Erregende Begegnung

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Kurz vor Beginn der Dreharbeiten erfährt die Schauspielerin Sonja: Ihr Filmpartner wird Philip! Nie wird sie ihre rauschende Liebesnacht vergessen - und seinen Betrug am Morgen danach. Wie soll sie nun jeden Tag in seiner aufregenden Nähe sein und dennoch kühl bleiben?


  • Erscheinungstag 24.05.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778002
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Merkwürdig, dass sich auf dem Flughafen von Los Angeles nie etwas veränderte. Sonja wusste nicht mehr, wie oft sie hier schon gelandet war, doch jedes Mal schienen sich hier dieselben Leute zu drängen: Urlauber mit erwartungsvollen Gesichtern, Geschäftsleute mit gehetzten Mienen.

Die Tage unbekümmerter Jugend in Malibu Beach gehörten längst der Vergangenheit an, dennoch hatte Sonja das Gefühl, nach Hause zu kommen. Die letzten fünf Jahre – so lange lebte sie mittlerweile in London – waren wie ausgelöscht. Sie fühlte sich wie das achtzehnjährige Mädchen von damals, dem nach der abgelegten Reifeprüfung die ganze Welt zu Füßen lag. Doch sie, Sonja, hatte die Welt nicht gesehen, nur …

Nein! Sonja wollte keinen Gedanken mehr an ihn verschwenden. Dieses Kapitel ihres Leben war ein für allemal abgeschlossen.

„Das Gepäck!“, wandte sie sich energisch an den Mann neben ihr.

Harvey Pryce wirkte ruhig und gelassen wie immer. Dass neun Stunden Flug hinter ihm lagen, sah man ihm nicht an. Nun ja, wie sollte man auch? Er war fünf Minuten nach dem Start eingeschlafen und gerade rechtzeitig aufgewacht, um sich vor dem Verlassen der Maschine frisch zu machen.

Dieselben neun Stunden lang hatte Sonja darüber nachgegrübelt, ob es richtig war, die Rolle der Caroline in dem Film anzunehmen. Hätte sie von Anfang an gewusst, dass ein Teil der Dreharbeiten in Long Beach stattfinden würde, sie hätte das Drehbuch nicht einmal aufgeschlagen.

Sie rannte immer noch davon und konnte nichts dagegen tun. Wenn sie nur an Philip dachte, fühlte sie sich wie jenes naive, unschuldige Ding von damals.

„Ich kümmere mich um das Gepäck“, antwortete Harvey und machte sich zielstrebig auf die Suche nach den Koffern.

Sonja wartete, unempfänglich für die bewundernden Blicke, die sie auf sich zog, eine große, schlanke Frau in einem goldgelben Kostüm, dessen Jacke von einem breiten, weißen Ledergürtel um die schmale Taille zusammengehalten wurde. Der gerade geschnittene Rock brachte die langen, sonnengebräunten Beine besonders zur Geltung, das glatte Haar fiel Sonja sanft über die Schultern. Das Gesicht war von jugendlicher Schönheit, fein geschwungene Brauen betonten die goldbraunen Augen. „Golden Lady“, so nannte man Sonja in der Presse, und Harvey, ihr Manager, achtete darauf, dass sie dieses Image wahrte.

„Miss Anderson?“ Ein junger Mann von achtzehn oder neunzehn Jahren, in ausgewaschenen Jeans und T-Shirt, sah Sonja erwartungsvoll an. „Sie sind doch Sonja Anderson?“, fragte er unsicher, als sie nicht sofort antwortete.

Sie blickte ihn kühl an, keine Regung zeigte sich in ihrem Gesicht.

„Ja“, entgegnete sie mit ihrer von Natur aus rauen, heiseren Stimme, die viele sogenannte Freunde für gekünstelt hielten.

„Wow!“, rief der junge Mann aus, und seine Augen strahlten.

Sonja beneidete ihn. Sein jugendlicher Enthusiasmus gab ihr das Gefühl, bereits fünfzig zu sein. Manchmal glaubte sie wirklich, schon so lange zu leben – die nervenaufreibende Arbeit, die verschiedenen Drehorte und die wechselnden Filmpartner vermittelten ihr dieses Gefühl. Und wenn sie einmal nicht filmte, schleppte Harvey sie zu irgendwelchen Partys, damit sie stets im Licht der Öffentlichkeit stand. Harvey hätte seine Seele verkauft, um seinem Star die Hauptrolle und die beste Publicity zu verschaffen. Und sie, Sonja, war dieser Star!

Und sie trug Harveys Ring – einen Diamantring, der mittlerweile über ein Jahr an ihrem Finger steckte. Doch bisher hatten sie noch keine Pläne gemacht, diesem Ring einen goldenen hinzuzufügen.

„Würden Sie mir ein Autogramm geben?“, fragte der junge Mann.

„Ich … Wie bitte?“ Sie war zu unruhig, hatte gar nicht mitbekommen, was er sagte.

„Dieser junge Mann möchte ein Autogramm, Sonja.“ Harvey hatte sich wieder zu ihr gesellt und nahm die Sache sofort in die Hand. Er überließ die Koffer dem Träger und behielt nur eine Aktenmappe bei sich, aus der er ein Foto von Sonja zog. „Hier.“ Ein tadelnder Ausdruck stand in Harveys blauen Augen, als er ihr das Foto zum Unterschreiben reichte.

Schuldbewusst biss Sonja sich auf die Unterlippe und schenkte dem jungen Mann ein betörendes Lächeln, das seinen Erfolg nicht verfehlte.

Dieser Bursche konnte nur vier oder fünf Jahre jünger sein als sie selbst, dennoch fühlte sie sich meilenweit von ihm entfernt. Ihr Lebensstil, Glanz und Falschheit der Welt, in der sie sich bewegte, hatten ihr die Reife einer Frau gegeben, die Harvey mit seinen fünfunddreißig Jahren in nichts nachstand.

Sonja riss sich zusammen, ihre Gedanken schweiften heute ständig ab. Sie lächelte den jungen Mann erneut an, während sie einen goldenen Kugelschreiber aus ihrer Handtasche nahm. „Für wen soll ich das Autogramm schreiben?“

„Für Nick“, erwiderte der junge Mann eifrig und sah Sonja zu, wie sie seinen Namen zusammen mit ihrem auf das Foto schrieb. „Vielen Dank.“ Er nahm das Autogramm entgegen und verschwand wenige Sekunden später in der Menge.

Harvey hakte Sonja unter, führte sie hinaus und schob sie in die wartende Limousine, um die sich immer mehr Menschen versammelten.

„Was ist nur los mit dir?“, fragte er, als der Wagen unter den neugierigen Blicken der aufgeregten Menge langsam davonfuhr. „Du hast diesem Jungen fast ein Autogramm vorenthalten“, fügte Harvey vorwurfsvoll hinzu. „Wenn die Presse solche Geschichten aufschnappt, hast du bald einen neuen Spitznamen: ‚Goldenes Biest‘!“

Sonja lächelte, doch ihre Augen blieben kühl.

„Dieser Fan hat den Kugelschreiber mitgehen lassen“, erklärte sie freundlich.

Ein ärgerlicher Ausdruck erschien auf Harveys attraktivem Gesicht. „Du hättest ihn aufhalten müssen.“

„Und mein Image aufs Spiel setzen?“, spottete Sonja sanft, immer noch ein Lächeln um die pfirsichfarbenen Lippen. Sie trug nur wenig Make-up, ihre Wimpern waren von Natur aus dunkel, ihre honigfarbene Haut makellos. Nichts verriet, dass sie mit ihrem Leben unzufrieden war, sich fragte, ob Ruhm und Reichtum wirklich alles bedeuteten.

„Der Kugelschreiber war aus Gold, Sonja!“

„Gold für die ‚Goldene Lady‘“, erwiderte sie gleichmütig.

„Ich habe ihn dir geschenkt!“

Sofort machte Sonja ein zerknirschtes Gesicht und legte Harvey die Hand auf den Oberschenkel. „Tut mir leid, Darling. Ich werde meine … Gedankenlosigkeit später an dir gutmachen“, fügte sie herausfordernd hinzu.

Ihre Andeutung schien Harvey jedoch nicht zu gefallen. Er warf einen Blick in Richtung Fahrer, schob Sonjas Hand beiseite und schüttelte missbilligend den Kopf.

Sonja schaute aus dem Fenster, betrachtete die Palmen am Straßenrand, die vielen tropischen Pflanzen. Es war heiß und schwül, Smog hüllte die Stadt ein, fast wie der Nebel in London.

Plötzlich krauste sie die Stirn, der Wagen war in den ihr nur allzu vertrauten Sunset Boulevard eingebogen.

„Wohin fahren wir, Harvey?“, erkundigte Sonja sich sichtlich nervös.

„Zu deiner Mutter.“

„Sag dem Fahrer, er soll sofort umdrehen!“

„Aber, Sonja …“

„Bitte!“, stieß sie hervor.

„Aber, deine Mutter …“

„Kann warten, bis sie schwarz wird. Sagst du jetzt dem Fahrer Bescheid, oder muss ich das selbst machen?“

Harvey seufzte gereizt und beugte sich nach vorn, um dem Fahrer neue Anweisungen zu geben. Sonja beobachtete ihn dabei mit ärgerlichem Blick. Ihr Verlobter sah sehr gut aus – das kurze blonde Haar, die blauen Augen, die wohlgeformte Nase, die schlanke Gestalt machten ihn zu einem äußerst attraktiven Mann.

Vor drei Jahren hatte Harvey ihre Karriere und ihr Leben in die Hand genommen, und Sonja widersprach ihm nur selten. Doch was ihre Mutter anging, blieb sie unerbittlich.

Harvey lehnte sich wieder zurück. „Ich habe ihm gesagt, er soll uns zum Hotel bringen.“

Das Hotel war das riesige Schiff Queen Mary, das seit 1967 in Long Beach am Kai vor Anker lag und als Nobelherberge diente. Sonja konnte es kaum erwarten, das ehemalige Kreuzfahrtschiff zu sehen, das auf diese einzigartige Weise vor dem Verschrotten gerettet worden war.

Doch Sonja wollte Harvey nicht so einfach davonkommen lassen. „Wann hast du mit meiner Mutter gesprochen?“

„Ich habe sie angerufen …“

„Du hast was?“ Ihre Augen funkelten vor Wut. „Warum?“

„Sie wird schließlich irgendwann meine Schwiegermutter.“

„Das hat dich doch bisher nicht gestört!“

Der unerwartete Wutausbruch schien Harvey zu verärgern. „Es stört mich auch jetzt nicht. Es würde keinen Mann stören, Carlene Walters als Schwiegermutter zu bekommen.“

Sie hörte die Bewunderung, die in seiner Stimme mitklang, und das brachte Sonja fast zur Weißglut. „Dann solltest du vielleicht sie heiraten und nicht mich.“

„Jetzt mach dich nicht lächerlich.“

Sonja seufzte und strich den gelben Rock über ihren Oberschenkel glatt.

„Worüber hast du mit ihr gesprochen?“, fragte sie gespielt gleichgültig.

„Hauptsächlich über dich“, berichtete Harvey. „Sie möchte dich wirklich gern sehen, Sonja.“

„Ich wette, das will sie“, erwiderte sie höhnisch.

„Sonja, bitte!“ Harvey stöhnte. „Es ist jetzt Jahre her …“

Sonja wandte sich ab und sah zum Fenster hinaus. Sie hätte Harvey auf die Minute genau sagen können, wann sie das Haus ihrer Mutter verlassen hatte, fest entschlossen, sie nie mehr wiederzusehen.

„Sonja, hörst du mir überhaupt zu?“, fragte Harvey gereizt.

Sie drehte sich nicht um. „Nein.“

„Dein Verhalten ist absurd …“

Jetzt allerdings wandte sie sich ihm zu. „Du kannst dich um meine Karriere kümmern und sogar über meine Zukunft mitentscheiden“, entgegnete sie eisig. „Aber meine Vergangenheit – und dazu gehört auch meine Mutter – geht dich nichts an.“

Harvey blickte drein, als hätte sie ihn geohrfeigt.

„Sonja!“, rief er vorwurfsvoll aus.

Was war nur los mit ihr? Seit Harvey den Drehort in Los Angeles erwähnt hatte, schienen ihre Nerven zum Zerreißen gespannt zu sein.

„Tut mir leid, Darling“, entschuldigte sie sich und schmiegte sich an ihn, sodass eine ihrer Brüste seinen Oberkörper berührte. Sichtlich entzückt blickte Harvey hinunter auf die sanften Rundungen, und Sonja wusste, welche Regungen sie in ihm geweckt hatte, als sie sich schließlich auf ihre Seite zurückzog.

Dass sie auf Harvey eine starke körperliche Anziehungskraft ausübte, war Sonja von Anfang an nicht entgangen. Doch in den ersten achtzehn Monaten ihrer Bekanntschaft ignorierten sie beide diese Tatsache. Harvey litt unter der Trennung von seiner damaligen Freundin Sara Morgan, einer jungen Frau, die er vor Sonja gemanagt hatte, und Sonja versuchte ebenfalls, mit verletzten Gefühlen fertig zu werden.

Mit der Zeit heilten die Wunden. Vor anderthalb Jahren gab Sonja Harvey schließlich grünes Licht, und er verlor keine Sekunde, ihr den Verlobungsring an den Finger zu stecken. Bisher bestand keine sexuelle Beziehung zwischen ihnen, Harvey verlangte nie mehr, als Sonja zu geben bereit war, doch sie wusste, dass er den Tag herbeisehnte, an dem es endlich passieren würde.

Inzwischen befanden Sonja und Harvey sich auf dem Highway Richtung Long Beach, am Horizont tauchten bereits die drei Schornsteine der Queen Mary auf. Sie fuhren an Londontown vorbei, der Nachbildung alter englischer Geschäfte und Cafés, und hielten schließlich im Hafen.

Nachdem der Fahrer die Tür geöffnet hatte, stieg Harvey aus und half Sonja aus dem Wagen.

„Da bekommt man gleich Heimweh“, sagte er lächelnd und schaute zu einem roten Doppeldeckerbus, der am Straßenrand parkte.

Sonja dankte dem Fahrer, bevor sie sich umdrehte, um die majestätische Queen Mary zu betrachten. Der erhabene Anblick des Schiffs schlug sie sofort in den Bann. Mit einem Mal fühlte sie sich zurückversetzt in die Zeit, in der Lords und Ladys, Filmstars und bedeutende Politiker an Bord dieses Schiffs gereist waren.

„Es ist wundervoll!“, rief Sonja überwältigt.

Alles hier erinnerte sie an England, das Land, das sie jetzt als ihr Zuhause betrachtete, obwohl sie immer noch einen amerikanischen Pass besaß. Sie hatte die meiste Zeit ihres Lebens in England verbracht, war dort zur Schule gegangen und nur gelegentlich in den Ferien nach Kalifornien gekommen. Ja, hier fühlte man sich wie in England, und vielleicht würden die nächsten Wochen doch nicht so schlimm werden.

Sonja ging mit anmutiger Eleganz neben Harvey her, als der Träger sie zum Lift führte, um sie und ihr Gepäck hinauf in die Empfangshalle zu bringen.

An der Rezeption herrschte hektische Betriebsamkeit, trotzdem wurde Harvey sofort von einer Empfangsdame bedient, die neugierige Blicke in Sonjas Richtung warf. Sonja, an Aufmerksamkeit gewöhnt, obwohl die ihr meist auf die Nerven ging, schenkte der Frau ein Lächeln. Die letzten beiden Filme Sonjas waren Kassenerfolge gewesen und hatten sie auf der ganzen Welt bekannt gemacht.

Ein anderer Träger kümmerte sich um das Gepäck und sah Sonja bewundernd an, während er sie und Harvey zu ihren Zimmern begleitete. Sonja hatte die Royal Suite erhalten, Harvey eine Einzelkabine am Ende des Gangs.

„Das ist natürlich nicht alles“, erklärte der junge Mann in der reinweißen Uniform, während er Sonjas Koffer ablud. „Die Suite bestand ursprünglich aus fünf Räumen, zwei Schlafzimmern mit angrenzenden Bädern und einem Wohnbereich. Doch aus praktischen Gründen wurde sie unterteilt in zwei Suiten mit je einem Schlafzimmer und einem kleineren Wohnraum.“

Sonja schaute sich staunend um, ihr gefielen der Charme und die Eleganz, die die original Holzverkleidung aus den dreißiger Jahren ausstrahlte.

„Ich hoffe, Sie genießen Ihren Aufenthalt hier, Miss Anderson.“

Sie lächelte den jungen Mann an, ohne sich in diesem Moment ihrer atemberaubenden Schönheit bewusst zu sein.

„Ganz bestimmt.“ Sie gab ihm ein Trinkgeld und schloss die Tür, nachdem er mit Harvey hinausgegangen war.

Jason hatte diesen Drehort ausgewählt, und seine Wahl hätte nicht besser sein können. Der Film, die Geschichte einer jungen Engländerin und eines Deutschen, die sich in den Vorkriegsjahren auf diesem Schiff kennenlernten, sich verliebten und sich erst nach fünfzehn Jahren wiedersahen, als Caroline mit einem anderen verheiratet war, musste einfach hier gedreht werden.

Jason Faulkner war nicht nur der Regisseur, sondern auch Sonjas Filmpartner, er spielte die männliche Hauptrolle – Gunther, Carolines große Liebe. Sonja arbeitete gern mit Jason zusammen, seine Professionalität war bei den bisherigen Proben zu dem Film sehr hilfreich gewesen.

Gerade hatte Sonja beschlossen, unter die Dusche zu gehen, da klopfte es an der Tür. Wie Sonja vermutete, stand Harvey draußen.

Ohne auf eine Einladung zu warten, trat er ein und setzte sich aufs Sofa. „Es lag eine Nachricht für dich am Empfang. Die gesamte Filmcrew trifft sich um zwei im Windsor Room.“

„Windsor Room?“

„Ja, das ist zwei Etagen tiefer, auf dem R-Deck – ich habe nachgesehen.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich kann einfach nicht begreifen, dass wir uns auf einem Schiff befinden. Weißt du, dass wir uns mit der Flut bewegen? Ich frage mich, ob man hier seekrank werden kann …“

„O Harvey!“, platzte Sonja lachend heraus, als sie sein besorgtes Gesicht sah. „Sei nicht albern!“

„Mir kommt es vor, als würde ich die ganze Zeit schwanken.“

„Das liegt an dem langen Flug“, neckte sie ihn. „Ein paar Stunden Schlaf und es geht dir wieder besser.“

„Keine Zeit zum Schlafen“, sagte er und stand auf. „Duschen, umziehen, essen, dann müssen wir zum Windsor Room.“

„Du brauchst mich nicht zu begleiten“, meinte sie nachsichtig. Harvey wirkte tatsächlich etwas blass. „Wir können uns zum Abendessen treffen.“

Er zögerte. „Es ist erst zwölf, und ich möchte dich nicht so lange allein lassen.“

„Ich werde nicht allein sein. Wenn ich geduscht und gegessen habe, ist es bald Zeit für das Meeting. Danach lege ich mich wahrscheinlich erst mal hin.“

„Warum tust du das nicht gleich? Dir bleiben noch zwei Stunden, und du kannst nachher einen Snack im Capstan Restaurant zu dir nehmen.“

Sonja blickte ihn verblüfft an. „Dafür, dass wir gerade erst angekommen sind, kennst du dich aber bereits gut aus hier.“

„Ich habe in der Bordbroschüre geblättert, als ich in meinem Zimmer war“, gestand er mit einem jungenhaften Grinsen. „Ich denke, ich werde mir einen Snack in die Kabine bringen lassen.“

„Gute Idee. Vielleicht mache ich das auch.“

Doch als sie später aus dem Bad kam, hatte sie keine Lust, im Zimmer zu bleiben. Nach der Dusche fühlte Sonja sich wie neu geboren. Das frisch gewaschene Haar glänzte, das pinkfarbene schulterfreie Kleid betonte ihre makellose Figur. Sie trug keine Strümpfe an den sonnengebräunten Beinen und zog Pumps an, die genau zum Kleid passten. Als Kind hatte sie es gehasst, größer als ihre Klassenkameraden zu sein, doch jetzt war ihre Größe zweifellos ein Plus. Sie, Sonja, entsprach in jeder Beziehung der Vorstellung des neuen Sexsymbols.

Sonja verabscheute diese Bezeichnung, die in Zusammenhang mit ihrem Namen häufig in der Presse auftauchte, doch noch mehr missfiel ihr der Vergleich mit ihrer gefeierten Mutter. Sie konnte beim besten Willen keine Ähnlichkeit entdecken zwischen der eigenen schlanken, kühlen Erscheinung und dem kindlich verspielten Image, das Carlene so sorgfältig pflegte.

Manchmal schaffte Sonja es, zu vergessen, dass Carlene Walters ihre Mutter war, und sie nahm an, dass ihre Mutter dasselbe versuchte. Schließlich konnte eine Frau, die mit sechsunddreißig aufgehört hatte, die Jahre zu zählen, kaum zugeben, eine dreiundzwanzigjährige Tochter zu haben.

Warum mochte Harvey Carlene wohl angerufen haben? Nun, die Antwort lag auf der Hand. Carlene galt immer noch als die unumstrittene Königin Hollywoods, und Harvey hoffte, von ihrem Einfluss zu profitieren.

Geräusche in der angrenzenden Suite unterbrachen Sonja in ihren Gedanken. Die Leute nebenan schienen sich zum Mittagessen fertig zu machen, und das erinnerte sie daran, dass sie seit dem Frühstück im Flugzeug nichts mehr gegessen hatte.

Im Capstan herrschte Hochbetrieb, doch der Platzanweiser führte Sonja zu einem freien Tisch am Fenster, von wo aus man einen atemberaubenden Ausblick auf den Hafen hatte.

Ein junger Kellner kam zu ihr, um die Bestellung aufzunehmen, und Sonja musste lächeln, als er sie erkannte und sofort die Speisekarte fallen ließ.

Ungeschickt hob er sie wieder auf. „Ent… Entschuldigen Sie“, stammelte er nervös. „Im ersten Moment dachte ich … Aber Sie sind wirklich Sonja Anderson, nicht wahr?“

Vielleicht wäre es doch besser gewesen, im Zimmer zu bleiben, dachte Sonja. Sie wollte nicht unbedingt auf dem Präsentierteller sitzen, während sie aß. Wenn dieser junge Mann sie erkannt hatte, dann würden auch andere Leute bald neugierig die Köpfe drehen.

Ohne auf die Frage des Kellners einzugehen, sagte sie: „Könnte ich bitte einen Geflügelsalat haben?“ Dass dieser junge Kerl sie so anstarrte, nervte ein wenig.

„Selbstverständlich“, antwortete er. „Spielen Sie in dem Film mit, der hier an Bord gedreht wird?“

„Ja.“

„Hier im Restaurant sitzen viele, die mitspielen. Ich bin David. Falls Sie etwas brauchen, fragen Sie nur.“

„Das werde ich.“

Froh, dass David endlich verschwand, lehnte sie sich zurück.

„Sonja!“

Sie drehte sich gereizt um. Doch in dem Moment, als sie Rena Dawes erkannte, fiel die Spannung von Sonja ab. Rena spielte in dem Film ihre Schwester. Sonja und Rena waren zusammen auf der Schauspielschule gewesen, und Sonja hatte sich bereits sehr darauf gefreut, Rena wiederzutreffen.

„Wie schön, dich zu sehen“, sagte Sonja herzlich. „Hast du Zeit, dich zu mir zu setzen?“

„Natürlich.“ Rena, eine stets gut gelaunte, hübsche junge Frau in Sonjas Alter, setzte sich an den Tisch. „Ich muss wohl nicht erst fragen, wie es dir geht – du siehst blendend aus. Und wo ist dein attraktiver Verlobter?“

„Er ruht sich aus. Hast du schon gegessen?“

„Nein, noch nicht.“

Rena bestellte sich etwas, und die beiden Frauen plauderten beim Essen über ihre gemeinsame Zeit in London, wo sie sich für einige Wochen ein Apartment geteilt hatten.

„Was ist aus dem Jungen geworden, Alan, dem du immer aus dem Weg gehen wolltest?“, erkundigte sich Sonja scherzend.

„Ich habe ihn geheiratet“, platzte Rena lachend heraus.

„Rena!“ Sonja lachte ebenfalls, heiser und tief, und zog damit die anerkennenden Blicke mehrerer Männer auf sich.

„Ich hatte es einfach satt davonzulaufen.“

„Und?“

„Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich er mich macht. Aber so was muss ich dir ja nicht erklären.“

Musste sie das nicht? Ein trauriger Ausdruck trübte Sonjas goldbraune Augen. Sie liebte Harvey, wusste, dass er sie liebte, doch das berauschende Glücksgefühl, das Rena meinte, fehlte in ihrer Beziehung, seine Liebkosungen verschafften ihr, Sonja, nie jenes köstliche Vergnügen, das den Rest der Welt auslöschte.

Trotzdem, Rena brauchte ihr, Sonja, diese Gefühle nicht zu erklären. Sie kannte sie, empfand sie nur nicht in Harveys Armen.

„Wo steckt Alan denn jetzt?“

„In England.“ Rena seufzte. „Er ist ein viel beschäftigter Anwalt. Es fällt mir von Mal zu Mal schwerer, Rollen anzunehmen, die uns so lange trennen.“

„Dann lass es doch einfach.“

„Aber das Filmgeschäft hält mich immer noch gefangen“, gab Rena zu.

„Apropos Filmgeschäft“, Sonja schaute auf ihre Uhr, „ich sollte besser gehen und mich für das Meeting zurechtmachen. Jason hasst Unpünktlichkeit.“

„Jason?“

„Unser Regisseur“, erinnerte Sonja Rena amüsiert.

„Oh, er ist nicht unser Regisseur. Jedenfalls nach dem, was ich zuletzt gehört habe.“

Die Verwirrung stand Sonja im Gesicht geschrieben. „Und was hast du gehört?“

„Dass Jason Faulkner einen Unfall hatte und ein anderer Regisseur gesucht wurde.“

„Hat man einen gefunden?“

„Das nehme ich an, sonst wären wir wohl nicht hier.“

„Da hast du allerdings recht“, erwiderte Sonja langsam.

„Ich dachte, du wüsstest Bescheid.“

Das wüsste ich gern, fuhr es Sonja durch den Kopf. Sie musste sofort mit Harvey sprechen.

„Ich gehe noch mal in mein Zimmer. Wir sehen uns später“, verabschiedete sie sich und stand auf.

„In Ordnung.“ Rena winkte ihr nach.

Sonja machte sich eiligst auf den Weg zu Harveys Kabine, verirrte sich ein paar Mal, musste sich durchfragen und wurde von Leuten aufgehalten, die um ein Autogramm baten.

Die Unruhe, die Sonja verspürte, seit sie die Rolle der Caroline angenommen hatte, wurde zu einer unheilvollen Vorahnung. Ich hätte niemals hierherkommen dürfen, meinem Instinkt folgen und von Los Angeles wegbleiben sollen, dachte Sonja.

Es dauerte einige Zeit, bis Harvey öffnete, und Sonja trat ungeduldig von einem Bein aufs andere, während sie vor der Tür wartete. Im Bademantel, die Haare zerzaust vom Schlafen, machte Harvey schließlich auf.

Ohne seinen Aufzug weiter zu beachten, betrat Sonja das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

„Was ist los?“, fragte Harvey verschlafen. „Solltest du nicht bei dieser Versammlung sein?“

Sonja verzog den Mund. „Bei der Versammlung, die Jason einberufen hat – nur dass es nicht Jason war, richtig?“, erwiderte sie scharf.

„O je!“ Harvey rieb sich die Schläfe. „Bei all der Hektik in den letzten Tagen habe ich ganz vergessen, dir zu sagen …“

„Dann sag es mir jetzt, Harvey“, drängte sie.

„Jason Faulkner ist vor einer Woche oder so vom Pferd gefallen und hat sich ein Bein gebrochen.“

„Und wer übernimmt seinen Job?“

„Nun, es musste jemand gefunden werden, der sowohl Regie führen als auch die männliche Hauptrolle spielen kann …“

„Und?“, unterbrach Sonja, die Nerven zum Zerreißen gespannt.

„Es ist den Produzenten gelungen, Philip Somerville zu gewinnen“, berichtete Harvey. „Das ist ein echter Glücksfall. Eigentlich hätte er gar keine Zeit gehabt, doch der Film, den er drehen wollte, wurde um einige Monate verschoben …“

Harvey redete weiter, doch Sonja bekam von dem, was er sagte, nichts mehr mit. Philip … Das durfte nicht wahr sein! Philip war hier, auf diesem Schiff, und sie würde mit ihm zusammen arbeiten!

„Sonja!“

„Ja?“, erwiderte sie wie betäubt.

Autor

Carole Mortimer
Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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