Der Tycoon und die Eisprinzessin

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Um ihrer berühmten Familie zu imponieren, nimmt Eleanore Harrington das Angebot an, ein Palasthotel aus Eis zu bauen. Der Haken? Ihr Boss ist Lukas Kuznetskov, ein russischer Milliardär, so kalt und unnachgiebig wie das Eis, mit dem sie arbeitet. Eleanore spürt schnell, dass Lukas‘ selbstherrlicher Charme ihr Blut trotz klirrender Kälte zum Kochen bringt … dabei ist es sonst nur die Karriere, die ihren Puls beschleunigt. Kein Wunder, dass die Eisprinzessin ihr Verlangen für den sexy Tycoon verdrängen will. Aber was zählen Vorsätze, wenn seine Küsse so heiß und feurig sind?


  • Erscheinungstag 13.09.2016
  • Bandnummer 2248
  • ISBN / Artikelnummer 9783733706982
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Die Verbindung ist ständig unterbrochen, Petra. Wer, sagen Sie, will hinschmeißen?“

Lukas Kuznetskov starrte grimmig aus dem Fenster und presste das Handy ans Ohr, um nichts zu verpassen. Erneut versuchte seine persönliche Assistentin, das aktuell aufgetretene Problem zu erläutern. Es betraf offenbar das vermeintliche Genie, dem er den Auftrag erteilt hatte, sein Eishotel zu bauen. Anscheinend war der Mann erbost davongestürmt, weil Lukas Einwände gegen seine letzten Entwürfe angemeldet hatte. Er sei zu kontrollsüchtig, hieß es, und damit blockiere er seine Kreativität.

Kreativität? Lukas fluchte lautlos in sich hinein.

Was für eine Frechheit angesichts der Tatsache, dass der Entwurf aus seiner eigenen Feder stammte. Dieser Pseudo-Künstler sollte nur statische und technische Details liefern und hatte klare Order bekommen, das Bauvorhaben möglichst zügig anzuschieben. Da sein geplantes Eishotel das in Russland mit höchster Spannung erwartete Prestigeobjekt war, musste man es Lukas wohl nachsehen, wenn er vier Wochen vor der geplanten Eröffnung Nerven zeigte.

„Bitte sagen Sie mir, dass er wenigstens das Interieur der Gästesuiten nach meinen Angaben umgestaltet hat“, brummte er ungnädig und presste die Kiefer zusammen, als Petra das verneinte.

Arrogant, überspannt, absolut nutzlos der Kerl! Lukas holte tief Luft und informierte seine PA, dass er sich selbst darum kümmern würde. Falls ihm nicht noch etwas anderes dazwischenkäme …

„Ärger an der Front?“

Einen Moment lang hatte er seinen italienischen Schiffsingenieur, der geduldig im Hintergrund wartete, völlig vergessen. Nur widerwillig riss sich Lukas von der überwältigenden Schönheit der Adriaküste los und betrachtete die Pläne, die auf einem massiven Holztisch ausgebreitet lagen.

Bis eben hatten sie gemeinsam Tomasos Entwürfe für einen Supertanker begutachtet, der zweimal so viel Frachtgut aufnehmen konnte wie die größten existierenden Modelle und dabei noch mit doppelter Geschwindigkeit punktete. Wenn es ihnen gelingen sollte, diesen Entwurf zu realisieren, konnte Lukas sich auf jeden Fall eine weitere Feder an seinen ohnehin reichlich mit Trophäen versehenen Hut stecken.

Wenn er überhaupt für jemanden so etwas wie Freundschaft empfand, dann für Tomaso Coraletti, der einige Jahre älter war als er. Während Lukas ihn über sein Lieblingsprojekt ins Bild setzte, strich der Ältere sich gedankenvoll über den sauber gestutzten Bart.

Biscotti, Lukas?“

Als er sich umwandte und Maria sah, die mit einem silbernen Tablett vor ihm stand, schwand sein Stirnrunzeln und machte einem breiten Lächeln Platz. Noch bevor er etwas sagen konnte, langte Tomaso von hinten an ihm vorbei und schnappte sich einen der frisch gebackenen italienischen Mandelkekse.

„Birichino!“, schimpfte Maria und schlug ihrem Gatten spielerisch auf die Finger. „Lukas ist ein junger Mann und noch im Wachstum. Er braucht sie dringender als du.“

Beide Männer wussten natürlich, dass das Unsinn war, reagierten aber wie von ihnen erwartet. Während der gescholtene Tomaso etwas Unverständliches brummte, lachte Lukas pflichtschuldigst, stopfte sein Handy in die Hosentasche und nahm sich einen Keks vom Tablett, obwohl er sich absolut nichts daraus machte.

„Mille grazie, Maria“, sagte er artig.

Dio! Das sind die besten Biscotti in ganz Italien, du Banause!“, schwärmte Tomaso, dem sein zögerliches Zugreifen nicht entgangen war. „Ob ich jemals den Tag erlebe, an dem du ein fantastisches Gebäck wie dieses zu schätzen weißt?“

Lukas schüttelte den Kopf und lachte erneut, diesmal aufrichtig amüsiert. Er kannte Tomaso, seit er als blutjunger Hilfsmatrose auf seinem ersten Containerschiff angeheuert hatte. Tatsächlich hatte der Italiener ihm den Job sogar vermittelt. Dem Schiffsingenieur war es gelungen, seinen Bruder – den Kapitän des Frachters – zu überreden, dem sechzehnjährigen Obdachlosen aus St. Petersburg eine Chance zu geben.

Als Tomaso damals auf der Straße von einer Jugendgang überfallen worden war, die es auf seine Brieftasche, wenn nicht sogar auf sein Leben abgesehen hatte, war Lukas ihm zu Hilfe gekommen. Das hatte Tomaso enorm beeindruckt. Er glaubte an das Potenzial und die ernsthaften Ambitionen des Jungen.

Und er behielt recht.

Zunächst traute Lukas dem Älteren nicht, da er viel zu früh hatte lernen müssen, dass man verloren war, sobald man sich auf andere verließ. Anders als die meisten Straßenkids hatte er nie das Bedürfnis verspürt, sich einer Gang anzuschließen. Weder um Schutz zu suchen noch um sich stärker zu fühlen.

Er war gerade mal fünf gewesen, als seine Mutter ihn in den Zug von St. Petersburg nach Moskau gesetzt und ihm versprochen hatte, bald nachzukommen. Er hatte ihr geglaubt und ihr vertraut. Es dauerte weitere fünf Jahre, bis er nach St. Petersburg zurückkehrte, um seine Mutter zu suchen.

Ein hoffnungsloses Unterfangen ohne Aussicht auf Erfolg.

Als Lukas bewusst wurde, dass er in die Vergangenheit abzugleiten drohte, riss er sich zusammen. Was ist nur mit mir los? Okay, sein Architekt hatte hingeschmissen. Aber das bedeutete kaum das Ende der Welt. Außerdem blieb er immer Sieger. Wie Phönix stieg er aus der Asche und schwang sich hinauf in neue Höhen.

„Kein Zweifel, du bist ein echter Glückspilz, Tomaso“, spielte Lukas mit und klopfte dem Älteren freundschaftlich auf die Schulter. Insgeheim dachte er jedoch, dass in Wahrheit er derjenige war, der sich glücklich schätzen konnte. Er war frei und ungebunden, und wenn er ein Biscotti wollte, musste er nur zu Harrods gehen, wenn er in London war, und in St. Petersburg zu Gostiny Dwor.

Vielleicht kamen sie nicht direkt aus dem Ofen und waren geschmacklich weniger gut, doch Biscotti waren einfach nur Biscotti, egal wie viele Rezepte es dafür gab.

Maria drückte ihm noch zwei Plätzchen in die Hand und ermahnte ihn mütterlich, nicht so viel zu arbeiten und lieber Babys zu machen als Schiffe zu bauen. Fast hätte Lukas laut aufgelacht, da seine verflossene Geliebte nahezu wortwörtlich dasselbe gesagt hatte, als sie nach ihrer letzten gemeinsamen Nacht das Diamantcollier und den Porsche Carrera einkassiert hatte.

„Könnte sein, ich habe da jemanden für dich.“

Tomasos Bemerkung brachte ihn endgültig zurück in die Gegenwart. „Tatsächlich? Jemand, der Biscotti backt oder der Babys macht?“, fragte er leichthin.

„Weder noch. Kommentare zu diesen und ähnlichen Themen überlasse ich mia moglie, meiner Gattin. Ich wüsste jemanden, der dir mit deinem Eishotel helfen kann.“

Lukas legte die Biscotti zur Seite. „Wenn er keine Witzfigur ist wie sein Vorgänger, ist er engagiert.“

Tomaso lachte. „Eine Witzfigur ist sie ganz sicher nicht, sondern richtig gut.“

„Sie?“

„Eine Exstudentin von mir und Tochter des verstorbenen Hoteliers Jonathan Harrington.“

Lukas kannte den Namen und hatte sogar schon einmal in einem seiner Hotels eine Suite gebucht, war aber nicht übermäßig beeindruckt gewesen. Von der Familie selbst wusste er nichts, außer dass etwaige Sprösslinge unter Garantie äußerst privilegiert aufgewachsen waren. „Der Name ist mir geläufig.“

Natürlich hörte Tomaso die Skepsis in seiner Stimme. „Eleanore Harrington ist die Jüngste von drei Töchtern und extrem talentiert.“ Wieder strich er sich bedächtig über den kurz geschorenen Bart. „Und so weit ich das beurteilen kann, wird sie absolut unterschätzt und ist in ihrer momentanen Stellung im familieneigenen Unternehmen nicht ausgelastet.“

„Sie arbeitet im Familienunternehmen?“ Wenn Lukas etwas noch weniger schmeckte als Biscotti, dann Vetternwirtschaft.

„Schon, aber ich glaube nicht, dass es sich dabei um einen Gefälligkeitsjob handelt, was offenbar deine erste Assoziation ist. Nach dem Tod des Vaters übernahm ihre älteste Schwester Isabelle das Kommando, und die ist ein harter Knochen.“

Lukas war immer noch nicht überzeugt.

„Mach dir selbst ein Bild, falls dir mein Urteil nicht reicht“, empfahl Tomaso ihm. „Eleanore hat gerade eine Eisbar in Singapur fertiggestellt, die morgen eröffnet wird. Meine Einladung werde ich nicht nutzen können, da Maria seit ihrer Operation nur sehr ungern verreist.“

Lukas horchte auf. Jetzt war sein Interesse geweckt. Wenn die Frau tatsächlich eine Eisbar designt hatte, durfte er zumindest davon ausgehen, dass sie das Konzept hinter seiner innovativen Idee erfasste. Und da er das Bauvorhaben ohnehin nicht aus der Hand geben wollte und nur jemand fürs Interieur und fine-tuning brauchte, war sie vielleicht genau das, was er suchte.

Und da er Tomaso mehr vertraute als vielen anderen, beschloss Lukas spontan, morgen auf dem Rückweg nach St. Petersburg einen Umweg über Singapur zu machen.

Unterwegs vertiefte Lukas sich in das Businessprofil von Eleanore und musste zugeben, dass es sich bei der jüngsten Harrington-Tochter um eine durchaus attraktive Erscheinung handelte, mit hellem Teint und braunen Augen. Insgesamt sprach ihr Äußeres eher für eine Karriere als Gastgeberin exklusiver Dinnerpartys in Luxusvillen als davon, dass sie diese designte.

Und anschließend landet sie dann nackt im Bett eines Mannes, vielleicht sogar irgendwann in meinem! Lukas runzelte die Stirn angesichts dieser absurden Fantasie.

Mal davon abgesehen, dass an Eleanore Harrington nichts Besonderes war, vermischte er Geschäft und Vergnügen grundsätzlich nicht. Warum seinen Komfortbereich von jemand unterminieren lassen, der womöglich noch seine männlichen Schwächen beklagte? Du bist zu unsensibel. – Du hast kein Herz. – Dir liegt an niemandem, außer an dir selbst …

Alles wahr und nichts, was er vor den Frauen verheimlichte, die vorübergehend das Bett mit ihm teilten. Dabei hielten sie sich, was die eigenen Schwächen betraf, durchaus bedeckt. Und das bis zu dem Moment, in dem sie schmollend ihre Abfindung kassierten und mit einem Auge bereits nach dem nächsten Kandidaten Ausschau hielten, den sie melken konnten.

Ehrlich gesagt hing ihm das ganze Theater langsam zum Hals raus.

Mit gefurchter Stirn vertiefte sich Lukas erneut in Eleanore Harringtons Profil. Offenbar hatte sie ihr Architekturstudium mit einem Diplom abgeschlossen und parallel dazu ein Zweitstudium in Interieur Design absolviert, bevor sie ins Familienunternehmen eingestiegen war. Als persönliche Interessen gab sie Lesen, Kunst, Geschichte, ihre Schuh-Sammel-Leidenschaft und ein Praktikum im örtlichen Tierheim an.

Seine Mundwinkel wanderten nach unten. Überaus faszinierend! dachte er zynisch und war froh, kein persönliches Interesse an dieser Lady bekunden zu müssen, die ihn innerhalb von Minuten zu Tode langweilen würde.

„Wir erreichen in Kürze Singapur, Mr. Kuznetskov. Kann ich noch irgendetwas für Sie tun, bevor wir landen?“

„Njet.“ Lukas wandte den Kopf, starrte auf das Lichtermeer unter ihnen und hoffte, die spontane Aktion würde sich nicht als Zeitverschwendung erweisen. Doch er war wild entschlossen, das Eishotel-Projekt zu einem Riesenerfolg zu machen, und wenn Eleanore Harrington auch nur halb so gut war, wie Tomaso behauptete, dann war er bereit, jede Anstrengung auf sich zu nehmen, um sie mit an Bord zu holen.

Wohl zum hundertsten Mal schaute Eleanore auf ihre Uhr, dann fuhr sie auf ihrem Barhocker herum, weil sich die Tür in ihrem Rücken öffnete. Ihr Herz schlug wild und schnell, aber nur so lange, bis sie sah, dass es junge Einheimische waren, die aussahen, als hätten sie schon etliche von Lulus Yummy Yetis intus.

„Du wartest auf deinen Liebhaber?“

Lulus hoffnungsvolle Frage beantwortete Eleanore lediglich mit einer vielsagenden Geste, nachdem sie sich wieder dem Tresen zugewandt hatte. Lulus frisch gefärbte lila Haarpracht kam durch die zuckenden Blitze des Stroboskoplichts besonders gut zur Geltung. Sie war nicht nur New Yorks beste Bartenderin, sondern im Lauf der Jahre auch zu einer guten Freundin geworden, weshalb Eleanore sie auch zur Eröffnung der neuen Bar nach Singapur gelotst hatte – in ihr neuestes Projekt, auf das sie wohl zu Recht stolz sein konnte. Hier war alles – angefangen vom Bartresen, den Stühlen, den Wänden bis hin zu den Gläsern – aus purem Eis. In der tropischen Schwüle von Singapur ein wahres Wunderwerk und ein voller Erfolg, was die begeisterten Medienvertreter betraf, die sich mehr als bereitwillig eingefunden hatten, um sich mit freien Drinks und Cocktails verwöhnen zu lassen.

„Von wegen Liebhaber! Ich warte auf meine Schwestern“, gestand Eleanore niedergeschlagen. Beide, Isabelle und Olivia, hatten hoch und heilig versprochen zu kommen, um den Erfolg der kleinen Schwester mit ihr zu feiern. Doch so kurz vor Mitternacht war damit wohl nicht mehr zu rechnen.

Dass Olivia, die gerade ein neues Engagement vor sich hatte, es nicht schaffen würde, hatte Eleanore schon befürchtet, aber Isabelle …

Sie war diejenige, die am Drücker saß und Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen konnte, um ihre kleine Schwester als feste Größe innerhalb der Harrington Group zu etablieren. Und das war es, was Eleanore einfach alles bedeuten würde und worauf sie seit Jahren hingearbeitet hatte.

Insgeheim hatte sie gehofft, Isabelle beweisen zu können, dass ihre Talente absolut verschwendet waren, wenn man sie weiterhin nur neue Kissenbezüge für die Hotelfoyers designen oder die Gästesuiten umdekorieren ließ.

Lulu stellte ihr einen rubinroten Cocktail mit lustigem Schirmchen hin und schnitt eine tragisch-komische Grimasse. „Wusste ich’s doch! Ein Liebhaber wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu sein. Du musst ihn wahrscheinlich auf deine tägliche To-do-Liste setzen, wenn etwas daraus werden soll.“

Eleanore schüttelte den Kopf wegen des Seitenhiebs ihrer Freundin. Die von Lulu belächelte Liste war eben ihre Art, das Leben zu bewältigen. Und einen Mann zu finden, stand momentan an letzter Stelle. „Männer und eine Karriere vertragen sich einfach nicht. Entweder, sie fühlen sich vernachlässigt, weil du zu viel arbeitest, oder sie zwingen dich quasi zu Überstunden, weil sie dich unerträglich langweilen.“ Eleanore starrte in ihren Drink und hielt ihn dann gegen das Licht. „Was hast du jetzt wieder gezaubert? Nach dem Hot Shot von vorhin kann ich nur hoffen, dass hier weniger Alkohol drin ist.“

Zumal sie sich nicht erinnern konnte, ob sie ihre letzte Mahlzeit heute Mittag, am Morgen oder gestern Abend zu sich genommen hatte.

In den vergangenen Tagen stand sie derart unter Adrenalin, dass sie einerseits keinen Schlaf fand, andererseits die Augen nicht länger hätte aufhalten können, ohne ständig starken Kaffee zu trinken. Wahrscheinlich war das auch der Grund dafür, dass sie sich gleichzeitig total kribbelig und zu Tode erschöpft fühlte.

Lulu lehnte sich mit der Hüfte gegen den Tresen und genoss den vergleichsweise ruhigen Ausklang einer turbulent verrückten Nacht. „Ich nenne die Kreation Don’t Poke the Bear“, verriet sie grinsend. „Wecke nicht den schlafenden Bären. Sag mir, was du davon hältst.“ Als Eleanore nach einem Schluck indigniert die Brauen hob, lachte Lulu auf. „Das bezieht sich hoffentlich immer noch auf das Thema Männer und nicht auf meinen Cocktail! Versteh mich nicht falsch, Darling, ich will dich auf keinen Fall in Ehefesseln sehen.“ Sie schauderte sichtlich bei der Vorstellung. „Aber ein bisschen Spaß? Heißen Sex? Dagegen ist doch wohl nichts einzuwenden. Wann hattest du dein letztes Date?“

„Neunzehnhundertfünfundsechzig“, behauptete Eleanore ausdruckslos und brachte ihre Freundin damit erneut zum Lachen.

„Weißt du was? Das nehme ich dir sogar ab, und genau das ist auch der Knackpunkt. Du musst mehr rausgehen, dir ein wenig den Wind um die Nase wehen lassen.“ Nachdem sie ihre Standardpredigt losgeworden war, bestückte sie den Bartresen mit neuen Eisgläsern. „Wo sind denn nun deine sehnlichst erwarteten Schwestern?“

Eleanore neigte nicht zu Pessimismus, doch anzunehmen, die beiden steckten noch irgendwo im Verkehr oder säßen auf dem Rollfeld am Flughafen fest, erschien selbst ihr ziemlich weit hergeholt. „Beschäftigt.“ Sie unterdrückte ein Seufzen. „Olivia hat unter Garantie ein Vorsprechen, und das Drama um eine eventuelle Übernahme der Harrington Group hält Isabelle derart in Atem, dass sie zurzeit an nichts anderes denken kann.“

Selbst jetzt, in ihrer Fantasie, sah sie ihre älteste Schwester in eine hitzige Diskussion mit Spencer Chatsfield verwickelt.

Vielleicht müsste sie etwas mehr Verständnis für ihre Schwestern aufbringen, doch das fiel Eleanore im Moment nicht leicht. Besonders da sie selbst kaum einen von Olivias Premierenabenden versäumt und an jedem wichtigen Event teilgenommen hatte, das auf Isabelles Agenda stand.

„Na bestens!“, versuchte Lulu als gute Freundin die Situation zu retten. „Das lässt dir Zeit für private Vergnügungen. Und anständiger Sex hat schon immer geholfen, um sich besser zu fühlen.“

Eleanore hob die Brauen, als sie ihre Leichenbittermiene in der verspiegelten Wand hinter dem Bartresen sah, und dachte kurz daran, Isabelle eine SMS zu schicken, verzichtete dann aber darauf. Was hätte sie ihr auch schreiben sollen? Dass sie enttäuscht war über ihr Fernbleiben? Unter Garantie würde ihre Schwester nur die Stirn runzeln und sie fragen warum. Und niemals auf den Gedanken verfallen, ihre jüngste Schwester könnte sich als Außenseiter innerhalb der Familie fühlen. Isabelle war ungeheuer selbstbewusst und erfolgreich, Olivia talentiert und wunderschön. Und was die Sache mit dem Wohlfühl-Sex betraf, den Lulu vorgeschlagen hatte …

Mit einem abgrundtiefen Seufzer legte Eleanore die absurde Idee ad acta. „Ich denke, ein heißes Bad muss reichen. Und danach Ben & Jerry’s – Kekse mit Sahne.“

Lulu schnaubte verächtlich. „Kann dir ein heißes Bad etwa zu einem ultimativen Orgasmus verhelfen und dir danach noch einen heißen Kakao machen?“

Eleanore nippte an ihrem Drink. „Wenn du einen Mann findest, der nach dem Sex auch nur irgendetwas für dich tut, dann halt ihn unbedingt fest und lass ihn nie wieder gehen“, riet sie ihrer Freundin zynisch und nahm noch einen Schluck. „Soweit ich weiß, schreien die meisten Frauen nicht beim Orgasmus, sondern hinterher ihren Mann an, wenn der sich von ihnen runterrollt und einschläft“, behauptete sie in gewollt schnodderigem Ton, obwohl sie auf keinerlei eigene Erfahrung zurückgreifen konnte.

Vielleicht aber auch gerade deshalb. Eleanore wollte sich nicht dafür verteidigen müssen, dass sie bisher weder Zeit noch Gelegenheit oder auch nur den Wunsch nach sexuellen Abenteuern gehabt hatte.

„Da wir gerade über Orgasmen sprechen …“ Lulu senkte ihre Stimme um gefühlte zehn Oktaven. „Schau mal, was uns ein gnädiges Schicksal da hereingeweht hat. Einen einsamen Businessman, sexy bis in die Haarspitzen, auf der Suche nach einer willigen Gefährtin für eine Nacht.“

„Wahrscheinlich verheiratet“, mutmaßte Eleanore nach einem flüchtigen Blick in den Spiegel, der ihr den Eindruck eines breitschultrigen Mannes mit kurzgeschorenem dunkelblondem Haarschopf und harten Wikingerzügen vermittelte. Er trug einen langen schwarzen Mantel. Seine hochgewachsene Gestalt und arrogante Haltung signalisierten Macht und Autorität, während er mit scharfem Blick den Raum scannte, wie ein Terminator, der sich aus der Vergangenheit hierhergebeamt hatte, um Rache zu nehmen.

Daneben war er der attraktivste Mann, den Eleanore je zu Gesicht bekommen hatte. Als sich ihre Blicke trafen, sank ihre ohnehin miese Laune auf den Tiefpunkt. Diese unfassbar blauen, durchdringenden Augen … sie kannte ihn!

„Wow, der Kerl ist ja so heiß, dass er unsere Eisbar zum Schmelzen bringt“, murmelte Lulu und fächelte sich Luft zu.

„Vergiss es“, riet Eleanore. „Der Typ ist ein echter Stinkstiefel.“

Lulu riss die Augen auf. „Du kennst ihn?“

„Kennen wäre zu viel gesagt.“

Lukas Kuznetskov: milliardenschwerer Geschäftsmann, mysteriös, rücksichtslos.

Persönlich war sie ihm nur einmal begegnet, anlässlich eines Fashion Events vor einem Jahr. Da war er mit dem Topmodel der Kampagne liiert gewesen und hatte Eleanore an einen eitlen Pfau erinnert, der dem geneigten Publikum seine Trophäe auf der After-Party präsentierte.

„Er ist einer der Typen, die besser aussehen und mehr Geld haben, als es für sie gut ist“, lautete ihr abfälliges Urteil.

„Gegen beides habe ich absolut nichts einzuwenden, solange er im Bett genauso gut ist“, raunte Lulu ihr zu. „Und ich wette, das ist er.“

Eleanore schaute zur Seite, stellte fest, dass sie beobachtet wurde, und spürte, wie ihr Blut schneller durch die Adern floss. Als sie sich erneut ihrer Freundin zuwandte, war ihre Stimme seltsam flach. „Glaub mir, dieser Typ ist derart von sich eingenommen und auf sein eigenes Vergnügen bedacht, dass er sich um dich nicht den geringsten Gedanken macht. Deinen Kakao danach kannst du vergessen.“

„Na, du scheinst dir ja schon eine Menge Gedanken über diesen Adonis gemacht zu haben“, bemerkte Lulu spitz und Eleanore wusste, dass sie ihr jetzt ein Faible für Lukas Kuznetskov unterstellte.

Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein!

Vor zwei Jahren, kurz bevor ihr Vater starb, hatte dieser Mann einen abfälligen Kommentar über eines ihrer Hotels zum Besten gegeben, womit er dem Image des Harrington über Monate hinweg schweren Schaden zugefügt hatte.

„Nicht so, wie du offenbar denkst. Ich kann den Kerl nicht ausstehen.“

„Nun, er scheint aber definitiv an dir interessiert zu sein. Sonst würde er dich wohl nicht so fixieren wie die sprichwörtliche Schlange das Kaninchen.“ Lulu lehnte sich vor und senkte vertraulich die Stimme. „Ich wette, du traust dich nicht, mit ihm zu flirten.“

Eleanore schnaubte verächtlich. „Als ob ich mich auf einen Flirt mit einem widerlichen, selbstverliebten Reptil einlassen würde!“

„Ich kann nur hoffen, dass nicht ich damit gemeint bin, Miss Harrington.“

Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als ihr dämmerte, dass Lulu das Objekt ihrer kontroversen Diskussion durch ihr vertrauliches Näherrücken vorrübergehend ausgeblendet hatte. So hatte sich ihr später Gast unbemerkt nähern können. Eleanore wagte einen Seitenblick, begegnete einem belustigten Lächeln und atmete auf. Lukas Kuznetskov ging offenbar gar nicht davon aus, dass sie über ihn gesprochen hatten, sondern versuchte nur, amüsant zu sein!

Eleanore beschloss, seine Bemerkung zu ignorieren und knipste ihr professionelles Lächeln an. Woher er wohl meinen Namen kennt?

„Guten Abend. Und herzlich willkommen im Glaciers, auf unserem frostigen Gletscher.“ Es war eine einstudierte Grußfloskel, die sie heute Abend bereits unzählige Male benutzt und die stets Wirkung gezeigt und launige Antworten provoziert hatte. Bis jetzt.

„Danke“, kam es trocken zurück, mit einer Stimme, die ebenso radiotauglich wie geschaffen fürs Bett war. „Wie ich hörte, haben Sie diese Eisbar designt?“

Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Eleanore versuchte, sich darauf zu konzentrieren, dass dieser Mann offenbar mehr über sie wusste als sie über ihn.

„Ja.“

„Gratulation, sie ist wirklich spektakulär.“

Wie er es sagte und sie dabei ansah, ließ ihr Herz schneller schlagen. Verflucht! Wenn jemand spektakulär war, dann er, so ungern sie es zugab. Angefangen von den zwingenden, blauen Augen, die an einen stürmischen Sommerhimmel erinnerten, der geraden Nase, den hohen Wangenknochen und der wie gemeißelten Kinnlinie, deren Härte auch der leichte Bartschatten nicht mildern konnte.

Nein, spektakulär war viel zu seicht für einen Mann mit dieser potenten Ausstrahlung, gestand sich Eleanore widerwillig ein. Animalisch, herausfordernd, gefährlich … wahrscheinlich lag es auch an der Narbe, die seine linke Braue über dem Augenwinkel zerschnitt, als hätte ihn jemand mit einem Messer attackiert.

„Haben Sie Ihre Zunge verschluckt?“

Vielleicht eine Verflossene? Erst verspätet wurde Eleanore bewusst, dass sie ihn anstarrte. Während heiße Röte ihren Hals emporkroch, stürzte sie den Rest von Lulus Drink herunter und sammelte sich. „Absolut nicht“, konterte sie kühl. „Ich habe nur überlegt, dass es Zeit ist zu gehen.“

„Aber ich bin gerade erst angekommen.“

Na und? Was geht mich das an?

„Darf ich Ihnen einen Drink anbieten, Sir?“, fragte Lulu so neutral wie möglich, während Eleanore überlegte, ob es auch nur eine Frau auf der Welt gäbe, die nicht scharf auf diesen Typen war. Nicht bei dem Aussehen und seinem Bankkonto, entschied sie für sich und genoss die Vorstellung, die Erste zu sein.

„Einen Stoli, wenn vorhanden. Pur.“

„Kommt sofort, Sir“, zwitscherte Lulu.

Eleanore verdrehte die Augen und hätte Lulu am liebsten geraten, den Ball etwas flacher zu halten. Gleichzeitig suchte sie fieberhaft nach einem Vorwand, um sich verziehen zu können, ohne allzu unhöflich zu erscheinen.

„Möchten Sie Ihr Glas aufgefüllt haben?“

Es dauerte einen Moment, bevor sie begriff, dass sie gemeint war. Sie schüttelte den Kopf und bereute es sofort, weil ihr schwindelig wurde. Verflixt, dabei hatte Lulu sie noch gewarnt, nicht den schlafenden Bären zu wecken! „Nein danke.“

Sie versuchte, von dem Eisklotz herunterzurutschen, der ihr als Barhocker diente, und stellte dabei fest, dass ihr Hinterteil, trotz des schützenden Polsters, völlig taub war. Vorsichtig setzte sie einen Fuß auf den Boden und wäre ihm dabei fast auf die Zehen getreten. Eleanore schaute hoch, doch die Entschuldigung blieb ihr im Hals stecken, als sie seinem prüfenden Blick begegnete und sah, wie er missbilligend die Augenbrauen zusammenschob.

„Ihnen ist kalt, Sie zittern ja wie Espenlaub“, stellte er nüchtern fest. „Sie sollten eine Jacke tragen. Hier drin sind es mindestens minus sechs Grad …“ Es war ein gemurmeltes Selbstgespräch und endete damit, dass er seinen schweren Mantel von den breiten Schultern nahm und sie darin einhüllte.

Sekundenlang verharrte sie wie erstarrt. Der würzig maskuline Duft eines teuren Aftershaves umnebelte ihre Sinne und raubte ihr den Atem. Was Eleanore ziemlich irritierte, da sie eigentlich nicht zu den Frauen gehörte, die sich durch Männer wie ihn beeindrucken ließen. Es musste an Lulus Neckereien über Flirten und Sex liegen, dass sie sich völlig untypisch verhielt. Und natürlich an den mörderischen Cocktails!

Jetzt lehnte sich Mr. Charmebolzen Kuznetskov lasziv mit dem Rücken und aufgestützten Ellenbogen gegen den Tresen, sodass sein dünnes Baumwollhemd die beeindruckende Brustmuskulatur noch betonte. Versonnen ließ Eleanore ihren Blick nach unten über die schmalen Hüften und langen Beine wandern, bis sie bei den auf Hochglanz polierten Schuhen ankam, die unter Garantie eine Maßanfertigung waren.

Als er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte, schaute sie wie ertappt auf und war nur froh über das Stroboskoplicht, das ihre brennenden Wangen kaschierte. Im Hintergrund schallte Popmusik aus einem versteckten Lautsprechersystem. Eleanore schloss für einen Moment die Augen, um sich besser auf die Musik konzentrieren zu können, in der Hoffnung, so von dem Mann vor ihr abgelenkt zu werden.

Als sie zögernd wieder die Lider hob, verriet ihr sein zynisches Lächeln, dass er sich so leicht nicht täuschen ließ. Eleanore hatte es noch nie ertragen, wenn man sich über sie lustig machte. Mit einer gereizten Bewegung schüttelte sie den schweren Mantel ab und ließ ihn achtlos zu Boden fallen.

„Ich brauche so was nicht“, informierte sie Lukas Kuznetskov kalt und ließ offen, worauf sich das bezog.

„Dieses Kleid kann Sie unmöglich warmhalten“, stellte er missbilligend fest.

Und wenn schon, das geht dich gar nichts an! dachte sie aufmüpfig und sehnte sich nach der wohligen Wärme seines Mantels zurück. Aber lieber wäre sie auf der Stelle tot umgefallen, als ihm das zu gestehen. Außerdem hatte sie den ganzen Tag und den gesamten Abend derart unter Adrenalin gestanden, dass ihr bisher gar nicht der Gedanke gekommen war, ihr leichtes Wollkleid könne keinen ausreichenden Schutz gegen die Minusgrade in der Bar bieten. Davon abgesehen musste hier irgendwo auch noch ihr Jackett sein … Sie konnte sich nur nicht mehr erinnern, wo.

„Wie auch immer, das ist kaum Ihr Problem.“

„In der Tat“, kam es im gleichen arroganten Ton zurück.

„Ich hoffe, Sie genießen Ihren Aufenthalt im Glaciers. Wir würden uns freuen, wenn Sie uns irgendwann wieder beehren.“ Das zusammen mit ihrem dünnsten Lächeln sollte ausreichen, um ihn zu entmutigen und ihm klarzumachen, dass hohle Komplimente und aufgesetzter Gentleman-Charme nicht ausreichten, um sie ins Bett zu kriegen.

Warum er stattdessen den Kopf in den Nacken legte und schallend lachte, konnte sich Eleanore beim besten Willen nicht erklären.

„Darf ich erfahren, was Sie so amüsiert?“, fragte sie spitz.

„Eigentlich nur, dass Sie noch viel frostiger sind als diese Bar.“ Damit stieß er sich vom Tresen ab und begutachtete die nassen Flecken um seine Ellenbogen. „Aus irgendeinem Grund scheine ich Ihr Missfallen erregt zu haben, obwohl wir bisher kaum ein Wort gewechselt haben“, stellte er mit einem Lächeln fest, das ihr Herz höher schlagen ließ. „Vielleicht liegt es daran, dass ich vergaß, mich vorzustellen. Ich bin Lukas Kuznetskov.“

„Ich weiß, wer Sie sind.“ Es war heraus, ehe Eleanore nachdenken konnte, und damit schien ihre brüske Bemerkung über ihr zu schweben wie ein Damoklesschwert. An der starren Miene ihres Gegenübers konnte sie ablesen, dass Lukas Kuznetskov langsam der Verdacht kam, ihre rüde Bemerkung, kurz nachdem er die Bar betreten hatte, könnte sich vielleicht doch auf ihn bezogen haben.

Während Eleanores mandelförmige Augen grüne und goldene Blitze in seine Richtung schossen, registrierte Lukas abwesend, dass sie bernsteinfarben und nicht braun waren, wie er zunächst angenommen hatte. Auf jeden Fall aber waren sie bemerkenswert.

Dabei hatte er Eleanore Harrington, zumindest auf den ersten Blick, als ziemlich langweilig und uninteressant eingestuft. Kein Wunder, wie sie so zimperlich in ihrem schwarzen Basic-Kleid an der Bar saß. Die einzigen Farbkleckse waren orange Ankleboots mit überraschend hohen Absätzen und gleichfarbige Spieße, die an chinesische Essstäbchen erinnerten und in ihrem stylischen Haarknoten steckten.

Autor

Michelle Conder

Schon als Kind waren Bücher Michelle Conders ständige Begleiter, und bereits in ihrer Grundschulzeit begann sie, selbst zu schreiben. Zuerst beschränkte sie sich auf Tagebücher, kleinen Geschichten aus dem Schulalltag, schrieb Anfänge von Büchern und kleine Theaterstücke. Trotzdem hätte sie nie gedacht, dass das Schreiben einmal ihre wahre Berufung werden...

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