Romana Exklusiv Band 259

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

SÜßE VERFÜHRUNG AM PAZIFIK von MARINELLI, CAROL
Ein Kuss auf der Tanzfläche, eine stürmische Begegnung am Strand - so fühlt sich das Leben an! Keinen Moment glaubt Emma, dass der Tycoon Zarios D’Amilo ein verkommener Playboy ist. Am nächsten Morgen jedoch folgt das böse Erwachen: Zarios liebt eine andere!

IM SCHLOSS UNSERER LIEBE von LENNOX, MARION
Prinz Rafael de Boutaine weiß, wie übel man Kelly mitgespielt hat. Man hat sie von ihrem Sohn getrennt und des Landes verwiesen. Das Letzte, was sie jetzt braucht, ist eine Beziehung. Aber wie lange kann er seine Gefühle für die bezaubernde Engländerin noch leugnen?

STÜRMISCHE NÄCHTE AUF BARBADOS von ROSS, KATHRYN
Auf Barbados will Nicole ein letztes Mal in Lukes Armen liegen. Sie hat sich in den charmanten Millionär verliebt, obwohl er eine Beziehung ablehnt. Bevor er ihr das Herz bricht, muss sie ihn verlassen. Nur mit seiner entsetzten Reaktion hätte sie nicht gerechnet …


  • Erscheinungstag 03.07.2015
  • Bandnummer 259
  • ISBN / Artikelnummer 9783733740214
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carol Marinelli, Marion Lennox, Kathryn Ross

ROMANA EXKLUSIV BAND 259

CAROL MARINELLI

Süsse Verführung am Pazifik

Absolut hinreißend sieht Emma auf der Geburtstagsfeier ihres Vaters aus – so wundervoll, wie Zarios D’Amilo sie in Erinnerung hatte. Und so unwiderstehlich, dass er sich einfach nicht zurückhalten kann und mit ihr eine wunderbare Liebesnacht am Strand verbringt. Doch schon bald zeigt sie eine ganz andere Seite – war sie nur hinter seinem Geld her?

MARION LENNOX

Im Schloss unserer Liebe

Die Welt um Kelly scheint stillzustehen. Ihr kleiner Sohn Matty ist endlich wieder bei ihr! Und mit ihm dieser faszinierende Mann, Rafael de Boutaine. Der Prinzregent möchte, dass sie mit ihm nach Alp de Ciel kommt. Er scheint so charmant, so verständnisvoll. Doch schon einmal ist sie auf einen Monarchen hereingefallen …

KATHRYN ROSS

Stürmische Nächte auf Barbados

Luke Santana und seine Mitarbeiterin Nicole sind ein Musterbeispiel an Professionalität – in der Öffentlichkeit. Hinter verschlossenen Türen aber brodelt die Leidenschaft. Bis Nicole ihre Affäre aus heiterem Himmel beenden will! Auf Barbados versucht Luke sie umzustimmen. Er wird ihr zeigen: So schnell gibt ein Santana nicht auf!

1. KAPITEL

„Rate mal, wer heute Abend kommt!“

Ihre Mutter klang so aufgeregt, als sie den Telefonhörer auflegte, dass Emma lächeln musste.

„Halb Melbourne kommt.“

Lydia Hayes redete seit Wochen nur noch vom sechzigsten Geburtstag ihres Mannes und der großen Feier, die sie zu diesem Anlass ausrichtete. Das ursprünglich geplante Abendessen im Familienkreis hatte sich mittlerweile zu einer Gartenparty mit Festzelt und Bedienung ausgewachsen. Das beeindruckende Anwesen der Hayes war bis in den letzten Winkel herausgeputzt und der Platz für das Partyzelt so gewählt worden, dass die offenen Seiten einen atemberaubenden Blick über die Port Phillip Bay boten. Wenn das Wetter mitspielte, konnte man sogar über die Bucht mit ihren zerklüfteten Felsen und dem feinen weißen Sandstrand hinweg die Skyline der City sehen. Ein Tanzparkett war errichtet worden, die Band baute ihre Instrumente und Verstärker auf. Überall schwirrten Helfer herum, und Lydia wurde immer nervöser, je näher der Abend rückte. Der Anruf ließ sie nun für einen Augenblick alles andere vergessen.

„Wir bekommen unerwarteten Besuch.“ Sie klatschte vor Freude in die Hände. „Nun komm schon, rate!“

„Mum …“, stöhnte Emma nur, die sich gerade in ein Badetuch gewickelt die Zehennägel lackierte. Den ganzen Tag war sie ihrer Mutter bei den verschiedenen Vorbereitungen zur Hand gegangen und fürchtete, nun selbst nicht mehr rechtzeitig fertig zu werden.

„Sag’s mir einfach.“

„Zarios!“

Der rote Nagellack ging daneben. Sie griff nach einem Wattestäbchen und tupfte über ihren kleinen Zeh, ohne sich anmerken zu lassen, wie sehr die Nachricht sie aufwühlte.

Zarios – allein der Name jagte ein Prickeln durch ihren ganzen Körper. Jeder wusste sofort, von wem die Rede war, auch ohne dass sein berühmter Nachname genannt wurde.

Fotos von dem ungemein attraktiven, wenn auch häufig finster dreinblickenden Junggesellen erschienen regelmäßig in den Klatschspalten. Er hatte den Ruf eines unverbesserlichen Frauenhelden. Nach allem, was inzwischen über den Mann geschrieben worden war, fragte man sich, wieso es überhaupt noch Anwärterinnen gab, die bereit waren, sich mit ihm einzulassen.

Und es gab viele davon. Die Affären endeten ausnahmslos in Tränen. Wobei es natürlich die Damen waren, die sie vergossen.

„Warum?“ Ihre Neugier war einfach übermächtig. Sie verschloss das Nagellackfläschchen und sah ihre Mutter fragend an.

Ihre Väter waren zwar die besten Freunde, dennoch verstand sie nicht, wieso Zarios D’Amilo auf die Idee kam, zur Geburtstagsparty ihres alten Herrn zu erscheinen. Hatte er nichts Besseres vor an diesem Samstagabend? Ein Date mit einem Supermodel oder ein Flug zu einer Veranstaltung des Jetsets? Sicher stellte Eric Hayes’ sechzigster Geburtstag keine besondere Attraktion für ihn dar.

Als Rocco D’Amilo vor nahezu fünfzig Jahren im Alter von elf nach Australien gekommen war, hatte es der Sohn italienischer Einwanderer schwer gehabt. Er sprach kein Englisch und wurde in der Schule wegen seiner fremdländischen Gewohnheiten gehänselt. Erst als Eric Hayes Partei für ihn ergriff und dem Anführer der Rabauken ein blaues Auge schlug, brachen für den kleinen Italiener bessere Zeiten an. Aus dem ungleichen Paar wurden Freunde fürs Leben.

Rocco gründete später ein Bauunternehmen, Eric wurde Immobilienmakler. Selbst als Rocco mit seiner jungen Frau und dem neugeborenen Sohn nach Italien zurückkehrte, riss der Kontakt nicht ab. Sie waren einander Trauzeugen, Paten für ihre Kinder, und ihre Freundschaft war Roccos Rettungsanker, als seine Frau ihn und seinen damals vierjährigen Sohn verließ.

Eric hatte es mit der Zeit zu Wohlstand gebracht. Dank einiger weitsichtiger Immobilieninvestitionen führte seine Familie ein sorgenfreies Leben. Auch Rocco war erfolgreich, in Australien genauso wie in Rom. Doch erst als sein Sohn in die Firma eintrat, entwickelte sich der ehemalige Familienbetrieb zu dem Imperium, das er heute war. Nachdem er die besten Universitäten besucht hatte, führte Zarios das Unternehmen weiter. Die Mischung aus herausragender Intelligenz, gepaart mit den ethischen Grundsätzen, die er von seinem Vater übernommen hatte, erwies sich als unschlagbares Erfolgsrezept.

Mit dem nötigen Wissen und großem Elan hatte er aus dem Bauunternehmen eine weltweit agierende Immobilienfirma mit angeschlossener Finanzierungsgesellschaft gemacht. Die D’Amilo Kreditbank hatte bereits Niederlassungen in ganz Europa und Australien und stand im Begriff, weitere Filialen in Asien und den USA aufzubauen. Nun, da Rocco sich aus dem Geschäftsleben zurückziehen wollte, ging man allgemein davon aus, dass Zarios auch offiziell die Firmenleitung übernehmen würde.

Wenn nur sein Privatleben nicht so ausschweifend wäre!

„Er hat seine letzte Ermahnung erhalten.“ Obwohl sie nur zu zweit waren, senkte Lydia ihre Stimme zu einem Flüstern. „Dein Vater hat mir erzählt, dass der Vorstand Zarios’ Eskapaden nicht mehr länger tolerieren will. Sie wollen verhindern, dass er zum Mehrheitsaktionär wird.“

„Diese Entscheidung liegt doch sicher bei Rocco?“ Emma sah ihre Mutter fragend an.

„Rocco hat ebenfalls die Geduld mit ihm verloren. Er hat alles für den Jungen getan. Und was ist der Dank? Wenn sich alle Vorstandsmitglieder gegen ihn stellen …“, ihre Stimme wurde nun noch leiser, „… und es sieht ganz danach aus, dann …“ Sie warf Emma einen bedeutungsvollen Blick zu. „Jedenfalls hat er schlechte Karten, wenn sich die Gerüchte bestätigen, dass er mit Miranda Schluss gemacht hat. Eine stabile Beziehung, darauf hatten alle gehofft.“

„Sie waren doch erst vier Monate zusammen!“

„Das ist lang – in Hundejahren.“

Emma brach in hilfloses Kichern aus.

Ihre Eltern brachten sie manchmal zur Weißglut. Besonders wenn sie ihren Bruder Jake ihr ganz unverhohlen vorzogen. Oder ihren Beruf als Künstlerin abtaten, so als würde sie keiner richtigen Arbeit nachgehen. Doch in Momenten wie diesem, wenn sie unbekümmert mit ihrer Mutter lachte, gestand sie sich ein, dass sie ihre Eltern über alles liebte.

Während sie so in ihr Handtuch gewickelt dasaß und sich über den Scherz ihrer Mutter amüsierte, die sich selbst vor Lachen ausschüttete, wurde ihr die Kostbarkeit dieses Augenblicks bewusst.

Langsam senkte sich die Abendsonne über die Bucht und tauchte das Wohnzimmer in goldenes Licht. Wie sie diesen Ausblick liebte! Das Grundstück der Hayes reichte bis zu den Klippen. Sie war hier aufgewachsen, kannte jeden Strauch und jeden Stein, die Höhlen in den Felsen, in denen sie als Kind so gern gespielt hatte. Sie wusste, wo der versteckte schmale Pfad abzweigte, der durch die Klippen hinab zum Strand führte. Und heute war die Luft so klar, dass man über das tiefblaue glitzernde Meer hinweg bis nach Melbourne schauen konnte.

Sie ahnte, dass sie später noch oft an diesen wunderbaren und perfekten Sommerabend zurückdenken würde.

„Komm, wir müssen uns beeilen!“ Lydia wischte sich die Lachtränen aus den Augen und trieb ihre Tochter an. „Wo sollen wir ihn nur unterbringen?“

„Er bleibt über Nacht?“ Emmas Augen weiteten sich bei dem Gedanken.

„Aber ja doch!“ Lydias inzwischen überstrapazierte Nerven drohten sie nun im Stich zu lassen. „Rocco hatten wir als Übernachtungsgast eingeplant, aber Zarios … Wir werden ihm dein Zimmer geben müssen.“

„Auf gar keinen Fall!“

„Wir können ihn kaum auf dem Sofa im Arbeitszimmer schlafen lassen. Jake schläft in seinem früheren Zimmer, Rocco ist im Gästezimmer untergebracht. Es bleibt nur dein Zimmer übrig. Und jetzt beeil dich, du musst dich noch anziehen.“ Lydia war nicht bereit, diese Frage weiter zu diskutieren. „Meine Freundinnen werden vor Neid erblassen. Kannst du dir Cindys Gesicht vorstellen, wenn sie es erfährt? Du hast dir doch hoffentlich etwas Hübsches zum Anziehen gekauft?“

„Ein Hochzeitskleid vielleicht?“

„Immerhin hat er sich von Miranda getrennt!“ Lydia ging nicht auf den ironischen Unterton in Emmas Stimme ein. Sie selbst war nicht über die Mitte der gesellschaftlichen Aufstiegsleiter hinausgekommen und entschlossen, ihre Kinder in Höhen zu sehen, die ihr verwehrt geblieben waren. „Der begehrteste Junggeselle Australiens kommt heute zum sechzigsten Geburtstag deines Vaters. Bist du denn gar nicht aufgeregt?“

„Natürlich bin ich aufgeregt.“ Emma lächelte. „Weil es Dads Geburtstag ist.“

„Dann mach dich jetzt fertig.“ Mit einer wedelnden Handbewegung wollte sie ihre Tochter fortschicken, doch dann rieb Lydia sich mit einem leisen Stöhnen die Schläfen. „Sie können jeden Augenblick hier sein.“

„Mum, so beruhige dich doch.“

„Und wenn die Gäste nun etwas Spektakuläres erwarten?“

„Dann zaubern wir Zarios aus dem Hut“, sagte Emma schmunzelnd, doch ihre Mutter hatte keinen Sinn mehr für Scherze. „Unsere Gäste sind zu einer Geburtstagsfeier eingeladen, und es wird eine wunderbare Party.“ Sie durchquerte das Wohnzimmer, ging zu ihrer Mutter und nahm deren Hände. „Sie kommen, um mit dir und Dad zu feiern. Freu dich einfach darauf!“

„Und Jake ist noch nicht einmal hier.“ Lydias Stimme drohte zu kippen. „Mein eigener Sohn kann nicht einmal pünktlich erscheinen. Er hat doch hoffentlich daran gedacht, die Kanapees für das Frühstück zu bestellen?“ Emma hörte die Panik in der Stimme ihrer Mutter und beeilte sich, die Katastrophe abzuwenden.

„Natürlich hat er daran gedacht. Geh jetzt frische Bettwäsche holen. Ich mache mich inzwischen fertig und räume schnell mein Zimmer auf.“

Ihr Zimmer hatte sich nicht verändert, seit sie vor sieben Jahren von zu Hause ausgezogen war, um an der Universität Kunst zu studieren. Sie kam gern hierher zurück und liebte die Geborgenheit ihres kleinen Reichs. An diesem Abend war ihr Blick allerdings etwas kritischer als sonst, und Emma fragte sich, was Zarios wohl zu den Bildern an den Wänden sagen würde, zu den Vorhängen, die sie mit zwölf selbst gebatikt hatte, zu den überquellenden Bücherregalen und den vielen Fotos aus ihrer Kindheit, die auf der Kommode standen.

Sie hatte von Anfang an vorgehabt, zu diesem speziellen Geburtstagsfest ein besonders schönes Kleid zu tragen. Ihre winzige Kunstgalerie in Melbournes Chapel Street befand sich in direkter Nachbarschaft zu einer Reihe von schicken Boutiquen. Was ist nur in mich gefahren? fragte sie sich, als sie nun in das tiefblaue Kleid schlüpfte, an dem ihr Blick im Schaufenster hängen geblieben war. Die Farbe erinnerte sie an den Ozean an einem herrlichen Sommertag. Der Preis war abschreckend gewesen. Die geschickte Verkäuferin hatte sie jedoch überreden können, das Kleid zumindest einmal anzuprobieren. Als sie sich dann im Spiegel betrachtete, hatte ein innerer Kampf eingesetzt. War es nicht doch zu viel Geld?

Und zu wenig Stoff?

Ein paar Zentimeter kürzer, als sie es sich vorgestellt hatte. Dafür sehr figurbetont an genau den falschen Stellen, wie sie fand. Wollte sie ihren Po wirklich so zur Schau stellen? War ihr Busen plötzlich größer geworden? Hauchzarte, eng anliegende Seide, die bei jedem Schritt ihre Beine umspielte.

Sie sah göttlich darin aus.

Und es passt genau zu den sündteuren Sandaletten, die ich dazu gekauft habe, dachte sie, als sie jetzt den Schuhkarton aus dem Schrank holte.

Ein letztes Mal mit dem Glättstab durch die Haare, das Lipgloss nicht vergessen. Sie dankte dem Himmel dafür, dass sie ihre Bedenken über Bord geworfen und das Kleid gekauft hatte. Nun musste sie sich vor Zarios D’Amilo nicht verstecken, den sie heute nach ihrer letzten peinlichen Begegnung vor vielen Jahren zum ersten Mal wiedersehen würde.

Sie nahm eines der Fotos von der Kommode und betrachtete die versammelte Hochzeitsgesellschaft. Wie kindisch, dachte sie, als sie spürte, dass sie errötete. Es ist doch nur ein Bild. Doch selbst auf dem Foto erlag sie dem Zauber von Zarios’ ernsten dunklen Augen.

Ich war doch erst neunzehn …

Neunzehn und sehr naiv. Sie war bei Jakes Hochzeit eine der Brautjungfern gewesen. Fürchterlich herausgeputzt in Unmengen von rosafarbenem Tüll.

Unter den Gästen befand sich auch Zarios. Gerade erst nach Australien zurückgekehrt, hatte er mit starkem italienischem Akzent gesprochen. Sie hätte ihm stundenlang zuhören können. Er war der attraktivste Mann, den sie je getroffen hatte. Die ganze Hochzeit war wie im Traum an ihr vorbeigezogen. Bis er schließlich pflichtschuldigst mit ihr getanzt hatte. Und weil er unwiderstehlich war, und sie zu viel Champagner getrunken hatte, hatte sie sich in ihn verliebt.

Sie legte das Foto zuunterst in eine Schublade und schloss sie mit Schwung. Auf keinen Fall sollte er das Bild sehen. Sie wollte nicht riskieren, dass er sich an den peinlichen Vorfall erinnerte. Doch die Bilder in ihrem Kopf ließen sich nicht so leicht beiseiteschieben wie ein Foto. Zarios und sie beim Tanzen. Wie er sich zu ihr hinabgebeugt hatte, um ihr etwas zu sagen, und sie geglaubt hatte, er wolle sie küssen. Erwartungsvoll hatte sie die Augen geschlossen und die Lippen gespitzt.

Noch heute, sechs Jahre später, wurde ihr heiß bei dem Gedanken, wie naiv sie gewesen war.

Sein tiefes kehliges Lachen klang ihr noch im Ohr. „Vielleicht später, wenn du erwachsen bist.“ Als der Tanz zu Ende war, hatte er sie lächelnd mit einem Klaps auf den Po verabschiedet. „Außerdem würde dein Vater es mir nie verzeihen“, hatte er noch hinzugefügt.

Er hat es bestimmt schon längst vergessen, versuchte sie sich zu beruhigen.

Bei all den Schönheiten, mit denen er sich umgab, würde er mit Sicherheit nicht mehr an das linkische junge Ding denken, das geglaubt hatte, er wolle es küssen. Außerdem war sie inzwischen sechs Jahre älter und klüger geworden. Sie würde diesem professionellen Herzensbrecher nicht mehr auf den Leim gehen.

So dumm wie damals würde sie sich nicht mehr benehmen. Sie probte einen kühlen und distanzierten Blick vor dem Spiegel. Ob eine Hochsteckfrisur gut dazu aussah? Sie türmte ihre langen blonden Haare auf und entschied sich dagegen. Vielleicht sollte sie das Ganze einfach als Anekdote betrachten und darüber lachen …

Vielleicht sollte sie ihr Zimmer aufräumen!

Ihre Mutter kam mit frischer Bettwäsche herein, und Emma sammelte schnell herumliegende Kleidungsstücke, Kosmetikartikel und Zeitschriften ein. Lydia hängte Handtücher über das Fußende des Betts und stellte einen Wasserkrug und ein Glas auf den Nachttisch. „Meinst du, ich sollte ihm einen kleinen Snack herrichten lassen? Oder fällt dir sonst noch etwas ein?“

„Eine Schachtel mit Baldrian, damit er sich nicht fürchtet?“, schlug Emma vor und brachte ihre Mutter damit zum Kichern. „Nach allem, was man hört, ist er es nicht gewohnt, in der Nacht allein zu sein.“

Es war so leicht, ihre Mutter zum Lachen zu bringen. Allerdings kehrte die Anspannung sofort zurück, als sie den Hubschrauber hörten, der sich über die Bucht hinweg ihrem Anwesen näherte. Auch wenn ihre Eltern und Freunde wohlhabend waren, so würde sich doch niemand außer den D’Amilos zu einer Party fliegen lassen. Emma trat ans Fenster und beobachtete, wie der Helikopter einen Augenblick auf der Stelle schwebte, die Markise zu flattern begann, das Gras sich unter dem wirbelnden Propeller flach legte und dann …

Unwillkürlich musste sie den Atem angehalten haben, denn die Glasscheibe beschlug nicht mehr. Und als ein langes Bein in einer Designerhose sichtbar wurde, wusste sie, dass er es war.

Der Rest war auch nicht von schlechten Eltern.

Zarios half seinem Vater beim Aussteigen. Geduckt gingen sie unter den Rotorblättern hindurch über den Rasen auf das Haus zu. Dem bereits wieder startenden Hubschrauber schenkten sie keinen weiteren Blick, so selbstverständlich war für sie diese Art des Reisens.

Zarios trug eine schwarze Abendhose, dazu ein maßgeschneidertes weißes Hemd. Die rastlose Energie, die er ausstrahlte, sein makelloses Aussehen und die Art, wie er den Kopf zurückwarf und über eine Bemerkung seines Vaters lachte, das alles schnürte ihr die Luft ab. Plötzlich schaute er direkt nach oben, als wüsste er, dass er beobachtet wurde, und sie zuckte zurück.

„Emma!“ Sie hörte die aufgeregte Stimme ihrer Mutter und riss sich zusammen. „Sie sind da! Eine ganze Stunde zu früh!“

„Das sind die Menschen, die mir am liebsten sind“, sagte Rocco auf Italienisch, während sie über den Rasen schritten, und erinnerte seinen Sohn daran, wie viel ihm die Hayes bedeuteten. „Ich erwarte, dass es heute Abend keinen Skandal gibt.“

„Du glaubst zu viel von dem, was du liest.“ Zarios lachte. „Ich kann mich durchaus benehmen, wenn es darauf ankommt. Außerdem denke ich nicht, dass ein sechzigster Geburtstag mir viele Möglichkeiten für Entgleisungen bieten wird.“

„Zarios …“ Rocco ging nicht auf den scherzhaften Ton ein. Er hatte es für eine gute Idee gehalten, seinen Sohn mitzunehmen. Das gefährliche Glitzern in den Augen, mit dem Zarios nach der jüngsten Trennung suchend um sich blickte, gefiel ihm überhaupt nicht. War es wirklich klug gewesen, ihn ausgerechnet zu diesem Fest einzuladen? Auf dem kurzen Flug zum Anwesen der Hayes hatte Rocco sich an Jakes Hochzeit erinnert. Sein Sohn war damals sofort von der Tochter des Hauses angetan gewesen. Er hatte ihn gewarnt, und glücklicherweise hatte Zarios auf ihn gehört und die Finger von Emma gelassen. Inzwischen waren sechs Jahre vergangen, und Rocco hatte keinen Einfluss mehr auf die Liebschaften seines Sprösslings. „Erinnerst du dich noch an ihre Tochter Emma?“

„Blond und gut aussehend?“ Zarios grinste, als die Bilder von damals in ihm aufstiegen. Vielleicht würde der Abend doch nicht so langweilig werden. „Ja, allerdings.“

„Sie ist zu einer sehr attraktiven Frau herangewachsen.“

„Wunderbar.“

„Warte!“ Rocco zog ein Taschentuch hervor und wischte sich über die Stirn.

„Alles in Ordnung, Pa?“

„Nur ein kleines Ziehen in der Brust.“ Er holte eine Tablette aus einem silbernen Pillendöschen und legte sie sich unter die Zunge. „Nicht weiter tragisch.“ Tatsächlich verspürte er einen leichten Druck. Vielleicht nicht stark genug für seine Medizin, doch möglicherweise half die Mitleidstour, Zarios ein wenig gefügiger zu machen. „Du weißt, wie sehr ich Lydia verehre. Aber du weißt auch, dass sie nicht mit Geld umgehen kann. Nun, wie es scheint, schlägt Emma in dieselbe Richtung …“

„Dann ist es ja nur gut, dass ich reich bin“, witzelte Zarios. Sein Vater blieb ernst.

„Eric macht sich Sorgen …“ Es ist nur eine kleine Lüge, hielt er sich zugute. Wenn ich Zarios davon abhalten kann, Emma nachzustellen, muss ich mir später von Eric keine Vorhaltungen machen lassen, dass mein Sohn seiner Tochter das Herz gebrochen hat.

Genau das würde Zarios nämlich tun. Ein Anflug von Müdigkeit überkam ihn, und Rocco tupfte sich noch einmal über die Stirn, bevor er das Taschentuch wegsteckte. Zarios würde ihr mit Sicherheit das Herz brechen.

„Lass dich nicht mit ihr ein.“ Er ging nun wieder weiter. „Es gäbe zu viel Ärger.“

„Ihr seid schon da!“ Eric, der sich im Gegensatz zu seiner über die Maßen nervösen Frau keine Gedanken über Unterbringung und Garderobe machte, ging entspannt auf seinen alten Freund zu und umarmte ihn herzlich. Zarios blieb etwas abseits stehen.

„Wir wollten ein wenig Zeit mit euch verbringen, bevor die anderen Gäste kommen.“ Rocco strahlte und überreichte Eric ein aufwendig verpacktes Geschenk. „Leg es beiseite, und sieh es dir morgen an.“

„Auf der Einladung stand ‚keine Geschenke‘“, sagte Lydia tadelnd. Es war ihr jedoch anzusehen, wie sehr sie sich über das Wiedersehen freute. „Zarios, wie schön, dass du kommen konntest!“

„Ja, ich freue mich auch.“

Er sprach mit tiefer, melodischer Stimme, und sein Akzent war noch immer auszumachen. Emma verspürte ein leichtes Kribbeln im Nacken, als sie die Treppe hinunterging und sich bemühte, kühl und distanziert zu wirken. Sie sah, wie er ihre Mutter auf beide Wangen küsste und danach ihren Vater begrüßte. Dann richtete er seine dunklen Augen direkt auf sie.

„Emma. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen.“ Sein Lächeln war verhalten. Während des Bruchteils einer Sekunde hatte er die Veränderungen an ihr bemerkt. Sie hatte sich das Haar wachsen lassen, es fiel ihr wie ein langer, seidiger Vorhang über die Schultern. Ihr ehemals überschlanker sportlicher Körper wies an den richtigen Stellen Rundungen auf, und ihr Kleid betonte ihre äußerst weiblichen Kurven und die schlanken Beine. Zarios war dankbar für die Warnung seines Vaters. Ohne sie würde der Abend mit Sicherheit einen anderen Verlauf nehmen.

Emma war auch damals schon hübsch gewesen. Aber jetzt sah sie hinreißend aus!

„Ja, sehr lange.“ Sie war am Fußende der Treppe angelangt und blieb auf der untersten Stufe stehen. Trotzdem musste er sich hinunterbeugen, um sie auf die Wange zu küssen. Dabei nahm er ihren Duft wahr.

Genau wie damals, schoss es ihm durch den Kopf, während seine Lippen leicht über ihre Wangen strichen. Könnte ich sie doch jetzt so küssen, wie sie es sich damals gewünscht hat, dachte er impulsiv. Aber wieder war er gezwungen, sich zurückzuhalten.

Die anderen gingen weiter, sodass sie kurz miteinander allein waren. Beide in Gedanken versunken.

„Du siehst gut aus.“ Er runzelte leicht die Stirn. „Wie lange ist es her, seit wir uns zuletzt gesehen haben?“

„Ein paar Jahre, glaube ich“, antwortete sie schulterzuckend. Er sollte nicht merken, dass sie es bis auf den Tag genau wusste. „Vier oder vielleicht fünf?“

Er schüttelte den Kopf. Sie folgten den anderen ins Wohnzimmer. „Es war auf der Hochzeit deines Bruders.“

„Dann sind es fünf Jahre.“ Sie lächelte. „Nein, sechs.“

„Kommt herein“, drängte Lydia. „Emma, bring unseren Gästen etwas zu trinken.“

In diesem Augenblick erschien eine der für den Abend eingestellten Kellnerinnen mit einem Tablett voll eilig gefüllter Champagnergläser. Emma nahm sich ein Glas, bevor ihre Mutter sie weiterscheuchte.

„Einen richtigen Drink!“, flüsterte ihr Lydia hastig zu.

„Whisky?“ Den hatte Rocco bei seinen früheren Besuchen immer getrunken. „Mit einem Schuss Wasser?“

„Du hast ein gutes Gedächtnis.“ Rocco strahlte.

„Zarios?“ Sie zwang sich, ihn anzusehen. „Was möchtest du?“ Seine dunklen Augen hielten ihre fest, und sie hätte schwören können, dass er bewusst einen Moment länger als nötig schwieg. Eine Andeutung? Sofort loderte das Feuer, das sie seit der Hochzeit ihres Bruders unterdrückt hatte, wieder in ihr auf. Sie kam nicht dagegen an.

„Whisky.“ Kein Bitte, kein Danke. „Ohne Wasser.“

Und sie stand in Flammen.

Ihre Hand zitterte, als sie das Sektglas abstellte, bevor sie die goldfarbene Flüssigkeit einschenkte. Ihre Erinnerung hatte ihr keinen Streich gespielt. Er war noch genauso gefährlich wie damals und dazu eingebildet und überheblich. Sie reichte ihm das Glas, versuchte die leichte Berührung ihrer Finger zu ignorieren, nahm ihr Glas und durchquerte rasch das Wohnzimmer, um sich möglichst weit von ihm entfernt aufs Sofa zu setzen.

Die Flucht sollte ihr nicht gelingen.

Er nahm neben ihr Platz. Ein wenig zu nah für ihren Geschmack. Sie berührten sich nicht, doch sie spürte die Wärme seines Körpers und neigte sich leicht zu ihm hin, da die Federn des alten Ledersofas unter seinem Gewicht nachgaben.

Er ließ ihr keinen Raum. Aber vermutlich war das sein Trick. Kaum jemand hätte etwas bemerkt. Nur wenn man neben ihm saß oder ihn genau musterte, empfand man es. Sie trank einen Schluck von ihrem Champagner und wünschte, sie hätte auch Whisky gewählt. Irgendetwas, um ihre Nerven zu beruhigen, die Stromschläge auszuteilen schienen.

„Ich nehme an, Jake und seine Frau kommen heute Abend ebenfalls?“

„Jake kommt allein.“

„Sie haben Zwillinge, stimmt’s?“, setzte er das Gespräch fort und beobachtete, wie sich ihre Miene entspannte und Emma lächelte, während sie von ihrer Nichte und ihrem Neffen erzählte.

„Harriet und Connor. In ein paar Wochen werden sie drei.“ Als hätte er nur auf sein Stichwort gewartet, kam ihr Bruder ins Zimmer geeilt.

„Darling!“ Stürmisch fiel Lydia ihrem Sohn um den Hals. Der Groll über seine Verspätung war vergessen. „Wie schön, dich zu sehen!“

„Tut mir leid“, entschuldigte er sich, „der Verkehr war ein absoluter Albtraum.“

„An einem Samstag?“ Emma konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen.

„Wegen des Football-Spiels.“ Lydia strahlte ihn an. „Die Stadt gleicht einem Hexenkessel. Ich bin so froh, dass du heil durchgekommen bist. Du hast doch an die Kanapees für morgen gedacht?“

Jakes Lächeln gefror, er schaute Hilfe suchend zu seiner Schwester, und Lydias Augen weiteten sich vor Schreck. Emma war versucht, ihn auflaufen zu lassen. Sie wollte nicht schon wieder für ihn die Kohlen aus dem Feuer holen. Ihre Eltern sollten endlich sehen, dass er nicht einmal in der Lage war, den winzigen Gefallen, um den sie ihn gebeten hatten, auszuführen. Doch wie Jake nur zu genau wusste, brachte sie es nicht über sich.

„Ach, ich habe ganz vergessen, es dir auszurichten, Mum. Die Bäckerei hat vorhin angerufen und bestätigt, dass mit Jakes Bestellung alles in Ordnung geht. Sie liefern morgen in aller Frühe.“

„Ach, Emma“, fuhr ihre Mutter sie an. „Das hättest du mir wirklich sagen können!“

„Wo ist Beth?“ Rocco sah in die Runde und stellte die Frage, vor der Lydia sich gefürchtet hatte. „Und wo sind die Zwillinge? Ich hatte mich darauf gefreut, sie wiederzusehen.“

„Heute Abend sind nur Erwachsene eingeladen.“ Sie lächelte wieder, aber ihr Blick hatte sich verhärtet.

„Warum?“ Rocco hatte zu lange allein gelebt und nahm den warnenden Blick nicht wahr, den Lydia ihm zuwarf. „Kinder gehören zur Familie. Sie sollten mit dabei sein, wenn …“

Überraschend ließ Zarios sich vernehmen: „Ach, komm schon, Pa.“ Er schenkte seinem Vater ein schmallippiges Lächeln, und Emma war sicher, eine Spur von Verachtung herauszuhören, in der Art, wie er seinem Vater ins Wort fiel. „Du erinnerst dich doch bestimmt noch daran, wie anstrengend es ist, die Kleinen während einer Familienfeier ins Bett zu bringen. Und all die Dinge, die man mitnehmen muss …“

„Ganz genau.“ Lydia nickte heftig. „Die Zwillinge besuchen uns nächstes Wochenende. Oh, und Beth natürlich auch.“

„Es tut mir leid.“ Zarios lächelte Emma zu, während die Unterhaltung weiterging.

Sie runzelte die Stirn und sah ihn fragend an. „Was tut dir leid?“

„Es ist nicht wichtig.“ Er nahm einen Schluck Whisky, bevor er fortfuhr: „Es ist ungewohnt, meinen Vater in dieser Umgebung zu erleben. Zu sehen, wie er sich auf Kinder freut und Neuigkeiten mit seinen alten Freunden austauscht. Wir sehen uns meistens nur geschäftlich …“

„Und in der Familie?“

„Nein“, sagte er schroff. Sie zuckte zusammen, als ihr auffiel, wie unsensibel ihre Bemerkung gewesen war. Ihre Eltern waren Roccos Familie. „Wir sehen uns nicht oft privat.“

Sie wusste, dass Zarios in ein Internat gekommen war, nachdem seine Mutter die Familie verlassen hatte. Lydia hatte ihr erzählt, wie sehr Rocco damals darum gekämpft hatte, die Firma über Wasser zu halten, immer unterwegs zwischen Rom und Australien, und wie sehr es ihm zugesetzt hatte, dass er Zarios nur so selten sehen konnte.

Erst jetzt wurde ihr klar – richtig klar –, dass diese Phase seines Lebens nicht nur für Rocco schlimm gewesen sein musste. Wie viel mehr noch musste sein Sohn darunter gelitten haben.

2. KAPITEL

Falls Zarios tatsächlich trostlosen Gedanken über seine einsame Kindheit nachhing, so merkte man es ihm zumindest nicht an. Er lachte über Erics Witze und brachte Lydia mit seinem charmanten Lächeln zum Erröten.

Die Zeit verging wie im Flug, bald trafen weitere Freunde und Verwandte ein, und man begab sich in den Garten, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Die Band begann zu spielen, und die Zahl der Gäste wuchs rasch. Es dauerte nicht lange, bis Cindy, Lydias gut aussehende blonde Freundin, Zarios mit Beschlag belegte. Emma wusste, dass Cindy auf die fünfzig zuging, aber ausdauerndes Hungern und jahrelange Botoxbehandlungen ließen sie im schmeichelnden Abendlicht geradezu jugendlich erscheinen. Na dann, viel Glück, dachte Emma, froh, eine Pause zum Durchatmen zu haben.

Zarios war beunruhigend.

Er brachte alles in ihr in Aufruhr.

Sie wusste nun, dass nichts von dem, was sie über ihn gehört hatte, übertrieben war. Und sie verstand inzwischen auch, warum die Frauen ihn trotz seines Rufs umschwärmten. Wenn man ihn erst einmal persönlich kannte, war man sofort von seiner elektrisierenden Persönlichkeit in den Bann gezogen.

Sie unterdrückte ein Schmunzeln, als sie Cindy ein bisschen zu laut über eine Bemerkung von Zarios lachen hörte und sah, wie sie ihm beim Antworten vertraulich eine Hand auf den Arm legte. Sollte sie ihn doch haben.

„Kann ich dich später kurz sprechen, Emma?“ Jake lief über den Rasen auf seine Schwester zu und winkte im Vorbeigehen mit strahlendem Lächeln einigen älteren Tanten zu. Wie immer benahm er sich, als stünde er vor der Kamera.

„Natürlich.“

„Unter vier Augen“, fügte er hinzu, und eine dunkle Vorahnung ließ sie frösteln.

„Warum?“

„Sei doch nicht so.“ Er seufzte.

„Willst du mir das Geld für die Kanapees geben?“ Diese Frage wirkte kleinlich, zugegeben, doch falls Jake ihr das Geld geben konnte, musste sie sich möglicherweise keine Sorgen machen.

Sie hoffte von ganzem Herzen, dass es so war.

„Es tut mir wirklich leid, dass ich die Bestellung vergessen habe.“

„Es war das Einzige, worum Mum dich gebeten hat. Was wäre denn geschehen, wenn ich nicht eingesprungen wäre?“

„Aber du bist ja eingesprungen!“ Sie hätte schwören können, einen aggressiven Unterton in seiner Stimme zu hören. Doch er hatte sich sofort wieder in der Gewalt. „Hier!“ Er zog seine Brieftasche hervor und gab ihr einige Geldscheine. „Danke, dass du dich darum gekümmert hast. Wir sehen uns dann später.“

„Darf ich fragen, worum es geht?“

„Nicht hier, okay?“

Nicht hier, wo die anderen merken könnten, dass du nicht perfekt bist, dachte sie wütend. Aber natürlich sagte sie nichts, nickte ihm nur kurz zu und presste verärgert die Lippen zusammen, als sie spürte, dass sie den Tränen nah war. Jake drehte sich abrupt um und ging davon.

„Jake.“ Zarios hob die Augenbrauen, als Emmas Bruder an ihm vorbeigehen wollte. Jake konnte nicht entgangen sein, dass er die Szene beobachtet hatte. Zwar gebot die Höflichkeit, kein Wort darüber zu verlieren, doch das kümmerte Zarios im Moment wenig. Er wandte sich von Cindy ab und hielt ihn mit einer kurzen Frage auf: „Ist alles in Ordnung?“

„Alles bestens.“ Jake grinste, aber sein Gesicht war leicht gerötet, und er folgte Zarios’ Blick, der sich auf Emma richtete. „Nur eine kleine Familienangelegenheit, du weißt schon …“

„Nicht wirklich.“

„Nun ja …“ Beide Männer beobachteten, wie sie das Geld in ihre Tasche steckte. „Es ist nicht einfach für sie. Und ich helfe ihr, so gut es geht.“

Zarios hatte verstanden. Und er wusste, dass er die Finger von dieser Frau lassen sollte. Doch nun war seine Neugier geweckt. Als kurz darauf ein erfreutes Raunen durch die Gesellschaft ging und die Bediensteten mit schweren silbernen Tabletts voller kleiner Köstlichkeiten erschienen, stellte er sich neben sie.

„Du siehst aus, als würdest du dir Sorgen machen.“

Sie rang sich ein Lächeln ab. „Ich habe keine Ahnung, was meine Mutter sich für heute Abend ausgedacht hat.“

„Ich würde sagen, sie hat sich selbst übertroffen.“

Sie wusste, wie wichtig ihrer Mutter das Gelingen der Party war, und freute sich über das Lob. Eigentlich hatte sie die üblichen Partyhäppchen erwartet, doch als sie einen Blick auf eines der Tabletts warf, war sie gerührt. Ihre Mutter hatte alle gängigen Partyregeln in den Wind geschossen und war ihrem Herzen gefolgt.

„Oh!“ Emma schmunzelte, als ihr Blick über die winzigen Sandwiches glitt. Das Brot war dünn und leicht wie Schmetterlingsflügel. Der Belag war allerdings äußerst ungewöhnlich für den gegebenen Anlass.

Marmelade

Hefebrotaufstrich

Salami

Mortadella

Alles natürlich wunderbar angerichtet. Als sie in eines der Sandwiches biss und den vertrauten Geschmack wahrnahm, musste sie lachen. Die Anspielung war klar.

„Unsere Väter haben in der Schule immer die Pausenbrote getauscht.“ Zarios grinste ebenfalls. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mein Vater mir davon erzählte. Als er zum ersten Mal ein Sandwich deines Vaters probierte, meinte er, noch nie etwas so Widerliches gegessen zu haben. Und deinem Vater ging es ähnlich. Nach zwei Wochen Gewöhnungszeit tauschten sie regelmäßig ihre Brote aus.“

„Dad ist überzeugt davon, der erste Australier gewesen zu sein, der getrocknete Tomaten liebte. Er aß sie jeden Tag, lange bevor sie hier bekannt und beliebt wurden.“

„Ja.“ Zarios nickte. „Außerdem hat dein Dad zu meinem Vater gehalten, als die ganze Klasse gegen ihn war. Er ist ein Pfundskerl.“

„Das ist er.“ Sie lächelte. „Bitte entschuldige mich jetzt. Ich muss mich um die Gäste kümmern.“

„Das tust du doch.“

„Ich meine …“, sie suchte verlegen nach Worten, „um die Tanten und so.“

„Dein Vater würde sicher wollen, dass du dich um diejenigen kümmerst, die sonst niemanden kennen.“

Was hatte er für sinnliche Lippen – und wie gefährlich war doch dieses kleine Lächeln, das sie umspielte.

„Es ist nicht fair, mich hier einfach stehen zu lassen.“

„Ich bin sicher, Cindy kümmert sich gern um dich.“ Mist! Sie hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, weil er nun wusste, dass sie ihn beobachtet hatte.

„Cindy will nur das Eine von mir.“ Er beugte sich vor, und seine Stimme klang eine Oktave tiefer. Emma spürte, wie ihre Knie nachzugeben drohten, als er plötzlich so dicht vor ihr stand. „Und ich lasse mich nicht benutzen.“

„Als ob das möglich wäre.“ Sie legte den Kopf in den Nacken und lachte. Doch das Lachen war zu schrill, sie hörte es selbst. In seiner Nähe verlor sie einfach die Kontrolle über sich.

„Außerdem habe ich strikte Anweisung, mich heute Abend zu benehmen.“ Wieder neigte er den Kopf zu ihr hinab – wie er es eben getan hatte, wie er es vor sechs Jahren getan hatte –, und wieder sehnte sie sich nach seinem Kuss. „Ich glaube, Cindy hat Probleme mit dem Älterwerden.“ Sein italienischer Akzent und seine körperliche Nähe brachten ihren Puls zum Rasen. „Und das törnt mich ab.“

„Ihr Alter?“ Sie bemühte sich, ihre Stimme normal klingen zu lassen, auch wenn sie glaubte, kaum noch atmen zu können.

„Nein, die Tatsache, dass es für sie ein Problem ist.“ Er lächelte. „Ich bin nicht Kavalier genug, um ihrer Eitelkeit zu huldigen.“

Gott, er war unwiderstehlich! Durchtrieben und schlagfertig, und er hatte sogar Humor. Sie trat einen Schritt zurück, hielt einem vorbeikommenden Kellner ihr Glas zum Nachfüllen hin und hätte am liebsten den Sektkühler genommen und sich den Inhalt über den Kopf geschüttet, um wieder zu Verstand zu kommen.

Nie hatte sie sich in angenehmerer Gesellschaft befunden. Die Unterhaltung mit ihm war witzig, und er flirtete ganz offen mit ihr, überschritt dabei allerdings nie die Grenze zur Taktlosigkeit. Sie hatte ihn für arrogant gehalten und war nun überrascht, dass er die Versuche der anderen Frauen, seine Aufmerksamkeit zu erregen, sehr pointiert, aber nie bösartig kommentierte.

An diesem Abend jedenfalls interessierte er sich nur für sie.

Lydia hatte sich selbst übertroffen, und Emma genoss die Party in vollen Zügen. Die Mischung und die Anzahl der Gäste waren genau richtig, das Essen schmeckte köstlich, und es gab reichlich Nachschub an Getränken. Mit Zarios an ihrer Seite fühlte sie sich glücklich und unbeschwert. Und wäre Jake ihr nicht ins Haus gefolgt, um sie abzupassen, als sie von der Toilette kam, der Abend wäre perfekt gewesen.

Es handelte sich um ein unangenehmes Thema. Aber das war bei ihm auch nicht anders zu erwarten gewesen. Er führte sie ins Arbeitszimmer, um ungestört mit ihr zu reden. Nachdem sie ihm zugehört hatte, ohne ihn zu unterbrechen, wusste sie, dass ihre schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen wurden. Was er von ihr verlangte, war ungeheuerlich. Und es war ausgeschlossen, dass sie ihm half.

„Jake, so viel Geld habe ich nicht.“

„Aber du könntest es bekommen.“

„Wie denn?“ Ihre Augen weiteten sich. „Es geht um eine sechsstellige Summe!“

„Deine Wohnung ist inzwischen viel mehr wert, als du dafür gezahlt hast.“

„Und warum sollte ich für deine Schulden aufkommen? Wieder einmal?“ Sie konnte sich den Nachsatz nicht verkneifen. So oft schon hatte sie ihm aus dem Schlamassel geholfen, ohne ihr Geld auch nur ein einziges Mal zurückzubekommen. Darauf bestanden hatte sie nie, aber die Summe, die er jetzt verlangte, überstieg ihre Möglichkeiten bei Weitem. „Warum sollte ich einen Kredit aufnehmen, um dir zu helfen?“

„Wenn ich die Angelegenheit nicht regele, wird Beth mich verlassen. Hör zu, Emma …“ Er fuhr sich nervös durchs Haar. „Sie arbeitet seit Jahren nicht mehr, jammert ständig, dass das Geld nicht reicht, tut aber selbst nichts, um einen Job zu finden …“

„Sie hat zweijährige Zwillinge“, fuhr sie ihn wütend an. „Ist das nicht Arbeit genug?“

„Emma.“ Seine Stimme war jetzt kaum noch hörbar. „Sag es bitte nicht Mum und Dad, ich will nicht, dass sie sich Sorgen machen. Wir haben Probleme mit den Zwillingen.“ Als sie die Stirn runzelte, fuhr er fort: „Verhaltensprobleme. Das ist auch der Grund, warum sie heute Abend nicht hier sind. Beth wird nicht mit ihnen fertig. Sie schafft es nicht einmal, sie bis zum Mittagessen anzuziehen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, mit ihr zu leben. Sie macht zu Hause keinen Finger krumm. Obwohl sie den ganzen Tag da ist, muss ich eine Putzfrau bezahlen. Bitte, wenn du mir nicht hilfst, dann verliere ich das Haus und die Kinder. Kannst du dir vorstellen, was das für Mum und Dad bedeuten würde?“

„Du musst es ihnen sagen“, bat sie ihn inständig. „Und es sind diesmal bestimmt keine Spielschulden?“

„Nein“, versicherte er. „Ich hatte Pech an der Börse. Es würde Mum und Dad umbringen. Sie sind so …“

„Stolz?“, zischte sie ihn an, weil sie ihn in diesem Augenblick hasste. Es brachte sie auf, wie leicht ihre Eltern sich von ihm hinters Licht führen ließen. Jake, der gute Junge, der einen richtigen Job hatte, der Vater von Zwillingen. Der arme, verantwortungsbewusste Jake mit seiner launischen, depressiven Frau.

Wenn sie nur wüssten!

„Ende Juni bekomme ich einen riesigen Bonus. Wenn ich Beth nichts davon sage, kann ich dir das Geld sofort zurückzahlen.“

„Du meinst, du willst sie wieder anlügen?“

„Hilf mir!“

„Ich denke darüber nach.“

„Emma, bitte!“

„Ich denke darüber nach“, wiederholte sie. Mehr konnte sie im Moment nicht für ihn tun.

Wie vor den Kopf geschlagen, verließ sie das Arbeitszimmer und versuchte, sich zu beruhigen, bevor sie zur Party zurückging.

„He!“ Zarios trat rasch zur Seite, um einen Zusammenstoß zu vermeiden.

„Tut mir leid.“ Sie schüttelte kurz den Kopf. „Ich habe nicht aufgepasst.“

„Ich suche unser Gepäck. Mein Vater braucht seine Tabletten.“

„Natürlich.“

Noch völlig durcheinander führte sie ihn ins Gästezimmer.

„Hier ist es nicht.“ Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. „Dann hat man es sicher in mein Zimmer gebracht, wo du schläfst.“

„Du hast sehr fortschrittliche Eltern.“

„Die Tochter ist nicht inbegriffen.“ Sie lächelte abwesend, als sie die Tür zu ihrem Zimmer öffnete. „Hier steht das Gepäck. Ich gehe jetzt besser wieder runter. Die Geburtstagstorte wird sicher gleich serviert.“

„Fühlst du dich nicht gut?“

Nein! wollte sie schreien, doch sie hielt sich zurück und nickte ihm nur kurz und sorgenvoll zu.

„Es ist alles in Ordnung.“

„Wenn du etwas loswerden möchtest …“

„Warum sollte ich es dann dir erzählen?“, begehrte sie auf. „Ich kenne dich kaum.“

„Das lässt sich ja ändern.“ Er deutete mit der Hand in das Zimmer hinein. Als er ihre fassungslose Miene sah, schüttelte er den Kopf. „Ich wollte damit nur sagen, dass wir uns hier ungestört unterhalten können.“

Für wie dumm hält er mich? Eine Frau, die mit ihm ein Schlafzimmer betritt, erwartet keine Unterhaltung. Dennoch zögerte sie eine Sekunde.

Überlegte, wie es wohl wäre, einfach ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen und sich mit diesem arroganten, aufregenden Mann einzulassen. Ein einziges Mal spontan und verantwortungslos zu sein.

Aber so war sie nicht.

„Wie schon gesagt“, sie lächelte dünn, „die Torte wird gleich serviert.“ Dann wandte sie sich auf ihren hochhackigen Sandaletten, die mittlerweile zu drücken begannen, um und ging davon.

Wenn sie doch nur endlich die Torte bringen würden!

Die Party war in eine Flaute geraten. Allerdings scheine nur ich das so zu sehen, dachte Emma.

Es wurde viel getanzt und gelacht. An den Tischen unterhielten sich die Gäste angeregt. Doch obwohl sie sich bemühte, sich in eine der Gesprächsrunden einzuklinken, wollte es ihr nicht gelingen.

Jake unterhielt sich pflichtschuldigst mit einigen älteren Tanten, und Cindy warf ihr einen mörderischen Blick zu, als sie versuchte, sich zu ihrer Damenrunde zu gesellen. Überall hatten sich kleine Cliquen gebildet, sodass sie sich plötzlich wie ein Mauerblümchen fühlte. Dann kehrte Zarios zurück.

„Sieht so aus, als würdest du an mir hängen bleiben.“

Ohne sie zu fragen, nahm er sie am Handgelenk und führte sie auf die Tanzfläche.

Was ein geschickter Schachzug war, denn wenn er sie gefragt hätte, hätte sie abgelehnt. Nicht, weil sie nicht tanzen wollte, sondern weil sie sich viel zu sehr danach sehnte.

Er hielt sie zunächst locker umfasst, während er sie sicher führte. Sie zwang sich, gleichmäßig zu atmen. Beim zweiten Tanz zog er sie näher an sich heran.

Ist es sein Aussehen oder sein Erfolg – was macht seine Anziehungskraft aus? fragte sie sich verzweifelt, als sie spürte, wie seine Hand über ihren Rücken glitt. Und war es nur sein schlechter Ruf, der sie bremste? Jedenfalls ahnte sie, dass alles zusammen eine fatale Mischung ergab: Begehren, Beklommenheit und Nervosität sandten Schauer der Erregung durch jede Faser ihres Körpers.

„Ich mache mir nichts aus Torte.“ Er lächelte zu ihr hinab. „Wir können also länger tanzen.“

„Meine Mutter denkt an alles“, parierte sie. „Es gibt sicher auch eine Platte mit Käse und Früchten.“

„Verbotene Früchte vielleicht?“

„Ich bin alles andere als verboten.“ Ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie sah, wie ihre Mutter ihren Vater im Vorbeitanzen nicht gerade unauffällig mit dem Ellbogen traktierte. Die Freude darüber, wie gut ihre Tochter und Zarios sich verstanden, stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. „Meine Mutter kann es kaum erwarten, dass wir ein Paar werden.“

„Während mein Vater nichts mehr fürchtet.“

Die ganze Unsicherheit, die sie als Teenager empfunden hatte, stieg plötzlich wieder in ihr auf. Doch als er sie noch ein bisschen näher an sich heranzog, wusste sie, dass er es nicht so gemeint hatte.

„Er hat mir oft gesagt, wie schön er es fände, wenn wir zusammenkämen. Aber er kennt meinen Ruf. Und er weiß, dass er deinem Vater nicht mehr in die Augen sehen könnte, wenn ich dir wehtäte.“

Überrascht sah sie zu ihm auf. Noch bevor sie sich selbst Einhalt gebieten konnte, waren ihr die Worte entschlüpft: „Dann tu mir nicht weh.“ Offensichtlicher hätte sie nicht zugeben können, dass auch sie sich von ihm angezogen fühlte. Schnell fasste sie sich wieder. „Aber da du mit Miranda zusammen bist …“

„Wir haben uns getrennt.“

„Das tut mir leid.“

„Mir nicht.“ Kein Zögern, kein Zaudern, er flirtete ebenso geübt, wie er tanzte. „Vielleicht können wir uns zu einem Kaffee oder zum Dinner treffen, wenn du wieder in der Stadt bist. Ohne die wachsamen Augen unserer Eltern.“

„Vielleicht.“ Sie nickte und versuchte, so zu tun, als sei es nebensächlich. Was es ganz und gar nicht war.

„Heißt das Ja?“

„Ja …“

„Dann rufe ich dich an.“

„Tu das.“ Es sollte lässig klingen, doch ihr Herz pochte wild.

„Ich mag deinen Duft.“

„Es ist nur …“ Der Name des Parfüms war ihr entfallen. Ihr Kopf war wie leer gefegt. „Ich habe es zum Geburtstag geschenkt bekommen.“

„Ich meine deinen Duft“, korrigierte er sie, und sie spürte, wie ihre Wangen brannten.

Noch nie war sie so gehalten worden. Obwohl er sie kaum zu berühren schien und sie sich nicht schnell bewegten, drohten ihre Gefühle sie zu überwältigen. In einer langsamen Drehung zog er sie dicht an sich heran, beugte sich zu ihr hinab, sodass sie seinen Atem an ihrem Ohr spürte. Noch ein wenig tiefer, und sie fühlte seinen Mund nur Millimeter über ihrem Nacken. Nein, sie würde nicht denselben Fehler machen wie damals. Auch wenn sie sich so unendlich danach sehnte, ihm ihre Lippen zum Kuss zu bieten.

Erleichtert löste sie sich am Ende des Tanzes von ihm und stimmte in das Geburtstagsständchen ein. Auch während sie sangen, ließ er ihr Handgelenk nicht los. Sie spürte seinen warmen Griff auf ihrer Haut.

Eric strahlte, als die riesige Torte mit den sechzig Kerzen hereingebracht wurde. Dann blies er die Kerzen aus, das Festzelt versank in Dunkelheit. Und endlich geschah, wovon sie all die Jahre geträumt hatte – Zarios küsste sie.

Ihre Fantasie war nicht mächtig genug gewesen, sich den Sturm der Gefühle vorzustellen, der sie nun überwältigte. Sie gab sich ihm hin, erwiderte seinen Kuss, glaubte, den Boden unter den Füßen zu verlieren, vergaß zu atmen, zu denken, vergaß sich selbst.

Das alles dauerte nur wenige Sekunden, auch wenn sie jegliche Orientierung verloren hatte. Zarios’ Timing hingegen war perfekt. Bevor der Applaus verebbte und die letzten Kamerablitze erloschen, löste er seine Lippen sanft von ihren, sodass sie unverdächtig neben ihm stand, als die Lichter angingen. Niemand hatte etwas gesehen, alle Augen waren auf Eric gerichtet, dennoch fühlte sie sich, als stünde sie im Rampenlicht. Sahen denn nicht alle, dass es um sie geschehen war?

Was macht dieser Mann mit mir?

Sie bemerkte, wie Rocco missbilligend die Augenbrauen zusammenzog. Sah den fragenden Blick ihrer Mutter, der die glühenden Wangen ihrer Tochter nicht entgangen waren.

Gott, dieser Mann war gefährlich. Gefährlich und unwiderstehlich.

Erst gegen zwei Uhr, als sich die letzten Gäste verabschiedet hatten, ging Emma ins Arbeitszimmer, wo sie die Nacht verbringen würde.

Sie zog sich aus, und nur die Erinnerung an das Preisschild brachte sie dazu, ihr Kleid ordentlich aufzuhängen. Im Bad hatte sie sich zuvor nachlässig die Zähne geputzt, der Rest ihrer abendlichen Routine war ihrer Erschöpfung zum Opfer gefallen. Sie ließ sich auf das Schlafsofa sinken und lauschte den gewohnten Geräuschen: dem Knarzen der Treppe, als ihre Eltern zu Bett gingen, dem Rascheln eines Nachttieres in einem Baum vor ihrem Fenster. All die gewohnten Laute hätten ihre Nerven beruhigen sollen. Normalerweise wäre sie innerhalb von Sekunden eingeschlafen, so müde war sie. In dieser Nacht jedoch hielt sie der Gedanke wach, dass sich Zarios hier im Haus befand. Dass er in ihrem Bett lag.

Wie sie wünschte, er würde zu ihr kommen!

Bei jedem Knarren des Dielenbodens, jedem leisen Geräusch starrte sie im Dunkeln Richtung Tür, panisch, dass sie sich öffnen könnte.

Unendlich enttäuscht, weil sie es nicht tat.

3. KAPITEL

Sie wusste nicht mehr weiter.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und Emma empfand die morgendliche Stille am Strand als wohltuend. Selbst in der Dämmerung hatte sie sicheren Schritts den Weg hinab durch die Klippen gefunden. Barfuß lief sie nun durch den noch kühlen Sand, lauschte dem sanften Rauschen der Wellen. Weiter draußen nahm sie schemenhaft die dunkel gezackten Umrisse der an manchen Stellen bis weit ins Meer hinausreichenden Felsen wahr.

Sie war früh aufgewacht. Die Erinnerung daran, wie es sich angefühlt hatte, in Zarios’ Armen zu liegen, hatte sie nicht mehr einschlafen lassen. Dazu kam die Sorge um Jake. Und die Wut darüber, dass er ihr den Geburtstag ihres Vaters verdorben hatte.

Ihre Gedanken drehten sich im Kreis.

Zarios würde nach dem Frühstück abreisen. Damit wäre das erledigt. Es sei denn, er riefe sie tatsächlich an …

Was Jake betraf, so wünschte sie, ihre Eltern wüssten, wie dünn das Eis war, auf dem er sich bewegte. Sie hatten ihm bereits einige Male ausgeholfen. Schon einmal war angeblich der Aktienkurs schuld an seiner Misere gewesen. Dann waren sie bei der Geburt der Zwillinge eingesprungen und noch einmal, als Beth wegen Depressionen in die Klinik eingewiesen wurde. Ihre Eltern ahnten nicht, dass auch sie selbst ihrem Bruder immer wieder unter die Arme gegriffen hatte. Jedes Mal schwor er, ihr das Geld zurückzuzahlen, versprach, es nie wieder so weit kommen zu lassen. Immer war es gelogen.

Sie starrte hinaus aufs Meer, beschwor die Sonne, endlich aufzugehen und Licht in das Dunkel ihrer Probleme zu bringen.

So viel Geld, wie Jake benötigte, besaß sie nicht. Sie musste schlucken. Warum sollte sie ihm überhaupt helfen? Genau diese Frage hatte sie einmal ihrer Mutter gestellt. Die Antwort war wie eine Ohrfeige gewesen.

„Er ist krank, Emma!“

Sie sah noch immer die schmalen Lippen ihrer Mutter vor sich, hörte den vorwurfsvollen Ton in ihrer Stimme.

„Du solltest versuchen, etwas verständnisvoller zu sein!“

So war ihr einziges Gespräch über Jakes „Krankheit“ verlaufen. Keine Diskussion, keine Erwähnung seiner Spielsucht.

Allein im Dunkeln an einem einsamen Strand zu schwimmen verstieß gegen alle Regeln, die sie von Kindesbeinen an gelernt hatte. Seit Emma sich vom Wasser magisch angezogen fühlte, waren ihr die entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen eingetrichtert worden. Nun jedoch drehten sich ihre Gedanken einzig und allein um Jakes Schwierigkeiten, ohne dass eine Lösung in Sicht schien. Während sie sich bis auf BH und Slip auszog, hoffte sie, beim Schwimmen Klarheit zu finden.

Wunderbar erfrischend fühlte es sich an, ins kühle Wasser einzutauchen. Es gab nichts Schöneres, als im Meer zu schwimmen. Die Schwerelosigkeit, der Sog der Wellen, das Prickeln des Salzwassers auf ihrer Haut und das befreiende Gefühl, alles hinter sich lassen zu können. Angesichts der enormen Weite des Ozeans schrumpften ihre Probleme auf eine angemessene Größe. Sie kam zur Ruhe, während ihr Körper angenehm müde wurde.

Sie war weit hinausgeschwommen.

Als sie sich umdrehte und zum Strand zurückblickte, der sich in der Ferne grau abhob, verspürte sie einen Anflug von Angst. Ihre kräftigen Schwimmzüge schienen sie jetzt nicht mehr vorwärtszubringen. Als sie merkte, wie sie an den Felsen vorbeiglitt und sich das Ufer immer weiter entfernte, erschrak sie zutiefst.

Sie war in einen gefährlichen Brandungsrückstrom geraten, der sie rasch aufs offene Meer hinaustrieb. Sie wusste, dass sie nicht versuchen durfte, dagegen anzuschwimmen. Ihre Kraft würde nicht ausreichen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie unglaublich leichtsinnig sie sich verhalten hatte. Die Weite des Meeres, die eben noch beruhigend auf sie gewirkt hatte, versetzte sie nun in Panik.

Er wollte nicht abreisen.

Es war erst gut zwölf Stunden her, dass er die City von Melbourne verlassen hatte, und trotzdem fühlte er sich wie nach einem Kurzurlaub. Ich komme viel zu selten hier heraus, sagte sich Zarios, während er den Strand entlangschlenderte. Dabei liebte er diesen Landstrich. Die Küste mit ihrem mediterranen Klima, den vielen idyllischen Buchten und den exklusiven Villen hoch oben auf den Klippen. Er dachte an seine Kindheit, die Ferien bei seinem Vater, und dass er besonders die putzigen Robben gemocht hatte, die sich auf den Felsen sonnten.

Tief die würzige Meeresluft einatmend, lehnte er sich an die Felsen. Eben hatten sie noch düster und bedrohlich gewirkt. Nun präsentierten sie sich im ersten Licht der aufgehenden Sonne in strahlendem Gelb.

Warum sollte er Lydias Einladung, das ganze Wochenende zu bleiben, nicht einfach annehmen? Die Versuchung war groß, einmal alles hinter sich zu lassen.

Seufzend bückte er sich und hob einen Stein auf. Es war unmöglich. Niemand schien zu sehen, dass er einmal ausspannen musste. Ein Wochenende am Strand? Ausgeschlossen. Er hatte zu viele Verpflichtungen. Jeder schien irgendetwas von ihm zu wollen. Und Miranda? Er hatte wirklich alles versucht, die Beziehung zu ihr zu retten. Doch sie war immer besitzergreifender geworden, immer bestimmender, bis er es nicht mehr aushielt und sich von ihr trennte. Und sobald sie die Trennung offiziell bekannt gegeben hatten, würden die Zeitungen wieder die übliche tränenreiche, fantastische Story dazu bringen.

Er hasste die spitzen Bemerkungen in der Boulevardpresse. Entgegen allen Skandalgeschichten, die über ihn im Umlauf waren, liebte er die Frauen. Er liebte die freudige Erregung zu Beginn einer Beziehung. Das Gefühl, diesmal könnte es die Richtige sein.

Er verließ seinen Platz an den Felsen, ging zum Wasser und ließ den Kiesel über die Wellen springen.

„Ha!“, rief er. Als gäbe es so etwas wie die Richtige. Er bückte sich, hob noch mehr Steine auf und ließ sie wütend einen nach dem anderen übers Wasser hüpfen. Emma, zum Beispiel. Hatte sein Vater ihn nicht gewarnt, dass sie Geldprobleme hatte? Hatte er es nicht mit eigenen Augen gesehen und von Jake persönlich erfahren?

Eine Weile hätte sie ihn sicher täuschen können. Aber nicht lange, dachte er zornig, nicht lange. Es war immer dasselbe: Frauen wollten nur das Eine: seinen Reichtum. Nun gut, vielleicht gab es da noch etwas anderes. Und das konnten sie gerne von ihm haben!

Er würde sich nicht um den Finger wickeln lassen wie sein Vater, der noch immer die Frau liebte, die ihn und seinen Sohn so schändlich sitzen gelassen hatte.

Eine Frau, die jetzt, da sein Vater alt und krank war, zu ihm zurückkehren wollte. Aber das werde ich zu verhindern wissen, dachte Zarios entschlossen. Er zog einen Brief aus der Hosentasche und las erneut die einschmeichelnden Worte, die er abgefangen hatte. Dann wickelte er das Papier um einen Stein und warf es, so weit er konnte, in den Ozean.

Sie kam zu spät!

Dreißig Jahre zu spät. Und wenn sein Vater das nicht begriff, dann war er ein Narr.

Doch was war das? Bewegte sich da etwas auf dem Meer? Vielleicht Robben oder Delfine? Er kniff die Augen zusammen, tatsächlich, da tanzte etwas Helles weit draußen auf den Wellen. Dann setzte sein Herz einen Schlag aus. Es war eine Hand, die winkte. Jemand befand sich in tödlicher Gefahr.

Sein erster Gedanke war, ins Wasser zu springen und hinauszuschwimmen, doch er zwang sich, einen kühlen Kopf zu bewahren. Der Schwimmer war weit weg. Hinter Zarios stand eine Hütte der Wasserwacht, doch sie war verschlossen. Die ersten Surfer würden sicher bald kommen, aber im Augenblick war er auf sich gestellt.

Noch während er überlegte, wie er am besten helfen könne, rannte er den Strand entlang auf die rutschigen ins Wasser hineinragenden Felsen zu. Dabei ließ er den Schwimmer nicht aus den Augen.

Die Panik, die ihn ergriffen hatte, als er sah, dass sich ein Mensch in Lebensgefahr befand, hatte sich gelegt. Vorsichtig und darauf konzentriert, nicht auszurutschen, lief er über die Felsen. Wie im täglichen Leben dachte er nur an die vor ihm liegende Aufgabe, nicht an die damit verbundene Gefahr. Eine Formel, mit der er es weit gebracht hatte.

Er sah sie Wasser treten.

Sie!

Er schob den Gedanken beiseite, konzentrierte sich auf den glitschigen Seetang, atmete tief und gleichmäßig, bis er glaubte, so nahe wie möglich an sie herangekommen zu sein. Langsam, um sich nicht an den scharfkantigen Felsen zu verletzen, ließ er sich ins Wasser gleiten und kraulte mit kraftvollen Bewegungen auf sie zu. Je näher er ihr kam, desto stärker spürte er den Sog unter der relativ ruhigen Meeresoberfläche.

Dann verlor er sie aus den Augen.

War er zu spät gekommen? Wäre er doch nur schneller gerannt, zügiger geschwommen! Wenn er nun tauchte …? Plötzlich sah er sie wieder. Entsetzen in den blauen Augen, mit offenem Mund, winkenden Armen. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er panische Angst bei der Vorstellung, was er beinahe verloren hätte. Was er noch verlieren konnte.

Emma!

Er hatte sie erreicht, griff ihr unter die Achsel, legte ihr die Hand unters Kinn und drehte sich auf den Rücken. Dann schwamm er mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, quer durch die Strömung auf die Felsen zu. Gerade als er glaubte, nicht mehr weiterzukönnen, tauchte ein Surfer auf, der sie vom Strand aus beobachtet haben musste. Er zog Emma auf sein Brett. Gemeinsam schafften es die beiden Männer zurück ans Ufer. Sie war noch einmal davongekommen.

Zarios war außer sich. Zwischen tiefen Atemzügen ließ er sie zuerst in rasantem Italienisch und dann auf Englisch wissen, was er von ihrem Leichtsinn hielt. Er hätte es auch auf Chinesisch sagen können. Die Bedeutung seiner Worte war eindeutig.

„Allein rauszuschwimmen! Du musst verrückt sein!“

Emma kniete im feuchten Sand, frierend und hustend, zu verstört, um dankbar zu sein. Ihr Atem ging stockend. Die Panik, die sie im Wasser ergriffen hatte, war nichts im Vergleich zu der Todesangst, die sie nun empfand, als ihr klar wurde, wie schnell es beinahe vorbei gewesen wäre. Ein einziger Moment der Unachtsamkeit hätte sie fast das Leben gekostet.

„Also, dann …“ Der Surfer schien diese Situation nicht zum ersten Mal zu erleben, denn er war äußerst gefasst. „Sie weiß, dass sie einen Fehler gemacht hat. Es war ganz richtig, dass Sie sich von der Strömung raustragen ließen“, versicherte er ihr, während Zarios kochend vor Wut danebenstand. „Man hat keine Chance, wenn man versucht, dagegen anzuschwimmen.“

Sie beruhigte sich langsam. Jeder Atemzug, mit dem neuer Sauerstoff in ihren Körper gelangte, war so köstlich wie ein erfrischendes Glas Limonade.

Inzwischen hatte sich ein kleiner Menschenauflauf gebildet. Hauptsächlich durchtrainierte gebräunte Surfer und eine ältere Frau, die ihren Hund spazieren führte. Sie alle standen um die frierende, sich elend fühlende Emma herum, die nur mit einem nassen Slip und BH bekleidet war. Jemand holte eine Wolldecke aus dem Schuppen der Surfer und legte sie ihr um. Dankbar spürte sie die Wärme, die von dem schweren, ein wenig muffig riechenden Stoff ausging.

„Haben Sie viel Wasser geschluckt?“, fragte der Surfer.

„Nein. Ich hatte nur keine Kraft mehr. Jetzt geht es mir wieder besser.“

„Vielleicht sollten wir Sie zu einem Arzt bringen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich möchte nur nach Hause.“

Jetzt erst dachte sie daran, sich bei Zarios zu bedanken, und schüttelte ihm die Hand. Er legte den Arm um sie und führte sie den Felsenpfad hinauf zum Haus ihrer Eltern. Dann bedankte er sich lächelnd bei der alten Dame, die ihnen nachgelaufen war und Emmas Kleider brachte.

„Bitte sag Mum nichts davon.“ Sie bibberte, und ihre Zähne schlugen heftig aufeinander. „Ich will ihr das Wochenende nicht verderben.“

„Das wäre dir beinahe gelungen.“ Er zwang sich, ruhig zu bleiben. „Hoffen wir mal, dass deine Eltern noch nicht auf sind …“

Trotz der frühen Morgenstunde wurde das Festzelt bereits abgebaut, und Lydia erteilte mit durchdringender Stimme Anweisungen. Die Vorbereitungen für das Champagnerfrühstück befanden sich in vollem Gange.

„Komm hier herein.“ Bevor jemand sie entdeckte, öffnete er rasch die Tür des Sommerhauses und betrat den hübschen hellen Raum, den Emmas Mutter zum Lesen benutzte und ihr Vater als Rückzugsort.

Zarios geleitete sie zu einer bequem aussehenden geblümten Couch und hielt Emma fest, bis sie sich gesetzt hatte. Dann nahm er ihr die alte Decke von den Schultern und reichte ihr ein flauschiges Handtuch, das er aus einem Regal gezogen hatte. „Jetzt trocknen wir dich erst mal ab. Dann kannst du dich anziehen und ins Haus gehen, ohne dass jemand etwas bemerkt.“

„Du wirst mich nicht verraten?“

„Unter einer Bedingung.“ Er fasste sie an beiden Armen. Seine Miene war ernst. „Du musst mir versprechen, dass du so etwas nie wieder tust.“

„Bestimmt nicht.“

„Emma …“ Seine Augen funkelten wieder vor Verärgerung. „Was ist nur in dich gefahren?“ Er war vollkommen durchnässt. Aus seinem blauschwarz glänzenden Haar fielen noch immer Tropfen auf seine breiten Schultern.

„Ich weiß nicht.“ Sie konnte keinen vernünftigen Grund nennen. Sie war am Meer aufgewachsen, kannte die Gefahren in- und auswendig. „Ich wollte einfach einen klaren Kopf bekommen. Ich habe mir Sorgen gemacht.“

„Worüber?“

Wie gern hätte sie sich ihm anvertraut. Sie öffnete schon den Mund, um ihm alles zu erzählen. Doch dann schüttelte sie den Kopf. Jakes Spielsucht und alles, was er damit der Familie angetan hatte, waren zu widerwärtig, um darüber zu reden.

„Ich kann es dir nicht sagen.“

„Du könntest es versuchen.“

„Nein.“

„Okay, vergiss es einfach für den Moment.“ Er streichelte sie durch das Handtuch hindurch, rieb sie trocken, ihren Rücken, dann ihre Beine, von denen der Sand auf den Holzfußboden rieselte. „Du musst dich jetzt anziehen und dann hinüber ins Haus gehen.“

Die Erkenntnis schien ihn wie ein Blitzschlag zu treffen. Er hörte auf, sie abzutrocknen. Sah sie mit abwesendem Blick an.

„Du hättest sterben können!“

Plötzlich lag sie in seinen Armen, und es gab keinen sichereren Ort auf der Welt. Fast heftig hatte er sie vom Sofa gezogen, sie kniend in die Arme geschlossen und hielt sie nun minutenlang fest. Wie viel besser ist das, als Vorwürfe zu hören, dachte sie. Und wie richtig es sich anfühlte, als er sie endlich küsste.

Nie zuvor hatte sie sich so vollkommen hingegeben. Der Kuss auf der Tanzfläche war nur eine Ahnung dessen gewesen, was sie nun erlebte. Geschickt öffnete Zarios den Verschluss ihres BHs, und ohne seine Lippen von ihren zu lösen, umfasste er ihre Brüste und massierte sie mit sanften Bewegungen, bis Emma leise aufstöhnte.

„Ich dachte, ich hätte dich verloren, als du plötzlich untergingst.“

Er sprach, als würde er sie lieben, und seine Worte machten sie schwindelig. Sie wusste genau, was nun passieren würde. Das Verlangen, das sich ihrer bemächtigt hatte, war überwältigend, schien unerklärlich und fühlte sich doch so richtig und gut an.

Er küsste ihre Wange, ihre Augenlider, seine Zunge kitzelte ihr Ohrläppchen. Beinahe zu sterben ist ein sehr guter Grund, endlich anzufangen zu leben, ging es ihr durch den Sinn, als sie beide aufstanden, um die letzten störenden Kleidungsstücke loszuwerden.

Und so fühlt sich das Leben an!

Sie glaubte, es würde stürmisch weitergehen, doch Zarios ließ sich plötzlich Zeit. Behutsam erkundete er mit seinen Händen ihren Körper. „Ich habe die ganze Nacht an dich gedacht“, flüsterte er.

„Mir ging es genauso“, gestand sie.

„Ich habe mir vorgestellt, wie es sein würde, das mit dir zu tun.“ Seine Hand glitt zwischen ihre Beine, während seine Lippen ihre Brustspitzen liebkosten.

Sie bog sich ihm entgegen, und in diesem Moment der Schwäche gab sie zu: „Ich auch.“

Sie ließ ihre Hände über seine Brust gleiten und tiefer.

„Pass auf!“ Seine Stimme war rau. „Pass auf!“

Er blickte auf, warnte sie, bot ihr eine Rückzugsmöglichkeit.

„Ich will nicht aufpassen!“, erwiderte sie und klang nicht im Geringsten unsicher.

Mehr Bestätigung brauchte er nicht. Sanft legte er sie auf die Couch, streichelte und küsste sie, bis er spürte, dass sie bereit war, gemeinsam mit ihm den Höhepunkt der Leidenschaft zu erleben.

Träge lag Emma in Zarios’ Armen und fühlte sich wieder angekommen in einer Welt, die jetzt schöner und reicher war.

„Wenn ich noch einmal rausschwimme, wirst du mich wieder retten?“

„Über so etwas macht man keine Witze!“

„Jedenfalls war das eben nicht sehr abschreckend.“

„Vielleicht bin ich nächstes Mal nicht hier, um dich zu retten.“

Als er zu ihr hinabsah, fiel ihr auf, dass seine Augen, die so schwarz wirkten, in Wirklichkeit von einem tiefen dunklen Blau waren. Von einer Schattierung, die sie am liebsten auf der Leinwand festgehalten hätte. Nur dass sie nicht sicher war, den Ton tatsächlich so gut, wie das Original hinzubekommen.

„Obwohl ich gern hier wäre.“

Und sie wusste, dass er nicht vom Schwimmen sprach, denn sie beide empfanden jetzt eine solche Nähe, dass Worte überflüssig schienen. Sie erkannten einander mit derselben Heftigkeit, mit der sich zuvor ihre Körper begegnet waren.

„Ich würde mich freuen, wenn du hier wärst.“

„Lass uns zurück ins Haus gehen.“ Er zog sie enger an sich. „Dieses Wochenende gehört nicht uns. Ich möchte, dass dein Vater seinen Geburtstag genießt.“ Er küsste sie sehr behutsam. „Emma, das ist etwas ganz Besonderes.“

„Ich weiß.“

„Wir müssen uns ganz sicher sein, bevor wir es der Familie mitteilen.“

Er hatte absolut recht. Wenn an diesem Tag auch nur der Hauch einer beginnenden Romanze in der Luft läge, würde sich die Stimmung völlig verändern. Sie mussten sich zuerst selbst an den Gedanken gewöhnen, bevor sie andere daran teilhaben ließen.

In ihren Augen lag nicht der geringste Zweifel, als sie Zarios’ Blick erwiderte.

In diesem Moment vertraute sie ihm vollkommen.

„Da bist du ja!“ Lydia lächelte, als Emma einige Zeit später zerzaust und ein wenig atemlos erschien. „Wir wollten schon einen Suchtrupp losschicken.“

„Ich habe einen Spaziergang gemacht.“

„Und du warst schwimmen.“ Lydia runzelte die Stirn, als sie bemerkte, dass sich das Haar ihrer Tochter feucht über ihren Rücken ringelte.

Da es inzwischen schon nach acht war, konnte Emma es wagen, die Wahrheit zumindest anklingen zu lassen. „Ich konnte einfach nicht widerstehen.“ Sie errötete, und ihr Herz schlug schneller, als sie daran dachte, was geschehen wäre, wenn Zarios sie nicht gerettet hätte. Glücklicherweise war Lydia zu sehr mit den Vorbereitungen für das Champagnerfrühstück beschäftigt, um weiter nachzuhaken. „Kann ich dir bei irgendetwas helfen, Mum?“

„Geh dich umziehen, Darling.“ Kommentarlos holte Lydia eine riesige Schüssel mit Erdbeeren Romanow aus dem Kühlschrank, die Emma am Tag zuvor mit viel Mühe zubereitet hatte. Dann lüftete sie verzückt das Tuch, unter dem die frisch gelieferten Brötchen und Gebäckteile lagen.

„Er hat sich wie immer selbst übertroffen“, flötete sie. „Aber so ist eben Jake.“

Die Dusche tat unendlich gut. Warmes Wasser spülte ihr das Salz von der Haut, während Emma innerlich noch von der leidenschaftlichen Begegnung mit Zarios glühte. Genießerisch schloss sie die Augen, hingerissen von dem intensiven Gefühl zu leben. Jede Faser ihres Seins schien bei der Erinnerung an Zarios’ Lippen und Hände zu vibrieren, und ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer. Sie konnte kaum glauben, dass sich ihr Leben in einigen wenigen Stunden so komplett verändert hatte, und beschloss, ihr Geheimnis fürs Erste gut zu hüten.

Sie zog helle Shorts und ein weißes rückenfreies Shirt an, band die Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammen und legte nur wenig Make-up auf. Dann steckte sie ihr Handy in die Tasche und gesellte sich zu den anderen, die sich bereits auf der Terrasse eingefunden hatten. An diesem Tag war die Familie unter sich, ohne weitere Gäste. Rocco gehörte praktisch zur Familie – und natürlich Zarios.

Er lächelte, als sie aus dem Haus trat. Nur ein kurzes anerkennendes, sehr intimes Lächeln, das alles bestätigte, was sie für ihn empfand.

Sie verspürte ein Hochgefühl, das sie sich nur mit der haarscharf vermiedenen Katastrophe erklären konnte, zusammen mit der Freude über das bevorstehende Familienfrühstück und der Erinnerung an Zarios’ leidenschaftliche Umarmung.

Sie genoss jede Sekunde dieses Beisammenseins, die Frühsommersonne auf der Terrasse ihres Elternhauses inmitten der weitläufigen Gartenanlage, die den Blick zu den Klippen und zum Meer hin freigab. Mit viel Geduld und Fingerspitzengefühl hatte ihre Mutter einen Garten angelegt, der sowohl ihre Liebe zu Rosen als auch zur einheimischen Pflanzenwelt widerspiegelte. Direkt um Haus und Terrasse blühten duftende Strauchrosen. Entfernte man sich jedoch seitlich ein Stück von den gepflegten Beeten und dem bis zu den Klippen reichenden Rasen, fand man sich rasch zwischen Känguru-Gras, Goldakazien und Silberbaumgewächsen, die in bewusster Vernachlässigung einen sanften Übergang zur freien Natur der Umgebung bildeten.

Zufrieden seufzend nippte Emma an ihrem Champagner-Cocktail, glücklich über das Lachen ihres Vaters und die leuchtenden Augen ihrer Mutter, der man die Erleichterung über das gelungene Fest ansah. Eric packte seine Geschenke aus, lächelte, als er die Hausschuhe sah, die Bierkrüge und das teure Fernglas, mit dem er seine geliebten Vögel beobachten konnte. Dann hielt er Roccos Präsent in Händen und blickte fragend auf. „Ein Sprachführer?“

„Den wirst du gut gebrauchen können, wenn du mich zu Hause in Rom besuchst.“ Rocco wischte mit einer Handbewegung Erics Protest beiseite, als dieser das schmale Buch aufschlug und darin zwei Erster-Klasse-Tickets entdeckte. „Als Bella mich verließ und ich auf mich allein gestellt war, hast du mich jede Woche angerufen und mir einen Brief geschrieben. Wenn ich geschäftlich nach Australien kam, habe ich nicht ein einziges Mal im Hotel gewohnt. Ihr, meine Freunde, wart immer für mich da. Jetzt ist es an der Zeit, dass ihr an meinem Tisch speist. Ich möchte dir und deiner Frau Rom zeigen. Für mich ist es die schönste Stadt der Welt.“ Nach der kurzen Ansprache an seine Freunde musste er eine Träne fortblinzeln.

Kein anderes Geschenk kam dagegen an!

„Hier, Dad.“ Emma biss sich auf die Lippe, als sie ihrem Vater ihr Geschenk überreichte. Ein Ölgemälde. Es stellte eine Szene am Strand unterhalb ihres Anwesens dar. Normalerweise ließ sie bei ihren Bildern die Gesichter der Menschen weiß, damit die Betrachter ihrer Fantasie freien Lauf lassen konnten. Das war ihr Markenzeichen. Aber diesmal hatte sie zwischen die Familien mit den spielenden Kindern unverkennbar ihre Eltern eingefügt. Entspannt lächelnd gingen sie Hand in Hand den Strand entlang.

Sie hatte Tage gebraucht, es zu malen.

Und Wochen, bevor es in ihrem Kopf Gestalt angenommen hatte und sie mit der Ausführung beginnen konnte.

„Wunderschön, mein Schatz.“ Eric schenkte ihr ein wohlwollendes Lächeln, während er ihr Werk für zehn Sekunden betrachtete. Dann küsste er sie auf die Wange.

„Das hier seid ihr, du und Mum.“ Sie deutete auf die beiden Figuren.

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
Mehr erfahren
Kathryn Ross
Kathryn Ross wurde in Afrika geboren und verbrachte ihre Kindheit und Jugend in England und Irland. Eigentlich ist sie ausgebildete Therapeutin, aber die Liebe zum Schreiben war stärker, und schließlich hängte sie ihren Beruf an den Nagel.
Als Kind schrieb sie Tier- und Abenteuergeschichten für ihre Schwester und Freundinnen. Mit 13...
Mehr erfahren
Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands.

Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester...
Mehr erfahren