Rendezvous im Mondpalast

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Auf den Spuren eines Familiengeheimnisses fliegt die junge Australierin Amber Jones nach Istanbul. In einem alten Tagebuch hat sie merkwürdige Hinweise auf amouröse Verstrickungen im Orient gefunden. Und immer wieder liest sie den Satz: Folge deinem Herzen! Was das wohl bedeuten mag? Doch dann wird sie von dem feurigen Kadar Amirmoez auf dem Gewürzbasar vor einer Verhaftung gerettet. Und als sie mit ihm eine Nacht im märchenhaften Mondpalast verbringt, beginnt sie zu verstehen, welchem Zauber ihre Urahnin erlegen ist. Und was es bedeutet, dem eigenen Herzen zu folgen ...


  • Erscheinungstag 01.03.2016
  • Bandnummer 2221
  • ISBN / Artikelnummer 9783733706579
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Er sah sie auf dem Gewürzmarkt – eine Touristin, die über Istanbuls alten Basar schlenderte, der für seine Auswahl an Gewürzen, Trockenfrüchten und Hunderten von verschiedenen Teesorten berühmt war. Eben nur eine weitere Touristin mit staunend aufgerissenen Augen, auch wenn diese blau waren, dazu passend das blonde Haar und die rote Jeans, die sich wie eine zweite Haut um ihre Kurven und langen Beine schmiegte.

Er war nicht interessiert.

Es war eher reine Neugier, weshalb er seine Schritte verlangsamte, als sie ihre Kamera ans Auge hob und den Laden fotografierte, der Laternen und Lampen in jeder Farbe und Größe anbot. Reine Neugier, dass er zusah, wie der Besitzer aus dem Laden hervortrat und ihr auf einer silbernen Platte türkischen Honig zum Probieren anbot. Verlegen stolperte sie zurück, als ihr bewusst wurde, dass sie Aufmerksamkeit erregt hatte, entschuldigte sich murmelnd und schüttelte ablehnend den Kopf, brachte damit den lockeren Knoten in ihrem Nacken zum Schwingen. Doch der Händler folgte ihr, bat sie überschwänglich, doch wenigstens ein winziges Stückchen zu probieren.

Kadar blieb stehen. Es kam selten vor, dass seine Neugier sich regte, und dieses Geschäft hier war so gut wie jedes andere, um die getrockneten Datteln für Mehmet zu kaufen – der Grund, weshalb er auf den Basar gekommen war. So konnte er heimlich mitverfolgen, wessen Wille stärker war – der des Händlers oder der der Touristin. Der Händler hatte jetzt auf jeden Fall ihre Aufmerksamkeit, verwickelte sie in ein Gespräch, die ganze Zeit lächelnd, versuchte zu erraten, aus welchem Land sie kam – Amerika? England?

Die Touristin gab sich geschlagen und sagte etwas, das Kadar nicht verstehen konnte, aber das Grinsen des Ladenbesitzers wurde noch breiter, enthusiastisch versicherte er, dass Australier in der Türkei über die Maßen beliebt seien, während sie ein Stückchen von der Platte nahm.

Weit weg von zu Hause, dachte Kadar unwillkürlich und reichte einen Geldschein über den Tresen für die Tüte mit Datteln. Er musste auf sein Wechselgeld warten, aber das machte ihm nichts aus. So hatte er Muße, den Mund der Touristin zu studieren. Ein lohnender Zeitvertreib. Ihre Lippen, voll und üppig, verzogen sich zu einem strahlenden Lächeln, kaum dass sie sich die süße Köstlichkeit in den Mund schob.

Dieses Lächeln traf ihn mit Wucht und fuhr ihm direkt in den Schritt.

Es war lange her, seit er mit einer Frau zusammen gewesen war, und noch länger, dass sich sein Interesse geregt hatte.

Das jetzt hellwach war.

Mit einem schnellen Blick hatte er erkannt, dass sie weder in Begleitung war noch zu einer Touristengruppe gehörte. Sie war allein unterwegs.

Er konnte sie haben, wenn er wollte.

Er wusste es mit der Gewissheit eines Mannes, der in seinem Leben nur selten abgewiesen worden war. Das hatte nichts mit Arroganz zu tun, es waren Erfahrungswerte. Und mit der gleichen Gewissheit wusste er auch, dass diese spezielle Erfahrung mit ihr es wert sein würde.

Oh ja, sie war es wert! Er sah schon jetzt vor sich, wie er sie langsam auszog und ihre hellhäutige Schönheit genießen würde. Er würde ihr das blonde Haar lösen, sodass es ihr seidig über die Schultern bis hinunter zu ihren Brüsten fiel, die Hügel voll und samtig mit aufgerichteten Spitzen …

Ihr Mund würde so süß schmecken, nach türkischem Honig, und die Leidenschaft würde ihre blauen Augen verhangen werden lassen. Mit diesem vollen roten Mund würde sie ihn anlächeln …

Oh ja, er sah die Bilder genau vor sich. Er konnte sie haben, alles lag in greifbarer Nähe …

Als hätte sie bemerkt, dass sie beobachtet wurde, drehte sie den Kopf. Ihr Blick fiel auf ihn, und er registrierte, dass ihre Augen nicht einfach nur blau waren, sondern lebendig funkelten wie Lapislazuli. Während er ihren Blick erwiderte, erkannte er auch, wie die Farbe sich verdunkelte und rauchig wurde, so als hätte sie ihn erkannt, als würde sie auf ihn reagieren.

Bis der Händler etwas zu ihr sagte und ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich zog. Sie blinzelte, blinzelte noch einmal, schüttelte dann den Kopf und floh praktisch durch die engen Gassen, ließ den Händler stehen, der sich enttäuscht fragen musste, wie sein schon fast perfekter Handel so schief hatte gehen können.

Ein Tippen auf seiner Schulter ließ Kadar sich umdrehen, und er erhielt sein Wechselgeld zurück und eine Entschuldigung, dass man ihn hatte warten lassen. Er akzeptierte beides, so wie er auch das Verschwinden der Touristin akzeptierte.

Mit philosophischer Gelassenheit.

Er war nicht interessiert. Nicht wirklich. Schließlich war er auf dem Weg zu Mehmet, nicht auf der Suche nach einer Frau. Schon gar nicht nach einer, die wie ein verschrecktes Kaninchen floh.

Die Kaninchen überließ er denen, die die Jagd liebten. In seiner Welt kamen die Frauen von allein zu ihm.

Was, zum Teufel, war da soeben passiert?

Wie blind stolperte Amber Jones durch die engen Gassen des Basars, nahm weder Farben noch Gerüche noch die Händler wahr, die ihre Waren feilhielten. Alles war verschwommen, nichts mehr klar zu erkennen. Und das nur, weil ein Mann mit goldener Haut und Augen, die wie eine Feuerschale in der Nacht glühten, sie geblendet hatte.

Ein Mann, der sie mit diesen glühenden Augen beobachtet hatte. Es war mehr gewesen als nur ein prickelndes Bewusstsein – vielmehr wie ein innerer Zwang, den Kopf zu drehen. Sein Starren hatte Hitze in ihr aufwallen lassen, wie eine Welle, die Verheißung mit sich brachte, war es ihr über den Rücken gelaufen, hatte sich in ihrem Unterleib gesammelt.

Wieso hatte er sie beobachtet?

Und wieso hatte sie das Versprechen auf Sex in den Tiefen seiner Augen erkannt?

Auf heißen Sex.

Der Jetlag, dachte sie, auf der verzweifelten Suche nach einer logischen Erklärung. Sie war ausgelaugt und müde, befand sich in einer Zeitzone, in der es neun Stunden später war als zu Hause. Ihr Körper ging gewohnheitsmäßig davon aus, dass sie im Bett liegen und schlafen müsste, dabei war es hier in Istanbul gerade Zeit für den Lunch. Kein Wunder also, dass ihr die Menschenmenge auf dem Basar zusetzte, dass ihr plötzlich viel zu heiß war.

Sie brauchte frische Luft. Der letzte Hauch des Winters und die Brise vom Meer her würden ihren Kopf klären und ihre überhitzte Haut abkühlen.

Sie trat durch das Tor, verließ den Basar und wickelte sich den Schal vom Hals, zog ihre Lederjacke aus und atmete tief durch. Die frische Luft linderte die Panik, die sie jäh überfallen hatte.

Mit der Ruhe kehrten Logik und Vernunft zurück, zusammen mit der Enttäuschung über sich selbst.

So viel also zu der starken, unabhängigen Frau, die sie sich versprochen hatte zu sein, als sie sich dazu entschloss, auf den Spuren ihrer Urururgroßmutter um die halbe Welt zu reisen. Scheinbar hielt sich die alte Amber, die sich lieber mit dem Zweitbesten zufrieden gab, statt Risiken einzugehen und um das zu kämpfen, was sie wirklich wollte, noch immer irgendwo versteckt, wenn sie allein von dem Blick eines Mannes derart eingeschüchtert werden konnte.

Es lag nämlich nicht am Jetlag. Sondern an ihm.

An ihm mit dem Gesicht wie von einem Künstler gezeichnet. An ihm, der den Platz, an dem er sich aufhielt, mit seiner Präsenz in Beschlag nahm, sodass sogar die Luft um ihn herum zu vibrieren schien.

Sie erschauerte, aber es hatte nichts mit der kühlen Januarluft zu tun. Verrückterweise fehlte ihr die Hitze plötzlich, die sie an lange Nächte und heißen Sex hatte denken lassen. Wie konnte so etwas innerhalb von Sekunden passieren? In den ganzen zwei Jahren, in denen sie zusammen gewesen waren, hatte Cameron es nie fertiggebracht, sie allein mit einem Blick an verbotene Freuden denken zu lassen.

Aber dem Fremden auf dem Markt war es gelungen.

Wie war so etwas möglich? Kein Wunder, dass sie die Flucht ergriffen hatte. Denn was wusste Amber Jones schon von verbotenen Freuden? Im Schlafzimmer war Cameron nicht gerade sehr inspirierend gewesen. Eigentlich in keinem Zimmer. Wie oft war es vorgekommen, dass er neben ihr eingeschlafen war und sie im Dunkeln wach gelegen und sich gefragt hatte, dass das unmöglich alles gewesen sein konnte, dass es da noch mehr geben musste.

Und dann hatte sie dieses „mehr“ in den Augen eines Fremden gesehen und war davor geflohen.

Wie albern!

Nicht zum ersten Mal wünschte sie, sie wäre die starke, unabhängige Frau, die sie so unbedingt sein wollte. So, wie ihre Urururgroßmutter es gewesen sein musste, die vor so vielen Jahren mit zwanzig ihre Heimat verlassen hatte, um Abenteuer zu erleben.

So mutig.

Amber zog ihre Jacke wieder an. Vielleicht würde sie so mutig niemals sein, aber schon jetzt war sie froh, dass sie hergekommen war. Istanbul war genauso, wie sie es sich vorgestellt hatte. Bunt, exotisch, geschichtsträchtig. Sie war sicher, dass sie ihre Zeit hier genießen würde.

Ihr Magen meldete sich knurrend, erinnerte sie daran, dass sie die kleine Pension ohne Frühstück verlassen hatte, weil sie es leid gewesen war, sich vergeblich zum Schlafen zu zwingen. Direkt gegenüber am anderen Ende des Platzes sah sie einen fliegenden Händler, der Backwaren und Brötchen verkaufte, mit fremden Gewürzen und Sesam besprenkelt. Das würde reichen müssen, bis sie etwas Solideres fand.

Während sie an dem Stand darauf wartete, dass ihre Brötchen eingepackt wurden, kam ein alter gebeugter Mann auf sie zu. Beim Gehen stützte er sich auf einen Stock. Vor ihr blieb er stehen und grinste sie an, wobei die Zahnlücken aus seinem dunkelbraunen Gesicht mit einer Haut wie Leder herausstachen. „England? Amerika?“

„Australien.“ Langsam gewöhnte sie sich an das Ritual. Durch ihre Kleidung und den hellen Teint fiel sie sofort als Touristin auf und wurde somit Ziel für jeden Straßenhändler.

„Aussie! Aussie!“, rief er begeistert, und sein Grinsen wurde noch breiter. „Ich habe Münzen“, flüsterte er ihr verschwörerisch zu. „Alte Münzen. Guter Preis. Billig.“

Sie nahm ihre Brötchentüte von dem Verkäufer entgegen und bezahlte. Sam hatte eine Münzsammlung, und sie hatte ihm versprochen, Kleingeld mit nach Hause zu bringen, das ihr jüngerer Bruder dann seiner Sammlung von ausländischen Währungen hinzufügen konnte. Aber sie gedachte nicht, noch andere Münzen zu kaufen. „Nein danke, kein Interesse“, sagte sie über die Schulter zurück zu dem Alten.

„Alte Münzen aus Troja.“ So leicht ließ er sich offensichtlich nicht abwimmeln.

Das erregte ihr Interesse. „Aus Troja? Wirklich?“ Das wäre natürlich schon ein tolles Mitbringsel für Sam.

„Sehr alt. Sehr billig.“ Er zog sie von dem Brotverkäufer fort und holte etwas aus seiner Tasche, öffnete dann die knochigen Finger, um die beiden schmutzigen Münzen in seiner Hand freizugeben. „Sonderpreis.“

Er nannte den Preis, während Amber auf die beiden kleinen Scheiben in seiner Hand schaute. Woher sollte sie wissen, ob das wirklich antike Münzen waren? Sie fragte sich aber auch, ob es Sam überhaupt kümmern würde, selbst wenn es sich nur um Fälschungen handelte. Alt genug sahen sie auf jeden Fall aus. Aber sie waren so oder so zu teuer für ihr Reisebudget. „Zu viel“, sagte sie bedauernd.

Sofort halbierte der Mann den Preis. „Spezialpreis. Nur für dich.“

Die Versuchung war groß. Wenn sie die türkischen Lira in australische Dollar umrechnete, so war es wirklich nur ein kleiner Anteil der Summe, die sie als Taschengeld eingeplant hatte. Wenn sie sich bei den anderen Souvenirs ein wenig zurückhielt …

„Wie kann ich wissen, ob sie echt sind?“ Sie sah ihm offen ins Gesicht, und er legte sich die Hand auf die Brust, als hätte sie ihn beleidigt.

„Ich habe sie selbst ausgegraben. Auf meinem Land.“

Das glaubte sie ihm unbesehen, so alt und schmutzig, wie die Münzen aussahen, und bei dem abgearbeiteten Aussehen des Mannes. „Und niemand hat etwas dagegen, wenn Sie einfach Münzen von einer archäologischen Ausgrabungsstätte mitnehmen, vor allem wenn sie aus dem berühmten Troja stammen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Gibt so viele. Zu viele für Museen.“ Er hielt seine Hand höher vor ihr Gesicht, halbierte den Preis noch einmal. „Bitte. Kauf. Meine Frau braucht Medizin.“

So, ein anderer Jäger machte also jetzt Jagd auf das Kaninchen.

Kadar hätte vermutet, sie wäre längst verschwunden gewesen, so überstürzt, wie sie die Flucht ergriffen hatte. Aber da stand sie noch immer auf der anderen Seite des Platzes, redete mit einem alten Mann, die rote Jeans wie eine Leuchtboje und das blonde Haar selbst in der fahlen Wintersonne noch schimmernd. Und wieder sandte allein ihr Anblick Hitze durch seine Adern. Er ging jede Wette ein, dass er in ihren Augen dasgleiche Erkennen bemerken würde, wenn sie zu ihm hinsah.

Zu schade aber auch, dass sie so schreckhaft war.

Er rief seinen Chauffeur an und gab Anweisung, ihn abholen zu kommen. Während er wartete, beobachtete er die Frau und den alten Mann. Sah, wie der alte Mann die Hand zu ihr hinstreckte, wie sie auf seine Handfläche starrte und etwas zu dem Mann sagte. Plötzlich jedoch zog der Mann die Hand zurück und warf, was immer er gehalten hatte, hastig zu Boden. Und dann genoss Kadar den Anblick, wie die rote Jeans sich über ein rundes Hinterteil spannte, als die Frau sich bückte und aufhob, was auf dem Boden lag. Vermutlich Münzen, dachte Kadar mit gerunzelter Stirn. In diesem Falle sollte sie besser vorsichtig sein. Sie hielt sie noch einen Augenblick in ihrer Hand, dann wollte sie sie dem Mann zurückgeben.

Der Alte machte keine Anstalten, die Münzen zurückzunehmen. Offensichtlich war er entschlossen, diesen Handel abzuschließen. Die Falte auf Kadars Stirn wurde noch tiefer, als die Frau in ihrer Tasche zu kramen begann und mit einem Schulterzucken ihr Portemonnaie hervorzog.

Dummes Ding!

Kadar sah seinen Wagen die Straße hinaufkommen … und dann verfolgte er mit, wie zwei Uniformierte sich auf den alten Mann und die Frau stürzten.

2. KAPITEL

„Hey!“, protestierte Amber laut, als jemand ihren Arm packte. Doch dann richtete sie sich auf und fand sich einem jungen Mann gegenüber, der die dunkelblaue Uniform der polis trug. Einer von zwei Männern, wie sie registrierte. Der andere hielt den Alten beim Arm fest, der schief lächelte, während ihm die Angst ins Gesicht geschrieben stand.

Angst, die jetzt auch nach Amber griff und ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ, als man ihr die beiden Münzen aus der Hand nahm und in eine kleine Plastiktüte gleiten ließ.

Was, zum Teufel, ging hier vor?

Einer der Offiziere donnerte etwas in Türkisch, und der alte Mann zeigte mit ausgestrecktem Finger auf sie und antwortete hastig.

„Stimmt das?“ Der Kopf des Polizisten ruckte zu ihr herum, Stimme und Miene streng und bedrohlich, aber immerhin hatte er schnell genug geschaltet, um sich in Englisch an sie zu wenden. „Haben Sie den Mann gefragt, wo Sie noch mehr Münzen wie diese hier kaufen können?“

Was? „Nein.“

„Wie sind Sie dann in den Besitz gekommen?“

„Er hat mich angesprochen – und dann …“

„Sie lügt!“, fiel der alte Mann ihr ins Wort, danach folgte ein zorniger Wortschwall in Türkisch. Er gestikulierte wild und zeigte immer wieder auf sie.

Zwar verstand Amber kein Wort von dem, was gesprochen wurde, aber an den grimmigen Mienen, mit denen die beiden Polizisten sie musterten, war deutlich zu erkennen, dass es nicht gut für sie aussah. „Sie müssen mir glauben …“, flehte sie. Ihr Blick glitt von einem Polizisten zum anderen, im Hintergrund bemerkte sie die sich ansammelnde Menschenmenge. Noch nie im Leben war ihr etwas so peinlich gewesen, noch nie hatte sie sich so hilflos gefühlt. Keine vierundzwanzig Stunden war sie in diesem fremden Land, dessen Sprache sie nicht verstand, und vor Angst verkrampfte sich jeder Muskel in ihr. Sie war fremd hier. Was, wenn ihr niemand Glauben schenkte? Sie mussten ihr einfach glauben!

Einer der Polizisten verlangte ihren Pass zu sehen, und mit hämmerndem Herzen und fahrigen Fingern kramte sie in ihrer Tasche. „Sind Sie sich im Klaren darüber, dass es illegal ist, nationale antike Schätze zu besitzen? Das ist ein schweres Vergehen“, sagte er, während er ihren Pass prüfte.

Illegal. Nationale Schätze. Schweres Vergehen.

Die Worte wirbelten durch ihren Kopf. Wieso hielt er es für nötig, ihr das zu sagen? Sie hatte die Münzen doch nur aufgehoben, weil ihr das Bücken bestimmt leichterfiel als einem alten Mann mit Stock. „Sie gehören mir doch gar nicht.“

„Ebenso ist es verboten, Nationalschätze zu kaufen oder zum Verkauf anzubieten.“

Alles Blut wich ihr aus dem Gesicht. Sie hatte die Münzen in der Hand gehalten. Sie war dabei gewesen, sie dem Alten abzukaufen.

Das wusste ich nicht, ich wusste ja nicht einmal, dass sie echt sind, wollte sie sagen, doch sie bekam die Worte nicht heraus.

Aber da erhob sich auch schon eine andere, neu hinzugekommene Stimme über das Raunen der umstehenden Menschentraube. Amber sah sich um.

Er. Der Mann, der sie auf dem Basar beobachtet hatte.

Er legte eine Hand auf ihre Schulter, während er zu sprechen begann. Atemlos und halb blind stand sie einfach da, spürte die Wärme seiner Hand, und so verrückt es auch war, aber es kam ihr vor, als hätte der Mann seinen Besitzanspruch auf sie kundgetan.

Der Alte mischte sich ein, widersprach dem Mann offensichtlich, wie ihr klar wurde, auch wenn sie die Worte nicht verstand, doch der Fremde gab sofort seine Erwiderung zurück, mit solcher Vehemenz, dass der Alte zurückzuckte. Ängstlich beugte er den Kopf, als die Polizisten ihn grimmig anstarrten.

Selbst in ihrer eigenen Angst, selbst mit dem hart klopfenden Herzen war es unmöglich, nicht zu bemerken, wie perfekt die Stimme des Fremden zu seiner Erscheinung passte. Vorhin hatte sie nichts von der Macht geahnt, die er besaß. Seine Stimme war tief und voll, besaß eine Autorität, die weder Uniform noch Waffe als Unterstützung benötigte. Die Autorität kam mit der gleichen Lässigkeit, mit der er seinen schwarzen Kaschmirmantel trug. Und jetzt strich er auch leicht mit dem Daumen über ihre Schulter … War er sich dessen überhaupt bewusst? Ahnte er, wie ihre Haut auf diese leichte Berührung reagierte?

Als sie erschauerte, hatte das wenig mit der herrschenden Kälte zu tun, sondern es lag an den Hitzewellen, die ihren Rücken hinauf- und hinunterliefen, die sich in ihrem Unterleib sammelten und dort ein dumpf pochendes Verlangen auslösten.

Die aufgeregten Stimmen um sie herum beruhigten sich, wurden leiser, das Interesse der Schaulustigen schwand, die Menge löste sich langsam auf. Und obwohl Amber in der Bredouille steckte und Gefahr lief, eines Verbrechens beschuldigt zu werden, fühlte sie sich sicher, weil dieser Fremde an ihrer Seite stand – der Mann, vor dem sie vorhin noch geflohen war. Seltsam, aber ihr war egal, welche Schwierigkeiten sie hatte, vorrangig verspürte sie keine Angst mehr, sondern Verlangen.

Offensichtlich war man zu einer Einigung gekommen. Der Polizist gab ihr ihren Pass zurück und nickte ihr zu, dann nahmen die beiden Beamten den Alten in ihre Mitte und führten ihn ab.

„Wir müssen uns noch auf der Wache melden“, sagte der Fremde zu ihr, holte sein Handy hervor und tätigte einen knappen Anruf.

„Was ist denn jetzt dabei herausgekommen?“, fragte sie ihn. Ihr fehlte die Wärme seiner Hand auf ihrer Schulter, sie vermisste das geistesabwesende Kreisen seines Daumens. „Was haben Sie ihnen gesagt?“

Er sah suchend über ihren Kopf und die sich auflösende Menge hinweg. „Nur das, was ich gesehen habe. Dass der Alte Sie angesprochen und die Münzen dann weggeworfen hat, sobald er die Polizisten kommen sah, damit Sie sie aufheben.“

„Er ging doch am Stock“, rechtfertigte sie sich. „Für mich ist es leichter, mich zu bücken.“

„Ja, natürlich. Und genau das sollten Sie auch denken. Damit Sie die Münzen in der Hand halten, sodass Sie nicht behaupten können, es wären nicht Ihre, oder dass Sie nicht vorgehabt hatten, sie zu kaufen.“

„Ehrlich gesagt, ich wollte sie kaufen, bevor die polis kam“, gestand sie düster.

„Das war mir ebenfalls klar“, meinte er mit schmalen Lippen. „Ah, da ist endlich mein Wagen. Kommen Sie.“ Er nahm sie beim Ellbogen.

Hätte seine Aufforderung mehr wie eine Einladung geklungen und weniger wie ein Befehl, hätte sie seine Hand kommen sehen und wäre auf die Berührung vorbereitet gewesen … dann hätte sie sich vielleicht wappnen können. So jedoch hatte sie, als er seine kräftigen Finger um ihren Arm legte, das Gefühl, dass er nicht nur Besitzansprüche anmeldete, sondern auch die Kontrolle über ihr Leben übernahm. Sie ahnte, dass, wenn sie wirklich in seinen Wagen einstieg, nichts in ihrem Leben mehr so sein würde wie früher. Etwas in ihr zog sich zusammen – eine Mischung aus Hitze und Sehnsucht und Aufbegehren und Angst. Ihre Finger zitterten so sehr, dass sie ihre Tüte mit Brötchen fallen ließ.

Er musste dieses Beben, das sie durchlief, gespürt haben, denn noch bevor ihr die Brötchentüte aus den Fingern glitt, sah er sie forschend an. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“

Sie konnte ihm kaum den wahren Grund nennen, weshalb ihre Lungen plötzlich den Dienst verweigerten. „Ich …“, verzweifelt suchte sie nach einer Ausrede, „… ich kenne nicht einmal Ihren Namen.“

Er verbeugte sich leicht. „Ich muss mich entschuldigen, aber wir scheinen die üblichen Formalitäten übersprungen zu haben. Ich heiße Kadar Soheil Amirmoez. Stets zu Diensten.“

Sie blinzelte. „Mit Namen bin ich ein hoffnungsloser Fall. Das werde ich mir nie merken können.“ Kaum waren die Worte heraus, wünschte sie, sie hätte den Mund gehalten. Er sah doch schon jetzt eine naive Touristin in ihr. Warum ihm noch mehr Grund liefern, sodass er noch abschätziger von ihr dachte?

Doch statt der Zurechtweisung, die sie erwartet hatte, lächelte er. Es war das erste Mal, dass sie ihn lächeln sah. Schatten und Kanten in seinem Gesicht schwanden, ein Funke glühte in seinen dunklen Augen auf. Hatte er vorher gut ausgesehen, so wandelte er sich jetzt in sündhaft attraktiv und gefährlich. Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer.

Ja, es bestand Grund, Angst zu haben. Und trotzdem war sie froh, dass er sie wiedergefunden hatte.

„Kadar reicht völlig. Und Sie heißen?“

„Amber. Schlicht und einfach Amber Jones.“

„Niemals schlicht, niemals einfach“, sagte er mit seiner tiefen vollen Stimme und nahm sie bei der Hand. Damit schwand auch der letzte Rest ihres Widerstands. „Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Amber Jones.“

Vor ihr ging er in die Hocke, um die Brötchentüte aufzuheben. Zur Hälfte war der Inhalt herausgefallen, die Sesamkörner lagen überall verstreut, und schon flogen Vögel heran, die sich eine reiche Mahlzeit erhofften. „Das können Sie nicht mehr essen“, entschied er, warf die Türe mitsamt Inhalt in den nächsten Abfalleimer. Die Vögel beeilten sich zwitschernd und flügelschlagend, ihrem Mahl nachzufliegen. „Kommen Sie. Nachdem sie Ihre Aussage auf der Wache gegeben haben, lade ich Sie zum Lunch ein.“

Und nach dem Lunch? Würde er sie dann mit zu sich nehmen und das Versprechen einlösen, das in seinen Augen zu lesen gewesen war? Oder war sie einfach nur so überwältigt von den Ereignissen, dass ihre Fantasie Amok lief?

„Das ist wirklich nicht nötig“, erklärte sie fest. Sie hatte doch den Unmut in seiner Miene gesehen, als sie zugegeben hatte, dass sie die Münzen fast gekauft hätte. Er fühlte sich verpflichtet, sie zur Polizeiwache zu bringen, aber vielleicht bereute er ja schon, dass er sich für sie eingesetzt hatte. „Ich habe bereits genug von Ihrer Zeit in Anspruch genommen.“

„Ich habe Ihnen Ihren Lunch verdorben“, erwiderte er ernst und führte sie zu seinem wartenden Wagen. Er hielt die Tür für sie offen, damit sie auf die Rückbank schlüpfen konnte. „Zumindest das bin ich Ihnen schuldig, Amber Jones.“

So, wie sie es sah, schuldete er ihr gar nichts, aber darüber wollte sie jetzt nicht debattierten. Genauso wenig, wie sie diesmal nicht die Flucht ergreifen würde. Es mochte sich ja anhören, als wäre der Lunch mit ihr eher eine Pflicht denn ein Vergnügen für ihn, aber sie erinnerte sich noch gut daran, wie er sie mit diesen glühenden Augen auf dem Basar angestarrt hatte. Und sie erinnerte sich auch an die Wärme und das Gewicht seiner Hand auf ihrer Schulter … und welches Versprechen diese Berührung beinhaltet hatte.

Vielleicht war die neue mutige Amber ja doch nicht so weit entfernt, wie sie befürchtete.

Denn sie wünschte sich mehr.

Erst nach zwei Stunden konnten sie die Polizeiwache wieder verlassen und traten in die kalte Luft nach draußen. Ein Regenschauer hatte die Luft gereinigt, nach der stickigen Wärme in der Wache war es angenehm frisch und tat gut, und Kadar schlug vor, dass sie das kurze Stück bis zum Restaurant zu Fuß zurücklegen sollten.

Autor

Trish Morey
Im Alter von elf Jahren schrieb Trish ihre erste Story für einen Kinderbuch- Wettbewerb, in der sie die Geschichte eines Waisenmädchens erzählt, das auf einer Insel lebt. Dass ihr Roman nicht angenommen wurde, war ein schwerer Schlag für die junge Trish. Doch ihr Traum von einer Karriere als Schriftstellerin blieb.
Nach...
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