Rivalin des Glücks

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Ausgerechnet der gefährlich attraktive Millionär Roland Devereux macht Grace Faraday ein prickelndes Angebot: Er wird sie für zwei Wochen an die schönsten Orte der Welt entführen, dafür hilft sie ihm, sein Flirt-Talent aufzupeppen. Aber venezianische Gondelfahrten und sinnliche Küsse lassen ihre Augen nicht nur heller strahlen, Grace fühlt auch, sie ist rettungslos verliebt! Trotzdem, eine gemeinsame Zukunft ist undenkbar, denn auch wenn Rolands Blicke verlangend funkeln, Grace weiß, sein Herz gehört noch einer anderen …


  • Erscheinungstag 09.05.2017
  • Bandnummer 0010
  • ISBN / Artikelnummer 9783733708368
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Rolands Gesicht tat schon weh vom Dauerlächeln, aber ihm war klar, dass er durchhalten musste. Erstens heiratete sein bester Freund – und natürlich freute sich Roland sehr für Hugh, der die Liebe seines Lebens gefunden hatte. Zweitens wusste die Hälfte der Gäste, dass Rolands Frau vor fast zwei Jahren bei einem Autounfall gestorben war. Die Leute machten sich Sorgen, diese Feier könnte heikel für ihn sein.

Doch wie er Hugh am Altar gesagt hatte: Der heutige Tag weckte schöne Erinnerungen an seine eigene Hochzeit. Roland hoffte, Hugh und Bella würden wesentlich mehr glückliche Jahre vergönnt sein als ihm und Lynette – ohne jenen Kummer, den sie selbst Angehörigen und engsten Freunden verheimlicht hatten.

Jetzt sollte er sich einen Ruck geben und die Brautjungfer auffordern. Zwar tanzte Tarquin, Hughs zweiter Trauzeuge, gerade mit Bellas Schwester, aber damit konnte sich Roland nicht herausreden. Wenn er Grace nicht aufforderte, würden alle Gäste vermuten, die Gedanken an Lynette hielten ihn davon ab. Das Letzte, was er wollte, war eine weitere Dosis Mitleid. Davon hatte man ihm nach dem Unfall mehr als genug verabreicht.

Einen Tanz. Den bekam er hin. Er musste einfach ignorieren, dass die Lichterketten im Ballsaal des elisabethanischen Herrenhauses eine überaus romantische Atmosphäre zauberten. Außerdem musste er seine Abneigung gegenüber der Brautjungfer überwinden, schließlich stand es ihm wirklich nicht zu, die Schwester der Braut zu verurteilen – obwohl ihn das Wenige, was er über sie gehört hatte, nun wirklich nicht positiv stimmte. Beim ersten Treffen mit Hugh war Grace derart betrunken gewesen, dass sie sich über seine Hose und Schuhe erbrochen hatte. Außerdem hatte sie ihre eigene Hochzeit auf den letzten Drücker abgeblasen. Zugegeben, jeder erwischte mal einen schlechten Tag oder machte Fehler. Trotzdem klang es ganz danach, als sei Grace eine verwöhnte Prinzessin mit einem Hang zu Hochprozentigem.

Und eine verwöhnte, prinzessinnenhafte, betrunkene Autofahrerin hatte sein Leben vor fast zwei Jahren selbstsüchtig zerstört. Es widerstrebte ihm zutiefst, auch nur ein paar Minuten nett zu so einer Frau sein zu müssen. Für seinen besten Freund, der jetzt mit der Braut tanzte, würde er es dennoch tun. Roland war ziemlich sicher, dass der Schimmer, der Hugh und Bella umgab, nicht nur von den Lichterketten herrührte. So sah ein wahrhaft glückliches Paar aus.

Er musste seine Pflicht wie ein Gentleman erfüllen. Im Moment wirkte Grace in ihrem dunkelroten Kleid mit dem weiten Rock und dem herzförmigen Ausschnitt zudem absolut gesittet. Sie trug sogar flache Schuhe, damit sie die Braut nicht überragte. Ihre dunklen Haare waren elegant hochgesteckt, wobei sich ein paar Korkenzieherlöckchen an ihr Gesicht schmiegten. Eine ausgesprochen aufwendige Frisur. Und die langen Wimpern waren garantiert nicht alle von Natur aus so dicht. Also lag Roland vielleicht doch richtig, was die Prinzessinnenattitüde betraf. Sogar Tarquin – der in jedem Menschen das Gute entdeckte – hatte eingeräumt, Grace sei völlig anders als die süße, quirlige kleine Bella.

Einen Tanz, sagte sich Roland erneut. Tu deine Pflicht und lass deinen besten Freund nicht hängen.

Sobald das Lied verklang, ging er zu Grace und Tarquin. „Als der andere Trauzeuge glaube ich, dass der nächste Tanz meiner sein sollte.“ Roland zwang sich, sein Lächeln beizubehalten.

„So ist es.“ Tarquin schlug ihm auf die Schulter. „Bis später, Grace.“

„Bis später, Tarquin.“ Sie wandte sich Roland zu. „Wir sind uns noch gar nicht vorgestellt worden. Ich bin Bellas Schwester, Grace. Und Sie sind Roland, nicht wahr?“

„Ja.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Sie streckte ihm die rechte Hand hin.

Oh bitte, beeil dich einfach und lass es uns hinter uns bringen, dachte Roland, als er ihre Hand nahm. Der seltsame Schauer, der ihm über den Rücken rieselte, traf ihn wie ein Schock.

Aus der Nähe betrachtet hatte Grace Faraday außergewöhnlich blaue Augen. Ein dunkles, intensives Kornblumenblau. Ihre Lippen waren perfekt geschwungen, und ihr Teint sah frisch aus, beinahe, als wäre er von Tau benetzt. Irgendetwas an ihr zog Roland an. Etwas, das seinen Beschützerinstinkt weckte.

Diese Erkenntnis brachte ihn aus dem Konzept.

Die beiden Leute, auf deren Meinung er am meisten gab, hatten ihm ein bisschen über Grace erzählt. Entsprechend hatte er damit gerechnet, Bellas Schwester nicht zu mögen. Stattdessen fühlte er sich zu ihr hingezogen. Dabei war er felsenfest davon überzeugt gewesen, nie im Leben mit dieser Frau ausgehen zu wollen. Und er hatte keine Ahnung, was er jetzt tun sollte.

„Eine schöne Trauung, nicht wahr?“, fragte Grace. „Und dieses Lied, das Hugh für Bella geschrieben hat – wundervoll.“

„Mhm.“ Roland war zu durcheinander für einen zusammenhängenden Satz. Er lächelte bemüht.

Grace staunte, wie sehr sich Hughs beste Freunde voneinander unterschieden. Beim Tanz mit dem netten und witzigen Tarquin hatte sie sich richtig wohl gefühlt. Roland hingegen entpuppte sich als dermaßen wortkarg, dass Grace unsicher und beklommen zumute wurde. So, wie es ihr normalerweise in der Gegenwart Fremder erging.

Es war nicht gerade hilfreich, dass sie beim Händeschütteln ein merkwürdiges Kribbeln gespürt hatte. Aber egal, welche Maßstäbe man anlegte: Roland sah unglaublich attraktiv aus. Sein Frack, die dunkle Hose und die rote Weste mit der passenden Krawatte unterstrichen diese Tatsache. Er hatte sich die dunklen Haare aus der Stirn gekämmt, und seine leicht olivfarbene Haut war frisch rasiert. Der Mann hätte glatt als Model für Hochzeitskleidung durchgehen können. Grace wusste nicht recht, ob sie ihn deshalb faszinierend oder einschüchternd finden sollte.

Vielleicht tat sie am besten so, als sei dies ein Job. Wenn sie geschäftsmäßig und sachlich mit Roland umging, wie mit einem Kunden, dann könnten sie diesen Tanz passabel über die Bühne bringen.

Da ihr kein Gesprächsthema einfiel, ließ sie sich einfach von ihrem Partner über die Tanzfläche führen und hoffte inständig, ein aufgesetztes Lächeln möge reichen, um dieses Lied zu überstehen.

Gut, dass sie Bella das Zugeständnis abgerungen hatte, flache Schuhe anzuziehen. Mit hohen Absätzen wäre sie wahrscheinlich über Rolands Füße gestolpert und hätte sich bis auf die Knochen blamiert.

Obwohl es sich eigenartig anfühlte, mit jemandem zu tanzen, der sie um gut fünfzehn Zentimeter überragte. Howard, ihr Ex-Verlobter, war einsdreiundsiebzig. Sie hatte stets flache Schuhe getragen, damit er sich nicht unangenehm berührt fühlte, weil sie beide gleich groß waren. Roland hatte breite Schultern, Howard schmale. In den Armen des Trauzeugen kam sich Grace zierlich und weiblich vor – etwas, das sie nicht kannte. Sie war eine vernünftige, nüchterne Frau. Viel zu groß, um wie ein zerbrechliches Wesen behandelt zu werden.

Rolands dunkle Augen blickten wachsam. Warum ist er so argwöhnisch? fragte sich Grace.

Mit sinkendem Herzen erkannte sie, weshalb ihr mulmig zumute war: Roland schaute sie genauso an, wie Howards Mutter es immer getan hatte. Das Lächeln, mit dem er ihres erwiderte, war nicht echt. Offenbar hatte er sein Urteil über sie gefällt und fand sie unzulänglich.

Kein Wunder, dass er im Gegensatz zu Tarquin nicht mit ihr plauderte. Der Mann mochte sie nicht, dabei sah er sie heute zum ersten Mal.

Tja, sein Pech. Sie würde höflich sein und mit ihm tanzen, weil es sich für die Brautjungfer und den Trauzeugen nun mal so gehörte. Den Rest des Abends würde sie einen Bogen um ihn machen und sich an ihre Eltern und Hughs Verwandte halten.

Und was das eigentümliche Prickeln anging – so fühlte man sich eben auf Hochzeiten. Vor allem auf einem glamourösen Fest wie diesem, im Park und Ballsaal des Herrenhauses, das Hughs Familie seit Generationen gehörte. Hinter dem Glamour kam eine warmherzige, liebevolle Familie zum Vorschein, die Grace’ leicht unkonventionelle jüngere Schwester so mochte, wie sie war. Vorhin hatte Grace gesehen, wie ihr Tanzpartner Bella umarmte. Mit einem echten Lächeln. Also fand er die Braut sympathisch.

Aber es stand fest, dass dieser einsilbige, geradezu abweisende Mensch seine Sympathie für Bella nicht auf Grace ausdehnen wollte. Und sie hatte nicht vor, es sich zu Herzen zu nehmen. Warum sollte seine Meinung eine Rolle spielen? Sie wusste nichts über ihn, außer, dass er Hughs zweiter bester Schulfreund und stiller Teilhaber seiner Plattenfirma war. Selbst falls Roland keine Freundin hatte, war er der Letzte, mit dem Grace ausgegangen wäre. Ihren Fehler mit Howard wollte sie auf keinen Fall wiederholen. Der nächste Mann, mit dem sie sich verabredete, musste jemand sein, bei dessen Anblick ihr Herz einen Schlag aussetzte. Der sie umhaute. In dessen Nähe sie sich wohl in ihrer Haut fühlte.

Also unter keinen Umständen Roland Dingsbums.

Auch wenn er einer der attraktivsten Männer war, die sie je getroffen hatte.

1. KAPITEL

Zwei Tage später

Schon wieder vermisste Grace ihre Schwester. Von allen Menschen auf der Welt wollte sie am liebsten Bella vom heutigen Bewerbungsgespräch erzählen. Doch die flitterte mit Hugh in San Francisco, und selbst ohne die acht Stunden Zeitunterschied wollte Grace sie nicht während ihrer Hochzeitsreise stören. Sie würde Bellas tägliche SMS abwarten und in ihrer Antwort beiläufig erwähnen, das Bewerbungsgespräch sei gut gelaufen. Ende dieser Woche konnte sie hoffentlich mit einer guten Nachricht aufwarten.

Bitte lass mich den Zuschlag für diesen Job kriegen!

Zeitarbeit war in Ordnung, aber am besten gefiel es Grace, wenn es in ihrem Leben eine feste Struktur gab und sie länger als nur ein paar Tage vorausplanen konnte. Seit sie vor zwei Monaten ihre Hochzeit abgeblasen hatte, war ihr ganzes Leben anders. Nicht nur ihre Beziehung war zu Ende – als Konsequenz hatte sie auch ihren Job und ihr Zuhause verloren.

Bella kam prima mit Veränderungen klar. Sie machte das Beste aus jedem Tag und packte Chancen beim Schopf. Grace hingegen war vorsichtig, wog Pro und Kontra ab und entschied sich stets für die vernünftigste Option. Obwohl es richtig gewesen war, die Hochzeit abzusagen, hatte ihr die Entscheidung enormen Liebeskummer und Schuldgefühle beschert. Bella stand zu ihr, genau wie ihre Eltern, doch Grace hasste das Chaos, das über sie hereingebrochen war.

Wenigstens hatte sie jetzt wieder eine Wohnung, denn Bella war wie immer ein bisschen schusselig gewesen und hatte ihrem Vermieter nicht fristgerecht gekündigt. Glücklicherweise akzeptierte er Grace als Nachmieterin. Sie wartete bloß noch auf den Papierkram.

Jetzt schloss sie die Tür des Appartementhauses auf – und sah entsetzt, dass in der Diele gut zwei Zentimeter Wasser standen. Wasser, das unter ihrer Wohnungstür hervorquoll.

Keine Panik, sagte sie sich. Benutz deinen gesunden Menschenverstand und stell den Haupthahn ab, damit kein weiteres Wasser aus dem Leck läuft, wo auch immer es sein mag. Schalte vorsichtshalber auch den Strom ab. Lass das Wasser laufen, bis die Leitungen leer sind. Dann suchst du das Leck und rufst den Vermieter an, damit er einen Klempner beauftragt.

Etwas ruhiger, weil sie nun einen Plan hatte, schloss Grace ihr Appartement auf. Überall stand Wasser. Der Teppich war durchnässt, und das Sofa veränderte allmählich seine Farbe, weil das Wasser in den Stoff zog. Sie atmete tief durch, schlüpfte aus den Schuhen und deponierte sie samt Handtasche und Aktenkoffer auf dem Küchentisch.

Der Haupthahn. Wo mochte er sein? Grace zog den Schrank unter der Spüle auf und entdeckte ein kleines Rad an der Wasserleitung. Erleichtert drehte sie es zu. Wenig später fand sie auch den Schalter, um den Strom abzustellen. Als sie ins Bad ging, musste sie sich nicht lange fragen, wo das Problem lag: Wasser spritzte aus einem Loch im Rohr unter dem Waschbecken.

Grace schnappte die Plastikschüssel aus der Küchenspüle und stellte sie unter das Waschbecken. Dann drehte sie die Hähne im Bad auf, damit die Leitungen leerlaufen konnten.

Jetzt der Anruf beim Vermieter. Sie hoffte inständig, dass er noch diesen Abend einen Klempner vorbeischicken konnte. Doch selbst wenn der Schaden repariert war, musste sie heute Nacht woanders schlafen, denn in diesem Zustand war das Appartement unbewohnbar. Außerdem musste sie all ihre Sachen irgendwo unterstellen.

Ein Teil von ihr wollte vor lauter Frust in Tränen ausbrechen, aber die lösten kein einziges Problem. Grace durfte sich nicht gehen lassen. Wenn sie getan hatte, was zu tun war, konnte sie immer noch weinen. Nicht vorher. Ausgeschlossen.

Am Kühlschrank hing ein Zettel mit einer Telefonnummer und den Worten Bei Problemen anrufen in Bellas Handschrift. Das musste die Nummer des Vermieters sein. Ausnahmsweise war ihre kleine Schwester vorausschauend gewesen, obwohl sie die letzten drei Wochen bis über beide Ohren in Hochzeitsvorbereitungen gesteckt hatte. Dankbar holte Grace ihr Handy aus der Tasche und wählte.

Roland kannte die Nummer auf seinem Display nicht, deshalb ließ er es klingeln. Jemand aus einem Callcenter würde auflegen, sobald der Anrufbeantworter ansprang. Jeder andere konnte eine Nachricht hinterlassen, und Roland würde zurückrufen, sobald er Zeit hatte.

Er hörte ein Seufzen auf dem Anrufbeantworter. „Hallo. Hier spricht Grace Faraday.“

Bellas Schwester? Roland zog die Stirn kraus. Warum in aller Welt wollte die ihn sprechen?

„Bitte rufen Sie mich zurück. Es ist dringend.“ Langsam und deutlich nannte sie ihre Telefonnummer. „Wenn ich in der nächsten halben Stunde nichts von Ihnen höre, rufe ich selbst den Klempner-Notdienst und gehe davon aus, dass Sie die Rechnung übernehmen.“

Weshalb brauchte sie einen Klempner-Notdienst? Und wie kam sie darauf, er würde dafür zahlen?

Er nahm den Hörer, um Grace zu empfehlen, ihren Vermieter oder ihre Versicherung anzurufen. „Roland Devereux.“

Schweigen am anderen Ende. Dann fragte Grace: „Roland? Hughs Trauzeuge?“

„Ja.“

„Äh, also – falls Sie nicht hören konnten, was ich bisher gesagt habe: Hier ist Bellas Schwester, Grace. Mein Appartement steht unter Wasser, und ich brauche umgehend einen Klempner. Sie als Vermieter haben gewiss eine Liste von Handwerkern, die Sie in solchen Fällen beauftragen.“ Der letzte Satz klang ein wenig überheblich.

„Ich bin nicht der Vermieter.“

„Ah. Entschuldigung.“ Die Überheblichkeit verschwand; stattdessen zitterte Grace’ Stimme beinahe unmerklich. „Sie kennen nicht zufällig die Kontaktdetails von Bellas Vermieter?“

Warum bitte schön soll ich die kennen? „Nein.“

„Okay. Egal.“

Und da war er.

Ein ganz leiser Schluchzer. Unterdrückt, doch Roland hörte ihn trotzdem.

Der Laut weckte Erinnerungen an Lynette. Ihr herzzerreißendes Schluchzen, wenn wieder ein Monat vergangen war, in dem sie kein Baby gezeugt hatten. Die Schuldgefühle, weil er sie dermaßen enttäuscht und zuletzt im Stich gelassen hatte.

Außerdem war Grace die Schwägerin seines besten Freundes. Hätte Rolands Schwester Hugh um Hilfe gebeten, wäre der sofort zu Philly geeilt. Deshalb musste Roland das Richtige tun.

„Tut mir leid, dass ich Sie gestört …“, begann sie.

„Wie hoch steht das Wasser, Grace?“

„Sie haben mir gerade gesagt, dass Sie nicht der Vermieter sind, also machen Sie sich keine Gedanken darüber.“

Er zuckte zusammen, ahnte aber, dass er ihren leicht säuerlichen Tonfall verdiente. „Woher haben Sie eigentlich meine Telefonnummer?“

„Bella hat mir einen Zettel am Kühlschrank hinterlassen – eine Nummer für Notfälle.“ Sie seufzte. „Wie gesagt, es tut mir leid. Ich dachte, es wäre die des Vermieters. Offensichtlich habe ich mich geirrt.“

Das spielte jetzt keine Rolle. „Haben Sie die Wasserzufuhr abgestellt?“

„Ja. Ich bin kein Hohlkopf“, antwortete sie trocken. „Den Strom habe ich auch ausgeschaltet, und jetzt lasse ich das Wasser laufen, bis die Leitungen leer sind. Ein Klempner muss das Leck reparieren. Und ich muss den Nachbarn unter mir Bescheid geben, für den Fall, dass sich der Schaden in meinem Appartement auf ihre Wohnung auswirkt.“

Grace klang überraschend kompetent und organisiert. Ihre Art passte nicht zu dem, was Hugh und Tarquin ihm über sie erzählt hatten. Anscheinend wusste sie nicht, wen sie anrufen sollte – außer ihn. Er konnte schlecht auflegen und sie sich selbst überlassen. „Wie lautet Ihre Adresse?“, fragte er abrupt.

„Warum?“

„Weil Sie mich gerade angerufen und um Hilfe gebeten haben.“

„Versehentlich. Wofür ich mich entschuldige. Erneut.“

„Bella hat Ihnen für den Notfall meine Nummer hinterlassen – und ein Rohrbruch ist ein Notfall.“ Es war ja nicht Grace’ Schuld, dass Bella vergessen hatte, ihm von dem Zettel am Kühlschrank zu erzählen. „Wo sind Sie?“

„In Bellas Wohnung.“

„Ich kenne die Adresse nicht.“

„Oh. Ach so.“ Widerstrebend nannte Grace sie ihm.

„Okay. Ich bin gleich bei Ihnen.“

„Sind Sie Klempner oder so?“

„Nein, aber ich kenne einen guten Handwerker. Den rufe ich von unterwegs an, damit er einspringen kann, falls Sie Ihren Vermieter nicht erreichen.“

„Danke. Das ist sehr freundlich von Ihnen.“

Als er im Auto saß, bat Roland den Klempner, sich bereitzuhalten, falls Grace nicht bloß aus einer Mücke einen Elefanten machte. Bei seiner Ankunft im Appartement stellte er fest, dass sie den Schaden heruntergespielt hatte. Das Wasser musste schon eine ganze Weile aus dem Leck geflossen sein. Sämtliche Teppiche waren durchnässt und wohl nicht zu retten. Das Sofa musste umgestellt werden, damit nicht noch mehr Wasser eindrang. Rolands Gewissen meldete sich wieder, weil Grace verweint wirkte. Obwohl sie versuchte, stark zu bleiben, machte ihr dieser Zwischenfall eindeutig zu schaffen.

„Konnten Sie den Vermieter erreichen?“, erkundigte er sich.

Sie schüttelte den Kopf. „Seine Kontaktdetails stecken wahrscheinlich in Bellas Schuhkarton – aber ich will ihr nicht den Schwarzen Peter zuschieben. Ich hätte alles checken sollen, bevor sie und Hugh abgereist sind. Jetzt wohne ich ja hier, also bin ich verantwortlich.“

„Schuhkarton?“, wiederholte Roland verständnislos.

„Bella hat es nicht so mit dem Abheften von Unterlagen. Geschäftsbelege kommen in einen Schuhkarton, Haushaltsbelege in einen anderen, und wenn man etwas sucht, muss man halt kramen.“

„Klingt ein bisschen chaotisch.“ Und definitiv nicht nach einem Ablagesystem, das Roland wählen würde. Zu viel Zeitverschwendung.

Grace zuckte die Schultern. „Wenigstens hat sie jetzt die Schuhkartons. Ich musste ganz schön Überzeugungsarbeit leisten, um sie so weit zu kriegen.“

Wie bitte? Das passte nicht zusammen. Grace war doch die trinkfreudige, prinzessinnenhafte Schwester, oder? Allerdings trug sie gerade ein schlichtes graues Kostüm über einer weißen Hemdbluse. Außerdem lag ein Aktenkoffer auf dem Tisch, neben unauffälligen schwarzen Schuhen und einer wenig prinzessinnenhaften Handtasche. Ihre Fingernägel waren nicht professionell manikürt, und ihre dunklen Haare fielen ihr in einem einfachen langen Bob auf die Schultern. Ganz anders als die extravagante Frisur bei der Hochzeit. Außerdem trug sie kaum Make-up.

Vielleicht hatte er sie falsch eingeschätzt. Sein schlechtes Gewissen wurde stärker.

„Die Nachbarn sind nicht zu Hause, also habe ich ihnen Zettel an die Türen geklebt, damit sie informiert sind“, erzählte Grace. „Ich muss dringend die Telefonnummer des Vermieters und die Versicherungsunterlagen finden.“

Wieder bebte ihre Stimme fast unmerklich.

„Geht es Ihnen gut?“, fragte Roland in der Hoffnung, sie möge nicht in Tränen ausbrechen.

„Ich habe schon bessere Tage erlebt.“ Sie reckte das Kinn vor. „Schlechtere aber auch. Ich werde es überleben. Tut mir leid. Ich würde Ihnen ja eine Tasse Tee anbieten, aber ohne Wasser und Strom geht das leider nicht.“

„Kein Problem. Ich rufe meinen Klempner an. Wir sollten das Sofa woanders hinstellen, bevor es komplett durchweicht.“

„Und das Regal. Und das Bett. Und …“ Grace seufzte. „Wenigstens habe ich einen Kombi. Ich werde alles, was ich tragen kann, rausschaffen und irgendwo einlagern müssen, bis die Wohnung wieder trocken ist. Dummerweise haben meine Freundinnen auch nur winzige Appartements – und keine Garage, die ich nutzen könnte. Es läuft wohl auf einen dieser verschließbaren Container hinaus.“

„Moment.“ Roland ging aus der Wohnung, rief erst den Klempner an und anschließend eine Firma für Gebäudesanierung, die er früher schon mal beauftragt hatte. Auf dem Weg hierher war er an einem Café vorbeigekommen. Kurzerhand holte er dort zwei schwarze Kaffee, ein paar Zuckertütchen und zwei Schokoladenbrownies. Falls Grace keinen Kaffee trank – tja, heute wäre eine gute Gelegenheit, damit anzufangen.

So spät am Abend brauchte sie eine ordentliche Portion Glück, um noch einen Container aufzutreiben. Roland hatte mehr als genug Platz für ihre Sachen. Eigentlich wollte er sich raushalten, aber wäre seiner Schwester so etwas passiert, hätte er gewünscht, dass sich jemand um sie kümmerte. Grace war die Schwägerin seines besten Freundes. Das machte ihn doch irgendwie verantwortlich, oder?

Auf dem Rückweg zum Appartement rief er einen Mitarbeiter an und bat ihn, einen Lieferwagen vorbeizubringen.

Grace lud schon die ersten Habseligkeiten in ihren Kofferraum, als Roland zurückkehrte.

„Kaffee.“ Er reichte ihr einen Becher. „Ich wusste nicht, wie Sie ihn trinken, deswegen habe ich ihn schwarz genommen und Zucker mitgebracht.“

„Danke. Wie viel schulde ich Ihnen?“

Er schüttelte den Kopf. „Schon in Ordnung. Und ich habe einen Lieferwagen bestellt. Haben Sie ein paar Taschen, Kartons oder Koffer, die ich packen kann?“

„Einen Lieferwagen?“, fragte Grace verdutzt.

„Ihre Wohnung ist klein, aber wir werden nicht alle Sachen in Ihrem und meinem Wagen unterbringen.“

„Darum haben Sie einen Lieferwagen gemietet?“ Ihre Augen weiteten sich. „Das macht Sinn. Ich hätte selbst darauf kommen sollen. Vielen Dank. Natürlich erstatte ich Ihnen die Summe, die Sie vorgestreckt haben.“

„Nicht nötig – es ist mein Lieferwagen.“

Sie runzelte die Stirn. „Aber Sie haben mit diesem Schlamassel gar nichts zu tun, also warum …?“

„Weil Sie Hughs Schwägerin sind. Hätte meine Schwester einen Wasserrohrbruch, wenn ich im Ausland bin, würden Hugh und Tarq ihr helfen. Deshalb helfe ich Ihnen.“

„Wenn man bedenkt, dass Sie und ich uns bei der Hochzeit nicht gerade blendend verstanden haben, ist das wirklich nett von Ihnen. Ich weiß es zu schätzen. Vielen Dank.“

Roland glaubte allmählich, dass er Grace tatsächlich falsch eingeschätzt hatte. Wäre sie eine verzogene Trinkerin gewesen, hätte sie jetzt gejammert und erwartet, dass andere Leute die Probleme für sie lösten – vermutlich, während sie selbst ein Glas Wein hinunterkippte und ansonsten keinen Finger rührte.

Stattdessen hatte sie während seiner Abwesenheit zügig Sachen aus der Wohnung geräumt. Das Schuldgefühl, das in ihm aufkeimte, gefiel ihm nicht. Er gab ihr einen Brownie. „Schokolade. Hilft immer, sagt meine Schwester.“

Zum ersten Mal sah er Grace richtig lächeln. Bestürzt wurde ihm klar, dass es ihm vorkam, als hätte jemand plötzlich die Straßenlaternen angeknipst.

„Klingt, als wäre Ihre Schwester eine kluge Frau.“

„Das ist sie.“

Roland Devereux war nun wirklich der Letzte, von dem sich Grace Hilfe erhofft hatte. Heute benahm er sich ganz anders als auf der Hochzeit. Diesmal fühlte sie sich in seiner Gesellschaft nicht so wie in der von Howards Mutter. Er behandelte sie wie einen Menschen statt wie etwas Ekliges, das an seiner Schuhsohle klebte.

Gestärkt durch Kaffee und Muffins hatten Roland und Grace fast alle Sachen in Kartons und Taschen nach draußen geschafft, bis der Lieferwagen eintraf. In der Zwischenzeit waren Grace’ Nachbarn zurückgekehrt. Sie reagierten mitfühlend auf die Nachricht vom Wasserrohrbruch und gaben Grace die Telefonnummer des Vermieters.

Da er nicht an den Apparat ging, hinterließ sie ihm eine Nachricht und ihre Handynummer.

Gleich darauf erschien der Klempner.

„Diese Rohre sind schon sehr alt“, meinte er. „Das System scheint irgendwo verstopft zu sein, und hier gab es eine schwache Lötstelle, die dem hohen Druck nicht standhalten konnte.“

„Also habe ich nichts falsch gemacht?“, vergewisserte sich Grace.

„Nein, es war einfach Pech. Ich kann das Leck jetzt provisorisch flicken und mich morgen richtig darum kümmern.“

Sie nickte. „Ja, bitte. Schicken Sie mir die Rechnung, dann bezahle ich sie umgehend.“

„Nicht nötig – das übernimmt der Chef.“

„Der Chef?“

„Roland.“

Wie bitte? Roland hatte nichts mit dieser Rechnung zu schaffen. Grace fehlte die Zeit für eine Diskussion. Sie würde es später klären.

Kaum hatte sie sich vom Klempner verabschiedet, tauchte ein Mann auf, der sich als Mitarbeiter einer Firma für Gebäudesanierung vorstellte. Er fotografierte das Appartement und bat Grace, ein Lineal aus Metall an die Wand zu halten, um die Wassertiefe zu dokumentieren. „Für die Versicherung“, erklärte er. Dann holte er eine Maschine aus seinem Lieferwagen und fing an, damit das Wasser abzupumpen.

„Ich bin Ihnen wirklich dankbar für alles“, sagte Grace zu Roland. „Nur noch eine Frage: Können Sie mir vielleicht eine Firma empfehlen, die Lagerräume vermietet?“

Er zuckte die Schultern. „Sie können Ihre Sachen bei mir unterstellen.“

Grace blinzelte überrascht. „Aber Sie kennen mich doch gar nicht. Heute treffen Sie mich erst zum zweiten Mal. Ich könnte eine Betrügerin sein.“

„Sie sind Hughs Schwägerin, das genügt mir als Referenz.“ Er zögerte. „In diesem Appartement können Sie unmöglich bleiben, solange es feucht ist.“

„Ich weiß.“ Sie verzog das Gesicht. „Heute kann ich hoffentlich bei einer Freundin übernachten. Morgen suche ich mir dann ein Hotel oder so.“

Ein guter Plan. Wenn Roland Grace jetzt beipflichtete, war er aus dem Schneider.

Autor

Kate Hardy
Kate Hardy wuchs in einem viktorianischen Haus in Norfolk, England, auf und ist bis heute fest davon überzeugt, dass es darin gespukt hat. Vielleicht ist das der Grund, dass sie am liebsten Liebesromane schreibt, in denen es vor Leidenschaft, Dramatik und Gefahr knistert?
Bereits vor ihrem ersten Schultag konnte Kate...
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