Romana Exklusiv Band 276

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TOSKANISCHE LIEBESMELODIE von COX, MAGGIE
Mit Fabian Moritzzoni in seiner Villa in den toskanischen Hügeln - Laura ist wie verzaubert. Mit jedem Tag, den sie mit dem italienischen Kunsthändler verbringt, verliebt sie sich mehr in ihn. Laura ahnt nicht, dass hinter seinem zärtlichen Werben ein Plan steckt …

NEUES GLÜCK IN GRIECHENLAND? von WINTERS, REBECCA
Stellas Idylle auf der Insel Andros wird jäh gestört, als ihre Jugendliebe Theo wieder auftaucht. Er ist immer noch so unwiderstehlich wie damals. Aber bevor sie ihm eine zweite Chance gibt, will Stella wissen: Warum hat er sie verlassen, als sie sein Kind unter dem Herzen trug?

RENDEZVOUS IN DER STADT DER LIEBE von MACKENZIE, MYRNA
Paris, wir kommen! Aufgeregt begleitet Meg ihren neuen Boss Etienne Gavard in die Stadt der Liebe. Als Dank für ihr Engagement hat er ihr etwas unglaublich Verführerisches angeboten: Er will in ihre Garderobe etwas französischen Chic bringen - und in ihr Leben etwas amour?


  • Erscheinungstag 21.10.2016
  • Bandnummer 0276
  • ISBN / Artikelnummer 9783733743567
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maggie Cox, Rebecca Winters, Myrna Mackenzie

ROMANA EXKLUSIV BAND 276

1. KAPITEL

Fabian Moritzzoni presste seine Finger auf die schmerzende Stelle zwischen den Augenbrauen und seufzte tief. Erst gestern war er aus Amerika zurückgekommen, die Auswirkungen des Jetlags quälten ihn noch sehr und er war entsprechend reizbar. Völlig entnervt erhob er sich schließlich von seinem Stuhl, um nach dem Rechten zu sehen. Viel zu früh für seinen Geschmack hatte lautstarker Streit vor dem Haus die morgendliche Stille zerstört – noch war er nicht auf Lärm vorbereitet. Zu gerne hätte er komplett darauf verzichtet, doch in der aktuellen Situation durfte er zumindest tagsüber nicht auf Ruhe hoffen. Wieder erhob sich ein leidenschaftliches Wortgefecht, die Stimme seiner Haushälterin Maria war am lautesten zu hören.

Als Fabian endlich die zweiflügelige Eingangstür seiner palastartigen Villa erreichte, konnte er nur noch die Rücklichter eines ramponierten silbernen Fiats erkennen, der mit hoher Geschwindigkeit über die geschotterte Auffahrt davonfuhr. Maria blickte dem Auto nach, die Hände fest in die weit ausladenden Hüften gestemmt und bereit, es notfalls mit der gesamten römischen Armee aufzunehmen.

„Steht uns eine Invasion bevor?“, fragte Fabian sie auf Italienisch, seiner Muttersprache. „So hat es sich jedenfalls angehört.“

„Wie aufdringlich diese Leute sind! Was für eine Frechheit! Wofür halten die sich eigentlich?“ Aufgebracht wandte sie sich zu ihrem Arbeitgeber um und erklärte: „Das waren Leute von der Presse, Signor Moritzzoni. Sie haben hier herumgeschnüffelt und die Villa fotografiert. Als ich sie ertappt und zur Rede gestellt habe, wollten sie ein Interview mit Ihnen über das Benefizkonzert und wollten wissen, welche Prominente kommen werden. Na, die habe ich aber abblitzen lassen, das können Sie mir glauben!“

„Wenn sie ein Interview wollen, sollen sie sich an Carmela wenden. Sie hat bestimmt schon eine Pressemitteilung vorbereitet.“ Fabian schüttelte den Kopf und seufzte gequält. Dann stahl sich, trotz seiner schlechten Laune, doch der Hauch eines Lächelns auf sein Gesicht.

„Ich kann mich wirklich glücklich schätzen, dass du meine Privatsphäre so gut verteidigst, Maria. Du bist besser als jeder Leibwächter! Aber bitte, tu mir einen Gefallen. Versuch, morgens etwas leiser zu sein … aus Rücksicht auf meinen armen Kopf, okay?“

„Natürlich, Signor Moritzzoni. Soll ich Ihnen jetzt einen Kaffee kochen?“

„Das wäre fantastisch. Vielen Dank.“

Einen Espresso in der Hand ging Fabian wenig später den langen befestigten Pfad entlang, der sich durch üppig blühende Gärten schlängelte, bis er zu der eleganten Orangerie im hinteren Teil seines weitläufigen Anwesens kam. Er ließ sich an einem aufwändig verzierten schmiedeeisernen Tisch auf der Terrasse davor nieder und blickte zurück auf das elegante Haus im klassizistischen Stil, das im Licht der in der Toskana schon am frühen Morgen kräftigen Sonne hell erstrahlte. Eine Unmenge makellos weißer Festzelte war auf dem Rasen davor aufgebaut. Ende nächster Woche würden sie alle zum Bersten gefüllt sein. Mitglieder der italienischen High Society, Familie und Freunde würden kommen, um das inzwischen berühmte Konzert, das Fabian alljährlich im Gedenken an seinen Vater Roberto Moritzzoni veranstaltete, anzuhören.

Die Vorbereitungen auf das große Ereignis waren schuld daran, dass es im ganzen Haus vor hektischer Aktivität zuging wie in einem Bienenstock. Beim Gedanken daran und an Marias lautstarken Streit mit der Presse vor wenigen Minuten, sehnte er sich heftig nach ein wenig Zeit für sich selbst, in der er in Ruhe Kaffee trinken und seine Gedanken ordnen konnte. Obwohl die Begriffe ‚Ruhe‘ und ‚Vater‘ in keiner Weise zusammenpassten …

Schon seit Tagen grübelte Fabian über das bevorstehende Ereignis nach. Wie jedes Jahr war er kurz vorher extrem angespannt und nervös. Hinzu kamen ein beängstigendes Arbeitspensum, Reisen hierhin und dorthin, und er musste sich eingestehen, dass ihm die Arbeit nicht mehr so viel Zufriedenheit und Vergnügen bereitete, wie sonst. In den nächsten Tagen erforderten die abschließenden Vorbereitungen für das Konzert seine ständige Anwesenheit in der Villa de Rosa. Seine üblichen Tätigkeiten, den Handel mit wertvollen Kunstgegenständen und die Unterstützung einiger wichtiger Wohltätigkeitsorganisationen, würde er solange von dort aus weiterführen. Dabei hatte er gerade in den letzten Tagen das Gefühl, dringend eine Auszeit zu brauchen, um herauszufinden, wie sein Leben weitergehen sollte.

Fabian fuhr mit der Hand durch das dichte goldblonde Haar und verzog gequält das Gesicht. Bei dem übervollen Terminkalender kann ich im Traum nicht an einen erholsamen Urlaub denken! Und dazu ging ihm seit Kurzem ein anderes wichtiges Thema oft durch den Sinn – der Gedanke an Heirat und Kinder.

„Hier versteckst du dich also. Maria hat mir verraten, dass sie dich in diese Richtung verschwinden sah.“

Mit einem fröhlichen Lächeln im Gesicht tauchte seine Privatsekretärin Carmela plötzlich auf, wie immer mit Notizblock und Stift bewaffnet und offensichtlich bereit, sich den Aufgaben des Tages zu stellen. So versunken in seine Grübeleien war Fabian gewesen, dass er ihr Kommen überhaupt nicht bemerkt hatte. Jetzt ist es vorbei mit Alleinsein, Ruhe und Nachdenken!

„Ich bin gerade erst wieder einen Tag aus Amerika zurück und fühle mich in meinem eigenen Haus wie in einem Fußballstadion! Abgesehen von meiner Suite gibt es keinen einzigen Raum, der nicht vor Menschen überquillt! Du brauchst dich wirklich nicht zu wundern, wenn ich mich verstecke!“, beklagte er sich.

Die junge Frau schmunzelte. „Armer Fabian! Aber ich bringe gute Nachrichten. Vielleicht können sie dich wieder aufmuntern.“

„Und wie lauten sie? Verschiebst du deine Flitterwochen doch noch bis nach dem Konzert?“

Sofort wurde Carmela wieder ernst. „Natürlich werde ich in die Flitterwochen fahren, Fabian! Ich habe sie schon einmal aus Rücksicht auf die Arbeitserfordernisse verschoben. Vicente ist ja ein geduldiger Mann, aber doch nicht so geduldig! Nein, ich wollte dir mitteilen, dass meine Freundin Laura heute Nachmittag aus England kommt. Ich werde sie gründlich in alles einarbeiten, sodass sie sich bestens auskennen wird, wenn ich übermorgen abreise.“

„Du legst eine große Verantwortung in die Hände einer Anfängerin. Schließlich muss sie in deine Fußstapfen treten und eine so große Veranstaltung bewältigen. Bist du sicher, dass sie dazu in der Lage ist?“

„Sie ist seit einigen Jahren Musiklehrerin, außerdem hat sie schon etliche Konzerte in dem Ort organisiert, in dem sie lebt. Sie ist also nicht ganz unerfahren. Und natürlich ist sie mit dem künstlerischen Aspekt dieser Arbeit bestens vertraut.“

„Spricht sie überhaupt Italienisch?“ Wieder drückte Fabian die Finger auf die schmerzende Stelle zwischen den Augenbrauen. Die Kopfschmerzen wurden von Minute zu Minute schlimmer.

„Sie lernt sehr schnell. Als wir noch gemeinsam in London zur Schule gingen, war sie in Fremdsprachen immer Klassenbeste. Außerdem ist dein Englisch nahezu perfekt, also keine Sorge.“

„Gut … solange sie nicht erwartet, dass ich ihre Hand halte und jeden ihrer Schritte lenke. Offen gesagt werde ich sehr froh sein, wenn diese ganze leidige Geschichte endlich vorbei ist und mein Haus wieder in den Normalzustand zurückkehrt.“

Temperamentvoll schleuderte Carmela die langen schwarzen Locken aus ihrem Gesicht und protestierte: „Das Konzert ist ein großartiges Ereignis, das auch noch viel Geld für das Kinderhospiz einbringt. Es zu veranstalten, ist ein Privileg! Das kannst du doch nicht ernsthaft als ‚leidige Geschichte‘ bezeichnen, Fabian!“

„Natürlich nicht! Das meine ich auch gar nicht so.“ Eine nähere Erklärung ersparte er sich allerdings. „Okay“, fuhr er dann ungeduldig fort. „Sprechen wir wieder von deiner Freundin. Ich bin sehr dankbar, dass du sie gefunden hast. War sie schon einmal in der Toskana?“

„Nein. Ich habe sie zwar oft eingeladen, aber sie hatte in den letzten paar Jahren eine Menge Probleme, und private Umstände haben ihr die Reise unmöglich gemacht. Sie hat mir gesagt, sie sehnt sich inzwischen dringend nach Sonnenschein, und ich bin sicher, dass sie diese schöne Gegend und die Villa de Rosa lieben wird … wer würde das nicht? Da fällt mir ein … ich muss dringend Maria bitten, zu prüfen, ob Lauras Zimmer fertig sind. Das ist übrigens noch ein positiver Aspekt, der deinen Stress etwas vermindern könnte, Fabian. Sie wird auf dem Anwesen wohnen, sodass sie dir jederzeit zur Verfügung steht. Soll ich dir noch einen Kaffee holen? Der hier ist bestimmt schon kalt.“

„Ja, bitte.“ Er reichte ihr die Tasse auf der passenden cremefarbenen Untertasse, dann hatte er genug davon, in aller Stille zu leiden. „Und wärst du so nett, mir ein Glas Wasser und etwas gegen Kopfschmerzen zu bringen?“

„Vielleicht solltest du keinen Kaffee mehr trinken, wenn du Kopfweh hast?“

„Bist du jetzt nicht mehr nur meine Assistentin, sondern auch noch meine Mutter?“

„Ich wollte nur …“

„Inzwischen solltest du doch wissen, dass ich einfach unmöglich bin, wenn ich meinen Morgenkaffee noch nicht getrunken habe! Aber tröste dich, Carmela. In ein oder zwei Tagen musst du meine Launen nicht mehr ertragen. Dann wird dein beneidenswerter Ehemann deine ganze Aufmerksamkeit genießen!“

Wieder einmal schaffte es ihr Chef, sie mit seinem schrägen Humor zu beschwichtigen, und sie verzieh ihm sofort. Natürlich wusste sie, dass er eine Menge um die Ohren hatte, und dass er vermutlich besser damit fertig wurde als die meisten anderen in seiner Situation.

„Ich werde das Gewünschte bringen und dafür sorgen, dass du mindestens eine Stunde lang nicht gestört wirst … wird dir das helfen?“

„Wenn du das schaffst, bist du eine Zauberin!“

„Eben war ich noch deine Mutter!“

Carmela verdrehte die Augen und eilte davon. Noch während er ihr nachsah, begann Fabian wieder über sein größtes Problem nachzudenken: eine Ehefrau zu finden und einen Erben zu zeugen. Im Moment hatte er keine Beziehung zu einer Frau und auch nicht den Wunsch danach. Als gebranntes Kind scheute er das Feuer! Aber er war immerhin schon siebenunddreißig Jahre alt, und die Zeit blieb auch für ihn nicht stehen. Er brauchte einen Nachkommen, dem er seinen beträchtlichen Reichtum und die Villa de Rosa – den Wohnsitz seiner Familie seit etlichen Jahrhunderten – vererben konnte, zusammen mit allen damit verbundenen Verpflichtungen. Nein, er musste auf einem anderen Weg ans Ziel kommen! Eine neue Liebesaffäre, die aus seiner Sicht sowieso von vorneherein zum Scheitern verurteilt war, kam für ihn nicht infrage. In den nächsten Tagen werde ich mich ernsthaft damit beschäftigen, eine Lösung zu finden, nahm er sich vor.

„Wie schön, dass du endlich hier bist! Wir haben uns so lange nicht gesehen … viel zu lange! Natürlich freue ich mich schon sehr auf meine Flitterwochen, aber es wäre wirklich schön, wenn ich etwas Zeit mit dir verbringen könnte. Versprich mir, dass du nicht sofort abreist, wenn ich in zwei Wochen wieder zurückkomme!“

Laura bewunderte das Aussehen ihrer ehemals besten Schulfreundin, die sich zu einer perfekt gestylten, kurvenreichen schwarzhaarigen Frau entwickelt hatte, und fragte sich, wo die Jahre seit ihrem letzten Treffen geblieben waren. Mindestens zehn Jahre hatten sie sich nicht gesehen! Natürlich waren sie über regelmäßige Briefe und E-Mails ständig in Kontakt geblieben, manchmal hatten sie auch telefoniert. Aber das war nicht dasselbe wie regelmäßige Begegnungen, mit denen man eine Freundschaft viel besser pflegen konnte. Doch jetzt war sie endlich in der Toskana und wollte die Gelegenheit nutzen, ihre Beziehung zu erneuern.

Tatsächlich war ihr Carmelas Stellenangebot sehr gelegen gekommen – auch wenn es sich nur um eine befristete Anstellung handelte. Es machte ihr auch überhaupt nichts aus, dass sie nicht hier war, um Urlaub zu machen. Denn Musik war ihr Leben und von ihr umgeben zu sein würde ihr unendlich guttun, davon war sie überzeugt.

„Wie du weißt, habe ich in England immer noch keinen Job“, antwortete sie. „Ich habe es also nicht eilig, zurückzufahren.“

„Das ist gut. Nicht, dass du keine Arbeit hast, natürlich, sondern dass du bleiben und mich länger besuchen kannst!“

„Darauf habe ich mich schon lange gefreut.“ Laura verschränkte die Arme über ihrer hübschen weißen Seidenbluse, zu der sie einen hellblauen Rock trug, und lächelte. Dann seufzte sie leise und ließ den Blick einen Moment lang über die prächtigen Gärten wandern, die sich vor den Fenstern des Zimmers erstreckten, in dem sie sich befanden. Die vielen Festzelte, die im Licht der Nachmittagssonne glänzten, erinnerten sie an mittelalterliche Ritterspiele. Gleich strömen elegant gekleidete Lords und Ladies herbei und nehmen ihre Plätze ein, um einem Turnier zuzusehen. Das Weiß der Zelte hob sich wunderbar vom Grün der akkurat gemähten Rasenflächen ab. In einiger Entfernung führten Treppen, von einem reich verzierten weißen Marmorgeländer flankiert, in einen anderen Teil des Gartens. Durch die offenen Fenster wehte der süße Duft nach Geißblatt und Glyzinie herein, lieblich und betäubend zugleich. Hier ist es so schön, ich glaube, ich träume das alles nur!

„Und wie gefallen dir deine Zimmer?“, erkundigte sich Carmela. „Ich habe dich auf der Rückseite des Hauses untergebracht. Dort ist es ruhiger, falls Fabian Gäste beherbergt, und die Aussicht aus deinen Fenstern ist einfach umwerfend!“

„Sie sind wunderschön, wirklich einmalig! Ich komme mir vor, wie eine Prinzessin. Die Räume sind so elegant und dann werde ich auch noch in diesem märchenhaften Himmelbett schlafen!“

„Carmela, hast du inzwischen mit der Presse gesprochen? Heute Morgen – Entschuldigung! Ich habe nicht bemerkt, dass du nicht allein bist.“

Beim Klang der italienischen Worte und der kräftigen dunklen Stimme wandte Laura sich um. Der Sprecher, der an der Tür stehen geblieben war, musterte sie überrascht, zögerte kurz und trat dann ganz in das Zimmer ein. Laura war wie gelähmt und konnte nur noch in Zeitlupentempo denken. Ist das mein neuer Chef? Wenn ja, war er das genaue Gegenteil dessen, was sie erwartet hatte.

Der hochgewachsene Mann mit goldblondem Haar, blauen Augen und einem markanten Kinn hätte leicht Däne, Schwede oder Deutscher sein können. Doch die selbstsichere, leicht arrogante Haltung und die Art, wie er seine Kleidung trug – als wäre er in sie hineingeboren – überzeugten sie sofort, dass er ein waschechter Italiener war.

Der Begriff ‚Azur‘ kam ihr in den Sinn. Azurblau wie das Mittelmeer waren seine Augen. Das konnte sie gut beurteilen, denn er sah sie offen und direkt an. Ihr wurde heiß und nervös wandte sie den Blick ab. Warum nur reagiere ich so empfindlich auf jemanden, den ich gerade erst kennengelernt habe?

„Fabian! Du kommst wie gerufen. Laura ist vor einer Stunde eingetroffen und ich wollte dich gerade suchen, um sie dir vorzustellen.“ Carmela legte eine Hand auf Lauras Rücken und schob sie in seine Richtung. „Laura, das ist Signor Fabian Moritzzoni, der Besitzer der Villa de Rosa und mein Arbeitgeber. Fabian, darf ich dich mit meiner guten Freundin Laura Greenwood bekannt machen?“

Ganz automatisch reichte Laura ihm die Hand, die in seiner fast vollständig verschwand. Er strahlte Autorität aus, was ihr leichtes Unbehagen und ein Gefühl der Beklemmung bereitete.

„Es ist mir ein Vergnügen, Signorina Greenwood. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie zugestimmt haben, in Carmelas Abwesenheit als meine Assistentin einzuspringen. Hatten Sie eine angenehme Anreise?“

„Ja, danke.“

„Wie ich höre, ist das Ihr erster Aufenthalt in der Toskana.“

„Das stimmt. Carmela hat mich schon so oft eingeladen, ich wäre auch sehr gerne gekommen, aber es passte leider nie. Immerhin, jetzt bin ich hier, und ich hoffe sehr, dass ich Ihnen eine echte Hilfe sein werde, Signor Moritzzoni.“

„Das hoffe ich auch, Signorina Greenwood.“ Fabian runzelte leicht die Stirn als er Laura jetzt ansah. „Sie werden sich sicher heute in Ruhe hier einrichten wollen und dann vermutlich morgen anfangen zu arbeiten. Carmela wird Sie über alles informieren, was erledigt werden muss. Sind Sie damit einverstanden?“

Nicht einen Moment wich sein prüfender Blick von ihrem Gesicht. In seinem Benehmen, seiner Konzentration, erkannte man den scharfsinnigen Geschäftsmann. Ich will lieber nicht wissen wie er reagiert, wenn jemand ihn zu betrügen versucht, dachte Laura erschauernd. Doch dann fiel ihr etwas anderes ein. Hat er etwa die Narbe entdeckt? Musterte er sie deshalb so intensiv? Sie griff nach den Ponyfransen, die das entstellende Mal auf ihrer Stirn verbargen. Sicherlich missfiel es ihm, eine sowieso nur mäßig hübsche Frau anzusehen, die zusätzlich von einer hässlichen Narbe gezeichnet war. Gerade in Italien, wo alle Menschen so wunderschön waren, wurde großer Wert auf das Aussehen gelegt. Sie wünschte, dass er endlich das Gespräch beenden und gehen würde. Voll Selbstvertrauen und Zuversicht, diesen Job gut zu erledigen, war sie angereist. Diese Haltung war jetzt zwar nicht zerstört, aber doch erschüttert.

„Ich würde lieber heute schon mit der Arbeit anfangen“, antwortete sie. „Wenn Carmela mich gleich einweisen kann, ist mir das nur recht. Sie soll mit ruhigem Gewissen in ihre Flitterwochen fahren können und wissen, dass sie alles in gute Hände gelegt hat. Je eher ich die Situation in den Griff bekomme, desto besser.“

„Siehst du, Fabian?“, rief Carmela fröhlich. „Ich habe dir doch gesagt, du brauchst dich um nichts zu sorgen, wenn Laura da ist.“

„Da hast du sicher recht.“

Seine Stimme klang ruhig und zuversichtlich. Und trotzdem meinte Laura in den Blicken des Italieners etwas zu lesen, das so viel hieß wie: „Wenn du mich im Stich lässt, werde ich sehr enttäuscht sein.“ Entschlossen, aber innerlich zitternd, hielt sie seinem Blick stand. Sie musste all ihre Willenskraft aufbieten, um nicht wegzusehen.

2. KAPITEL

Am Morgen waren das Orchester und die Opernsänger eingetroffen, um zu proben. Seither erfüllten herrliche Instrumentalmusik und Gesang das Haus und die Gärten. Entzückt lauschte Laura und wünschte, die Kinder, die sie früher unterrichtet hatte, könnten hören, was sich ihren Ohren gerade bot. Obwohl die Kleinen damals erst sechs oder sieben Jahre alt gewesen waren, hatten sie schnell gelernt, die klassischen Stücke zu lieben, die sie ihnen als CD oder am Klavier vorgespielt hatte. Dann hatte es nicht mehr lange gedauert, bis sie alle selbst ein Instrument erlernen wollten, und Laura hatte sie nach Kräften unterstützt. Doch das war schon über zwei Jahre her, seither hatte sie keinen Unterricht mehr erteilt, und es fehlte ihr so sehr.

Als junges Mädchen hatte sie von einer Karriere als Musikerin geträumt. Dann aber hatte sie entdeckt, wie viel es ihr bedeutete, Kinder zu unterrichten. Durch ihren Unfall und die lange Rekonvaleszenz hatte sie ihre Arbeit als Musiklehrerin leider verloren und war jetzt gezwungen, sich eine neue, ebenso erfüllende Stellung zu suchen. Sofort nach ihrer Rückkehr aus der Toskana wollte sie sich mit frischer Kraft dieser Aufgabe widmen. Aber im Moment fühlte sie sich wie im siebten Himmel, weil sie in diesem wunderschönen Haus für ihre Freundin einspringen durfte. Die Musik um sie herum hatte ihr bereits gutgetan und ihre Stimmung gehoben.

Während Carmela den Generalplan studierte, um Laura später alles erklären zu können, beschäftigte letztere sich mit ein paar praktischen Tätigkeiten. Zu tun gab es noch genug, und sie wollte nicht müßig herumsitzen. Jedermann im Haus schien Hunderte von Aufgaben bewältigen zu müssen. Daher entschloss sie sich zu helfen wo immer sie konnte.

Als sie etwas später noch einmal nachsah, ob Carmela inzwischen Zeit für sie hätte, war diese immer noch mit einigen unaufschiebbaren Details und wichtigen Telefonaten beschäftigt, die sie selbst erledigen musste. Das Küchenpersonal hingegen konnte sich vor Arbeit nicht retten. Also half Laura, die Handwerker, die draußen die Bühne aufbauten und die Beleuchtung im größten Festzelt installierten, mit Speisen und Getränken zu versorgen.

Buongiorno, Signorina Greenwood.“

Laura, die gerade über den Rasen zur Küche zurücklaufen wollte, ein Tablett mit leeren Gläsern in Händen, blieb bei Fabian Moritzzonis Gruß stehen.

„Buongiorno. Ihre Stimme schwankte leicht. Der Mann hatte sie durch sein unvermitteltes Auftauchen etwas aus der Fassung gebracht.

In einem weißen Leinenhemd zu wollweißen Baumwollhosen, die Sonnenbrille auf die blonden Haare hochgeschoben, wirkte er eher wie ein lässiger Bohemien, nicht wie der furchterregende Geschäftsmann, als der er ihr gestern erschienen war. Trotzdem wäre es dumm, ihn zu unterschätzen, seinen scharfen Verstand, seinen Geschäftssinn. Vermutlich war der größte Nachteil bei diesem Job die starke Ausstrahlungskraft dieses Mannes. Er bedrohte ihren Seelenfrieden. Eine innere Stimme riet ihr, schnell davonzulaufen.

„Wie ich sehe, haben Sie sich schon voll ins Geschehen gestürzt. Eine Veranstaltung wie diese erfordert eine Menge Vorbereitungen, nicht wahr?“ Er lächelte so selbstbewusst wie ein Mann, dem vom Moment seiner Geburt an die Welt zu Füßen gelegt worden war, und strahlte so viel Lebenskraft aus, dass Laura sich daneben ganz blass und klein vorkam.

Fabian hatte ganz vergessen, wie zierlich seine Ersatzassistentin war. Gestern waren ihm vor allem ihre zarte helle Haut und die riesigen grauen Augen in dem elfenhaften Gesicht aufgefallen. Heute bemerkte er ihre Zerbrechlichkeit. Ihr Körper war schlank und biegsam wie der Stamm einer jungen Birke. Eine leichte weiße Baumwollbluse und ein schmaler, eng anliegender Rock lenkten seine Aufmerksamkeit auf die gertenschlanke Taille, knabenhaft schmale Hüften und die kleinen Brüste. Seidiges blondes Haar verbarg weitgehend die Narbe auf ihrer Stirn.

Schnell verblasste sein Lächeln, und er sah sie fragend an. „Wohin bringen Sie das?“ Mit dem Kopf deutete er auf das Tablett in ihren Händen. „In die Küche? Geben Sie es mir. Es sieht schwer aus.“

Doch als er danach greifen wollte, wich Laura ihm geschickt aus, das Gesicht rot angelaufen. „Ich bin stärker, als ich aussehe, Signor Moritzzoni!“, widersetzte sie sich ihm und überraschte Fabian mit ihrer heftigen Abwehr sehr. „Vermutlich bezahlen Sie mich nicht dafür, dass andere meine Arbeit erledigen. Außerdem will ich Sie nicht aufhalten. Ich mache sofort weiter.“

Sie versuchte an ihm vorbeizugehen, doch Fabian wollte noch etwas länger mit ihr plaudern. „Aber Sie halten mich nicht auf, und ich wollte Sie mit meinem Hilfsangebot auch nicht beleidigen. Ich wundere mich allerdings, dass Sie Aufgaben des Hauspersonals übernehmen. Eigentlich sollte Carmela Sie ja mit der Organisation des Konzerts betrauen.“

Laura errötete noch tiefer. „Ich wollte mich nur nützlich machen, solange sie ihre Pläne noch einmal überprüft und bevor sie mit meiner Einarbeitung beginnen kann. Wenn ich das Tablett in die Küche gebracht habe, sehe ich nach, ob sie so weit ist.“

„Signorina Greenwood?“

„Ja?“

„Vergessen Sie nicht, dass wir mittags alle Siesta halten … egal, wie viel zu tun ist! Es ist dann viel zu heiß zum Arbeiten.“

„Danke für die Erinnerung“, erwiderte sie schüchtern und hastete davon.

„Schneeflöckchen!“ Leise sprach Fabian den seltsamen Gedanken aus, der ihm durch den Sinn gegangen war, und sah ihr nach, wie sie über den Rasen zum Haus eilte.

Es dauerte noch einen Moment bis ihm einfiel, wohin er eigentlich gerade hatte gehen wollen und warum. Diese Frau hatte ihn abgelenkt und seine Aufmerksamkeit erregt. Mehr, als ihm lieb war.

Auf Drängen ihrer Freundin begleitete Laura nach dem langen Arbeitstag Carmela und ihren Mann zur piazza, dem großen Marktplatz im Dorf. Vor einem der kleinen rustikalen Lokale, gegenüber der uralten steinernen Kirche im Zentrum des Ortes, aßen sie im Freien zu Abend. Nur zu gerne war Laura mitgekommen, denn sie wollte unbedingt einige der Delikatessen kosten, für die die Toskana bekannt war, und Vicente kennenlernen, der so charmant war, wie sie geahnt hatte, fantastisch aussah und einen mitreißenden Sinn für Humor hatte, sodass sie ihn sofort ins Herz schloss.

Als das junge Ehepaar beim Kaffee nur noch Augen füreinander hatte, verließ Laura den überdachten Essbereich vor dem Restaurant und ging alleine auf die jetzt angenehm warme piazza. Über ihrem zitronengelben Sommerkleid trug sie vorsichtshalber eine leichte Stola lose um die Schultern gelegt. An eine alte Steinmauer gelehnt, beobachtete sie interessiert die Parade gut gekleideter Männer und Frauen, die lässig an ihr vorbeischlenderten. Es gab sogar ein Wort dafür – passeggiata – und sie hatte erfahren, dass diese Promenade allabendlich in vielen Städten und Dörfern Italiens stattfand. Es war die Gelegenheit für beide Geschlechter, sich gegenseitig zu bewundern und bestimmte Personen, für die man sich interessierte, genauer in Augenschein zu nehmen. Die Italiener verehrten Schönheit in jeder Form, hatte Carmela ihr erklärt, und sie nahmen jede Chance wahr, sie zur Schau zu stellen und zu feiern.

Die anstrengende Arbeit in der Villa de Rosa hatte Laura angenehm ermüdet. Jetzt genoss sie es, ein paar Augenblicke Ruhe zu haben, den Duft der Magnolien einzuatmen und sich in der warmen Abendluft zu den Zuschauern auf der piazza zu gesellen. Auf dem Platz schlenderten ein paar ausgesprochen gut aussehende Männer umher, aber in ihren Augen konnte keiner von ihnen dem attraktiven Fabian Moritzzoni das Wasser reichen. Dieser Gedanke überraschte sie selbst so sehr, dass ihr Herz vor Schreck einen Schlag aussetzte.

Buonasera, Signorina.“

Ein junger Mann mit feurigen dunklen Augen in einem strahlend weißen Hemd, der mit einem Freund über die piazza spaziert war, blieb vor ihr stehen und lächelte sie an. Wie immer wenn ein Mann sie ansah, fühlte Laura einen Anflug von Panik. Wegen ihrer Narbe reagierte sie in Bezug auf ihr Äußeres überempfindlich, so sehr sie sich auch bemühte, diese zu ignorieren. Doch gerade hier, unter all den schönen Menschen auf der piazza, empfand sie sich als Außenseiterin.

Trotzdem nickte sie dem Unbekannten kurz zu und begann sich zurückzuziehen. Dabei bemerkte sie ganz in der Nähe eine Bewegung in der Zuschauermenge. Sie sah den großen breitschultrigen blonden Mann, der sich in ihre Richtung bewegte. Etliche Dorfbewohner, die ihn begrüßen und ihm die Hand schütteln wollten, erschwerten sein Vorankommen. Fabian Moritzzoni ist anscheinend ein sehr beliebter, einflussreicher Bürger dieses Städtchens, dachte sie. Geduldig lächelnd erwiderte er die überschwänglichen Grüße. Die Leute umschmeichelten ihn wie einen Star, doch er machte auf Laura den Eindruck, dass er sich hinter dem so natürlich und offen wirkenden Lächeln nicht ganz wohlfühle.

Schließlich hatte er sie erreicht.

„Signorina Greenwood.“

Er sah sie durchdringend an, und ihr stockte der Atem. Einen Moment lang war ihr Kopf wie leergefegt, und sie musste sich zwingen, ihm zu antworten.

„Hallo.“

„Ich wusste doch, dass Sie das sind. Mit Ihrem hellen Haar und dem hellen Kleid fallen Sie hier auf. Was haben Sie mit Carmela und Vicente angestellt?“

„Die beiden sind noch im Restaurant, beim Kaffee.“

„Ja, natürlich … Sie sind frisch verheiratet und vermutlich begierig darauf, Zeit zu zweit zu verbringen. Es tut mir sehr leid, dass meine arme Assistentin so lange darauf warten musste. Mein Arbeitspensum ist wirklich wahnsinnig, wenn sie deshalb nicht in die Flitterwochen fahren konnte!“

„Können Sie daran nichts ändern?“

„Was meinen Sie damit?“ Er sah sie scharf an.

„Na ja, manchmal ist es gut, wenn man Dinge überdenkt, meinen Sie nicht? Könnten Sie nicht vielleicht ein paar Verpflichtungen abgeben und ihre Arbeitsbelastung ein wenig reduzieren?“

Fabian dachte noch über die überraschende Antwort nach, als eine kleine Brise Laura den Pony aus der Stirn blies. Sofort griff sie nach oben und strich ihn wieder zurück. Ein Schatten schien sich über ihre Augen zu legen.

„Ich denke, ich gehe dann …“ Unsicher lächelte sie ihn an und zog die Enden der Stola fester um das Oberteil ihres gelben Kleides. „Sonst macht sich Carmela auf die Suche nach mir.“

Fabian war bereits aufgefallen, dass sie in Hinsicht auf die Narbe auf ihrer ansonsten makellosen Haut empfindlich reagierte, und fragte sich, wie sie dazu gekommen war. Dann rief er sich zur Ordnung. Es ging ihn nichts an. Schließlich arbeitete sie nur für ihn, und alles, was ihre Fähigkeit den Job gut zu erledigen nicht beeinträchtigte, war ihre Privatangelegenheit.

„Hat sie Ihnen angeboten, Sie zur Villa zurückzubringen? Fahren Sie doch mit mir“, schlug er vor. „Ich will sowieso gleich zurück. Wir könnten zum Restaurant gehen und ihr Bescheid geben.“

„Ich möchte mich Ihnen nicht aufdrängen.“

„Unsinn! Wie könnten Sie das, wenn Sie sowohl für mich arbeiten als auch unter meinem Dach wohnen?“

„In dem Fall nehme ich Ihr Angebot gerne an, grazie.“

Die Nacht war stockdunkel, und die Straße, eng und gewunden, wurde nur von den Scheinwerfern des Wagens erhellt. Fabian fuhr gekonnt, als wäre er daran gewöhnt, deutlich schwierigere Strecken bei schlechterer Beleuchtung mit demselben Geschick zurückzulegen. Seine Hände sind faszinierend. Schlank, kräftig, makellos braune Haut – sie fallen sicher jeder Frau auf, egal ob er damit gerade Skulpturen aus Ton formt, in der Erde gräbt oder ein Kind hält …

An dieser Stelle unterbrach Laura ihre Überlegungen, da der Gedanke an Kinder sie zu sehr schmerzte.

„Fahre ich Ihnen zu schnell?“

In seiner unwiderstehlichen Stimme schwangen unterdrücktes Lachen und leiser Spott mit, und Laura sah ihn nervös an. „Ich bezweifle nicht, dass Sie alles bestens unter Kontrolle haben, Signor Moritzzoni. Aber ehrlich gesagt, die Straße ist so schmal, dass mich die hohe Geschwindigkeit schon beunruhigt! Würde es Ihnen etwas ausmachen, ein klein wenig langsamer zu fahren?“

Der aufsehenerregende Maserati reagierte bereits auf die kleinste Berührung des Fahrers, und die starke Maschine wurde langsamer und fuhr bald in akzeptablem Tempo weiter. Ihr Seufzer der Erleichterung war in dem bestens geräuschgedämmten luxuriösen Inneren nicht zu überhören, und Fabian Mortzzoni warf ihr einen schnellen Seitenblick zu, der ihr verriet, dass er sich über ihre Vorsicht amüsierte. Vermutlich hielt er sie für einen richtigen Angsthasen. Sie hatte zwar gute Gründe für ihre Ängstlichkeit, doch die kannte er nicht.

„Besser so?“

„Ja, vielen Dank.“

„Wie hat Ihnen denn unsere kleine Stadt gefallen?“

„Ich fand sie entzückend. Unter den Einwohnern scheint es so etwas wie Gemeinsinn zu geben. Das findet ein Mädchen aus der Großstadt natürlich toll. Und die passeggiata hat mich fasziniert.“

„Wie Sie vermutlich wissen, sind wir ein sehr traditionsbewusstes Volk. Das zeigt sich oft am deutlichsten in den kleineren Städten und Dörfern. Aber Italien ist auch sehr modern … besonders in Städten wie Mailand oder Rom.“

„Das sind bestimmt sehr interessante Reiseziele! Doch obwohl ich gerne einmal dorthin fahren würde, glaube ich, dass es mir in Ihrer kleinen Stadt besser gefällt … auch wenn sie nicht so modern ist.“

„Kann es sein, dass Sie eine Traditionalistin sind? Eine Frau, die Familie und Heim einer Karriere und aufregendem Leben in der Gesellschaft vorzieht?“

„Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit oder wilde Partys brauche ich ganz bestimmt nicht. Aber die Entscheidung zwischen Kind und Karriere wird den meisten Frauen nicht leicht gemacht. Meiner Meinung nach ist die Entscheidung für Nachwuchs aber so wichtig, dass man das Wohl und die Bedürfnisse des Kindes über die eigene Karriere stellen sollte. Es hat schließlich nur eine einzige Kindheit. Das sollte in einer gleichberechtigten Partnerschaft allerdings auch der Mann berücksichtigen, finde ich. Wenn sich diese Ansichten traditionell anhören, bin ich es wohl.“

Einen Moment lang schwieg Fabian. Nur kurz sah er gedankenvoll von der schmalen Straße weg in Lauras Gesicht. Das Thema ging ihr offensichtlich sehr nahe. „Es tut gut, zu wissen, dass es noch junge Frauen gibt, denen das Wohl der Kinder so sehr am Herzen liegt, dass sie es nicht als großes Opfer ansehen zu Hause zu bleiben, anstatt eine Karriere anzustreben. Die noch zu ihren Prinzipien und Werten stehen und sich nicht von äußeren Einflüssen wie dem Fernsehen und den anderen Medien davon abbringen lassen.“

Wie auf Verabredung schwiegen beide, insgeheim überrascht, dass sie ganz ähnliche Ansichten teilten. Und als sie in die Auffahrt zur Villa de Rosa einbogen, hatten beide das Gefühl, die Fahrt wäre im Nu verflogen.

„Sehen Sie?“ Fabian erfreute sich an dem vertrauten Anblick. „Die Lichter vor uns kommen von der Villa. Wir sind fast zu Hause.“

Ein Zuhause … Das war etwas, wonach sich Laura schon lange sehnte, mit allem was dazugehörte.

„Fabian hat uns zum Lunch eingeladen“, verkündete Carmela, als sie am späten Vormittag ins Büro geeilt kam. Sie nahm den Plan für die Vorbereitung des Konzerts vom Schreibtisch und studierte ihn einmal mehr, eine kleine Falte zwischen ihren schön geschwungenen Augenbrauen.

„Hat er das?“ Laura, die mitten auf dem mit einem erlesenen Teppich bedeckten Fußboden kniete und eine weitere Kiste Champagnerflöten auspackte, um sie auf Schäden zu prüfen, sah überrascht auf.

Tropische Hitze lastete schwer wie eine Decke auf der Toskana und die Ventilatoren, die überall im Raum verteilt waren, kämpften vergebens gegen die mörderischen Temperaturen an. Das ärmellose rosa Leinenkleid klebte an Lauras heißer Haut. Im Vergleich zu ihr wirkte Carmela so frisch und kühl wie eine exotische Seerose.

„Ich weiß, ich hätte schon mittags gehen sollen, aber er hat darauf bestanden, dass ich zum Lunch bleibe.“ Sie sah von ihrem Klemmbrett auf und lächelte. „Wenn Fabian auf etwas besteht, kann man nicht mit ihm diskutieren. Außerdem, er hat mich immer gut behandelt und ich will ihn nicht enttäuschen. Er ist rücksichtsvoll und großzügig, kein Tyrann wie so manch anderer Boss, von dem ich gehört habe!“

„Ja, aber warum lädt er auch mich ein?“ Verwirrt strich sich Laura eine Strähne aus dem Gesicht und zog nachdenklich die Brauen zusammen. „Ich bin doch nur vorübergehend hier, und es gibt so viel, um das ich mich kümmern sollte. Ich kann später eine Kleinigkeit essen.“

Carmela war entsetzt. „Das kommt nicht infrage. Ich habe dir doch gesagt, Fabian hat darauf bestanden, dass wir beide ihm Gesellschaft leisten. Er hat gerne Gäste, wenn er zu Hause ist, was nicht oft vorkommt, da er häufig verreist. Es hilft ihm, sich zu entspannen. Außerdem kann er dich bei der Gelegenheit etwas näher kennenlernen, bevor ihr zusammenarbeitet.“

„Na ja … wenn das so ist, sollte ich besser mitkommen.“ Insgeheim dachte Laura an die Rückfahrt mit ihrem neuen Arbeitgeber letzte Nacht. Und jetzt sollte sie auch noch mit ihm zu Mittag essen! In der intimen Atmosphäre des luxuriösen Autos, das so gut – und auch ein wenig sexy – nach Leder und poliertem Holz gerochen hatte, war sie sich des Mannes an ihrer Seite viel intensiver bewusst geworden, als gut sein konnte. Er hatte eine enorme Ausstrahlungskraft, und zudem fand sie ihn sehr anziehend. Daher war sie nicht in der Lage gewesen, sich neben ihm zu entspannen. Auch ihre Unterhaltung hatte sie emotional sehr aufgewühlt. Und obwohl Fabian zunächst für ihren Geschmack zu schnell gefahren war, hatte sie sich in einem Auto schon lange nicht mehr so sicher gefühlt.

Wie gerne hätte sie darauf verzichtet, ihm so bald schon wieder nahe zu kommen. Erst musste sie den Eindruck verarbeiten, den er auf sie gemacht hatte. Und was sie Carmela gesagt hatte, stimmte durchaus. In den vier Tagen bis zum Konzert gab es noch viel zu tun. Sie scheint zwar großes Vertrauen in meine Fähigkeiten zu haben, dachte Laura, aber ich muss es mir schließlich erst noch verdienen.

Zufrieden lächelnd saß Fabian an dem elegant gedeckten Tisch und begann sich zu entspannen. Schließlich war er hier ganz in seinem Element – im Kreise dreier wunderschöner Frauen.

Der Lunch wurde unter der weit ausladenden Markise vor der Orangerie serviert. Während sich Aurelia Visconti – ein lebhafter Opernstar mit rabenschwarzem Haar – mit Carmela über deren bevorstehende Flitterwochen in der Karibik unterhielt, blieb Fabians Blick an Laura hängen. Der jungen Engländerin setzte die Hitze anscheinend sehr zu. Das sonst so feine seidig blonde Haar umrahmte in leicht feuchten Strähnen das herzförmige Gesicht.

Er ertappte sich dabei, wie er sie anstarrte. „Ich fürchte, Sie fühlen sich in unserem Klima nicht ganz wohl, Signorina Greenwood.“ Offensichtlich hatte er sie aus einem Tagtraum geweckt, denn sie riss erschrocken die schönen grauen Augen auf.

Unruhig spielte sie mit dem weißen Leinentischtuch. „Ich werde mich schon noch daran gewöhnen. Auch wenn Sie es nicht glauben, in England war es bei meiner Abreise ebenfalls geradezu heiß. Das Klima ändert sich anscheinend überall.“

„Es sieht so aus.“

„Und dennoch … die Erde scheint sich im Lauf der Jahrtausende immer wieder selbst zu reparieren. Das soll nicht heißen, dass wir uns nicht um Klimaschutz kümmern sollten, aber letztendlich haben wir gar keinen so großen Einfluss, oder?“

„Soll das heißen, dass wir Menschen nicht alles regeln können?“

„Ja, genau.“

„Das ist kein angenehmer Gedanke für all jene, die gerne ihr Leben bis ins letzte Detail planen.“ Er lächelte und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Also gehören Sie nicht zu ihnen, Signorina Greenwood – wenn Sie glauben, dass wir unser Schicksal nur zu einem geringen Ausmaß selbst bestimmen können.“

„Nein. Ich habe mir angewöhnt, nicht zu viel zu planen und zu weit vorauszudenken. Denn wann immer ich bisher versucht habe, mein Leben in bestimmte Bahnen zu lenken, hat das Schicksal mir einen Streich gespielt.“

Ihr Blick verschleierte sich einen Moment lang. An welche schlimmen Ereignisse erinnert sie sich gerade, überlegte Fabian. Sie war ganz anders als alle Frauen aus seinem Bekanntenkreis. Ruhig, nachdenklich und anscheinend ohne Bosheit, versuchte sie noch nicht einmal mit ihm zu flirten, was wirklich Seltenheitswert hatte. Möglicherweise hat sie einen Partner und ist ihm absolut treu. So sehr, dass sie nicht einmal daran dachte, einem anderen schöne Augen zu machen. Das verwirrte ihn, und er trommelte nervös mit den Fingern auf dem Tisch. Überrascht erkannte er, dass er einem Flirt mit ihr nicht abgeneigt wäre. Höchste Zeit, seine Gedanken auf weniger gefährliche Themen zu richten.

„Wie Carmela mir erzählt hat, haben Sie in England Musik unterrichtet. Wie alt waren Ihre Schüler?“

„Sechs oder Sieben.“

„So jung!“

„Man ist nie zu jung, um Spaß an der Musik zu haben.“

„Und so, wie Sie jetzt lächeln, hat Ihnen die Arbeit viel Freude bereitet.“

„Ja, tatsächlich habe ich sehr gerne unterrichtet.“ Sie errötete, was ihr sehr gut stand. „Daher war ich so erschüttert, als ich meine Stelle verloren habe.“

„Was ist passiert?“

„Ein Autounfall.“ Laura verzog das Gesicht. Offenbar hatte sie unabsichtlich ein Thema angeschnitten, das sie lieber gemieden hätte. „Es hat sehr lange gedauert, bis ich wieder gesund war. Als ich wieder arbeiten konnte, musste mir der Schuldirektor leider kündigen. Die Behörden hatten den Fachbereich Musik geschlossen, weil nicht genug Geld vorhanden war. Ich war somit arbeitslos, aber mir taten vor allem die Kinder leid, die so viel Freude an der Musik hatten. Was für eine Schande!“

Interessiert hörte Fabian ihr zu. Auch schon auf der Heimfahrt am Vorabend hatte sie sehr engagiert und leidenschaftlich über Kinder gesprochen. Das gefiel ihm.

„Was die Künste angeht, erweisen sich viele Bildungseinrichtungen als erstaunlich kurzsichtig. Aber vielleicht können begeisterte Lehrer wie Sie das im Laufe der Zeit ändern?“

„Ein schöner Gedanke.“

Gerne hätte Fabian mehr über ihre Erlebnisse als Lehrerin und den Unfall, der sie ihren Job gekostet hatte, erfahren, aber plötzlich forderte Aurelia Visconti seine Aufmerksamkeit.

Besitzergreifend legte sie eine mollige, mit Diamantringen übersäte Hand auf seine. Sie spitzte die rubinrot geschminkten Lippen und beklagte sich: „Darling! Du vernachlässigst mich, wenn du ständig mit deiner kleinen englischen Freundin redest. Ihr seht euch doch ständig, während ihr das Konzert vorbereitet. Da muss sie dich nicht auch noch in deiner Freizeit ganz in Beschlag nehmen.“

3. KAPITEL

Laura verstand zwar nicht alles, was die Sängerin sagte, aber nicht umsonst hatte sie Unmengen Italienisch-CDs gehört und Sprachführer verschlungen, seit sie mit Carmela vereinbart hatte, in die Toskana zu kommen. Daher begriff sie sehr wohl die Bedeutung dessen, was die Operndiva meinte, auch ohne deren herablassenden Blick interpretieren zu müssen.

Hoffentlich wird der letzte Gang schnell serviert, wünschte sie sich, danach kann ich mich entschuldigen und wieder an die Arbeit begeben. Vielleicht wäre es ihrem Gastgeber aber auch recht, wenn sie ganz auf das Dessert verzichtete und sofort ginge? Fragend sah sie zu ihm und der Diva, die ihn jetzt ganz für sich beanspruchte. Da fing sie seinen Blick auf und einen Moment lang sah er ihr in die Augen. Ihr Herz setzte einen Schlag aus.

„Was ist los, Laura?“, fragte er. Dass er sie mit Vornamen ansprach, und nicht wie bisher mit Familiennamen, verwirrte sie.

„N-nichts. Ich habe nur gerade überlegt, ob es Sie stören würde, wenn ich das Dessert auslasse und stattdessen direkt wieder anfange zu arbeiten, damit ich alles schnell genug in den Griff bekomme …“

„Es ist mein ausdrücklicher Wunsch, dass Sie bleiben, bis wir den Lunch beendet haben!“ Zunächst sah Fabian überrascht aus, dann richtig wütend. „Ich bin es nicht gewohnt, dass meine Gäste mitten in der Mahlzeit aufstehen und gehen. So dringend Ihre Pflichten auch sein mögen, im Moment haben sie zurückzustehen.“

Alle, ihr Gastgeber eingeschlossen, starrten sie an, und Laura spürte, dass sie feuerrot anlief. Sie hatte nur einer Situation entkommen wollen, in der sie sich nicht wohlgefühlt hatte. Stattdessen hatte sie unabsichtlich den Mann verärgert, bei dem sie es sich am wenigsten leisten konnte. Er hatte sich mittlerweile wieder der glamourösen Frau an seiner Seite zugewandt, aber der Anblick seines markanten arroganten Profils schien ihre Sorge zu bestätigen. Jetzt war ihr nicht mehr nur heiß, sie fühlte sich richtig elend. Schnell griff sie nach ihrem Wasserglas und nahm einen großen Schluck von der eiskalten Flüssigkeit in der Hoffnung, dadurch ihre Beschämung ebenso lindern zu können wie ihren Durst.

Nach dem Lunch hatte Laura die aufgeregte glückliche Carmela in die Flitterwochen verabschiedet und sich den Rest des Nachmittags weiter mit ihren neuen Aufgaben vertraut gemacht. Um sich vorzustellen, hatte sie einige der Firmen angerufen, die Serviceleistungen für das Konzert erbringen sollten. Dann hatte sie noch einige Einladungen an das Personal eines Krankenhauses im Ort geschickt, die Carmela speziell für diesen Zweck zurückgehalten hatte.

Soeben bestellte sie Blumen, die in Fabian Moritzzonis Auftrag in die Villa geliefert werden sollten, in der die berühmte Aurelia Visconti sich bis zum Konzert aufhielt, als sie aufsah und den Mann selbst erblickte, der den Kopf durch die geöffnete Tür steckte. Kann es sein, dass er ein Verhältnis mit der schönen Opernsängerin hat? Diese Vermutung lag nahe, wenn man bedachte, wie die Diva sich den größten Teil des Lunches ihm gegenüber verhalten hatte. Andererseits hatte Carmela erwähnt, dass ihr Chef geschieden und ungebunden war.

„Wie kommen Sie zurecht?“, erkundigte er sich freundlich.

„Bis jetzt gut.“

„Keine Probleme?“

Laura beendete ihr Telefonat und schenkte ihm jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit. „Nichts, womit ich nicht fertig werde.“

„Gut. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich wegfahre und erst spät am Abend wiederkomme.“

„Okay.“

„Und morgen ziehen Sie in mein Büro um.“

„Oh … ist das wirklich nötig? Ich meine, ich weiß inzwischen, wo hier alles ist. Und so ein Umzug kostet wertvolle Zeit, die für die Vorbereitung des Konzerts wichtig wäre.“

„Es wird ganz schnell gehen. Sie werden mir öfter Fragen stellen wollen und wünschen, dass ich mit bestimmten Leuten spreche oder Probleme löse. Für uns beide wird das einfacher, wenn wir nahe beieinander arbeiten. Haben Sie sonst noch Fragen, bevor ich gehe?“

„Im Moment nicht.“

Laura zwang sich, ganz ruhig zu bleiben, obwohl ihr bei dem Gedanken, dass sie ab morgen in einem Büro mit Fabian arbeiten sollte, ganz heiß wurde. Seit dem Vorfall beim Lunch war sie noch mehr auf der Hut vor dem Mann als vorher, und sie wünschte, sie könnte die peinliche Episode aus ihrem Gedächtnis streichen. Und doch, jetzt war sie enttäuscht, dass sich keine Gelegenheit ergeben hatte, ihm weitere Fragen zum Konzert zu stellen – private Fragen.

Die Unterhaltungen, die sie bisher mit ihm geführt hatte, seine Ansichten zu Lebensplanung und anderen Dingen, hatten ihr Interesse an seiner Person geweckt. War das alljährlich stattfindende Konzert eine alte Tradition in Fabians Familie? Empfand er die Aufgabe jahrein, jahraus als dessen Gastgeber zu fungieren als erschreckend oder sogar lästig?

Trotzdem ängstigte sie die Vorstellung, ein Büro mit ihm zu teilen sehr …

„Dann noch einen schönen Abend. Genießen Sie das Dinner, das Maria für Sie vorbereitet hat. Meine Haushälterin ist eine exzellente Köchin und macht die beste Lasagne in ganz Italien. Ciao!

„Ciao!“

Im nächsten Moment war er verschwunden. Nur ein würziger Duft nach Sandelholz blieb zurück, und das laute Schlagen der Haustür zeigte an, dass er auf dem Weg zu seinem Auto war. Besucht er jetzt vielleicht Aurelia im Ort?

Ärgerlich verdrängte Laura diesen unwichtigen Gedanken und lehnte sich im Stuhl zurück. Der Schreibtisch vor ihr schrie geradezu danach, aufgeräumt zu werden. Sie fuhr mit der flachen Hand über das polierte Holz, löste ihr Haar aus dem Band, das es zum Pferdeschwanz gebunden hielt, lockerte mit den Fingern die Strähnen und schüttelte den Kopf. Die Anspannung in Hals und Schultern ließ allmählich nach, und sie seufzte erleichtert auf.

Laura hatte die wie versprochen ausgezeichnete Lasagne verspeist und genoss jetzt die herrliche Ruhe, die in dem prächtigen Haus herrschte, nachdem fast das gesamte Personal, alle Handwerker, Musiker und die Opernkompanie gegangen waren. Doch trotz der Stille hörte sie im Kopf noch den Nachhall der herrlichen Musik, die sie den ganzen Tag über umgeben hatte. Sie fühlte sich so glücklich und entspannt wie schon lange nicht mehr. Immerhin hatte sie eine Freundin wieder getroffen, die sie schon lange vermisst hatte, und durfte in dieser traumhaften Umgebung wohnen und arbeiten. Ist das ein Zeichen dafür, dass es in meinem Leben endlich wieder aufwärtsgeht?

Vor sich hinsummend steckte sie die letzte Einladung zu einem Souper im Anschluss an das Konzert in den passenden Umschlag – Fabian lud eine Reihe örtlicher Prominenz dazu ein – und legte sie zu den anderen. Dann beschäftigte sie sich mit dem Chaos auf ihrem Schreibtisch. Anschließend kniete sie sich auf den Boden, um die letzten zwei Kartons mit Gläsern zu überprüfen. Ein vertrauter Schmerz fuhr durch ihren Oberschenkel, und sie zuckte kurz zusammen. Aber der schwere Duft der Glyzinien vor dem Fenster erfüllte die stille Nachtluft und lenkte sie schnell von der unangenehmen Folge ihres Unfalls ab. Zufrieden begann Laura das Lied, das sie eben gesummt hatte, mit klarer, kräftiger Stimme zu singen.

Als Fabian die sanft erleuchtete, mit kühlem Marmor ausgelegte Eingangshalle der Villa de Rosa betrat, hielt er abrupt inne. Der Gesang, der an sein Ohr drang, klang so wunderbar, die Stimme so rein und klar, dass er einfach stehen bleiben musste, um zu lauschen, und kaum zu atmen wagte. Wer ist dieser Engel? Eines war sicher: Er hatte diese Frau noch nie singen gehört. Diese Stimme hätte er niemals vergessen! Vielleicht war sie ein Neuzugang der Operntruppe?

Als die letzten Töne in der Stille der Nacht verhallt waren, holte Fabian tief Luft und schüttelte verwundert den Kopf. Eines war klar, er musste sie kennenlernen.

Schnell ging er in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, einen breiten hellen Korridor entlang, vorbei an lauter geschlossenen Türen. Überall war es still, keine Spur von der Sängerin. An jede einzelne Tür klopfte er an, dann rief er „Ciao? Ist hier jemand?“ Aber alle Räume waren leer.

Hatte er sich den Gesang nur eingebildet? Lächerlich! Ein Mitglied der Truppe musste zu einer letzten privaten Probe in der Villa geblieben sein, und er hatte die Sängerin gestört. Jetzt wollte er sie finden, sich für die Unterbrechung entschuldigen und sich vorstellen.

Wenig später blieb Fabian wie versteinert stehen, als die exquisite Stimme wieder ertönte. Und zwar aus dem Büro, das Laura von Carmela übernommen hatte. Er eilte dorthin, mit jedem Schritt stieg seine Anspannung. Beim Eintreten sah er Laura, die einige Aktenordner im Regal ausrichtete, den Rücken ihm zugewandt. Sie hatte die Schuhe ausgezogen und war barfuß, das blonde Haar fiel jetzt offen auf ihre Schultern. Was ihn aber am meisten überraschte war, dass die erstaunliche Stimme ihr gehörte.

Völlig verblüfft, aber auch erfreut blieb Fabian stehen und machte sich nicht bemerkbar. Er wollte sie erst ansprechen, wenn sie ihr Lied beendet hatte. Aber plötzlich hielt sie inne, drehte sich um und sah ihn überrascht an.

„Oh!“

„Ihre Stimme ist wunderschön … ich hatte ja keine Ahnung!“

„Hoffentlich habe ich Sie nicht gestört! Ich genieße es so sehr, in Ihrem herrlichen Haus zu wohnen, und habe mich von meiner Freude mitreißen lassen. Wenn ich glücklich bin, singe ich immer.“

„Entschuldigen Sie sich nicht. Sie haben ein bemerkenswertes Talent. Carmela hat nie erwähnt, dass Sie singen.“

„Wir haben uns vor zehn Jahren zum letzten Mal gesehen. Unser Kontakt ist zwar weiterhin ziemlich eng geblieben, aber über solche Dinge haben wir nie gesprochen. Außerdem, ich singe nur zum eigenen Vergnügen. Mehr ist nicht dabei.“

Sie fuhr sich mit der Hand über die Wange, und als sie eine Haarsträhne nach hinten schob bemerkte er einen silbernen Ohrring mit einem hellblauen Stein, der an ihrem Ohrläppchen schimmerte. Fabian konnte kaum fassen, dass sie ein Talent, für das andere ihr gesamtes Vermögen geopfert hätten, so gleichmütig hinnahm.

„Warum nicht?“, wollte er sofort wissen. „Mit den richtigen Kontakten könnten Sie eine unglaubliche Karriere machen. Das sage ich nicht einfach so. Ich war mein Leben lang von Sängern, Musikern und anderen Künstlern umgeben.“

„Aber ich will nicht Karriere machen. Ich möchte Kinder zur Musik führen, wie ich es schon früher getan habe. Sogar umsonst, wenn ich es mir leisten könnte!“

Diese unerwartete und leidenschaftlich vorgebrachte Antwort überraschte Fabian, und er zog die Augenbrauen erstaunt hoch. Heutzutage verzehrten sich alle Leute nach Ruhm und Reichtum, doch dieses Mädchen, das Talent im Überfluss besaß, wollte darauf verzichten, um als Musiklehrerin zu arbeiten! Schon lange hatte ihn nichts mehr so verblüfft und gefesselt. Sicherlich hatte seine Exfrau nie so viel Selbstlosigkeit und Großmut aufgebracht. Ganz im Gegenteil! Aber Fabian wollte jetzt nicht über die habsüchtige und untreue Domenica nachdenken. Im Moment galt seine ganze Aufmerksamkeit der blonden Frau vor ihm.

„Wenn Sie das, was sie tun möchten, umsonst tun, ist das bewundernswert – wenn auch ein bisschen naiv. Ist Ihnen klar, dass Sie mit Ihrer Stimme ziemlich viel Geld verdienen könnten, Laura? Sie müssten sich nie mehr Sorgen um finanzielle Dinge machen.“

„Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich nicht an einer Karriere als Sängerin interessiert bin.“ Sie ging zu ihren Schuhen, die auf dem Teppich lagen, schob die kleinen elegant geformten Füße in die Sandaletten aus weichem braunen Leder, dann richtete sie sich auf und sah Fabian freimütig an. „Als ich ein junges Mädchen war, habe ich davon geträumt. Aber dann habe ich etwas gefunden, das mir viel mehr bedeutet. Damit werde ich nicht reich, aber Reichtum hatte nie denselben Stellenwert für mich wie für andere. Nicht alle Menschen streben danach!“ Erschrocken über ihre Kühnheit biss sie sich auf die Lippen. „Entschuldigung! Das war nicht gegen Sie gerichtet.“

„So habe ich es auch nicht aufgefasst.“

„Ich wollte damit nur sagen … ich brauche nicht viel Geld, um zufrieden zu sein. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, gehe ich jetzt schlafen. Morgen möchte ich zeitig anfangen.“

„Sie haben schon heute sehr lange gearbeitet. Ich sehe keinen Grund, warum Sie morgen früher beginnen sollten.“

„Wie Sie meinen.“

„Wie steht es mit dem Mann in Ihrem Leben. Er will doch sicher, dass Sie das Beste aus Ihrem Talent machen?“, fragte Fabian sie ungeniert aus, und einen Moment schien Laura verwirrt.

„Ich bin Single. Abgesehen von meinem Vater gibt es keinen Mann in meinem Leben.“

„Und er? Was sagt er dazu?“

„Er will nur, dass ich glücklich bin.“

Sie hob das kleine Kinn und sah Fabian trotzig an. Da erkannte er, dass er nicht weitergehen durfte.

Da ihm kein Grund mehr einfallen wollte, mit dem er sie zurückhalten konnte, schob er eine Hand in die Hosentasche und neigte kurz den Kopf. „Dann bis morgen. Schlafen Sie gut.“

„Ebenso.“

Sie schlüpfte an ihm vorbei und streifte ihn dabei kurz. Zurück blieb nur ein verführerischer, bezaubernder, gleichzeitig unschuldiger Duft. Noch eine ganze Weile blieb Fabian wie gebannt am selben Fleck stehen …

„Bitte befestigen Sie die Laternen in den Bäumen auf beiden Seiten der Straße, sodass sie gut ausgeleuchtet ist, wenn die Gäste ankommen.“

Gerade erklärte Laura in einer Mischung aus Englisch und Italienisch zwei fröhlichen Arbeitern im Büro, wie die Außendekorationen zu installieren waren, als ihr Chef durch die Tür hereinkam, eine Tasse Kaffee in der Hand. Von heute an arbeitete sie in seinem Reich, und noch nie zuvor hatte sie ein so gemütliches und reich dekoriertes Arbeitszimmer gesehen.

Es war fast doppelt so groß wie Carmelas, ein kristallener Kronleuchter hing von der Decke, und zahllose hervorragende Gemälde und Kunstgegenstände schmückten den Raum. Früh am Morgen hatten die beiden Handwerker, die jetzt bei ihr standen, ihren Schreibtisch und Computer geholt und gegenüber von Fabians Arbeitsplatz aufgestellt. Durch die hohen Fenster flutete Sonnenlicht herein und tauchte alles in ein strahlendes Licht.

Die Vorstellung, so eng mit Fabian zusammenzuarbeiten, machte sie ganz nervös. Und ihr fiel ein, was letzte Nacht geschehen war, als er ihren Gesang gehört hatte. Die Komplimente, die er über ihre Stimme gemacht hatte, hatten sie ebenso verblüfft wie die Vorstellung, dass sie damit Geld verdienen könnte. Doch all das konnte nichts an ihren eigenen Absichten ändern. Verzweifelt wünschte sie sich, mit Kindern arbeiten zu dürfen. Sie hatte ganz ungeplant und aus einer Laune heraus, wie sie sie schon lange nicht mehr gespürt hatte, gesungen und kein Publikum erwartet oder gesucht. Und ganz bestimmt keine Anerkennung.

Mit einem munteren „Buongiorno“ ging Fabian zum Schreibtisch und stellte seine Tasse ab. Der Gruß hatte allen gegolten, doch sein Blick blieb an Laura hängen.

„Haben Sie gut geschlafen?“, erkundigte er sich.

„Prima, danke. Und Sie?“

„Wie ein bambino.“

Er lächelte sie so jungenhaft und gewinnend an, wie Laura es noch nie gesehen hatte. Sonnenlicht quoll hinter ihm durch die großen Fenster und umgab ihn mit einer gleißend goldenen Aura. Sie starrte ihn wie gebannt an, aber das hätte in diesem magischen Moment wohl jeder – egal ob Mann oder Frau.

„Tatsächlich?“, murmelte sie schwach.

„Letzte Nacht habe ich einen Engel singen gehört.“ Fabian sah sie provozierend an, und Laura wurde es ganz heiß, ihr Herz begann zu rasen. Er schien andeuten zu wollen, dass sie ein Geheimnis teilten … ein Geheimnis, das ihm Macht über sie verlieh. „Ja, als ich zu Bett ging, hatte ich diese herrliche Stimme noch im Ohr. Bella!“ Er küsste in einer extravaganten, typisch italienischen Geste die Fingerspitzen und lächelte noch breiter.

Die beiden Arbeiter grinsten und nickten zustimmend, während Laura mittlerweile am ganzen Körper zitterte, sodass es eigentlich jedem auffallen musste.

„Gestern war das ganze Haus von so viel wunderbarer Musik erfüllt.“ Scheinbar lässig wandte sie sich wieder an die beiden Handwerker, was ihr weniger gefährlich erschien, als sich dem unwiderstehlichen Zauber auszusetzen, den Fabian so mühelos ausstrahlte. Sie bemühte sich um einen gleichmäßigen, leicht autoritären Tonfall und kreuzte beide Arme vor der Brust. „Jetzt wissen Sie, was zu tun ist. Die Laternen finden Sie im Lagerraum. Sie sind gestern angekommen, und ich habe sie auf Vollzähligkeit geprüft. Wenn Sie fertig damit sind, sehe ich mir alles an. Grazie.

Si, Signorina.“

Als die Männer gegangen waren wurde es ganz still im Raum. Fabian ließ sich nachdenklich in seinen bequemen Bürosessel sinken. Mit kritischem Blick musterte er seine Assistentin, die mit ihrer porzellanweißen Haut und der graziösen Figur fast so blass wirkte wie eine von Michelangelos Marmorskulpturen. Haben meine Neckereien sie so aufgeregt? Doch das Erste, was ihm an diesem Morgen beim Aufwachen in den Sinn gekommen war, war ihr herrlicher Gesang. Seither hatte die Erinnerung daran ihn nicht mehr losgelassen.

„Warum haben Sie mir beim Frühstück nicht Gesellschaft geleistet?“, wollte er wissen.

„Maria war so freundlich, mir Kaffee und Obst aufs Zimmer zu bringen.“

„Kaffee und Obst? Wollen Sie sich aushungern? Kein Wunder, dass Sie so schlank sind.“

„Keine Sorge, mit meinem Appetit ist alles in Ordnung, Signor Moritzzoni. Ich esse so gut wie andere auch, aber ich bin von Natur aus schmal gebaut.“

„Darum beneiden Sie bestimmt viele Frauen.“ Normalerweise bevorzugte er üppigere weiblichere Formen. Doch er konnte nicht leugnen, dass er Lauras schlanke Figur sehr reizvoll fand.

„Das bezweifle ich. Ich weiß genau, wie ich aussehe, und da gibt es wirklich keinen Grund für Neid.“

Fabian wunderte sich sehr über ihre negative Selbsteinschätzung. Dennoch hatte er nicht den Eindruck, dass sie ihm mit ihrer Antwort eine Schmeichelei entlocken wollte. Aber es blieb ihm ein Rätsel, wie wenig sie sich der eigenen Attraktivität bewusst war. Was bedeutete schon eine Narbe. Ihm war sie völlig gleichgültig. Aber er verstand, dass eine Frau sich in der so sehr auf Äußerlichkeiten fixierten Gesellschaft damit unwohl fühlte. Gerade wollte er sich seiner Arbeit zuwenden, als er entdeckte, dass sich auf ihren Wangen zwei rote Flecken zeigten.

„Jedenfalls verspreche ich, dass ich mein bescheidenes Frühstück durch ein reichhaltiges Mittagessen ausgleichen werde. Sie müssen keine Sorge haben, dass ich vor Hunger ohnmächtig werde.“

„Das könnte meinem Ruf wirklich schaden“, erwiderte er trocken. „Und bitte … nennen Sie mich Fabian und ‚du‘. Wenn wir so eng zusammenarbeiten, stört Förmlichkeit nur.“

„Wenn Sie – wenn du das so willst. Ich habe tatsächlich gleich eine Menge Fragen zu dem Souper, das im Anschluss an das Konzert stattfindet.“ Schnell holte sie ihre Liste und einen Stift von ihrem Platz.

Wenn sie sich konzentriert, hat sie einen hinreißenden Gesichtsausdruck, fand Fabian. Tatsächlich spannten sich sofort alle Muskeln in ihm an, wie immer, wenn seine Sinne auf angenehme Weise erregt waren. Das Erste, was er wahrnahm, als sie näher trat, war ihr frischer sommerlicher Duft. Er biss die Zähne fest zusammen. Seine heftige körperliche Reaktion überraschte ihn sehr. Wenn er sich nicht in Acht nahm, konnte das zu unnötigen Komplikationen in ihrer Beziehung führen.

„Was willst du wissen?“

„Es geht um das Protokollarische für den Abend.“

Zu seinem Unbehagen kam sie um den Tisch herum, stellte sich dicht neben ihn und beugte sich hinab, um ihm die Gästeliste mit allen Titeln und Bezeichnungen zu zeigen. Aber er war nicht in der Lage sich zu konzentrieren. Er sah nur ihr Haar, auf dem das Sonnenlicht schimmerte, und überlegte, dass ihr Profil mit der kleinen geraden Nase und dem zarten Kinn als Modell für eine wertvolle Kamee dienen könnte.

„Si.“ Er riss sich von ihrem Anblick los und nahm Laura die Aufstellung aus der Hand. „Ich schreibe neben jeden Namen ein paar Hinweise für dich. Aber jetzt muss ich erst ein paar wichtige Telefonate führen. Heute Nachmittag, nach dem Lunch, können wir den gesamten Plan durchsprechen und sehen, wo wir stehen.“

„Das wäre prima. Vielen Dank.“

Zu Carmela hatte er noch gesagt, dass er seiner neuen Assistentin nicht die Hand halten und jeden ihrer Schritte lenken wollte. Doch inzwischen hatte er ihren Schreibtisch in sein Büro stellen lassen und wurde von dem seltsamen, ihm völlig unerklärlichen Wunsch getrieben, ihr zur Seite zu stehen …

Laura kehrte an ihren Platz zurück, dann hielt sie plötzlich inne. „Dein Vater muss Musik sehr geliebt haben. Und die Villa gibt einen himmlischen Rahmen für so ein Konzert ab. Stammt die Idee für ein alljährliches Gedächtniskonzert von dir?“

Die Frage traf Fabian völlig unvorbereitet, und er starrte Laura überrascht an. Ein Muskel in seiner Wange begann zu zucken, und einen Moment lang kämpfte er gegen eine Welle aufkommenden Zorns. „Ja, Musik hat ihm viel bedeutet. Er hielt sich selbst für einen begeisterten Opernliebhaber. Eigentlich hielt er sich in vielen Dingen für einen Experten! Aber das Konzert ist nicht meine Idee. Überhaupt nicht! Mein Vater hat in seinem Testament genaue Anweisungen hinterlassen. Er wollte selbst über seinen Tod hinaus sicherstellen, dass man ihn nicht vergisst. Es fiel ihm nicht leicht, seinen Besitz oder sein Leben loszulassen.“

„Ich verstehe.“

„Das bezweifle ich. Aber vielleicht erkläre ich es dir eines Tages, bevor du die Villa de Rosa verlässt.“

Fabian schob die Kaffeetasse zur Seite und konzentrierte sich auf die Liste der Würdenträger vor ihm. Sie alle – mit Ausnahme der ebenfalls geladenen Künstler – waren ehemalige Gefolgsleute seines Vaters, die ihre Verbindung zu Roberto Moritzzoni noch jetzt nach Kräften ausnutzten. Am liebsten hätte er ein Streichholz angezündet und das ganze verdammte Blatt verbrannt. Er blickte auf. Laura hatte sich still an ihren Schreibtisch zurückgezogen und schien ganz vertieft in etwas, das auf ihrem Computerbildschirm aufgetaucht war. Was hätte Vater wohl gesagt, wenn ich ihm eine solche Frau als zukünftige Schwiegertochter präsentiert hätte, dachte Fabian. Er konnte sich das höhnische Gelächter des alten Mannes über eine so absurde Idee selbst jetzt, nach all den Jahren, lebhaft vorstellen. Alles an ihr wäre falsch gewesen – angefangen damit, dass sie keine Italienerin war. Sie stammte weder aus einer einflussreichen Familie noch hatte sie gute Beziehungen, zwei weitere Aspekte, die ihre Untauglichkeit bewiesen. Außerdem hätte Roberto gefunden, sie sei zu blass und mager, nicht üppig und mütterlich genug, um seine Enkel zur Welt zu bringen …

„Bigotter alter Narr!“, murmelte er wütend vor sich hin.

„Was ist los?“ Laura sah ihn von der anderen Seite des in strahlendes Sonnenlicht getauchten Zimmers her entgeistert an. „Du wirkst so ärgerlich“, fügte sie hinzu, als er nicht sofort antwortete.

„Du hast recht, das bin ich. Ich reagiere meistens so, wenn ich an meinen Vater denke. Er war nicht gerade der – wie soll ich sagen – ‚angenehmste‘ Mensch. Tatsächlich konnte er richtig grausam sein, besonders zu denen, die ihm am nächsten standen. Schockiert dich das?“

Sie sah ihn betrübt und voll Mitgefühl an. „Brutalität schockiert mich immer, obwohl ich weiß, dass sie auf der Welt nicht gerade selten vorkommt.“

Fabian seufzte. „Dann wechseln wir lieber das Thema und denken an Angenehmeres. Wenn du meine gute Laune wiederherstellen willst, könntest du so nett sein, mir frischen Kaffee zu bringen.“

„Gerne. Ich hole welchen von Maria.“ Sofort sprang sie auf und warf ihm im Hinausgehen einen schüchternen Blick zu.

Unverständlicherweise sehnte er sich nach ihr, sobald sie das Zimmer verlassen hatte. Das war nicht gut, es könnte ihre noch junge Beziehung als Chef und Assistentin belasten. Doch darüber wollte er lieber nicht so gründlich nachdenken.

4. KAPITEL

Ein paar Freunde von Fabian, ebenso wohlhabend wie er, tauchten unvermutet zum Lunch auf, und er bestand darauf, dass Laura ihnen Gesellschaft leistete. Sie speisten wieder im Freien, diesmal auf einer der anderen Terrassen mit Blick auf üppig grüne Olivenbäume. Die Sonne strahlte, der Wein floss in Strömen, und obwohl der Gastgeber sich an den Gesprächen um sich herum beteiligte – manchmal sogar laut mit den anderen lachte –, erkannte Laura, dass er nicht mit ganzem Herzen bei der Sache war.

Sie zerteilte gerade einen der süßen roten Äpfel, als ihr seine überraschende Bemerkung über das Gedächtniskonzert wieder einfiel. Wie schrecklich musste es für den jungen heranwachsenden Fabian gewesen sein, einen so grausamen Vater zu haben. Jetzt, nachdem sie entdeckt hatte, dass seine Beziehung zu Roberto Moritzzoni alles andere als gut gewesen war – und das Konzert ihn offensichtlich ständig daran erinnerte –, wunderte sie sich nicht, dass er sich nur schwer konzentrieren konnte. Sie wollte sich gar nicht erst vorstellen, wie viel Geld, Zeit und Mühe es kostete, diese eindrucksvolle Veranstaltung zu organisieren. Und wie sehr er das alles hassen musste, wenn er es nicht aus Liebe, sondern aus Pflichtgefühl tat. Wünscht er sich manchmal, alles wäre schon vorbei, überlegte sie. Sie selbst freute sich sehr auf das Konzert und konnte es kaum erwarten.

Neugierig und besorgt sah sie auf, und ihre Blicke kreuzten sich. Ihr Tischnachbar, ein italienischer Conte mit einem unaussprechlichen Namen, lachte laut über einen Witz, den er selbst erzählt hatte, doch sie hörte ihn kaum. Wie gebannt sah sie in Fabians tiefblaue Augen und nahm nichts anderes um sich herum wahr. Sie erwartete, dass er das Wort an sie richten würde, aber er wandte sich einfach ab und begann ein Gespräch mit dem älteren Geschäftsmann an seiner Seite.

Lo zio, Fabian!“

Ein kleines Mädchen mit glänzend braunen Zöpfen und kakaobraunen Augen tauchte plötzlich auf der obersten Stufe der Treppe zur Terrasse auf. Es rannte zum Tisch, kletterte auf den Schoß des ‚Onkels‘, warf die molligen Ärmchen um seinen Nacken und schmiegte ihr Gesicht an seiner Brust.

„Cybele!“

Fabian freute sich ganz offensichtlich ebenso sehr über das Wiedersehen, umarmte sie liebevoll und beschäftigte sich eine ganze Weile mit der Kleinen. Laura war darüber wirklich überrascht und auch erfreut. Die beiden gaben ein wunderbares Bild ab – der große blonde Mann, dessen attraktive Gesichtszüge sie bis in den Schlaf verfolgten, und das entzückende dunkelhaarige Kind. Der Anblick erinnerte Laura an ihren Wunsch nach einer eigenen Familie. Tränen stiegen ihr in die Augen, denn sie war sicher, dass diese Hoffnung sich nie erfüllen würde. Schließlich hatte sie schon eine Ehe hinter sich, die in einer Katastrophe geendet hatte.

Jeder am Tisch applaudierte oder äußerte einen bewundernden Kommentar über die hübsche Cybele und die sichtliche Freude des Gastgebers an ihrer Gesellschaft. Sie war der Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit, einfach um ihrer selbst willen. Und das ist auch richtig so, dachte Laura lächelnd.

„Signor Moritzzoni!“

Jetzt tauchte Maria auf der Treppe auf, außer Atem und sichtlich erschöpft. Sie wischte sich den Schweiß mit einem zarten Seidentaschentuch von der Stirn. Aus ihren in rasantem Italienisch geäußerten Worten schloss Laura, dass ihre Enkelin zu Besuch gekommen war. Als sie gehört hatte, dass Fabian zu Hause war, war sie begeistert davongelaufen, um ihn zu suchen.

Fabian beruhigte Maria. Er war überglücklich, Cybele zu sehen, und bat sie zu bleiben und mit ihnen zu lunchen. Maria bedankte sich, bestand aber darauf, dass Cybele mit ihr kam und die Erwachsenen in Ruhe fertig essen ließ. Zögernd ging die Kleine mit ihrer Großmutter davon und winkte der Tischrunde zu, bis sie schließlich außer Sichtweite war.

„Was für ein niedliches kleines Mädchen!“, rief Laura entzückt.

„Mögen Sie Kinder, Signorina?“ Der ältere Herr neben Fabian, der einen eindrucksvollen Schnurrbart trug, beugte sich über den Tisch zu ihr und lächelte.

„Ja, sehr sogar.“

„Dann werden Sie eines Tages eine wunderbare mamma abgeben! Aber erst brauchen Sie einen Ehemann, si?“

Die anderen Gäste lachten zustimmend, und während Laura noch mit dem Unbehagen darüber kämpfte, dass sie auf einmal im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, bemerkte sie, wie Fabian sie durchdringend und mit unverhohlenem Interesse musterte. Aber er sagte nichts.

„Was immer du gerade tust, hör auf damit. Wir machen einen Ausflug. Ich möchte dir etwas zeigen!“ Laura, die gerade von einer kurzen, aber wichtigen Besprechung mit Maria und dem Küchenpersonal ins Büro zurückgekehrt war, starrte Fabian verwundert an. Sie hatte den vagen Verdacht, dass er in ihrer Abwesenheit auf und ab gelaufen war und über etwas nachgegrübelt hatte. Das zerwühlte Haar deutete jedenfalls darauf hin, dass er etliche Male mit den Fingern hindurchgefahren war.

„Was denn?“

„Wir werden das Hospiz besuchen, dem die Einkünfte aus dem Konzert zugute kommen. Dann kannst du dich selbst davon überzeugen, wie wichtig es ist, dass es weiterhin von uns unterstützt wird.“

„Ja, dann.“ Unschlüssig blieb sie an der Tür stehen. Der spontane Ausflug überraschte sie sehr. Die Vorstellung bald auf Kinder zu treffen, die schwer krank waren oder sogar im Sterben lagen, ängstigte sie. Sie wurde ziemlich nervös, empfand aber gleichzeitig Mitgefühl für die Kranken.

„Wenn du mir eine Minute Zeit lässt, hole ich meine Jacke.“ Sie eilte davon und kam kurz darauf mit dem Kleidungsstück zurück.

Ein Hubschrauber brachte sie von der Villa direkt zum Hospiz. Der Flug dauerte nicht lange, und Laura war viel zu aufgeregt, um die herrliche Landschaft wirklich zu genießen, die unter ihnen vorbeizog. Doch immerhin gewann sie einen ersten Eindruck von der wunderschönen Toskana, die sich hier mit sanft geschwungenen, dicht aneinandergereihten Hügeln präsentierte. Pinien ragten hoch auf und warfen im Licht der Nachmittagssonne lange Schatten. Etliche Hügel waren mit Wein in ordentlichen Reihen bepflanzt, an anderen Stellen fanden sich ausgedehnte Olivenhaine. Nur vereinzelt thronte ein strahlend weißes Haus auf einer Hügelkuppe zwischen Zedern und Zypressen, oder ein aus Natursteinen errichtetes altehrwürdiges Weingut.

Während des Fluges schwiegen beide nachdenklich. Natürlich hatte Laura eine Menge Fragen an Fabian, aber sie konnten warten. Sie respektierte und verstand seine Zurückhaltung so wie er die ihre. Schließlich landete der Hubschrauber vor einigen schlichten weißen Gebäuden, und sie stiegen aus.

Eine fröhliche ältere Nonne nahm sie noch auf dem Landeplatz in Empfang. Mit einem strahlenden Lächeln und einer herzlichen Umarmung hieß die Schwester Fabian willkommen, was Laura überraschte. Der Anblick der beiden ging ihr ans Herz, denn ihr Chef zeigte keinerlei Anzeichen von Verlegenheit, sondern schien ehrlich erfreut über das Wiedersehen. Sie entdeckte immer mehr fesselnde Facetten an seinem Charakter.

Dann wurden sie in die Gebäude geführt, von Abteilung zu Abteilung, von Zimmer zu Zimmer. Fabian setzte sich an das Bett eines jeden kranken Kindes und sprach mit ihm wie ein naher Verwandter. Die Kinder reagierten offen und aufgeschlossen, sie freuten sich über den Besuch und genossen jede Minute, ungeachtet ihrer schweren Erkrankungen. Auch ihn berührten die Begegnungen mit den Kindern sehr. Seine Gefühlte spiegelten sich in seinem Gesicht. Laura las darin wie in einem Buch. Sie entdeckte Mitleid, Güte, Humor und Liebe. Und ihr eigenes Herz war so voll, dass ihr manchmal die Worte fehlten.

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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