Zwischen Leidenschaft und süßer Rache

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Wie Messerstiche im Herzen fühlen sich seine verachtenden Blicke an. Aber tapfer steht Freya zu ihrem Plan: Sie wird den arroganten Milliardär Benjamin Guillem heiraten, denn sie braucht sein Geld für die teuren Arztkosten ihrer schwerkranken Mutter. Dabei weiß sie genau, dass Benjamins Antrag nur Teil eines Racheplans ist: Er hat sie auf sein Château entführt, um sich an ihrem betrügerischen Verlobten zu rächen. Doch woher kommt diese erotische Anziehungskraft, die die gestohlene Braut in einer magischen Nacht in die Arme ihres Feindes treibt?


  • Erscheinungstag 06.11.2018
  • Bandnummer 2360
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710514
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Benjamin Guillem ließ seinen Blick über die illustre Gästeschar schweifen, die den Garten der prachtvollen Villa bevölkerte, mitten im Herzen von Madrid. Dass er einen Kopf größer war als die meisten hier, machte es ihm leicht. Außerdem schien er als Einziger ohne Begleitung gekommen zu sein und war vermutlich auch der Einzige, der nicht vorhatte, auf Javier Casillas Verlobung anzustoßen.

Als eine Kellnerin vorbeikam, nahm er sich trotzdem ein Glas vom Tablett und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter. Die Champagnerperlen verätzten seine aufgeraute Kehle und verstärkten noch den qualvollen Druck, der seine Brust zu sprengen drohte.

Die Erkenntnis, aufs Schmählichste betrogen worden zu sein, brachte ihn fast um den Verstand. Javier und Luis, die perfiden Casillas-Brüder, hatten ihre lebenslange Freundschaft ausgenutzt, um ihn an den Rand des Ruins zu treiben. Wie es aussah, gab es dafür unumstößliche Indizien.

Trotzdem hoffte er immer noch, die vorliegenden Beweise würden sich als falsch erweisen. Dass ihn seine Instinkte, auf die er sich stets verlassen konnte, diesmal trogen. Die Alternative war zu widerwärtig, um auch nur darüber nachzudenken. Auf jeden Fall würde er diese Party nicht verlassen, bevor er die ganze Wahrheit kannte.

Benjamin organisierte sich ein zweites Glas Champagner und steuerte den kunstvollen Springbrunnen an, von dem aus er das gesamte Terrain überblicken konnte. Er entdeckte Luis am anderen Ende des Gartens, umringt von seiner üblichen Entourage, bestehend aus Jasagern und Speichelleckern.

Seinen Zwillingsbruder Javier zu erwischen, den heutigen Gastgeber, würde sich weit schwieriger gestalten. Anders als Luis war er kein Partyhengst, sondern ein absoluter Verweigerer, was soziale Kontakte betraf. Und das schon immer, noch bevor der Vater der zweieiigen Zwillinge deren Mutter vor mehr als zwanzig Jahren umgebracht hatte.

Seine düsteren Gedanken um die Casillas-Brüder verflüchtigten sich in dem Moment, als Benjamin eine dunkelhaarige Schönheit aus dem eleganten Salon auf den grünen Rasen treten sah. Lächelnd hob sie ihr Gesicht gen Himmel und schloss die Augen, als wolle sie jeden einzelnen Sonnenstrahl auf ihrer Haut einfangen. Ihre Anmut und Grazie ließ auf den ersten Blick die professionelle Tänzerin erkennen.

Auf dieser Party tummelten sich jede Menge Künstler.

Javiers neue Verlobte war Solotänzerin in der Ballettkompanie, die das Brüderpaar zum Gedenken an ihre Mutter gegründet hatte. Benjamin fragte sich, ob die graziöse Ballerina wusste, dass sie nur eine Trophäe für ihren Verlobten war. Und selbst wenn, störte es sie ja möglicherweise gar nicht.

Er selbst hatte sich nie fürs Ballett oder die dazugehörige Klientel begeistern können, bis heute …

Die Abendsonne zauberte rötliche Reflexe aufs dunkle Haar der grazilen Schönheit. In weichen Wellen fiel es über die Schultern auf den schmalen Rücken herab. Die zarten Gesichtszüge wirkten eher interessant als ebenmäßig, was möglicherweise an dem festen Kinn lag, dessen Entschlossenheit durch den großzügigen Mund mit der schwellenden Unterlippe etwas gemildert wurde.

Als spürte sie sein intensives Starren, wandte sie plötzlich den Kopf, und ihre Blicke tauchten ineinander. Ohne den Augenkontakt abzubrechen schob sie die feingeschwungenen Brauen in einer stummen Frage zusammen, dann zuckte ein Lächeln um ihre Mundwinkel.

Benjamin merkte, wie sich der Druck in seiner Brust verstärkte. Nein, eine klassische Schönheit war sie nicht, aber auffallend und absolut faszinierend. Er konnte einfach nicht den Blick abwenden, und ihr schien es ebenso zu gehen. Ein magischer Moment, der nur ihnen beiden gehörte – das wortlose Einverständnis zweier Fremder.

Dann tauchte ein Schatten in ihrem Rücken auf, sie blinzelte, und der Bann war gebrochen.

Es war der Gastgeber, Javier, der aus dem Wintergarten trat, um sich zu seinen Partygästen zu gesellen. Als er Benjamin sah, neigte er grüßend den Kopf und legte seinen Arm demonstrativ besitzergreifend um die schmale Taille der Tänzerin.

Erst diese Geste machte Benjamin endgültig klar, dass die Frau, deren Lächeln jetzt seltsam eingefroren wirkte, Javiers Verlobte war. Verärgert über sich selbst presste er die Lippen zusammen, schüttelte die Verzauberung ab, die ihn sekundenlang umfangen gehalten hatte, und besann sich wieder aufs Wesentliche. Er war schließlich nicht hier, um zu feiern oder zu flirten, sondern aus geschäftlichen Gründen.

„Benjamin, wie schön, dich zu sehen“, begrüßte Javier ihn im Näherkommen. „Ich glaube, du kennst meine Verlobte Freya noch nicht, oder?“

„Nein.“ Als er ihr direkt ins Gesicht schaute, sah er, wie sich die schmalen Wangen röteten. „Es freut mich, Sie kennenzulernen.“

Unter anderen Umständen hätte er sich tatsächlich gefreut und ganz sicher versucht, den sprechenden Blickkontakt auszuweiten. Jetzt empfand er eher Unbehagen. Keine Frau, die verlobt war, sollte einem anderen Mann Blicke zuwerfen, wie er und Freya sie ausgetauscht hatten.

Eine offizielle Vorstellung zwischen seinem ältesten Freund und seiner brandneuen Verlobten empfand Javier offenbar als überflüssig. „Hast du Luis schon gesehen?“

„Bisher nicht, aber ich hoffe, das baldmöglichst nachholen zu können. Wir müssen reden. Luis, du und ich … vertraulich“, sagte er brüsk.

Während Javier ihn aus schmalen Augen musterte, herrschte angespanntes Schweigen zwischen ihnen. Dann nickte Javier langsam und winkte einen Kellner heran. „Finden Sie meinen Bruder und sagen Sie ihm, dass Señor Guillem und ich ihn in meinem Arbeitszimmer erwarten.“ Ohne seiner Verlobten eine Erklärung zu gönnen, nahm er seinen Arm von ihrer Taille, wandte sich abrupt um und verschwand im Haus.

Zwei Monate später …

Lächle, Freya, dies ist eine Party, und das Ganze ist für einen guten Zweck. Lächle für die Kameras, für deinen Verlobten, der immer noch nicht aufgetaucht ist, aber von dir erwartet, dass du deinen Charme spielen lässt, auch in seiner Abwesenheit.

Lächle für die anderen Gäste, die dir fremd sind, und tu so, als wärt ihr intime Freunde, während du deine Wange an ihre presst oder sie mit falschen Luftküssen begrüßt, während sich dir der Magen umdreht …

Lächle, während du vorgibst, am Champagner zu nippen, und lächle dem Personal zu, das silberne Platten mit köstlichen Hors d’Œuvres herumreicht, aber komm nicht auf die Idee, davon auch nur zu probieren …

Einfach nur lächeln …

Und das tat sie, so unverdrossen und ausdauernd, dass ihre Wangenmuskeln schmerzten.

Zur Solotänzerin der Compania de Ballet de Casillas befördert zu werden, bedeutete eine große Verantwortung. Nun war sie das offizielle Gesicht des neuen State-of-the-Art-Theaters, das die Casillas-Brüder bauen ließen und das in Kürze eröffnet werden sollte. Ihr Gesicht war es, das sämtliche Anzeigen und Plakate zierte, die das große Ereignis ankündigten. Und sie tanzte auch die Solopartie in der Eröffnungsproduktion.

Sie, Freya Clements, Sprössling einer Familie aus East London, die so arm war, dass sich ihre Eltern im Winter oft zwischen Essen oder Heizung entscheiden mussten.

Es war ein Traum. Ein gelebter Traum.

Und die Ehe mit Javier Casillas würde … ja, was würde sie sein?

Fast hätte sie es als die Krönung bezeichnet, doch das war die falsche Metapher. Oder das falsche Gleichnis? Sie hatte die beiden Begriffe noch nie richtig definieren oder auseinanderhalten können. Wie auch immer, es gab kein Gleichnis und keine Metapher, die ihre Gefühle, die geplante Heirat betreffend, auch nur annähernd beschreiben würden.

Javier war reich, immens reich sogar! Niemand wusste, wie viel er und sein Zwillingsbruder Luis wert waren, aber der Zusatz Milliardär fehlte eigentlich nie, sobald einer von ihnen in der Presse auftauchte. Außerdem war Javier unfassbar attraktiv. Und er hatte sie zu seiner Lebenspartnerin erwählt, wie er es ausdrückte.

Als sie ihm das erste Mal begegnete, glaubte Freya, ihrem Prince Charming gegenüberzustehen, nur ohne den Titel oder den dazugehörigen Charme.

Dabei machte es gar nichts aus, dass ihr Verlobter sich eher als mürrisch erwies. Von Liebenswürdigkeit kein Spur! Außerdem war er kaum für sie da, sondern ständig abwesend. Tatsächlich kam ihr das sogar entgegen. Wichtig war nur, ihrer Mutter, deren Zustand sich beängstigend schnell verschlechterte, eine reelle Chance zu verschaffen.

Und deshalb würde Javier Casillas in genau einer Woche ihr Ehemann sein.

Der Ballettbetrieb sollte von dem Tag an für zwei Wochen ruhen, sodass die neuen Schulungs- und Proberäume fertiggestellt werden konnten. Javier hatte angeordnet, ihre Hochzeit so in den Zeitraum einzubetten, dass er ihre Trainingsroutine nicht störte.

Wo blieb er nur? Er hätte bereits vor einer Stunde hier sein sollen. Sie hatte sich in die Damentoilette geschlichen, um ihn anzurufen, aber ihr Handy funktionierte nicht. Es gab hier weder ein Signal noch eine Internetverbindung. Sie würde es später erneut versuchen, sobald sie sich noch einmal verdrücken konnte.

Die Presse war heute Abend besonders stark vertreten, begierig darauf, den ersten öffentlichen Auftritt des verlobten Paares mitzuerleben: „Von Javier Casillas, Sohn der berühmten Primadonna Clara Casillas und Yuri Abramova – eine brisante Vereinigung, die in Drama und Schande endete – und einer Ballerina, deren tänzerisches Potenzial auf eine ähnlich kometenhafte Karriere hoffen ließ wie die seiner Mutter.“

So lautete zumindest die Headline einer hochkarätigen spanischen Zeitschrift, die sich Freya von ihrer besten Freundin und Mitbewohnerin hatte übersetzen lassen. Sophie tanzte ebenfalls im Ballett, teilte ein Apartment mit ihr und beherrschte die spanische Sprache mit einer Leichtigkeit, die Freya die eigene Unzulänglichkeit nur noch mehr vor Augen führte.

Und das nach zwei Jahren in Madrid!

Heute Abend war nahezu das gesamte Ballett-Ensemble anwesend, quasi als dekorative Staffage für die Party, zu Ehren der Sponsoren und Förderer der schönen Künste, um deren Spendenwilligkeit zu erhöhen.

Sophie hatte sich mit einer schweren Migräne entschuldigt, unter der sie in den letzten Wochen bereits häufiger gelitten hatte, wodurch sich Freya noch unsicherer und elender fühlte als ohnehin schon.

Lächeln … einfach nur lächeln! betete sie ihr stummes Mantra heroisch vor sich hin.

Also weitete sie ihre Mundwinkel, akzeptierte mit einer leichten Neigung des Kopfes den angedeuteten Wangenkuss einer der reichsten Frauen Europas und versuchte, nicht in der Parfümwolke zu ersticken, die sie dabei inhalierte.

Aus den Augenwinkeln sah sie eine hohe Gestalt den Ballsaal des Nobelhotels betreten – und erstarrte.

Er war es! Der Mann von ihrer Verlobungsfeier.

Benjamin Guillem.

Der Name, an den sie in den letzten zwei Monaten viel zu häufig gedacht hatte. Und nicht nur das! In ihren Tagträumen hatte sie sich immer wieder sein dunkles attraktives Gesicht in Erinnerung gerufen, um sich abzulenken und zu trösten. Und nachts …

Ein Gefühl drohender Gefahr ließ Freyas Herz schneller schlagen und ihr Blut heiß durch die Adern rauschen. Rasch senkte sie den Blick, wandte sich zur Seite und lächelte einem älteren Herrn zu, der ganz offensichtlich ihre Aufmerksamkeit suchte.

Sie durfte Benjamin auf keinen Fall so intensiv anstarren wie damals auf der Terrasse. Wenn er tatsächlich zu ihr rüberkam, würde sie ihm dasselbe hohle Lächeln schenken wie allen anderen Gästen, und sich darauf konzentrieren, irgendwelche Nichtigkeiten von sich zu geben. Und zwar in einer sorgfältig kultivierten Sprache, die den Ost-London-Akzent vermissen ließ, den sie sich in den letzten Jahren mühsam abtrainiert hatte.

Bei ihrer ersten Begegnung hatte sie sich wie paralysiert gefühlt, unfähig, einen Ton von sich zu geben. Und ihn nur angegafft wie ein alberner Teenager!

Freyas Sinne waren geschärft und in äußerster Alarmbereitschaft. So sehr sie versuchte, sich darauf zu konzentrieren, was ihr der nette alte Herr von seiner tanzbegeisterten Enkelin erzählte, es wollte ihr nicht gelingen.

Und dann war er plötzlich da, stand wartend, hoch aufgerichtet direkt hinter ihrem eher schmächtigen Gesprächspartner und wirkte so bedrohlich, dass ihre Haut am ganzen Körper prickelte. Er verzog keine Miene, als sie höflich über einen schwachen Witz des sichtlich stolzen Großvaters lachte, war aber offenbar wohlerzogen genug, um auf eine natürliche Pause in ihrer Unterhaltung zu warten, bevor er sie ansprach.

„Mademoiselle Clements?“

Zu ihrem Entsetzen stellte Freya fest, dass ihre Stimmbänder wie eingefroren waren, und nickte deshalb nur schwach.

„Wir haben uns auf Ihrer Verlobungsfeier getroffen. Ich bin Benjamin Guillem, ein alter Freund Ihres Verlobten.“

Er hatte einen aufregenden französischen Akzent, wie flüssiger, dunkler Honig. Im Gegensatz zu den anderen Partygästen machte er keine Anstalten, sie in eine Umarmung zu ziehen, sondern starrte sie einfach nur eindringlich an, wie er es schon damals auf der Terrasse getan hatte. Seine markanten Gesichtszüge und der südländische Teint passten perfekt zum rabenschwarzen Haar und den starken Brauen. Eine herrische Nase und die fast verblasste Narbe über dem klassisch geschnittenen Mund vervollständigten ein Portrait, das an die finsteren Helden des Film Noir erinnerte.

Während fast alle Gäste im Smoking erschienen waren, trug Benjamin Guillem zum schwarzen Maßanzug ein schwarzes Hemd mit einer schmalen silbernen Krawatte. Dadurch wirkte das leuchtende Grün seiner unglaublichen Augen, denen nichts zu entgehen schien, noch lebendiger und herausfordernder.

„Ich erinnere mich“, sagte Freya leichthin und zwang sich zu einem nichtssagenden Lächeln, während ihr Herz schmerzhaft im Hals schlug. „Sie haben mir damals meinen Verlobten entführt.“ Wie dankbar sie ihm dafür gewesen war, sagte sie nicht.

Und wie besitzergreifend Javier seine Hand um ihre Taille gelegt hatte. Eine Geste, die andere Frauen zweifellos genossen hätten, sie aber kalt ließ. Freya hoffte nur, ihre Gefühle für Javier würden irgendwann, bevorzugt in nächster Zukunft, so weit auftauen, dass sie sich empfänglicher für seine Berührungen zeigte. Spätestens aber in sieben Tagen, wenn sie vor dem Altar standen.

Bisher hatte Javier sich glücklicherweise noch zurückgehalten, vielleicht, weil er momentan geschäftlich extrem eingespannt war, aber das würde sich nach der Hochzeit unweigerlich ändern.

Dass es keine Liebesheirat sein würde, wussten sie beide, und doch die einzige Ehe, die sie, ebenso wie Javier, bereit war einzugehen und zu leben. Er konnte sich weiterhin in erster Linie seinen Businessverpflichtungen widmen und sie sich ihrem Tanz und ihrer Karriere, bis es Zeit war, Javier den gewünschten Erben zu schenken.

Sie würde weniger seine Gefährtin als seine Vorzeige-Trophäe sein, darüber machte sie sich keine Illusionen. Aber vielleicht könnten sie ja Freunde werden, sobald sie sich etwas besser kannten. Und selbst wenn nicht, war die Ehe mit Javier für sie so etwas wie ein Glückslos …

Alles besser, als hilflos mitansehen zu müssen, wie ihre Mutter dahinsiechte. Als Javiers Frau würde sie in der Lage sein, die Zeit, die der Todkranken blieb, vielleicht zu verlängern, in jedem Fall aber sicherzustellen, dass es ein lebenswertes Leben blieb.

Benjamin neigte leicht den Kopf, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. „Bedauerlich, aber nicht zu vermeiden. Es ging um Geschäfte, die nicht warten konnten.“

„Dasselbe hat Javier behauptet.“ Mehr hatte sie auch nicht aus ihrem Verlobten herausbekommen, als er sich an ihrem Verlobungstag über eine Stunde später wieder zu ihr gesellte. Sein harscher Ton hatte ihr allerdings signalisiert, dass weitere Fragen nicht erwünscht wären.

Bisher war Javier für sie ein Buch mit sieben Siegeln. Unmöglich zu öffnen und darin zu lesen. Wobei ihr Interesse damals zugegebenermaßen auch weder ihrem Verlobten noch seinem Bruder galt, sondern allein dem Fremden, der sie so eindringlich angestarrt hatte. Sie musste sich sehr beherrschen, Javier nicht mit Fragen über diesen Benjamin zu bestürmen, was sie selbst einigermaßen irritierte.

Welch ein Glück, dass Javier es nicht vermochte, ihr Herz derart zum Rasen zu bringen, wie dieser Franzose. Sonst hätte sie zweimal darüber nachdenken müssen, seinen Antrag anzunehmen. So empfand sie ihre bevorstehende Hochzeit und Ehe zwar irgendwie befremdlich, aber es blieb ein Geschäft. Nicht mehr und nicht weniger.

Wichtig war allein ihre Mutter. Und ihrer Karriere würde es auch nicht schaden.

„Falls Sie Javier suchen, muss ich Sie enttäuschen“, sagte Freya, als sich das Schweigen zwischen ihnen unangenehm ausdehnte, nachdem der nette ältere Herr sich zurückgezogen hatte. „Er ist leider noch nicht da. Luis auch nicht, soweit ich weiß.“

Benjamin suchte nach Anzeichen dafür, dass Freya von der Feindschaft zwischen ihm und den Casillas-Brüdern wusste, doch das schien nicht der Fall zu sein. Es hätte ihn auch verwundert, wenn Javier seine Verlobte ins Vertrauen gezogen hätte. Dafür war er einfach nicht der Typ.

Was er allerdings ziemlich heftig spürte, waren unsichtbare Schwingungen, die von ihr ausgingen, als ob ihre gesamte Haut vor Elektrizität knisterte. Eine Energie, die auf ihn übersprang und ihn in den Sog dieser dunklen Augen zog, die ihn schon anlässlich ihrer ersten Begegnung in den Bann geschlagen hatten.

Mon Dieu! Er durfte sich durch nichts und niemand von seiner wichtigen Mission ablenken zu lassen, die er bis auf die letzte Minute geplant hatte.

Anders als auf ihrer Verlobungsparty, hatte sie ihr dunkles Haar heute in einem strengen Ballettknoten gebändigt, ihre zierliche Gestalt wurde durch das ärmellose Samtkleid in dramatischem Scharlachrot noch besonders betont. Die blassen Schultern schimmerten im Schein der prachtvollen Lüster wie kostbarer Alabaster.

Es juckte Benjamin in den Fingern, ihre seidig wirkende Haut zu berühren, und als er sich etwas vorbeugte, wurde er von einem sanften Duft eingehüllt, der seine Sinne benebelte. „Verzeihen Sie, Mademoiselle Clements, ich weiß, dass Javier nicht hier ist“, raunte er so leise, dass nur sie es hören konnte. „Und ich habe Nachrichten, die allein für Ihre Ohren bestimmt sind.“

Als einzige Reaktion zeigte sich auf ihrer glatten Stirn eine winzige steile Falte, die schwarzen Augen weiteten sich eine Spur.

„Darf ich …“ Er wies mit dem Kinn dezent in Richtung der riesigen Schwingtüren.

Freya nickte nach kaum merklichem Zögern, schob ihre Hand durch seine Armbeuge und ließ sich von Benjamin aus dem Ballsaal führen. Mitten durch die prominenten und gut betuchten Sponsoren, die sich prächtig unterhielten, während sie darauf warteten, dass ihre Gastgeber endlich auftauchten, um die Fundraising-Gala zu eröffnen.

Benjamin lächelte grimmig. Wenn alles wie geplant verlief, würden sie darauf noch lange warten müssen …

Unter einer Flut neugieriger Blicke zwang er sich zu einem nonchalanten Lächeln, was ihm nicht mal schwerfiel. Denn sobald Javier irgendwann diesen Ballsaal betrat, würde man ihm mitteilen, dass seine Verlobte ihn am Arm seines ehemaligen Freundes und jetzigen Feindes verlassen hatte.

Dass es so weit kommen musste, hatte er nie gewollt. Es war allein die Schuld von Javier und Luis. Er hatte den Brüdern anlässlich ihres letzten unversöhnlichen Treffens eine Frist gesetzt und sie davor gewarnt, dass die Nichtbegleichung des geschuldeten Betrags Konsequenzen zur Folge haben würde.

Die Frau an seinem Arm war ein unvermeidbarer Kollateralschaden in diesem hässlichen Dilemma, das die betrügerischen Bastarde geschaffen hatten.

Sobald sie die Hotel-Lobby erreicht hatten, blieb Benjamin neben einer Marmorsäule stehen. „Verzeihen Sie mir den kleinen Trick, mit dem ich Sie aus dem Ballsaal gelockt habe, aber Javier steckt in einer Klemme. Er möchte die anderen Gäste nicht beunruhigen und hat mich gebeten, Sie zu benachrichtigen und abzuholen.“

„Ist er verletzt?“ Die leicht raue Stimme passte zu ihrer faszinierenden Erscheinung.

„Nein, zum Glück nicht. Ich soll Sie nur so schnell wie möglich zu ihm bringen.“

Angesichts ihres zweifelnden Blickes, legte er eine Hand über ihre, die immer noch in seiner Armbeuge ruhte. „Kommen Sie, wir wollen uns beeilen.“ Damit marschierte er einfach los, und Freya musste sich konzentrieren, um auf ihren hohen Absätzen mit ihm Schritt halten zu können.

Benjamin fluchte innerlich, als er einen schmerzhaften Druck in der Brust spürte. Scham- und Schuldgefühle ließen sich eben nicht so leicht unterdrücken, zumal eine derart perfide Aktion, wie er sie geplant hatte, eigentlich gar nicht zu ihm passte.

Nom de Dieu! Dies war Javiers Verlobte …

Chloe, Benjamins Schwester, arbeitete als Schneiderin in der Ballettkompanie und kannte Freya. Sie hatte sie als nett beschrieben, wenn auch ein wenig distanziert. Intelligent. Zu intelligent, um nicht genau zu wissen, welchen Mann sie da heiraten würde.

Macht und Geld regieren die Welt und sind mächtige Aphrodisiaka, dachte er zynisch. Aber was für ihn noch viel schwerer wog, war das gefährliche Prickeln, das von der schmalen Frauenhand auf seinem Arm ausging und seinen gesamten Körper in Flammen zu setzen drohte. Schon jetzt rauschte ihm das Blut wie flüssige Lava durch die Venen.

Sein Chauffeur erwartete sie vor dem Hotel. Benjamin half Freya beim Einsteigen und starrte sekundenlang in die Überwachungskamera über dem Eingang, bevor er sich zu ihr setzte.

„Und Sie wissen wirklich nicht, in welchen Schwierigkeiten Javier steckt?“, fragte sie verunsichert nach.

„Mademoiselle Clements, ich bin nur Kurier und Ihr Begleiter auf dieser Reise. Alles andere erfahren Sie, sobald wir unser Ziel erreicht haben.“

„Wo ist Javier?“

„In Florenz.“

„Was? Immer noch?“

„Soweit ich verstanden habe, gab es irgendeine Verzögerung.“

Und zwar eine, die durch meine Sabotage zustande gekommen ist. Benjamin hatte einen Flughafenangestellten bezahlt und ihm einen weiteren Scheck über zehntausend Euro in Aussicht gestellt, wenn er es fertigbrachte, den Abflug von Javiers Privatjet um zwei Stunden zu verzögern. Eine ähnliche Summe ging an ein Handy-Netzwerk, um Freyas Smartphone zu blockieren.

Als sie kaum zehn Minuten später auf einen abgelegenen Flugplatz fuhren, richtete sie sich abrupt im weichen Ledersitz auf. „Ich habe keinen Pass bei mir.“

„Den brauchen Sie nicht.“ Sein eigener Jet wartete auf sie, ebenso wie die Crew, bereit, den Flieger zu starten, sobald Freya und er an Bord und angeschnallt waren.

Benjamin ignorierte den zweiten Ansturm des vehementen Schuldgefühls und biss die Zähne zusammen, während Freya ihm in den Jet folgte. Vertrauensvoll wie ein unwissendes Schäfchen auf dem Weg zur Schlachtbank.

Seit sie das Hotel verlassen hatten, waren kaum dreißig Minuten vergangen. Als sie endlich angeschnallt auf ihren Plätzen saßen, atmete Benjamin tief durch. Sein Plan hatte funktioniert.

Er wandte den Kopf und musterte Freyas zartes Profil. Sie wirkte ruhig, beinahe entspannt. Das einzige Anzeichen von Nervosität zeigte sich im leisen Klopfen ihrer Fingerspitzen auf der Armlehne.

Benjamin schluckte trocken. Er würde sie so schnell wie möglich erlösen.

„Etwas zu trinken?“

Sie wandte sich ihm zu und suchte seinen Blick. „Gibt es hier auch Tee?“

„Ich dachte eher an etwas Stärkeres.“

„Brauche ich das denn?“, fragte sie mit erhobenen Brauen.

Noch nicht, dachte er zynisch, behielt das allerdings für sich. „Nein, aber vielleicht hilft es Ihnen, sich zu entspannen, ma chérie“, murmelte er stattdessen und legte seine Hand über ihre trommelnden Finger.

Freya zuckte zurück und verschränkte ihre Hände im Schoß, was ihm ein leises Lachen entlockte.

Er winkte einen Flugbegleiter heran. „Bringen Sie Mademoiselle Clements ein Getränk ihrer Wahl. Für mich ein Glas Portwein.“

Keine Minute später hielten sie ihre Drinks in Händen, und Freya nippte an ihrem Gin Tonic, den Blick fest auf den dunklen Nachthimmel gerichtet. Kurz darauf versuchte sie, ein Gähnen zu kaschieren.

„Sie sind müde?“, fragte Benjamin höflich.

Die Antwort bestand aus einem heftigen Kopfschütteln, das sich gleich darauf in ein Nicken verwandelte, untermalt von einem weiteren Gähnen. Als sie seinem belustigten Blick begegnete, lachte Freya leise auf. „Verzeihung, aber Fliegen macht mich immer schläfrig. Dasselbe gilt fürs Autofahren. Sind Sie sicher, dass mit Javier alles in Ordnung ist?“, fügte sie übergangslos hinzu.

„Sehr sicher“, lautete die knappe Antwort. „Sie können Ihren Sitz per Knopfdruck in ein recht komfortables Bett umfunktionieren. Soll ich Ihnen dabei helfen?“

Erneutes Kopfschütteln. „Nein danke, nicht nötig …“ Ein weiterer Schluck Gin Tonic.

Schwankend zwischen Belustigung, Rührung und dem unvermeidlichen Schuldgefühl, beobachtete Benjamin ihren stummen Kampf, die Augen offen zu halten. Doch die Lider wurden immer schwerer, und sie blinzelte angestrengt. Minuten später blieben ihre Augen geschlossen, die Brust hob und senkte sich in einem sanften Rhythmus.

Als er sich behutsam vorbeugte und ihr das Glas aus den schlaffen Fingern nahm, hoben sich die Lider, und ihr Blick traf ihn wie ein dunkler, heißer Blitz mitten ins Herz. Während Benjamin noch den Atem anhielt, zuckte um Freyas Mundwinkel ein schwaches Lächeln, dann flatterten die Lider erneut und schlossen sich.

Mit rasendem Puls lehnte er sich in seinem Sitz zurück, schloss die Augen und atmete tief durch. Was hatte diese Frau nur an sich, dass er derart heftig auf sie reagierte? Er verstand es nicht, und das nervte ihn zutiefst.

Nach all den Demütigungen und juristischen Kämpfen, die er in den letzten zwei Monaten wegen der verräterischen Casillas-Brüder hatte ertragen und ausfechten müssen, tauchte nur eins immer wieder vor seinem inneren Auge auf: Freyas Gesicht.

Fast widerwillig öffnete Benjamin die Augen, wandte den Kopf und starrte die Schlafende an. Gut so, dachte er. Die ebenso schwierige wie unvermeidliche Diskussion nicht in luftiger Höhe eröffnen zu müssen, könnte den Schock möglicherweise etwas mildern.

Autor

Michelle Smart
Michelle Smart ist ihrer eigenen Aussage zufolge ein kaffeesüchtiger Bücherwurm! Sie hat einen ganz abwechslungsreichen Büchergeschmack, sie liest zum Beispiel Stephen King und Karin Slaughters Werke ebenso gerne wie die von Marian Keyes und Jilly Cooper. Im ländlichen Northamptonshire, mitten in England, leben ihr Mann, ihre beiden Kinder und sie...
Mehr erfahren