Verlockender als jeder Schatz

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Ein archäologischer Fund auf Saraminda soll Flora zu neuen Schmuckkreationen für "C & F" inspirieren. Doch stattdessen entdeckt sie auf der Insel einen ganz anderen Schatz: Bram Farraday erweist sich als hinreißender Reisebegleiter - und als ihr schärfster Konkurrent!


  • Erscheinungstag 31.05.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778019
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

London Evening Post, Rubrik: Unsere Stadt

Was ist bei Claibourne & Farraday los?

Nach Peter Claibournes Abreise letzten Monat geht das Gerücht um, Londons schickstes Warenhaus sei zum Kriegsschauplatz geworden, da sich die Claibournes und die Farradays eine Schlacht um den Vorstandsvorsitz liefern.

Die beiden Familien halten jeweils neunundvierzig Prozent der Geschäftsanteile, wobei der verbleibende „Goldene Anteil“ von zwei Prozent – und damit auch die absolute Kontrolle über das Unternehmen – dem jeweils ältesten männlichen Erben einer der beiden Familien zufällt.

Peters hübsche Töchter, die sozusagen zum Inventar des Warenhauses gehören, seitdem ihre Babyfotos in den ersten Bestellkatalogen von C & F erschienen sind, lassen derzeit gerichtlich prüfen, ob die Zweiprozentregelung nicht dem Gedanken der Gleichberechtigung widerspricht. Solange das nicht entschieden wurde, weigern sie sich, ihren Platz zu räumen. Die Claibournes haben unser Blatt wissen lassen, dass sie sich ihrer Position sicher seien und den Farradays vorgeschlagen hätten, sich während der kommenden Monate von ihnen „beschatten“ zu lassen. Daran knüpft sich dann das Versprechen, zurückzutreten, falls die Männer den Job besser machen können.

Die heutige Überraschungsmeldung von der Hochzeit der jüngsten Claibourne-Tochter Romana mit Niall Farraday Macaulay in Las Vegas lässt darauf schließen, dass zumindest ein Farraday beeindruckt genug von der zu beschattenden Frau war, um sie zu heiraten.

Da nun Bram Farraday Gifford an der Reihe ist, der Schmuckeinkäuferin und – designerin Flora Claibourne über die Schulter zu sehen, sind wir auf den Ausgang dieser Beschattungsaktion besonders gespannt. Wir halten Sie auf dem Laufenden.

Memorandum

Von: JD Farraday

Zur Kenntnis: Bram Farraday Gifford

Betreff: Claibourne & Farraday

Bram, die Claibourne-Frauen arbeiten mit allen Mitteln. Wenn Romana Claibourne in der Lage war, Niall auf ihre Seite zu ziehen, muss sie wesentlich klüger sein, als sie aussieht. Flora Claibourne, deren Akte ich Dir per Fahrradkurier zukommen lasse, sieht einfach nur klug aus.

Da der Fehdehandschuh nun geworfen ist, sehe ich keinen Grund, warum Du nicht Deinen berüchtigten Charme einsetzen solltest, um einen Gleichstand zu erzielen.

E-Mail

An: Flora Claibourne, London

Von: Dr. T. Myan, Minister für Kulturerbe, Saraminda

Meine liebe Miss Claibourne,

Sicherlich haben Sie die Berichte über die sensationelle Entdeckung der reich ausgestatteten Grabstätte einer jungen Frau auf Saraminda gehört. Wie Sie sich vorstellen können, überschütten uns seitdem Journalisten mit Anfragen, die darauf abzielen, die „verlorene Prinzessin“ – wie die Presse sie getauft hat – zu sehen.

Meine Regierung hat mich nun dringend gebeten, an Sie als Expertin in Sachen antikem Schmuck und Autorin von „Das Gold der Aschanti“ heranzutreten, um über den Schatz zu schreiben. Ein Artikel in einer britischen Sonntagszeitung über die unbekannte Prinzessin, die nach ihrem Tod mit Gold und Edelsteinen überschüttet wurde, würde sofort Interesse für unsere Insel wecken. Aber nur Ihre Kenntnisse verbunden mit Ihrem lebendigen Schreibstil würden unserem wahrlich außerordentlichen Fund gerecht.

Ich wäre Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, wenn Sie mir antworten könnten, sobald Sie zurück sind.

Ihr ergebener Diener,

Tipi Myan

Fax

Von: India Claibourne

An: Bram Gifford

Betreff: Beschattungsaktion

Miss Flora Claibourne wird am Mittwoch, dem ersten Mai, eine Geschäftsreise nach Saraminda antreten. Da Sie meine Schwester im Monat Mai beschatten sollen, habe ich dafür gesorgt, dass Sie sie begleiten können. Zu Ihrer Information liegt die Reiseroute bei.

Ein Fahrer wird Sie abholen und rechtzeitig zum Flughafen bringen. Sollten Sie noch Fragen haben, rufen Sie bitte in meinem Büro an.

1. KAPITEL

„Saraminda?“ Bram Gifford hatte India Claibournes Fax von seiner Sekretärin entgegengenommen. „Ist das nicht irgendeine langweilige Insel im Nirgendwo, die außerhalb der Regenzeit einmal pro Woche angeflogen wird, vorausgesetzt der Pilot ist nüchtern?“

„Nicht ganz, ich habe mich übers Internet schlaugemacht. Demnach ist Saraminda ein unentdecktes Paradies.“

„Ich glaube, in den Begriff ‚Paradies‘ wird zu viel hineininterpretiert. Unweigerlich lauert immer irgendwo die Schlange.“ Das wusste er selbst nur allzu gut. „Und diesmal scheint sie gleich mitzufliegen.“ Er verstummte. „Was für eine Dienstreise kann man denn bitte auf so eine Insel machen?“

„Ich schätze mal, Flora Claibourne wird sich diese sagenumwobene ‚verlorene Prinzessin‘ näher ansehen wollen, deren sterbliche Überreste man samt Grabbeigaben in einer Ruine irgendwo tief im Innern der Insel gefunden hat.“

„Und was ist daran geschäftlich?“

„Flora Claibourne entwirft Schmuck für das Warenhaus. Vielleicht will sie sich inspirieren lassen.“

Bram legte das Fax auf seinen Schreibtisch. „Ich glaube eher, es ist ein Trick, um mich vom Geschehen hier fernzuhalten. Während diese Flora mit mir durch den Urwald streift, suchen die Claibournschen Anwälte eine Möglichkeit, uns Farradays aus dem Weg zu räumen.“

„Vielleicht, aber Sie haben nun einmal eingewilligt, die Frau zu beschatten. Da können Sie doch das Geschäftliche mit dem Angenehmen verbinden und ein bisschen Urlaub machen.“

„Das wird kein Urlaub.“

„Es wird bestimmt nicht so schlimm, wie Sie meinen, vorausgesetzt, Flora Claibourne ist so hübsch wie ihre Schwestern.“

Bram hielt seiner Sekretärin ein Exemplar vom „Gold der Aschanti“ hin. Obwohl es sich bei dem Buch um eine Dokumentation handelte, hatte es dermaßen die Aufmerksamkeit der Menschen erregt, dass der Titel über Nacht zum Bestseller geworden war. „Ihr Foto ist auf der Rückseite“, erklärte Bram und überließ es seiner Sekretärin zu urteilen, ob Flora Claibourne hübsch war.

„Nun, man kann nicht alles haben. Immerhin fliegen Sie ins Paradies, auch noch eine Eva dazuzubekommen, wäre wohl zu viel verlangt. Sie legen sich dort schön in die Sonne, schließen die Augen und denken daran, dass Sie unbedingt die Leitung des Warenhauses an sich reißen wollen.“

„Haben Sie eigentlich nichts zu tun?“, fragte Bram gespielt verärgert.

„Doch, aber das hier ist interessanter. Ich gehe uns schnell einen Kaffee holen.“

Sich selbst überlassen zog Bram seine Brieftasche heraus. Ganz hinten, an einem Platz, wo ihn niemand sehen konnte, bewahrte er einen Schnappschuss von einem kleinen Jungen mit einem Welpen auf. Lange betrachtete er das Foto. Er wollte es schon wieder in seinem Versteck verschwinden lassen, entschloss sich dann aber, es sichtbar in die Fotolasche zu schieben.

Dadurch würde er immer daran erinnert, dass er schon einmal geglaubt hatte, das Paradies gefunden zu haben – als er noch jung und naiv gewesen war.

Flora hätte am liebsten laut geschrien, mit den Füßen auf den Boden gestampft und mit Sachen um sich geworfen, so wie ihre Mutter, wenn sie nicht ihren Willen bekam. Aber da Flora aus Erfahrung wusste, wie wenig man damit erreichte, hielt sie sich zurück und versuchte es im Guten. „Ich fliege nach Saraminda, um mir einige antike Schmuckstücke anzusehen, Fotos zu machen und einen Artikel zu schreiben, India. Bram Gifford wird nicht gerade begeistert sein, wenn er herausfindet, dass die Reise nichts mit dem Warenhaus zu tun hat.“

„Dann musst du ihn eben davon überzeugen, dass es doch etwas mit C & F zu tun hat. Erzähl ihm, dass du an der Schmuckkollektion fürs nächste Jahr arbeitest. Wenn er misstrauisch wird, bittest du ihn um Rat, aus welchem Winkel du die Schmuckstücke am besten fotografierst“, schlug India vor. „Männer können nicht widerstehen, ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Besonders nicht, wenn es sich um Farradays handelt“, fügte sie gereizt hinzu. „Du musst mir Bram Gifford einfach vom Leib halten, solange unsere Anwälte an einer Strategie arbeiten, die Farradays an der Übernahme des Vorstandsvorsitzes zu hindern. Das ist doch nicht zu viel verlangt?“ India atmete tief durch und fügte hinzu: „Es sei denn, du willst, dass sich die Farradays hier breitmachen.“

Eigentlich war es Flora egal, wer die Firmenleitung übernahm, aber sie war klug genug, das nicht laut auszusprechen.

„Und am wenigsten kann ich gebrauchen, dass er sich hier auf eigene Faust umsieht und unangenehme Fragen stellt, während du auf Saraminda bist.“

An sich vertrat Flora die Ansicht, dass Bram Farraday Gifford als einer der Hauptanteilseigner durchaus das Recht hatte, Fragen zu stellen, und war zuversichtlich gewesen, dass er in London bleiben würde. Aber offensichtlich hatte sich ihre Superfluchtmöglichkeit gerade als Trugschluss erwiesen. „Haben die Anwälte irgendwelche Fortschritte gemacht?“, fragte sie jetzt hoffnungsvoll.

„Nun, die Vereinbarung, dass der älteste ‚männliche‘ Erbe das Sagen haben solle, liefert beachtlichen Zündstoff in Sachen ‚Diskriminierung der Frau‘. Aber das wird Jordan Farraday nicht lange abhalten, seinen Führungsanspruch erneut geltend zu machen. Er ist älter als ich, also würde ihm die Leitung auch zustehen, wenn er einfach nur der ‚älteste‘ Erbe wäre.“

„Und danach müssten sich die Familien überschlagen, den nächsten ‚ältesten‘ Erben hervorzubringen.“

India zuckte die Schultern. „Ich schätze mal, wir Frauen hätten da einen entscheidenden Vorteil.“

Das bezweifelte Flora doch stark, da es an Freiwilligen sicher nicht fehlen würde, wenn Bram Gifford ein Kind zeugen wollte.

„In der Zwischenzeit“, fuhr India fort, „muss ich versuchen, geltend zu machen, dass eine Nachfolgeregelung nur sinnvoll ist, wenn dadurch der bessere Kandidat den Vorstandsvorsitz erhält.“

„Dann beweis doch, dass du die bessere Wahl bist. Leg deine Pläne für die Überholung und Erneuerung des Warenhauses und der zugrunde liegenden Geschäftsidee vor.“

„Da gibt’s nur ein Problem.“

„Und das wäre?“

„Ich kann meine Pläne nicht gerade jetzt offenlegen, weil sie beinhalten, den Namen Farraday aus dem Firmennamen zu streichen.“

„Wie bitte?“

„Ich will das Warenhaus als ‚Claibourne’s‘ wieder eröffnen. Ein griffiger, moderner Name anstatt des umständlichen Doppelnamens.“

„Verdammt, ich wünschte, das hättest du mir nicht erzählt.“ Geheimnisse waren bei Flora nicht gut aufgehoben. Zumindest nicht solche. Sie hatte schon ihren gesamten Vorrat an Geheimnisgenen aufgebraucht, um etwas ganz Bestimmtes für sich zu behalten. „Ich schätze mal, wenn du ihnen sagst, dass du ihren Namen aus dem Warenhausschriftzug streichen möchtest, könntest du auch gleich …“

„… einem Bullen ein rotes Tuch vorhalten?“ India nickte. „Bestimmt würde eine einstweilige Verfügung dann nicht lange auf sich warten lassen.“

„Genau.“

„Wie auch immer, auf jeden Fall musst du mir diesen Bram Gifford für den nächsten Monat vom Hals halten. Versuch, ihn mit einem deiner Geistesblitze zu beeindrucken. Zeig ihm, wie unerlässlich du für den Erfolg des Warenhauses bist. Ich glaube zwar nicht, dass er zu uns überlaufen wird, aber wenn du ihn neutralisieren könntest …“

„Damit willst du doch nicht sagen, dass ich ihn so ‚neutralisieren‘ soll wie Romana Niall?“, fragte Flora bestürzt. „Dann muss ich dir leider sagen …“

„Bis die beiden aus den Flitterwochen zurück sind, wissen wir nicht, wer wen neutralisiert hat“, fiel ihr India ins Wort. „Ich brauche dich, Flora, ehrlich.“

Dass ihre Halbschwester zugab, überhaupt jemanden zu brauchen, war etwas ganz Neues. Bisher hatte India immer als Einzelkämpferin schlechthin geglänzt. Aber Flora hatte einfach ein Problem, Bram Gifford bei sich zu haben. „Ich verstehe einfach nicht, was ich da tun kann. Der Mann wird mir nur ein Klotz am Bein sein.“

India lächelte. „So schlimm wird’s schon nicht werden. Ich habe mich ein wenig über Bram Gifford erkundigt. Er scheint bei allen Frauen ganz oben auf der Wunschkandidatenliste zu stehen.“

„Nicht auf meiner“, sagte Flora mit Nachdruck. Im VIP-Magazin „Celebrity“ hatte sie Fotos von ihm gesehen – er war ein Prachtexemplar von einem Mann mit breiten Schultern und blonden Haaren. Ihre Mutter würde ihn anbeten. Darüber hinaus strahlte er Reichtum und Macht aus, hatte aber auch eine hübsche Freundin nach der anderen.

„He, ich meinte doch nicht, dass du etwas Ernstes mit ihm anfangen sollst. Aber es kann schließlich nicht schaden, ein bisschen zu flirten. Hauptsache, du verliebst dich nicht in ihn, egal, was du mit ihm machst.“

Die Warnung ist überflüssig, dachte Flora. Wenn sich dieser Bram Gifford tatsächlich an ihre Fersen heften wollte, würde der kommende Monat schon schlimm genug, ohne dass sie sich auch noch zur liebestollen Närrin machte. Einmal war mehr als genug gewesen. Aber das sagte sie ihrer Schwester nicht, sondern: „Mach dir doch nichts vor! Es gibt keine einzige Frau auf der Welt, die sich nicht in ihn verlieben würde. Dafür sind Männer wie Bram Gifford da“, fügte Flora noch hinzu, schnitt aber rasch ein Gesicht, damit ihre Halbschwester wusste, dass sie nur Spaß machte. Dabei konnte Flora allerdings nicht umhin, wieder an ihre Mutter zu denken, die über die Jahre eine richtige Sammlung dieses Männertyps angelegt hatte.

India lachte mehr aus Erleichterung, da sie wusste, dass sie gewonnen hatte. „Ich habe so das Gefühl, es wird für Bram Gifford eine ganz neue Erfahrung sein, dich kennenzulernen.“

Bram blätterte durch die Akte mit Zeitungsausschnitten, die in irgendeiner Form Flora Claibourne betrafen. Das Einzige, was ihm dabei sofort auffiel, war ihr Alter. Offensichtlich war sie wenigstens zehn Jahre jünger, als das Foto auf dem Buchumschlag vermittelte. Ansonsten gab es kaum interessante Berichte über sie.

Offensichtlich behandelten die Journalisten sie als Anhängsel. Sie gehörte einer bekannten Familie an, deren Mitglieder immer Stoff für gute Artikel lieferten. Doch über diese Flora selbst gab es nicht viel zu berichten. Sie hatte bisher wohl keine Affären gehabt, die die Öffentlichkeit interessierten. Ganz im Gegensatz zu ihrer Mutter.

Peter Claibournes zweite Frau hatte sich ihren Lebensunterhalt vor der Ehe als Fotomodell verdient. Sie war groß, hatte lange Beine und besaß ein unglaublich gutes Aussehen, zumindest auf den Fotos von damals. Sie war allerdings nicht lange mit Claibourne zusammengeblieben. Das war sie mit keinem Mann. Sie musste jetzt so etwa Mitte vierzig sein, obwohl die Schönheitschirurgie und schmeichelnde Ausleuchtung sie eher so alt wirken ließen wie ihre Tochter. Vielleicht sah man die beiden deshalb auch kaum gemeinsam auf Fotos, seitdem Flora dem Babyalter entwachsen war. Der Mythos der ewigen Jugend ihrer Mutter hätte sich nicht mit einer erwachsenen Tochter vertragen. Und da Maras neuester Ehemann – ihr ehemaliger Fitnesstrainer – bedeutend jünger war als sie, musste sie diese Illusion wohl unbedingt aufrechterhalten.

Wahrscheinlich war es auch Flora lieber so, die ihrer Mutter vom Aussehen her nicht das Wasser reichen konnte. Bei den wenigen öffentlichen Anlässen, bei denen Flora gezwungen gewesen war, im Abendkleid und mit Make-up aufzutreten, schien sie sich überhaupt nicht wohlgefühlt zu haben. Wenn man die Fotos betrachtete, hatte man den Eindruck, als wäre sie am liebsten an ihren Schreibtisch und zu ihren Büchern zurückgekehrt. Irgendwie sah sie aus, als wäre sie noch Jungfrau und wüsste nichts mit ihrem Körper anzufangen. Andererseits konnte das eigentlich nicht sein: Immerhin war sie schon sechsundzwanzig Jahre alt.

Das Klingeln an der Haustür riss Bram aus seinen Betrachtungen. Er nahm sein Gepäck und ging zur Tür.

„Mr Gifford? Ich soll Sie zum Flughafen bringen, Sir.“

„Es tut mir leid, dass ich Sie einfach so aus Ihrem Tagesgeschäft reißen muss, Mr Gifford. Ich hoffe, damit habe ich Ihnen nicht allzu viele Unannehmlichkeiten bereitet.“ Flora Claibourne sah kaum von ihren Notizen auf, als Bram sich zu ihr auf den Rücksitz der Limousine setzte, mit der der Fahrer sie zum Flughafen bringen sollte.

Die Frau trug einen zerknitterten Leinenanzug in einer undefinierbaren Farbe. Das Haar hatte sie aufgesteckt und unzureichend mit Haarnadeln und – klammern befestigt. Unwillkürlich dachte Bram: Absichtlich hätte sie sich auch nicht unattraktiver machen können. Wie er Frauen verabscheute, die keinen Wert auf ihr Äußeres legten und stattdessen von den Männern erwarteten, sich auf die Suche nach ihren inneren Werten zu begeben! Da hatte er Neuigkeiten für sie: Dem Durchschnittsmann lag nichts an innerer Schönheit. Aber als Mitglied der Familie Farraday und Anwalt war es nicht seine Aufgabe, ihr das mitzuteilen, sondern einen Weg zu finden, die Claibourne-Frauen so unspektakulär wie möglich aus der Vorstandsetage zu entfernen.

Wieder warf sie ihm einen Blick zu, ohne dabei aufzusehen – aus den Augenwinkeln sozusagen. Dabei war er erstaunt über ihre auch ohne Mascara dichten, langen Wimpern. Bei jeder anderen Frau hätte er das als Eröffnungszug zu einem Flirt angesehen, aber Flora Claibourne schien überhaupt nicht zu wissen, welchen Effekt ein derartiger Blick haben konnte. Vielleicht war sie aber auch raffinierter, als er dachte. Irgendetwas von ihrer Mutter musste schließlich auf sie abgefärbt haben.

„Haben Sie Wanderschuhe dabei?“

Wanderschuhe? Als Bram das hörte, dachte er: Nein, sie hat keine Ahnung, was ein solcher Blick bewirken kann. „Sollte ich?“

Sie zuckte die Schultern. „Ich beabsichtige, einen Ausflug ins Inselinnere zu machen. Wahrscheinlich sind die Wege dort nicht besonders gut befestigt. Sie brauchen mich natürlich nicht zu begleiten.“ Flora Claibourne hob den Arm und steckte einen Haarkamm fest. „Bestimmt bleiben Sie lieber am Strand.“

Anders formuliert hieß das, sie wäre froh, wenn er dort bliebe. Wahrscheinlich hätte sie es ohnehin am liebsten gesehen, wenn er gar nicht erst mitgekommen wäre. Aber es war schließlich nicht seine Aufgabe, sie glücklich zu machen. „Ganz im Gegenteil, Miss Claibourne, ich bin dabei, egal, wo’s hingeht. Mich interessiert alles, was Sie tun.“

Ihrem Blick nach zu urteilen, schien sie das zu bezweifeln, widersprach ihm aber nicht, sondern wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihren Notizen zu. Offenbar wollte sie ihm so zu verstehen geben, dass ihre Unterlagen interessanter waren als alles, was er zu sagen haben mochte.

Bei jeder anderen Frau hätte Bram wieder angenommen, dass es nur Teil eines Spiels war, ihn für sich zu interessieren. Aber bei Flora Claibourne war mehr als eindeutig, dass sie solche Spielchen nicht mochte. Ihr war wirklich egal, was er sagte.

Damit ging die erste Runde eindeutig an sie.

Da sie ihn so offensichtlich ignorierte, öffnete er seine Aktenmappe, nahm eine brandneue Hardcover-Version ihres Buchs „Das Gold der Aschanti“ heraus und begann ebenfalls zu lesen.

Flora bemerkte durchaus, dass dieser Bram Gifford versuchte, ihr zu schmeicheln, indem er ihr Buch las. Allerdings überraschte es sie, dass er sich überhaupt die Mühe dazu machte. Nicht dass es ihr wichtig gewesen wäre, denn sein Verhalten beeindruckte sie nicht. Diese Tricks kannte sie zur Genüge.

Jetzt strich er sich mit langen Fingern das sonnengebleichte Haar aus der Stirn – ein geradezu klassischer Versuch eines Mannes, die Aufmerksamkeit einer Frau auf sich zu lenken. Zugegebenermaßen hervorragend umgesetzt, ohne dass es im Mindesten gestellt gewirkt hätte. Vielmehr sah es aus, als befleißigte er sich dieser Geste schon immer – und hätte sie nicht stundenlang vor dem Spiegel geübt.

Doch Bram Gifford mochte der weltbeste Charmeur sein, aber sie war immer noch nicht beeindruckt. Dazu musste er mehr tun, als sich lässig durchs Haar zu fahren und Interesse an ihrem Buch vorzutäuschen. Wenigstens zwang er ihr kein Gespräch auf, solange er vorgab, an der Kunstgeschichte Westafrikas interessiert zu sein. Mit ein bisschen Glück las er den ganzen Weg bis nach Saraminda.

Saraminda! Allein der Name klingt schon exotisch, und die Insel selbst enttäuscht nicht, dachte Flora, als der Pilot des kleinen Flugzeuges, mit dem man sie vom Flughafen der Hauptinsel abgeholt hatte, eine Kurve beschrieb, sodass Flora einen hervorragenden Blick auf das unter ihr liegende Tal mit der tropischen Berglandschaft hatte.

An den Ausläufern wurden die Hänge terrassenförmig bewirtschaftet, aber über den Farmen erhoben sich die Berge wellenförmig, bis sie in Spitzen gipfelten, die vom dunkelgrünen Regenwald überzogen waren. Irgendwo dort oben lag angeblich die Ruine eines Tempels, in dem man eine junge Frau mit allen einer Prinzessin gebührenden Ehren bestattet hatte.

Angeblich.

Bei einem Empfang, der vor mehr als einem Jahr vom Reisebüro des Warenhauses gegeben worden war, hatte Flora flüchtig die Bekanntschaft von Tipi Myan gemacht. Damals war er noch nicht Minister für Kulturerbe, sondern Leiter der Touristikbehörde von Saraminda gewesen.

Vielleicht hätte sie an seiner Stelle auch die Gelegenheit genutzt, eine Bestsellerautorin zu bitten, über die „verlorene Prinzessin“ zu schreiben. Ein Artikel von ihr würde wesentlich mehr Interesse an seiner Insel nach sich ziehen als ein Bericht von einem freien Fotojournalisten, der nur nach einer Story suchte, die er verkaufen konnte. Es war Tipi Myans Glück gewesen, dass sie nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau gehalten hatte, die sich nun leider als Zwickmühle entpuppte. Umso deutlicher sagte ihr eine innere Stimme, dass sie von ihm nur benutzt wurde. Jeder nutzte sie aus. Das war schon immer so gewesen, nur durchschaute sie das Spiel inzwischen und konnte dadurch sicherstellen, dass sie nicht mehr verletzt wurde.

Jetzt beugte sich Bram Gifford über ihren Schoß, um besser aus dem Flugzeugfenster sehen zu können. Dabei brachten die Sonnenstrahlen sein strohblondes Haar zum Leuchten. „Gehen wir da hoch?“, fragte er und sah zu den im Nebel liegenden Bergspitzen, die von der Morgensonne angeleuchtet wurden, bevor er sich Flora zuwandte. Dabei dachte sie: Mit seinen karamellfarbenen Augen, um die sich beim Lächeln sympathische Fältchen legen, sieht er einfach super aus.

Autor

Liz Fielding

In einer absolut malerischen Gegend voller Burgen und Schlösser, die von Geschichten durchdrungen sind, lebt Liz Fielding – in Wales

Sie ist seit fast 30 Jahren glücklich mit ihrem Mann John verheiratet. Kennengelernt hatten die beiden sich in Afrika, wo sie beide eine Zeitlang arbeiteten. Sie bekamen zwei Kinder, die...

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