Entführt von dem reichen Griechen

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Die Halskette mit den Rubinen, der Familienschmuck - geraubt aus seinem Safe! Xandro Christofides ist maßlos wütend, aber zumindest weiß er, wer der Dieb war: sein Mitarbeiter Ben Woods. Weil der verschwunden ist, setzt er Bens atemberaubende Schwester Sage unter Druck. Eiskalt erpresst er sie, mit ihm nach Griechenland zu kommen. Hier werden sie gemeinsam abwarten, bis Ben sich bei ihr meldet. Aber der griechische Tycoon hat nicht mit der Leidenschaft gerechnet, die sein schöner Lockvogel in ihm weckt …


  • Erscheinungstag 31.07.2018
  • Bandnummer 162018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710323
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Fassungslos starrte Xandro Christofides auf den leeren Platz in seinem Safe, an dem er normalerweise seinen wertvollsten Besitz aufbewahrte. Er blinzelte. Einmal. Ein zweites Mal. Doch die alte, mit Samt bezogene Schatulle war nicht mehr da.

Es fehlten auch noch andere Dinge. Ein paar Bündel Hundert-Dollar-Scheine und einige lieblos ausgewählte Schmuckstücke, die er seinen jeweiligen Affären zum Abschied schenkte. Aber es war das Fehlen des antiken Samtkästchens, der seine ganze Aufmerksamkeit galt. Der Verlust wog so schwer, dass er nichts anderes tun konnte, als weiter auf den leeren Fleck zu starren, während sich allmählich eine eisige Wut in ihm auftürmte.

Nur ein einziges Mal zuvor war die mit Rubinen besetzte Halskette nicht in seinem Besitz gewesen. Damals hatte er sie schweren Herzens in ein Pfandhaus geben müssen, um an Geld zu kommen, damit er notwendig gewordene Veränderungen in seinem Leben umsetzen konnte.

Dieses Mal jedoch war der Verlust kein freiwilliger. Oder vorübergehender. Es hatte drei lange Jahre gedauert, bis er das Schmuckstück wieder zurückbekommen hatte – aber er hatte zu jeder Sekunde gewusst, wo sie war. Denn so lautete der Deal, den er mit dem Pfandhausbesitzer geschlossen hatte: wöchentliche Beweise, dass die Kette noch in dessen Besitz war, bis Xandro finanziell in der Lage war, sein Eigentum auszulösen. Diese Zusatzvereinbarung hatte ihn fünf Prozent extra Zinsen gekostet, aber das war ihm egal.

Und er hatte erreicht, was er sich vorgenommen hatte: Bei der allerersten Gelegenheit hatte er die Halskette ausgelöst.

Immer, wenn er einen Gegner besiegt oder einen vermeintlich aussichtslosen Kampf gewonnen hatte, wusste er, dass er diesen Erfolg zum Teil seinem Schwur verdankte, die Kette nie wieder zu verlieren.

Und jetzt war sie weg.

Jemand, dem er vertraute, war in sein Büro marschiert und hatte sich genommen, was ihm gehörte.

Seit Xandro eine Stufe von Macht und Erfolg erreicht hatte, von der die meisten Männer nur träumten, hatte er lange keine persönliche Herausforderung mehr erlebt. Heute waren die einzigen Herausforderungen, denen er sich stellen musste, jene, die auf beruflichem Parkett ausgefochten wurden. Deshalb fiel es ihm schwer zu glauben, dass er tatsächlich so schnöde bestohlen sein sollte. Doch der leere Platz, den er unentwegt anstarrte, belegte das eindeutig.

Es missfiel ihm zuzugeben – denn dieses Eingeständnis bedeutete, sich eine Schwäche einzugestehen –, dass er sich fühlte, als ob ein Teil von ihm fehlte. Kein lebenswichtiger Teil, denn niemals würde er einer Sache oder einem Menschen eine solche Macht über sich einräumen. Und ganz bestimmt nicht vergleichbar mit dem Leid, das für seine Mutter mit der Halskette verbunden gewesen war. Oder mit den drei Jahren voller Angst, in denen er in dem Wissen gelebt hatte, dass ein falscher Schritt ausreichte, damit seine Gegner ihm in den Rücken fielen.

Aber es war ihm gelungen, sich aus der Abhängigkeit des Bandenführers zu befreien und seine Mutter aus einem Leben voller Gefahren und Elend zu erlösen.

Diese harten Jahre in seiner Jugend hatten ihre Narben hinterlassen, das wusste Xandro. Ihm wurde vorgeworfen, skrupellos zu sein. Kaltherzig nannten ihn seine Geliebten – vielleicht, weil er ihnen immer rasch die Tür wies, da sie anfangs alle lautstark betonten, mit einer Beziehung ohne Verpflichtungen einverstanden zu sein und dann doch versuchten, ihn an zu sich binden.

Er war so in seine Überlegungen vertieft, dass er das Klopfen an seiner Bürotür beinahe überhört hätte.

Schwere Schritte näherten sich und verstummten unmittelbar vor seinem Schreibtisch. Xandro drehte sich nicht um. Er ahnte bereits, was jetzt kam.

„Er ist weg, Sir.“

Trotz der blinkenden Neonlichter des Las Vegas Strip vor seinem Fenster im fünfzigsten Stock verwandelte sich alles in Xandros Welt auf einmal in ein dunkles Grau.

Tatsächlich hatte er die Halskette in letzter Zeit nur selten angeschaut. Zu schwer wog der Schmerz, den seine Mutter ihretwegen hatte erleiden müssen – ebenso wie die Qualen, die es bedeutet hatte, um sich aus den Fängen der Straßengang zu befreien.

Dennoch war die Kette ein Teil von ihm – und das machte ihren Verlust inakzeptabel.

Die Hände zu Fäusten geballt, wirbelte er herum. „Wer ist er, und wohin ist er gegangen?“

„Einer der höheren Sicherheitsbeamten, Sir. Benjamin Woods. Er hat alle Tests für leitende Angestellte bestanden. Und gemäß der Firmenpolitik haben wir ihm einen Pass für diese Etage ausgestellt.“

„Wann hat er den Pass bekommen?“

„Vor einem Monat, Sir“, erwiderte Archie Preston, der Chef seines Sicherheitsteams.

Xandro bohrte seine Fingernägel in die Handflächen. „Dann hatte er also einen Monat Zeit, den Diebstahl zu planen?“

„Ja“, lautete die zögernde Antwort.

„Wie hat er es gemacht?“

„Die Kameras haben aufgezeichnet, wie er die letzten Gäste um vier in ihre Suite begleitet hat. Dann ist er mit dem Aufzug in dieses Stockwerk gefahren. Fünfzehn Minuten später kam er mit einem Rucksack auf dem Rücken aus Ihrem Büro. Anschließend hat er das Hotel auf direktem Weg verlassen und ist in eines der vor dem Eingang wartenden Taxis gestiegen.“

Xandro zwang sich, langsam auszuatmen. Und zu warten. Da war noch mehr, das spürte er.

„Wir haben den Taxifahrer gefunden“, fuhr Archie fort. „Woods hat sich nur drei Blocks fahren lassen und ist dann ausgestiegen. Der Fahrer sagt, er sei in eine der Seitenstraßen verschwunden.“

„Er wusste, wir würden das Taxi aufspüren, also hat er es gerade lange genug benutzt, um uns von seiner Spur abzubringen?“

Archie nickte. „Wir beobachten die Flughäfen und die Busbahnhöfe …“

„Helfen Sie mir, Mr. Preston … was soll das nützen, wenn er bereits dreizehn Stunden Vorsprung hat?“

„Ich kann mich nur aufrichtig entschuldigen, Mr. Christofides. Und Ihnen versichern, dass meine Männer und ich ihn finden werden, wohin auch immer er sich abgesetzt hat.“

Xandro zwang sich, seine Fäuste wieder zu lösen. Sonst riskierte er noch, auf irgendetwas einzuschlagen. Auf die Wand zum Beispiel. Unvermittelt überkam ihn das Bedürfnis, noch einmal im Tresor nachzuschauen. Gleichzeitig wollte er nicht noch einmal das furchtbare Gefühl eines immensen Verlusts empfinden.

Die Kette war weg. Und er würde nicht eher ruhen, bis sie wieder in seinem Besitz war.

„Daran zweifle ich nicht. Wir wissen, wie er sich Zugang zu meinem Büro verschafft hat, aber wir wissen nicht, woher er die Kombination für den Safe kannte. Doch die wichtigste Frage im Moment lautet: Wie finden wir ihn, bevor er mein Eigentum verhökert?“

„Wenn Sie mir grünes Licht geben, heuere ich noch heute ein Dutzend Privatdetektive an.“

„Das können Sie tun. Oder Sie finden alles über Benjamin Woods und jedes seiner Familienmitglieder heraus.“

„Darf ich fragen, was das bringen soll?“, erkundigte Archie sich vorsichtig.

„Die Familie ist immer der Schwachpunkt eines Mannes“, erwiderte Xandro. „Vor allem, wenn sie zerrissen ist.“ Er hatte die Familie eines Mannes noch nie als Druckmittel gegen jemanden eingesetzt, aber bisher hatte es auch noch niemand gewagt, ihn zu bestehlen.

Benjamin Woods würde für sein Verbrechen bezahlen. Dafür war Xandro jedes Mittel recht. „Eine Familie, die einen Dieb hervorbringt, hat bestimmt ihre Probleme. Also verschaffen Sie mir die Informationen, dann übernehme ich die Sache.“

Archie nickte und verließ das Büro, während Xandro zum Fenster ging. Sein Blick fiel auf die vielen tausend Neonlichter unter ihm.

Er war nicht so weit gekommen, hatte nicht Armut und Diskriminierung hinter sich gelassen, nur um das eine zu verlieren, das seinen Ehrgeiz und seinen Hunger nach Erfolg überhaupt erst ermöglicht hatte.

Er wusste genau, dass es nicht viel brauchte, um eine Familie zu zerbrechen. Darum wollte er jede Schwäche dieses Diebs zu seinem Vorteil nutzen, bis die Halskette wieder dort war, wo sie hingehörte.

2. KAPITEL

Der Rhythmus der Schritte war perfekt auf die Musik abgestimmt. Nun ja … fast perfekt. Nur wenigen Menschen wäre die winzige Verzögerung aufgefallen, aber Xandro hörte sie bereits nach wenigen Sekunden.

Als kleiner Junge hatte er kaum etwas besessen außer einem schlechten Ruf und Schulden, aber die Musik hatte ihn immer begleitet.

Nachdem seine Großmutter in ihrer kleinen Hütte in der Bronx an ihrem schwachen Herzen gestorben war, hatte seine Mutter ihre Tradition weitergeführt. Deshalb begann sein Tag mit Arien von Maria Callas und endete mit großartigen Opern längst verstobener Komponisten.

Aus der Bibliothek lieh er sich Opernverfilmungen in Schwarzweiß oder schaute sich die Filme von den Ballettaufführungen seiner Mutter an, die seine Großeltern hastig in ihren Koffer gepackt hatten, bevor sie mit ihrer achtzehnjährigen schwangeren Tochter an Bord des Schiffs nach New York gegangen waren: der Tochter mit der wunderschönen Stimme und den Träumen von einer Karriere als Ballerina, die ein mieser Bastard rücksichtslos zerstört hatte.

Aber er war nicht wegen Musik und Tanz nach Washington gekommen. Der Raum, in dem er jetzt stand, war nur schwach beleuchtet, der einzige Scheinwerfer auf das Tanzpaar auf der Bühne gerichtet. Nur wenige andere Zuschauer verteilten sich in dem Saal, die gesuchte Person sah er nicht darunter.

Er war Tausende Meilen geflogen, um Sage Woods, die Schwester des Diebs, zu finden. Archie hatte keine Zeit gehabt, ihm ein aktuelles Bild von ihr zu beschaffen. Darum musste er mit einem vorliebnehmen, das vor zehn Jahren aufgenommen worden war und sie als zehnjähriges Mädchen zeigte.

Doch dank ihres makellosen Gesichts und ihrer leuchtend roten Haare sollte sie leicht auszumachen sein. Wenn sie sich nicht drastisch verändert hatte, müsste er sie entdecken.

Xandro trat an die Seite und wartete darauf, dass Tänzer und Besucher den Saal verließen. Dann griff er nach seinem Handy.

Zwar war es Archie in Rekordzeit gelungen, Sage Woods in Washington aufzuspüren, aber Xandro war nicht in der Stimmung, Gnade walten zu lassen. Dazu bedeutete die Kette ihm zu viel … Er erinnerte sich an die Freude auf dem Gesicht seiner Mutter, wann immer sie die Halskette getragen hatte: bei seiner Abschlussfeier, an dem Abend, als er sie zum Dinner ausgeführt hatte, nachdem er die Verträge für sein erstes Hotel unterzeichnet hatte.

Unvermittelt musste er an seine aktuellen Verhandlungen denken, die gerade ins Stocken geraten waren. Wäre er abergläubisch, hätte er das dem Diebstahl der Kette zugeschrieben.

Was die Sache auch nicht besser machte, war, dass Archie mittlerweile herausgefunden hatte, wie Benjamin Woods den Tresor geknackt hatte. Er hatte sich in den Computer des Sicherheitschefs gehackt.

Xandro hatte davon abgesehen, Woods’ Eltern in Virginia zu besuchen, sondern war gleich nach Washington gekommen. Seine Instinkte sagten ihm, dass die Schwester für sein Vorhaben besser geeignet war. Außerdem hatten die Arbeitskollegen, die Archie befragt hatte, erzählt, dass Woods häufig über seine Schwester gesprochen hatte.

Als Xandro gerade Archies Nummer wählte, um sich Sage Woods’ Aufenthaltsort bestätigen zu lassen, hielt er inne. Eine Person in einem schwarzen Trikot schlüpfte durch eine Seitentür in den Saal und ging auf die Bühne.

Das flammendrote Haar verriet ihm sofort, wer sie war. Aus dem Mädchen auf seinem Foto war eine atemberaubende Frau geworden, nach der die meisten Männer sich umgedreht hätten.

Auch Xandro erstarrte. Beim Anblick von Sage Woods stockte ihm der Atem.

Ihr langer schlanker Hals saß auf schmalen, aber perfekt geformten Schultern. Ihre Arme schwangen anmutig im Takt, als sie sich über die Bühne bewegte.

Ihre Körperhaltung war fantastisch. In dem Augenblick, als sie sich zu den leeren Sitzen des Zuschauerraums umdrehte, spürte Xandro ein Feuer in sich auflodern. Wann, fragte er sich abwesend, habe ich lange genug innegehalten, um eine so wunderschöne Frau zu bewundern.

Die Welt, in der er lebte, bot ihm eine unendliche Zahl an natürlichen und künstlichen Schönheiten. Doch der Großteil von ihnen verbarg sich hinter Fassaden, um maximale Aufmerksamkeit zu erzielen. Die Frau vor ihm – die glaubte, allein zu sein – trug weder Make-up noch Schmuck. Selbst auf Schuhe hatte sie verzichtet. Und doch konnte er den Blick nicht von ihr abwenden. Er musterte ihre schlanke Taille, die femininen Hüften, die durchtrainierten Oberschenkel, die langen, perfekt geformten Beine und die zarten Knöchel.

Während er sie heimlich betrachtete, zog sie einen kleinen MP4-Player aus ihrer Tasche. Sie runzelte die Stirn, als sie das Kabel entwirrte und dann in jedes Ohr einen Stecker schob.

Xandro verschränkte frustriert die Arme vor der Brust, als sie das Gerät an ihrem Oberarm befestigte. Denn einerseits erschien ihm diese Art der Musikwidergabe unpraktisch, und andererseits hörte er nun nichts mehr.

Dann kam der Moment, als sie aus dem absoluten Stillstand förmlich zu explodieren schien. Seine Arme sanken herunter, abermals stockte ihm der Atem.

Fasziniert von der Kraft und ihrer Körperbeherrschung, die jahrelanges, hartes Training verriet, stand er reglos da.

Er hatte keine Ahnung, wie lange er dort verharrte. Irgendwann schrien seine Lungen nach Sauerstoff. Er atmete tief ein und schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können.

Sage verstand es perfekt, modernen Tanz mit klassischem Ballett zu vereinen, während sie zu der Musik tanzte, die nur sie hören konnte. Was hätte er gegeben, um die Musik zu hören! Weil er keine Ahnung hatte, welche Art Musik sie dazu brachte, sich so schön und sinnlich zu bewegen.

„Entschuldigen Sie? Kann ich Ihnen helfen?“

Er war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht gemerkt hatte, dass sie aufgehört hatte zu tanzen. Ganz zu schweigen davon, dass er aus dem Schatten herausgetreten war und jetzt vor der Bühne stand und zu ihr hinaufblickte.

Seine Verwirrung verwandelte sich in Verärgerung. Er war aus einem einzigen Grund hier – und der lautete nicht, sich von der Tanzvorführung einer Fremden verzaubern zu lassen.

„Sind Sie Sage Woods?“ Er hörte selbst, wie grob seine Worte klangen.

Xandro stand nahe genug vor ihr, um zu erkennen, wie sie zusammenzuckte. Rasch ließ sie ihren Blick über ihn wandern, während sie die Stecker aus ihren Ohren nahm.

„Das kommt darauf an“, erwiderte sie schließlich mit fester, ein wenig rauchiger Stimme.

„Auf was?“

„Auf den, der fragt. Und darauf, dass Sie mir sagen, weshalb Sie hier sind.“

Er schob die Wirkung, die ihre Stimme auf seine verwirrten Sinne hatte, beiseite. „Das hier ist ein Theater, keine geheime Regierungseinrichtung. Ich brauche keine Erlaubnis, um hier zu sein.“

„Aber im Augenblick findet hier eine private Übungsstunde statt, die ich gebucht und bezahlt habe. Und über der Tür hängt ein Schild, auf dem steht: Kein Publikum erlaubt.“

„Dann müssen die Sicherheitsvorkehrungen sehr lasch sein“, erwiderte er schulterzuckend. „Denn ich stehe ja hier.“

Ihre Anspannung wuchs. Sie ließ den Blick zur Tür und wieder zurück zu ihm wandern. „Sie tragen einen dreiteiligen Anzug und einen Gesichtsausdruck, der verrät, dass irgendjemand Ihnen auf die Füße getreten ist. Wenn Sie also nicht für die Rolle des mürrischen CEO in einer Broadwayshow vortanzen wollen, sind Sie hier falsch. Und bevor Sie auf die Idee kommen, sich irgendeine Ausrede auszudenken … glauben Sie mir, ich weiß von allen Castings, die in den nächsten drei Monaten stattfinden. Sie gehören nicht hierher. Gehen Sie, bevor ich den Sicherheitsdienst rufe.“

Unter anderen Umständen hätte er ihren Mut bewundert. „Sind Sie Fremden gegenüber immer so misstrauisch?“

„Ja.“

„Und warum ist das so, Miss Woods?“

„Sind Sie nicht ein wenig voreilig? Ich habe nicht gesagt, dass ich die bin, für die Sie mich halten.“

„Streiten Sie es ab, und ich gehe.“

„Wir beide wissen, dass das nicht stimmt.“

„Tun wir das?“

Ihre Augen verengten sich fast unmerklich. „Sie scheinen kein Mensch zu sein, der ein Nein akzeptiert, denn Sie sind immer noch hier und stehlen mir meine Trainingszeit.“

„Wie … scharfsinnig von Ihnen. Sind Sie jetzt bereit, mit den Spielchen aufzuhören?“

„Ich habe nicht gespielt“, entgegnete sie steif.

Xandro schlenderte an den Rand der Bühne und freute sich insgeheim, dass sie einen Schritt zurücktrat. „Gut. Ich auch nicht. Mein Name ist Xandro Christofides. Geben Sie mir die Antworten, die ich brauche, dann lasse ich Sie weitertrainieren.“

„Sie lassen mich?“

„Ja.“ Vielleicht war es einfach Unachtsamkeit, die seinen Tonfall noch weiter verhärtete. Oder die überraschende Erkenntnis, dass Sage Woods etwas mit seiner Mutter gemeinsam hatte. Dazu gesellte sich der Schmerz, der selbst achtundvierzig Stunden nach dem Diebstahl noch nicht nachgelassen hatte.

So oder so beabsichtigte er, die Angelegenheit schnell hinter sich zu bringen. „Oder Sie entscheiden sich für die weniger zufriedenstellende Möglichkeit, weichen meinen Fragen aus und verschwenden meine Zeit. Dann werde ich wiederum überlegen müssen, was ich dagegen unternehmen kann.“

Sie atmete scharf ein. Ihre Wangen röteten sich. „Ich verschwende Ihre … Für wen, zur Hölle, halten Sie sich?“

„Ich habe mich bereits vorgestellt. Jetzt sind Sie an der Reihe.“

„Ich … was wollen Sie von … von Sage?“

„Das ist eine vertrauliche Angelegenheit, die ich mit keinem Außenstehenden führen will. Es sei denn, sie möchte, dass ihre schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit gewaschen wird.“

Diesmal zuckte sie nicht zurück. Stattdessen legte sich eine gehörige Portion Vorsicht in ihren Blick. Sie atmete langsam und gleichmäßig, doch eine schnell pulsierende Ader an ihrem Hals verriet ihre Nervosität.

„Na schön. Ich bin Sage Woods. Was wollen Sie von mir?“

Xandro öffnete dem Mund, um den Aufenthaltsort ihres Bruders zu erfragen. Er wusste nicht, weshalb er innehielt. Oder warum er mit einem großen Satz auf die Bühne sprang und sich bedrohlich vor ihr aufbaute. Vielleicht wollte er ihr direkt in die Augen schauen und selbst einschätzen, ob sie ebenso verlogen war wie ihr Bruder.

Ganz sicher legte er dieses sonderbare Verhalten nicht an den Tag, weil von ihr eine unsichtbare Kraft ausging, die ihn magisch anzog. Oder weil er das Bedürfnis hatte herauszufinden, ob ihre Haut nur wegen der Scheinwerfer auf der Bühne so absolut perfekt wirkte.

Hastig stolperte sie einige Schritte rückwärts. Ihre Augen leuchteten in einem so intensivem Grün, dass er den Blick nicht abwenden konnte.

„Was … was tun Sie denn da? Ich habe Ihnen gesagt, wer ich bin. Sagen Sie mir jetzt, warum Sie hier sind, oder ich werde …“ Abrupt hielt sie inne und ballte die Hände zu Fäusten.

Wieder fragte Xandro sich insgeheim, warum er das Unvermeidliche hinauszögerte. Bestimmt nicht, weil die Frau ihn in irgendeiner Weise faszinierte.

„Was werden Sie tun?“, forderte er sie heraus.

„Das werde ich Ihnen garantiert nicht vorher verraten. Machen Sie noch einen Schritt auf mich zu, dann finden Sie es heraus!“

Am liebsten hätte er laut aufgelacht. Das Summen seines Handys erinnerte ihn daran, dass außerhalb dieses Saals ein Dieb frei herumlief. Und der Schlüssel, um ihn aufzuspüren, stand genau vor ihm – und war bereit, sich mit irgendeiner Kampfsporttechnik zu verteidigen.

„Bis vor achtundvierzig Stunden war Ihr Bruder Benjamin als einer meiner Sicherheitsleute in meinem Kasino in Las Vegas beschäftigt. Aus einem Grund, den ich noch nicht kenne, hat er beschlossen, Geld und Schmuck zu stehlen und damit zu verschwinden. Meine Quellen haben mich darüber informiert, dass Sie Kontakt zu Ihrem Bruder haben. Sie werden mir sagen, wann Sie das letzte Mal mit ihm gesprochen haben und wo ich ihn finden kann.“

In dem Moment, als ihre Atmung kurz unregelmäßig wurde, spürte Xandro, dass er den richtigen Riecher gehabt hatte. Egal, was als Nächstes passierte, er wusste jetzt, dass ihr Bruder ihr wichtig war. Sie räusperte sich, um sich zu sammeln. Und Xandro ahnte, dass ihm ihre Antwort nicht gefallen würde.

„Es tut mir leid, Mr. …“ Sie zog eine perfekte Augenbraue hoch. „Ich habe Ihren Namen vergessen.“

„Xandro Christofides“, entgegnete er, ohne sie eine Sekunde aus den Augen zu lassen.

Einen Moment schaute sie an ihm vorbei, dann sah sie ihm wieder fest in die Augen. „Ich habe keine Ahnung, wo Ben ist, Mr. Christofides.“ Trotz der offensichtlichen Lüge hielt sie noch eine weitere Sekunde Augenkontakt mit ihm. Dann drehte sie sich langsam um. Xandro sah ihr nach, wie sie zur Bühnentür ging. Als sie kurz stehen blieb, um ihren Rucksack zu schultern, blickte sie noch einmal zu ihm zurück. „Und wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen nicht verraten.“

3. KAPITEL

Das hätte ich nicht sagen sollen.

Es war unnötig. Und auf eine dumme Weise provozierend. Es war eine emotionale Antwort, dabei hätte sie ruhig und kühl bleiben sollen – so, wie sie es sich beigebracht hatte. Rüpel lebten von emotionalen Reaktionen. Hatte sie das nicht als Teenager auf die harte Tour gelernt?

Warum habe ich das gesagt? Warum habe ich ihn provoziert?

Wahrscheinlich, weil sie diesen überheblichen Mann genauso verärgern wollte, wie er es mit ihr getan hatte, indem er ihr Training gestört hatte. Mit ihrem hart verdienten Geld hatte Sage sich diese Stunde gekauft – eine Trainingsstunde, um ihren Seelenfrieden wiederzufinden. Sage schämte sich nicht zuzugeben, dass sie das Tanzen ebenso brauchte wie die Luft zum Atmen. Warum bin ich dann von der Bühne geflohen?

Weil sein Blick aus den silbergrauen Augen, animalisch und eindringlich, ihr beinahe jede Fähigkeit zum klaren Denken geraubt hatte. Er hatte unter ihr gestanden und zu ihr aufgesehen … eigentlich hätte er der Unterlegene sein sollen, aber in Wahrheit hatte sie sich klein und verletzlich gefühlt.

Trotzdem hätte sie sich gegen ihn behaupten und ihn kühl abweisen sollen. Aber nein. Stattdessen hatte sie ihm körperliche Gewalt angedroht, verdammt noch mal! Dabei hätte doch gerade sie wissen müssen, wie destruktiv ein solches Verhalten war.

Ein Schauer überlief Sage, als ungeliebte Erinnerungen in ihr aufstiegen. Sie eilte durch den langen Flur in die Umkleidekabine der Washington Performance School.

Sie glaubte, noch immer ein leichtes Prickeln auf ihrer Haut von dem Beinahekontakt mit Xandro Christofides zu spüren. In ihren Ohren hörte sie noch seine dunkle samtige Stimme.

„Sie werden mir sagen, wann Sie das letzte Mal mit ihm gesprochen haben und wo ich ihn finden kann.“

Kein Bitte oder Danke. Bestimmt verhielt er sich immer so, bellte Befehle und erwartete, dass jeder um ihn herum sie sofort ausführte.

Doch sie hatte aufgehört, auf die Befehle anderer hin zu springen. Sie war keine Marionette – im Gegensatz zu ihren Eltern, die das für ihr Schicksal hielten. Das hatte Sage einen enormen Preis gekostet … einen Preis, den sie bis heute zahlte.

Sie würde nicht zulassen, dass dieser rätselhafte Fremde ihr Leid verschlimmerte. Aber wahrscheinlich hatte er ihre Notlüge längst durchschaut.

Es stimmte, dass sie nicht wusste, wo Ben war. Sein monatlicher Anruf war erst in zwei Wochen wieder fällig. Und als sie das letzte Mal von ihm gehört hatte, war er noch in Las Vegas gewesen.

Lieber Gott, Ben, was hast du getan?

Ihr Bruder war im Lauf des letzten Jahres immer verbitterter geworden. Sein Beitrag zu ihren Gesprächen erschöpfte sich in Klagen über die herrschende finanzielle Ungleichheit zwischen den Menschen.

An einen Ort wie Las Vegas hätte er gar nicht erst kommen sollen. Vor allem nicht, weil vor sechs Monaten offensichtlich geworden war, dass er ein Problem mit Glücksspielen hatte. Sage hatte ihn gedrängt, sich Hilfe zu suchen. Aber er hatte jedes Problem abgestritten und ihr widerstrebend versprochen, sich einmal im Monat bei ihr zu melden, damit sie sich keine Sorgen um ihn machte.

Natürlich hatte sie nur Xandro Christofides’ Wort, dass Ben ihn bestohlen hatte. Aber tief in ihrem Inneren wusste Sage, dass es stimmte.

Hätte ich also bleiben und mit Christofides sprechen sollen? Hätte ich in Bens Namen um Gnade bitten sollen, ohne zu wissen, ob er wirklich etwas falsch gemacht hat?

Nein, sie schuldete Xandro Christofides gar nichts. Und ihr Instinkt warnte sie, dass er nicht lockerlassen würde, sobald man ihm den kleinen Finger reichte. Aber sie hatte nichts zu verschenken. Nicht, wenn sie jeden Tag aufs Neue daran erinnert wurde, dass Geschenke sie keinen Zentimeter weitergebracht hatten. Wenn es darauf ankam, war sie immer auf sich allein gestellt gewesen. Nur Ben hatte sie unterstützt und an sie geglaubt.

Ihre Loyalität galt Ben und nicht seinem Chef, der aussah, als würde er kleine Kinder zum Frühstück verspeisen. Sage schloss ihren Spind ab und schulterte ihren Rucksack. Als Dank für das, was Ben für sie getan hatte, war sie bereit, es mit hundert Xandro Christofides’ aufzunehmen.

Genau einer stand groß und stolz und reglos vor ihr, als sie die Schule durch den Seiteneingang verließ.

Hatte sie vorhin noch geglaubt, dass er in dem halbdunklen Zuschauerraum einschüchternd aussähe, wurde sie nun eines Besseren belehrt. Im hellen Tageslicht wirkte der Mann vor ihr trotz seiner maßgeschneiderten Kleidung geradezu furchteinflößend.

Panik stieg in ihr auf. Sie umklammerte den Riemen ihres Rucksacks fester.

Geh! Geh einfach weiter!

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