Romana Exklusiv Band 252

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VERFÜHRUNG AUF CAPRI von JAMES, JULIA
Sprachlos blickt Laura den Fremden an, der aus der Limousine steigt. Wen sucht ein eleganter Mann wie er hier in dieser ärmlichen Gegend? Entschlossen geht er auf sie zu - um sie zu einer Reise nach Italien zu überreden! Eine Reise, die ihr Leben auf den Kopf stellt …

DICH BERÜHREN, DICH ZU SPÜREN ... von MONROE, LUCY
Eden hat den Millionär Aristide immer begehrt. Auch in den Zeiten, als er sie in Griechenland allein ließ. Es bricht ihr fast das Herz, dass er sich nach einem schweren Unfall an alles erinnert - außer an sie! Hat er tatsächlich vergessen, wie nah sie sich standen?

EINE HOCHZEIT ZUM VERLIEBEN von MORTIMER, CAROLE
Vor fünf Jahren hat er Gabriella auf Mallorca von sich gestoßen. Diese Frau will nur sein Geld! Jetzt muss er die attraktive Chefköchin heiraten, um ein gemeinsames Erbe anzutreten. Eigentlich eine Vernunftehe, die er jedoch unerwartet mit einem innigen Kuss besiegelt …


  • Erscheinungstag 19.12.2014
  • Bandnummer 0252
  • ISBN / Artikelnummer 9783733740146
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Julia James, Lucy Monroe, Carole Mortimer

ROMANA EXKLUSIV BAND 252

JULIA JAMES

Verführung auf Capri

Wie das erwachte Dornröschen fühlt sich Laura auf dem Galaball in Rom. Und plötzlich ist da auch dieses Prickeln, nach dem sie sich sehnte. Heiß knistert es zwischen ihr und dem fantastisch aussehenden Unternehmer Alessandro di Vincenzo! Nur zu gern lässt sie sich von ihm nach Capri einladen. Bis ihr klar wird, warum er sie eigentlich wachgeküsst hat …

LUCY MONROE

Dich berühren, dich zu spüren …

Wer ist diese andere Frau, die sich in ihre Ehe drängt? Eden ist verzweifelt. So sehr hatte sie gehofft, dass der attraktive, griechische Geschäftsmann Aristide Kouros nach dem schweren Unfall seine Liebe für sie wiederentdeckt. Aber nun begegnet er ihr kalt und abweisend wie nie zuvor. Wie wird er erst reagieren, wenn er von ihrer Schwangerschaft erfährt?

CAROLE MORTIMER

Eine Hochzeit zum Verlieben

Gleich auf den ersten Blick verliebt sich Gabriella in den erfolgreichen Geschäftsmann Rufus Gresham. Ihr Stiefbruder ist der Mann ihrer Träume! Doch am Pool seiner Villa weist er sie rüde zurück. Woher kommt dieser Hass? Zutiefst verletzt reist sie ab … Erst fünf Jahre später sehen sie sich wieder: Denn eine Testamentsklausel zwingt sie vor den Traualtar!

PROLOG

„Was meinst du damit, du bleibst Vorsitzender?“

Alessandro di Vincenzo war sehr aufgebracht. Doch aus Respekt vor seinem deutlich älteren Gesprächspartner versuchte er, sich zu beherrschen.

„Die Situation hat sich geändert“, erwiderte dieser. Er saß in einem ausladenden Ledersessel in der Bibliothek seiner Villa aus dem achtzehnten Jahrhundert – seinem Landsitz vor den Toren Roms.

Alessandro holte tief Luft. Sein maßgeschneiderter eleganter Anzug betonte dabei seinen schlanken, muskulösen Körper. Das schwarze Haar war perfekt geschnitten, und sein Gesicht hätte auch einem Filmstar alle Ehre gemacht – oder aber dem Generaldirektor eines großen italienischen Unternehmens: dunkle Augen mit langen Wimpern, hohe Wangenknochen, eine fein geschnittene Nase, ein markantes Kinn und ein sinnlicher Mund, der jetzt allerdings zu einem dünnen Strich zusammengekniffen war.

„Aber es war doch vereinbart, dass du um meinetwillen zurücktreten würdest …“

„Nein“, entgegnete der ältere Mann. „Ich habe nie eine rechtlich bindende Vereinbarung unterschrieben. Du hast lediglich geglaubt, als Stefano starb …“, seine Stimme brach. Nach einem kurzen Moment fuhr er fort: „Doch die Situation hat sich geändert. Es ist etwas passiert, das ich unmöglich hätte vorhersehen können …“

Ungeduldig zog Alessandro die Augenbrauen zusammen. „Was hättest du nie vorhersehen können, Tomaso?“

Nach kurzem Zögern hob der ältere Mann erneut an: „Als ich Stefanos persönlichen Besitz durchging, habe ich Briefe gefunden – geschrieben vor fünfundzwanzig Jahren. Ich weiß nicht, warum er sie aufgehoben hat. Sicher nicht aus Sentimentalität, denn in ihrem letzten Brief schreibt diese mir unbekannte Dame, sie würde aufhören, ihm zu schreiben – und akzeptieren, dass er ihr nicht antwortet.“

Misstrauisch blickte Alessandro sein Gegenüber an. Langsam wurde er ungeduldig. Tomasos Sohn Stefano, ein überzeugter Junggeselle, war vor zehn Monaten im Alter von fünfundvierzig Jahren mit seinem Rennboot tödlich verunglückt. Daraufhin hatte Alessandro eigentlich in der von seinem verstorbenen Vater und von Tomaso Viale gegründeten Firma, Viale-Vincenzo, befördert werden sollen: vom dynamischen, erfolgreichen Generaldirektor zum Vorsitzenden – mit vollständiger Kontrolle über das Unternehmen.

Alessandro hatte Tomaso Zeit zum Trauern gelassen, obwohl dessen Verhältnis zu seinem Sohn aufgrund seines ausschweifenden Lebens nie gut gewesen war. Und er hatte sogar akzeptiert, dass Tomaso nach Stefanos Tod vorübergehend den Vorsitz des Unternehmens übernommen hatte. Aber jetzt reichte es. Tomaso hatte ihm Grund zur Annahme gegeben, dass er sich vor Ende des Geschäftsjahres zurückziehen und ihm die volle Verantwortung für die Firma übertragen würde.

Ungeduldig dachte er daran, dass er eigentlich nach Rom hätte fahren wollen, um sich mit der überaus reizvollen Delia Dellatore zu vergnügen.

Er warf Tomaso einen prüfenden Blick zu. Seit Stefanos Tod schien dieser um Jahre gealtert zu sein.

„Was hast du denn entdeckt, Tomaso?“, hakte Alessandro nach.

Mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck sah dieser ihn an. „Wie du weißt, hat Stefano sich immer geweigert zu heiraten und lieber ein wildes Leben geführt. Ich hatte also wenig Hoffnung, dass sich unsere Familienlinie fortsetzen würde. Die Briefe, die ich gefunden habe, stammen von einer jungen Engländerin. Sie bat darum, Stefano möge zu ihr kommen, zumindest jedoch bestätigen, dass er ihre Briefe und damit die wichtige Nachricht, die sie ihm darin mitteilte, erhalten habe.“

Für einen Moment schwieg er, und in seinem Gesicht spiegelten sich Wehmut und Entschlossenheit wider.

„Sie hat ein Kind von Stefano bekommen, eine Tochter. Meine Enkelin.“ Tomaso blickte dem jüngeren Mann in die Augen. „Ich möchte, dass du sie findest und zu mir bringst, Alessandro.“

1. KAPITEL

Laura spannte die Schultern und hob die Griffe der schwer beladenen Schubkarre an. Das hoch aufgetürmte feuchte Feuerholz schwankte, fiel jedoch nicht herunter. Sie blinzelte die Regentropfen von ihren Wimpern und schob die Karre über den unebenen Boden des Obstgartens zum Hof hinter ihrem Haus. Das hohe, nasse Gras peitschte gegen ihre Gummistiefel, und ihre abgetragene Cordhose war ebenso regenfeucht wie ihre verwaschene Jacke. Doch Laura war Regen gewöhnt. Davon gab es hier in Devon, im Südwesten Englands, schließlich genug.

Dank des gesammelten Feuerholzes brauchte sie weniger Geld für Strom und Öl auszugeben, und Laura musste sparen, wo sie nur konnte. Nicht nur wegen der dringend erforderlichen Arbeiten am Haus, das schon zu Lebzeiten ihrer Großeltern regelmäßig reparaturbedürftig gewesen war. Doch jetzt, da sie Wharton geerbt hatte, musste Laura zusätzlich die hohen Steuern bezahlen, die das Finanzamt von ihr einforderte.

Angst erfüllte sie. Natürlich wäre es das Vernünftigste, Wharton zu verkaufen, doch das brachte sie nicht übers Herz. Schließlich war es immer ihr Zuhause und ihr Rückzugsort gewesen. Lauras Großeltern hatten sie nach dem tragischen Tod ihrer Mutter hier aufgezogen. Ihren Vater kannte sie nicht, da er ihre Existenz nie anerkannt hatte.

Doch leider hatte Laura mit Wharton keine Einnahmequelle geerbt. So klammerte sie sich an die Hoffnung, das Anwesen zu exklusiven Ferienwohnungen umbauen zu können. Dafür wären allerdings eine neue Küche, mehrere Badezimmer, umfangreiche Reparaturen sowie Renovierungen notwendig. Und nichts davon konnte sie bezahlen.

Sie leerte die Schubkarre im Holzschuppen und ging zurück zum Obstgarten, als sich plötzlich ein Auto auf der langen Auffahrt von der Straße her näherte.

Normalerweise kam nur selten jemand vorbei. Lauras Großeltern hatten sehr zurückgezogen gelebt, und bei ihr war es ähnlich. Sie ließ die Schubkarre stehen und ging ums Haus.

Vor ihrer Haustür stand nun eine glänzende, silberfarbene Limousine, die trotz der Schlammspritzer elegant und teuer wirkte – und so fehl am Platze, als wäre sie ein Raumschiff. Aber noch befremdlicher wirkte der Mann, der jetzt aus dem Wagen stieg. Sprachlos blickte Laura ihn an.

Alessandro gab sich keine Mühe, seine schlechte Laune zu verbergen. Trotz des Navigationssystems war es nicht einfach gewesen, über die schmalen, gewundenen Straßen den Weg herzufinden. Und jetzt sah es auch noch so aus, als wäre das Haus verlassen. Die alte steinerne Fassade wirkte ebenso verwahrlost wie die ganze Umgebung. Die Fensterläden im unteren Stockwerk waren schmutzig und kaputt, die Auffahrt von Unkraut überwuchert. Die Blumenbeete verwilderten, und am Rand des ungemähten Rasens wucherten alte Rhododendronbüsche. Über die lose herunterhängende Regenrinne tropfte Wasser auf das zerbröckelnde Vordach über dem Eingang.

Um zumindest etwas Schutz vor dem Regen zu haben, eilte Alessandro zur Tür. Seit er in London gelandet war, hatte es ununterbrochen geregnet. Verächtlich betrachtete er das zerfallene Gebäude, als er plötzlich Schritte auf dem Kies hörte.

Wahrscheinlich jemand, der bei den Arbeiten im Freien aushalf, vermutete Alessandro, als sich eine unförmig wirkende Person in einer Wachsjacke mit Kapuze näherte.

„Ist Miss Stowe zu Hause?“, fragte er. Laura Stowe war der Name von Stefanos Tochter. Wie Alessandros Nachforschungen ergeben hatten, waren sich deren Mutter Susan Stowe und Stefano begegnet, als sie als Kunststudentin in Italien gewesen war. Susan schien eine hübsche, naive junge Frau gewesen zu sein. Sie war gestorben, als ihre Tochter drei Jahre alt gewesen war. Danach hatten ihre Eltern das Mädchen hier in diesem Haus aufgezogen.

Zumindest wird sich die junge Frau bestimmt darüber freuen, dass sie einen reichen Großvater hat, der sie bei sich aufnehmen möchte, dachte Alessandro grimmig. Ihr Haus glich eher einer schäbigen Ruine. Es gefiel ihm gar nicht, als Tomasos Laufbursche zu fungieren. Doch der alte Mann hatte angedeutet, dass er in den Ruhestand gehen wollte, um mehr Zeit für seine Enkelin zu haben.

„Ist Miss Stowe zu Hause?“, wiederholte er ungeduldig.

Jetzt antwortete die Person in der übergroßen Jacke: „Ich bin Laura Stowe. Was wollen Sie von mir?“

Fassungslos blickte Alessandro sie an. „Sie sind Laura Stowe?“

Fast hätte Laura über den Gesichtsausdruck ihres unbekannten Besuchers gelacht, doch sein plötzliches Erscheinen hatte sie durcheinandergebracht. Was konnte ein Mann wie er hier wollen – und dann noch von ihr? Er sah atemberaubend aus, wie Laura verwirrt feststellte. Tiefschwarzes Haar, dunkle Augen und ein markantes Gesicht. Sein Teint war sonnengebräunt, und seine Kleidung, die ganz offensichtlich nicht in England angefertigt worden war, wirkte ebenso edel und elegant wie der Wagen.

Der Mann hatte fließend Englisch gesprochen, aber mit einem deutlichen Akzent. Und in diesem Moment war Laura klar, dass er Italiener sein musste. Eine Mischung aus Wut und Neugierde erfasste sie, doch schnell hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Nein, es ist bestimmt nur ein Zufall, versuchte sie sich zu beruhigen.

Eine Weile blickten sie einander starr an. Schließlich brachte der leicht entsetzte Gesichtsausdruck des Italieners Laura dazu, das Schweigen zu brechen.

„Ja“, bestätigte sie ein wenig schroff. „Ich bin Laura Stowe. Und Sie sind …?“

Der Mann blickte sie weiter starr an, ohne etwas zu erwidern. Er machte sich gar keine Mühe, seine Empfindungen zu verbergen.

Ihr Leben lang war Laura von Männern auf diese Art angesehen worden. Dieser Blick sagte mehr als deutlich, dass sie nicht als Frau wahrgenommen wurde. Ihre Großeltern waren darüber erleichtert gewesen, denn so brauchten sie nicht zu befürchten, das Schicksal ihrer Tochter könnte sich bei ihrer Enkelin wiederholen. Die beiden hatten ihre Tochter sehr geliebt, doch sich nie ganz damit abgefunden, dass diese ein uneheliches Kind von einem quasi Wildfremden bekommen hatte. Mit der Zeit hatten sie sich mehr und mehr zurückgezogen. Und dafür war Wharton der perfekte Ort.

Aber jetzt hat jemand hergefunden, dachte Laura unbehaglich. Dass derjenige ausgerechnet aus Italien stammte, musste ein Zufall sein. Und es war nicht verwunderlich, dass er sie so fassungslos ansah. Ein derart attraktiver Mann umgab sich normalerweise sicher mit Frauen, die ebenso atemberaubend aussahen wie er selbst. Er gehörte zu den Reichen und Schönen. Seine Welt, voller Eleganz und Glamour, hatte mit ihrer nichts gemeinsam.

Aber das hier ist Wharton, dachte Laura wütend, wir sind in meiner Welt. Und hier würde sie sich nicht von ihm einschüchtern lassen.

Sie trat unter das Vordach und schob die Kapuze zurück. „Vielleicht haben Sie mich nicht gehört. Ich bin Laura Stowe. Aber was wollen Sie von mir?“

Der Blick des Mannes veränderte sich ein wenig, wurde abschätzend und distanziert. Was soll das Ganze? fragte sie sich beunruhigt.

Vor Anspannung sagte sie ein wenig zu abweisend: „Wenn Sie mir keine Antwort geben, muss ich Sie bitten, das Grundstück zu verlassen.“

Seine dunklen Augen funkelten. Offenbar gefiel ihm Lauras Tonfall nicht. Aber schließlich war er aus heiterem Himmel hier aufgetaucht und hatte nach ihr gefragt. Und jetzt gab er keine Antwort.

Der Mann presste die sinnlichen Lippen zusammen, bevor er antwortete: „Ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen. Vielleicht wären Sie so freundlich, die Tür zu öffnen, damit wir uns drinnen unterhalten können?“

Als sie zögerte, fügte er sarkastisch hinzu: „Keine Angst, signorina, Ihnen wird schon nichts passieren.“

Laura errötete. Auch ohne seine höhnische Bemerkung wusste sie, dass sie keine unerwünschten Annäherungsversuche von Männern zu befürchten hatte. „Die Tür ist abgeschlossen. Warten Sie hier“, bat sie ihn knapp und ging ums Haus herum.

Alessandro blickte ihr nach. Dio, wie konnte diese Vogelscheuche nur Stefanos Tochter sein? Er war ein gut aussehender Mann gewesen und hätte Lauras Mutter sicher nicht verführt, wenn sie nicht auch hübsch gewesen wäre. Doch Lauras Persönlichkeit schien zu ihrem Äußeren zu passen: Sie wirkte schroff und unhöflich.

Während er wartete, wurde seine Laune noch schlechter. Endlich wurde die Tür mit einem Quietschen geöffnet, und Alessandro trat ein. Es roch modrig, und für einen Moment konnte er nichts sehen. Dann nahm er einen dunklen Flur mit Steinfliesen wahr, eine alte Kommode und eine Standuhr.

„Hier entlang“, sagte Laura nun nicht wesentlich freundlicher.

Sie trug noch immer die furchtbare Cordhose. Ihre unförmige Jacke hatte sie inzwischen abgelegt. Jedoch sah sie dadurch nicht besser aus, denn sie trug einen unförmigen selbst gestrickten Pullover mit zu langen Ärmeln und einem Loch am Ellenbogen. Das strähnige Haar hatte sie im Nacken mit einem Gummiband zusammengefasst.

Jetzt führte sie ihn in eine altmodische Küche mit Ofen, in der es zu Alessandros Erleichterung wenigstens warm war.

Er setzte sich auf den klapprigen Stuhl, den sie ihm hinschob. „Sie sind also wirklich Laura Stowe?“, fragte er.

Feindselig blickte sie ihn an. „Ja, wie ich bereits mehrmals sagte. Und Sie sind …?“

Alessandro betrachtete ihr unscheinbares Gesicht, die dichten buschigen Brauen und ihre mürrische Miene. Offenbar hatte sie Stefanos Gene nicht geerbt.

„Ich heiße Alessandro di Vincenzo und komme im Auftrag von Signor Tomaso Viale zu Ihnen.“

Als er den Namen ihres Großvaters aussprach, wurde Lauras Gesichtsausdruck plötzlich noch feindseliger.

„Sie wissen, wer er ist?“ Fragend zog er die Augenbrauen hoch.

„Ja, ich kenne den Namen Viale“, erwiderte sie knapp. „Warum sind Sie hergekommen?“

„Signor Viale hat gerade erst von Ihrer Existenz erfahren“, fuhr Alessandro fort.

Auf Lauras Gesicht spiegelte sich Empörung. „Das ist eine Lüge!“, entgegnete sie aufbrausend. „Mein Vater wusste von mir!“

„Ich spreche nicht von Ihrem Vater, sondern von Ihrem Großvater. Er hat tatsächlich gerade erst erfahren, dass er eine Enkelin hat.“

„Wenn es das ist, was Sie mir mitteilen wollten, können Sie gleich wieder gehen.“

Alessandros Gesichtszüge wurden hart. „Nein, ganz und gar nicht. Ich soll Ihnen etwas ausrichten. Ihr Großvater wünscht, dass Sie nach Italien kommen.“

„Ist er verrückt geworden?“, fragte sie fassungslos.

Ungeduldig presste Alessandro den Mund zusammen, versuchte aber, sich von ihrem Verhalten nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. „Miss Stowe, Ihr Großvater ist ein alter, schwacher Mann. Der Tod seines Sohnes hat ihn schwer getroffen, und …“

Laura atmete hörbar ein. „Mein Vater ist tot?“, fragte sie überraschend erschüttert.

Einen Moment lang fand Alessandro sein Vorgehen ein wenig zu schonungslos, doch andererseits war sie so aggressiv, dass es ihm nicht sonderlich leidtat.

„Ja, Stefano ist letzten Sommer bei einem Unfall mit seinem Rennboot ums Leben gekommen“, erklärte er sachlich.

„Letzten Sommer …“, wiederholte Laura leise. „So lange ist er also schon tot.“ Alessandro bemerkte, wie sich der Ausdruck ihrer Augen veränderte. Dann wirkte sie plötzlich wieder mürrisch.

„Sie sind umsonst hergekommen, Mr di Vincenzo. Deshalb können Sie jetzt wieder gehen.“

„Das ist nicht möglich“, erwiderte Alessandro unnachgiebig. „Ihr Großvater möchte, dass Sie mit mir nach Italien kommen.“

„Das werde ich aber nicht tun.“ Lauras Augen funkelten. „Wie sich mein Vater meiner Mutter gegenüber verhalten hat, war unverzeihlich. Ich will mit seiner Familie nichts zu tun haben.“

Sie hatte leise, aber sehr nachdrücklich gesprochen. Alessandro wurde immer gereizter. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er diese Reise gar nicht erst angetreten. Und jetzt wollte ihn diese ausgesprochen unattraktive junge Frau auch noch unverrichteter Dinge nach Hause schicken!

Es war an der Zeit, seinen Trumpf auszuspielen. Er lehnte sich zurück: „Vielleicht ist Ihnen nicht bewusst, wie wohlhabend Ihr Großvater ist. Er gehört zu den reichsten Männern Italiens, Miss Stowe. Es wäre also in Ihrem eigenen Interesse, seinem Wunsch nachzukommen.“

Laura beugte sich vor. „Ich hoffe, er erstickt an seinem Reichtum“, entgegnete sie. „Und jetzt verschwinden Sie bitte! Da Sie ja offenbar sein Laufbursche sind, können Sie ihm etwas mitteilen: Ich habe keinen Großvater – so wie sein Sohn auch keine Tochter hatte.“

„Es ist nicht Tomasos Schuld, dass Ihr Vater sich nicht zu Ihnen bekannt hat“, erwiderte Alessandro aufgebracht.

„Aber er hat bei der Erziehung seines Sohnes ganz offensichtlich versagt – und das ist durchaus seine Schuld. Warum sollte ich mich mit einem Mann befassen, der seinen Sohn zu einem solch verabscheuungswürdigen Menschen gemacht hat?“

Alessandro stand energisch auf. „Basta!“, sagte er, und es folgten einige sehr unbeherrscht klingende Worte auf Italienisch. „Wahrscheinlich ist es sogar besser, dass Sie sich weigern, Ihren Großvater zu besuchen – Sie wären eine ziemliche Enttäuschung für ihn“, fuhr er scharf fort. „Aber wie die Dinge stehen, muss ich nun einem alten kranken Mann, der um seinen Sohn trauert, noch eine zusätzliche traurige Nachricht überbringen: dass seine letzte lebende Verwandte eine rücksichtslose, ungehobelte Person ist, die ihn verurteilt, ohne ihm jemals begegnet zu sein.“

Ohne ein weiteres Wort ging er hinaus. Laura hörte, wie die Eingangstür ins Schloss fiel. Dann wurde der Motor der Limousine angelassen, und der Wagen fuhr davon.

Plötzlich bemerkte sie, dass sie zitterte. Zum ersten Mal und ganz unerwartet hatte die Familie ihres Vaters Kontakt zu ihr aufgenommen. Ihr ganzes Leben lang war er immer nur als verachtenswerter Mensch dargestellt worden. Lauras Großeltern hatten keinen Zweifel daran gelassen, dass ihr Vater ein egoistischer Mistkerl war.

Aber jetzt ist er tot … Sie verspürte einen schmerzhaften Stich im Herzen. Nie hatte sie sich gewünscht, mehr über ihn zu wissen. Doch so unerwartet von seinem Tod zu erfahren war dennoch schockierend. Mein Vater ist tot, dachte Laura wieder. Ich werde ihn niemals mehr kennenlernen …

Sofort kämpfte sie gegen dieses Gefühl an. Er wollte nichts mit dir zu tun haben, rief sie sich in Erinnerung. Du warst ihm völlig egal. Er war ein verwöhnter Playboy, der lediglich mit den Frauen gespielt hat. Und er kam damit durch, weil er reich und schön war. Genau wie der Mann, der ihr vor wenigen Minuten die Nachricht von seinem Tod überbracht hat.

Unwillkürlich glitt Lauras Blick zu dem Stuhl, auf dem Alessandro di Vincenzo gesessen hatte. Dann richtete sie sich auf und schritt energisch mit düsterer Miene zurück nach draußen, um weiter Feuerholz im Regen zu sammeln.

Erleichtert sank Alessandro in den weichen, mit edlem Samt bezogenen Sessel und sah sich im eleganten Salon des Lidford House Hotels um. Seine Assistentin hatte ihm hier für die Nacht vor seinem Rückflug nach Rom ein Zimmer reservieren lassen. Genau so sollte ein englisches Landhaus aussehen – und nicht wie Laura Stowes halb zerfallenes Gemäuer.

Genussvoll trank er einen Schluck Martini. Er nahm Tomaso übel, dass er solche Spielchen mit ihm trieb. Doch jetzt tat ihm für den alten Mann fast leid, dass seine Enkelin eine solche Furie war. Er würde zutiefst enttäuscht sein, weil Laura ihn nicht besuchen wollte.

Alessandro hatte getan, was Tomaso verlangt hatte. Und wenn Laura nicht nach Italien fahren wollte, dann war das eben so. Es war nicht sein Problem.

Doch als er in Italien ankam, stellte er fest, dass Tomaso anderer Meinung war.

„Er hat was getan?“, fragte Alessandro ungläubig.

Die Nachricht, die seine Assistentin ihm schweigend gereicht hatte, war unmissverständlich. Der Vorsitzende von Viale-Vincenzo setzte ihn davon in Kenntnis, dass seine Dienste als Generaldirektor nicht mehr länger benötigt wurden.

Eine nie gekannte Wut erfüllte Alessandro. Er war zwar noch immer wichtiger Anteilseigner von Viale-Vincenzo, würde jedoch nicht mehr die Kontrolle über das tägliche Geschehen haben. Und der erhoffte Vorsitz war damit erst recht in unerreichbare Ferne gerückt. Alessandro wusste genau, was der Grund für diese Entscheidung war: Tomaso wollte Lauras Weigerung, ihn zu besuchen, nicht hinnehmen. Alessandro hatte ihm unverblümt mitgeteilt, wie feindselig die junge Frau gewesen war. Jetzt wünschte er, ein wenig sensibler vorgegangen zu sein.

„Ich will mit Tomaso sprechen“, verlangte er. „Sofort!“

2. KAPITEL

Mit ausdrucksloser Miene hob Laura die Post auf, die durch den Briefschlitz gefallen war. Am Vortag hatte sie ein Schreiben vom Finanzamt bekommen – mit dem Hinweis auf Mahngebühren. Außerdem hatte das Auktionshaus den Wert ihrer noch verbliebenen Antiquitäten wesentlich niedriger geschätzt, als sie gehofft hatte.

Verzweiflung und Angst waren ihre ständigen Begleiter, denn mit jedem Tag wurde es wahrscheinlicher, dass sie Wharton würde verkaufen müssen. Der Gedanke schmerzte sie tief.

Ich kann es nicht verkaufen, dachte sie. Es muss doch eine Möglichkeit geben, das zu verhindern!

Wenn sie wenigstens die Steuern zahlen könnte, dann hätte sie zumindest eine Chance. Sie könnte eine Hypothek auf das Haus aufnehmen und das Geld dazu verwenden, Ferienwohnungen einzurichten. Aber wenn sie die Steuern nicht zahlte …

Während Laura sich weiter über ihre düsteren Zukunftsaussichten den Kopf zerbrach, hielt sie plötzlich inne. Ihr Blick fiel auf einen dicken weißen Umschlag mit italienischer Briefmarke. Zögerlich öffnete sie ihn. Darin befanden sich ein Schreiben, ein Flugticket und – ein Scheck. Über eine Summe, bei der sich ihr die Kehle zusammenzog.

Das Schreiben, auf Geschäftspapier verfasst, enthielt außer dem Hinweis auf den Scheck und das Flugticket keine weiteren Informationen. Laura stellte fest, dass es für einen Flug eine Woche später von London nach Rom ausgestellt war. An das Schreiben geheftet war ein zweites eng in italienischer Sprache bedrucktes Blatt, von dem Laura kein Wort verstand. Vermutlich wurde darin erklärt, dass der Scheck ein Geschenk von ihrem Großvater war – als Dank dafür, dass sie ihn in Italien besuchte.

Vorsichtig schob sie alles zurück in den Umschlag, ging in die Küche, setzte sich an den Tisch und starrte auf den Brief in ihren Händen.

Ich werde den Scheck einlösen und das Geld zurückzahlen, jeden Penny, sogar mit Zinsen! dachte sie aufgeregt. Sobald sie die Hypothek bekommen hätte. Aber das Finanzamt würde sich nicht gedulden – die Steuern musste sie sofort bezahlen!

Aber nicht auf diese Art, ermahnte sie sich dann. Ihr Großvater würde sich im Grab umdrehen, wenn sie etwas von der Familie Viale annahm.

Andererseits schulden die Viales dir etwas, meldete sich wieder eine andere Stimme. Dir, deiner Mutter und deinen Großeltern …

Lauras Mutter hatte keinerlei Unterhalt bekommen. Die Großeltern hatten sie bei sich aufgenommen, Laura aufgezogen und ihre Ausbildung bezahlt. Stefano Viale – dessen Vater anscheinend einer der reichsten Männer Italiens war – hatte ihr keinerlei Unterstützung zukommen lassen. Der Scheck war also nichts anderes als eine Rückzahlung.

Doch wenn Laura den Scheck annahm, würde sie auf Tomaso Viales Bestechung eingehen müssen. Der Magen zog sich ihr zusammen. Sie würde nach Italien reisen und der Familie ihres Vaters gegenübertreten müssen.

Auf der anderen Seite musste sie Wharton erhalten, denn es war ihr Zuhause und ihr Zufluchtsort. Hier hatte sie ihr ganzes Leben verbracht, und es war das Lebenswerk ihrer Großeltern. Das konnte sie doch jetzt nicht einfach aufgeben!

Ich werde den Scheck annehmen und nach Italien fliegen, dachte Laura mit klopfendem Herzen. Auch wenn es das Allerletzte ist, das ich möchte. Aber ich werde es tun, um Wharton zu retten.

Laura blickte starr durch das Flugzeugfenster hinaus auf die weißen Schäfchenwolken. Sie wünschte von ganzem Herzen, nicht hier zu sein.

„Champagner?“ Eine Stewardess reichte ihr ein Glas und lächelte Laura an. Trotz dieser freundlichen Aufmerksamkeit fühlte sie sich in der ersten Klasse völlig fehl am Platz.

„Vielen Dank“, erwiderte Laura befangen und nahm das Glas entgegen. Warum auch nicht? dachte sie trotzig. Immerhin hatte sie etwas, auf das sie anstoßen konnte. Fast unmerklich hob sie das Glas und flüsterte: „Auf Wharton, mein Zuhause. Und auf die Familie meines Vaters, die sich zum Teufel scheren kann.“

In der Ankunftshalle des Flughafens in Rom hielt ein Mann ein Schild mit ihrem Namen hoch. Nur widerstrebend schritt sie auf ihn zu, übergab ihm ihren einzigen Koffer und folgte ihm nach draußen. Hier war die Luft herrlich mild, viel angenehmer als im noch immer winterlichen Devon. Doch auch der Sonnenschein konnte ihre Stimmung nicht aufheitern. Laura dachte an die unangenehme Aufgabe, die vor ihr lag. Dann biss sie sich auf die Lippe und stieg in die elegante schwarze Limousine, die bereits auf sie wartete.

Erst als sie in die weichen Lederpolster des Rücksitzes sank, bemerkte sie, dass sie nicht allein war. Alessandro di Vincenzo saß neben ihr und betrachtete sie prüfend.

„Jetzt sind Sie also doch gekommen. Ich hatte mir schon gedacht, dass mein großzügiger Scheck Sie dazu bringen würde, Ihre Meinung zu ändern“, sagte er sarkastisch.

Seit ihrer ersten Begegnung ist sie nicht hübscher geworden, dachte er missmutig. Laura hatte sich zwar offenbar Mühe gegeben, sich schick zu machen, allerdings erfolglos. Statt der entsetzlichen Cordhose und dem kaputten Wollpulli trug sie nun einen schlecht sitzenden Rock und eine Bluse, die sie wie ein Sack umhüllte. Dazu dicke Strümpfe und flache Schuhe mit dicken Sohlen. Ihr ungekämmtes Haar war wieder mit einem Gummiband zusammengehalten. Noch immer waren ihre Augenbrauen dicht und buschig, und sie war gänzlich ungeschminkt.

Wozu auch? dachte Alessandro. Es wäre sinnlos.

Er presste die Lippen zusammen, als er daran dachte, wie Tomaso seine Macht über ihn ausgenutzt hatte. Deswegen hatte er auch keinerlei Mitleid mit dem alten Mann, der sich auf das Treffen mit seiner Enkelin freute. Alessandro würde Laura nur bei ihm abliefern und sich dann wieder um sein eigenes Leben kümmern. Immerhin war er inzwischen wieder Generaldirektor von Viale-Vincenzo, wenn Tomaso auch den Vorsitz noch immer nicht freigegeben hatte. Sollte er noch einmal sein Wort brechen, jetzt, da Alessandro seine Enkelin zu ihm gebracht hatte … Er verdrängte den Gedanken, klappte seinen Laptop auf und vertiefte sich in seine Arbeit, ohne sich weiter um Laura zu kümmern.

Laura blickte aus dem Fenster. Sie schienen nicht nach Rom zu fahren, sondern in eine ländliche Gegend.

Das Wiedersehen mit Alessandro di Vincenzo war eine unangenehme Überraschung gewesen, denn seine Gegenwart verunsicherte sie. Laura hatte die Gesellschaft von Männern bisher immer so gut es ging gemieden. Und in der Nähe eines so eleganten, sinnlichen und atemberaubend attraktiven Mannes wie Alessandro fühlte sie sich zutiefst unwohl. Es war offensichtlich, dass er sich unter anderen Umständen niemals mit ihr abgeben würde.

Laura hatte einmal gelesen, dass schöne Frauen und Männer oft freundlicher waren als weniger gut aussehende Menschen – angeblich, weil sie aufgrund der ihnen entgegengebrachten Bewunderung das Leben schön fanden. Unscheinbare Menschen, so wie sie, fühlten sich oft weniger erwünscht. Dadurch wurden sie unsicher und unbeholfen.

Auf mich trifft das jedenfalls zu, dachte Laura. Sie war schon als Kind eine Außenseiterin gewesen. In ihrer Jugend hatte sie sich dann mit der harten Wahrheit über ihr Äußeres abfinden müssen – und damit, von den normalen Aktivitäten ausgeschlossen zu sein, die Jugendliche ihres Alters üblicherweise unternahmen.

Schließlich war ihr klar geworden, dass sie zwei Möglichkeiten hatte: wegen ihres unattraktiven Aussehens zu verbittern – oder sich damit abzufinden und gelassen weiterzuleben. Es gab andere Dinge im Leben, und wenn sie sich mit ihrem Aussehen einfach nicht beschäftigte, würde es ihr auch nichts ausmachen.

Und genau das tat Laura. Sie trug bequeme, praktische Kleidung, die sie sich leisten konnte. Statt zum Friseur zu gehen, band sie sich das Haar zusammen, sodass es sie nicht störte. Schließlich gab sie ihr Geld ohnehin lieber für nützliche Dinge wie Lebensmittel und Strom aus als für Make-up.

Und Alessandro di Vincenzo, der in einer ihr vollkommen fremden Welt lebte, konnte ihr doch völlig egal sein, auch wenn er sie noch so verächtlich anblickte. Es war viel angenehmer, wenn er sie so wie jetzt einfach ignorierte.

Bestimmt hatte er eine wichtige Position bei Viale-Vincenzo. Ganz offensichtlich war er reich, und er strahlte Macht und eine natürliche Autorität aus, obwohl er nicht viel älter als Anfang dreißig sein konnte.

Laura zwang sich, nicht weiter über ihn nachzudenken, blickte wieder zum Fenster hinaus und betrachtete die Zypressen, Olivenhaine, Wiesen und Hügel, die Weinberge und die Häuser mit den roten Ziegeldächern.

Das hier könnte ebenso mein Land sein wie England, dachte Laura. Tief in ihrem Innern regte sich ein Gefühl von Verbundenheit, das sie jedoch mit aller Macht unterdrückte. Dieses Land war ihr fremd, da sie in England aufgewachsen und von dessen Kultur geprägt war. Italien bedeutet mir nichts, redete Laura sich ein und dachte bewusst an all die Reparaturen, die sie in Wharton vornehmen lassen musste. Wharton war der einzige Ort, der ihr etwas bedeutete.

Als Laura ausstieg und sich umblickte, wurden ihre Augen groß vor Staunen. Sie stand vor einer riesigen, vornehmen Villa aus Sandstein. Die vielen Fenster auf der Vorderseite glänzten in der Sonne. Auf der anderen Seite der mit Kies bestreuten Auffahrt zog sich ein parkähnlicher Garten einen sanften Hang hinunter. Sogar zu dieser Jahreszeit war alles perfekt gepflegt.

Laura spürte, wie sich ihr vor Anspannung der Magen zusammenzog. In diesem riesigen Haus wartete ihr einziger lebender Verwandter – ihr Großvater.

Am liebsten wäre Laura weggerannt. Und erneut erfüllte sie jener seltsame Schmerz. Wäre ihr Vater nicht so ein egoistischer Mistkerl gewesen, hätte sie dieses Anwesen vielleicht schon früher kennengelernt und wäre als Kind durch die großen Gärten getollt. Ihre Mutter wäre auch hier gewesen, lebendig und glücklich vereint mit dem Mann, den sie liebte …

Doch Stefano Viale hatte sich nicht für ihre Liebe, geschweige denn für die Ehe oder seine Tochter interessiert. Daran hatte er keinen Zweifel gelassen.

Laura erinnerte sich an die verzweifelten Worte ihrer Großmutter: „Er hat sich nie gemeldet und keinen einzigen ihrer Briefe beantwortet. Es hat ihr das Herz gebrochen, indem er ihre Unschuld genommen und sie dann einfach verstoßen hat.“

Lauras Miene wurde hart. Ich habe nie einen Vater gehabt, dachte sie. Und einen Großvater habe ich auch nicht.

„Hier entlang.“ Alessandro di Vincenzos kalte Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Er führte sie in das Haus, und Laura betrat eingeschüchtert die riesige Eingangshalle mit dem Marmorboden.

Schwungvoll öffnete Alessandro eine große Doppeltür und trat ein. Tomaso, der an einem Schreibtisch am Fenster saß, blickte sofort auf. Sein Gesicht wirkte angespannt und erwartungsvoll.

Plötzlich hatte Alessandro das Gefühl, ihn trotz allem verschonen zu müssen. Er musste den alten Mann warnen, was für eine Person Laura war. Doch sogleich verscheuchte er seine Bedenken. Schließlich nutzte Tomaso seine Macht über ihn schamlos aus. Und wenn er seine unangenehme Enkelin unbedingt kennenlernen wollte, dann sollte er das eben tun.

Der alte Mann erhob sich.

„Tomaso, das ist deine Enkelin“, verkündete Alessandro ausdruckslos. „Laura Stowe.“

Tomaso beachtete ihn gar nicht, sondern blickte an ihm vorbei zu der jungen Frau, die soeben eingetreten war. Alessandro bemerkte, wie sich der Gesichtsausdruck des alten Mannes änderte und seine Miene plötzlich nicht mehr zu deuten war.

„Laura …“, Tomaso streckte die Hand nach ihr aus.

Doch Laura blieb stehen und ignorierte seine Hand. Ihre Miene war so ausdruckslos, wie sie es die ganze Fahrt über schon gewesen war.

„Ich bin dein Großvater“, sagte Tomaso. Seiner Stimme war anzumerken, dass er tief bewegt war.

Lauras Augen funkelten. „Mein Großvater ist tot. Sie sind der Vater des Mannes, der das Leben meiner Mutter zerstört hat“, sagte sie kalt und abweisend.

Tomaso wirkte bestürzt.

„Ich bin nur hergekommen“, fuhr sie mitleidlos fort, „weil dieser Mann …“, sie deutete auf Alessandro, „mich bestochen hat.“

„Bestochen?“, wiederholte Tomaso ungläubig.

„Ja.“

Entgeistert blickte Alessandro Laura an, die unverblümt weitersprach. „Ich möchte nichts mit Ihnen zu tun haben – und auch mit niemand anderem aus dem Umkreis des Mannes, der meine Mutter so grausam behandelt hat. Warum, um alles in der Welt, glauben Sie eigentlich, dass ich auch nur den geringsten Wunsch habe, Sie kennenzulernen?“ Als Tomaso hörbar einatmete, hielt sie kurz inne und sagte dann: „Es tut mir leid für Sie, dass Ihr Sohn gestorben ist. Aber mit mir hat das nicht das Geringste zu tun. Denn Ihr Sohn wollte auch nichts mit mir zu tun haben – das hat er schon deutlich gemacht, bevor ich überhaupt auf der Welt war.“

Tomaso war sichtlich erschüttert. „So hatte ich mir das nicht …“ Seine Stimme versagte, als er die junge Frau anblickte, die sich schon halb abgewandt hatte. „Ich dachte … ich dachte, du würdest dich freuen …“

Sein Gesicht war aschfahl, als er die Hand an sein Herz presste. Alessandro stürzte zu ihm und fing ihn auf.

Die nächste Stunde schien sich unendlich in die Länge zu ziehen. Alessandro hatte sofort einen Krankenwagen gerufen. Und zu seiner Erleichterung war Tomaso bald außer Lebensgefahr, sollte aber zur Beobachtung über Nacht im Krankenhaus bleiben.

Was auch immer das für ein Anfall gewesen war, ausgelöst hatte ihn diese giftige Person mit ihrer bösartigen Tirade. Er blickte zu Laura hinüber, die mit versteinertem Gesicht neben ihm im Wagen saß, als sie zurück zu Tomasos Villa fuhren. Sie hatte die Hände im Schoß ineinander verkrampft.

„Wird er wieder gesund?“, fragte sie plötzlich.

„Das interessiert Sie?“, entgegnete er höhnisch.

„Ich habe doch gesagt, dass mir der Tod seines Sohnes leidtut. Auch, dass er zusammengebrochen ist, tut mir leid. Ich möchte nicht, dass er stirbt – das wünsche ich niemandem.“

„Wie großmütig von Ihnen. Wenn Sie wirklich großmütig sein möchten, dann sollten Sie Tomaso lieber seinen Wunsch erfüllen und hier in der Villa bleiben, bis es ihm wieder so gut geht, dass er Sie sehen kann. Warum er das möchte, ist mir zwar schleierhaft – aber er hat diesen Wunsch geäußert, als ich mich vorhin von ihm verabschiedet habe.“

3. KAPITEL

Laura saß auf dem Bett des Zimmers, in das sie eine der Hausangestellten geführt hatte. Sie blickte aus dem Fenster und stellte fest, wie atemberaubend die Aussicht war: wunderschön gestaltete italienische Gärten, Hügel, Olivenhaine und schlanke dunkle Zypressen.

Laura wandte den Blick ab. Sie wollte sich davon nicht beeindrucken lassen, wollte gar nicht hier sein, in Italien, in der Villa ihres Großvaters …

Er ist nicht dein Großvater, ermahnte sie eine innere Stimme. Nur wegen der Gene ist man nicht automatisch eine Familie. Ihr Vater sah das sicher genauso.

Laura ließ sich erschöpft aufs Bett sinken und spürte, wie ihre Augenlider schwer wurden.

Als sie erwachte, betrat ein Zimmermädchen den Raum und teilte ihr mit, dass das Abendessen serviert würde. Widerstrebend ging Laura nach unten und nahm vorsichtshalber ein Buch mit. Sie hätte lieber in ihrem Zimmer gegessen, wollte jedoch niemandem zusätzlich Arbeit machen.

Am Fuß der breiten Treppe wartete ein Diener auf sie und führte sie zu einem Salon, der von der Eingangshalle abging. Laura ging hinein und blieb wie angewurzelt stehen, denn am Tisch saß Alessandro di Vincenzo.

Als sie sich ihm näherte, stand er auf. An seinem Platz lagen Papiere, die er offenbar gelesen hatte.

„Ich dachte, Sie wären gar nicht mehr hier“, platzte Laura heraus.

„Wie Sie sehen, täuschen Sie sich“, erwiderte er kurz angebunden und nicht sonderlich freundlich. „Ich wäre zwar lieber zurück nach Rom gefahren, doch es würde mir nicht im Traum einfallen, Tomaso allein mit seiner ‚liebevollen‘ Enkelin zurückzulassen.“

Laura spürte, wie sie errötete. „Wie geht es ihm?“, fragte sie und setzte sich auf den einzigen gedeckten Platz, direkt gegenüber von Alessandro.

„Sein Zustand ist stabil“, erwiderte er. „Als wenn Sie das interessieren würde.“

Laura errötete noch stärker. „Ich habe Ihnen doch gesagt, ich möchte nicht, dass er stirbt.“

„Und ich habe Ihnen gesagt, wie großmütig ich das finde.“ Alessandro betrachtete sie stirnrunzelnd. „Haben Sie nichts anderes, das Sie zum Abendessen tragen könnten?“

„Nein“, erwiderte Laura kurz. Wäre ihr klar gewesen, dass Alessandro hier sein würde, hätte sie ganz bestimmt darauf bestanden, in ihrem Zimmer zu essen. Sie schlug ihr Buch auf und begann zu lesen. Zu ihrer Erleichterung widmete sich ihr unwillkommenes Gegenüber ebenfalls seiner Lektüre.

Das Abendessen verlief geradezu absurd formell, wie Laura fand. Es gab unendlich viele Gänge, sodass sich alles in die Länge zog. Doch immerhin wurde sie für die unangenehme Gesellschaft dadurch entschädigt, dass das Essen hervorragend war. Als sie den letzten Rest des köstlichen Lamms gegessen hatte, spürte sie plötzlich, dass sie beobachtet wurde.

„Essen Sie immer so viel?“

Laura blinzelte überrascht. Sie aß gerne, und da sie sehr viel körperlich arbeitete, nahm sie davon nicht zu.

Langsam legte sie ihr Besteck auf den Teller und erwiderte: „Ja.“ Dann las sie weiter.

Alessandro betrachtete sie finster. Er kannte keine Frau, die so viel essen konnte. Wenn sie das immer tat, musste sie übergewichtig sein. Doch auch wenn Laura Stowe so schwer wäre wie ein Elefant – ihm war das völlig gleichgültig.

Am nächsten Tag erhielten sie die Nachricht, dass Tomaso Besuch empfangen konnte. Als Laura während der Fahrt unruhig ihre Hände ineinander verkrampfte, fragte Alessandro: „Was ist eigentlich mit Ihren Händen passiert?“

„Nichts, warum?“

„Sie sind völlig zerkratzt.“

Laura zuckte die Schultern. „Das wird schon wieder heilen. Ich habe am Tag vor meiner Abreise Brombeersträucher beschnitten.“ Sie drehte die Handflächen nach oben, die ebenfalls zerkratzt und schwielig waren.

„Warum gehen Sie denn so unbedacht mit sich um?“, fragte Alessandro.

„Ich arbeite. Irgendjemand muss sich ja um Wharton kümmern.“

„Vielleicht können Sie mit dem Scheck ja einige Angestellte bezahlen.“

„Ich glaube kaum, dass das Finanzamt damit einverstanden wäre“, erwiderte Laura trocken.

„Como?“ Alessandro zog fragend die Augenbrauen zusammen.

„Mit Ihrem Scheck konnte ich die fälligen Steuern zahlen. Nur deswegen habe ich ihn angenommen. Aber …“, sie zuckte die Schultern und sah ihn trotzig an, „… aber ich werde mich mit Zähnen und Klauen dagegen wehren, Wharton zu verkaufen. Und Ihr Geld zahle ich Ihnen zurück, Signor di Vincenzo, das versichere ich Ihnen. Wenn ich irgendwann an Feriengäste vermiete und Geld damit verdiene …“

„Sie meinen, jemand würde dafür bezahlen, dort zu wohnen?“, fragte Alessandro ungläubig. „In dieser feuchten, trostlosen Ruine?“

Kämpferisch hob Laura das Kinn. „Ich werde Wharton renovieren“, entgegnete sie. „Und ich werde es nur verkaufen, wenn mir keine andere Möglichkeit mehr bleibt.“

„Sie hängen daran?“ Er klang fast angewidert.

„Es ist mein Zuhause“, sagte Laura angespannt.

„Aber Sie können doch jetzt ganz leicht ein neues schönes Zuhause bekommen.“ Alessandro machte eine weit ausholende Geste. „Und um Geld brauchen Sie sich keine Sorgen mehr zu machen“, fügte er mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck hinzu. „Ihr Großvater wird Ihnen sämtliche Wünsche erfüllen.“

Lauras Augen funkelten. „Wirklich schade, dass hingegen sein Sohn seiner Tochter keinen einzigen Wunsch erfüllt hat.“

„Ja, Stefano tat immer nur das, was ihm gefiel.“

Als Alessandro Lauras Gesicht betrachtete, wirkte dies nicht nur abweisend und mürrisch, sondern auch verletzt. Schnell dachte er an etwas anderes. Er brauchte wirklich kein Mitgefühl für Laura Stowe zu empfinden.

Im Krankenhaus angekommen, gab er ihr sehr knappe Anweisungen. „Wenn Sie irgendetwas sagen, das Tomaso aufregt, werden Sie es bereuen, das schwöre ich.“

Laura wandte den Blick ab. Ihr letzter Besuch in einem Krankenhaus hatte ihrem anderen Großvater gegolten, der noch am selben Tag an Herzversagen gestorben war – wenige Monate nach dem Tod ihrer Großmutter.

Sie musste schlucken, als sie Alessandro auf die Intensivstation folgte, wo der alte Mann allein lag, angeschlossen an unzählige Schläuche und Drähte. Er wirkte so schwach und zerbrechlich, genau wie ihr Großvater.

Aber er ist ja auch mein Großvater, dachte sie unwillkürlich. Doch ebenso schnell, wie der Gedanke gekommen war, verdrängte sie ihn auch wieder.

Tomaso wandte ihr den Kopf zu. „Laura …“, seine Stimme war ein kaum hörbares Krächzen, und er streckte ihr mit sichtbarer Anstrengung die Hand entgegen. „Du bist noch da …“

In seinen Augen spiegelte sich etwas, mit dem Laura nicht gerechnet hatte: Dankbarkeit. Sie ging zum Bett, ohne jedoch seine Hand zu nehmen. Tomaso ließ sie wieder auf die Decke sinken, und das Leuchten seiner Augen schien zu verblassen. Laura bekam ein schlechtes Gewissen, doch sie wollte ihn nicht berühren.

„Wie … wie geht es dir?“ Sie überwand sich, ihn zu duzen.

„Viel besser, jetzt, da du hier bist. Vielen Dank, dass du nicht abgereist bist und mir ermöglichst …“ Er atmete mühsam ein. „Möchtest du dich nicht setzen?“

Als Laura auf dem Bettrand Platz nahm, blickte Tomaso an ihr vorbei zu Alessandro, der im Türrahmen stehen geblieben war.

„Ich bleibe hier“, sagte dieser entschieden. „Ich will nicht, dass sie noch einmal etwas sagt, das dich aufregt.“

„Ich bin überzeugt, dass nichts Derartiges passieren wird“, erwiderte Tomaso. „Danke, dass du Laura hergebracht hat, aber jetzt …“

Widerstrebend ging Alessandro hinaus und wartete auf dem Flur.

Tomaso sah Laura an, die sich vor Anspannung auf die Lippe biss.

„Laura, mein Kind. Ich muss dir etwas sagen. Und wenn du dann noch immer nach England zurückkehren möchtest, dann hast du meinen Segen“, setzte er ein wenig wehmütig an und zögerte einen Moment, als müsste er Kraft sammeln.

Am liebsten wäre sie sofort aus dem Krankenhaus gerannt und zum Flughafen geeilt, um endlich nach Wharton zurückzukehren und sich dort einzuschließen. Doch irgendetwas hielt sie zurück.

Sie spürte Tomasos eindringlichen Blick, als habe er Angst vor ihrer Reaktion. Dann begann er leise zu sprechen, wobei er den Blick nicht von ihr wandte.

„Während der Tage hier im Krankenhaus hatte ich ausreichend Gelegenheit, nachzudenken und mich zu erinnern. Dabei habe ich auch an Stefano gedacht, als er in deinem Alter war und noch jünger.“ Er atmete tief ein und fuhr fort: „Leider habe ich nicht viele Erinnerungen an ihn als Kind. Ich … ich habe nur wenig Zeit mit ihm verbracht, weil ich zu sehr mit Geldverdienen beschäftigt war. Stefanos Erziehung habe ich vor allem seiner Mutter überlassen, die ihn abgöttisch liebte.“ Sein Blick verschleierte sich. „Leider hatte ich auch für sie zu wenig Zeit. Also hat sie ihre ganze Liebe und Aufmerksamkeit Stefano geschenkt.“

Tomaso schwieg einen Moment. Ob er seine Kraft sammelte oder an seinen toten Sohn dachte, konnte Laura nicht sagen. Ihre eigene Anspannung hatte noch zugenommen. Und sie wünschte, er hätte Stefano nicht als kleinen, vom Vater vernachlässigten Jungen beschrieben. Er hat meine Mutter nur benutzt, rief sie sich trotzig in Erinnerung.

Als Tomaso weitersprach, klang seine Stimme plötzlich anders. „Jeder Vater möchte stolz auf seinen Sohn sein. Aber wie kann ich das, wenn Stefano die Mutter seines Kindes verführt und dann fallen gelassen hat? Er hat einfach so getan, als gäbe es sie nicht – und dich auch nicht.“ In seinen Augen spiegelten sich Reue und Schmerz.

„Es war wirklich dumm und unsensibel von mir, anzunehmen, dass du die Familie deines Vaters würdest kennenlernen wollen“, sagte er leise und voller Schmerz. „Du bist mit dem Wissen darüber aufgewachsen, was er dir und deiner Mutter angetan hat. Natürlich kannst du das nicht einfach vergeben und vergessen. Du trägst den Groll eines ganzen Lebens in dir, und darüber darf ich nicht hinwegsehen.“

Tomaso atmete erneut tief ein und blickte ihr in die Augen.

„Fahr wieder nach Hause, wenn du es möchtest. Ich habe nicht das Recht, Ansprüche an dich zu stellen. Mein Verhalten war egoistisch und dumm. Ich kann nicht ungeschehen machen, was Stefano euch angetan hat – dir, deiner Mutter und ihren Eltern. Ich war kein guter Vater, Laura. Das würde ich gern wiedergutmachen, indem ich dir ein guter Großvater bin, aber …“, er verstummte.

Schweigend saß Laura da und hörte das Klicken der Geräte, das Zwitschern eines Vogels, das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos …

Plötzlich platzte sie heraus: „Wie konnte er ihr das nur antun? Er hat meiner Mutter ja nicht einmal zurückgeschrieben und angezweifelt, dass er wirklich der Vater ihres Kindes ist – er hat sie völlig ignoriert! Sie war ihm einfach nur lästig, genau wie ich.“ Die Kehle zog sich ihr zusammen. „Ich war ihm völlig egal“, sagte sie mit erstickter Stimme, stand auf und wandte sich verzweifelt ab.

„Aber mir bist du wichtig, Laura.“

Abrupt wandte sie sich wieder Tomaso zu, der die Hand nach ihr ausstreckte. „Mir bist du wichtig“, wiederholte er eindringlich. „Für Stefano ist es zu spät, aber ich bitte dich … lass es nicht auch für mich zu spät sein. Du bist meine einzige Verwandte, alles, was ich habe. Ich bitte nicht um viel, nur darum, etwas Zeit mit dir verbringen zu dürfen.“

Er blickte sie so flehentlich an, als hinge sein Überleben allein von ihr ab.

Ganz langsam streckte Laura den Arm aus und berührte seine Fingerspitzen. Dann ließ sie die Hand wieder sinken.

„Danke“, sagte Tomaso leise.

Auf dem Rückweg zur Villa blickte Laura schweigend aus dem Fenster. Hin und wieder warf Alessandro ihr einen Blick zu. Sie wirkte wieder völlig verschlossen, doch irgendetwas an ihr war anders, irgendwie sanfter.

Kann das wirklich sein? fragte er sich stirnrunzelnd. Das Wort sanft schien überhaupt nicht zu Laura Stowe zu passen. Sie war doch hart und abweisend wie Granit, schroff und nicht sehr liebenswürdig. Doch als er sie erneut anblickte, sah er wieder die fast unmerkliche Veränderung.

So sieht sie eigentlich gar nicht so hässlich aus, dachte er unwillkürlich. Reiß dich zusammen, ermahnte er sich dann sofort. Es konnte ihm doch völlig egal sein, wie sie aussah. Wichtig war nur, ob sie bleiben würde. Denn dann musste Tomaso sein Versprechen einlösen, den Vorsitz an ihn abzutreten.

„Und, was werden Sie jetzt tun?“, fragte er. „So schnell wie möglich zurück nach England fahren oder Ihrem Großvater etwas von Ihrer kostbaren Zeit schenken?“ Seine Worte klangen schroffer, als er es beabsichtigt hatte.

Laura wandte den Kopf zu ihm. „Ich …“ Sie schluckte. „Ich werde bleiben, bis es ihm besser geht. So dringend muss ich nun auch nicht zurück.“

Alessandro konnte sich ohnehin nicht vorstellen, wie jemand freiwillig in diese Ruine zurückkehren konnte. Und wenn sie ihren Frieden mit Tomaso geschlossen hatte, brauchte sie das alte Haus ja auch nicht mehr – ebenso wenig, wie Tomaso den Vorsitz von Viale-Vincenzo brauchte.

Plötzlich wurde Alessandro ungeduldig und gereizt. Am liebsten wäre er jetzt schon in Rom gewesen, hätte sich auf seinen künftigen Posten vorbereitet und sich von Delia Dellatore verwöhnen lassen. Er ließ den Blick zu Laura gleiten.

Einen größeren Gegensatz als den zwischen der verführerischen, eleganten Delia und Tomasos Enkelin, die dort saß wie ein Sack Kartoffeln, konnte es zwischen zwei Frauen wohl kaum geben.

Alessandro wandte den Blick ab. Er hatte nichts mit Laura zu schaffen. Und sobald er sie bei der Villa abgeliefert hätte, würde er nach Rom zurückkehren. Zutiefst erleichtert über diese Aussicht, zog er sein Handy heraus, um seine Assistentin zu informieren.

4. KAPITEL

Irgendwann am Nachmittag musste Alessandro weggefahren sein, doch Laura hatte nichts davon mitbekommen. Sie war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt.

Sie hatte sich Tomaso gegenüber geöffnet, den sie eigentlich kalt und abweisend hatte behandeln wollen. Nervös krampfte sie die Finger ineinander.

Was habe ich nur getan? dachte sie verzweifelt und erfüllt von einem heftigen Aufruhr der Gefühle.

Doch eigentlich kannte Laura die Antwort genau: Sie hatte Tomaso Viale als ihren Großvater angenommen. Und sie würde eine kurze Weile bei ihm bleiben, bis es ihm besser ginge.

Als Tomaso am folgenden Tag nach Hause gebracht wurde, eilte Laura ihm entgegen. Wieder tat ihr der Anblick des zerbrechlich wirkenden alten Mannes fast weh. Doch als er sie sah, begannen seine Augen zu leuchten.

„Du bist nicht abgereist.“

Laura schüttelte nur den Kopf, denn ihre Kehle war wie zugeschnürt. „Nein“, brachte sie knapp heraus. „Wie … wie geht es dir?“

Er lächelte leicht. „Schon viel besser, seit ich dich hier gesehen habe.“

Auch Laura lächelte – ein wenig unsicher. Sie sah zu, wie er die breite Marmortreppe hinaufgetragen wurde.

Am nächsten Tag ließ er nach ihr rufen. Tomaso lag in einem riesigen Zimmer mit einem Himmelbett und aufwendig verzierten Antiquitäten. Laura fand den Stil ein wenig übertrieben, doch es schien genau sein Geschmack zu sein, und ein merkwürdiges Gefühl liebevoller Nachsicht erfüllte sie. Tomaso sah, wie sie sich umblickte und leicht lächelte.

„Dir ist das ein wenig zu viel, stimmt’s?“, fragte er.

„Es ist genau das Gegenteil von dem, was mein Großvater …“ Sie unterbrach sich befangen und fuhr fort: „Was mein anderer Großvater mochte. Er hatte einen eher spartanischen Geschmack und war der Ansicht, nur Ausländer würden üppig ausgestattete Räume mögen.“

Tomaso lächelte. „Ich bin ja auch Ausländer, also muss es wohl daran liegen.“ Er klopfte leicht neben sich auf das große Bett, und Laura nahm Platz. „In meiner Kindheit waren wir sehr arm und lebten in einem trostlosen Hochhaus in einem düsteren Vorort von Turin. Unsere Möbel waren billig und zweckdienlich. Ich habe mir immer geschworen, dass ich irgendwann auch die schönen Dinge im Leben besitzen würde.“

Als er sich im Zimmer umsah, merkte Laura ihm an, wie zufrieden und stolz ihn das alles machte.

„Du hast also wirklich bei null angefangen?“, fragte sie.

„Ja, ich hatte lediglich gute Nerven und Zuversicht“, bestätigte Tomaso.

Er sah besser aus, weniger blass und war auch nicht mehr an unzählige Geräte angeschlossen, sondern nur noch an ein tragbares EKG-Gerät.

„Ich war fest entschlossen, viel Geld zu verdienen. Und das habe ich ja auch getan.“

„Mein Großvater, der andere …“ Diesmal fiel es Laura schon einfacher, das auszusprechen. „Mein anderer Großvater hat nie über Geld geredet.“

„Das tun nur die Leute, die schon reich zur Welt kommen“, stellte Tomaso scharfsinnig fest. „So war Alessandros Vater auch – für ihn war Gewinn oder Verlust nie von Bedeutung.“

„Warum ist er dann Geschäftsmann geworden?“

„Ganz einfach, weil er pleite war“, antwortete Tomaso unverblümt. „Also hat er sofort zugestimmt, als ich ihm anbot, mein Partner zu werden. Auch für mich war er sehr nützlich. Denn dank all seiner Kontakte, besonders denen im Bank- und Finanzwesen, öffneten sich Türen, die mir bislang verschlossen gewesen waren. Doch für die Geschäfte an sich hat er sich nie so interessiert wie ich. Alessandro allerdings …“ Tomasos Tonfall änderte sich plötzlich. „Der ist ganz anders.“

„Er scheint ununterbrochen zu arbeiten“, stellte Laura fest. „Ständig beschäftigt er sich mit irgendwelchen Papieren oder seinem Laptop.“

„Er will meinen Job übernehmen – und das Unternehmen gleich mit“, erklärte Tomaso. „Alessandro ist das absolute Gegenteil von seinem Vater. Er hat gemerkt, dass dieser im Unternehmen eigentlich nur geringen Einfluss hatte und auch gar nichts anderes anstrebte. Darüber hat Alessandro sich immer geärgert. Sein Vater hatte gar kein Interesse daran, das Unternehmen zu leiten – genau wie Stefano.“

Plötzlich trat ein trauriger Ausdruck in Tomasos Augen, und auch Laura fühlte sich unwohl.

Tomaso hob die Hand, als wolle er einen dunklen Schatten vertreiben. „Wäre Stefano nicht gestorben, hätte Alessandro mit ihm einen Deal ausgehandelt, ihn ausbezahlt und das Unternehmen übernommen. Dann hätte Stefano sich ganz seinen geliebten Rennbooten widmen können. Und auf diesen Deal hätte er sich auch eingelassen, da mache ich mir keine Illusionen. Aber ob ich selbst zugestimmt hätte …?“ Er schüttelte den Kopf. „Vielleicht schon. Denn was hätte nach meinem Tod sonst aus dem Unternehmen werden sollen? Wenn Stefano allerdings geheiratet hätte …“ Er verstummte.

Laura spürte seinen Blick auf sich ruhen. Plötzlich wirkte Tomaso weder zerbrechlich noch krank und noch nicht einmal alt.

„Du solltest dich nicht in mir täuschen, mein Kind. Hätte ich auch nur die geringste Ahnung von dem gehabt, was vor all den Jahren passiert ist – ich hätte dafür gesorgt, dass Stefano deine Mutter heiratet, und zwar umgehend.“

Laura biss sich auf die Lippe. „Vielleicht hat er es deshalb vor dir geheim gehalten“, erwiderte sie mit leiser, angespannter Stimme. „Ganz offensichtlich hielt er nichts von der Ehe. Er hat ja auch später nie geheiratet.“

Tomasos Tonfall änderte sich. „Nein, er war ein Playboy und führte ein ausschweifendes Junggesellenleben. Mehr als einmal habe ich ihm klargemacht, was ich von ihm erwarte: dass er heiratet und mir einen Erben schenkt. Doch nicht einmal seine Mutter konnte ihn dazu bewegen, aber in ihren Augen gab es ohnehin keine Frau, die gut genug für ihn gewesen wäre.“

Er schwieg und wandte den Blick ab.

Sie waren keine glückliche Familie, dachte Laura unwillkürlich. Trotz ihres ganzen Reichtums war keiner von ihnen glücklich. Als er sie nun ansah, machte Tomaso wieder einen erschöpften, müden und alten Eindruck.

Sie stand auf. „Das Gespräch hat dich offenbar zu sehr angestrengt, und das ist meine Schuld“, erklärte sie befangen. „Die Pflegerin sagte, wir dürften uns nur fünf Minuten unterhalten.“

Tomaso machte eine wegwerfende Geste. „Sie macht doch nur so ein Theater, weil sie dafür bezahlt wird“, sagte er und fügte dann ohne Einleitung hinzu: „Wie viel Geld hat Alessandro dir bezahlt, damit du herkommst?“ Mit seinen dunklen Augen sah er sie durchdringend an.

Laura fühlte sich überrumpelt und errötete. „Offensichtlich genug, um mich zu überreden.“

Tomasos Augen funkelten amüsiert. „Du hast ganz recht – man sollte nie mehr preisgeben, als man muss“, stellte er anerkennend fest. „Aber wie hoch der Betrag auch war, in Alessandros Augen war es sicher eine lohnende Investition. Denn für ihn steht sehr viel auf dem Spiel – er steht mit dem Rücken zur Wand.“

Laura runzelte erstaunt die Stirn. Alessandro di Vincenzo machte ganz und gar nicht den Eindruck, mit dem Rücken zur Wand zu stehen.

„Ich habe doch erwähnt, dass er meinen Job haben will“, erklärte Tomaso. „Ich bin der Vorsitzende von Viale-Vincenzo, und auch als Generaldirektor kann er nichts ohne meine Zustimmung tun. Doch er möchte allein über alles bestimmen können. Und nach Stefanos Tod bin ich nun das einzige Hindernis, das seinem Ehrgeiz im Wege steht. Ich habe ihm eine Aufgabe gestellt – wie ein König in einer Rittersage, und er hat sie erfüllt, indem er dich hergebracht hat. Jetzt wartet er auf seine Belohnung.“

Abwägend blickte Tomaso sie an. „Kannst du Schach spielen, Laura?“

„Ein bisschen“, erwiderte sie.

„Sehr gut. Dann werden wir nach dem Essen spielen.“

Für Laura war es eine sehr merkwürdige Zeit. Es kam ihr vor, als würde sie plötzlich in einer ganz anderen Welt leben als in den bisherigen vierundzwanzig Jahren ihres Lebens: in der Welt des italienischen Teils ihrer Familie – einer fremden Welt, die ihr jedoch jeden Tag ein bisschen vertrauter wurde.

Es war ein langer Weg, den Laura langsam, vorsichtig und ein wenig unbeholfen ging. Doch jeden Tag erholte Tomaso sich ein wenig mehr, und die Villa verlor zunehmend ihre Fremdheit und ihren Schrecken.

Irgendwann würde sie nach Wharton zurückkehren müssen. Doch noch war es dafür zu früh. Tomaso erholte sich zwar zunehmend, musste jedoch noch immer im Bett liegen und war sehr dankbar, dass sie da war. Wann immer sie in sein Zimmer kam, streckte er ihr mit leuchtenden Augen die Hand entgegen.

Wenn er sie nach Wharton fragte, antwortete Laura nur sehr allgemein. Von der notwendigen teuren Renovierung erzählte sie nichts, denn sie wollte nicht, dass er sie finanziell unterstützte.

Die Tage vergingen sehr langsam. In der Villa gab es einen Swimmingpool, und auf dem riesigen Grundstück konnte man wunderschöne Spaziergänge machen. Doch mit der Zeit wurde Laura unruhig und dachte immer öfter an zu Hause. Sie musste sich um die Hypothek kümmern und die Reparaturen organisieren.

„Ich muss wirklich bald zurückfahren“, sagte sie deshalb eines Nachmittags zu Tomaso, als sie in der Bibliothek Schach spielten.

„Ich hatte gehofft, dass du irgendwann die Villa als dein Zuhause betrachten würdest“, antwortete er traurig.

Laura war hin- und hergerissen. Sie wollte ihn nicht verletzen, doch andererseits musste sie sich um Wharton kümmern.

Tomaso bemerkte, was in ihr vorging. „Bitte warte zumindest noch, bis Alessandro übers Wochenende herkommt. Er muss mit mir über etwas Geschäftliches sprechen, das ihm sehr wichtig ist.“

„Also gut“, stimmte Laura zu. „Aber dann muss ich wirklich abreisen.“

„Sehr schön.“

Sie war erstaunt, wie zufrieden Tomaso plötzlich wirkte. Doch bevor sie sich weiter Gedanken darüber machen konnte, nahm das Spiel ihre Konzentration wieder in Anspruch.

Trotz der Feier war Alessandro nicht gerade in bester Stimmung und nahm nur widerwillig ein Glas Champagner entgegen. Noch immer hatte er nicht den Vorsitz von Viale-Vincenzo inne. Tomaso führte ihn an der Nase herum, und das gefiel ihm ganz und gar nicht.

Alessandro hatte gehofft, dass sich seine Stimmung bessern würde, sobald er wieder in Rom war. Denn hier war er nicht nur weit weg von Tomasos unattraktiver Enkelin, sondern konnte sich auch wieder von Delia verwöhnen lassen. Doch die hatte ihm kurzerhand mitgeteilt, dass sie im Begriff war, ihre Dienste jemand anderem zukommen zu lassen.

„Ich fahre auf die Grenadinen“, hatte sie gehaucht. „Guido Salvatore hat mich zu einer Feier auf seiner Jacht eingeladen. Mein Flug geht heute Abend.“

Mit düsterer Miene trank Alessandro einen Schluck von dem Champagner, der ihn hoffentlich ein wenig aufmuntern würde.

Ciao, Sandro“, begrüßte ihn jemand. Alessandro nickte wenig erfreut, denn Luc Dinardi war hinter Delia hergewesen. Sicher würde er nun Mitgefühl heucheln, weil diese Alessandro sitzen gelassen hatte.

Doch stattdessen sagte Luc mit einem Ausdruck gutmütiger Schadenfreude in den Augen: „Soll ich dir mein Beileid aussprechen oder dir gratulieren? Die Presse findet offenbar Letzteres angemessen, aber die ist ja immer hoffnungslos sentimental.“

Stirnrunzelnd blickte Alessandro ihn an. Wovon, um alles in der Welt, sprach Luc?

Dieser klopfte ihm auf die Schulter. „Du bist wirklich ein raffinierter Kerl. Schade, dass du zu diesem Mittel greifen musstest, um dein Ziel zu erreichen. Also, wann werden wir sie kennenlernen?“

„Wen?“

„Ach, komm schon, Sandro. Deine Verlobte natürlich – Tomaso Viales lange verschollene Enkelin.“

5. KAPITEL

Während Alessandro die Schnellstraße entlangfuhr, umfasste er das Lenkrad so fest, als wolle er Tomaso erwürgen. Doch was würde das nützen?

Genauso wenig, wie es helfen würde, das Gerücht abzustreiten, dachte er wütend. Das war ihm sofort klar gewesen, als Luc die Bombe hatte platzen lassen. Doch es hatte ihn all seine Selbstbeherrschung gekostet.

Denn es lag auf der Hand, warum das Ganze so faszinierend war. Der Artikel, der morgens in einer Boulevardzeitung gestanden hatte und bei dessen Lektüre Alessandro fast schlecht geworden war, hatte dies auf widerlich sentimentale Weise untermalt. Laut angeblicher „verlässlicher Quellen“ waren die Tage der Freiheit eines der begehrtesten Junggesellen von ganz Rom gezählt. Daneben befand sich ein Foto von ihm, aufgenommen bei einer geschäftlichen Veranstaltung, und ein Foto von Delia Dellatore, die sich, wie netterweise erwähnt wurde, nun in der Karibik befand. Außerdem war da noch ein Bild mit der schwarzen Silhouette einer Frau und einem großen Fragezeichen.

„Wer ist Alessandros geheimnisvolle Verlobte?“, lautete die zugehörige Überschrift.

Und zu guter Letzt war da noch ein Foto von Stefano Viale abgedruckt, der am Steuer seines Rennbootes stand. Der Artikel erinnerte an seinen tragischen Tod und erwähnte die mögliche Existenz einer Tochter – vielleicht die geheimnisvolle Verlobte?

„Es wäre eine Ehe wie durch eine Fügung des Himmels – und vermutlich durch Verhandlungen im Sitzungssaal von Viale-Vincenzo“, lauteten die abschließenden Worte des Artikels, in dem auch die Vermutung geäußert wurde, dass Tomaso Viale nun als Vorsitzender zurücktreten und Alessandro di Vincenzo zu seinem Nachfolger ernennen würde.

Alessandro hatte sich gezwungen, den ganzen Artikel zu lesen. Er wusste genau, um wen es sich bei der „verlässlichen Quelle“ handelte, und es machte ihn unglaublich wütend.

Bei der Villa angekommen, ging er direkt in die Bibliothek. Dort saß Tomaso im Rollstuhl am Kamin und spielte Schach mit Laura, die ihn offen anlächelte.

Alessandro hatte die junge Frau noch nie lächeln sehen. Sie wirkte plötzlich ganz anders. Ihr Gesicht wirkte so lebendig, dass sie beinahe …

„Ah!“, riss Tomaso Alessandro aus seinen Gedanken. „Da bist du ja. Setz dich doch zu mir. Laura, würdest du uns bitte entschuldigen? Wir müssen über etwas Geschäftliches sprechen.“

Offenbar war Tomaso über sein plötzliches Auftauchen nicht im Geringsten erstaunt. Das machte Alessandro noch wütender.

Laura stand auf. Schlagartig war ihre Miene wieder so verschlossen wie eh und je. „Natürlich“, sagte sie mit leicht erstickter Stimme, nickte Alessandro kurz zu und ging hinaus.

Wusste sie etwa Bescheid?

Alessandro blickte Tomaso an – und kniff die Augen zusammen.

Der alte Mann setzte in diesem Moment seine Gegnerin auf dem Spielbrett mit der Figur schachmatt, die er in der Hand hielt. Es war seine Dame.

Erleichtert ging Laura nach oben. Was auch immer vorgefallen sein mochte, Alessandro hatte sie angesehen, als würde er sie am liebsten umbringen. Sie machte sich Gedanken um Tomaso, dessen Herz ja noch immer geschwächt war. Doch als Alessandro in die Bibliothek gestürmt war, hatte der alte Mann ganz und gar nicht schwach gewirkt – eher erwartungsvoll.

Doch das alles ging sie nichts an. Wenn die beiden sich streiten mussten, und es sah ganz danach aus, dann wollte sie auf keinen Fall in der Nähe sein.

Sie beschloss, vor dem Abendessen noch einige Bahnen zu schwimmen. Als sie auf dem Weg zum Pool an der offen stehenden Tür der Bibliothek vorbeikam, hörte sie Alessandro mit lauter, aufgebrachter Stimme italienisch sprechen.

Alessandro versuchte nicht, seine Wut zu verbergen.

„Wie kannst du es wagen, der Presse so etwas zu erzählen?“, fragte er. „Und wozu, verdammt noch mal?“

Völlig unbeeindruckt von seinem Wutausbruch lehnte Tomaso sich zurück. „Natürlich, um dich in Zugzwang zu bringen. Alle Welt soll glauben, dass du meine Enkelin heiraten wirst.“

„Bist du völlig verrückt geworden?“, entfuhr es Alessandro ebenso fassungslos wie aufgebracht.

Tomaso blickte ihn offen und ehrlich an. „Nein, ich bin nur realistisch.“ Er seufzte schwer und schüttelte den Kopf. „Alessandro, ich bin doch nicht blind. Was Laura mir auch bedeuten mag, ob sie nun Intelligenz oder eine liebenswerte Persönlichkeit besitzen mag – und das tut sie –, Männer werden sie doch immer nach ihrem Äußeren beurteilen.“ Mit ernstem Gesicht fuhr er fort: „Ich musste mich also ganz einfach fragen: Wer wird sie heiraten wollen, so wie sie aussieht? Du bist der einzige Mann, der einen guten Grund hätte, nämlich den, die beiden Familien Viale und Vincenzo miteinander zu verbinden.“

„Danke für die Beleidigung“, sagte Alessandro leise, aber drohend.

Doch Tomaso machte nur eine ungeduldige Handbewegung. „So laufen die Dinge nun einmal. Menschen heiraten, um an Geld und Macht zu kommen.“

„Ich, Tomaso, habe für meinen Reichtum gearbeitet“, entgegnete Alessandro mit Nachdruck. „Also glaub nicht, du könntest mir deine Enkelin aufhalsen, weil Stefanos stimmberechtigte Aktien eine nette Mitgift wären!“

„Basta!“ Tomasos Augen funkelten. „Deine Annahmen sind völlig ungerechtfertigt. Ich wünsche Laura keinesfalls einen Ehemann wie dich.“ Er schwieg einen Moment und fuhr dann fort: „Es geht mir lediglich darum, dass sie hier in Italien bleibt. Sie möchte nämlich zurück nach England, um sich dort wieder zu verstecken. Und das will ich verhindern – schließlich habe ich sie gerade erst gefunden. Also muss sie einen Grund haben, hierzubleiben. Und diesen Grund werden die Gerüchte liefern.“

Alessandro beugte sich drohend zu dem alten Mann im Rollstuhl hinunter. „Du möchtest, dass sie denkt, ich wolle sie heiraten?“

„Nein. Sie soll nur einen Grund haben, mit dir nach Rom zu fahren.“

„Wie bitte? Ich soll sie mit nach Rom nehmen?“

„Genau. Du sollst mit Laura shoppen und zu Partys gehen – solche Dinge. Dann findet sie vielleicht Geschmack an dem Leben, das sie hier mit mir führen könnte.“

„Fahr doch selbst mit ihr nach Rom, Tomaso“, schlug Alessandro mit sehr beherrschter Stimme vor.

„Das würde Laura nicht tun“, entgegnete der ältere Mann sofort. „Sie würde sich weigern.“

„Und wie kommst du darauf, dass sie mit mir mitkommen würde?“

Tomasos Augen funkelten. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass es dir gelingen wird, sie zu überzeugen. Damit hast du doch sonst bei Frauen auch keine Probleme.“

„Aber warum sollte ich den Wunsch haben, Laura zu überzeugen?“

Tomaso lehnte sich zurück und sah ihn mit so ausdrucksloser Miene an, dass Alessandro ein Schauer über den Rücken lief.

„Weil ich meine Rücktrittserklärung geschrieben und dich als meinen Nachfolger vorgeschlagen habe“, erwiderte Tomaso. Er zog einen Briefumschlag unter dem Schachbrett hervor und hielt ihn Alessandro hin. „Das ist die letzte Aufgabe, die du erfüllen musst. Darauf gebe ich dir mein Wort.“

Ohne den Brief entgegenzunehmen, stand Alessandro auf und ging hinaus.

Es war ein kühler, regnerischer Tag. Doch Alessandro bemerkte es nicht einmal. In der hereinbrechenden Dämmerung lief er auf den Kieswegen um die Villa. Er kochte vor Wut.

Seine Miene wurde noch düsterer. Niemals würde er Tomaso das verzeihen. Dass er in Bezug auf seinen Rücktritt als Vorsitzender nicht sein Wort gehalten hatte, war eine Sache – aber das hier war etwas ganz anderes. Es war ein unverzeihlicher Affront, auch wenn Tomaso das offenbar gar nicht bewusst war. Sobald eine Zeitung ein Foto von Laura abdrucken oder sie sich öffentlich zeigen sollte, würde er entweder als Mann dastehen, der aus Karrieregründen eine unattraktive Frau heiratete, oder als jemand, der eine Frau verstieß, weil er sie als zu hässlich empfand.

Wieder hatte Tomaso ihm eine Falle gestellt, und sie war bereits zugeschnappt.

Alessandro hatte das Gefühl, jeden Moment zu explodieren, wenn er kein Ventil fand. Als er sich zur Villa umwandte, fiel sein Blick auf den Pool im Innern. Sofort beschloss er, sich mit körperlicher Bewegung ein wenig abzureagieren.

Auf dem Weg zum Haus warf er einen Blick durch die beschlagenen Fenster und stellte fest, dass bereits jemand im Wasser war. Wer, verdammt noch mal, ist das? fragte sich Alessandro gereizt. Undeutlich konnte er erkennen, wie die Person am anderen Ende des Beckens aus dem Wasser stieg. Es war eine Frau, die ihm den Rücken zuwandte.

Wie gebannt blieb Alessandro stehen, denn sie hatte eine atemberaubende Figur.

Ihr sportlicher, dunkelblauer Badeanzug zeigte nicht viel Haut, doch das war angesichts ihrer Figur auch nicht nötig. Als sie die Arme hob und sich das lange dunkle Haar auswrang, hoben sich auch ihre wohlgeformten Brüste. Mit sinnlichem Interesse blickte Alessandro ihr nach, als sie mit schnellen, geschmeidigen Bewegungen den Poolbereich verließ. Es musste eine von Tomasos Hausangestellten sein. Er war als Arbeitgeber sehr großzügig und erlaubte seinen Angestellten sicher, den Pool zu benutzen.

Alessandro betrat den Anbau durch die Terrassentür, streifte schnell seine Kleidung ab und ging nackt zum Becken, um hineinzuspringen.

Laura hatte sich im Umkleideraum einen Bademantel über den nassen Badeanzug gezogen. Sie würde in ihrem eigenen Badezimmer duschen und dann dort bis zum Abendessen bleiben. Schließlich wollte sie nicht noch einmal mit Alessandro zusammentreffen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. Es war ein Schock gewesen, ihn wiederzusehen. Nicht, weil es so unerwartet war, sondern wegen ihrer heftigen Reaktion auf ihn.

Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen in Wharton hatte Laura festgestellt, was er für ein atemberaubender Mann war. Ihr war allerdings auch nicht entgangen, dass er sich offenbar für Gottes Geschenk an die Frauenwelt hielt. Warum also hatte sich plötzlich ihr Magen zusammengezogen, als Alessandro in die Bibliothek ihres Großvaters gestürmt war? Es war einfach lächerlich – und es beunruhigte sie zutiefst.

Wenn Alessandro von ihren Gedanken wüsste, wäre ihm das mindestens so peinlich wie ihr. Es war vollkommen unangemessen, dass eine Frau wie sie einem Mann wie Alessandro Aufmerksamkeit schenkte, der unter den schönsten Frauen frei wählen konnte – und das sicher auch tat.

Bestimmt verbirgt sich unter seinen eleganten Anzügen und den blendend weißen Hemden ein fantastischer Körper – groß und schlank, muskulös und geschmeidig wie der einer Raubkatze, dachte Laura unwillkürlich – und blieb wie angewurzelt stehen.

Alessandro stand an der Schmalseite des Beckens und wollte offenbar gerade ins Wasser springen. Er war splitternackt.

Autor

Lucy Monroe

Die preisgekrönte Bestsellerautorin Lucy Monroe lebt mit unzähligen Haustieren und Kindern (ihren eigenen, denen der Nachbarn und denen ihrer Schwester) an der wundervollen Pazifikküste Nordamerikas. Inspiration für ihre Geschichten bekommt sie von überall, da sie gerne Menschen beobachtet. Das führte sogar so weit, dass sie ihren späteren Ehemann bei ihrem...

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