Die Braut von Montesavro

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Hoch über der Küste von Amalfi steht das Castillo des Herzogs von Montesavro. Damit Lorenzo sein Schloss nicht an eine Verwandte verliert, muss er heiraten. Also bietet er Jodie eine Million, wenn sie seine Frau wird - für ein Jahr! Doch plötzlich kommen Gefühle ins Spiel …


  • Erscheinungstag 26.04.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733777920
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Sie würde sich nicht wie ein Schulmädchen benehmen und in Tränen ausbrechen, sagte sich Jodie und presste die Lippen aufeinander. Es fing schon an, dunkel zu werden. Sie fühlte sich krank, und ihr Magen verkrampfte sich, weil sie fürchtete, einen schweren Fehler begangen zu haben – in dem Dörfchen, durch das sie zuletzt gekommen war, hatte sie eine Abzweigung genommen, vielleicht die falsche.

Sie und John hätten jetzt gemeinsam die Nacht in der Hochzeitssuite eines romantischen Hotels verbringen können … ihre erste Nacht als Mann und Frau. Jodie würde nicht weinen. Nicht jetzt – und schon gar nicht wegen eines Mannes. Nie, nie wieder. Das Wort Liebe hatte sie aus ihrem Wortschatz gestrichen. Und aus ihrem Leben.

Sie stöhnte auf, als ihr kleiner Leihwagen in ein tiefes Schlagloch rumpelte – auf einer schmalen Landstraße, die tatsächlich immer höher in die Berge hinaufführte und nicht an die Küste.

Seit sie im Alter von neunzehn Jahren ihre Eltern bei einem Autounfall verloren hatte, waren ihr Cousin David und seine Frau Andrea Jodies einzige Verwandte. Sie hatten ihr davon abgeraten, allein nach Italien zu fahren.

„Aber die Reise ist bereits bezahlt. Und wenn John nicht mitkommt, werde ich sie eben ohne ihn machen“, hatte Jodie geantwortet.

Außerdem wollte sie auf keinen Fall in England sein, wenn John ihre Freundin Louise heiratete. Sie wollte ein paar Wochen irgendwo anders sein und nicht an ihren Exverlobten und Louise denken – Louise, die Jodies Platz in Johns Herzen eingenommen hatte, in seinem Leben und in seiner Zukunft.

Jodie hatte David und Andrea nicht erzählt, wie tief es sie wirklich traf, dass ihr Verlobter sie nur einen Monat vor der Hochzeit wegen einer anderen verlassen hatte. David und Andrea hatten sie zu überzeugen versucht, dass sie zu Hause bleiben sollte. Aber das Städtchen in den Cotswolds war so klein, dass dort jeder jeden kannte und alle wussten, was Jodie passiert war. Das Mitleid der Nachbarn hätte Jodie nicht ertragen. Mit der Reise nach Italien wollte sie allen Leuten, aber in erster Linie John und Louise, zeigen, wie wenig sein Verrat ihr bedeutete.

Am besten wäre es natürlich, wenn sie auf Johns und Louises Hochzeit in Begleitung eines besser aussehenden, reicheren und attraktiveren Mannes erscheinen würde … Träum weiter, schalt Jodie sich selbst. Denn es gab nicht die geringste Chance, dass so etwas tatsächlich eintreten würde.

„Jodie, du kannst doch nicht allein nach Italien fahren“, hatte David protestiert. Andrea und er hatten sich vielsagende Blicke zugeworfen.

„Wieso denn nicht?“, hatte Jodie erwidert. „An das Alleinreisen muss ich mich ja wohl gewöhnen. Warum nicht gleich damit beginnen?“

„Jodie, wir beide verstehen ja, dass du geschockt und verletzt bist“, hatte Andrea hinzugefügt. „Aber das ist doch auf Dauer keine Lösung.“

„Für mich schon“, hatte Jodie beharrt.

Es war Johns Idee gewesen, die Zeit nach der Hochzeit an der wunderschönen Küste von Amalfi in Italien zu verbringen.

Als Jodies Wagen erneut durch ein Schlagloch rollte und kräftig geschüttelt wurde, seufzte sie. Die Straße war in einem solch miserablen Zustand, dass Jodie das Fahren mehr Konzentration als gewöhnlich abforderte. Ihr Bein schmerzte, und sie bedauerte nun, dass sie ihre erste Nacht in Italien nicht in der Nähe von Neapel verbracht hatte. Wo um Himmels willen befand sie sich? Bestimmt nicht dort, wohin sie hatte fahren wollen. Die Wegweiser zu dem kleinen Dorf, das ihr erstes Ziel bildete, waren entweder gar nicht zu finden oder ungenau. Die Straße war auf der Landkarte nicht eingezeichnet. Mit John wäre Jodie das nicht passiert, aber John war nicht bei ihr … und würde es auch nie mehr sein.

Wenn sie daran dachte, dass praktisch jeder in ihrem Heimatstädtchen über John und Louise Bescheid gewusst hatte – alle außer ihr selbst –, wurde Jodie klar, wie naiv sie gewesen war. Von Freunden hatte sie erfahren, dass Louise, erst einige Monate zuvor mit ihren Eltern in die Cotswolds gezogen, von dem Moment an, da ihr John vorgestellt worden war, beschlossen hatte, ihn für sich zu erobern. Jodie fiel es wie Schuppen von den Augen: Deshalb hatte Louise sich so um ihre Freundschaft bemüht. Jodie hätte ahnen müssen, dass etwas nicht stimmte, als John ihr scheinheilig versichert hatte, „die Sache mit ihrem Bein“ würde ihm nichts ausmachen. Sie stöhnte, weil die Schmerzen in ihrem Bein jetzt stärker wurden.

Nie wieder würde ihr dieser Fehler unterlaufen. Nie wieder würde sie das Wort „Liebe“ für bare Münze nehmen – selbst wenn es bedeutete, dass sie für den Rest ihres Lebens allein bleiben würde.

Was John und Louise anging, so erschienen die beiden wie füreinander geschaffen. Beide hatten sie betrogen und belogen. Jodie beschloss, nicht eher wieder nach Hause zurückzukehren, bis die Hochzeit vorbei war. Auf das Getuschel und die mitleidigen Blicke konnte sie gern verzichten.

„Sieh die ganze Sache doch auch mal von einer positiven Seite“, hatte Andrea versucht, sie aufzumuntern. „Wer weiß … vielleicht triffst du ja in Italien den Mann deines Lebens. Italienische Männer sind bekanntlich besonders gut aussehend und leidenschaftlich.“

Italienische Männer können sein, wie sie wollen, dachte Jodie. Liebe, Ehe – davon wollte sie nichts mehr hören.

Jodie fuhr etwas schneller. Sie hatte keine Ahnung, wohin die gewundene, mit Schlaglöchern übersäte Straße sie führte. Aber sie wollte nicht umkehren. In ihrem Leben würde es keine Umkehr mehr geben, keinen Blick zurück, keine wehmütige Erinnerung an das, was hätte sein können. Sie musste nach vorn schauen – nur nach vorn.

David und Andrea hatten sich sehr liebevoll um sie gekümmert und sie bei sich aufgenommen. Denn ihr kleines Haus hatte Jodie verkauft, um mit dem Erlös ein größeres Haus für sich und John zu erstehen. Zum Glück hatte John sich wenigstens insoweit als ehrlich erwiesen, dass er ihr das Geld, das Jodie ihm bereits überwiesen hatte, sofort zurückgezahlt hatte. In den nächsten Monaten brauchte sie sich keine finanziellen Sorgen zu machen. Aber Jodie musste eine neue Arbeitsstelle finden. Vor dem Bruch mit John hatte sie in dem Familienunternehmen der Higgins’ gearbeitet, dessen Geschäftsführung John bald übernehmen sollte.

Also hatte sie kein Heim mehr, keinen Job, keine Zukunft …

Erschrocken schrie Jodie auf, als ein Vorderrad in ein tiefes Schlagloch krachte und sie mit Wucht nach vorn geschleudert wurde. Der Sicherheitsgurt drückte schmerzhaft an ihrem Oberkörper. Wie lange würde sie noch auf dieser schrecklichen Straße fahren müssen, bevor sie die nächste Siedlung erreichte? Im nächsten Dorf hatte sie ein Hotelzimmer reserviert und hätte nach den Angaben in ihrem Reiseführer längst dort sein müssen. Wo war sie nur gelandet? Die einsame Straße vor ihr wurde immer steiler …

„Du bist dafür verantwortlich, nehme ich an. Du hattest schon immer einen schlechten Charakter, Caterina.“ Lorenzo Niccolo d’Este, Herzog von Montesavro, funkelte die Witwe seines verstorbenen Cousins Gino wütend an.

„Wenn deine Großmutter meine Gefühle für dich beim Verfassen ihres Testamentes berücksichtigt hat, dann, weil sie …“

„Deine Gefühle?“, unterbrach Lorenzo. „Und was genau sind das für Gefühle? Dieselben, mit denen du schon Gino in den Tod getrieben hast?“, fügte er bitter hinzu.

Trotz des makellosen Make-ups zeigten sich auf Caterinas Gesicht hässliche rote Flecken. „Ich habe Gino nicht in den Tod getrieben. Er starb an einem Herzanfall.“

„Ja, den du durch dein unmögliches Benehmen verursacht hast.“

„Mit solchen Anschuldigungen solltest du besser vorsichtig sein, Lorenzo, sonst …“

„Du wagst es, mir zu drohen? Du magst es geschafft haben, meine Großmutter zu täuschen, mich täuschst du nicht.“

Er drehte sich um und schritt, um Beherrschung ringend, über den Steinfußboden in die große Eingangshalle des Schlosses.

„Gib es doch zu“, rief er Caterina über die Schulter zu, „dass du nur hergekommen bist, um eine todkranke alte Frau in deinem Sinne zu beeinflussen.“

„Ich habe überhaupt keine Lust, mit dir zu streiten, Lorenzo. Alles, was ich will …“

„Ich weiß genau, was du willst“, erwiderte Lorenzo kalt. „Du willst das Ansehen, die gesellschaftliche Position und den Reichtum meiner Familie – deshalb willst du mich heiraten. Deshalb hast du die kranke alte Frau dazu gedrängt, ihren Letzten Willen zu ändern. Wenn du nur ein kleines bisschen Anstand hättest …“, er drehte sich ihr mit einem verächtlichen Blick wieder zu, „aber das wäre wohl zu viel verlangt.“

Die wütende Attacke hatte das aufgesetzte Lächeln aus Caterinas Gesicht gewischt, ihre Haltung versteifte sich augenblicklich. Von einer Sekunde zur anderen ließ Caterina die Maske fallen. „Du kannst dir so viele Anschuldigungen ausdenken, wie du willst, Lorenzo. Du hast gegen mich keine Chance.“

Er sah den Triumph in ihren Augen.

„Gib es ruhig zu, Lorenzo. Ich habe dich überlistet. Wenn du das Schloss willst – und ich weiß, dass du es willst –, dann musst du mich heiraten. Du hast keine andere Wahl.“ Sie lachte auf und warf den Kopf in den Nacken. Lorenzo entdeckte eine Ader, die unter Caterinas gebräunter Haut hervortrat. Er verspürte den kaum bezähmbaren Wunsch, die Hände um ihren Hals zu legen und zuzudrücken.

Ja, er wollte das Schloss. Hier war er aufgewachsen, er liebte es. Und er würde es bekommen. Genauso sicher, wie er nicht in Caterinas Falle gehen und sie heiraten würde.

„Du hast meiner Großmutter vorgelogen, dass ich dich liebe und dich heiraten möchte. Du hast ihr erzählt, dass die Leute nicht nur die Stirn runzeln würden, wenn du, gerade verwitwet, den Cousin deines Mannes heiratest. Du hast ihr weisgemacht, dass ich meine Leidenschaft für dich nicht würde zügeln können und Schande über die Familie brächte.“ Lorenzo lachte bitter auf. „Du wusstest, wie altmodisch meine Großmutter in solchen Fragen war. Deshalb hast du ihr eingeflüstert, es gäbe nur eine Möglichkeit, mich vor der Schande zu bewahren: eine Änderung ihres Testaments. Wenn ich das Schloss nur unter der Bedingung erbte, binnen sechs Wochen nach ihrem Tod zu heiraten, würde der Letzte Wille meiner Großmutter sozusagen die moralischen Bedenken der Gesellschaft außer Kraft setzen. Und du warst perfide genug, sie zu nötigen, dir das Schloss zu vermachen, wenn ich die Bedingung nicht erfülle. Bestimmt hast du ihr gesagt, so würde das Schloss auf jeden Fall in der Familie bleiben, nicht wahr?“

„Du kannst mir nicht das Geringste nachweisen.“ Caterina zuckte wegwerfend die Schultern.

Lorenzo wusste, dass sie damit recht hatte.

„Als Großmutter wegen der Änderungen mit ihrem Notar sprach, begriff er sofort, was vor sich ging“, meinte Lorenzo. „Er wollte mich noch benachrichtigen, aber es war schon zu spät.“

„Ja, zu spät für dich.“ Caterina grinste ihn frech an.

„Also gibst du es zu?“

„Nichts gebe ich zu. Und du kannst nichts beweisen.“

„Eins möchte ich jetzt und hier klarstellen – egal, wozu du meine Großmutter gebracht hast, ich werde dich niemals heiraten. Du wärst die letzte Frau, der ich meinen Namen geben würde.“

Boshaft lachte Caterina auf. „Als hättest du die Wahl.“

Lorenzo umgab der Ruf eines harten und rücksichtslosen Gegners. Er war ein Mann, der ebenso respektiert wie gefürchtet wurde. Von ihm träumten viele Frauen und wünschten sich, in seinen Armen zu liegen. Ohne Zweifel stand er auf der Liste der begehrtesten italienischen Junggesellen ganz oben und wurde beinah täglich in den Klatschspalten der Zeitungen genannt. Er sah gut aus und war sich seiner starken erotischen Ausstrahlung bewusst. Jedes Mal, wenn er irgendwo zusammen mit einer Frau fotografiert wurde, begannen die Spekulationen aufs Neue. Und es gab eine ganze Reihe von Kandidatinnen, die nicht nur gern die gesellschaftliche Stellung und den Reichtum mit ihm geteilt hätten, sondern auch seine männlichen Qualitäten schätzen würden. Aber Lorenzo hatte über dreißig Jahre glücklich gelebt, ohne sich endgültig für eine Frau zu entscheiden.

Nachdenklich schaute er Caterina an. Er verachtete sie und fand sie abstoßend. Nicht äußerlich, aber ihre Persönlichkeit. Über den Charakter von Frauen hatte er generell nicht die beste Meinung. Zu oft hatte Lorenzo die Erfahrung gemacht, dass Frauen oberflächlich von seiner Herkunft, seinem Reichtum und seinem Aussehen fasziniert schienen, sich aber für den Menschen dahinter nicht interessierten.

„Du hast gar keine andere Wahl, Lorenzo“, erklärte Caterina. „Wenn du das Schloss willst, musst du mich heiraten.“

Kühl lächelnd sah Lorenzo sie an. „In den nächsten sechs Wochen muss ich heiraten, das stimmt“, meinte er. „Aber in dem Testament steht nicht, dass ich dich heiraten muss. Vielleicht hast du es nicht aufmerksam genug gelesen.“

Plötzlich wurde Caterina sehr blass im Gesicht. In ihren Augen zeigte sich ein Ausdruck von Verwirrung und Ungläubigkeit. „Was soll das heißen? Natürlich habe ich es gelesen. Ich habe ihr schließlich diktiert, was sie schreiben sollte. Ich …“

„Ich erkläre es dir gern – du hast offenbar nicht gelesen, was genau sie geschrieben hat. Schau hin, da steht nur, dass ich in den sechs Wochen nach ihrem Tod heiraten muss, aber es steht nicht da, wer mir das Jawort geben soll.“

Caterina starrte ihn geschockt an. Ihr hübsches Gesicht, das sie vor Jahren zu einem begehrten Model hatte werden lassen, wirkte plötzlich alt und verzerrt.

„Das kann nicht sein! Das hast du geändert. Du und der verfluchte Notar. Das ist Betrug.“

Sie sprang auf und griff nach dem Testament, das Lorenzo auf den Tisch geworfen hatte. Das Gesicht nun rot vor Zorn, überflog Caterina den Text.

„Du hast das verändert. Ich weiß nicht, wie – sie wollte, dass du mich heiratest.“ Ihre Stimme wurde immer schriller.

Gelassen blickte Lorenzo sie an. „Großmutter war klug genug, mir zu zeigen, was sie für das Beste für mich hielt. An dich hat sie dabei offensichtlich nicht gedacht.“

Er stand unter einem alten Kronleuchter, der Lorenzos Schatten vielfältig an die Wände des großen Raumes warf. Das Schloss glich eher einem Fort als einem behaglichen Heim. Lange bevor es der damalige Duca di Montesavro in der Renaissance gekauft hatte, war es errichtet worden. Der Herzog und seine Nachfolger hatten viel Geld und Mühe darauf verwandt, das karge und düstere Gemäuer durch Wand- und Deckenmalereien sowie Ornamente der Epoche wohnlicher zu machen. Trotzdem besaß es immer noch eine Aura von Kargheit und Strenge.

Vielleicht liebte Lorenzo es gerade deswegen.

Von seinen Vorfahren hatte er die scharf geschnittenen, manchmal wie gemeißelt wirkenden Gesichtszüge geerbt. Die Lippen, eher schmal als voll, wirkten wahrscheinlich gerade wegen des entschlossenen Ausdrucks auf Frauen anziehend. Das perfekt frisierte Haar war dicht und schwarz, seine Anzüge maßgeschneidert und teuer. Dennoch verliehen Lorenzo die für einen Italiener ungewöhnlich hellen Augen seine besondere Attraktivität.

Um das Geld ging es ihm bei der Erbschaft nicht. Als erfolgreicher Geschäftsmann hatte er bereits ein Vermögen verdient. Immer wieder waren Gerüchte laut geworden, dass es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könne, wenn ein junger Mann zu solchem Reichtum kam. Aber Lorenzo hatte sich nie um dieses Geschwätz gekümmert. Er hatte seine ganze Kraft, Zeit und Intelligenz eingesetzt, um mit klugen Investments das von seinen Eltern ererbte Geld beträchtlich zu vermehren.

Nein, es ging für ihn um das Schloss, die Heimat vieler Generationen der Montesavros.

Sein Cousin Gino war anders gewesen. Er hat seiner Frau erlaubt, ihn finanziell in den Ruin zu treiben, dachte Lorenzo zornig. Caterina hatte sich nie wie eine Ehefrau benommen, die ihrem Mann Liebe und Achtung entgegenbrachte. Und das tat sie natürlich auch als Witwe nicht.

Armer Gino, er hatte sie so sehr geliebt. Lorenzo hob die Hand und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Trug er eine Mitschuld an Ginos Schicksal? Er war es schließlich gewesen, der ihn mit Caterina bekannt gemacht hatte.

Damals war Lorenzo achtzehn gewesen, Caterina zweiundzwanzig. Als junger Student hatte er sich von der attraktiven, etwas älteren Frau angezogen gefühlt. Doch bald waren ihm Caterinas Beweggründe klar geworden: Ihr Interesse hatte vor allem an immer teureren Geschenken bestanden. Lorenzo hatte die Beziehung schnell beendet.

Unglücklicherweise war Caterina kurz vor dem Ende der Affäre mit Gino zusammengetroffen. Und bereits eine Woche später sah Lorenzo, als er den beiden begegnete, den protzigen Verlobungsring an ihrem Finger und das bewundernde Lächeln auf dem Gesicht seines Cousins. Lorenzo versuchte noch, Gino zu warnen. Doch der hörte ihm nicht zu und beschuldigte ihn zudem, eifersüchtig zu sein. Zum ersten Mal stritten sich Lorenzo und Gino. Und Caterina war gerissen genug, Gino bis zur Hochzeit von Lorenzo fernzuhalten.

Auch nach der Vermählung war es Lorenzo nicht möglich, ein offenes Wort mit seinem Cousin zu sprechen. Das Vertrauen und die blinde Zuneigung, die Gino Caterina entgegenbrachte, wurden von ihr schmählich missbraucht, nicht zuletzt mit einer Reihe von Liebhabern, mit denen sie ihren Mann betrog. Und dann war es zu spät gewesen.

„Wohin gehst du?“, rief Caterina jetzt mit schriller Stimme, als Lorenzo sich umdrehte und auf die Tür zuschritt.

Vom anderen Ende der Halle schaute Lorenzo noch einmal zurück.

„Ich gehe mir eine Frau suchen“, sagte er freundlich. „Du weißt doch, meine Großmutter hat in ihrem Testament gefordert, dass ich heirate. Aber du wirst garantiert nicht meine Braut.“

„Du kannst keine andere Frau heiraten. Nur mich. Dafür werde ich sorgen.“

„Das glaube ich kaum, Caterina.“

„So schnell findest du keine andere Frau. Du bist zu stolz, um irgendein Dorfmädchen auszuwählen. Und außerdem …“, sie sah ihn lauernd an, „wenn es notwendig sein sollte, werde ich öffentlich erzählen, dass ich ein Kind von Gino erwartete und du mich gezwungen hast, es abtreiben zu lassen.“

„Nicht von Gino, von irgendeinem deiner Liebhaber. Das hast du bereits zugegeben.“

„Ich werde behaupten, dass es dein Kind war. Viele Leute wissen, dass wir vor meiner Zeit mit Gino eine Affäre hatten. Auch er hat immer geglaubt, dass du mich noch liebst.“

Lorenzo hielt in der Bewegung inne, drehte sich um und machte ein paar rasche Schritte auf Caterina zu. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war so zornig, dass sie zum Ausgang lief, hinausschlüpfte und die Tür schnell hinter sich ins Schloss zog.

Leise fluchte Lorenzo. Er ging zum Tisch hinüber und nahm das Testament seiner Großmutter in die Hand.

Wütend und enttäuscht hatte er zugehört, als der Notar ihn endlich erreicht und ihm von der Testamentsänderung erzählt hatte. Doch eine andere Tatsache war ihm zugetragen worden: Der Anrufer hatte der alten Dame davon abgeraten, Caterina als gewünschte Ehefrau namentlich in das Testament aufzunehmen. Der ältere Herr, der die Familie seit Jahrzehnten betreute, war besorgt gewesen, ob er auch im Sinne von Lorenzo gehandelt hätte. Lorenzo konnte ihn beruhigen. Dank des Eingreifens des Notars musste er nur noch heiraten, um das Schloss zu erben – aber nicht zwingend Caterina.

Trotzdem musste er jetzt aus dem Haus, sich ablenken und beruhigen. Sonst würde er noch etwas tun, das er später bereuen würde. Er ging durch die Terrassentür hinaus in den Park und atmete die frische Abendluft in tiefen Zügen ein, froh, dem schweren süßen Duft von Caterinas Parfum entkommen zu sein.

2. KAPITEL

Jodie wusste einfach nicht mehr weiter. Blieb ihr nichts anderes übrig, als umzukehren? Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo sie sich befand. Das Mondlicht tauchte eine Landschaft, die Jodie feindlich, fast bedrohlich erschien, in ein unwirkliches Licht. Auf der einen Seite der unasphaltierten Straße fiel der Abhang steil in die Tiefe, auf der anderen ragten schroffe Felsen hoch hinauf.

Ein Stück weiter vorn schien sich die Straße zu verbreitern. Dort würde Jodie den Wagen wenden. Sie fuhr bis zu der Stelle und begann mit dem Wendemanöver, kurz bevor plötzlich ein lautes, hässliches Geräusch ertönte. Der Wagen neigte sich zur Seite. Erschrocken öffnete sie die Fahrertür und sprang hinaus. Jodie fühlte Panik in sich aufsteigen, als sie sah, dass eines der Hinterräder in einem tiefen Loch steckte. Außerdem schien der Reifen platt zu sein.

Was sollte sie jetzt machen? Weiterfahren konnte sie auf keinen Fall.

Sie ging um den Wagen herum und setzte sich bei offener Tür auf den Fahrersitz. Stöhnend massierte Jodie sich das schmerzende Bein. Sie war müde, hungrig und fühlte sich miserabel. Nachdem sie den Verschluss ihrer Handtasche aufgezogen hatte, nahm Jodie das Handy und die Unterlagen der Mietwagenfirma heraus.

Sie sah, dass das Mobiltelefon eingeschaltet war, bemerkte aber mit Entsetzen, dass das Display kein Netz anzeigte. Ein paar Sekunden später erlosch die Displaybeleuchtung. Jodie stöhnte auf. Sie hatte das Handy nicht ausgeschaltet – und ausgerechnet jetzt war der Akku leer. Wie hatte sie nur so dumm sein können? Sollte sie zu Fuß weiterlaufen? Bis zu dem letzten Dorf, durch das sie gekommen war, würde sie Stunden brauchen. Und die Schmerzen im Bein waren alles andere als aufmunternd.

Während der ganzen Fahrt war sie keinem anderen Wagen begegnet. Trotzdem musste die Straße befahren sein, denn Jodie konnte frische Reifenspuren sehen. Sie richtete den Blick auf den Weg, der vor ihr lag und höher in die Berge führte – und war unglaublich erleichtert, als sie in der Ferne die Scheinwerfer eines näher kommenden Wagens bemerkte.

Ihre Erleichterung war so groß, dass sie sich plötzlich ganz schwach fühlte.

Wütend trat Lorenzo auf das Gaspedal seines schwarzen Ferraris, während er die kurvige Straße, von der er jeden Meter genau kannte, hinunterraste.

Er dachte immer noch darüber nach, wie raffiniert Caterina seine Großmutter manipuliert hatte. Sie hatte leichtes Spiel gehabt. Denn er war zur Unterstützung einer internationalen Hilfsorganisation auf einer Auslandsreise gewesen, die ihn zum Schauplatz einer gewaltigen Katastrophe geführt hatte. Die ehrenamtliche Tätigkeit, die er im Auftrag der Regierung bei solchen Anlässen ausübte, nahm einen erheblichen Teil seiner Zeit in Anspruch.

Als er vom Tod seiner Großmutter erfahren hatte, befand Lorenzo sich auf einer Reise, die ihn halb um die Welt geführt hatte. Zur Beerdigung war er nicht mehr rechtzeitig erschienen, sondern erst zum anschließenden Trauergottesdienst.

Seine Großmutter, eine einfache, charakterstarke und verlässliche Frau, hatte ihm einmal gesagt, dass sie als junges Mädchen Nonne werden wollte. Sie war friedlich im Schlaf gestorben.

Das Schloss hatte sie von ihrem ersten Mann geerbt, der, wie üblich in Adelskreisen, der Cousin ihres späteren zweiten Mannes – und Bruder von Lorenzos Vater – gewesen war.

Lorenzo war immer ihr Liebling gewesen. Nach der Scheidung seiner Eltern hatte er die Ferien regelmäßig bei ihr auf dem Schloss verbracht. Und als seine Mutter einen Liebhaber heiraten wollte, einen Mann, den er verabscheute, entschloss Lorenzo sich, bei der Großmutter zu wohnen.

Er hatte seiner Mutter diese Heirat nie vergeben können. Nicht einmal jetzt, da sie, wie auch der Vater, schon einige Jahre tot war. Ihr Verhalten hatte ihn Frauen gegenüber hellhörig und vorsichtig gemacht. Die meisten hielt Lorenzo für selbstsüchtig. Seine Mutter hatte immer wieder behauptet, sie habe sich von seinem Vater scheiden lassen, um ihrem Sohn ein unglückliches Familienleben zu ersparen. Aber das war natürlich eine Lüge gewesen. An ihn hatte sie mit Sicherheit keinen Gedanken verschwendet, wenn sie in den Armen ihres Liebhabers lag, dem sie letztendlich den Vorzug gegenüber Ehemann und Sohn gegeben hatte.

Der Ferrari wurde von der unebenen Straße mächtig durchgeschüttelt, aber Lorenzo ignorierte das Gerüttel. Er bog um eine scharfe Kurve und trat dann mit einem leisen Fluch auf den Lippen voller Kraft auf die Bremse, als er vor sich einen quer stehenden Wagen und daneben eine junge Frau sah.

Jodie sprang erschreckt zur Seite. Kurz vor ihr kam der Ferrari in einer Staubwolke zum Stehen.

Welcher Verrückte fuhr im Dunkeln auf dieser Straße mit so hoher Geschwindigkeit, fragte sie sich, als sie zusah, wie der Fahrer ausstieg und auf sie zukam.

Disgraziata!“ Ein Strom von wütenden Worten auf Italienisch folgte diesem Ausruf. Doch Jodie hatte nicht die Absicht, sich einschüchtern zu lassen. Weder von ihm noch von sonst einem Mann.

„Sind Sie bald fertig?“, unterbrach sie den Wortschwall des Fremden scharf und mit genauso zorniger Stimmlage, wie er sie benutzte. „Erstens bin ich keine Italienerin. Ich bin Engländerin. Und ich …“

„Engländerin?“ Er sprach das Wort aus, als ob er es noch nie zuvor gehört hätte. „Was machen Sie hier am späten Abend? Das ist eine Privatstraße, sie führt hinauf zu dem Schloss.“

„Ich bin in dem Dorf dort unten wohl falsch abgebogen“, sagte Jodie. „Ich wollte gerade umkehren, aber das Auto ist in dem Loch da stecken geblieben. Und der Reifen ist auch platt.“

Sie war blass und dünn, die Augen wirkten in ihrem schmalen Gesicht riesengroß, die blonden Haare hatte sie achtlos nach hinten gekämmt. Wie sechzehn sieht sie aus, wie eine unterernährte Sechzehnjährige, dachte Lorenzo, der sie rasch und routiniert von Kopf bis Fuß musterte: Zarte Schultern, kleine, aber feste Brüste, ein flacher Bauch und schmale Hüften. Und ungewöhnlich lange Beine, die in ausgewaschenen engen Jeans steckten. Trug sie hochhackige Schuhe – oder waren ihre Beine wirklich so lang, wie es schien?

„Wie alt sind Sie?“, fragte er zu Jodies Überraschung.

Wie alt sie war? Warum wollte er ausgerechnet das wissen?

„Ich bin sechsundzwanzig“, antwortete Jodie etwas widerwillig. Sie hob das Kinn, um zu zeigen, dass sie sich nicht vor dem fremden Mann fürchtete. Tatsächlich wäre sie am liebsten weggerannt, denn es war ihr nicht entgangen, dass er ungewöhnlich gut aussah. Instinktiv fasste sie nach ihrem schmerzenden Bein.

Sechsundzwanzig! Lorenzo schaute auf ihre Hände. Kein Ring. „Was um Himmels willen machen Sie hier draußen, allein?“

Diese Frage hätte er Jodie nicht stellen sollen. „Ich bin allein, weil ich allein sein will. Und außerdem geht Sie das gar nichts an.“

„Oh, im Gegenteil. Es geht mich eine ganze Menge an. Schließlich befinden Sie sich auf meinem Land.“

Sein Land? Wahrscheinlich – jedenfalls war es genauso harsch und abweisend wie er selbst.

„Und was heißt das, Sie wollen allein sein?“, fragte er. „Sie haben doch sicher einen Mann … oder einen Partner, einen Freund.“

Jodie seufzte leise und lachte dann bitter auf. Er konnte ja nicht ahnen, dass er eine Wunde aufriss, die noch nicht einmal angefangen hatte zu verheilen. „Ich dachte, ich hätte einen Mann … aber leider kam ihm vier Wochen vor unserer Hochzeit die Idee, eine andere Frau zu heiraten“, erklärte sie aufgebracht. „Das hier“, sie zeigte auf den Wagen und die Landschaft, „sollte unsere Hochzeitsreise werden. Aber die mache ich jetzt allein …“

Die Worte schmerzten sie. Zu ihrem Erstaunen erleichterte es sie gleichzeitig, dass sie in der Lage war, darüber zu reden.

Autor

Penny Jordan

Am 31. Dezember 2011 starb unsere Erfolgsautorin Penny Jordan nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Penny Jordan galt als eine der größten Romance Autorinnen weltweit. Insgesamt verkaufte sie über 100 Millionen Bücher in über 25 Sprachen, die auf den Bestsellerlisten der Länder regelmäßig vertreten waren. 2011 wurde sie...

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