Dein Kuss weckt mein Verlangen

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Nie wieder verschenke ich mein Herz! schwört Miranda, als ihre Jugendliebe stirbt. Weshalb ihr neuer Job in Nizza eine Herausforderung ist: Denn für den umwerfend gutaussehenden Milliardär Leandro Allegretti katalogisiert sie eine Kunstsammlung. Jeder Tag in der malerischen Villa mit diesem schweigsamen Traummann bringt ihren Schwur ein bisschen mehr in Gefahr! Verzweifelt versucht sie, ihre erwachenden Gefühle zu unterdrücken. Zu schrecklich war damals der Schmerz! Doch dann küsst Leandro sie einfach, und alle Vorsätze sind vergessen …


  • Erscheinungstag 17.07.2018
  • Bandnummer 152018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710293
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Miranda hätte ihn gar nicht entdeckt, wenn sie sich nicht vor den Paparazzi versteckt hätte. Nicht dass eine künstliche Topfpflanze ein wirklich gutes Versteck war!

Vorsichtig spähte sie durch die dichten Zweige des Deko-Ficus und beobachtete Leandro Allegretti, wie er die belebte Straße draußen vor dem Café, in dem sie Zuflucht gesucht hatte, überquerte. Ihn schien es überhaupt nicht zu interessieren, dass es in Strömen regnete und dass Kreuzung und Bürgersteige völlig überfüllt waren. Es war, als würde ihn ein unsichtbares Kraftfeld umgeben, das ihn vor Autos und Passanten abschirmte.

Sie hätte ihn überall wiedererkannt. Er hatte eine majestätische, unnahbare Ausstrahlung, die ihn aus jeder Menge herausstechen ließ. Selbst die Art, wie er sich kleidete, machte ihn zu etwas Besonderem. Natürlich gab es unzählige Männer in perfekt sitzenden Anzügen, aber mit seinem stahlgrauen Nadelstreifenanzug, dem blütenweißen Hemd und der schwarz und silbern gestreiften Krawatte sah er irgendwie … anders aus.

Zivilisierter. Und kultivierter.

Vielleicht lag das auch an der für ihn typischen gerunzelten Stirn.

Hatte sie ihn jemals ohne diesen finsteren Gesichtsausdruck gesehen? Das fragte Miranda sich wirklich. Ihre älteren Zwillingsbrüder Julius und Jake waren zusammen mit Leandro auf demselben Internat gewesen. Manchmal war er an Wochenenden und in den Schul- oder später auch in den Semesterferien nach Ravensdene in Buckinghamshire gekommen, dem Familiensitz der Ravensdales.

Weil Miranda ganze zehn Jahre jünger war, hatte sie immer etwas Respekt vor diesem kräftigen, wortkargen jungen Mann gehabt, den ihre Brüder da anschleppten. Er war der Inbegriff des introvertierten, geheimnisvollen Traumtypen: kaum Mimik in diesem schönen, markanten Gesicht, und trotzdem besaß er eine umwerfende Ausstrahlung – eben das gewisse Etwas.

Meistens konnte man ihm nicht ansehen, was er dachte. Schwer zu sagen, ob er gerade schlecht gelaunt war oder sich einfach nur auf etwas konzentrierte.

Jetzt betrat er den Coffeeshop, und Miranda fiel auf, wie ausnahmslos jede anwesende Frau automatisch in seine Richtung starrte. Seine französisch-italienische Herkunft stand ihm rein optisch ausgesprochen gut. Er war überdurchschnittlich groß mit lackschwarzem Haar, olivfarbener Haut und dunkelbraunen Augen. Wesentlich dunkler als ihre eigenen.

Doch falls Leandro sich seiner Wirkung auf die Damenwelt bewusst war, ließ er es sich nicht anmerken. Das war eines der Dinge, die sie heimlich am meisten an ihm bewunderte. Er verließ sich nicht auf sein umwerfend gutes Aussehen. Womöglich ahnte er auch gar nichts von seiner außergewöhnlichen Wirkung auf Frauen. Oder es war ihm schlichtweg egal.

Ganz anders als ihr Bruder Jake, der sich seines Sexappeals durchaus bewusst war und jeden erdenklichen Vorteil daraus zog!

Leandro stand am Verkaufstresen und bestellte sich einen schwarzen Kaffee zum Mitnehmen. Die junge Verkäuferin errötete leicht und beeilte sich mit der Bestellung, während er beiseitetrat und konzentriert auf das Display seines Smartphones blickte.

Genüsslich betrachtete Miranda seine muskulöse, athletische Gestalt. Man sah ihm das regelmäßige Training an: breite Schultern, ein kräftiger Rücken und ein sichtlich knackiger Po. Sie hatte ihn schon häufiger auf Ravensdene bewundert, wenn er bei Wind und Wetter über die Felder gelaufen oder schwimmen gegangen war.

Wenn Leandro Sport trieb, dann tat er das mit äußerster Konzentration und Hingabe – wie ein Getriebener. Was auch immer seine Motivation war, sie half ihm dabei, das Beste aus seiner Erscheinung herauszuholen. Er hatte einen Körper, der Frauenherzen höherschlagen ließ.

Auch Miranda konnte ihren Blick einfach nicht abwenden, ließ ihrer Fantasie freien Lauf und stellte sich vor, wie er wohl nach einer heißen Liebensnacht zwischen zerwühlten Laken aussah. Hatte er momentan eine feste Freundin? Über sein Liebesleben hatte Miranda in letzter Zeit nichts gehört. Sie wusste nur, dass sein Vater vor ein paar Monaten verstorben war. Vermutlich stand Leandro deshalb nicht der Sinn nach amourösen Verwicklungen?

Die junge Bedienung reichte Leandro seinen Kaffee. Gerade wandte Leandro sich zum Gehen, als sein Blick plötzlich durch die Zweige der Topfpflanze auf Miranda traf.

Sie bemerkte, wie es in seinen Augen aufleuchtete, doch er lächelte nicht. Kein bisschen. Dann, ganz kurz, regten sich seine Mundwinkel minimal, was ihm einen zynischen Gesichtsausdruck verlieh.

„Miranda?“, sagte er laut.

Seufzend hob sie die Hand und winkte ihm mit dem Zeigefinger zu, um nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Nur für den Fall, dass sich jemand mit Kamerahandy in der Nähe befand und sie erkannte. „Hi.“

Er kam an ihren Tisch, der hinter der Pflanze verborgen war. Miranda blickte auf, um ihm ins düstere Gesicht zu schauen. In seiner Gegenwart fühlte sie sich immer wie eine winzige Elfe, die es mit einem Riesen zu tun bekam. Zwar war er genau wie ihre Brüder über einen Meter neunzig groß, aber irgendwie kam er ihr immer viel größer vor.

„Ist die Presse noch hinter dir her?“, wollte er wissen und runzelte die Stirn.

Selbstverständlich hatte er alles über den Skandal ihres Vaters mitbekommen. Das war das Topthema zurzeit, auf jeder Titelseite und in jedem Internet-Newsblog. Könnte es noch schlimmer werden? Gab es irgendeinen Ort – innerhalb oder außerhalb von London –, wo man nicht wusste, dass ihr Vater vor dreiundzwanzig Jahren ein uneheliches Kind gezeugt hatte?

Als geachtete Mitglieder der Londoner Theaterszene waren Mirandas Eltern bekannt dafür, jede Menge Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aber dieser Fehltritt ihres Vaters war bei Weitem das Schlimmste, das er sich jemals geleistet hatte. Ihre Mutter Elisabetta Albertini hatte ihr Engagement am Broadway gekündigt und drohte mit Scheidung. Ihr Vater Richard Ravensdale versuchte dagegen, das „Kind der Sünde“, in die Familie einzugliedern. Bisher ohne nennenswerten Erfolg!

Offenbar sprang Katherine Winwood nicht auf den Charme ihres biologischen Erzeugers an und setzte alles daran, ihm und ihren Halbgeschwistern aus dem Weg zu gehen.

Miranda war das nur recht. Vor allem, weil diese Kat so unfassbar hübsch war, dass sie selbst dadurch automatisch zur hässlichen Schwester degradiert wurde. Inakzeptabel!

„Bloß noch ein wenig“, antwortete Miranda mit einem schmerzerfüllten Lächeln. „Reden wir lieber nicht davon. Es tut mir sehr leid wegen deines Vaters. Hätte ich früher davon erfahren, wäre ich zur Beerdigung gekommen.“

„Danke“, murmelte er. „Es war ohnehin nur eine Feier im engsten Kreis.“

„Also, wie geht es dir denn inzwischen?“, wechselte sie das Thema. „Wie man hört, hast du für Julius in Argentinien gearbeitet? Das mit seiner Verlobung sind doch großartige Neuigkeiten, oder? Gestern Abend habe ich seine Zukünftige kennengelernt. Holly ist echt nett.“

Schon immer hatte sie es mühsam gefunden, sich zwanglos mit Leandro zu unterhalten. Er war kein Typ für Smalltalk. Und in seiner Nähe neigte sie leider dazu, sinnlos vor sich hin zu plappern, um peinliches Schweigen zu vermeiden. Er war dermaßen verschlossen, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als sich mit ihrem Übereifer lächerlich zu machen. Eine ziemlich ärgerliche Zwickmühle! Sie fühlte sich wie eine Trainingsmaschine beim Tennis, die wieder und wieder einen neuen Ball ausspuckte, der einfach nicht von ihm zurückgeschlagen wurde.

Zum Glück war es dieses Mal anders.

„Ja“, erwiderte er. „Das sind wirklich tolle Neuigkeiten.“

„Und es war eine Riesenüberraschung, oder?“, fuhr sie eifrig fort. „Ich habe nicht einmal gewusst, dass er sich überhaupt mit jemandem trifft. Kaum zu glauben, dass mein großer Bruder heiraten wird. Aber Holly passt einfach perfekt zu ihm. Ich freue mich wahnsinnig für die beiden. Jasmine Connolly wird das Brautkleid entwerfen. Wir werden auch beide die Brautjungfern sein, weil Holly keine Schwestern oder engere Freundinnen hat. Keine Ahnung, warum, schließlich ist sie eine total nette Person, oder? Jaz findet das auch. Du erinnerst dich doch an Jaz? Die Tochter des Gärtners, die zusammen mit mir auf Ravensdene gewohnt hat? Wir sind auch auf dieselbe Schule gegangen. Ihr gehört jetzt nämlich ein Brautmodengeschäft und …“

„Kann ich dich um einen Gefallen bitten?“

Miranda zwinkerte verwundert. Was für einen Gefallen? Was wollte er von ihr? Dass sie den Mund hielt? Dass sie aufhörte, wie eine Idiotin vor sich hin zu faseln? Nicht dauernd errötete wie ein aufgeregtes Schulmädchen? „Na sicher.“

Sein ernster Blick war fest auf sie gerichtet, und die Brauen hatte er dicht zusammengezogen. „Würdest du einen Job für mich übernehmen?“

Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer. „W…was denn für einen Job?“, stammelte sie atemlos.

Es kam leider häufiger vor, dass sie in Leandros Gegenwart stotterte. Was hatte dieser Kerl bloß an sich, das sie derart aus dem Konzept brachte? Das war doch albern, immerhin kannte sie ihn schon ihr ganzes Leben lang. Er war wie ein Bruder für sie … nun, fast jedenfalls.

In ihrem Unterbewusstsein hatte sie Leandro als den idealen Mann und Lebenspartner abgespeichert. Allerdings hatte sie sich nie erlaubt, diesen Gedanken weiterzuspinnen. Jedenfalls nicht richtig. Aber er war immer da, immer präsent, ob sie nun wollte oder nicht.

„Mein Vater hat mir in seinem Testament seine Kunstsammlung hinterlassen“, erklärte Leandro. „Ich brauche jemanden, der alles katalogisiert und listet, ehe ich die Stücke verkaufen kann. Außerdem sind ein paar Gemälde darunter, die restauriert werden müssten. Natürlich würde ich dich für deinen Aufwand entlohnen.“

Sie fand es merkwürdig, dass er den Tod seines Vaters erst nach der Beerdigung bekannt gegeben hatte. Wieso hatte er nicht wenigstens ihren Brüdern Bescheid gesagt? Besonders Julius, denn er war der weitaus ernstere und reifere Zwilling! Julius hätte seinen alten Freund unterstützt, wäre mit ihm zur Trauerfeier gegangen und hätte ihm in dieser schwierigen Stunde beigestanden.

Im Geist sah sie Leandro vor sich, wie er mutterseelenallein am Grab stand und still vor sich hin litt. Warum hatte er es so gewollt? Begräbnisse waren doch schon Horror genug!

Der letzte Abschied war grundsätzlich furchtbar schmerzhaft, und ihn ohne Unterstützung durchzustehen, war für Miranda undenkbar. Selbst wenn Leandro seinem Vater nicht sonderlich nahegestanden hatte, würde er doch zumindest um das trauern, was er versäumt hatte und niemals mehr nachholen konnte?

Als ihre Jugendliebe Mark Redbank an Leukämie gestorben war, hatten ihre Familie und seine sie liebevoll umfangen und unterstützt. Selbst Leandro war damals bei der Beerdigung aufgetaucht. Sie erinnerte sich noch gut an seine große, dunkle Gestalt im hinteren Bereich der Kirche. Es hatte sie tief berührt, dass er sich die Zeit dafür genommen hatte, obwohl Mark kein direkter Freund von ihm gewesen war. Leandro war ihm bloß wenige Male begegnet.

Miranda hatte von ihren Brüdern gehört, wie schwierig Leandros Familiengeschichte war. Sie hatten ihr nicht viel verraten, nur dass seine Mutter ihn nach der Scheidung seiner Eltern mit nach England genommen hatte, als er acht Jahre alt gewesen war. Dort kam er sofort ins Internat, wo er Mirandas Zwillingsbrüder kennenlernte, während seine Mutter wieder heiratete und eine neue Familie gründete.

Von Anfang an war er ein strebsames Kind gewesen und hatte sowohl in der Schule als auch beim Sport Höchstleistungen erzielt. Diese solide Arbeitsmoral verfolgte er auch bei seiner Karriere als Wirtschaftsprüfer.

„Dein Verlust tut mir sehr leid“, sagte sie.

„Danke.“

„War deine Mutter eigentlich bei dem Begräbnis?“, erkundigte sich Miranda vorsichtig.

„Nein“, murmelte er. „Die beiden haben seit ihrer Scheidung kein Wort mehr miteinander gewechselt.“

Sie fragte sich, ob die Beerdigung seines Vaters in Leandro traurige Erinnerungen geweckt hatte. Das Verhältnis zwischen ihnen beiden war schwierig gewesen, schließlich wollte kein Sohn von seinem Vater zurückgewiesen werden. Offenbar hatte Vittorio Allegretti nach der Scheidung nicht das Sorgerecht beantragt und seinen Sohn später auch nur selten besucht, wenn er mal beruflich in London zu tun hatte.

Von ihren Brüdern hatte sie auch erfahren, dass Leandro sich irgendwann geweigert hatte, seinen Vater zu treffen, der in jenen Jahren zu extremem Alkoholkonsum neigte. In betrunkenem Zustand wurde er manchmal gewalttätig, und einmal musste sogar eine von ihm angezettelte Kneipenschlägerei durch die Polizei beendet werden.

Es hatte niemanden überrascht, dass Leandro mehr und mehr auf Abstand zu seinem Erzeuger ging. In seiner ruhigen und reservierten Art missfiel es ihm generell, unnötig Aufmerksamkeit auf die eigene Person zu ziehen. Und die Schlagzeilen, die sein Vater regelmäßig provozierte, waren ihm mit Sicherheit zuwider gewesen.

Aber da gab es noch so viel, das sie nicht von ihm wusste. Er arbeitete als Wirtschaftsprüfer und war brillant in seinem Job. Zwar hatte er in London seine eigene Firma, war aber als Unternehmensberater auf geschäftlichem und privatem Sektor ständig in der ganzen Welt unterwegs. Häufig arbeitete er auch mit Jake zusammen, der beruflich Analysen und Geschäftsberichte für Unternehmen erstellte, und kürzlich hatte Leandro sogar Julius dabei geholfen, die illegalen Drogen- und Geldgeschäfte von Hollys widerwärtigem Stiefvater aufzudecken.

An Leandro Allegretti konnte man sich wenden, wenn es darum ging, Geheimnisse aufzudecken. Und Miranda ging davon aus, dass er selbst welche hatte.

„Was diesen Job angeht …“, begann sie. „Wo befindet sich die Kunstsammlung?“

„In Nizza“, antwortete er. „Mein Vater hat an der französischen Riviera ein Geschäft für Kunst und Antiquitäten geführt. Hier allerdings handelt es sich um seine Privatsammlung. Alles andere hat er bereits verkauft, nachdem er die tödliche Krebsdiagnose bekam.“

„Und du möchtest das alles trotzdem loswerden?“, wollte Miranda wissen. Einmal abgesehen von dem schwierigen Verhältnis zu seinem Vater: Waren ihm diese Erinnerungen überhaupt nicht wichtig?

Grimmig erwiderte er: „Ja, und sein Haus werde ich auch verkaufen.“

„Warum suchst du dir nicht jemanden vor Ort?“ Zwar wusste Miranda, wie gut ihr Ruf als Restauratorin war, obwohl sie erst am Anfang ihrer Karriere stand. Doch war sie dieser speziellen Aufgabe gewachsen? Echte Kunst zu restaurieren war eine Wissenschaft für sich. Man benutzte ausgefeilte Techniken, Röntgenbilder, Infrarottechnologie und Spektroskopie. Leandro könnte sich die besten Experten der Welt leisten. Wieso fragte er ausgerechnet sie?

„Ich dachte mir, es käme dir gerade recht, um dem ganzen Hype hier zu entfliehen“, erklärte er. „Kannst du dir nicht ein paar Wochen von der Galerie freinehmen?“

Miranda hatte tatsächlich schon überlegt, sich eine Atempause zu gönnen und London den Rücken zu kehren. Seitdem die schmutzige Wäsche ihres Vaters öffentlich gewaschen wurde, war es für sie die Hölle auf Erden. Nirgendwo konnte sie hingehen, ohne dass ihr die peinlichen Schlagzeilen um die Ohren geschlagen wurden. Jeder wollte von ihr wissen, was sie über den Skandal ihres Vaters zu sagen hatte.

Haben Sie ihre Halbschwester schon getroffen? Möchten Sie sie überhaupt kennenlernen? Lassen sich Ihre Eltern jetzt zum zweiten Mal scheiden?

Die Reporter waren erbarmungslos. Neben den neugierigen Fragen der Journalisten musste sich Miranda auch noch die bitteren Tiraden ihrer Mutter anhören, die sich pausenlos über ihren Ehemann beschwerte. Und zu allem Überfluss bestand Mirandas Vater darauf, dass seine Tochter endlich Kontakt zu ihrer Halbschwester aufnahm und vorgab, an einer glücklichen Familienzusammenführung interessiert zu sein.

Als wenn das jemals geschehen würde!

Leandros Angebot war die perfekte Gelegenheit, die Flucht zu ergreifen. Darüber hinaus bot der Oktober an der Côte d’Azur eine höchst willkommene Abwechslung zu dem ermüdenden Londoner Regenwetter. „Wie schnell brauchst du mich?“, fragte sie und wurde rot, weil diese Bemerkung recht zweideutig klang. „Ich meine, wahrscheinlich kann ich erst ab Ende nächster Woche freinehmen. Ist das okay?“

„In Ordnung. Früher bekomme ich auch die Schlüssel zu der Villa nicht. Dann buche ich mal deinen Flug und maile dir später die Einzelheiten. Möchtest du in einem bestimmten Hotel absteigen?“

„Wo wirst du denn wohnen?“

„In der Villa meines Vaters.“

Ein Hotelaufenthalt kostet unnötig viel Geld, fand Miranda. Nicht dass Leandro es sich nicht leisten konnte. Er würde ihr ein Fünfsternehaus bezahlen, wenn sie danach verlangte. Aber in einem Hotel würde ihr die Presse wieder recht schnell auf die Spur kommen. Wenn sie allerdings mit Leandro zusammen im Haus seines Vaters blieb, könnte sie in Ruhe dort arbeiten – ohne die Gefahr, entdeckt zu werden.

Und nicht zuletzt wäre es die perfekte Möglichkeit, den Mann hinter dieser finsteren Miene etwas besser kennenzulernen.

„Wäre da in der Villa auch noch Platz für mich?“

Leandro zog die Augenbrauen zusammen. „Du willst kein Hotel?“

Verlegen biss Miranda sich auf die Unterlippe, und ihre Wangen röteten sich erneut. „Natürlich will ich mich nicht aufdrängen, falls du dort noch jemand anderen untergebracht hast.“

Jemand anderen? Wen meinte sie eigentlich damit? Vielleicht seine neueste Freundin? Sie wusste, dass er des Öfteren Kurzzeitbeziehungen einging. Manchmal sah sie Bilder, die bei öffentlichen Anlässen geschossen worden waren, von ihm und anderen Frauen. Und ein oder zwei Mal hatte er auch jemanden mit zu den legendären Partys gebracht, die ihre Eltern zu Silvester auf Ravensdene gegeben hatten.

Es waren große, elegante und unfassbar schöne Frauen gewesen die sich zu benehmen und eloquent auszudrücken verstanden. Die nicht umständlich vor sich hin stammelten, Unsinn plapperten und sich dadurch lächerlich machten.

Leandro war kein Playboy wie Mirandas Bruder Jake. Er ähnelte eher Julius und hielt sein Privatleben gern unter Verschluss.

„Da wohnt niemand außer mir“, gab er knapp zurück.

Hatte er womöglich zurzeit gar keine Freundin?

Wieso zerbrach sie sich überhaupt den Kopf über sein Liebesleben? Im Grunde ging es sie doch gar nichts an, solange sie sich nicht selbst für ihn interessierte. Und das war nicht der Fall. Sie war nicht auf der Suche nach einem festen Partner. Nicht seit Mark gestorben war. Jeden attraktiven Mann ignorierte sie automatisch. Und wenn mal einer versuchte, mit ihr zu flirten oder sie mit seinem Charme einzuwickeln, brach sie das Gespräch schnellstmöglich ab.

Leandro war dagegen kein großer Charmeur. Zwar verhielt er sich ausgesprochen höflich, blieb jedoch dabei distanziert. Und was das Flirten betraf … Nun, es würde schon helfen, wenn er ab und zu einmal lächelte.

Eigentlich wusste Miranda gar nicht, weshalb sie so auf einer Einladung beharrte. Vielleicht weil sie noch nie im Leben Zeit allein mit ihm verbracht hatte, ohne die Gesellschaft anderer Leute. Oder vielleicht weil er gerade erst seinen Vater verloren hatte und sie unbedingt erfahren wollte, warum er diese Tatsache bis nach der Beerdigung geheim gehalten hatte.

Außerdem wollte sie gern sehen, wo er die ersten Jahre seines Lebens verbracht hatte, vor seinem Umzug nach England. Wie war er wohl als Kind gewesen? Verspielt und unbeschwert wie die meisten Kinder oder schon genauso ernsthaft und verschlossen wie heute?

„Dann würde es dir also nichts ausmachen, wenn ich bei dir wohne?“, hakte sie nach. „Ich komme dir auch nicht in die Quere, das verspreche ich.“

Stumm sah er sie an. Miranda konnte nicht einschätzen, ob er ablehnend oder einfach nur nachdenklich war. „Dort gibt es aber keine Haushälterin.“

„Macht nichts, ich kann kochen. Und ich könnte dir helfen, die Villa von Grund auf zu putzen und auf Vordermann zu bringen, bevor du sie einem Makler überlässt. Das könnte Spaß machen.“

Seine Antwort ließ auf sich warten, und Miranda sah ihm an, wie sorgfältig er das Für und Wider ihres Vorschlags abwog. Ganz offensichtlich erstellte er im Stillen eine Risikoanalyse. Geschäftsmann durch und durch!

Schließlich holte er tief Luft und stieß den Atem aus. „Na schön. Wegen des Flugs schicke ich dir noch eine ausführliche E-Mail.“

Lächelnd stand sie vom Tisch auf und zog sich ihren Mantel über. Anschließend richtete sie mit wenigen geübten Handgriffen ihr Haar. „Hast du etwas dagegen, wenn ich mit dir zusammen von hier verschwinde? Vorhin sind mir ein paar Reporter gefolgt, denen ich nur entkommen konnte, indem ich mich hier versteckt habe. Es wäre echt nett, zurück zur Arbeit zu kommen, ohne weiter von ihnen belästigt zu werden.“

„Kein Problem“, sagte er. „Ich muss sowieso in die Richtung.“

Leandro ging auf dem Weg zur Galerie neben Miranda. Wie so oft staunte er darüber, wie zierlich sie war. Eine Figur wie eine Ballerina mit feinen Gliedern und einem elfenhaften Gesicht, mit großen dunklen Augen und kastanienbraunem Haar. Zu seiner Verwunderung fand sich auf ihrer hellen, cremefarbenen Haut keine einzige Sommersprosse. Sie hatte eine ätherische Schönheit an sich und erinnerte ihn an eine Märchenfigur: ein unschuldiger Engel, der mitten in einer verrückten, außer Kontrolle geratenen Welt verloren gegangen war.

Als er bemerkt hatte, wie sie sich in diesem Café versteckte, hatte das einen Schalter in seinem Kopf umgelegt. Es war wie ein Geistesblitz gewesen. Dabei hatte er nicht weiter darüber nachgedacht, ob sein Handeln richtig war.

Miranda brauchte dringend eine Auszeit von dem Wahnsinn, den der Skandal ihres Vaters ausgelöst hatte. Und er brauchte jemanden, der ihm half, die Unordnung seines verstorbenen Vaters zu richten und die Hinterlassenschaft aufzulösen. Vielleicht wäre es tatsächlich besser gewesen, jemanden vor Ort zu beauftragen. Vielleicht wäre er auch allein damit zurechtgekommen, das Grundstück und die Kunstsammlung ohne angemessene Bewertung zu verkaufen. Eventuell hätte die Hilfe eines Maklers und eines Kunsthändlers gereicht?

Verdammt, er wusste nicht wirklich, warum er sie gebeten hatte, für ihn zu arbeiten. Ihm war lediglich klar, dass sie eine schwere Zeit durchmachte, weil der Skandal um ihren Vater und ihre Halbschwester immer noch Thema Nummer eins war.

Außerdem konnte er den Gedanken nicht ertragen, allein in dieser Villa zu sein – nur mit den Geistern der Vergangenheit, die ihn gnadenlos verfolgten. Er war seit dem Tag, als er im Alter von acht Jahren fortgegangen war, nicht mehr dort gewesen.

Normalerweise handelte er nicht so impulsiv. Aber zu sehen, wie Miranda sich hinter einer Topfpflanze versteckte, hatte ihn erkennen lassen, wie gestresst sie in ihrer ausweglosen Situation war. Er hatte schon von ihren Brüdern gehört, dass die Presse den letzten Monat lang praktisch vor ihrer Wohnung campiert hatte. Miranda war nicht in der Lage gewesen, einen Schritt zu tun, ohne dass ihr dabei eine Kamera oder ein Mikrofon ins Gesicht geschoben wurde. Als Tochter berühmter Prominenter zahlte sie leider einen hohen Preis. Und das auch noch völlig unverschuldet.

Sie hatte Leandro immer ein wenig leidgetan. Ständig wurde sie mit ihrer extravaganten und glamourösen Mutter verglichen, und diesem Vergleich war einfach nicht standzuhalten. Jetzt wurde das Ganze noch schlimmer, und man stellte sie auf eine Stufe mit ihrer Halbschwester.

Kat Winwood war einfach atemberaubend. Da gab es keine zwei Meinungen! Sie war der Typ Wahnsinnsfrau, der einen Verkehrsstau auslösen konnte. Mirandas Schönheit war dagegen zurückhaltender. Es war die Art von Schönheit, die einem langsam, aber sicher ans Herz wuchs. Und sie war auf eine altmodische Weise schüchtern. Er kannte nicht viele Frauen, die so leicht erröteten wie sie.

Nie hatte er sie flirten sehen. Und sie hat sich auch nie mit jemandem verabredet. Nicht seit ihrem sechzehnten Lebensjahr … seit sie ihren ersten und einzigen festen Freund an Leukämie verloren hatte. Leandro konnte nicht anders, als ihre Loyalität zu bewundern, selbst wenn er fand, sie würde ihr Leben achtlos wegwerfen.

Aber stand es ihm zu, über sie zu urteilen?

Schließlich hatte er selbst auch keine Pläne für ein persönliches Happy End.

Miranda war jedenfalls die geeignete Person, um ihn wegen der Sammlung seines Vaters zu beraten. Natürlich war sie es. Zuverlässig und vernünftig, kompetent und effizient. Zudem besaß sie einen exzellenten Blick für Kunst und Kostbarkeiten. Sie hatte schon ihrem Bruder Julius geholfen, bei verschiedenen Auktionen tolle Stücke zu kaufen. Eine Fälschung konnte sie auf zwanzig Schritte Entfernung erkennen. Bestimmt würde es nur ein oder zwei Wochen dauern, um die Sammlung zu sortieren, und damit tat er ihr noch einen Gefallen.

Aber da gab es eine Sache, die wusste sie nicht über ihn.

Autor

Melanie Milburne

Eigentlich hätte Melanie Milburne ja für ein High-School-Examen lernen müssen, doch dann fiel ihr ihr erster Liebesroman in die Hände. Damals – sie war siebzehn – stand für sie fest: Sie würde weiterhin romantische Romane lesen – und einen Mann heiraten, der ebenso attraktiv war wie die Helden der...

Mehr erfahren