbetrug.

Jetzt wusste Orsino, dass er nie darüber hinwegkommen würde, wenn er Poppy nicht noch einmal gegenübertrat. Sie würde ihn dafür hassen, aber das kümmerte ihn nicht. Warum sollte es auch, bei einer Frau, die ihn so schamlos betrogen hatte? Er freute sich sogar darauf, sie leiden zu sehen. Das war nicht mehr als ausgleichende Gerechtigkeit für das, was sie ihm angetan hatte.

„Hör auf, dir Sorgen zu machen, Lucca. Die Frau, die ich im Auge habe, ist genau das, was mir der Doktor verordnet hat …“

Poppy atmete scharf ein, als sich das Taxi kamikazemäßig in den fließenden Verkehr einfädelte. Kalte Angst schnürte ihr den Hals zu, seit sie von dem Lawinenunglück und den zwei verschütteten Bergsteigern gehört hatte.

Selbst völlig Fremde bangten um Orsino und feierten ihn als Helden. Sie hatte es am Flughafen gehört, in aufgeregten Diskussionen um Orsino Chatsfields Heldenmut – oder seine Tollkühnheit, je nach Standpunkt des Betrachters.

Poppy schaute auf ihre unberingten Hände, die sie im Schoß gefaltet hielt. Was sie fühlte, war nicht unbedingt Angst, sondern eher Panik. Fünf lange Jahre hatte sie Orsino nicht gesehen, doch eine Welt ohne ihn war für sie unvorstellbar. Ohne seine Vitalität, seine Leidenschaft.

Seine ungezähmte Leidenschaft …

Während sie von Erinnerungen überfallen wurde, ballte Poppy die Hände zu Fäusten, schüttelte abwehrend den Kopf und versuchte, ihren fliegenden Pulsschlag unter Kontrolle zu bekommen.

Was sie auf keinen Fall vergessen durfte, war seine unglaubliche Arroganz, seine fordernde Art. Die Bereitschaft, andere vorschnell zu verurteilen, ohne sich den eigenen Fehlern zu stellen.

Ungeachtet all seiner negativen Eigenschaften, war es Poppy, als presse eine kalte Faust ihr Herz zusammen. Die wenig informative, dafür umso beängstigendere Nachricht der Klinik hatte sie veranlasst, auf der Stelle von Frankreich aus an den Fuß des Himalaya-Gebirges zu eilen.

Seitdem schien sie konstant den Atem anzuhalten, selbst jetzt, da sie ihr Ziel fast erreicht hatte. Das Taxi hielt vor der Klinik, und angesichts des nüchternen, hässlichen Gebäudes krampfte sich Poppys Herz erneut schmerzhaft zusammen.

Als eine Horde Paparazzi über sie herfiel und sie mit Fragen bombardierte, zuckte sie mit keiner Wimper. Sie nahm sie kaum wahr und konnte nur daran denken, was sie hinter diesen grauen Mauern erwartete.

Poppys Schritte hallten auf dem langen Korridor wider. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und mit jedem Schritt wurde es schlimmer.

Bitte lass ihn das überstehen! flehte sie stumm. Lass ihn überleben …

Immer wieder versicherte sie sich, dass sie nichts mehr für Orsino Chatsfield empfand. Ihre negativen Gefühle ihm gegenüber hatte sie schon vor langer Zeit unter einem Maximum an Arbeit begraben, was ihre Karriere enorm begünstigt, ja beflügelt hatte. Sie wollte kein Leben führen, das von Wut und Bitterkeit geprägt war. Sie hatte weder Zeit für Reue noch dafür, alte Verletzungen zu pflegen.

Zumindest war es das, was sie sich vor fünf Jahren gesagt und geglaubt hatte.

Bis gestern …

Dass Orsino auf einem der gefährlichsten Berge der Welt schwer verunglückt war und möglicherweise immer noch in Lebensgefahr schwebte, hatte alles geändert.

Er darf nicht sterben!

Poppy stolperte und wäre fast gefallen. Sie, die selbst in High Heels mit achtzehn Zentimeter Absätzen nicht auf dem Catwalk strauchelte! Auch dann nicht, wenn der Laufsteg im Trockeneisnebel gar nicht zu sehen war.

Endlich kam sie an die letzte Tür. Noch einmal atmete sie tief durch, dann drückte sie die Klinke herunter, trat ein und blieb wie angewurzelt stehen, als sie die unbewegliche Gestalt im Krankenbett erblickte. Orsino lag so steif und still da, dass sie einen Schreckmoment lang befürchtete …

Poppy hielt den Atem an und trat vorsichtig näher. Sie konnte sich nicht erinnern, ihn jemals so … reglos gesehen zu haben. Irgendwie schien er immer in Bewegung zu sein, als wäre seine Vitalität stärker und dynamischer als bei jedem anderen Menschen, den sie kannte.

Nur wenn sie nach einer heißen Liebesnacht vor ihm wach geworden war, hatte sich ihr die Chance geboten, ihn so ungestört betrachten zu können wie in diesem Moment. Dann hatte sie das seltene Bild ganz tief in sich aufgenommen, um es für immer in ihrer Erinnerung zu speichern: ihren Geliebten, ihren Mann, mit dem Körper eines griechischen Gottes, entspannt neben ihr ausgestreckt, mit stoppeligem Kinn und dunklem Haar, das ihm in die gebräunte Stirn fiel. Und jedes Mal hatte sie die Intensität ihrer Gefühle erschreckt und geängstigt. Aus gutem Grund!

Ich hätte weglaufen sollen, solange ich noch die Gelegenheit dazu hatte. Allerdings war sie Orsino von der ersten Sekunde an verfallen gewesen.

Die weißen Verbände stachen grell von seiner gebräunten Haut ab. Einen Arm hielt er in der Schlinge, bandagiert vom Ellenbogen bis zu den Fingerspitzen. Der andere lag offen auf der Bettdecke, übersät mit Rissen, Kratzern und Blutergüssen. Der Kopf war ebenfalls bandagiert … nicht nur bis über die Stirn, sondern auch die Augen.

Poppys Herz setzte kurz aus.

Nur die markanten Wangenknochen, das energische Kinn und der kräftige Hals waren zu sehen. Und natürlich dieser klassisch geschnittene Mund mit den festen Lippen, die sich spontan zu einem Lächeln weiten konnten, das jede Frau verzauberte.

Sie blinzelte die aufsteigenden Tränen weg und versuchte, nicht an Orsinos hässliche Worte von vor fünf Jahren zu denken. Doch bisher hatte die Zeit nicht geholfen, die Erinnerung verblassen zu lassen. Aufs Neue schnitten sie ihr ins Herz, riefen wieder Empörung, Schuld und sengenden Schmerz wach.

Wie schlimm stand es wirklich um Orsino?

Die Pressemeldungen waren ebenso reißerisch wie nebulös gewesen. Allein die Kopfwunden …

„Amindra, bist du das?“

Der heisere, angestrengte Ton ließ sie schaudern. Es klang, als wäre er es nicht gewohnt zu sprechen. Noch viel zu gut erinnerte Poppy sich an seine raue, samtige Stimme, die sie häufig frühmorgens geweckt hatte, wenn Orsino ihr ins Ohr geraunt hatte, wie sie am besten den Rest des Tages verbrachten. Während er mit seinen geschickten Fingern über ihren Körper strich wie ein virtuoser Musiker, der sein Instrument stimmte.

Hin und her gerissen zwischen Erleichterung, ihn so wohlauf anzutreffen, dass er sprechen konnte, und dem Frust über ihren Gefühlswirrwarr rang sie um Fassung. Zum Glück hatte sie in über zehn Jahren Berufserfahrung als Topmodel gelernt, ihre Emotionen hinter einer undurchdringlichen Maske zu verbergen.

Automatisch flog ihr Blick zu dem Verband über seinen Augen. Poppy schauderte und fühlte nackte Angst in sich aufsteigen.

„Was soll das? Wer …“

„Hallo, Orsino.“

Er zuckte zusammen und neigte lauschend den Kopf. Ihre Stimme war wie süßer, goldener Honig, so weich und verführerisch wie in seinen Träumen. Abrupt zog er die Hand zurück, mit der er bereits nach dem Klingelknopf getastet hatte.

Sie ist gekommen …

Bereits beim ersten Ton hatte er ihre Stimme erkannt. So würde es immer sein. Selbst unter Tonnen von Schnee hatte er geglaubt, sie zu hören. Sie hatte ihn ermutigt und angetrieben, nicht aufzugeben. Was für eine Ironie! Er musste nicht ganz bei Verstand gewesen sein.

„Wer ist da?“

Er hörte ihre Überraschung an einem erstickten Laut. Offenkundig hatte sie erwartet, er würde ihre Stimme erkennen. Doch die Genugtuung wollte er ihr nicht geben. Sie war viel zu früh gekommen! Man hatte ihm versprochen, die Verbände rechtzeitig vor ihrer Ankunft abzunehmen. So wollte er nicht von ihr gesehen werden, hilflos und halb benommen von Schmerzmitteln.

Wie ist es ihr nur gelungen, sich so kurzfristig freizunehmen? Er hatte erst in einigen Tagen mit ihr gerechnet.

„Ich bin’s, Poppy.“

Offenbar stand sie am Fußende seines Bettes. „Poppy?“ Ihm wurde heiß. Nicht nur aus verletztem Stolz, weil sie ihn als traurigen Schatten des Mannes sah, der er einst gewesen war. Tief in seinem Innern brannte noch etwas anderes … etwas, das er nie wieder hatte empfinden wollen. War es ein Fehler gewesen, sie herkommen zu lassen?

„Ja, ich.“ Jetzt stand sie rechts neben ihm. „Wie geht es dir, Orsino?“

Er hasste es, sich ausgeliefert zu fühlen. Schon vor dem Krankenhauspersonal war es schlimm genug, aber nun …

„Was?“ Orsino fuhr zusammen, als etwas sanft seine Hand berührte. „Was machst du? Lass das!“ Vor sich rechtfertigte er seine Grobheit damit, dass er das Mitleid in ihrer Stimme nicht ertrug.

„Orsino?“

Als er spürte, wie unerwartet heftig sein Körper auf das raue Flüstern reagierte, presste er die Lippen zusammen. Es erinnerte ihn an ihre letzte Liebesnacht.

Verdammt! Jetzt fühlte er sich noch hilfloser als ohnehin schon.

„Ich kann das allein …“, knurrte er ungnädig und betätigte den seitlichen Hebel am Krankenbett, wobei Poppy ihm offenbar hatte helfen wollen. Sekunden später saß er aufrecht. Unauffällig versuchte Orsino, eine bequemere Position einzunehmen.

„Hier ist ein Kissen, es wird dich stützen.“

Das klang weder rau noch sanft, sondern kühl und distanziert, und Orsino sagte sich, dass es albern war, momentan auf seiner Selbstständigkeit zu beharren.

Dann hüllte ihn unerwartet der warme Hauch eines Parfums ein, das ihm selbst nach so langer Zeit noch schmerzlich vertraut war. Schmale Hände stopften ein Kissen in seinen Rücken, das ihm den nötigen Halt im Sitzen verlieh, und etwas Weiches streifte sein Kinn. Instinktiv griff er danach und hielt es fest. Es war eine Locke, die sich wie von selbst um seinen Finger wickelte. Als er sanft daran zog, intensivierte sich der verführerische Duft, als würde sie sich dichter zu ihm herunterbeugen.

Orsino versuchte, sich die tizianrote Lockenmähne vorzustellen, wie sie als seidiger Wasserfall über ihre milchweißen Schultern bis auf den Rücken hinabfloss. Das Bild war für seinen Geschmack viel zu klar und eindringlich.

„Dein Haar ist gewachsen.“ In ihrer gemeinsamen Zeit hatte sie es raspelkurz getragen. Poppys berühmter Look: der Ausdruck fragiler Jugend, intensiviert von ausdrucksvollen Augen im perfekt geschnittenen, fein gezeichneten Gesicht. Damals war sie die sexy Mode-Ikone mit dem gewissen Hauch von Frische und Unschuld gewesen.

Unschuld! Fast hätte er laut aufgelacht.

„Ich habe mir einen neuen Look zugelegt.“ Das klang lässig, fast gleichgültig.

Orsino zog seine Hand zurück und verkniff sich die Frage, ob der Drang nach einem neuen Look mit ihrer Trennung zusammenhing. Seit fünf Jahren mied er peinlichst jeden Blick in Presseveröffentlichungen und Magazine, aus denen er etwas über sie hätte erfahren können. Und jetzt war auch kein günstiger Zeitpunkt, seine Neugier wachzurufen.

Und erst recht nicht meine Libido!

Trotzdem war es geschehen. Zerschunden und halb betäubt, reagierte sein Körper mit einer Heftigkeit auf ihre Stimme und den vertrauten Duft, die ihn frustrierte. Sex war absolut nicht Teil seines Plans gewesen, und es ärgerte ihn, dass Poppy immer noch die Macht hatte, ihm das anzutun.

Um den größtmöglichen Abstand zu wahren, lehnte Orsino sich ins Kissen zurück, doch ihr Parfum hatte sich längst im ganzen Zimmer verteilt. Hätte er dem Krankenhauspersonal nur nicht so früh ihren Namen und die Kontaktdaten weitergegeben! Bei ihrer ersten Begegnung nach langer Zeit hatte er viel fitter sein wollen und sie wenigstens sehen können.

„Wie geht es dir, Orsino?“

Er lachte. „Sag jetzt nicht, du machst dir Sorgen um mich.“

Darauf bekam er keine Antwort, spürte aber die Anspannung, die plötzlich in der Luft lag. Dass sie sich durch seine Bemerkung offenbar brüskiert fühlte, weckte seine Raubtierinstinkte. Er wünschte, in diesem Augenblick ihr Gesicht sehen zu können.

„Die ganze Welt fragt sich, wie es dir geht. Nachdem du deinen Begleiter und dich aus dem Berg retten konntest, bist du zum internationalen Helden avanciert.“

„Ah, darum hast du dich also beeilt hierherzukommen!“ Seine Stimme triefte vor Sarkasmus. „Um dich in meinem Glanz zu sonnen.“

Wo immer sie damals zusammen auf der Suche nach etwas Privatsphäre hingegangen waren, tauchte jemand mit einer Kamera auf. Unentwegt waren Bilder von ihnen in Klatschblättern unter Titeln wie Das heißeste Paar des Jahres erschienen. Das Hauptaugenmerk der Paparazzi lag natürlich auf Poppy, die auch nichts dagegen hatte, weil es für sie als Supermodel sozusagen Pflicht war, so oft wie möglich in Hochglanzmagazinen abgedruckt zu werden.

„Ich sehe, du hast dich nicht verändert.“ Ihre Stimme kam jetzt von weiter weg und hatte einen scharfen Unterton. „Immer noch der alte Charmeur. Und immer noch schnell mit deinem Urteil über uns Normalsterbliche …“

Das ignorierte er. Was sollte er darauf auch antworten? Immerhin war er im Recht gewesen und sie im Unrecht. Und zwar so massiv, dass er in einem Augenblick blinder Wut fast ausgerastet wäre. Poppys Glück war, dass er als zivilisierter Mann einfach nur gegangen war … ohne Rache zu nehmen.

„Hast du dich verändert, Poppy?“ Allein ihren Namen auszusprechen, sandte heiße Schauer über seinen Rücken. Wie war das nach der langen Zeit möglich? Es musste an seiner angeschlagenen Verfassung liegen, anders konnte es sich Orsino nicht erklären.

„Natürlich habe ich mich verändert.“ Es hörte sich an, als laufe sie im Zimmer auf und ab. „Ich bin keine einundzwanzig mehr, selbstständig, unabhängig und kompetent.“

„Du warst schon immer sehr selbstständig …“, murmelte Orsino, „… und noch nie wirklich auf jemand angewiesen, oder? Nur, wenn du auf etwas ganz Bestimmtes aus warst, hast du andere für dich eingespannt. Ist das immer noch deine Masche?“

„Und das von dir!“, schoss sie hitzig zurück. „Wann warst du jemals bereit, etwas zu geben oder auch nur zu teilen?“

An ihrem erstickten Ton bemerkte er, dass nicht nur er mit der Situation überfordert war. „Das habe ich ganz anders in Erinnerung. Ich war es doch, der alles geliefert hat: Geld, Prestige, Beziehungen, alles, worauf du so scharf warst …“ Seine Stimme brach ab, als ihm einfiel, dass es immer gleich geendet hatte, wenn sie stritten. Er redete sich im Zweifelsfall um Kopf und Kragen, während sie ihn mit Schweigen strafte. Warum auch argumentieren, wenn man nicht gewinnen konnte?

„Du willst mich gar nicht hier haben.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Für Orsinos Geschmack etwas zu nüchtern und mit einem Unterton Erleichterung. „Das Krankenhaus hat offenbar einen Fehler gemacht, als es mich …“

„Nein, das war kein Fehler“, unterbrach er sie brüsk und schüttelte bekräftigend den Kopf, was er jedoch sofort wieder bereute. Verdammt! Wenn er sie doch nur sehen könnte, würde er wesentlich souveräner reagieren. „Sie waren nur etwas zu voreilig“, brummte Orsino. „Noch wirst du hier nicht gebraucht.“

„Gebraucht? Ich?“

Ihr bitteres Lachen traf ihn wie ein Dolchstoß. Wenn jemand das Recht beanspruchen konnte, verbittert zu sein, dann wohl er! Wenigstens hatte er sie jetzt genau da, wo sie hingehörte. Warum sollte er allein leiden?

„Du brauchst mich nicht, Orsino. Das hast du nie getan.“

„Wenn ich das Krankenhaus verlasse, schon“, widersprach er. „Wer sonst sollte mich während meiner Rekonvaleszenz unterstützen, wenn nicht meine Ehefrau?“

2. KAPITEL

„Ehefrau?“ Poppys Stimme überschlug sich fast. „Das soll wohl ein Witz sein!“

Doch angesichts seines zufriedenen Grinsens war sie sich dessen nicht mehr so sicher. Um seinen Mund herum sah sie feine, grimmige Linien, die vor fünf Jahren noch nicht dagewesen waren. Sie sprachen für eiserne Entschlossenheit. Und für Schmerz.

Unwillkürlich presste Poppy eine Hand auf ihr zuckendes Herz, froh, dass Orsino es nicht sehen konnte.

Seine Augen!

Wie schlimm war er wirklich verletzt? Noch hatte er es ihr nicht gesagt. Mehr denn je hatte sie das Gefühl, einem Fremden gegenüberzustehen.

„Warum sollte ich scherzen?“

Jetzt hatte sich ein Ton in seine Stimme geschlichen, der sie aufhorchen ließ. Es klang, als finge Orsino an, die absurde Situation zu genießen. Diese Erkenntnis ließ sie schaudern.

Sie kannte Orsino knallhart, irrational und unnachgiebig. Dass er aber eine Zwangssituation ausnutzte, war nie sein Stil gewesen. Damals war er einfach gegangen und hatte sie sprachlos und am Boden zerstört zurückgelassen.

Kann er sich so verändert haben?

„Hör zu, Orsino, ich bin nicht mehr deine Frau, also kannst du nicht von mir verlangen, dass ich dich pflege.“

„Eine Vollzeitpflege ist auch gar nicht notwendig. Und sobald ich die lästigen Verbände los bin, werde ich allein zurechtkommen.“

Poppy runzelte die Stirn. Lag da ein Hauch von Zweifel in seiner Stimme? Doch als Orsino weitersprach, verflüchtigte sich der Eindruck.

„Ich brauche nur jemanden, der mir ein bisschen zur Hand geht. Und an dem Punkt kommst du ins Spiel.“

„Wie gesagt, Orsino, ich bin nicht mehr deine Ehefrau und werde dir deshalb auch nicht zur Hand gehen, wie du es formulierst. Da musst du jemand anderen fragen.“ Noch während sie sprach, kam Poppy ein schrecklicher Verdacht. Ob die Kopfverletzung sein Gedächtnis beeinträchtigt hatte? Konnte er sich nicht erinnern, was zwischen ihnen geschehen war?

Gepeinigt schloss sie die Augen. Eine mögliche Hirnschädigung war ein so schrecklicher Gedanke, dass sie kaum Luft bekam.

„Natürlich sind wir noch verheiratet“, beharrte Orsino. „Du hast nie die Scheidungspapiere eingereicht … warum eigentlich nicht, Poppy? Immer noch wegen der Publicity, die mit meinem Familiennamen einhergeht?“

Sein eisiger Ton brachte sie schlagartig wieder zur Besinnung. Erleichterung und Wut hielten sich allerdings die Waage. Orsino war bei klarem Verstand und immer noch voller Vorwürfe und Härte.

Wie hatte sie auch nur einen Moment annehmen können, er würde sich freuen, sie zu sehen? Gut, dass sie diesen halsstarrigen Kerl los war! Auf keinen Fall wollte sie, dass er noch einmal ihr Leben auf den Kopf stellte. Trotzdem stand die Frage noch im Raum: Warum habe ich nie die Scheidung beantragt?

„Du hast die Scheidung doch auch nicht verlangt“, warf sie ihm vor. Angriff war vielleicht die beste Verteidigung. Nur ihre Stimme könnte etwas forscher klingen, nicht so rau und zittrig. Dabei hatte sie gedacht, die Zeit würde alle Wunden heilen.

„Unsere Ehe war zu Ende, als du gegangen bist“, schloss Poppy rau, obwohl es damals nicht so einfach gewesen war, wie es sich jetzt anhörte. Mit wehem Herzen dachte sie an unzählige Telefonate, durchwachte Nächte und sterbende Hoffnung.

„Als ich gegangen bin? Wer leidet hier eigentlich unter Gedächtnisverlust?“ Orsino schüttelte den Kopf. „Und dass du hier bist, ist kein Fehler. Ich habe die Klinik angewiesen, dich herzubestellen, allerdings nicht zu diesem frühen Zeitpunkt.“

Unfassbar! Orsino hatte das Ganze tatsächlich inszeniert! Unwillkürlich flog ihr Blick zur Tür. Warum verschwand sie nicht auf der Stelle, anstatt sich von ihm manipulieren zu lassen? Sie wusste nicht, was es war, aber irgendetwas hielt sie hier fest, egal, wie verletzt sie sich fühlte.

„Du hattest kein Recht, ihnen meinen Namen zu geben.“

Orsino zuckte nur mit den Schultern, und Poppy hasste sich dafür, dass sie wie ein verliebter Teenager auf seinen Oberkörper starrte und dabei auch noch unbewusst mit der Zungenspitze über ihre Lippen fuhr.

Autor

Annie West
Annie verbrachte ihre prägenden Jahre an der Küste von Australien und wuchs in einer nach Büchern verrückten Familie auf. Eine ihrer frühesten Kindheitserinnerungen besteht darin, nach einem Mittagsabenteuer im bewaldeten Hinterhof schläfrig ins Bett gekuschelt ihrem Vater zu lauschen, wie er The Wind in the Willows vorlas. So bald sie...
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