Lucys süßes Geheimnis

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Von diesem Tag hat Lucy geträumt! Sie beginnt als Hebamme auf der Babystation. Wenn bloß ihr neuer Boss Dr. Nikolai Kefes nicht so umwerfend attraktiv wäre! Mit seinen dunklen Augen scheint er direkt in ihre Seele zu schauen. Und wenn er nun ihr größtes Geheimnis entdeckt?


  • Erscheinungstag 22.11.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733738808
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Lucy Palmer war so aufgeregt, dass ihr während der Fahrt im Aufzug flau wurde.

Ab heute gehörte sie offiziell zum Gold Coast City Hospital, dem hochmodernen Krankenhaus an einer der herrlichsten Küsten Australiens. Sie hatte es geschafft. Drei Jahre harter Arbeit mit Bergen von Lernstoff und unbezahlten Praktika lagen hinter ihr. Vor vierzehn Wochen hatte sie ihr Examen gemacht, und jetzt wurde ein Traum wahr!

Lucy konnte es kaum erwarten, sich bei ihrer ersten Geburt am Gold Coast City zu bewähren. Sie wollte die beste Hebamme sein, die sie hier je gesehen hatten.

Ihre Vorgesetzte Flora May war früher Sanitäterin bei der Armee gewesen und entsprechend knapp und zackig in ihrem Auftreten. Lucy war jedoch sicher, dass sich hinter der strengen Miene ein Herz aus Gold versteckte. Sie hatte Flora schon während einiger Praktika kennen- und schätzen gelernt.

Nachdem Flora sie auf der Station herumgeführt hatte, blieb sie am Empfang stehen. Unerwartet glitt ein warmes Lächeln über ihre hageren Züge. „Also, willkommen in der Truppe, Palmer. Für den ersten Monat habe ich Sie für den Tagdienst von Montag bis Freitag eingeteilt. Ich werde da sein, wenn Sie einen Rat brauchen.“

Ein vertrautes Gesicht während der Einarbeitungszeit. Was könnte sie sich mehr wünschen? „Vielen Dank.“

„Hm.“ Keine Gefühlsäußerungen, bitte, schien das zu heißen. Die Stationsschwester ging zur Tagesordnung über. „Kümmern Sie sich um Sally Smith, Teenager-Mum, verfrühte Wehentätigkeit in der dreiunddreißigsten Woche.“ Noch ein paar kurze Informationen, dann: „Wenn Sie Fragen haben, kommen Sie zu mir. Jederzeit.“

Flora marschierte davon. Zum ersten Mal hatte Lucy das Gefühl, dass ihr außer ihren Mitschülerinnen noch jemand zutraute, eine gute Hebamme zu werden.

Es wäre schön gewesen, wenn sie auch von ihrer Mutter statt verbitterter Kommentare Unterstützung bekommen hätte. Lucy schob den Gedanken beiseite. Sie wollte sich nicht den Tag verderben – und vor allem nicht ihr mühsam erworbenes Selbstvertrauen zerstören lassen.

Da war es wieder, das unangenehme Flattern im Magen. Lucy holte tief Luft. Nur nicht nervös werden, sagte sie sich. Du kannst das. Für sie war die Arbeit als Hebamme nicht nur Beruf, sondern Berufung.

Sie klopfte an die Tür von Geburtsraum eins und trat ein. Die Kollegin von der Nachtschicht sah nicht auf, sondern schrieb weiter ihre Notizen nieder. Lucy war versucht, sich zu räuspern oder wieder hinauszugehen und noch einmal, etwas lauter diesmal, anzuklopfen.

Stattdessen lächelte sie der Schwangeren zu. Die wich Lucys Blick aus und schloss die Augen. Na toll, dachte Lucy, atmete wieder tief durch und trat ans Bett. Die andere Hebamme beachtete sie immer noch nicht. Lucy versuchte, sich vorzustellen, wie sich ihre Patientin fühlen musste: mit siebzehn, schwanger und voller Furcht, dass ihr Baby viel zu früh auf die Welt kommen könnte.

„Hallo, Sally, ich bin Lucy“, begann sie. „Ich löse meine Kollegin ab und werde mich heute während des Tages um Sie kümmern.“ Sie sah sich im Zimmer um. Außer ihnen dreien war niemand hier. Nicht der Freund, nicht die Mutter des Mädchens, nicht einmal eine Freundin. Vielleicht ist ihre Mum vom selben Schlag wie meine. Lucy wusste, wie es sich anfühlte, wenn jeder familiäre Rückhalt fehlte.

Die werdende Mutter öffnete kurz die Augen, nickte und drehte sich auf die andere Seite. Die Leitungen des CTGs spannten sich.

Lucy schluckte. Nette Stimmung hier.

Endlich legte die Kollegin den Stift hin und sah sie an. „Ich bin Cass. Das war meine fünfte Nacht, und ich kann es kaum erwarten, hier wegzukommen.“

Puh. Lucy warf einen Blick auf Sallys abweisenden Rücken. Von einer Hebamme im Gold Coast City hätte sie etwas mehr Feinfühligkeit erwartet.

Ohne ihre Patientin auch nur anzusehen, spulte diese monoton die Übergabe herunter. „Das ist Sally, siebzehn, dreiunddreißigste Woche, erstes Kind. Klagt seit drei Uhr morgens über Rückenschmerzen. Fruchtblase noch intakt, Wehenschreiber verzeichnet alle fünf Minuten Kontraktionen.“

Ein kalter, nüchterner Bericht in einem Raum, in dem Zuwendung und Fürsorge so wichtig waren.

Cass seufzte verdrossen, und Lucy hätte sie am liebsten gebeten zu gehen. Ablesen konnte sie die Notizen auch selbst.

Aber es kam noch schlimmer. „Der Test auf fetales Fibronektin konnte nicht durchgeführt werden, weil sie in den letzten vierundzwanzig Stunden Sex hatte.“

Wie rüde! Lucy sah, wie Sally erstarrte, und schwor sich, dass sie niemals so mit einer Patientin umgehen würde. Hoffentlich verschwand die Kollegin bald.

Cass schien nichts von allem zu bemerken, sondern fuhr im selben gelangweilten Tonfall fort: „Keine Harnwegssymptome, kein Ausfluss, aber wir haben Urinprobe und Abstrich ans Labor geschickt.“

Okay, Lucy war klar, dass sie das wissen musste. Infektionen konnten verfrühte Wehentätigkeit und Fehlgeburten auslösen.

„Medikation: drei Mal oral ein Tokolytikum, das die Kontraktionen verlangsamt hat, dazu vierstündig Antibiotika, und der fetale Herzton …“ Ohne ihre Patientin anzusehen, studierte sie den langen Papierstreifen, den der Cardiotokograph ausspuckte, und setzte schulterzuckend hinzu: „Ich denke, sie ist stabiler als bei ihrer Einlieferung. Die erste Dosis Steroide hat sie um halb vier bekommen. Die nächste ist dann morgen früh um die gleiche Zeit dran – falls sie dann noch hier ist.“ Cass blickte auf. „Noch Fragen?“

Lucy wollte Cass auf keinen Fall länger als nötig aufhalten. „Wann war zuletzt ein Arzt bei Sally?“

„Steht alles in den Notizen.“ Cass sah sich die Eintragungen an. „Der Oberarzt um vier, ihr Geburtshelfer Dr. Kefes …“ Ihre unbewegte Miene veränderte sich unerwartet, bekam etwas Katzenhaftes. „Nikolai ist süß.“

Lucy wand sich innerlich, als die Kollegin schwärmerisch seufzte.

„Er wird sie sich bei der Visite heute Morgen ansehen“, erklärte Cass. „Pünktlich wie immer um acht Uhr, also seien Sie bereit. So, ich bin weg.“ Sie schlug die Akte zu, stand auf und drückte sie Lucy in die Hand. „Bye, Sally“, warf sie in Richtung Bett und verschwand, ohne eine Antwort abzuwarten, aus dem Zimmer.

Als die unfreundliche Hebamme weg war, überlegte Lucy, wie sie Sallys Vertrauen gewinnen und die Atmosphäre im Raum ändern könnte. Sie entdeckte einen kleinen schwarzen Rollhocker, zog ihn auf die andere Bettseite, damit sie ihrer Patientin ins Gesicht sehen konnte, und setzte sich.

Nach einer Weile öffnete Sally die Augen.

„Wie fühlen Sie sich, Sally?“

„Bescheuert.“

Kurz und knapp. Lucy lächelte. „Das verstehe ich. Können Sie es etwas genauer beschreiben? Rückenschmerzen?“ Sally nickte, und Lucy fragte weiter: „Schlimmer oder besser, seit Sie hier ankamen?“

„Viel schlimmer.“ Ihre Augen schimmerten verräterisch.

„Dann kümmern wir uns am besten erst einmal darum“, antwortete Lucy aufmunternd. „Während ich mir Ihre Werte ansehe, kann der Gürtel des CTGs für ein paar Minuten ab. Danach untersuche ich Ihren Bauch und lege Ihnen den Gürtel wieder um. Und dann überlegen wir mal, wie wir es Ihnen bequemer machen können.“

Lucy blickte auf die kleine Uhr, die ihr die Freundinnen und Freunde zum Examen geschenkt hatten. Hübsch und praktisch, so wie du, hatten sie gesagt. Alle hatten gewusst, dass ihre Mutter nicht zur Feier kommen würde, und versucht, Lucy die Enttäuschung erträglich zu machen.

Einer besonders. Vielleicht kam alles zusammen: euphorische Stimmung, ein Mojito zu viel, ungestillte Sehnsucht nach Zuwendung und Anerkennung. Jedenfalls hatte sie sich im Überschwang der Gefühle an jenem Abend mit Mark eingelassen. Im Nachhinein betrachtet eine dumme Entscheidung.

Lucy schüttelte das Bedauern ab. Wozu sich Vorwürfe machen für etwas, das nicht mehr zu ändern war? Reine Zeitverschwendung. Sie war bei ihrer Mutter in eine bittere Lehre gegangen und hatte am eigenen Leib erfahren, wie zerstörerisch Reue sein konnte.

Es war halb acht. Ihr blieb also noch eine halbe Stunde, bevor Sallys Arzt kam. Bis dahin wollte Lucy sich ein vollständiges Bild von ihrer Patientin machen. Physisch und psychisch. Doch in erster Linie musste sie Sallys Vertrauen gewinnen, denn nur dann konnte sie dafür sorgen, dass sie die beste medizinische Betreuung bekam.

Nikolai Kefes, Chefarzt der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe am Gold Coast City Hospital und von seinen weiblichen Kollegen hinter vorgehaltener Hand schwärmerisch „Adonis“ genannt, lebte nach strengen Grundsätzen. Siebzig Prozent seiner Zeit widmete er der Arbeit, zwanzig Prozent seiner Schwester Chloe, und die restlichen zehn Prozent teilte er gleichermaßen zwischen Sport und flüchtigen Affären mit kultivierten Frauen auf.

Nikolai legte großen Wert darauf, pünktlich mit der Visite anzufangen. Heute jedoch hatte ihn Chloe verzweifelt angerufen, und er konnte das Telefonat nicht nach zwei Minuten beenden. Als er seinen Wagen auf dem Krankenhausparkplatz abstellte, war er eine halbe Stunde zu spät dran.

Er machte sich Sorgen um Chloe. Schon seit sie sechzehn war und in mehr Schwierigkeiten steckte, als er es sich jemals hätte vorstellen können. Es hatte ihr und sein Leben radikal verändert. Trotzdem bereute er es bis heute nicht, dass er sie unterstützte, wann immer sie ihn brauchte.

Nicht dass sie seine Fürsorge immer begrüßt hätte. Dabei war es bitter notwendig gewesen, sie zu beschützen, nachdem sie viel zu jung und ohne einen Penny in die Welt hinausgejagt worden waren. Ihm wurde immer noch mulmig bei dem Gedanken, wie Chloe überlebt hätte, wenn er nicht gewesen wäre.

Es war eine Schande, dass ihren Eltern das völlig egal gewesen war. Nikolai hatte es jedoch schon vor Jahren aufgegeben, das zu verstehen.

Heute Morgen war Chloe fest entschlossen gewesen zu tun, was sie für richtig hielt – trotz ihrer letzten katastrophalen Beziehung. Er wünschte sich nur, dass sie zur Vernunft kam und sich von Männern eine Weile fernhielt.

Zum Glück hatte er, was ihn selbst betraf, in der Hinsicht alles im Griff. Kurz und süß, so lautete sein Motto, wenn es um Affären ging. Die Frauen, mit denen er ausging, wussten von vornherein, dass sich ihre Wege bald wieder trennen würden. Also konnte auch niemand verletzt werden.

Die Fahrstuhltüren glitten auseinander, und er betrat die Entbindungsstation. Sein Oberarzt stand am Stationstresen. Zum Anziehen schien er nicht viel Zeit gehabt zu haben – Nikolai bemerkte, dass Simons Hemd auf links gedreht war, die Nähte nach außen, die Brusttasche am Körper, wenn er den Schatten auf Herzhöhe richtig deutete.

Vielleicht sollte er dankbar sein, dass seine Position ihm in der Regel ungestörte Nächte bescherte. Nikolai lächelte, blendete alles aus außer der Arbeit. Das vertraute Gefühl beruhigte ihn, seine Schultern entspannten sich.

„Na, was liegt heute Morgen an, Simon?“ Er betrachtete ihn mit einem nachsichtigen Lächeln. „Und danach möchten Sie sich bestimmt ins Personalzimmer zurückziehen und Ihr Hemd auf rechts drehen.“

Acht Uhr fünfunddreißig.

In der letzten Viertelstunde war Lucy klar geworden, dass Sally ihr Baby auf jeden Fall heute noch bekommen würde. Kurz nach acht waren die Wehen so stark und regelmäßig gewesen, dass Lucy zur Schwesternstation lief, um den Oberarzt anzurufen, weil der Chefarzt noch nicht aufgetaucht war.

Leider war auch der Oberarzt nicht zu erreichen. Jetzt, zwanzig Minuten später, wurde sie ungnädig. Eine geschlagene halbe Stunde Verspätung bei der Visite – das ging gar nicht! Also musste sie ihre Patientin wohl oder übel ein zweites Mal verlassen, um Flora May Bescheid zu sagen, dass sich noch immer keiner der Ärzte hatte blicken lassen.

Am Stationstresen sah sie zwei Männer stehen, einer davon hochgewachsen, athletisch gebaut. Tadelloser dunkler Anzug, der seine breiten Schultern betonte, schwarzes welliges Haar, akkurat geschnitten. Seine selbstsichere, souveräne Haltung ließ Lucy sofort vermuten, dass sie den Chefarzt der Abteilung vor sich hatte. Dass er der attraktivste Mann war, den sie je gesehen hatte, vergaß sie gleich wieder, obwohl sie sich flüchtig eingestehen musste, dass die schreckliche Kollegin nicht ganz unrecht gehabt hatte.

„Dr. Kefes?“

Beide drehten sich zu ihr um, aber sie ging auf den zu, der unbestritten Autorität ausstrahlte.

„Ja?“ Ruhige Stimme, mit einem leicht rauen Akzent, der sie an Mittelmeerstrände, Sommerhitze und lässige Lebensart denken ließ. Verführerisch irgendwie … aber darüber wollte sie später nachdenken – wenn überhaupt!

„Es tut mir leid, dass ich störe. Ich bin die Hebamme von Sally Smith. Sie ist siebzehn, in der dreiunddreißigsten Woche, eingeliefert mit vorzeitigen Wehen. Die Geburt hat eingesetzt, und Sie sollten sich die Patientin bald ansehen.“ Lucy reichte ihm die Akte, wandte sich ab und fügte über die Schulter hinzu: „Hier entlang, bitte.“

Während er die Eintragungen studierte und ihr folgte, fragte sich Nikolai kurz, warum er sich so herumkommandieren ließ, wenn er doch normalerweise alle Informationen von seinem Oberarzt erhielt und dann Visite machte.

Sicher, die junge Hebamme wirkte sehr besorgt, hatte also einen guten Grund, ihn zu einer Patientin zu zerren. Weshalb ich ja auch mitgehe, dachte er und musste insgeheim lächeln, als er auf den energisch schwingenden Pferdeschwanz der zierlichen Brünetten vor ihm blickte.

Nikolai war achtvollen Respekt und höflich formulierte Vorschläge gewohnt, doch dieser Tag hatte schon ungewöhnlich angefangen. Anscheinend ging er auch so weiter.

Fünf Minuten später entspannte sich Lucy langsam. Dr. Kefes schien das genaue Gegenteil ihrer Kollegin vom Nachtdienst zu sein. Der große, schlanke Mann nahm sich Zeit für den Teenager, behandelte Sally respektvoll und gleichzeitig auf eine angenehme Art mitfühlend und zuversichtlich.

Schließlich streifte er die Handschuhe ab, wusch sich die Hände und kehrte ans Bett zurück, wo Lucy Sally geholfen hatte, sich aufrecht hinzusetzen.

Dr. Kefes lächelte. „Wie es aussieht, hat Ihr Baby beschlossen, sich heute zum ersten Mal die Welt anzusehen. Der Muttermund ist zur Hälfte erweitert. Wir werden der Intensivpflegeschwester Bescheid sagen, dass sie einen Neuzugang erwarten kann.“

Sally wurde blass, ein ängstlicher Ausdruck verdunkelte ihre Augen. Dr. Kefes setzte sich auf Lucys Hocker. „Ist das ein Schock für Sie?“

Das Mädchen nickte, sagte aber nichts. Lucy sah, wie ihre Unterlippe zitterte, und streckte die Hand aus. Zu ihrer Erleichterung griff Sally danach, klammerte sich förmlich an Lucys Finger.

„Sie sind hier sicher“, versuchte Dr. Kefes, ihr die Angst zu nehmen. „Ihr Baby ist sicher. Wenn Sie sich Sorgen machen, hören Sie auf Ihre Hebamme.“ Er deutete auf Lucy. „Diese hier, die mich noch vor meiner Visite praktisch in Ihr Zimmer geschleift hat.“

Jetzt lächelte er Lucy an, und sie spürte, wie ihre Wangen warm wurden. Von einem umwerfenden Mann wie ihm ein Lob zu bekommen, das machte sie mehr als verlegen. Aber das Schönste war, dass auch Sally lächelte.

„Wir alle werden dafür sorgen, dass es für Sie und Ihr Baby ein ganz besonderer Tag wird.“ Dr. Kefes stand auf. „Okay?“

Sally nickte vertrauensvoll. Ja, dachte Lucy, sie ist nicht die Einzige in diesem Zimmer, die davon überzeugt ist, dass sie Nikolai Kefes ihr volles Vertrauen schenken kann.

Drei Stunden später kam Sallys Baby zur Welt. Dr. Kefes war sanft und geduldig, Sally ganz bei der Sache und sichtlich entschlossen, alles gut zu machen.

Lucy hatte die stationseigene Kamera geholt und gleich nach der Geburt berührende Bilder geknipst. Viel zu tun hatte sie nämlich nicht. Das Neonatal-Team wartete auf das Baby, Dr. Kefes begleitete die Geburt, und Flora May überwachte alles mit Argusaugen.

Stylish mit ihrer schimmernden Bob-Frisur, wandte sich Dr. Callie Richards, die Neonatal-Spezialistin, der jungen Mutter zu. „Wir sehen uns Ihren Kleinen noch auf der Intensivstation an, aber ich bin sicher, dass er dort nicht lange bleiben muss.“ Aufmunternd fügte sie hinzu: „Kommen Sie gern jederzeit und besuchen Sie ihn.“

Sally lächelte erschöpft, bedankte sich und sah zu Lucy, als der kleine Zac in seinem Bettchen davongerollt wurde.

„Es ist alles gut“, flüsterte Lucy. „Er ist sehr klein, aber ein kräftiges Kerlchen.“

Nachdem sie Sally beim Duschen geholfen hatte, betrachteten sie zusammen die Fotos, und Lucy war froh, dass sie sie gemacht hatte. Ein Bild zeigte Sally, wie sie ihren Sohn voller Liebe anblickte, eine andere in Nahaufnahme eine winzige Hand in Sallys Fingern und eine dritte, wie das Neugeborene sich an die Brust seiner Mutter schmiegte.

Lucy druckte die Fotos am Stationscomputer aus, damit Sally ihr Baby wenigstens immer ansehen konnte, wenn es schon nicht bei ihr im Zimmer war.

„Ich bin froh, dass Sie bei mir waren“, sagte Sally.

„Ich auch – und dankbar, dass ich bei der Geburt dabei sein durfte.“ Ihre erste Entbindung als examinierte Hebamme.

Fünf Stunden später hatte Lucy Dienstschluss und holte ihre Tasche aus dem Personalzimmer.

Es war ein guter erster Tag gewesen, und sie hätte euphorisch gestimmt nach Hause gehen können. Stattdessen fühlte sie sich miserabel, als sie am Schmutzraum vorbei Richtung Fahrstuhl ging.

Die Übelkeit, die im Lauf des Tages immer schlimmer geworden war, schwoll zu einem unkontrollierbaren Brechreiz an. Ihr Magen revoltierte, und Lucy rannte in ihrer Not in den Schmutzraum, wo sie es gerade noch zum Waschbecken schaffte.

Zur selben Zeit war auch Nikolai auf dem Weg nach Hause und sah, wie die tüchtige neue Hebamme die Hand auf den Mund presste und in höchster Eile im Schmutzraum verschwand.

Er konnte sich vorstellen, was los war, und blickte sich um, ob außer ihm noch jemand in der Nähe war, der ihr beistehen konnte. Niemand in Sicht. Nikolai seufzte unterdrückt und näherte sich der Tür.

„Alles in Ordnung?“, fragte er, während er sie aufschob.

Sie hing kraftlos über dem Spülbecken, das Wasser lief. Nikolai sah auf ihren zarten blassen Hals und zog sein Herrentaschentuch heraus. Er hielt es unter den kalten Wasserstrahl, wrang es aus und reichte es ihr.

Amüsiert beobachtete er, wie sie ihre heißen Wangen abtupfte und sich bedankte, ohne sich zu ihm umzudrehen. Erst dann blickte sie zögernd an ihm vorbei zur Tür, als erwarte sie eine neugierige Kollegenschar hinter ihm.

„Außer mir hat niemand etwas gesehen.“

Erleichtert ließ sie die Schultern sinken. „Oh, sehr gut“, hauchte sie. Er konnte die Worte nur erahnen, da sie mit seiner Krawatte zu reden schien. „Es ist verrückt. Mir war schon den ganzen Tag schlecht, und jetzt … war es nicht mehr zu halten.“

„Sie sind doch nicht schwanger, oder?“, meinte er lächelnd. Dass sie daraufhin schockiert zu ihm aufsah, hätte er nie erwartet. Ach herrje, dachte er, während ihm sofort der Gedanke an seine Schwester durch den Kopf schoss. Daran, wie es damals gewesen war.

Sicher war das der Grund, dass in ihm plötzlich der Wunsch erwachte, diese welke Blume zu beschützen. Sein Bedürfnis, die junge Hebamme in die Arme zu nehmen, irritierte ihn allerdings sehr.

„Das kann nicht sein“, flüsterte sie. Und doch schwang ein bedrohliches „Oder“ mit. Vielleicht doch?

Wieder blickte sie ihn an, mit großen braunen Augen, in denen grüne Pünktchen schimmerten.

„Also haben Sie keinen Test gemacht?“

„Ich bin nicht einmal auf die Idee gekommen“, murmelte sie und wurde rot. „Es war mein erster und einziger One-Night-Stand, und das ist eine Ewigkeit her.“ Ihre Verbitterung war nicht zu überhören. Sie lehnte sich gegen das Waschbecken und schlug die Hände vors Gesicht.

Nikolai haderte mit den Launen des Schicksals. Vor ihm stand eine Frau, die alles andere als glücklich über ihre Fruchtbarkeit war, während seine Schwester sonst etwas geben würde, um wieder schwanger werden zu können.

Er wusste nicht, wie er hier helfen könnte – ja, nicht einmal, warum er das überhaupt wollte –, aber er konnte nicht einfach weggehen.

„Vielleicht sind Sie gar nicht schwanger.“ Schließlich konnte er sich irren. „Kann sein, dass Sie sich den Magen verdorben haben. Wollen Sie einen Schwangerschaftstest machen? Ich habe welche in meinem Sprechzimmer.“

Hoffnung flammte in ihrem Blick auf. „Danke, das ist eine gute Idee. Wahrscheinlich war es nur die Aufregung, heute an meinem ersten Tag. Dürfte ich mir einen Test …“

„Selbstverständlich. Es ist das Mindeste, was ich tun kann, nachdem ich Sie so erschreckt habe. Folgen Sie mir.“ Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, das sie nach kurzem Zögern zaghaft erwiderte.

Sie verließen den Schmutzraum, betraten den Lift und fuhren zwei Stockwerke höher.

Während Lucy ihm zum Chefarztzimmer folgte, schossen ihr immer wieder dieselben Worte durch den Sinn: Ich bin nicht schwanger, ich bin nicht schwanger!

2. KAPITEL

Zehn Minuten später landete sie krachend auf dem Boden der Tatsachen.

Lucy sank in den Ledersessel in Nicks Büro, nahm das Glas Wasser, das er ihr reichte, und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.

Verzweifelt schüttelte sie den Kopf, schloss einen Moment lang die Augen. „Ich bin genau wie meine Mutter.“

Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie den gut aussehenden Arzt lächeln. „Alle Mütter sind wie ihre Mütter.“

Seufzend richtete sie sich auf. „Nicht alle wiederholen ihre Fehler. Ich hab’s geschafft … nach harter Arbeit bin ich endlich in meinem Traumberuf angekommen, und dann ruiniere ich mir alles.“ Sie konnte es immer noch nicht glauben.

„Es war ein Schock für Sie. Wissen Sie, wann …“ Er schwieg rücksichtsvoll.

Lucy spürte, wie ihr wieder das Blut in die Wangen stieg. Das hier wurde immer schlimmer. „Am Abend nach unserem Examen.“ Sie tastete mit einer Hand nach ihrem Bauch, spürte die leichte Wölbung, über die sie sich in den letzten Wochen geärgert hatte. Du bist dick geworden, hatte sie gedacht und bereut, dass sie die XXL-Tafel Schokolade, die sie geschenkt bekommen hatte, an einem Tag aufgefuttert hatte. Milchschokolade, gefüllt mit Marshmallows, türkischem Honig, Kokosnuss und Erdnüssen – köstlich, aber eine wahre Kalorienbombe.

Doch das Bäuchlein hatte andere Gründe. Du meine Güte, du bist Hebamme! Lucy konnte sich ihre Naivität nur damit erklären, dass sie aufgeregt gewesen war. Wegen des neuen Jobs, weil sie eine Unterkunft gefunden hatte, die sie so gut wie nichts kostete. Und Aufregung war ihr ein Leben lang auf den Magen geschlagen: Ihr wurde im Auto schlecht, beim Fliegen, vor Prüfungen, vor Geburtstagsfeiern – immer aus Angst, nicht zu gefallen oder den Anforderungen nicht zu genügen. Dabei hatte sie gedacht, dass sie diese Angst inzwischen überwunden hätte.

Bei ihrem empfindlichen Magen grenzte es an ein Wunder, dass sie sich nicht jeden Morgen übergeben hatte. Falls sie wirklich schwanger war. „Ich kann nicht schwanger sein. Es muss etwas anderes sein.“

„Soll ich kurz einen Ultraschall machen, um den Test zu bestätigen?“, fragte er sanft, und sein mitfühlender Blick verriet, dass er das Ergebnis für gültig hielt. Natürlich hatte Dr. Kefes Erfahrung mit solchen Situationen. Sie nicht.

Nein, wollte sie antworten, das ist mir zu real. Sie wollte nicht wissen, wie weit sie war. Wusste sie auch so … ungefähr vierzehn Wochen, denn so lange war es her, dass sie das erste und einzige Mal Sex gehabt hatte.

„Möchten Sie, dass ich eine Schwester herbitte? Meine Sekretärin ist schon nach Hause gegangen, aber wenn Sie jemanden dabeihaben möchten …?“

Bloß nicht! „Nein, vielen Dank, bitte nicht. Es braucht niemand zu wissen.“ Lucy senkte den Blick. Sie selbst wollte auch nichts davon wissen, aber das konnte sie schlecht sagen.

„Verstehe.“ Seine leise Stimme klang rau, mitfühlend. Als wüsste er genau, wie ihr zumute war.

Lucy gab sich einen Ruck. „Okay, dann mal los.“ Sie legte sich auf die Untersuchungsliege, ängstlich und verlegen zugleich.

Nikolai schaltete das kleine mobile Ultraschallgerät an, das immer in seinem Zimmer stand, und betrachtete Lucy. Mit geschlossenen Augen lag sie da. So musste sich seine Schwester gefühlt haben, als ihr das Schlimmste passiert war, das einem sechzehnjährigen griechisch-orthodoxen Mädchen widerfahren konnte. Er hoffte nur, dass diese junge Frau jemanden hatte, der für sie da war.

Während er seine Vorbereitungen traf, versuchte er zu ignorieren, wie seidig und warm ihre glatte helle Haut aussah.

Lucy zuckte zusammen, als er das Kontaktgel auf ihren Bauch drückte, hatte sich aber schnell wieder im Griff. Nikolai konnte nur bewundern, wie gefasst sie unter den Umständen war. Ob Chloe genauso kontrolliert gewesen war?

Er blickte von ihr zum Bildschirm, und jeder andere Gedanke wurde ausgeblendet, als Nick sich auf die faszinierende Parallelwelt konzentrierte, die ein Ultraschall vom Becken bot.

Unheimlich in Schwarz und Weiß, mit Tiefen und Schatten. Der Uterus. Er zoomte ihn näher. Fetale Wirbelsäule, fetaler Schädel. Umfang messen. Scheitel-Rumpf-Länge feststellen. Plazenta. Nabelschnur. Noch eine Nabelschnur?

Autor

Fiona McArthur

Fiona MacArthur ist Hebamme und Lehrerin. Sie ist Mutter von fünf Söhnen und ist mit ihrem persönlichen Helden, einem pensionierten Rettungssanitäter, verheiratet. Die australische Schriftstellerin schreibt medizinische Liebesromane, meistens über Geburt und Geburtshilfe.

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