Nie vergaß ich deine Küsse

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Seine Augen funkeln wie Diamanten - geheimnisvoll und unergründlich. Wer ist der attraktive Fremde, der ihr so seltsam vertraut vorkommt? Als Emelia aus einer Ohnmacht erwacht, hat sie das Gedächtnis verloren. Sie weiß bloß eins: Dieser Mann erregt ihre Sinne wie sonst keiner!


  • Erscheinungstag 25.10.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733738303
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Noch bevor Emelia die Augen öffnete, wusste sie, dass sie sich in einem Krankenhaus befand. Mit den ersten klaren Strömungen ihres Bewusstseins nahm sie Geräusche wahr: Schuhe quietschten leise auf dem Linoleumfußboden, Vorhänge wurden beiseitegezogen und gedämpfte Stimmen – eine weibliche und eine männliche – waren zu hören.

Mit Mühe hob sie ihre Lider. Die Pupillen zogen sich blitzschnell unter dem grellen Licht zusammen, und Emelia kniff die Augen schnell wieder zu. Dann blinzelte sie noch einmal vorsichtig und erkannte eine Krankenschwester, die mit einem Klemmbrett in der Hand am Fußende des Bettes stand.

„Was … was ist passiert?“, fragte Emelia und versuchte, sich halb aufzurichten. „Was mache ich hier? Und wo bin ich überhaupt?“

Die Schwester ließ ihr Clipboard in eine Halterung am Bettrahmen gleiten und legte dann Emelia eine Hand auf die Schulter, um sie zurück in die Kissen zu drücken. „Mrs. Mélendez, bitte bleiben Sie ruhig! Sie sind im Krankenhaus. Vor einer Woche hatten Sie einen Autounfall, anschließend haben Sie im Koma gelegen.“

Emelia spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Verwirrt runzelte sie die Stirn, bereute es aber sofort, als ihr ein heftiger Schmerz in die Schläfe fuhr. Sie legte eine Hand auf die Stirn und ertastete dort einen dicken Verband.

Krankenhaus? Unfall? Koma?

Die Worte kamen Emelia fremd vor, allerdings nicht so fremd, wie der Name, mit dem sie angeredet wurde. „Wie haben Sie mich genannt?“

Hilfesuchend warf die Krankenschwester einen Blick über die Schulter. „Ähm, ich denke, das erklärt Ihnen besser der Arzt“, sagte sie und zog sich eilig zurück.

Wie eine Blinde versuchte Emelia, sich durch ihre geistige Nebelwand zu tasten. Dann sah sie an ihrem Körper hinunter und stellte erleichtert fest, dass sie offenbar nicht schwer verletzt worden war. Die schlimmsten Schmerzen hatte sie im Kopf, und ihr war obendrein entsetzlich übel. Man hatte ihr einen Venenzugang in den linken Handrücken gelegt, und aus einem Infusionsbeutel tropfte unendlich langsam eine klare Flüssigkeit in den dünnen durchsichtigen Schlauch, der zu ihrer Hand führte.

Wie hat die Schwester mich gerade genannt? ging es Emelia durch den Kopf. Mrs. Mélen… aber ich bin doch nicht verheiratet! Es musste irgendeine Verwechslung gegeben haben, einen Fehler in den Unterlagen und Aufnahmeformularen!

Ihr richtiger Name war Emelia Louise Shelverton, und vor wenigen Monaten war sie von Australien nach London gezogen, nach Notting Hill. Sie arbeitete vorübergehend als Sängerin und Pianistin im Silver Room – einer Bar in einem Nobelhotel nahe Mayfair –, war allerdings auf der Suche nach einer Festanstellung als Musiklehrerin.

Verheiratet? Das war ja ein Witz. Sie verabredete sich nicht einmal!

„Na also, sind Sie endlich wieder wach!“ Ein älterer Mann in einem steifen, weißen Arztkittel zog die Vorhänge um Emelias Bett zu. „Das sind sehr gute Neuigkeiten. Wir haben uns große Sorgen um Sie gemacht, junge Lady.“

Angestrengt entzifferte sie das Namensschild des Mannes. „Dr. Pratchett? Was mache ich hier im Krankenhaus? Ich habe keine Ahnung, was eigentlich passiert ist. Vermutlich handelt es sich um eine Verwechslung. Die Krankenschwester hat mich mit falschem Namen angeredet, dabei bin ich nicht einmal verheiratet.“

Der Arzt schenkte ihr ein übertrieben vertrauenerweckendes Lächeln, das er sicherlich für die ganz uneinsichtigen seiner Patienten reserviert hatte. „Sie hatten einen Unfall, Emelia“, erklärte er ruhig. „Die schwere Kopfverletzung scheint einen vorübergehenden Gedächtnisverlust ausgelöst zu haben. Wie umfangreich dieser ist, werden wir erst nach ein paar weiteren Tests abschätzen können.“

Erschrocken griff Emelia sich an den Kopf. „Ich leide unter einer Amnesie?“

Der Mann nickte. „Es scheint so. Wissen Sie, welcher Tag heute ist?“

Im ersten Augenblick glaubte sie es zu wissen, aber dann ahnte sie, dass es nur Einbildung war. „Freitag?“, schlug sie zaghaft vor.

„Heute ist Montag“, korrigierte der Mediziner. „Der zehnte September.“

Emelia schnappte nach Luft. „Welches Jahr?“, erkundigte sie sich ängstlich. Seine Antwort entsetzte sie noch mehr. „Das kann nicht wahr sein! Ich habe doch nicht zwei Jahre meines Lebens vergessen! Das ist völlig unmöglich!“

Beruhigend legte Dr. Pratchett seine kräftige Hand auf ihre zitternden Finger. „Versuchen Sie, ruhig zu bleiben, Emelia!“, riet er ihr eindringlich. „Dies ist jetzt selbstverständlich eine höchst verwirrende, beunruhigende Zeit für Sie. Nach einem Koma kommen einem Menschen die ersten Tage im richtigen Leben extrem unwirklich vor, aber nach einiger Zeit werden Sie sich wieder an alles erinnern können. Es braucht nur eine Weile, und Sie müssen unbedingt Ruhe bewahren. Lassen Sie es möglichst langsam angehen. Babyschritte, meine Liebe, ganz kleine Babyschritte!“

Emelia zog ihre Hand zurück und hielt sie demonstrativ in die Luft. „Sehen Sie?“, verkündete sie triumphierend. „Kein Ring. Ich sagte doch, es handelt sich um eine Verwechslung. Ich bin nicht verheiratet.“

„Sie sind ganz eindeutig Mrs. Emelia Louise Mélendez“, versicherte ihr der Arzt energisch. „Diesen Namen hat die Polizei Ihren persönlichen Papieren entnommen. Ihr Mann wartet draußen darauf, dass er Sie endlich sehen kann. Er ist gleich aus Spanien hierher geflogen, nachdem er von dem Unfall hörte. Außerdem hat er Sie als seine Ehefrau identifiziert. Während Ihrer Bewusstlosigkeit ist er kaum von Ihrer Seite gewichen.“

Doch Emelia hörte ihm gar nicht mehr zu.

Mein Ehemann? dachte sie fassungslos. Ein spanischer Ehemann? Und ich kenne nicht einmal seinen Vornamen? Wie kann man etwas so Wichtiges einfach vergessen? Wo haben wir uns kennengelernt? Wann haben wir geheiratet? Haben wir …? Wie oft?

In ihrem Magen breitete sich ein nervöses Flattern aus. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Emelia zwang sich zum Nachdenken und bekam dabei Schweißausbrüche. Der Nebel in ihrem Kopf wurde immer dichter.

Der Arzt verschwand, und einen Moment später wurde der Vorhang neben ihrem Bett erneut zur Seite gezogen. Ein hochgewachsener Fremder mit rabenschwarzen Haaren und tiefdunklen Augen stand plötzlich vor ihr. Nichts an ihm kam Emelia auch nur annähernd bekannt vor.

Mehrere Minuten lang betrachtete sie ihn und erkannte weder die schönen, klassischen Gesichtszüge wieder, noch die bronzene Haut, die dichten Augenbrauen, das kantige Kinn oder das halblange, lackschwarze Haar. Ihr waren die markante Nase fremd, der Dreitagebart und auch der sinnliche, leicht angespannte Mund.

Wieder kribbelte es in ihrer Magengegend, als sie den Schwung seiner Lippen betrachtete. Der etwas harte Zug um die obere wurde von der erotischen Fülle der unteren ausgeglichen. Ein Mund, der mit Sicherheit schon viele Frauen geküsst hatte. War auch sie schon von diesem Mann wild und fordernd geküsst worden? Oder zärtlich und liebevoll?

Nachdenklich fuhr sie sich über ihre eigenen staubtrockenen Lippen. Wenn dem so war, wieso konnte sie sich nicht daran erinnern?

„Emelia.“

Sein spanischer Akzent verlieh den Silben ihres Namens einen attraktiven exotischen Klang.

„Hm … Hallo.“ Was sollte sie schon großartig sagen? Hi, Geliebter, wie schön, dich wiederzusehen? Emelia krallte sich an ihre dünne Bettdecke. „Entschuldige, ich bin gerade ziemlich durcheinander.“

„Das ist schon in Ordnung.“ Noch zwei Schritte, dann stand er direkt neben ihr am Bett und blickte aus seinen schwarzen, tiefgründigen Augen auf sie hinunter.

Obwohl es so aussah, als hätte er sich tagelang nicht rasiert, konnte Emelia sein teures Aftershave riechen. Die leicht zitronige Note im Duft löste das sachte Gefühl einer Erinnerung in ihr aus, und Emelia versuchte automatisch, sich voll und ganz auf diesen Impuls zu konzentrieren. Zitronen … Limonen … von der Sonne gewärmt … oder war es Zitronengras?

„Die Ärzte haben mir versichert, dass ich dich mit nach Hause nehmen kann, sobald du reisefähig bist“, erklärte der Mann.

Jetzt kribbelte es Emelia überall, so angenehm und reizvoll fand sie seine raue Stimme. Sie konnte sich gut vorstellen, wie hinreißend es klingen musste, wenn er sich in seiner Muttersprache unterhielt – oder Liebkosungen flüsterte! Der melodiöse Tonfall der spanischen Sprache hatte sie schon immer fasziniert.

Aber an diesem Mann machte sie irgendetwas stutzig. War es der Ausdruck in seinen Augen oder die Tatsache, dass er seine angebliche Ehefrau noch nicht einmal berührt hatte?

Unauffällig betrachtete sie die schönen, schlanken Finger, die momentan lose Fäuste bildeten. War er etwa wütend? Nein, natürlich nicht. Wahrscheinlich machte er sich Sorgen wegen ihres Gesundheitszustandes und war schlicht geschockt, seine Partnerin derart verstört und hilflos vorzufinden. Welchem Mann würde es anders gehen?

Noch einmal befeuchtete sie ihre trockenen Lippen. „Es tut mir leid. Du musst mich für ganz schrecklich halten, aber ich weiß nicht einmal … Ich meine, also, ich … Ich kann mich noch nicht einmal an deinen Namen erinnern.“

Seine Lippen zuckten für den Bruchteil einer Sekunde, aber so etwas wie ein Lächeln kam nicht zustande. „Ich halte dich nicht für schrecklich, Emelia“, begann er. „Du leidest unter einer Amnesie, ? Es gibt bestimmt einiges, an das du dich nicht erinnerst, aber mit der Zeit wird dir alles wieder einfallen. Die Ärzte sind sicher, dass dein Gedächtnisverlust nicht von Dauer sein wird.“

Sie schluckte. Und falls doch? Vor einigen Jahren hatte sie die Geschichte einer jungen Frau gelesen, der ihre Erinnerungen nach einem fürchterlichen Überfall abhanden gekommen waren. Daraufhin hatte sich ihr ganzes Leben verändert. Sie erkannte weder ihre Eltern noch ihren Bruder oder ihre beiden Schwestern.

„Vielleicht sollte ich mich dann erst einmal vorstellen“, bot er an und räusperte sich. „Mein Name ist Javier Mélendez, und ich bin dein Ehemann. Wir sind seit fast zwei Jahren verheiratet.“

Ihr war, als würde man ihr mit Absicht die Luft abdrücken – mit aller Gewalt aus ihrem Körper pressen. „Verheiratet?“, entgegnete sie erstickt. „Ist das wirklich wahr? Das soll kein Witz oder etwas in der Art sein? Wir sind ernsthaft und legal getraut worden?“

Er nickte. „Ende nächsten Monats ist unser Hochzeitstag.“

Es gelang Emelia nicht, ihren Schock zu verbergen. Ihre Gedanken wirbelten in alle Richtungen gleichzeitig, und sie konnte nicht fassen, wie sehr ihr Verstand sie im Stich ließ. Wie konnte man seinen eigenen Hochzeitstag, seinen eigenen Ehemann vergessen? Welches grausame Schicksal strich diesen Teil ihrer Vergangenheit einfach aus dem Bewusstsein und ließ sie derart hilflos zurück?

„Wo sind wir uns zum ersten Mal begegnet?“, erkundigte sie sich, nachdem sie wieder Luft bekam.

„Im Silver Room in London. Du hast einen meiner Lieblingssongs gespielt, als ich hereinkam.“

Aufgeregt bemerkte Emelia, dass sich der Nebel in ihrem Kopf etwas lichtete. „Ich erinnere mich an den Silver Room“, murmelte sie und drückte eine Hand gegen ihre schmerzenden Augen. „Ich sehe ihn vor mir. Die Kerzenleuchter, das Piano …“

„Erinnerst du dich an deinen Arbeitgeber?“, fragte Javier.

Sie sah ihn an und fand, dass seine Augen wie dunkle Edelsteine schimmerten. „Peter Marshall“, sagte sie nach einer Weile, und ihre Miene hellte sich auf. Wenigstens hatte sie nicht ihre gesamte Vergangenheit verloren! „Er ist Hotelmanager und kommt, wie ich, aus Australien. Ich kenne ihn schon seit meiner Kindheit, wir gingen damals in benachbarte Privatschulen. Er hat mir den Job in der Bar vermittelt und hilft mir auch bei der Suche nach einem Job als Musiklehrerin!“ Die Worte sprudelten immer schneller aus ihr heraus.

Javiers prüfender Blick ließ sie allerdings für einen Moment verstummen. „Weißt du auch noch, warum du überhaupt nach London gekommen bist?“, wollte er wissen.

Emelia sah auf ihre Hände hinunter. „Ja, ich glaube schon.“ Ihr Blick suchte seinen. „Mein Vater und ich hatten eine Auseinandersetzung. Eine ziemlich heftige. Unser Verhältnis ist ohnehin nicht das beste, zumindest nicht seit dem Tod meiner Mutter. Innerhalb weniger Monate heiratete er erneut, und mit seiner neuen Ehefrau hatte ich genau wie zu den nächsten dreien ein ziemlich problematisches Verhältnis. Das hat sich seit damals kein bisschen verbessert …“ Sie brach ab und seufzte. „Es ist kompliziert.“

„Ja“, stimmte er zu. „Das ist es immer.“

„Ich nehme an, da wir ja verheiratet sind, habe ich dir oft davon erzählt. Vor allem werde ich mich darüber beschwert haben, wie stur mein Vater ist.“

„Allerdings, das hast du. Viele Male.“

Müde presste Emelia ihre Fingerspitzen gegen die Schläfen. „Warum kann ich mich dann nicht an dich erinnern?“ Ich kann doch nicht mit einem mir völlig fremden Mann zusammenleben!

Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. „Dein Arzt sagt, du sollst die Dinge nicht überstürzen, querida. Zu gegebener Zeit wird dir alles wieder einfallen. Vielleicht dauert es nur wenige Tage, vielleicht aber auch ein paar Wochen.“

„Aber was, wenn das nicht der Fall ist?“, flüsterte sie gebrochen. „Was soll ich machen, wenn mir die letzten zwei Jahre meines Lebens für immer entfallen sind?“

Javier zuckte lässig die Schulter. „Zerbrich dir nicht den Kopf über Dinge, die nicht in deiner Macht liegen! Vielleicht kehrt deine Erinnerung ja auch zurück, sobald du wieder bei mir in Sevilla bist.“ Er machte eine kurze Pause. „Du hast die Villa immer geliebt. Als ich dich zum ersten Mal mitnahm, sagtest du, es wäre der schönste Ort auf der Welt.“

Vergeblich versuchte Emelia sich an irgendetwas zu erinnern. „Was hatte ich eigentlich in London zu suchen?“, wollte sie wissen. „Du hast nicht mit mir in dem Unfallwagen gesessen, oder?“

In seiner Miene spiegelte sich etwas, doch es verging so schnell, dass Emelia es nicht greifen konnte. „Nein, habe ich nicht. Du warst mit deinem … mit Peter Marshall zusammen.“

Sofort verspürte sie einen ziehenden Schmerz im Magen. „Peter war bei mir?“, keuchte sie erschrocken. „Ist er verletzt worden? Wie geht es ihm? Kann ich ihn sehen? Wo ist er jetzt?“

Die folgende Stille zog sich unendlich in die Länge, und Emelia kam sich schrecklich dumm dabei vor, Javier mit ihren Fragen bombardiert zu haben. Doch viel schlimmer war die Tatsache, dass er so lange schwieg.

„Es tut mir leid, der Überbringer dieser schlechten Nachricht zu sein, aber Marshall hat den Unfall nicht überlebt“, verkündete er schließlich ohne die geringste Gefühlsregung.

Völlig entgeistert starrte Emelia ihn an. Peter war tot? Ihr Gehirn hatte Schwierigkeiten, diese fürchterliche Information zu verarbeiten. Es zog sich vor der Wahrheit zurück und kauerte sich in eine versteckte Ecke, um sich vor dem nächsten unerträglichen Schlag zu schützen. „Nein, das kann nicht sein. Er kann nicht tot sein. Er kann einfach nicht … Wir hatten doch so viele Pläne.“

Javiers Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Kein einziger Muskel rührte sich, und seine Stimme klang so hohl, als würde er aus einem Drehbuch vorlesen, in dem er keine Rolle zu spielen gedachte. „Er ist tot, Emelia. Die Ärzte konnten ihn nicht retten.“

Heiße Tränen quollen unaufhaltsam aus ihren Augen. „Ich habe ihn so geliebt!“, wisperte sie kaum hörbar. „Wir kennen uns doch schon so lange, sind im gleichen Ort aufgewachsen. Er war mir immer ein guter Freund, hat mich unterstützt … Oh, Gott!“ Vor Horror weiteten sich ihre Augen. „Wer ist gefahren? Habe ich Peter etwa auf dem Gewissen? Oh, mein Gott! Oh, Gott!“

Jetzt berührte er sie. Genau wie der Arzt es kurz vorher getan hatte, legte Javier seine Hand auf ihre – nur fühlte sich seine Berührung bei Weitem nicht so kühl, distanziert und professionell an wie die des Mediziners. Es war mehr wie eine unerwartet starke Hitze, die sich durch Emelias zarte Haut brannte und für immer einen Abdruck in ihrem Innern hinterlassen würde.

„Nein, es war nicht deine Schuld“, beruhigte er sie. „Du hast gar nicht am Steuer gesessen. Das war er selbst. Er ist viel zu schnell gefahren.“

Ihre Erleichterung konnte den Schmerz über den Verlust des geliebten Freundes nicht lindern. Peter war tot! Diese drei Worte hämmerten sich unwiderruflich in Emelias Hirn.

Vielleicht war das alles nicht real. Vielleicht durchlebte sie gerade einen furchtbaren Albtraum, aus dem sie aber aufwachen konnte – um dann erschöpft und beruhigt in ihrer sonnigen Wohnung zu liegen. Später würde sie dann mit Peter das Programm für den Abend besprechen, so wie jeden Abend, bevor sie sich an den eleganten Flügel setzte.

Emelia starrte auf ihre Hand, die unter der großen von Javier kaum noch zu sehen war. Der körperliche Kontakt berührte etwas tief in ihrer Seele, so als würde ihr Körper ihn erkennen, selbst wenn der Kopf es noch nicht konnte. Das beruhigte Emelia und machte sie zugleich ziemlich nervös …

Sie schüttelte den Kopf, was sich anfühlte, als würde man direkt unter ihrer Schädeldecke eine Ladung Schrot abfeuern. Ruckartig fuhr sie sich mit der freien Hand über die Stirn und stöhnte gequält auf. Verwirrung, Trauer, Fassungslosigkeit und Schmerzen vermengten sich zu einem Zustand, der allmählich unerträglich wurde.

Javier drückte sanft ihre Finger. „Mir ist klar, was für ein Schock all das für dich sein muss. Es ist immer schlimm, einem Menschen solche Schreckensnachrichten mitteilen zu müssen.“ Dann ließ er sie los und schenkte ihr ein Glas stilles Wasser ein. „Hier, trink das erst einmal! Danach wirst du dich etwas besser fühlen.“

Doch Emelia war fest davon überzeugt, sich niemals wieder in ihrem Leben besser fühlen zu können. Ein schaler Schluck Wasser machte ihren besten Freund auch nicht wieder lebendig. „Ich begreife das alles nicht. Warum war ich in London, wenn wir angeblich verheiratet sind und gemeinsam in Sevilla leben?“

„Ein paar Kilometer außerhalb von Sevilla“, stellte er richtig. „Aber ja, dort wohnen wir.“

Ratlos betrachtete sie ihre schmucklose Hand, während Javier einen außerordentlich schön gearbeiteten Ring aus seiner Tasche hervorholte und Emelia vorsichtig über ihren schlanken Finger streifte. Voller Hoffnung musterte sie ihre Hand erneut und fühlte – nichts.

Sie sah ihm in die Augen. „Ich war also allein in London?“, begann sie erneut.

Sein Blick verriet keinerlei Emotionen. „Ich selbst war geschäftlich in Moskau. Dort reise ich oft hin. Und du wolltest nach England … zum Einkaufen.“

„Warum bin ich nicht mit dir zusammen nach Moskau geflogen?“

Es dauerte einen Moment, ehe er antwortete. „Du begleitest mich nie auf Geschäftsreisen“, erklärte Javier. „Meistens verbringst du die Zeit zu Hause oder in London, weil dir die Läden dort gefallen und dir die Sprache vertrauter ist.“

Emelia biss sich auf die Unterlippe und griff wieder nach ihrer Bettdecke, als könne sie sich daran festhalten. „Merkwürdig. Ich hasse Shopping eigentlich, weil ich sowieso nie die richtige Größe oder den geeigneten Schnitt finde, und außerdem mag ich diese aufdringlichen, hochnäsigen Verkäuferinnen nicht.“

Javier blieb ihr eine Antwort schuldig, und sie fragte sich unwillkürlich, was für eine Art Leben sie wohl geführt hatte. Welche normale Ehefrau flog zum Einkaufen ins Ausland, anstatt Zeit mit ihrem Mann zu verbringen? Das klang nicht gerade nach einer glücklichen Ehe. Am schlimmsten aber war, dass all das eher nach dem Verhalten ihrer Mutter klang, als diese noch am Leben war.

Nach einer Weile zwang Emelia sich, wieder seinen Blick zu erwidern. „Das klingt vielleicht recht merkwürdig, aber …“ Sie zögerte kurz. „Waren wir glücklich verheiratet?“

Diese Frage hing lange Zeit unbeantwortet in der Luft, und Emelias Kopfschmerzen wurden von Minute zu Minute stärker. Endlich verzog Javier die Lippen zu einem dünnen Lächeln und räusperte sich leise.

„Selbstverständlich, querida. Warum sollten wir denn nicht glücklich gewesen sein? Wir sind doch erst seit zwei Jahren verheiratet. Nicht lange genug, um voneinander schon gelangweilt oder einander überdrüssig zu sein.“

Es war vollkommen verrückt, hier im Bett zu liegen und über eine Beziehung zu diesem Mann zu sprechen, an die sie nicht die geringste Erinnerung hatte. So etwas kam höchstens in Büchern oder Filmen vor. Aber niemals passierte es gewöhnlichen Leuten wie Emelia einfach so, im echten Leben.

„Es tut mir leid, aber ich bin wirklich sehr müde“, seufzte sie, und Javier trat augenblicklich vom Bett zurück.

„Natürlich, schon gut. Ich muss mich auch noch um ein paar Dinge kümmern. Du kannst dich erst einmal gründlich ausruhen.“

Er hatte den Vorhang schon fast geschlossen, als Emelia sich halb aufrichtete. „Javier?“

Seine Schultern wurden steif, so als wollte er sich gegen eine unliebsame Bemerkung wappnen. „Ja, Emelia?“

Für ein paar Sekunden sah sie ihm schweigend in das unbekannte Gesicht. „Es tut mir ehrlich leid, dass ich dich nicht wiedererkenne“, entschuldigte sie sich aufrichtig. „An deiner Stelle wäre ich zutiefst verletzt.“

Seine dunklen Augen schienen noch ein wenig mehr ins Schwarze überzugehen. „Ist nicht so schlimm, querida. Vergiss es“, brummte er.

Und erst als der Vorhang sich nicht mehr bewegte, wurde Emelia die Ironie seiner Worte bewusst.

Autor

Melanie Milburne

Eigentlich hätte Melanie Milburne ja für ein High-School-Examen lernen müssen, doch dann fiel ihr ihr erster Liebesroman in die Hände. Damals – sie war siebzehn – stand für sie fest: Sie würde weiterhin romantische Romane lesen – und einen Mann heiraten, der ebenso attraktiv war wie die Helden der...

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