Rotes Haar - Herz in Gefahr!

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Der erfolgreiche Anwalt Gideon St. Claire muss den Bodyguard spielen, als seine neue Kollegin Joey bedroht wird. Tag und Nacht soll er die temperamentvolle Rothaarige vor einem rachsüchtigen Klienten beschützen - mehr nicht! Allerdings findet er die bezaubernde Joey immer aufregender, und bald kann er ihren sinnlichen Reizen nicht mehr widerstehen. Doch kaum kommt es zu einer leidenschaftlichen Liebesnacht, wird ihm klar, dass Joey mehr will als ein vorübergehendes erotisches Abenteuer. Dabei hat Gideon der Liebe schon seit Langem abgeschworen …


  • Erscheinungstag 20.02.2012
  • Bandnummer 2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783864940262
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Was ist? Willst du den ganzen Morgen nur herumstehen, oder machst du dich vielleicht mal nützlich und trägst eine von den Kisten für mich zum Fahrstuhl?“

Gideon schloss die Augen und zählte stumm bis zehn. Ganz langsam. Erst dann hob er die Lider.

Leider war es kein Albtraum, aus dem er irgendwann aufwachen würde. Immer noch stand Joey McKinley da und tippte energisch mit einem ihrer mörderisch hohen Stilettos auf den Betonfußboden der privaten Tiefgarage. Ihren Wagen hatte sie zwei Parkbuchten neben seinem abgestellt, und bis eben war ihr gesamter Oberkörper noch in den Tiefen des Kofferraums verschwunden gewesen.

Diese Frau würde in den nächsten vier Wochen sein Verderben sein – wenn er es so weit kommen ließ. Joey McKinley. Achtundzwanzig Jahre alt, knapp mittelgroß und mit feuerroten, langen Haaren, die üppig ihr hübsches Gesicht umrahmten. Die jadegrünen Augen leuchteten herausfordernd, und auf der Nasenspitze zeichneten sich Sommersprossen auf der hellen Haut ab. Ihr Mund war voll und sinnlich, und das enge, schwarze Kostüm schmeichelte ihrer schlanken Figur, während die grüne Bluse perfekt mit den eindrucksvollen Augen harmonierte. Ein hinreißendes Erscheinungsbild – wäre da nicht das unberechenbare Temperament dieser Dame!

„Nun?“, drängte seine persönliche Lieblingsfeindin, und das Klopfen ihres Stilettos auf dem Betonboden wurde etwas lauter und ungeduldiger. Fragend hob sie die schönen, geschwungenen Augenbrauen.

Um etwas Zeit zu gewinnen, atmete Gideon tief durch und wog im Stillen seine Möglichkeiten ab. Noch nachträglich würde er Lucan am liebsten dafür umbringen, dass er ihn in diese Situation gebracht hatte.

Seit knapp zwei Tagen, nachdem Lucan ihn während der Hochzeitsfeier am Samstagabend von den personellen Änderungsplänen in Kenntnis gesetzt hatte, grübelte Gideon darüber nach, was eigentlich in seinen älteren Bruder gefahren war. Solange Lucan und Lexie auf Hochzeitsreise waren und Gideon den Posten als Geschäftsführer des Familienunternehmens St. Claire Corporation innehatte, sollte seine Schwägerin Joey McKinley seinen Posten als rechtlicher Vertreter der Firma übernehmen.

Zwar hatte Gideon entschieden eingewandt, er könne mühelos beide Aufgaben erfüllen, doch davon ließ sich Lucan nicht umstimmen. Er ignorierte sogar Gideons deutlich formulierte Zweifel an einer effektiven Zusammenarbeit mit Joey McKinley.

Als Anwältin respektierte Gideon sie, und in Kollegenkreisen fiel kein negatives Wort über ihre Arbeit. Nur Lob und Bewunderung hinsichtlich ihres resoluten und überzeugenden Auftretens vor Gericht. Doch auf privater Ebene reizte sie ihn bis aufs Blut.

Im Verhandlungssaal wirkten ihre roten Haare wie ein Signalfeuer, das alle Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Ihre Stimme und ihr Lachen waren laut und klangen ein bisschen heiser. Die letzten beiden Male, die Gideon sie gesehen hatte, trug sie Kleider anstelle strenger Kostüme. Einmal eine bodenlange grüne Seidenrobe als Brautjungfer auf der Hochzeit ihrer Schwester Stephanie mit seinem Zwillingsbruder Jordan und dann am Samstag bei Lucans und Lexies Feier ein knallrotes, knielanges Cocktailkleid. Eigentlich hätte es sich mit ihren kupferroten Haaren beißen müssen, tat es aber seltsamerweise nicht. Stattdessen betonte es noch die naturgoldenen und zimtfarbenen Strähnen.

Selbst dem recht nüchternen Businessoutfit von heute musste Gideon gerechterweise Anerkennung zollen. Die kurze Jacke saß eng am Körper und betonte den runden Busen, und der dazu passende Rock war knapp genug, um einen ausgiebigen Blick auf wohlgeformte Beine zu gewähren.

Mit anderen Worten, Joey McKinley war wirklich eine …

„Ich habe schon Farbe schneller trocknen sehen, als du dich bewegst“, rief sie ihm zu.

… eine absolute Landplage!

Zischend sog er ein weiteres Mal den Atem ein und spannte alle Muskeln an. „Musst du eigentlich immer so anmaßend sein?“ Blöde Frage. Mittlerweile kannte er sie gut genug, um zu wissen, dass sie grundsätzlich alles gleich von sich gab, was ihr gerade durch den Kopf ging. Für einen Mann wie Gideon, der jedes einzelne seiner Worte sorgsam überdachte, ein ziemlich verstörendes Verhalten.

Ihre nächste Bemerkung war wieder ein Paradebeispiel für ihre direkte Art. „Vielleicht könnte ich einen anderen Ton anschlagen, wenn du zur Abwechslung deine Arroganz und Überheblichkeit ablegst und uns Sterblichen in der realen Welt Gesellschaft leistest.“

Das saß! Gideon fuhr regelrecht zusammen.

Sie beide hatten sich persönlich erst wenige Male gesehen. Natürlich am letzten Samstag, aber zum ersten Mal vor etwa neun Wochen in Joey McKinleys Büro bei Pickard und Wright. Dort hatte er ihr mitgeteilt, dass es ihm gelungen war, ihre Zwillingsschwester Stephanie aus einer juristisch prekären Situation zu befreien. Die Hochzeit seines Bruders Jordan mit Stefanie bot in den darauffolgenden Wochen zwei weitere Anlässe, sich zu sehen. Das machte insgesamt vier Begegnungen, mehr nicht.

Wie kam diese Frau dann dazu, sich ein Urteil über ihn zu erlauben?

Ihm fiel ein, wie überrascht er bei Jordans Hochzeit auf die Schwester der Braut reagiert hatte. Die Vorbereitungen für den großen Tag verliefen reibungslos, und als Trauzeuge war es Gideons Aufgabe, gemeinsam mit Jordan am Altar zu warten. Während Stephanie dann in ihrem fantastischen Brautkleid langsam auf sie zuschritt, spürten sie beide einen dicken Kloß im Hals, so wunderschön sah sie aus. Dann bemerkte Gideon den höhnischen Ausdruck auf Joeys Gesicht, während sie dicht hinter ihrer Schwester herging. Seltsamerweise irritierte ihn dieser Anblick nicht besonders, da sie beide bereits auf den ersten Blick eine herzliche Abneigung zueinander gefasst hatten.

Nein, einen echten Grund, um überrascht zu sein, lieferte sie ihm erst später während der Zeremonie. Die Gäste hatten sich hingesetzt, nur das Brautpaar und die Trauzeugen standen am Pult, um die Urkunden zu unterzeichnen, als Gideon plötzlich einen Engel singen hörte.

Ein einzelner Sopran, ohne musikalische Begleitung, erhob sich majestätisch gen Himmel und erfüllte den Innenraum der Kirche mit seinem glockenhellen, melodischen Klang.

Nie zuvor hatte er etwas so Schönes wie diese Stimme gehört, so rein und schwermütig, dass sie auf magische Weise die Seele berührte. Er hatte sich regelrecht benommen gefühlt, der realen Welt enthoben, so sehr nahm ihn die Vollkommenheit dieser Darbietung gefangen. Gideon brauchte eine Weile, bis ihm auffiel, wie gebannt die Hochzeitsgäste zum rechten Flügel der Kirche blickten. Und er sah, dass es sich bei dem singenden Engel um niemand anderen als Joey McKinley handelte.

Joey wusste nicht, wie es Gideon St. Claire immer wieder gelang, ihre schlechtesten Seiten zum Vorschein zu bringen. Ständig hatte sie das Bedürfnis, ihn wegen seiner offensichtlichen Arroganz anzugreifen. Vielleicht missfiel ihr seine Überheblichkeit wirklich, oder es störte sie einfach, wie unzugänglich er in emotionaler Hinsicht war.

Er schien so zurückgezogen und eingekapselt, dass es schon fast eine persönliche Beleidigung für sein Gegenüber war. Die akkurat geschnittenen blonden Haare, die makellosen Anzüge und gestärkten weißen Hemden, die glänzende silberne Limousine – alles Merkmale einer perfekten, unüberwindlichen Fassade der Zurückhaltung. Hätte Joey auch nur ansatzweise so viel Geld wie er zur Verfügung, würde sie mindestens einen knallroten Ferrari fahren!

Möglicherweise nahm sie Gideon auch übel, dass er vor wenigen Wochen mit seinen maßgefertigten auf Hochglanz polierten Lederschuhen einfach so in ihr Büro spazierte und sich dann auch noch bezüglich einer heiklen juristischen Angelegenheit als Retter in der Not erwies.

Eine Angelegenheit, in der sie selbst versagt hatte.

Ganz sicher aber rührte ihre Antipathie nicht von der Tatsache her, dass dieser sündhaft attraktive Mann sie überhaupt nicht als Frau wahrnahm.

Die Natur hatte ihn mit einem markanten und trotzdem nicht zu harten Gesicht ausgestattet, das von dunklen Augen dominiert wurde. Dazu hohe Wangenknochen, eine aristokratisch geschwungene Nase, feste Lippen und eine energische Kinnlinie. Unzählige Male hatte Joey ihn heimlich in Augenschein genommen und war schließlich davon überzeugt, dass sich unter den teuren Maßanzügen der Körper eines muskulösen Raubtieres versteckte. Das konnte sie an Gideons geschmeidigem Gang erkennen, glaubte sie zumindest …

Es kam selten vor, dass Gideon nicht wusste, was er sagen oder tun sollte, um sein Ziel zu erreichen. Nur eines war ihm völlig klar: Er konnte unmöglich so eng mit dieser vorlauten jungen Dame zusammenarbeiten. Nach vier Wochen wäre er reif für die Irrenanstalt!

Auch wenn sie die Gesangsstimme eines Engels hatte.

Andererseits war es eine Weltpremiere, dass Lucan sich einen ganzen Monat freinahm und unter keinen Umständen während seiner Hochzeitsreise gestört werden wollte. Trotzdem war Gideon nicht sonderlich überrascht. Seine beiden Brüder benahmen sich unberechenbar, seit sie ihren Traumfrauen begegnet waren und diese auch noch geheiratet hatten. Nicht, dass Gideon etwas gegen Stephanie oder Lexie einzuwenden hätte – er mochte sie sogar sehr. Aber das sonderbare Verhalten seiner Brüder ging ihm ziemlich gegen den Strich.

Jordan, ein Top-Schauspieler, der sich gute zehn Jahre lang mit Kolleginnen aus der Showbranche vergnügt hatte, war vor zwei Monaten aus heiterem Himmel seiner Physiotherapeutin verfallen. Und alle Anzeichen sprachen dafür, dass er sich auch nach der Hochzeit weiterhin wie ein verliebter Gockel aufführen würde. Die Dreharbeiten zu seinem derzeitigen Film richtete er sogar komplett nach Stephanies Arbeitszeiten in der Praxis aus, die sie nach ihrem Umzug in Los Angeles eröffnet hatte.

Und bevor Lucan seiner Lexie begegnet war, nahm er sich höchstens mal zwei Tage von der Firma frei, die er zu einem der erfolgreichsten internationalen Unternehmen auf dem Weltmarkt gemacht hatte. Lucan war ein Getriebener, sein ganzes Leben lang schon vom Ehrgeiz besessen. Doch das hatte sich mit Lexies Erscheinen vor wenigen Wochen plötzlich geändert.

Gideons Weltbild war ins Wanken geraten, denn seine Familie schien plötzlich zu zerfallen. Er war für seinen Anwaltsberuf immer hundert Prozent im Einsatz, ebenso wie Jordan als Schauspieler und Lucan als Geschäftsmann.

Nun hatten die vergangenen zwei Monate alles durcheinandergebracht, was für Gideon, dem Ordnung und Kalkül über alles ging, eine Tortur bedeutete. Und vier Wochen mit Joey McKinley auf engstem Raum würden alles nur noch schlimmer machen.

„Gut, dann fangen wir doch gleich damit an, dass ich dich ab sofort Joey nenne“, erklärte er bereitwillig und seufzte nur innerlich. „Es ist Pickard, Pickard und Wright bestimmt nicht leichtgefallen, dich gehen zu lassen, oder? Ganz besonders nicht Jason Pickard.“

Diese Anspielung traf sie unvorbereitet. „Was genau meinst du mit dem letzten Satz?“, fragte sie in strengem Tonfall, den sie sonst nur vor Gericht anschlug.

Ihm gefiel diese Unterhaltung in der Tiefgarage immer weniger, denn schließlich konnte jederzeit einer seiner Mitarbeiter auf der Bildfläche erscheinen. Zwar war es erst kurz nach acht Uhr morgens, und der allgemeine Betrieb begann offiziell um neun Uhr, trotzdem könnte sie ein Frühankömmling in dieser höchst unprofessionellen Situation überraschen.

Um wenigstens nicht mehr laut schreien zu müssen, lief Gideon mit schnellen Schritten auf Joey zu und blieb abrupt stehen, als ihm ihr frisches, angenehmes Parfüm in die Nase stieg. Es war leicht, eigentlich nur ein Hauch, wie er überrascht feststellte. Dabei hätte er Joey eher einen Duft zugetraut, der ihre starke Präsenz unmissverständlich demonstrierte. Von intensiven Parfums dieser Sorte bekam er sofort Kopfschmerzen, aber dieses hier war ein Genuss.

Sein Mund wurde schmal. „Damit wollte ich lediglich zum Ausdruck bringen, wie unvernünftig ich Lucans Vorschlag finde, deine Anstellung bei Pickard, Pickard und Wright aufzugeben, nur um für wenige Wochen hier einspringen zu können.“

Einen Moment lang fühlte sich Joey von Gideons plötzlicher Nähe abgelenkt. Wieder einmal empfand sie es als Verschwendung, dass er seinen hinreißenden Körper in einem tristen Businessanzug versteckte. Aber vielleicht war es auch besser so: Gideons Attraktivität konnte ihr jetzt schon ziemlich gefährlich werden.

Wäre sein Haar nur eine Spur länger, würde ihn das jünger und absolut sexy aussehen lassen. Schön wäre auch, den steifen Zweiteiler mal gegen ausgewaschene Jeans und ein figurbetontes schwarzes T-Shirt zu tauschen. Dann könnte Joey endlich einen genaueren Blick auf Gideons muskulöse Brust und seine Arme werfen. Vermutlich genügte ihr der bloße Anblick, und heiße Wellen der Erregung würden in ihr aufsteigen!

Verschmitzt lächelte sie in sich hinein. Bestimmt würde Mr Perfekt einem Anfall erliegen, könnte er in diesem Moment ihre Gedanken lesen!

„Was ist denn bitte so amüsant?“

Ehrlich gesagt fand sie die Vorstellung von einem freundlicheren und attraktiveren Gideon, der sich gegen die Belagerung unzähliger Frauen zur Wehr setzen musste, ziemlich lustig. Weniger gut gefiel ihr allerdings die Tatsache, dass dieser Mann wirklich umwerfend sexy sein würde, wenn er nur nicht ganz so verkniffen wäre. Viel zu sexy für Joeys Geschmack.

Schnell schüttelte sie diesen unwillkommenen Gedanken ab und sah direkt in Gideons finsteres Gesicht. Er war ganz und gar nicht ihr Typ. Sie mochte Männer, die genügend Wagemut und Energie hatten, um sich in immer neue Herausforderungen zu stürzen. Gideon vermittelte eher den Eindruck, als wäre sein letztes Abenteuer der Versuch gewesen, schwarze anstelle von grauen Socken anzuziehen.

Lächelnd atmete sie durch. „Keine Sorge, ich habe meinen Job bei Pickard, Pickard und Wright nicht gekündigt. Die Seniorpartner waren nur allzu gern bereit, mich für einen Monat freizustellen, damit ich Lucan aushelfen kann.“

Es ärgerte Gideon nach wie vor, dass er als Letzter von diesen doch recht aufwendigen Plänen erfuhr. „Wann genau hat Lucan das eigentlich alles veranlasst?“

„Vor drei Wochen.“ Forschend betrachtete sie ihn. „Und wann hat er dir die frohe Botschaft mitgeteilt?“

Gideon erstarrte. „Warum klingt das so ironisch, wenn du von einer frohen Botschaft sprichst?“

„Na, das liegt doch auf der Hand. Man kann dir deine mangelnde Begeisterung für dieses Arrangement deutlich anmerken.“ Sie tat seine Zwischenfrage mit einer ungeduldigen Handbewegung ab. „Also? Wann?“

Lautlos knirschte er mit den Zähnen. „Ich weiß nicht, warum das jetzt so besonders interess …“

„Er hat es dir erst am Samstag auf der Hochzeitsfeier gesagt, oder?“, unterbrach sie ihn und zog fragend die Augenbrauen hoch.

Gideon war ratlos, warum seine eiserne Selbstkontrolle ständig versagte, sobald er in die Nähe dieser speziellen Frau geriet. Viele erfolgreiche Jahre im Gerichtssaal hatten ihm den Ruf eines erstklassigen Strategen eingebracht. Und als juristische Vertretung seines älteren Bruders bei schwierigen internationalen Geschäftsverhandlungen schätzte man ihn als ebenso souverän und überlegen ein wie Lucan.

Und dann brachte ihn ein einfaches Gespräch mit der unberechenbaren Joey McKinley völlig aus dem Konzept. Und das war noch mild ausgedrückt.

„Ich habe mitten ins Schwarze getroffen, oder etwa nicht?“, hakte sie erbarmungslos nach, und mit ihren funkelnden grünen Augen schien sie ihn beinah auszulachen. „Das hat dir vermutlich den Rest des Wochenendes vermasselt, nicht wahr?“

Seine Finger schlossen sich fester um den glatten Griff des Aktenkoffers. „Mein Wochenende verlief perfekt, und ich habe es sehr genossen, vielen Dank“, log er und versteifte sich. „Ich war gestern noch gemeinsam mit Stephanie und Jordan zum Lunch aus. Sie fliegen heute Morgen zurück nach Kalifornien.“

„Ich weiß, schließlich habe ich heute mit ihnen gefrühstückt und sie dann zum Flughafen gefahren. Aber keiner von beiden hat erwähnt, ob du dich nach meiner Telefonnummer erkundigt hast. Damit habe ich eigentlich gerechnet, dann hätten wir dieses Gespräch schon früher führen können.“

Eigentlich hatte er sich tatsächlich ihre Privatnummer geben lassen wollen, doch dann verzichtete Gideon lieber darauf, andere in seinen privaten Konflikt mit Joey hineinzuziehen. Sie hatten in der Firma schließlich noch genügend Zeit, ihre Differenzen zu klären und die Kompetenzbereiche abzusprechen, falls man nicht umhin kam, miteinander zu arbeiten.

„Vielleicht wolltest du ja auch nicht, dass man falsche Schlüsse zieht?“, mutmaßte sie kokett.

„Wie bitte? Wovon sprichst du?“

„Von meiner Privatnummer natürlich. Bestimmt wolltest du vor Steph und Jordan nicht den Anschein erwecken, du hättest ein Auge auf mich geworfen?“, fragte sie spöttisch.

Gideon schnappte hörbar nach Luft, und sein Hals fühlte sich plötzlich heiß wie Feuer an. „Das ist wohl ziemlich unwahrscheinlich.“

„Findest du?“

Bildete er sich das ein, oder stand Joey dichter vor ihm als gerade eben noch? Und zwar so dicht, dass er in ihrem Ausschnitt die Rundungen zweier aufregender Brüste und sogar den Rand eines Spitzen-BHs erkennen konnte. Das Blut jagte immer schneller durch seine Adern, und seine Kehle wurde trocken.

Lieber Himmel!

„Diese Unterhaltung zeigt deutlich, dass eine Zusammenarbeit zwischen uns schlichtweg unmöglich ist …“, murmelte er gepresst.

Wie auf Knopfdruck wurde auch Joeys Tonfall wieder kühl und geschäftsmäßig. „Ich habe meine Absprachen mit Lucan getroffen und nicht mit dir. Wer mich kennt, weiß ganz genau, dass ich in dieser Hinsicht absolut zuverlässig bin. Eine Charaktereigenschaft, die dir ebenso wichtig ist wie mir, stimmt’s?“

Woher wollte diese Anwältin wissen, was ihm wichtig war? „Ich bin sicher, Pickard, Pickard und Wright sind eher auf deine juristischen Fähigkeiten angewiesen als ich“, versuchte Gideon es mit einer anderen Strategie.

„Ganz im Gegenteil, man hat äußerst positiv auf Lucans Anfrage reagiert“, versicherte Joey.

Kann ich mir vorstellen, dachte er missmutig. Pickard, Pickard und Wright waren sich der Tatsache bewusst, was es an Prestige mit sich brachte, wenn einer ihrer Angestellten vorübergehend für die renommierte St. Claire Corporation arbeitete. Und von einem herausragenden Geschäftsmann wie Lucan persönlich engagiert zu werden, konnte Joeys Karriere auch nicht schaden.

„Um es auf den Punkt zu bringen: Lucan ist mit dieser Regelung einverstanden, meine Kanzlei ist mit dieser Regelung einverstanden, demnach bist du hier der Einzige mit einem Problem.“ Herausfordernd blickte sie ihm direkt in die Augen.

Kühl erwiderte er ihren Blick. „Ich erinnere mich nicht, von einem Problem gesprochen zu haben.“

„Nein?“

„Nein.“

„Dann scheint die Angelegenheit ja doch zur Zufriedenheit aller Beteiligten geregelt“, sagte sie abschließend.

Von wegen! Aber wie könnte Gideon sich die Blöße geben, grundlos zu behaupten, eine vierwöchige Zusammenarbeit mit Joey wäre inakzeptabel?

Diesen Moment wählte Joey, um seine trüben Gedanken zu unterbrechen. „Würdest du mir bitte trotzdem noch erklären, was du mit deiner Bemerkung vorhin gemeint hast? Dass insbesondere Jason Pickard mich vermissen würde?“

Es war zu spüren, dass sie nicht länger provozieren wollte, sondern eine ernsthafte Antwort erwartete. Oberflächlich schien sie einfach nur interessiert zu sein, doch Gideon entging nicht die Anspannung in ihrer Stimme. Auch an den funkelnden grünen Augen konnte er ablesen, wie ärgerlich Joey war, obwohl ihm kein plausibler Grund für ihre Wut einfiel. Schließlich wusste in Juristenkreisen jeder, dass sie während der letzten sechs Monate mit Pickard Junior zusammen gewesen war.

Seine breiten Schultern zuckten leicht. „Es ist doch allgemein bekannt, dass ihr beide befreundet seid.“

„Ganz genau das sind wir, Freunde“, bestätigte sie scharf. „Nicht mehr und nicht weniger.“

„Es tut mir aufrichtig leid, wenn ich dir zu nahe getreten bin.“

„Bist du nicht, das habe ich doch gerade eben klargestellt“, gab sie ungerührt zurück.

Gideon presste die Lippen aufeinander. „Ich werde mich nicht mit dir über einen Kommentar streiten, für den ich mich bereits entschuldigt habe.“

„Streitet sich überhaupt manchmal jemand mit dir, Gideon?“

„Ganz offensichtlich“, antwortete er trocken.

„Dies ist doch kein Streit, Gideon, eher ein normaler Dialog“, wehrte sie ab.

„Für so etwas habe ich wirklich keine Zeit“, sagte er und schüttelte den Kopf. „Wenn du mich entschuldigen würdest?“

„Würde ich nicht!“ Mit einem Mal trat sie so eng an ihn heran, dass Gideon ihren Atem an seinem Kinn spürte. Durch ihre mörderisch hohen Stilettos waren sie beinahe auf gleicher Augenhöhe.

Gideon wünschte inständig, er hätte diese Auseinandersetzung gar nicht erst begonnen. Warum konnte er nicht einfach die Kisten aus Joeys Kofferraum ausladen und anschließend mit dem Lift nach oben in die Büroräume fahren, um sich dann hinter Lucans gigantischem Schreibtisch zu verschanzen?

Immerhin war er vierunddreißig Jahre alt, hatte großen Erfolg in seinem Beruf und seine gelegentlichen, nüchternen Affären mit Frauen schlugen bei ihm emotional kaum zu Buche. Echte Zuneigung empfand Gideon nur seinen beiden Brüder und seiner Mutter gegenüber, ansonsten interessierte ihn der Rest der Menschheit herzlich wenig.

Und jetzt drängte sich Joey McKinley in sein Blickfeld, was ihm überhaupt nicht passte! Er konnte den Zitronenduft ihres Shampoos riechen, und die goldenen Strähnchen in den roten Haaren leuchteten von Nahem besonders schön. Ein faszinierendes Farbenspiel, das unmöglich gefärbt sein konnte. Schließlich hatte ihre Zwillingsschwester ebenfalls diesen speziellen rötlichen Braunton im Haar.

Wie es sich wohl anfühlte? So weich und seidig, wie es aussah? Oder störrisch und kratzig, so wie diese Frau sich auch benahm?

Unbewusst wich Gideon einen Schritt zurück, bevor er aus Versehen noch die Hand nach ihr ausstrecken konnte. „Der Umstand, dass deine Schwester mit meinem Bruder verheiratet ist, macht uns beide irgendwie zu Verwandten“, begann er umständlich. „Aber lass mich eines ein für alle Mal klarstellen! Ich habe nicht das leiseste Interesse an deinem Sexualleben.“

Die Vehemenz seiner Worte ließ sie aufhorchen. Gegen ihre Schwester Stephanie hatte er nichts, das wusste Joey, warum also reagierte er so allergisch auf sie selbst? Und das schon seit ihrer ersten Begegnung!

Wahrscheinlich hatte er sich schon vor ihrem ersten Treffen ein Urteil über sie gebildet. Schließlich ging er auch davon aus, sie wäre fest mit Jason Pickard liiert, und mit dieser Annahme stand er nicht allein da. Es kursierten seit geraumer Zeit haltlose Gerüchte über Joyes Beziehung zu ihrem Kollegen.

Zugegebenermaßen war Jason ein ausgesprochen attraktiver Mann, und sie ging wenigstens einmal in der Woche mit ihm zum Essen aus. Joey genoss diese Abende sehr und amüsierte sich köstlich in Jasons Gegenwart, allerdings hatte ihre Freundschaft nichts mit Sex oder gar Liebe zu tun.

Zwischen ihnen hatte sich mit der Zeit so etwas wie eine Scheinbeziehung entwickelt, weil Jason in Wahrheit einen Mann liebte, den er an der Universität kennengelernt hatte und mit dem er sich seit zehn Jahren ein Apartment teilte. Unglücklicherweise wussten seine Eltern, Pickard Senior und dessen Frau Gloria, nichts von der Homosexualität ihres Sohnes. Und würden sie davon erfahren, wären die erzkonservativen Herrschaften ganz sicher alles andere als erfreut darüber.

Joey hatte sich aufrichtig gefreut, als Jason sie zum ersten Mal ausführen wollte. Immerhin war er der Sohn ihres Vorgesetzten. Doch es dauerte nicht lange, bis sie herausfand, wie wenig er es eigentlich auf sie abgesehen hatte. In ihrer unverblümten Art stellte sie ihm ein paar direkte Fragen und erhielt darauf überraschend ehrliche Antworten. Jasons Neigung machte für Joey keinen Unterschied, soweit es ihre Freundschaft betraf. Er war ungeheuer nett und sehr unterhaltsam. Deshalb erklärte sie sich auch bereit, sein Geheimnis zu schützen, solange er es wünschte. Warum auch nicht, immerhin tat sich im Augenblick nichts in ihrem eigenen Liebesleben. Und so war der Mythos über ihre gemeinsame Beziehung geboren und offenkundig selbst bis zu Gideon St. Claires Ohren vorgedrungen.

Joey lächelte kühl. „Warum stehen wir dann noch hier herum und sprechen davon?“

„Du …“ Frustriert brach er ab und straffte die Schultern. „Also, wollen wir jetzt die Kisten nach oben tragen und endlich mit der Arbeit beginnen?“ Gideon schnappte sich den obersten Karton aus dem Kofferraum ihres knallroten Minis und steuerte damit auf den Lift zu.

Joey klemmte sich die zweite Kiste unter den Arm, schloss den Wagen ab und lachte zufrieden in sich hinein. Die nächsten vier Wochen versprachen höchst erfrischend zu werden, sollte es ihr gelingen, Gideon noch einige Male aus der Fassung zu bringen. Das dürfte spaßig werden, und nicht nur für sie selbst …

2. KAPITEL

„Wo willst du hin?“, fragte Gideon scharf, als er bemerkte, dass sie ihm nicht zu seinen Büroräumen folgte. Stattdessen war sie vor der Tür stehen geblieben, hinter der normalerweise Lucans Sekretärin arbeitete. Zurzeit war das Zimmer frei, weil Lexie als Lucans Assistentin angefangen hatte und inzwischen mit ihm auf Hochzeitsreise in der Karibik herumjettete.

Ihre giftgrünen Augen richteten sich auf ihn. „Ich glaube, Lucan hat sich durchaus etwas dabei gedacht, als er vorschlug, ich solle lieber Lexies freies Büro belegen als deines. Vielleicht ein diplomatischer Schachzug?“, spöttelte Joey.

Nach der herben Überraschung, die ihm sein ältester Bruder am Wochenende bereitet hatte, glaubte Gideon nicht mehr an Diplomatie. Er runzelte die Stirn. „Wieso kennst du dich hier aus? Woher weißt du, in welchem Büro Lexie gearbeitet hat?“

„Du meinst, abgesehen von der Tatsache, dass ihr Name groß an der Tür steht?“

Ihr Sarkasmus verletzte seinen Stolz empfindlich. „Ja, abgesehen davon“, gab er zähneknirschend zurück.

Sie zuckte mit den schlanken Schultern. „Ich war vergangenen Donnerstag nachmittags hier, damit Lucan mich genau in die Vorgänge einweisen kann, um die ich mich während seiner und Lexies Abwesenheit kümmern soll.“

Donnerstagnachmittag. Der einzige Nachmittag in der Woche, an dem Gideon nicht im Gebäude der St. Claire Corporation, sondern in seinem kleinen Büro in der Stadt arbeitete. Das hatte Lucan mit Absicht getan, verdammt!

„Und was genau hat er dir aufgetragen, hinsichtlich der Dinge, die du für ihn erledigen sollst?“ Außer natürlich, eine lästige Landplage zu sein!

Autor

Carole Mortimer
Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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