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Eine romantische Märchenhochzeit war immer Theodoras allergrößter Traum. Doch um ihr Erbe nicht zu verlieren, ist sie jetzt zu einer Zweckehe gezwungen. Ausgerechnet mit dem verhassten argentinischen Millionär Alejandro Valquez muss sie vor den Traualtar treten! Immerhin fordert Alejandro nur eine sechsmonatige Ehe auf dem Papier. Doch als er Teddy zu einem überraschend zärtlichen Hochzeitskuss in die Arme zieht, beginnt es auf einmal unwiderstehlich zwischen ihnen zu knistern. Und insgeheim wünscht sie sich plötzlich, dass Alejandro sie niemals wieder loslässt …


  • Erscheinungstag 10.11.2015
  • Bandnummer 2205
  • ISBN / Artikelnummer 9783733702205
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ein Wort bei der Verlesung des Testaments ihres Vaters ließ Teddy überrascht und verwirrt aufblicken. Sie bedachte den Anwalt und Freund ihrer Familie mit einem fragenden Blick. „Eheschließung?“

Benson nickte ernst. „Leider ja. Innerhalb eines Monats. Andernfalls wird Hugo, dein Cousin zweiten Grades, das gesamte Erbe antreten: Besitztümer, Konten, Aktien und … Marlstone Manor.“

„Das kann doch nicht legal sein!“ Teddy krallte sich an den Armlehnen ihres Stuhls fest, sodass sich ihre Fingernägel tief ins Leder gruben. „Dad hat mir das Anwesen versprochen. Das hat er mir noch am Tag vor seinem Tod versichert. Er hat gesagt, ich würde immer ein Dach über dem Kopf haben.“

„Dein Vater hat sein Testament einen Monat vor seiner Krebsdiagnose geändert“, erklärte der Anwalt. „Als hätte er geahnt, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, um seine Angelegenheiten zu regeln.“

Seine Angelegenheiten?“ Es war ihr Haus und damit auch ihre Angelegenheit! Dieser Ort bedeutete Sicherheit und Geborgenheit für sie. Wie konnte ihr Vater ihren Cousin überhaupt als Erben in Betracht ziehen, nachdem dieser den alten Herrn während seiner schweren Krankheit kein einziges Mal besucht hatte?

Teddys Herz hämmerte schmerzhaft in ihrer Brust, und sie konnte ihren eigenen Puls bis in die Fingerspitzen spüren. Der Schock saß tief, und sie musste ein paar Mal durchatmen, um wieder klar denken zu können. War das alles ein Albtraum! Befand sie sich hier wirklich im Arbeitszimmer ihres Vaters und führte mit dessen Anwalt dieses absurde Gespräch?

Es musste sich um ein riesiges Missverständnis handeln!

Fünf Monate lang hatte sie ihren Vater während seiner Bauchspeicheldrüsenkrebserkrankung gepflegt und ihm in den letzten Stunden seines Lebens Beistand geleistet. Es war die einzige Zeit gewesen, in der sie sich ihm wirklich nahe gefühlt hatte. Er hatte ihr viele Anekdoten aus seiner Kindheit erzählt, die ihr bis dahin völlig unbekannt gewesen waren.

All diese Geschichten hatten ihr etwas Wichtiges über seine schwierige Persönlichkeit verraten. Weshalb er immer nur die Fehler seiner Tochter gesehen hatte. Warum er so wahnsinnig schwer zufriedenzustellen war. Ein Kontrollfreak, dem man nichts recht machen konnte. Am Ende hatte sie die Kraft gefunden, ihm aufrichtig zu verzeihen. Sie hatte ihm sogar gesagt, dass sie ihn liebte. Dabei hatte sie sich einst geschworen, das niemals zu tun!

Und trotzdem war er die ganze Zeit über darauf aus gewesen, ihr eins auszuwischen? Sie um ihr Erbe zu betrügen?

Mühsam schluckte sie die bittere Enttäuschung über diesen Verrat herunter. Wie konnte ihr Vater ihr so etwas antun? Er hatte sie in Sicherheit gewogen, nur um ihr dann den Boden unter den Füßen wegzureißen. Und sie hatte es nicht kommen sehen. Warum war sie so dumm gewesen und auf dieses Schauspiel einer glücklichen Familie hereingefallen?

„Mein Vater hat mich in dem Glauben gelassen, Marlstone würde für immer mir gehören.“ Teddy bemühte sich, klar und deutlich zu sprechen, obwohl in ihrem Inneren ein emotionales Chaos herrschte. Sie fühlte sich wie auf einem Schleudersitz. „Weshalb sollte er seine Meinung geändert haben? Sicherlich muss ich nicht erst verheiratet sein, um mein Erbe einzufordern, oder? Das wäre doch lächerlich!“

Der Anwalt tippte mit einem Füller auf das Dokument, das vor ihm auf dem Tisch lag. „Die Dinge sind ein wenig komplizierter …“ Offenbar suchte er nach den richtigen Worten, um seine Mandantin nicht noch mehr zu schockieren. „Dein Vater hat den Bräutigam schon selbst bestimmt.“

Sie war fassungslos. „Was hat er getan?“

Benson schob ihr den Zettel zu. „Er möchte, dass du Alejandro Valquez heiratest.“

Stumm starrte sie auf den Namen … und sah den Mann im Geiste vor sich. Den großen, dunkelhaarigen Playboy mit den tiefbraunen Augen und dem rätselhaften, verwegenen Lächeln. Frauen auf der ganzen Welt waren seinem außergewöhnlichen Charisma verfallen.

Teddy spürte, wie ihre Wangen brannten. Das musste ein Scherz sein! Ihr Vater konnte unmöglich einen derart grausamen Vorschlag machen. Wenn sie mit jemandem vor den Traualtar trat, der so eindeutig in einer vollkommen anderen Liga spielte, würde sie mit Sicherheit zur öffentlichen Lachnummer! Die Presse würde sich über sie das Maul zerreißen und sie zum Gespött der Leute machen. Niemand würde ernsthaft glauben, dass diese Ehe echt war.

Alejandro Valquez und sie? Peinlich! Womit hatte sie das verdient? Zeigte ihr Vater ihr auf diese Weise – auch nach seinem Tod –, wie wenig er sie respektierte? Wollte er sie vor aller Welt demütigen?

Sie atmete tief durch und sah den Anwalt an. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren. Bestimmt gab es eine Lösung für diesen ganzen Schlamassel. Jedenfalls half es nichts, jetzt in Panik zu geraten oder hysterisch zu werden. Das war nicht ihr Stil. Normalerweise gelang es ihr stets, cool zu wirken, selbst wenn ihre Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren. „Kann man diese Bedingung irgendwie umgehen?“

„Nicht wenn du weiterhin die alleinige Besitzerin von Marlstone Manor bleiben willst.“

Sie blickte aus dem Fenster hinaus in den Garten und über die riesigen Felder, die sich dahinter erstreckten. Dunkelgrüne Wiesen wurden von dichten Hecken eingerahmt, und ein silberglänzender Fluss schlängelte sich in den Wald, der die Grundstücksgrenze markierte. Da waren der große See und die urigen Bäume, die seit ewigen Zeiten dort standen, während sich das Leben um sie herum ständig änderte …

Dieses herrschaftliche Anwesen mit seinen Ländereien war ihr Zuhause. Und es lieferte ihr die Inspiration für ihre Arbeit als Kinderbuch-Illustratorin. All die botanischen Zeichnungen … ihr Atelier befand sich unter diesem Dach … dies war ihr einziger Hort der Ruhe …

Ich kann das alles nicht aufgeben, überlegte sie verzweifelt. Was hat sich mein Vater bloß dabei gedacht?

Ihr Magen schmerzte fürchterlich, und ihre Hände zitterten.

Hatte er vielleicht nicht gewusst, wie sehr sie Männer wie Alejandro Valquez verabscheute? Alejandro war unfassbar reich – ein gut aussehender Womanizer, genau wie sein Bruder Luiz –, und er traf sich ausschließlich mit Supermodels oder Filmstars. Mit wunderschönen Frauen. Mit perfekten Frauen.

In der Vergangenheit hatte Alejandro ihr keine Beachtung geschenkt. Mädchen wie Teddy waren für ihn unsichtbar. Vor Jahren war sie ihm auf einem Poloturnier, das sie mit ihrem Vater besucht hatte, vorgestellt worden, und Alejandro hatte mit seinen dunklen Augen praktisch durch sie hindurchgesehen.

Danach war er sofort auf eine große, schlanke Blondine zugegangen, mit der er sich später auch verlobte. Ihre rasante Affäre war in der Presse gründlich ausgeschlachtet worden, bis seine Verlobte – das Supermodel Mercedes Delgado – die Hochzeit in letzter Minute absagte.

Was hatte sich Teddys Vater dabei gedacht, ausgerechnet diesen Mann für seine Tochter auszusuchen? Welchen Vorteil hatte diese Allianz, die vermutlich sowieso nur von kurzer Dauer sein sollte?

Teddy hatte ihrem Vater ja nie besonders nahegestanden, und er hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass ihm ein Sohn wesentlich lieber gewesen wäre als eine Tochter. Seit ihrer Kindheit war sie permanent von ihm kritisiert worden. Aber wie alle kleinen Mädchen war sie trotzdem davon überzeugt gewesen, ihn von Herzen zu lieben. Und sie hatte um seine Anerkennung gebuhlt, hatte ihn für sich gewinnen wollen.

Sie hatte Jahre gebraucht, um zu begreifen, dass er von seiner Arbeit besessen war. Er nahm sich nicht die Zeit, einen einzigen Gedanken an seine Tochter zu verschwenden. Und das, obwohl er sich nach der Scheidung von ihrer Mutter das alleinige Sorgerecht gesichert hatte. Denn da war es ihm – wie auch stets bei seinen Geschäften – bloß um einen weiteren Sieg gegangen. Um eine weitere Schlacht, die er um jeden Preis gewinnen wollte … um seinen Gegner am Boden zu sehen.

Will er mich jetzt etwa bestrafen? überlegte sie. Weil ich ihm nie verziehen habe, dass er meine Mutter in einen viel zu frühen Tod getrieben hat?

Oder hatte ihn gestört, dass seine Tochter das Leben einer alten Jungfer führte? Hatte er sich deswegen geschämt und sie an einen Mann fesseln wollen, dessen Interesse sie unter normalen Umständen niemals erregen konnte?

Der Name Valquez stand für Reichtum und Prestige. Zwei Playboy-Brüder, die genauso hart feierten, wie sie Polo spielten. Und falls diese notorischen Junggesellen sich irgendwann in den Hafen der Ehe bewegen sollten, dann sicherlich nicht mit einer Frau wie ihr!

Teddy sah dem Anwalt fest in die Augen. „Was springt für Alejandro dabei heraus? Weshalb sollte er einem solchen Arrangement zustimmen?“

„Dein Vater hat dessen altem Herrn vor zwanzig Jahren Ackerland abgekauft, um der Familie aus einer finanziellen Bredouille zu helfen, nachdem Paco Valquez einen schweren Polounfall hatte und querschnittsgelähmt war“, erklärte Benson. „Dein Vater hat die Ländereien die ganze Zeit über behalten, obwohl Alejandro mehrfach Angebote für einen Rückkauf gemacht hat. Im Falle einer Hochzeit wird ihm der Besitz allerdings wieder überschrieben.“

Ich werde gegen Ackerland eingetauscht! dachte sie entsetzt. Wie eine Trophäe übergeben! Ein Tauschhandel wie im Mittelalter! Wie konnte mein Vater mir das bloß antun? Schließlich leben wir im einundzwanzigsten Jahrhundert, wo Frauen sich ihre Lebenspartner selbst aussuchen dürfen!

Insgeheim hatte Teddy immer von einer Märchenhochzeit geträumt, vor allem seit der Scheidung ihrer Eltern. Damals war sie erst sieben Jahre alt gewesen. Teddy glaubte an die wahre Liebe, auch wenn sie diese Erfahrung niemals selbst gemacht hatte. Menschen sollten sich ineinander verlieben und dann ihr Leben lang zueinander stehen. Niemand sollte heutzutage aus finanziellen Motiven heraus eine Zweckehe eingehen! Das war ihre feste Überzeugung.

Wie könnte sie jemals ihren Herzenswunsch nach einer Liebesheirat aufgeben? Damit würde sie sich selbst und all ihre Werte verraten. Auf keinen Fall wollte sie das Vorgehen ihrer Mutter wiederholen und einen Mann wegen seines sozialen Status heiraten, um die eigene Existenz zu sichern. Nur um später öffentlich ausgelacht zu werden, wenn sich die vermeintliche Sicherheit ins Gegenteil verkehrte …

Es musste einfach einen Ausweg geben!

„Was sagt denn Alejandro zu der ganzen Sache?“, wollte sie von dem Anwalt wissen. „Weiß er schon Bescheid?“

„Er steckt in einer relativ aussichtslosen Lage, würde ich mal behaupten.“

„Soll heißen?“

„Dein Vater hat verfügt, dass die Ländereien, auf die es Alejandro abgesehen hat, anderweitig verkauft werden, sollte die Hochzeit nicht stattfinden.“

„Alejandro ist ein wohlhabender, einflussreicher Mann“, wandte sie ein. „Sicherlich kann er das Land erwerben, wenn es offiziell angeboten wird?“

Doch Benson schüttelte den Kopf. „Das ist leider nicht möglich. In dem Fall hat ein Entwicklungsbüro das Vorkaufsrecht, das feste Pläne damit hat. Daher gehe ich davon aus, dass Alejandro zu allem bereit ist, um dies zu verhindern. Auch wenn das für ihn bedeutet, eine Fremde zu heiraten. Um ehrlich zu sein, halte ich persönlich das Ganze für eine Win-win-Situation für euch beide.“

Ein eisiges Gefühl schnürte Teddy die Kehle zu. Dachte der Anwalt ihres Vaters etwa auch, dass sie auf anderem Wege kaum einen geeigneten Ehemann finden würde?

Erhobenen Hauptes starrte sie ihn an. „Teile Alejandro ruhig mit, dass es für mich keinesfalls infrage kommt, mit ihm vor den Traualtar zu treten!“

„Soll das ein Scherz sein?“, wetterte Alejandro in seinem Londoner Büro und funkelte den gesetzlichen Vertreter von Marlstone Incorporated ärgerlich an.

„Falls Sie das Mendoza – Land übernehmen wollen, das Clark Marlstone Ihrem Vater damals abgekauft hat, müssen Sie die entsprechenden Bedingungen erfüllen.“

„Er hat es meinem Vater nicht abgekauft“, widersprach Alejandro und knirschte mit den Zähnen. „Er hat es gestohlen! Weil er nur einen Bruchteil des Preises gezahlt hat, den es wert war. Gnadenlos hat er die verzweifelte Lage meines Vaters nach dem Unfall ausgenutzt, um sich selbst zu bereichern. Er war ein Manipulator und hat der Welt vorgegaukelt, er würde uns helfen – uns einen Gefallen tun –, dabei hat er sich alles zu einem Spottpreis unter den Nagel gerissen!“

Er war außer sich vor Wut und Frust.

„Wie dem auch sei, jetzt haben Sie die einmalige Gelegenheit, es zurückzubekommen, ohne auch nur einen einzigen Peso dafür zu zahlen.“

Alejandro schnaubte verächtlich und versuchte, sich zu beruhigen. Selbstverständlich musste er bezahlen. Und zwar mit seiner Freiheit! „Ich kann mich nicht mal an Marlstones Tochter erinnern“, knurrte er und warf einen Blick auf den Namen. „Theodora heißt sie? Wer ist sie? Was sagt sie zu diesem Irrsinn, oder steckt sie vielleicht sogar selbst dahinter?“

Vor seinem inneren Auge tauchte ein Bild auf – das einer verhätschelten und übersättigten Berufstochter, die penetrant versuchte, ihren Status durch eine Heirat noch weiter zu verbessern. Ein Daddy’s Girl, das die soziale Leiter hinaufsteigen und sich ein sorgenfreies Leben sichern wollte.

Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie sie den Plan zusammen mit ihrem Vater ausgeheckt hatte, dass es so aussah, als würde sie nach dessen Tod praktisch auf der Straße sitzen. Auf diese Weise konnte sie eine lukrative Hochzeit erzwingen, ohne sich auch nur zu einem Gespräch mit ihrem Zukünftigen herablassen zu müssen. Wie erbärmlich!

„Sie ist ebenso aufgebracht, wie Sie es sind“, erklärte der Anwalt. „Und sie hat vor, das Testament anzufechten.“

Wer’s glaubt! Alejandro kannte die skrupellosen Tricks der Damenwelt viel zu gut. Theodora Marlstone würde zum Schein protestieren und ein Riesentheater veranstalten, um ihre wahren Motive zu verschleiern. Natürlich wollte sie ihn heiraten, immerhin war er praktisch ein Hauptgewinn für jede Frau: einer der begehrtesten Junggesellen von ganz Argentinien. „Wie stehen ihre Chancen?“

„Nicht gut“, antwortete der andere Mann. „Das Testament ist wasserdicht. Clark Marlstone hat es im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte verfasst, ganz ohne jeden Zweifel. Drei Ärzte fungierten als Zeugen, der alte Mann wollte wohl auf Nummer sicher gehen. Eine Anfechtung wäre ein kostspieliges, langwieriges Unterfangen ohne große Aussicht auf Erfolg. Mein Rat an Sie beide wäre, arrangieren Sie sich mit den Fakten, und machen Sie das Beste daraus! Schließlich ist es nur für sechs Monate.“

Der Anwalt hatte gut reden. Frustriert raufte sich Alejandro die Haare. Er hatte schon genug mit seinen Pflegekindern Sofi und Jorge zu tun. Sie brauchten Essen, ein Dach über dem Kopf und eine familiäre Atmosphäre, was für Alejandro – als eingefleischter Junggeselle – bereits eine enorme Herausforderung darstellte. Da konnte er nicht noch eine verwöhnte, anspruchsvolle Ehefrau gebrauchen …

Der fünfzehnjährige Jorge befand sich gerade in einem schwierigen Alter und wusste noch nicht recht, ob er Autoritätspersonen nun respektieren oder bekämpfen sollte. Er erinnerte Alejandro an seinen jüngeren Bruder Luiz in der Pubertät. Damals hatte Alejandro einiges daransetzen und viele Opfer bringen müssen, um Luiz aus den gröbsten Schwierigkeiten herauszuhalten.

Die achtzehnjährige Sofi war dagegen wesentlich vernünftiger. Kürzlich hatte sie ihren Wunsch offenbart, nach Buenos Aires zu ziehen, um Hair-und-Make-up-Stylistin zu werden. Ihm gefiel die Vorstellung nicht sonderlich, sie allein in die Großstadt zu schicken.

Und jetzt sollte er noch Knall auf Fall eine vollkommen fremde Frau heiraten? Nur der Gedanke an die Ehe verursachte ihm schon Magenschmerzen. Er mochte keine festen Bindungen, schon deswegen nicht, weil sie meistens im Handumdrehen wieder vorbei waren. So wie bei seinen Eltern.

Zuerst hatte seine Mutter stolz ihren Mann und ihre Kinder Gott und der Welt vorgeführt, nur um dann ohne Vorwarnung plötzlich nach Frankreich zu verschwinden. Zurückgelassen hatte sie lediglich ihren Ehering, die Scheidungspapiere, einen verletzten Ehemann und zwei zutiefst verstörte Söhne …

Ein einziges Mal hatte Alejandro es mit einer ernsthaften Beziehung versucht und war kläglich gescheitert. Am schlimmsten war, dass er es damals gar nicht hatte kommen sehen. Es ärgerte ihn noch heute, wie seine Gefühle seinen Verstand umnebelt hatten.

Seiner Erfahrung nach begehrten Frauen nur zwei Dinge: Geld und Sicherheit. Um das zu bekommen, taten sie beinahe alles. Sie verliebten und entliebten sich, je nach Höhe des Bankkontos eines Mannes. Das lag anscheinend in ihren Genen, dafür konnten sie vielleicht nichts, trotzdem würde Alejandro sich niemals wieder an der Nase herumführen lassen.

Inzwischen war er älter und klüger. Emotionen waren für ihn zweitrangig, und das galt sowohl für seine Geschäfte als auch für sein Privatleben. Sonst wäre es ihm vermutlich kaum gelungen, das strauchelnde Unternehmen seines Vaters zu retten und neu aufzubauen. Alejandro hatte gelernt, jedes Hindernis, das seine Ziele gefährdete, konsequent aus dem Weg zu räumen – und das würde ihm auch dieses Mal gelingen!

„Wo ist sie?“, fragte Alejandro den formell gekleideten Butler, der ihm die Tür des feudalen Marlstone Manor in Wiltshire geöffnet hatte.

Die blassblauen Augen, die sich unter buschigen weißen Brauen verbargen, blickten ernst drein. „Miss Teddy ist gerade beschäftigt.“

„Ich bin sicher, sie wird mich dennoch in ihrem engen Zeitplan unterbringen können“, entgegnete Alejandro sarkastisch. Wahrscheinlich war sie damit beschäftigt, sich die Fingernägel zu feilen oder die künstlich angeklebten Wimpern in Form zu bringen! Irgend so ein Unsinn! Und was war Teddy überhaupt für ein alberner Name? Hielt sie sich sogar selbst für nichts weiter als ein Püppchen?

„Wenn Sie die Freundlichkeit hätten, hier zu warten, dann werde ich ihr mitteilen, dass Sie ersuchen …“

„Nichts für ungut, Kumpel“, unterbrach ihn Alejandro in jovialem Ton. „Aber ich habe weder die Zeit noch die Absicht, hier herumzustehen und auf Ihre Arbeitgeberin zu warten, bis die sich die Nägel zu Ende lackiert hat. Entweder bringen Sie mich jetzt zu ihr, oder ich suche sie auf eigene Faust! Was ist Ihnen lieber?“

„Keines von beidem“, antwortete eine kühle Stimme hinter ihm.

Er fuhr herum und sah eine zierliche Gestalt in der Tür zur schwarz-weiß gefliesten Halle stehen. Kein Anzeichen von künstlicher Bräune oder sichtbarer Maniküre. Ihre Kleider hätten genauso gut von der Heilsarmee stammen können, und die wilden braunen Locken auf ihrem Kopf waren ungezähmt. Hose und Sweatshirt sahen viel zu maskulin aus und waren ihr wenigstens zwei Nummern zu groß.

Wieso, zum Teufel, trug sie ein derart entsetzliches Outfit? Wem wollte sie damit etwas beweisen? Diese junge Frau erbte ein Millionenanwesen und könnte sich mühelos die neueste Mode leisten. Zu allem Überfluss stützte sie sich auch noch auf einen braunen Gehstock.

Ein seltsamer Anblick.

„Miss Marlstone?“

„Señor Valquez, wie schön, Sie mal wiederzusehen.“

Ihm gefiel es überhaupt nicht, kalt erwischt zu werden. Offenbar wusste sie mehr über ihn als er über sie. Dabei war sein eigenes Motto stets gewesen: Kenne deine Freunde gut, aber deine Feinde noch besser. „Wir … ähm … sind uns schon früher begegnet?“

Ihre Lippen zuckten kurz, aber es kam kein richtiges Lächeln zustande. „Allerdings.“ Sie hob ihr Kinn noch ein Stück höher. „Erinnern Sie sich nicht daran?“

Fieberhaft dachte er nach. Er traf regelmäßig zahlreiche Frauen und hatte sogar mit den meisten von ihnen geschlafen. Doch er erinnerte sich an keine wie diese, die gerade vor ihm stand. Ihre Augen wirkten mit den langen dunklen Wimpern aufregend, ohne extra mit Mascara betont worden zu sein, und die schmale Nase zusammen mit den hohen Wangenknochen verlieh dem ebenmäßigen Gesicht ein aristokratisches Aussehen. Der Mund war voll und sinnlich mit einem zynischen Zug, der Alejandro unwillkürlich an seine eigene Geisteshaltung erinnerte.

„Tut mir leid, Sie werden meinem Gedächtnis wohl auf die Sprünge helfen müssen.“ Er bemühte sich um ein höfliches Lächeln. „In meiner Branche begegne ich einer Menge Menschen.“ Dass er in der Vergangenheit eventuell privat mit ihr zu tun gehabt hätte, schloss er inzwischen für sich aus.

Ihr fester Blick machte ihn etwas nervös. Ihm kam es vor, als könnte sie hinter die makellose Fassade des eisernen Geschäftsmanns blicken und den schüchternen Zehnjährigen sehen, der nach dem Unfall seines Vaters versucht hatte, das Familienoberhaupt zu spielen.

Sie selbst war gänzlich ungeschminkt, so als hätte sie es nicht nötig, sich zu maskieren. Trotzdem war er von ihrem selbstbewussten Auftreten nicht restlos überzeugt …

„Wir sind uns vor ein paar Jahren beim British Polo Day begegnet.“

„Ach, tatsächlich?“, hakte er nach.

„Auf demselben Event haben Sie Ihre spätere Verlobte kennengelernt.“

Alejandro biss beim Lächeln die Zähne zusammen. Das fing ja gut an: wie der Vater, so die Tochter. Beide waren erpicht darauf, Spielchen zu spielen und ihn für dumm zu verkaufen. Das konnte ja heiter werden!

Und es erinnerte ihn gleich wieder daran, wie dumm und naiv er damals mit vierundzwanzig Jahren gewesen war. Als er noch an die wahre Liebe geglaubt hatte. Als er sich noch ein gemeinsames Leben mit einer Seelenverwandten gewünscht hatte. Als er noch sicher gewesen war, dass es nicht darauf ankam, wie viel oder wie wenig Geld man besaß …

Zu jener Zeit hatte er eine Familie gründen wollen, um die zu ersetzen, die durch den Weggang seiner Mutter zerstört worden war. Sie hatte seinen Vater nur sechs Monate nach dessen Unfall verlassen.

„Entschuldigung“, sagte er schließlich. „Ich kann mich an unsere Begegnung nicht mehr erinnern.“ Vergeblich versuchte er, ihr Alter zu schätzen. Auf den ersten Blick sah sie wie Mitte zwanzig aus, aber das konnte täuschen, da sie diese seltsamen Kleider und keinerlei Make-up trug. Das ließ sie deutlich jünger wirken. „Sind wir damals miteinander bekannt gemacht worden?“

„Ja.“

Alejandro konnte sie immer noch nicht einordnen, andererseits war er auf diesen Poloevents unzähligen Leuten begegnet. Ständig hatten Sponsoren oder Geschäftsleute ihm hoffnungsvoll ihre Töchter vorgestellt, doch er war stets darauf bedacht gewesen, das Berufliche vom Privaten zu trennen.

Wahrscheinlich trug sie ihm nach, dass er sie damals nicht erhört hatte. Aber wie sollte er auch? Erstens war sie überhaupt nicht sein Typ, und zweitens gab es da noch den Altersunterschied. Oder etwa nicht? „Sie müssen bei diesem Treffen noch sehr jung gewesen sein?“

„Sechzehn.“

Demnach musste sie inzwischen tatsächlich schon sechsundzwanzig sein. Kein Wunder, dass ihr Daddy sie dringend unter die Haube bringen wollte!

Alejandro hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Warum war ausgerechnet er ausgewählt worden? Wieso nicht irgendein anderer armer Tropf, der beim Gedanken an den Traualtar keine Krise bekam? War das alles ein Racheakt, weil er sie damals nicht beachtet hatte?

„Können wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten?“ Er warf einen bedeutungsvollen Blick auf den wartenden Butler, der aussah, als wäre er einem Stummfilm entsprungen. „Unter vier Augen?“

„Hier entlang.“

Stirnrunzelnd folgte er ihr und stellte fest, dass sie tatsächlich auf den Gehstock angewiesen war. Sie humpelte, und es sah aus, als würde ihr jeder einzelne Schritt Schmerzen bereiten. War es eine alte oder frische Verletzung? Er überlegte, ob er vielleicht kürzlich irgendetwas darüber gehört oder gelesen hatte. Fehlanzeige. Vermutlich war sie kein Liebling der Presse.

Allmählich flammte Interesse in ihm auf. Nicht nur weil sie hübsch anzusehen und gleichzeig hilfsbedürftig war – das wäre viel zu oberflächlich. Nein, er grübelte über die Umstände ihres gemeinsamen Schicksals nach und fragte sich sogar, ob ihre Verletzung damit zu tun haben könnte.

Glaubten sie und ihr Vater, sie könne auf normalem Weg keinen Bräutigam finden? Ein merkwürdiger Gedanke, denn sie hatte durchaus etwas sehr Anziehendes an sich. Ihre Augen erinnerten Alejandro an tiefe winterliche Bergseen. Ihr wohnte eine ruhige Schönheit inne, die sich fast unmerklich erschloss und dem Betrachter dann plötzlich und unerwartet den Atem raubte.

Als sie sich zu ihm umdrehte, war das wieder genau so ein Moment. „Möchten Sie etwas trinken?“

„Was ist mit Ihrem Bein passiert?“, fragte er unvermittelt.

Sie presste die Lippen aufeinander, und ein kleiner Ruck ging durch ihren Körper. „Ich habe Whisky, Brandy und Cognac. Oder auch Wein. Rot oder weiß? Und Champagner.“

„Ich habe Ihnen eine Frage gestellt.“

Sie sah ihn kühl an. „Eine ziemlich rüde sogar.“

Gleichgültig zuckte er die Achseln. Ihm war egal, ob sie sein Verhalten unhöflich fand. Er war hergekommen, um sich aus den Fängen ihres Vaters zu lösen. Und er war bereit, einiges zu riskieren, um endlich sein Land zurückzuerhalten. Aber er wollte auf keinen Fall heiraten!

„Ich bin nicht hier, um Wein zu trinken oder übers Wetter zu plaudern“, stellte er klar. „Sondern um diesem ganzen Unsinn ein Ende zu machen.“

Ihr Gesichtsausdruck wirkte außerordentlich entschlossen.

„Ich werde Sie nicht heiraten“, fügte er hinzu.

„Das steht Ihnen zu“, erwiderte sie gelassen. „Und damit wären wir auch bei den verzwickten Bedingungen im Testament meines Vaters.“

Verzwickte Bedingungen? Wieso klang sie, als wäre sie gerade einem historischen Roman der Brontë-Schwestern entschlüpft? Die ganze Umgebung hier kam ihm ziemlich altmodisch vor.

Schweigend sah er dabei zu, wie sie sich ein Glas Mineralwasser einschenkte. Es war so still im Raum, dass er die Kohlensäure im Glas sprudeln hörte.

Teddy Marlstone hatte schmale, elegante Hände mit langen Fingern, und ihre Haut war hell wie Alabaster. Ihm fiel auf, wie kurz die Nägel waren …

Mittlerweile war Alejandro überzeugt davon, dass Theodora Marlstone sich heute absichtlich unattraktiv zeigte. Aber warum? Sie allein zog doch den größten Vorteil aus dieser unsäglichen Hochzeit? Und hatte gleichzeitig am meisten zu verlieren. Immerhin sollte das Erbe – laut des Anwalts – an einen entfernten Verwandten gehen, falls sie die Klauseln des Testaments nicht erfüllte.

Welche junge Frau würde einem Millionenerbe freiwillig den Rücken kehren? Marlstone Manor und das dazugehörige Gelände waren ein Traum für jede Grundstücksentwicklungsgesellschaft. Und mit dem Aktienportfolio ihres Vaters hätte sie sicherlich für den Rest ihres Lebens ausgesorgt.

„Sie haben nicht gewusst, was er vorhatte, oder?“, erkundigte er sich nach einer Weile.

„Nein.“

Autor

Melanie Milburne

Eigentlich hätte Melanie Milburne ja für ein High-School-Examen lernen müssen, doch dann fiel ihr ihr erster Liebesroman in die Hände. Damals – sie war siebzehn – stand für sie fest: Sie würde weiterhin romantische Romane lesen – und einen Mann heiraten, der ebenso attraktiv war wie die Helden der...

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