Gestohlene Tage des Glücks?

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Nach einem Unfall kann Milliardär Leon Carides sich an nichts mehr erinnern - außer an die schönen blauen Augen seiner Frau Rose! Als sie vor ihm steht, fühlt er sofort heißes Verlangen. Aber er ist entsetzt; zwischen ihnen gab es anscheinend nicht die geringsten Zärtlichkeiten! Das weiß der erfahrene Liebhaber zu ändern: Er will die Augen seiner Frau endlich vor Verlangen funkeln sehen! Gemeinsam erleben sie die Macht sinnlicher Leidenschaft. Doch dann holt ihn die Vergangenheit schonungslos ein, und Leon fragt sich: Wird er Rose endgültig verlieren?


  • Erscheinungstag 04.07.2017
  • Bandnummer 2291
  • ISBN / Artikelnummer 9783733708474
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Wieder eine dieser langweiligen Partys, dachte Leon, als er vom Luxushotel wegfuhr und in die schmalen italienischen Straßen einbog.

Der vermeintliche Höhepunkt des Abends war für ihn enttäuschend verlaufen. Die aufregend schöne Verlobte von Rocco Amari hatte ihn abblitzen lassen. Mit dieser Frau mit den langen dunklen Haaren und der honigfarbenen Haut hätte er heute zu gern die Nacht verbracht. Schade, dass sie allein Amari zugetan gewesen war. Und er ihr.

Tja, jeder nach seiner Fasson …

Leon hielt nichts von Treue. Das Leben war ein Büfett voll herrlicher Sünden und erotischer Leckerbissen. Warum sich also mit einer Frau begnügen?

Obwohl er bei der rassigen Schönheit keinen Erfolg gehabt hatte, hatte er es genossen, seinen Geschäftsrivalen in Rage zu bringen.

Wie konnte Amari sich nur so besitzergreifend aufführen! Leon selbst hatte noch nie so tief für eine Frau empfunden.

Er bog in eine Straße ein, die aus der Stadtmitte zu der Villa führte, in der er während seines Aufenthalts in Italien wohnte. Ein schönes Haus, sehr geschmackvoll eingerichtet. Villen dieser Art waren ihm lieber als ein Penthaus mitten im hektischen Stadttrubel – was eigentlich merkwürdig war. Aber Widersprüche waren ja typisch für ihn.

Weltweit besaß er beachtliche Immobilien, doch keine bedeutete ihm so viel wie das Herrenhaus in Connecticut – das seine Frau bewohnte.

Aber an Rose wollte er jetzt lieber nicht denken, nachdem er eben noch die Nacht mit einer anderen Frau hatte verbringen wollen. Wieso hatte er überhaupt ein schlechtes Gewissen?

Schließlich war er nur auf dem Papier mit Rose verheiratet. Sie konnte tun und lassen, was sie wollte. Und er auch.

Unwillkürlich hatte er ihre großen strahlend blauen Augen vor sich …

Leon zwang sich in die Gegenwart zurück und blickte auf die Straße, wo ihm ein Scheinwerferpaar entgegenschoss.

Ihm blieb keine Zeit, das Lenkrad herumzureißen – er spürte den Aufprall …

Und sah erneut Roses klare blaue Augen …

1. KAPITEL

„Momentan ist sein Zustand stabil“, erklärte Dr. Castellano.

Besorgt betrachtete Rose ihren schwer verletzten Mann. Seine Lippen waren geschwollen und in der Mitte aufgeplatzt, auf der Wange klaffte eine blutverkrustete Wunde.

Er sah aus … na ja, ein bisschen sah er schon wie Leon Carides aus … ihr bis vor Kurzem noch so kraftstrotzender charismatischer Ehemann. Ein Bild von einem Mann, der mit jeder Bewegung, jedem Atemzug Respekt einflößte. Bei dessen Anblick Frauen fasziniert innehielten.

Der Mann, von dem Rose sich scheiden lassen wollte. Aber wie konnte sie ihm die Scheidungspapiere vorlegen, jetzt wo er hier im Krankenhausbett vor ihr lag?

„Ein Wunder, dass er überlebt hat“, fuhr der Arzt fort.

„Ja …“, brachte Rose hohl hervor. „Ein Wunder.“

Entsetzt verdrängte sie die innere Stimme, die ihr zuflüsterte, dass es vielleicht einfacher gewesen wäre, hätte er nicht überlebt. Dann müsste sie sich dieser Situation nicht stellen und über ihre Ehe nachdenken. Genauer gesagt … über die Trennung.

Sie sah keinen Sinn mehr darin, länger mit Leon verheiratet zu sein – doch dass er tatsächlich tot wäre, wünschte sie sich natürlich nicht.

Hilflos schluckte Rose. „Es gibt noch Wunder – große und kleine.“

„Ja.“

„Ist er schon einmal zu sich gekommen?“

„Nein“, erwiderte der Arzt ernst. „Er ist bewusstlos, seit er hier eingeliefert wurde. Der Zusammenprall war sehr heftig. Seine Kopfverletzung ist … bedenklich. Aber da wir Hirnaktivität aufzeichnen, haben wir Hoffnung. Je länger er jedoch bewusstlos bleibt …“

„Natürlich.“

Vor zwanzig Stunden war Rose von Connecticut nach Italien aufgebrochen. So lange war Leon bereits bewusstlos. Aber gab es nicht genug Geschichten von Menschen, die sogar nach Jahren auf wundersame Weise wieder erwacht waren? Nach nur einigen Stunden gab es also sicher noch begründete Hoffnung …

„Sollten Sie noch Fragen haben, rufen Sie mich an. In einer Viertelstunde kommt eine Krankenschwester, die Ihren Mann rund um die Uhr betreuen wird. Wenn Sie irgendetwas brauchen, schicken Sie mir eine Nachricht an diese Nummer.“ Der Arzt reichte Rose eine Visitenkarte – ein Sonderservice des Krankenhauses. Schließlich war Leon Milliardär und gehörte zu den erfolgreichsten Geschäftsleuten der Welt. Reich und mächtig. Leuten wie ihm wurden selbst Katastrophen erträglicher gemacht.

Rose drückte die Karte an die Brust. „Danke.“

Der Arzt ging und schloss die Tür hinter sich. Einsam und verstört blieb Rose inmitten der lebenserhaltenden Vorrichtungen an Leons Bett zurück.

Seine leblose Gestalt zu betrachten, machte ihr Angst. Der Mann war praktisch unverwundbar und durch nichts zu erschüttern gewesen …

Einst war er für sie eine Art Held gewesen, ein Mann, den sie als junges Mädchen verehrt und rückhaltlos bewundert hatte. Er war zehn Jahre älter als sie und von ihrem Vater gefördert und unterstützt worden, seit sie acht Jahre alt gewesen war. Irgendwie konnte Rose sich kaum an die Zeit erinnern, als es Leon noch nicht gegeben hatte.

Sorglos, stets gut aufgelegt und so unglaublich nett war er immer zu ihr gewesen. Er hatte sie geachtet und ihr das Gefühl gegeben, wichtig zu sein.

Bis sie geheiratet hatten – und schlagartig alles anders wurde.

Jetzt bloß nicht an die Hochzeit denken! Rose wollte gar nichts denken. Einfach die Augen schließen, im Rosengarten des Familiensitzes tagträumen, umfächelt von Blütendüften, liebkost vom Sommerwind.

Hier war alles so klinisch weiß, zu weiß, zu antiseptisch, um Träumen nachzuhängen …

Das hier war grausame Wirklichkeit, gegen die sich alles in ihr wehrte.

Rose fragte sich, ob Leon eine Frau bei sich im Wagen gehabt hatte. Erwähnt hatte dies niemand. Hatte er etwas getrunken? Auch da Schweigen …

Unvermittelt stöhnte Leon auf, und sie blickte auf das Krankenbett. Er rührte sich, bewegte die Hand, und die Infusions- und Überwachungsschläuche strafften sich.

„Vorsicht“, flüsterte sie. „Überall sind Kabel und Schläuche …“ Sie blickte auf das Gewirr von lebenserhaltenden Geräten, an die er angeschlossen war. „Sonst reißt du etwas heraus …“

Hörte er sie überhaupt? Konnte er sie verstehen? Aufstöhnend bewegte er sich erneut.

„Hast du Schmerzen?“

„Schmerzen …“, brachte er gequält hervor.

Erst jetzt wurde Rose bewusst, wie verzweifelt sie war und wie viel Leon ihr noch immer bedeutete. Vielleicht standen sie einander doch näher, als sie geglaubt hatte.

„Vermutlich brauchst du mehr Schmerzmittel.“ Obwohl sie beim Anblick seines von Blutergüssen und Wunden übersäten Gesichts bezweifelte, dass ihm dies allein helfen könnte.

„Dann hol mir welche“, forderte er.

Typisch … immer noch der gewohnte Kommandoton! Leon war nie hilflos.

Selbst als ihr Vater gestorben war und die Firma ohne Leitung ins Trudeln zu geraten schien, hatte er einfach die Zügel übernommen und die Position ihres Vaters ausgefüllt.

Sie selbst war völlig in Trauer versunken gewesen, doch er war zu beschäftigt, statt sie wie ein liebevoller Gatte zu trösten. Er hatte andere beauftragt, sich um sie kümmern. Für die standesgemäße Beerdigung, die Testamentsvollstreckung und das ganze Drumherum hatte er selbstverständlich gesorgt.

Und auch wenn ihr bewusst war, dass sie mit dieser Entscheidung praktisch alle Annehmlichkeiten ihres bisherigen Lebens aufgeben würde, hatte sie vor geraumer Zeit beschlossen, Leon zu verlassen.

Doch ihn in dieser Situation im Stich zu lassen … das brachte sie nicht über sich. Leon mochte ein lausiger Ehemann gewesen sein, doch als sie ihn brauchte, war er für sie da gewesen – wenn auch nicht mit dem Herzen. Das musste sie nun wohl oder übel auch für ihn tun.

„Ich rufe eine Schwester.“ Sie holte ihr Handy hervor und schickte dem Arzt eine Nachricht: Er ist wach.

Zögernd öffnete Leon die Augen und blickte sich im Raum um. „Sind Sie die Schwester?“

„Nein.“ Ihr Herz begann zu jagen. „Ich bin Rose.“

Offenbar war er verwirrt. Vermutlich war sie die Letzte, die er hier in Italien erwartete.

„Rose?“

„Ja.“ Sie fühlte sich unbehaglich. „Sobald ich von deinem Unfall erfahren hatte, bin ich nach Italien geflogen.“

„Wir sind in Italien?“, wiederholte er matt.

„Ja, Leon. Was dachtest du denn?“

Er runzelte die Stirn. „Das … wusste ich nicht.“

„Du warst geschäftlich hier.“ Wie sie ihn kannte, auch auf der Jagd nach Vergnügungen und schönen Frauen. Doch das behielt sie für sich. „Nach einer Party bist du unterwegs frontal mit einem entgegenkommenden Wagen zusammengeprallt.“

„So fühle ich mich auch“, murrte er. „Frontal …“

„Da ich weiß, wie rasant du fährst, wundert mich das nicht.“

Unsicher sah Leon sie an. „Wir kennen uns?“

„Natürlich. Ich bin deine Frau.“

Ich bin deine Frau.

Die Worte ließen ihn nicht los. Aber das ergab keinen Sinn. Er hatte doch keine Frau. Und wieso war er in Italien? Er erinnerte sich an nichts – weder an seinen Namen … wer er war … gar nichts.

„Du bist meine Frau …“ Gleich würde das schwarze Loch ihn wieder verschlucken.

Aber da war die Frau, die vor ihm stand … sein Krankenzimmer, der Fetzen Gegenwart, davor und danach eine einzige große Leere …

Wenn er mit ihr sprach, konnte er womöglich den Rest vielleicht zusammenbringen. Die dunklen Löcher mit Licht füllen.

„Ja“, sagte sie. „Wir sind seit zwei Jahren verheiratet.“

„So?“ Er versuchte, sich die Hochzeit vorzustellen. Das schaffte er. Er wusste, wie es auf einer Hochzeit zuging. Komisch, das konnte er, aber seinen Namen kannte er nicht. Doch die Frau hier konnte er sich nicht in einem Brautkleid vorstellen. Blondes Haar, das ihr offen über die Schultern fiel … zierliche Gestalt … große blaue Augen …

Blaue Augen.

Ein Bild zuckte vor ihm auf. Hell … klar. Ihre Augen. Unmittelbar davor hatte er an sie gedacht … an mehr erinnerte er sich nicht.

„Ja“, sagte er langsam. „Du bist meine Frau.“ Das … stimmte wohl. Er konnte sich nicht daran erinnern, aber irgendwie spürte er, dass es so war.

„Zum Glück.“ Ihre Stimme bebte. „Ich bekam es allmählich mit der Angst zu tun.“

„Ich liege hier halb tot, und du hast erst jetzt Angst?“

„Dass du dich nicht an mich erinnerst, ist schon beängstigend.“

„Du bist meine Frau“, wiederholte er. „Und ich bin …“

Schweigen erfüllte den kahlen Raum. Drückend, anklagend.

„Du erinnerst dich nicht an mich“, erkannte Rose entsetzt. „Und auch nicht an dich.“

Leon schloss die Augen, ein stechender Schmerz durchzuckte seine Beine, als er den Kopf schüttelte. „Aber ich muss mich erinnern. Sonst werde ich verrückt.“

„Meinst du?“

„Ja …“ Er öffnete die Augen wieder und sah sie an. „Ich erinnere mich an dich“, sagte er. „An deine Augen.“

Ihr Gesichtsausdruck wurde weicher. Sie öffnete die Lippen, und in ihre Wangen kam etwas Farbe. Jetzt sah sie fast hübsch aus. Sicher hatte sie einen Wahnsinnsschreck bekommen, als sie erfuhr, dass ihr Mann nach einem schrecklichen Autounfall im Krankenhaus lag.

Sie sei sofort nach Italien geflogen, hatte sie gesagt. Von wo? Jedenfalls war sie gleich zu ihm geeilt. Kein Wunder, dass sie blass und voller Sorge war.

„Du erinnerst dich an meine Augen?“, fragte sie.

„Das ist das Einzige, an das ich mich erinnere.“ Weil sie seine Frau war. Aber wieso konnte er sich nicht an eine Ehefrau erinnern?

„Ich rufe jetzt lieber den Arzt.“

„Es geht mir gut.“

„Du erinnerst dich an nichts – wie kann es dir da gut gehen?“

„Ich werde schon nicht sterben“, wehrte er ab.

„Vor zehn Minuten war der Arzt hier und warnte mich, du könntest nie mehr aufwachen. Entschuldige, wenn ich nichts riskieren möchte.“

„Ich bin wach. Die Erinnerungen kommen langsam wieder.“

Widerstrebend nickte Rose. „Ja, das müssen wir hoffen.“

Scharfes Klopfen an der Tür unterbrach plötzlich ihr Gespräch.

Benommen verließ Rose das Krankenzimmer.

Leon erinnerte sich an nichts. An gar nichts.

Auf dem Korridor wartete Dr. Castellano mit besorgter Miene. „Wie geht es ihm, Mrs. Carides?“

„Mrs. Tanner“, berichtigte sie ihn aus alter Gewohnheit. „Ich habe den Namen meines Mannes nicht angenommen.“

Warum auch? Sie hatten nicht einmal miteinander geschlafen!

„Mrs. Tanner“, setzte er erneut an, „erzählen Sie mir, wie es war.“

„Er erinnert sich nicht.“ Sie bebte am ganzen Körper, die Schockwirkung setzte erst jetzt ein. „Nicht an mich … nicht einmal an sich selbst.“

„Also an gar nichts?“

„An nichts. Und ich wusste nicht, was ich ihm sagen sollte.“

„Wir müssen ihm klarmachen, wer er ist. Doch vorher muss ich einen Spezialisten hinzuziehen. Einen Psychologen. Mit Amnesiefällen habe ich selten zu tun. Ihr Mann hat lebensgefährliche Kopfverletzungen. Da wäre alles möglich.“

„Aber totaler Gedächtnisverlust … das ist doch unmöglich!“

„Ich weiß, Sie sorgen sich, Mrs. Tanner. Aber es besteht Hoffnung. Ihr Mann ist stabil und endlich wach. Da werden die Erinnerungen möglicherweise bald zurückkehren.“

„Können Sie das statistisch belegen?“

„Wie gesagt – ich habe kaum mit Amnesiefällen zu tun. Nicht selten verlieren Menschen das Gedächtnis als Folge einer traumatischen Kopfverletzung.“

„Er hat alles vergessen“, wiederholte Rose.

„Das gibt sich möglicherweise wieder.“

„Die Leute, die ihr Gedächtnis verloren hatten … bei wie vielen kehrte das Erinnerungsvermögen zurück?“

„Manchmal gar nicht“, musste der Arzt zugeben.

„Und wenn er sich an nichts mehr erinnert?“ Was dann? Damit würde ihr das ganze Leben, ihre Zukunft entgleiten.

„An diese Möglichkeit würde ich zunächst nicht denken wollen.“ Dr. Castellano atmete tief ein. „Wir überwachen ihn solange es geht mit Monitoren. Ich könnte mir aber vorstellen, dass er sich zu Hause eher erholt als hier im Krankenhaus.“

Rose nickte. Zumindest das hatten sie und Leon gemeinsam. Geschäftlich hatte er sich meist im Ausland aufgehalten, doch an dem Herrenhaus in Connecticut hingen sie beide. Es war das Liebste, was sie von ihren Eltern geerbt hatte … der alte, palastartige Bau inmitten von gepflegten Rasenanlagen und einem Rosengarten, den ihre Mutter aus Liebe zu ihrem einzigen Kind angelegt hatte. Von jeher war er Roses geheimer Zufluchtsort gewesen.

Und Leon hatte wohl ebenso empfunden.

Obwohl jeder einen eigenen Flügel des Hauses bewohnt hatte. Wenigstens dorthin hatte er nie Frauen mitgebracht. Er hatte Rücksicht darauf genommen, dass es ihr Zuhause war. Es als ihrer beider Heiligtum geachtet.

Nur unter dieser Bedingung hatten sie auch geheiratet. Als es ihrem Vater zunehmend schlechter gegangen war, hatte er auf ihre Heirat gedrängt und das Haus und seine Firma ins Spiel gebracht. Doch falls Leon seine Tochter vor Ablauf von fünf Jahren verließe, verlöre er das Haus und alles, was damit verbunden war. Das Gleiche sollte umgekehrt für Rose gelten, falls sie sich vor diesem Zeitpunkt von Leon trennen sollte.

Dann hätte sie ihren sicheren Hafen verloren. Und auch die Arbeit an der Archivierung der Familiengeschichte abbrechen müssen, die bis auf die Mayflower zurückging.

Letztlich alles, was ihr wichtig war …

Und jetzt waren sie hier …

„Nach Hause …“ Der Gedanke beherrschte Rose auf einmal. „Mein Mann wird so schnell wie möglich nach Connecticut verlegt werden wollen.“

„Dann werden wir das veranlassen, sobald es möglich ist. Ich nehme an, sein Privatarzt wird die weitere Behandlung übernehmen?“

Rose dachte an das Heer von Ärzten und Schwestern, die ihren Vater bis an sein Lebensende begleitet hatten. „Zu Hause haben wir ausgezeichnete Ärzte, die alles für ihn tun werden.“

„Natürlich. Wenn sein Zustand stabil bleibt, können wir ihn bald nach Connecticut verlegen.“

Klopfenden Herzens blickte Rose den Arzt eindringlich an. „Gut. So bald wie möglich.“

Leon nach Connecticut zurückzuholen, bedeutete, dass sie sich fürs Erste nicht würde scheiden lassen können. Getrennt zu leben, kam in dieser kritischen Situation auch nicht infrage. Sie konnte den Mann nicht im Stich lassen, der jahrelang ihr Leben bestimmt hatte.

Er brauchte sie jetzt.

Aber warum war das auf einmal so wichtig?

Unwillkürlich sah sie sich wieder in dem geliebten Rosengarten ihres Elternhauses … sie trug ein duftiges Ballkleid und weinte sich das Herz aus dem Leib, weil ihr Ballpartner sie sitzen gelassen hatte. Möglicherweise hatte der Junge von Anfang an keine Lust gehabt, mit ihr zu dem Fest zu gehen.

Und dann hatte sie aufgeblickt – und Leon war da gewesen. Im eleganten Smoking. Vermutlich hatte er Pläne für den späteren Abend, nachdem er gerade noch geschäftliche Angelegenheiten mit ihrem Vater besprochen hatte. Todunglücklich und verweint hatte sie ihn angesehen und sich geschämt, weil er sie ausgerechnet in diesem erniedrigenden Moment erleben musste.

„Was ist los, agapi?“

„Nichts. Nur … mein Tanzpartner hat mich versetzt … und ich kann nun nicht zu dem Ball gehen.“

Aufmunternd hatte Leon sie bei der Hand genommen und auf die Füße gezogen. Seine Finger hatten sich herrlich warm und kraftvoll angefühlt. Rose war wie elektrisiert gewesen.

„Sag mir, wer dir wehgetan hat. Wenn ich mit dem Kerl fertig bin, wünscht er sich, er wäre zu jedem Ball mit dir gegangen.“

Sie hatte den Kopf geschüttelt. „Nein … ich will nicht, dass du dich für mich einsetzt. Das würde alles nur noch schlimmer machen.“

Leon drückte ihre Finger. „Meinst du?“

Ihr Herz schlug viel zu schnell. „Ja.“

„Wenn du nicht willst, dass ich mir den jungen Mann vornehme, könntest du wenigstens mit mir tanzen.“

Rose konnte nur nicken. Spielerisch zog Leon sie an sich und wirbelte sie mit leichten Tanzschritten herum. Sie hatte noch nie gut tanzen können, doch das schien ihn nicht zu stören. Und in seinen Armen fühlte sie sich kein bisschen tollpatschig – sie schwebte förmlich dahin.

„Es liegt nicht an dir, Rose.“

„An was dann?“

„An deiner Jugend. Wenn man jung ist, kommt einem alles schwierig vor. Da fällt es empfindsamen Mädchen wie dir schwer, in der Schule und auch sonst mitzuhalten. Später holen sie alles nach und überrunden die anderen. Dein weiteres Leben wird viel schöner und strahlender verlaufen, als alle anderen es sich vorstellen können.“

Leons Trostworte hatten ihr die Welt bedeutet. Wie einen kostbaren Schatz hatte Rose sie in sich verschlossen. Sich auch später daran geklammert, als sie mit ihm vor den Traualtar getreten war. Ganz sicher hatte er seine Worte ernst gemeint … dass ihr Leben mit ihm so wunderbar und himmlisch sein würde, wie er es ihr vor zwei Jahren versprochen hatte.

Doch ihre Ehe war alles andere als himmlisch verlaufen. Statt zu schweben, waren ihr die Flügel gestutzt worden. Innerhalb kurzer Zeit hatte sie den Mann nicht wiedererkannt, den sie geheiratet hatte.

Und obwohl sie nicht vergessen konnte, was seitdem passiert war, war Rose klar, dass sie ihm jetzt beistehen musste.

Doch sobald es Leon besser ging und er wieder gesund war, würde sie den Schlussstrich ziehen und ihr eigenes Leben wieder aufnehmen.

„Sagen Sie mir, wie ich jetzt vorgehen soll“, bat sie den Arzt.

2. KAPITEL

Noch immer konnte Leon sich nicht wirklich an seinen Namen erinnern, als er im Rollstuhl aus dem Krankenhaus in einen Krankenwagen geschoben wurde. Seine Hilflosigkeit fraß an seinem Stolz. Es war ihm zuwider, auf andere angewiesen zu sein. Dennoch musste er sich damit abfinden.

Immerhin wusste er inzwischen, wer er gewesen sein sollte. Er kannte seinen Namen, weil er ihn ständig hörte. Über seinen Kopf hinweg trafen seine Frau, Ärzte und Fachkräfte Entscheidungen für ihn. Und damit musste er leben, ob es ihm nun passte oder nicht.

Die Fahrt zum Flughafen war lang und qualvoll, bei jeder Unebenheit der Straße machten sich die Verletzungen brutal bemerkbar. Zwei Rippen seien gebrochen und überall hätte er schwere Prellungen davongetragen, hatte man ihm gesagt.

Seine Situation war für den Moment ausweglos, musste Leon sich eingestehen. Er war völlig auf andere angewiesen – körperlich und geistig.

Heute Morgen im Untersuchungsraum hatten alle mehr über ihn gewusst als er selbst. Von seiner Frau ganz zu schweigen!

Er betrachtete Roses Profil. Starr blickte sie auf die vorbeiziehende Landschaft hinaus.

„Ich weiß, wie du dich fühlst, Rose“, begann er vorsichtig.

Er musste herausfinden, was in ihr vorging. Mit Sicherheit hatte er sie zärtlich berührt, sie tausend Mal geküsst. Immerhin waren sie ein junges, gesundes Ehepaar und bestimmt sehr verliebt gewesen – hoffte er zumindest.

„Da bin ich mir nicht sicher“, erwiderte sie knapp.

„Warum sollte ich nicht wissen, wie es in dir aussieht?“

Sie zuckte leicht zusammen und schien zu spüren, dass sie etwas Falsches gesagt hatte.

„Du verschweigst mir etwas“, hielt er ihr vor.

„Unsinn. Ich versuche nur, mich an die Anweisungen des Arztes zu halten und dich zu schonen.“

„Die Wahrheit kann nicht schaden.“

„Ich möchte nicht, dass du dich an Dinge zu erinnern glaubst, die es gar nicht gibt.“

„Im Moment gibt es bei mir nur eine große schwarze Wand. Du könntest mir alles Mögliche vormachen.“

Ihr schoss das Blut in die Wangen. War sie wütend? „Ich habe nicht vor, dir etwas vorzumachen.“ Sie wandte sich ab und blickte wieder aus dem Fenster.

„Das sagst du so einfach. Aber ich bin dir völlig ausgeliefert.“

„So? Hast du etwa Angst vor mir?“

„Schon möglich. Du könntest meine Situation ausnutzen. Offenbar bin ich ein schwerreicher Mann.“

„Und woher willst du das wissen?“

„Ich lag in einem hübschen Privatzimmer, und die Ärzte haben sich rührend um mich gekümmert.“

„Vielleicht, weil du ein besonders hoffnungsloser Fall bist“, bemerkte sie trocken.

„Ach, das bezweifle ich, in dieser Sache bin ich mir in meinem tiefsten Innern sicher. Während ich dir anderes unbesehen glauben muss – meinen Namen zum Beispiel. Jedenfalls habe ich festgestellt, dass man mich achtet.“

„Erstaunlich.“ Rose lächelte ironisch. „Alle Achtung, Leon, dein Ego kann wirklich nichts erschüttern.“

„Ein Egoist und Sonderfall … es muss zauberhaft sein, mit mir zu leben.“

Sie dachte kurz nach. „Na ja, du bist meist auf Reisen, und ich bleibe in Connecticut. So kommen wir bestens miteinander aus.“

Er zuckte mit den Schultern. „Das ist doch gar nicht so schlecht. Ständiges Zusammenhocken ist schließlich nicht jedermanns Sache.“

„Und genau das scheint auch dein Credo zu sein.“

„Wahrscheinlich.“ Irgendwie wusste er, dass es so war. Er betrachtete Roses starre Züge. „Meine derzeitige Situation belastet dich ebenfalls, nicht wahr?“, versuchte er einzulenken. Auch wenn er sich nicht erinnern konnte, wie Rose im täglichen Miteinander war, wollte er nicht, dass sie sich nun quälte.

„Niemand möchte hören, dass der Partner sich möglicherweise an nichts mehr erinnert.“

„Natürlich nicht. Aber der Gedächtnislose auch nicht.“

Rose atmete tief durch. „Bitte entschuldige, Leon. Hier geht es schließlich nicht um mich.“

„Unsinn. Natürlich ist es für dich ebenso schlimm. Wir sind doch eine Einheit, agapi.“ Er beugte sich zu ihr vor, und der zarte Duft ihres Parfüms erreichte seine Nase. Nichts. Es weckte keine Erinnerung. Doch etwas tief in ihm rührte sich. Sie mochte vielleicht keine klassische Schönheit sein, aber dennoch zog ihn etwas magisch zu ihr hin. „Und da wir eine Einheit sind, betrifft es uns gemeinsam.“

Ihr Gesichtsausdruck wurde weicher. „Ja, vielleicht hast du recht.“

Während der restlichen Fahrt zum Flughafen schwiegen sie, bis Leon an Bord der Maschine gebracht wurde. Einer Privatmaschine natürlich! Schließlich schien er genug Geld zu besitzen. Doch daran erinnerte er sich kaum. Verständlich, dass auch Roses Parfüm ihm fremd war.

Nachdem er es sich in der luxuriösen Umgebung bequem gemacht hatte, lehnte er sich zurück. „Gehört die Maschine mir?“

Rose nickte. „Das hoffe ich. Es wäre peinlich, wenn wir uns im falschen Privatflugzeug befänden.“

„Dann würden wir immerhin Schlagzeilen machen.“

„Aber das wollen wir natürlich nicht“, erwiderte sie.

„Nein? Wie dem auch sei, ich brauche jetzt einen Scotch.“

„Kommt nicht infrage“, widersprach sie scharf. „Die Medikamente, die du genommen hast, würden einen Elefanten umwerfen.“

„Ich bin stark – so schnell wirft mich nichts um“, brüstete Leon sich.

Autor

Maisey Yates
Schon von klein auf wusste Maisey Yates ganz genau, was sie einmal werden wollte: Autorin.
Sobald sie mit einem Stift umgehen und ihre erste Worte zu Papier bringen konnte, wurde sie von der Leidenschaft fürs Schreiben gepackt und bis heute nicht mehr losgelassen.

Von da an konnte nichts und niemand...
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