Kämpfe um dein Glück, Marie-Claire!

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Läuten schon bald die Hochzeitsglocken im Königreich St. Michele? Für Prinzessin Marie-Claire geht ein lang gehegter Traum in Erfüllung, als der begehrte Junggeselle und erfolgreiche Unternehmer Sebastian LeMarc um ihre Hand anhält. Doch ihre Freude währt nur kurz: Sebastians Mutter deckt ein dunkles Geheimnis auf, das Schatten auf das Glück des jungen Paares wirft … Sind Sebastians Verbindungen zur königlichen Familie enger, als gedacht? Ist die Liebe zwischen ihm und Marie-Claire gar ein Verbrechen? Verzweifelt kämpft die Prinzessin um ihr Glück...


  • Erscheinungstag 24.08.2008
  • Bandnummer 1833
  • ISBN / Artikelnummer 9783863492915
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Prinzessin Marie-Claire de Bergeron versuchte, sich von hinten zwischen ihre beiden Schwestern zu zwängen. Sie war die dritte Tochter von Philippe de Bergeron, König von St. Michele, einem Zwergstaat im Norden Frankreichs. Marie-Claire hielt sich an Lises Schulter fest, um nicht zurückgedrängt zu werden. Sie musste unbedingt eine bessere Sicht auf Sebastian LeMarc haben, den umwerfend attraktiven Playboy und Aristokraten, der zudem noch als Geschäftsmann im Bereich Im- und Export sehr erfolgreich war. In atemloser Faszination starrte sie zu ihm hinüber, als er auf dem Weg zum siebzehnten Loch stehen blieb, um einer kichernden jungen Verehrerin ein Autogramm zu geben.

In St. Michele war Sebastian eine Berühmtheit. Ein ebenso großzügiger Philanthrop wie umschwärmtes Sexsymbol. Eben ein echter Hotty!

„Heiß – hot, hotter, Hotty“, murmelte Marie-Claire, die amerikanische Slangausdrücke ebenso sehr liebte wie amerikanische Filme, Fernsehserien und Cheeseburger.

„Lass los, Marie-Claire!“ Lise, ihre älteste, frisch verheiratete Schwester versuchte, sie abzuschütteln. „Du pustest mir in den Nacken!“

Gutmütig kam Marie-Claire ihrer Aufforderung nach und lehnte sich stattdessen über Arianes Schulter, ohne den attraktiven Golfer aus den Augen zu lassen, der seinem Caddie ein stummes Signal gab.

Überall auf der Welt verfolgten Golfenthusiasten diese Aktion im Sportkanal auf ihren Bildschirmen. Die Sportjournalisten und Kommentatoren in der Pressekabine vor Ort schauten angespannt auf ihre Monitore und schienen plötzlich irritiert zu sein.

„Er nähert sich dem …“ Unterdrücktes Gelächter. „Ups, da scheint es ein kleines Problem auf dem Kurs zu geben. Sebastian LeMarcs Caddie ist offenbar gestürzt.“

„So ist es, Frank. Sieht aus, als dauert es ein Weilchen, ehe es weitergeht.“

„Wie uns eben zu Ohren kommt, soll LeMarcs gewohnter Caddie heute Morgen ziemlich angeschlagen und damit nicht einsatzfähig gewesen sein …“

„Vielleicht hat er den Erfolg des gestrigen Tages etwas zu heftig gefeiert?“, gab sein Kollege zu bedenken. Erneutes Gelächter. Dann hörte man Papier rascheln.

„Rob, du wirst es kaum glauben, wer heute den Ersatzcaddie für LeMarc mimt! Es ist der Sohn des Palastgärtners. Der achtzehnjährige Eduardo Van Groober aus St. Michele. Eduardo gehörte im letzten Jahr zum Golfteam seiner Highschool und hofft, eines Tages ein zweiter Tiger Woods zu werden.“

„Na, dann können wir nur hoffen, dass er gleich wieder fest auf seinen Füßen steht.“

Abermals ertönte Gelächter.

„Ich glaube, er war vorübergehend abgelenkt.“

„Angesichts der drei bezaubernden Königstöchter würde es wohl jedem Caddie so ergehen, befürchte ich.“

Auf dem Bildschirm erschienen plötzlich die Gesichter von Marie-Claire und ihren Schwestern. Marie-Claire beobachtete den armen Eduardo, der mit puterrotem Gesicht versuchte, die Schläger wieder in die Golftasche hineinzubugsieren. Gleichzeitig fahndete er hektisch nach einem passenden Eisen, das er Sebastian anbieten konnte.

Doch der beachtete ihn gar nicht. Er hob einen Schläger vom Boden auf, prüfte ihn kurz und schlenderte gelassen zur Abschlagstelle hinüber.

„Frank, Sebastian LeMarc scheint sich für das siebte Eisen entschieden zu haben. Eine exzellente Wahl, würde ich sagen. Mit seinem kraftvollen Abschlag und seiner Treffsicherheit könnte er mit dem nächsten Schlag das königliche Team in Führung bringen.“

Marie-Claire zappelte vor Aufregung. Als ein gedankenloser Reporter ihr plötzlich die Sicht versperrte, beugte sie sich rasch herab und schob ihren Kopf unter Lises Ellenbogen hindurch, was ihr sogleich eine weitere Rüge von Seiten ihrer Schwester eintrug.

„Hör endlich auf, dich immer vorzudrängeln!“, schimpfte Lise mit gedämpfter Stimme. „Dein Haar ist so elektrisch aufgeladen, dass du aussiehst, als hätte man dir einen Stromschlag verpasst.“

Genauso fühle ich mich auch, dachte Marie-Claire insgeheim, während sie zwischen den langen Beinen des Reporters hindurchspähte und atemlos verfolgte, wie ihr heimlicher Held ein paar Übungsschwünge vollführte.

„Autsch! Was, um alles in der Welt machst du da unten?“, wollte Ariane wissen, als sich Marie-Claire auf ihre Fußspitze kniete.

„Ich versuche ihn zu sehen!“

Ihn?“ Ariane schnalzte mit der Zunge. „Liebes Kind, dieser Sebastian LeMarc muss mindestens achtundzwanzig oder neunundzwanzig Jahre alt sein.“

„Zweiunddreißig.“

Mon Dieu! Du bist doch viel zu jung für ihn!“

„Bin ich nicht!“

„Und ob du das bist! Schau dich doch nur an, gerade jetzt, in diesem Augenblick.“

„Aber ich bin ihm doch schon einmal aufgefallen …“

Ihre beiden Schwestern wechselten einen beziehungsvollen Blick. „Wann?“

Marie-Claire überlegte kurz, ob sie ihr Geheimnis wahren sollte, doch die zweifelnden Gesichter über ihr zwangen sie förmlich zu einem Geständnis. „Als ich sechzehn war, hatten wir eine … Begegnung.“

„Eine Begegnung …?“, echote Lise.

„Mit sechzehn?“, hakte Ariane ungläubig nach. „Du träumst wohl!“

„Nein! Er erinnert sich ganz sicher an mich!“

„Was für eine Art Begegnung war denn das? Hast du ihn vielleicht während deiner Führerscheinprüfung über den Haufen gefahren?“

Ariane und Lise steckten die hübschen Köpfe zusammen und prusteten los. Marie-Claire richtete sich langsam auf und maß die beiden aus blitzenden Augen. Gereizt versuchte sie, ihre ungebärdige Haarmähne mit den Fingern zu glätten.

Er weiß, wer ich bin. Das könnte ich schwören.“

Er kennt jeden von Papas Sprösslingen, Liebes“, neckte Ariane sie.

„Das meine ich nicht. Zwischen uns ist eine ganz besondere Verbindung. Ihr würdet das nicht verstehen.“

„Marie-Claire! Du bist eine unverbesserliche Träumerin!“

„Das mag sein, trotzdem habe ich in seinem Herzen einen ganz besonderen Platz …“ Versonnen schaute sie zu Sebastian hinüber, der sich genau in diesem Moment umdrehte, ihren Blick einfing und ihr vertraulich zublinzelte.

„Habt ihr das gesehen?“ Marie-Claire quiekte fast vor Aufregung. „Er hat mir ein Zeichen gegeben! Na, was habe ich euch gesagt?“

Lise krauste ihre zierliche Nase. „Unsinn, wahrscheinlich hat ihn nur die Sonne geblendet.“

„Die Sonne ist hinter seinem Kopf!“

Das musste ihre Schwester zugeben. „Dann hat er eben allen schönen Mädchen von St. Michele zugeblinzelt. Siehst du, jetzt gibt er Eduardo ein Zeichen.“

„Und wenn mich nicht alles täuscht, versucht der gerade, dich auf sich aufmerksam zu machen, Marie-Claire“, stellte Ariane lachend fest. „Himmel! Bestimmt ist er in dich verliebt!“

„Hör auf damit!“

Aber Ariane dachte gar nicht daran. „Marie-Claire Van Groober … Das hört sich doch toll an, findet ihr nicht?“ Lise und sie wollten sich ausschütteln vor Lachen, während Marie-Claire sich Mühe gab, ihre unromantischen großen Schwestern zu ignorieren.

Sebastian … LeMarc.

Marie-Claire LeMarc. Vor ihrem inneren Auge fügte sie die Lettern ihrem Vornamen hinzu. Fünf lange Jahre hatte sie in ihrer Fantasie den Part von Sebastians zukünftiger Ehefrau gespielt. Dem Vater ihrer noch zu gebärenden Kinder – drei Söhne und eine wunderschöne Tochter …

Ach, wenn er sie doch nur noch einmal so anschauen würde wie damals … in jener Nacht. Marie-Claire errötete unwillkürlich, als die Erinnerungen daran in ihr hochstiegen. Oh ja, sie war sich sicher, dass Sebastian sich an sie erinnerte …

Das musste einfach so sein!

Während Sebastian die Spielbahn, das Fairway, begutachtete, betrachtete Marie-Claire versonnen seinen gut geschnittenen Mund mit der geschwungenen Oberlippe, die den Anschein eines ständigen, leicht amüsierten Lächelns vermittelte. Ihr entgingen auch nicht die kleinen, etwas zynischen Falten neben den Mundwinkeln, die Sebastian noch aufregender und charmanter aussehen ließen, als es ohnehin schon der Fall war.

Und dann dieses dichte braune Haar mit einem leisen Hauch von Silber an den Schläfen. Dazu das feste Kinn und die mitternachtsblauen Augen mit ihrem herausfordernden Blick unter den dichten dunklen Wimpern …

Um Marie-Claire herum versuchte nahezu jede Frau, auf die eine oder andere Weise die Aufmerksamkeit des attraktiven Sportlers zu erregen. Ihre Schwestern hatten recht. Sebastian konnte sie gar nicht bemerken. Wie denn auch? Er war ein erfahrener, umschwärmter Mann. Und sie? Obwohl sie inzwischen bereits einundzwanzig war, konnte man sie wohl als einen überbehüteten Spätentwickler bezeichnen. Es war aber auch wirklich schwer, sich unter ständiger Überwachung durch Kameras und mit Bodyguards im Schlepptau zu einer unabhängigen, welterfahrenen Frau zu entwickeln.

Wildblumen brauchten Luft zum Atmen. Licht …

Sebastian ging in die Hocke und betrachtete gedankenvoll den Golfschläger in seiner Hand. Dann nickte er kurz und gab noch einen letzten gemurmelten Kommentar in Richtung König Philippes ab, ehe er sich hinabbeugte, um sein Golf-Tee in den Rasen zu stecken und den Ball daraufzulegen. Sorgfältig positionierte er seine Füße rechts und links der Abschlagstelle und schaute über das Fairway.

Himmel, war das aufregend! Ganz sicher würde Sebastian dem Team ihres Vaters zum Sieg verhelfen!

Atemlos vor Spannung beugte Marie-Claire sich vor und brachte damit fast Ariane aus der Balance.

Sebastian legte die Finger um den Griff seines Golfschlägers und vollführte einen Probeschwung. Über das atemlose Schweigen der angespannten Zuschauerschar hinweg ertönte plötzlich ein lautes: „Los, Sebastian!“

Zu ihrem Entsetzen musste Marie-Claire feststellen, dass sie selbst es gewesen war, die das geschrien hatte. Am liebsten wäre sie auf der Stelle im Boden versunken. Alle starrten sie an. König Philippe rollte entnervt mit den Augen. Einzig und allein Eduardo schenkte ihr ein breites Grinsen und hob die Daumen zum Siegeszeichen.

Das nervöse Gekicher ihrer Schwestern sprach von dem Schock, den sie soeben erlitten hatten. Lise knuffte ihre jüngere Schwester in die Seite. „Hast du den Verstand verloren?“

„Kein Wunder, dass du ihm aufgefallen bist!“, zischte sie leise. „Du bist eine Irre!“

Ungeachtet der Störung brachte Sebastian LeMarc es fertig, den perfekten Schlag zu landen. Der Golfball beschrieb einen hohen Bogen und kam in der Nähe der Fahne auf. Die Menschenmenge tobte vor Begeisterung. Mit breitem Lächeln schüttelten sich König Philippe und Sebastian die Hände. Sie taten es in vorgezogener Siegerpose und in Kopfhöhe, vor eifrigen Journalisten und klickenden Kameras.

Marie-Claire, die immer noch wie erstarrt dastand, fühlte plötzlich Sebastians Blick auf sich ruhen, und dann blinzelte er ihr zum zweiten Mal an diesem Tag zu. Rasch presste sie ihre Hände auf die glühenden Wangen und lächelte. Ihre Blicke versanken ineinander, wie es schon einmal, vor vielen Jahren, geschehen war …

Um Marie-Claire mischten sich Lärm und Farben zu einem wirren Kaleidoskop. Die Realität versank, und die Welt schien sich plötzlich andersherum zu drehen. Alles lief wie in Zeitlupe ab, nur ihr Herz schlug in einem wilden Stakkato.

Das Sonnenlicht zauberte goldene Funken auf Sebastians dunkles Haar. Er senkte leicht den Kopf, hob eine Braue und warf Marie-Claire einen beziehungsvollen Blick zu, in dem tausend unausgesprochene Fragen lagen, so dass sie sich plötzlich ganz sicher war …

Er hatte ihre Begegnung nicht vergessen.

Nachdem das Golfturnier beendet war, beeilten sich die Zuschauer, nach Hause zu kommen, um sich auf die Siegesfeier vorzubereiten, die abends im königlichen Palast stattfinden sollte. Der Ansturm in Richtung Clubhaus und des Parkplatzes war so heftig, dass ein Verkehrskollaps kaum ausbleiben konnte. Überall ertönten ungeduldige Rufe und Autohupen, doch das schien den Freudentaumel über den Sieg nur noch zu verstärken.

Sebastian beobachtete seinen schlaksigen, rotschopfigen Caddie, der völlig gedankenverloren hinter Marie-Claire her starrte. Auf seinem sommersprossigen Gesicht lag der schmerzvolle Ausdruck unerwiderter Liebe.

Sebastian kannte das Gefühl. Schmachtete er nicht selbst bereits seit ewigen Zeiten die umwerfende Marie-Claire de Bergeron an? Und damit war er in der Gesellschaft der meisten männlichen Bewohner von St. Michele.

Aber das würde er umgehend ändern. Noch heute Abend.

Jetzt war sie einundzwanzig und damit endlich erwachsen. Und Sebastian hatte durchaus Grund zu Annahme, dass sein Interesse erwidert wurde – zumindest hoffte er es! Marie-Claire war eine erstaunliche junge Frau. Voller Vitalität, und ihr Inneres war ebenso schön wie ihr bezauberndes Äußeres.

Und offensichtlich war Eduardo mit ihm tatsächlich einer Meinung.

„Sie ist schon etwas Besonderes, was, mein Freund?“, sagte Sebastian leise und gab seinem Caddie einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken.

„Oh, ja, Sir!“, entfuhr es Eduardo spontan. „Ich meine, nein, ich bin nicht … ich könnte nie …“ Nur mit Mühe riss er seinen Blick von der schwindenden Marie-Claire los. „Waren Sie jemals verliebt, Sir?“

Sebastian nahm dem schmächtigen Jungen die schwere Golftasche ab und schulterte sie ohne sichtbare Anstrengung. „Ja.“

„Und was ist daraus geworden?“

„Nichts.“ Er schaute suchend in die Menschenmenge. „Noch nichts.“

Von ihrer Suite aus, die hinter den offiziellen Räumen des Königs lag, konnte Marie-Claire die gedämpften Geräusche der Siegesparty hören, die unten im großen Kristallsaal stattfand. Sie drückte ihre Nase gegen das Balkonfenster, um so die Scheinwerferkegel der ankommenden Limousinen besser sehen zu können, die in unaufhörlicher Reihe die geschwungene Schlossauffahrt heraufkamen.

Zum ungezählten Mal fragte sie sich, wann er endlich kommen würde. Wenn möglich reckte sie sich noch weiter vor, um so früh wie möglich Sebastians schnittigen Jaguar ausmachen zu können. Plötzlich glaubte sie ihn zwischen den bereits geparkten Wagen erspäht zu haben, die den privaten Gästen der königlichen Familie gehörten.

Kein Zweifel – er war bereits unten zwischen den zwölf- bis fünfzehnhundert Gästen. Doch für Marie-Claire zählte nur einer.

Sebastian LeMarc.

Aufgeregt und voller Erwartung öffnete sie das Fenster und sog tief die laue Abendluft ein. Gedämpfte Tanzmusik schallte aus der unteren Etage zu ihr herauf. Jedes Fenster des Palasts war erleuchtet, und auch die Parkanlagen innerhalb der hohen Schlossmauern waren festlich illuminiert, was im Laufe des Abends unweigerlich romantisch veranlagte Spaziergänger oder heimliche Liebespärchen anziehen würde.

Für Anfang September war es ungewöhnlich warm, fast schwül. Die Luft schien vor Elektrizität zu vibrieren, so als lauerten irgendwo versteckt dunkle Gewitterwolken, die nur darauf warteten, die Regie für den weiteren Wetterverlauf zu übernehmen. Der aufziehende Sturm, den sie verhießen, konnte nicht heftiger sein als jener in Marie-Claires Brust.

Beide Hände auf die geschnitzte, mit Ornamenten verzierte Fensterbank gestützt, beobachtete sie fasziniert den nicht enden wollenden Strom der Gäste. Nur zögernd riss sie sich los und wirbelte in wilden Pirouetten zum hohen Spiegel hinüber, um den Fall ihres Abendkleides zu bewundern und ihr Make-up ein letztes Mal zu überprüfen. Nach einer atemlosen Inspektion zwinkerte sie sich selbst aufmunternd zu und entschied, dass sie so gut vorbereitet war, wie sie es nur sein konnte.

Dann verließ sie rasch ihr Zimmer und machte sich auf die Suche nach ihren Schwestern. Sie fand beide in Lises Suite, wo Ariane ihrer Schwester gerade dabei half, ein funkelndes Collier aus Platin und Gold, gespickt mit Diamanten, anzulegen. Ohne Zweifel ein Geschenk von Fernand Rodin, der seit knapp einem Monat Lises Ehemann war. Das äußere Erscheinungsbild war für Fernand ungeheuer wichtig.

„Na, wie sehe ich aus?“

Beide Schwestern wandten sich ihr zu und nahmen Marie-Claire kritisch, aber liebevoll in Augenschein.

„Du wirkst heute Abend direkt erwachsen“, stellte Ariane fest. „Beabsichtigst du etwa, Sebastian in einem schwachen Moment zu überfallen, ihm eins über den Schädel zu geben und an den Haaren in deine Höhle zu schleppen?“

„Genau das habe ich vor“, erklärte Marie-Claire mit breitem Grinsen. „Noch irgendwelche schwesterlichen Tipps?“

„Oh, ja!“, sagte Lise in nüchternem Ton. „Halte dich lieber von den Männern fern.“

„Und das sagt eine frisch verheiratete Frau!“, empörte sich ihre kleine Schwester.

„Fernand und ich waren nie ein Liebespaar, wie du weißt.“

„Aber ich dachte, ihr wärt zumindest gute Freunde.“

Lise zuckte mit den Schultern. „Sagt man nicht, dass selbst für Liebende das erste Ehejahr das schwierigste ist? Für Freunde, wenn man das überhaupt so bezeichnen kann, ist es offenbar noch viel weniger … anregend.“

Marie-Claire empfand heißes Mitleid für ihre Schwester. Sie selbst konnte sich niemals vorstellen, eine Vernunftehe einzugehen. Zum Glück hatte ihr Vater nicht sie dazu ausersehen, auf diese Weise die Beziehungen zum benachbarten Vallonien zu verbessern und zu festigen. Fernand war zwar ausgesprochen weltgewandt und charmant, aber in seinen dunklen Augen lag kein Funken Wärme.

Und schon gar nichts von dem herausfordernden Funkeln in Sebastians Augen. Spontan beschloss sie, sich ein anderes Mal Gedanken über Lises problematische Ehe zu machen. Heute hatte sie eine Verabredung mit dem Schicksal …

„Und was ist mit dir, Schwesterherz?“, wandte sie sich in leichtem Ton an Ariane. „Noch irgendwelche Vorschläge, um mich in meiner Mission zu unterstützen?“

Ariane seufzte. „Ganz offen gesagt …? Bleib auf dem Teppich, pass auf, dass deine Frisur sich nicht auflöst, und achte vor allem darauf, dass du keinen Spinat zwischen den Zähnen hast – wenn du überhaupt essen musst. Sprich nur, wenn du gefragt wirst, und lass dir unter keinen Umständen anmerken, dass du verliebt bist. Spiel die Unnahbare, Männer mögen das.“

Marie-Claire runzelte die glatte Stirn. War das wirklich so?

Als Nüchternste und Bodenständigste unter den drei Schwestern hatte Ariane noch nie besonderes Verständnis für unsinnige Träumereien und Spleens aufgebracht. Doch Marie-Claire war ein Freigeist und hatte genug gehört.

„Mir reicht es. Ich gehe.“

„Aber wir sind noch nicht fertig!“, protestierte Lise.

„Und?“

„Du hast doch wohl nicht vor, ganz allein die Treppe hinunterzuschreiten?“

Marie-Claire stöhnte melodramatisch auf. „Lise! Wir leben in einem neuen Jahrtausend! Da gelten auch neue Regeln.“ Rasch lief sie auf die Doppeltür zu, stieß sie auf und wirbelte noch einmal zu ihren Schwestern herum. „Beeilt euch lieber, sonst verpasst ihr noch den besten Teil der Party.“

Als Sebastian LeMarc Marie-Claire die großzügige Treppe zu dem prächtigen Kristallsaal herabkommen sah, der seinen Namen den einzigartigen australischen Kristallkandelabern verdankte, fühlte er sich um Jahre zurückversetzt …

Seine Augen trafen ihre, und als ihre Blicke ineinander versanken, spürte er ein heftiges Ziehen in seinen Lenden. So wie jedes Mal, wenn er Marie-Claire in den letzten fünf Jahren zu Gesicht bekommen hatte.

Es war eine Nacht wie diese gewesen …

Auch damals war es Anfang September gewesen. Die Luft war schwül, am Horizont ballten sich drohend dunkle Gewitterwolken zusammen. Immer häufiger ertönte aus der Ferne ein warnendes Grummeln. Das Laub der Bäume hatte begonnen, sich zu einer Symphonie in Gold-, Ocker-, Rost- und dunklen Rottönen zu verwandeln.

Es war die Stunde vor dem Sonnenuntergang gewesen, die das ganze Land in ein unwirkliches Licht tauchte, die ersten Regentropfen auf den Blättern und Zweigen wie glitzernde Diamanten funkeln ließ, so dass der dichte Waldgürtel es mit jeder Piratenschatztruhe hätte aufnehmen können.

Er war mit Freunden auf einem Ausritt gewesen, als er bei diesem erstaunlichen Anblick spontan sein Pferd zügelte, um das einmalige Naturschauspiel näher in Augenschein zu nehmen. Seine Begleiter, Angehörige des Königshauses und ausländische Würdenträger, waren so tief in ihre politischen Diskussionen verstrickt, dass sie es nicht einmal bemerkten, als er zurückblieb.

Sebastian richtete sich in seinen Steigbügeln auf und schaute um sich. Irgendetwas Irritierendes, Geheimnisvolles lag in der Luft. Aber was?

Er konnte sich seine erwartungsvolle Unruhe nicht erklären. Vielleicht hatte es mit dem Wechsel der Jahreszeiten zu tun? Die Melancholie, die darin lag, dem Sommer Adieu zu sagen und sich auf die kalten Monate vor dem Kamin einzurichten.

Unvermittelt überfiel ihn der Gedanke, dass er in knapp drei Jahren bereits dreißig wurde. Ein Alter, in dem die meisten Menschen sich in einer festen Beziehung befanden oder sie zumindest anstrebten. Eine Heirat. Eine Familie. Einen Erben.

Eine ganze Weile blieb Sebastian bewegungslos auf seinem Pferd sitzen und dachte über seine Zukunft nach, während die Sonne langsam hinter der Hügelkette versank und die Schatten immer länger wurden. Und dann, gerade als er seinen vorausgerittenen Begleitern in Richtung der königlichen Stallungen folgen wollte, schoss aus einem der Stalltore an der Seite ein heller Blitz hervor. Mit einer Art Kriegsschrei flog der wilde Reiter über die Weide und stürmte auf den dunklen Waldgürtel zu.

Sebastian blinzelte gegen die untergehende Sonne. Wo konnte ein Stallbursche um diese Zeit hinwollen? Und dann noch in diesem mörderischen Tempo? Das konnte nichts Gutes bedeuten.

Entschlossen riss er sein Pferd herum und setzte dem flüchtigen Reiter nach. Er war sich ganz sicher, dass König Philippe solche Eskapaden nicht schätzte. Der sicherste Weg, ein gutes Pferd zu ruinieren, war der, es in diesem unsinnigen Tempo in die heraufziehende Dunkelheit zu hetzen.

Der Wind pfiff um seine Ohren, als Sebastian dem unvernünftigen Jungen über den geschwungenen Hügel zum Wald folgte, in dem es laut Volksmund noch Feuer speiende Drachen, verwunschene Prinzessinnen und allerlei Kobolde geben sollte. Nun, derartige Schauermärchen waren nichts für Sebastian, aber wenn es ihm endlich gelang, den wilden Reiter einzuholen, würde er ganz sicher selbst Feuer speien.

Im Wald zwischen den dichten Bäumen kam er nicht mehr so schnell voran. Sebastian konnte Ross und Reiter vor sich durchs Unterholz brechen hören, aber niedrig hängende Zweige versperrten ihm die Sicht. Dann vernahm er das gedämpfte Rauschen eines Wasserfalls und wusste plötzlich, wo er sich befand. In der Nähe der königlichen Fischgewässer.

Also verfolgte er einen Wilderer! Einen gerissenen Knaben, der seiner arbeitsscheuen Familie auf illegalem Weg ein nahrhaftes Abendessen verschaffen wollte. Na warte, Bürschchen! dachte Sebastian. Kurz vor der Lichtung stieg er von seinem Pferd, band es an einen Baum und pirschte sich im Schutz des dichten Blätterwerks näher an den Teich heran.

Im Hintergrund rollte der Donner, warme Regentropfen rannen über sein Haar und seine Hände. Vorsichtig bog Sebastian einen Ast zur Seite … und erstarrte.

Das war definitiv kein Junge, der da auf dem Felsen unterhalb des Wasserfalls stand und im Begriff stand, sich der Kleidung zu entledigen. Oh, nein! Es war eine junge Frau!

Ihr Pferd graste friedlich im Hintergrund, als würde es bereits den ganzen Tag schon dort stehen. Die Fremde stand so, dass sie die untergehende Sonne verdeckte, und als sie sich bewegte, sah es so aus, als umgebe sie ein Strahlenkranz. Das Ganze wirkte irgendwie gespenstisch.

Sebastian brachte es nicht über sich, den Blick abzuwenden. Nicht, als sie die Knöpfe ihrer Bluse öffnete und sie aus dem Bund ihrer Jeans zog, und auch nicht, als sie den Reißverschluss ihrer Hose öffnete und die Jeans über die Hüften herabzog. Mit ungeduldigem Schwung wurde das Kleidungsstück ans Ufer geworfen, die Bluse folgte auf dem Fuß.

Die winzigen Dessous, die sie jetzt noch trug, ließen seiner Fantasie nicht viel Raum. Sebastians Atem kam in kurzen, abgehackten Stößen. Wer war diese Frau? Auf keinen Fall gehörte sie zum Stallpersonal, denn dort gab es keine weiblichen Angestellten.

Ihr Körper war schlank und grazil, die Taille schmal, die Hüften sanft gerundet und die gut proportionierten, muskulösen Schenkel verdankte sie offensichtlich einem jahrelangen Reittraining. Das blonde schulterlange Haar sah etwas unordentlich aus und glänzte in den letzten Sonnenstrahlen wie flüssiges Gold.

Sebastians Mund wurde trocken. Er wusste, dass er hier eigentlich nicht stehen und sie in dieser Art anstarren durfte, da sie sich sicher allein wähnte, aber er brachte es nicht fertig, sich zurückzuziehen. Andererseits hatte diese fremde Schönheit hier nichts zu suchen. Und sicher war es hier für sie auch nicht … so allein im Wald.

Also beschloss er, ruhig abzuwarten, ob die verwunschene Nixe nicht vielleicht doch noch seine Hilfe brauchte.

Atemlos beobachtete Sebastian, wie sie zur Felskante trat und auf die dunkle Wasseroberfläche zu ihren Füßen starrte. Wie in Zeitlupe ging sie langsam in die Hocke, schnellte dann kraftvoll hoch und benutzte so den Felsen als Startblock. Sie landete mit einem Kopfsprung weit im Wasser und tauchte fast spritzerfrei ein. Um ein Haar hätte Sebastian applaudiert. Der Sprung war nahezu perfekt gewesen.

Zischend stieß er den Atem aus und fühlte sich, als habe er selbst gerade auf dem Golfplatz ein Hole-in-One, ein Ass, geschlagen. Als die Wasseroberfläche sich langsam glättete, aber der blonde Schopf nirgendwo zu sehen war, krümmte sich Sebastians Magen zusammen. Wo war das Zauberwesen geblieben? Sie hätte längst aufgetaucht sein müssen!

Unbewusst trat aus seiner Deckung hervor. Mit zusammengekniffenen Augen suchte er noch einige Sekunden das dunkle Wasser ab. Nichts! Sie war in Schwierigkeiten! Vielleicht war sie mit dem Kopf auf einen Felsen geschlagen oder mit dem Haar an irgendeinem Hindernis unter Wasser hängen geblieben?

Gerade als Sebastian das Ufer erreichte, stieß sie am anderen Ende des Teiches prustend durch die glatte Oberfläche und erschreckte ihn damit fast zu Tode. Perlendes Gelächter klang in seinen Ohren, während er wie hypnotisiert zusah, wie sie einen winzigen nassen Slip und ebenso feuchten BH hoch über dem Kopf wie eine Trophäe schwenkte.

Sebastian konnte sie einfach nur anstarren. Sein Herz überschlug sich fast, während er überlegte, ob er die unvernünftige Schöne wegen ihres Leichtsinns übers Knie legen oder sie vor Erleichterung küssen sollte.

Küssen, entschied er spontan. Sie war so schön, so faszinierend …

In seinem gewohnten Umfeld hatte Sebastian es hauptsächlich mit aufgetakelten Plastikschönheiten zu tun, deren einziges Ziel es war, sich einen reichen Mann zu angeln. Die Frauen der so genannten guten Gesellschaft waren in seinen Augen häufig schrecklich dumm und nervtötend.

Doch diese Frau war anders, das erkannte er auf einen Blick. Ihre völlige Unbefangenheit bezauberte ihn, und er ertappte sich dabei, dass er sich wünschte, mehr über sie zu erfahren. Ob sie eine Bürgerliche war? Und wenn ja, wer war ihr Vater? Ob er hier im Schloss arbeitete?

Autor

Carolyn Zane
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