Romana Extra Band 45

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VOR DER BLAUEN BUCHT VON SAINT-TROPEZ von BAKER, HOLLY
Ihr Vater hat ihr Anteile eines Weingutes vermacht? Fassungslos fliegt Zoe nach Saint-Tropez, um den Besitz zu inspizieren. Und verliebt sich Hals über Kopf in Henri Marchand, den zweiten Besitzer! Sind seine Küsse ehrlich, oder geht es ihm nur um die Weinberge am Meer?

DAS ENDE UNSERER EINSAMKEIT von WALLACE, BARBARA
Allein in die Flitterwochen zu fliegen, tut weh! Doch in der paradiesischen Anlage in Mexiko lernt Larissa den charmanten Carlos Chavez kennen. In seinen schönen dunklen Augen liest sie die Einsamkeit, die sie selbst so gut kennt - ebenso wie die Furcht vor einer Enttäuschung …

HAPPY END AUF ITALIENISCH von GEORGE, CATHERINE
Als der faszinierende Connah ihr das verlockende Angebot macht, ihn einen Sommer lang in die Toskana zu begleiten, stimmt Hester sofort zu. Schon lange schwärmt sie für ihn - aber erwidert er ihre Gefühle? Oder sucht er nur ein Kindermädchen für seine Tochter?

NACH NEW YORK UND NICHT VERLIEBT? von HARPER, FIONA
Finger weg vom Boss, schwört sich Kelly. Auch wenn sein Lächeln einfach unwiderstehlich ist! Doch dann begleitet sie Jason Knight auf eine Geschäftsreise nach New York. Und sich in dieser verrückten Stadt nicht ein bisschen in den Boss zu verlieben, ist leider völlig unmöglich …


  • Erscheinungstag 09.08.2016
  • Bandnummer 0045
  • ISBN / Artikelnummer 9783733743437
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Holly Baker, Barbara Wallace, Catherine George, Fiona Harper

ROMANA EXTRA BAND 45

HOLLY BAKER

Vor der blauen Bucht von Saint-Tropez

Die hübsche Engländerin Zoe will ihm nicht ihre Hälfte des Weingutes verkaufen! Wie soll Henri sie bloß überzeugen, dass es das Beste für sie beide wäre? Sie am Meer zu küssen, könnte ein Anfang sein …

BARBARA WALLACE

Das Ende unserer Einsamkeit

Larissa Boyd, die soeben in die Hochzeitssuite eingecheckt hat, ist einfach wunderschön, findet Hotelmanager Carlos Chavez. Den Bräutigam kann man nur beneiden! Seltsam bloß, dass Larissa allein Flitterwochen macht …

CATHERINE GEORGE

Happy End auf Italienisch

Es ist ein Sommer wie für die Liebe geschaffen, als Connah sie das erste Mal küsst. Darf Hester auf das große Glück hoffen? Oder will ihr Traummann sie nur an sich binden, damit sie sich um sein Kind kümmert?

FIONA HARPER

Nach New York und nicht verliebt?

Seine neue Assistentin scheint gegen Jasons Flirtversuche immun! Bis sie zusammen nach New York fliegen. Plötzlich spürt Jason, dass in der Stadt, die niemals schläft, auch Kellys Gefühle erwachen …

1. KAPITEL

„Ich liebe diesen Spiegel“, sagte Marilyn und schob sich eine blonde Locke hinters Ohr. „Das verwaschene Altrosa passt perfekt zum Vintage-Thema meiner nächsten Show. Den muss ich unbedingt haben. Und bestell bitte auch gleich die Sitzbank mit dem Rosenmotiv dazu.“ Sie stöckelte bereits auf ihren hohen Absätzen davon, noch ehe sie zu Ende gesprochen hatte.

Zoe nickte und sah Marilyn mit gemischten Gefühlen hinterher. Sie war froh, dass Marilyn zufrieden war, denn diese war nicht leicht zufriedenzustellen. Das bedeutete, dass Zoe ihren Job gut machte. Andererseits hatte sie es langsam satt, das Mädchen für alles zu spielen. Sie wollte endlich ihre eigene Einrichtungsshow haben.

Zoe hielt augenblicklich inne. Der Sender hatte die Pilotfolge bereits aufgezeichnet, und sie hatte ein gutes Gefühl. Nun musste sie nur noch die Einschaltquoten und Reaktionen des Publikums abwarten. Für sie bestand kein Zweifel daran, dass sich ihr Traum einer eigenen Fernsehshow eines Tages erfüllen würde, aber sie hasste die Warterei. Sie hatte mit ansehen müssen, wie die perfekte Marilyn und davor ihr jetziger Chef Roger Karriere gemacht hatten. Nun war sie an der Reihe, deshalb musste sie noch härter arbeiten als je zuvor. Sie durfte sich keinen Fehler erlauben.

Eilig hastete sie über den Flur zu ihrem Büro, wo sie die Sachen für Marilyn bestellen wollte. Susan, Assistentin bei dem britischen Fernsehsender, kam ihr entgegen. Sie schob ihre altmodische Brille zurecht und wedelte aufgeregt mit den Armen.

„Da bist du ja, ich habe dich schon überall gesucht.“

„Was ist los?“, fragte Zoe, ihr Herz schlug mit einem Mal schneller. Ob Roger sie sprechen wollte? Vielleicht waren die Einschaltquoten mittlerweile da.

„Ich habe einen französischen Notar in der Leitung“, erklärte Susan. „Er will unbedingt mit dir sprechen. Es geht um ein Testament.“

Zoe wurde blass. „Testament?“ Aber wer war gestorben?

Oh Gott, hoffentlich nicht ihre Großtante Gail.

Zoe lief in ihrem Büro auf und ab. Zwischen dem wuchtigen Schreibtisch in der Mitte, dem Aktenschrank links und der kleinen Sitzecke rechts blieb ihr nicht viel Platz, aber sie konnte einfach nicht still sitzen, während sie dem Freizeichen lauschte. Warum ging ihre Mutter nicht ans Handy? Und warum hatte sie ausgerechnet jetzt nach Cornwall in dieses Beauty-Hotel fliegen müssen?

„Zoe, es passt mir gerade gar nicht“, meldete sich Grace Lambert endlich ohne richtige Begrüßung. „Kann ich dich zurückrufen?“

„Jacques Moreau ist gestorben.“ Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen. „Hast du mich gehört, Mum? Mein Vater ist gestorben.“

„Wie ist das passiert?“, fragte Grace nach einer Weile mit belegter Stimme.

„Der Notar sagte etwas von Krebs, mehr wusste er leider auch nicht.“

„Notar? Hat dein Vater dir etwas vererbt?“

Seufzend ließ Zoe sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen und blickte aus dem kleinen Fenster auf die Skyline von London. Es regnete mal wieder. „Ja, das hat er. Die Hälfte seines Weinguts in der Provence, oder besser gesagt, einundfünfzig Prozent davon.“

„Oh!“

Oh? Mehr hatte ihre Mutter dazu nicht zu sagen? Erneut stand Zoe auf, sie konnte beim Laufen einfach besser denken. „Hör zu, Mum, ich muss mit dir reden. Kannst du nicht herkommen oder, noch besser, mit mir nach Frankreich fliegen?“

„Das geht auf keinen Fall“, sagte Grace entschlossen. Etwas sanfter fügte sie hinzu: „Du musst das verstehen, Zoe. Ich bin gerade erst angekommen, und es ist bereits alles im Voraus bezahlt. Außerdem wäre ich dir in Gassin ohnehin keine große Hilfe.“

„Gassin? Du weißt von dem Weingut?“, fragte Zoe verwirrt.

Grace seufzte. „Ich bin deinem Vater dort das erste Mal begegnet. Du weißt doch, dass ich damals Urlaub in der Provence gemacht habe.“

„Das schon, aber du hast nie Genaueres erzählt.“ Zoe strich sich die rotblonden Haare zurück. „Mum, ich würde gern wissen, warum mein Vater mir die Hälfte des Château La Cerise vermacht hat.“

„Du bist seine Tochter, mein Kind.“

Zoe lachte auf. „Davon habe ich aber nicht viel gemerkt. Ich kannte diesen Mann überhaupt nicht, bin ihm nie begegnet. Offensichtlich hat er mich ja nicht gewollt. Warum sollte ich ihm also jetzt auf einmal wichtig gewesen sein?“

Wieder seufzte Grace. „Krankheit und der bevorstehende Tod können einen Menschen verändern.“

„Aber …“

„Kind, du willst das Château doch ohnehin nicht behalten, oder?“, unterbrach ihre Mutter sie. „Fahr hin und regele alles, das wird nur ein paar Tage dauern. Wenn du zurückkommst, bin ich auch wieder da.“

„Na gut.“ Zoe gab es auf. Wenn ihre Mutter nichts sagen wollte, konnte sie nichts machen, das wusste sie nur zu gut. Dann würde sie also allein nach Frankreich fliegen müssen.

Dabei kam es ihr gerade sehr ungelegen, Roger um ein paar freie Tage zu bitten. Die anderen Assistenten waren wie Hyänen und lauerten nur darauf, sich an ihr vorbeizudrängen, um den Weg nach oben zu schaffen.

Henri schob sich die dunkelrote Traube zwischen die Lippen und schloss für einen Moment die Augen, während er den Geschmack auf der Zunge zergehen ließ. Die Trauben hatten das perfekte Gleichgewicht zwischen Säure und Zuckergehalt erreicht. Zufrieden nickte er und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.

„Sie sind reif“, sagte er zu seinem Vorarbeiter Luc Delacroix. „Wir können mit der Weinlese beginnen. Sagst du den Erntehelfern Bescheid?“

Luc nickte. „Mach ich. Sie warten ja nur darauf, dass es endlich losgeht.“

Henri blickte über die langen Reihen der Rebstöcke und unterdrückte ein Seufzen. Jacques hatte die Weinlese geliebt. Henri konnte es immer noch nicht glauben, dass Jacques die kommende nun nicht mehr miterleben würde.

„Er fehlt dir“, stellte Luc fest. Vorsichtig legte er seinem Freund eine Hand auf den Arm. „Mir auch.“

Henri holte tief Luft. Jacques Moreau war wie ein Vater für ihn gewesen, und dabei hatte er ihn erst vor drei Jahren kennengelernt. „Ich mache mir Sorgen, Luc. Dieses Weingut war Jacques’ Leben. Ich möchte nicht, dass irgendjemand kommt und zerstört, was er jahrelang aufgebaut hat.“ Zum Glück war Luc nicht nur sein Vorarbeiter. In den vergangenen Monaten, die für beide so hart gewesen waren, hatte sich zwischen den Männern so etwas wie Freundschaft entwickelt. So konnte Henri offen sein.

„Hast du denn schon etwas von Jacques’ Tochter gehört?“, wollte Luc wissen.

Henri schüttelte den Kopf. „Nein, absolut nichts. Ich verstehe das einfach nicht. Vielleicht hatte diese Zoe bisher keinen Kontakt zu ihrem Vater, aber er hat ihr schließlich das halbe Weingut vermacht, das Kostbarste, was er besessen hat. Warum zeigt sie kein Interesse daran?“

„Das wird sie schon noch, glaub mir.“ Luc klopfte Henri aufmunternd auf die Schulter, dann stapfte er davon.

Einen Moment sah Henri ihm gedankenverloren hinterher. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Er konnte nur hoffen, dass Zoe Lambert keine dieser verwöhnten Großstadtschnepfen war, die nur an Profit und ihren eigenen Vorteil dachten.

Auf jeden Fall würde er nicht tatenlos mit ansehen, wie sie das Einzige ruinierte, das ihm noch etwas bedeutete.

„Sehr nett, merci beaucoup“, bedankte Zoe sich. Sie nahm den Autoschlüssel entgegen und lächelte dem Mann des Autoverleihs freundlich zu. Dann griff sie nach ihrem Koffer und der Handtasche und machte sich auf dem großen Parkplatz auf die Suche nach dem gelben Citroën Cabrio, das man für sie reserviert hatte. Schnell fand sie das Auto und verstaute ihre Sachen.

Für Ende September war es noch herrlich warm. Zumindest kam es Zoe so vor, denn in London hatte es seit Tagen nur geregnet. Sie zog ihren schwarzen Blazer aus und legte ihn neben sich auf den Beifahrersitz. In der Handtasche suchte sie nach ihrer Sonnenbrille und einem Haargummi, um sich die langen rotblonden Haare zurückzubinden. Wenn sie schon ein Cabrio hatte und die Sonne so wunderbar schien, wollte sie auch mit offenem Verdeck fahren. Bevor sie sich auf den Weg machte, gab sie in das eingebaute Navigationsgerät noch ihr Ziel ein: Gassin.

Knapp eineinhalb Stunden würde sie unterwegs sein. Sie sah kurz auf die Uhr. Vor ihrem Termin mit dem Notar sollte ihr also noch genügend Zeit bleiben, um in Ruhe Mittag zu essen. Denn wer wusste schon, wie gastfreundlich dieser Henri Marchand sein würde, dem die anderen neunundvierzig Prozent des Weinguts gehörten?

Zoe legte den ersten Gang ein und fuhr vorsichtig vom Parkplatz. Als sie schon nach kürzester Zeit auf die Autobahn fuhr, war sie fast ein wenig enttäuscht. Sie hatte so viel von der Provence und vor allem von Nizza gehört und sich insgeheim darauf gefreut, all das zu sehen. Und nun war sie von Beton und Autos umringt. Aber vielleicht würde sich ja bei der Rückfahrt die Gelegenheit ergeben, Nizza etwas besser kennenzulernen.

Die Zeit dazu würde sie auf jeden Fall haben. Roger hatte sie tatsächlich gebeten, doch endlich mal etwas Urlaub abzubauen. Zoe hatte eigentlich so schnell wie möglich zurück nach London gewollt, um den Hyänen keine Chance zu geben, ihren Platz einzunehmen. Aber sie konnte Roger auch nicht widersprechen. Früher oder später musste sie ihren Urlaub nehmen, und vermutlich war jetzt, bevor es mit ihrer Karriere hoffentlich so richtig losging, der beste Zeitpunkt dafür.

Da sie nun schon mal in der Provence war, konnte sie genauso gut ein bisschen Ferien machen.

Pläne hatte sie allerdings noch keine. Sie wusste ja auch nicht, wie lange es dauern würde, bis alle Angelegenheiten geregelt sein würden. Das Ganze hing schließlich auch davon ab, wie kooperativ dieser Henri Marchand war. Irgendwie gefiel es ihr gar nicht, dass so vieles von einem Mann abhängig war, den sie nicht einmal kannte. Sie hatte lediglich vom Notar erfahren, dass ihm jetzt die andere Hälfte des Guts gehörte.

Zoe stellte das Radio aus, weil ihr das Gedudel französischer Popmusik auf die Nerven ging. Als sie auf einem der vorbeirauschenden Schilder Cannes las, formte sich ganz langsam eine Idee. Wie wäre es denn mit einer Rundreise durch die Provence? Nizza, Cannes, Saint-Tropez, Marseille, Avignon.

Ja, das würde sie machen, wenn alles nach Plan lief, aber da sah sie keine Probleme. Sie würde die Sache so schnell wie möglich regeln und sich dann wieder ihrem Traum einer eigenen Fernsehshow widmen.

Bonjour, Mademoiselle Lambert. Schön, dass Sie so schnell Zeit gefunden haben, um nach Gassin zu kommen“, sagte François Clement mit französischem Akzent. Er hatte dunkelbraune Locken und blaue Augen und war leger in Jeans und blaues Hemd gekleidet.

„Das war doch selbstverständlich“, antwortete sie schnell und reichte dem Notar die Hand.

„Bitte, setzen Sie sich doch.“ Er wies zu einer kleinen Sitzgruppe, die aus einem Sofa, zwei gemütlichen Sesseln und einem Holztisch bestand. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Kaffee vielleicht oder lieber etwas Erfrischendes?“

Zoe setzte sich auf einen der Sessel und nickte dem Notar lächelnd zu. „Kaffee, bitte. Mit Milch und nur wenig Zucker.“

François Clement gab die Getränke bei seiner Sekretärin in Auftrag, dann holte er eine Akte von seinem Schreibtisch und nahm Zoe gegenüber auf dem großen Sofa Platz. „Was für ein trauriger Anlass für Ihren Besuch in Gassin“, sagte er, und es klang aufrichtig. „Jacques Moreau war ein bemerkenswerter Mann. Schade, dass er so früh von uns gehen musste.“

„Ich kannte meinen Vater leider nicht“, antwortete Zoe.

„Eine wirklich traurige Geschichte“, wiederholte er.

Die Sekretärin brachte zwei Tassen Kaffee und ein wenig Gebäck. Erst, als sie das Büro wieder verlassen hatte, fuhr der Notar fort.

„Am Telefon habe ich Ihnen ja bereits das Wichtigste erzählt. Ihr Vater Jacques Moreau hat Ihnen einundfünfzig Prozent seines Weinguts hier in Gassin vererbt, das Château La Cerise. Ein wunderschönes Grundstück, und der Wein hat wirklich hervorragende Qualität.“

Zoe nickte. Sie war sich sicher, dass er das zu jedem Mandanten sagte. Wobei sie zugeben musste, dass Gassin in der Tat ein sehr hübscher Ort war. Zumindest das, was sie bisher davon gesehen hatte. Und auch François Clement machte einen sympathischen Eindruck.

Er nannte ihr einige Fakten zum Château, wie etwa die Größe des Grundstücks. Zoe ertappte sich dabei, dass sie kaum zuhörte. Stattdessen sah sie sich in dem großen Büro um. Mit den zusammengewürfelten Möbeln, den Aquarellen an den Wänden und den getrockneten Lavendelsträußen, die überall standen, wo Platz war, hatte es etwas Heimeliges an sich. Doch obwohl es eher wie ein Wohnzimmer als wie eine Kanzlei wirkte, hatte Zoe das Gefühl, gut aufgehoben zu sein.

„In den letzten Jahren hatte Ihr Vater einen Partner an seiner Seite, einen wirklich fähigen Mann“, fuhr der Notar fort, und Zoe konzentrierte sich wieder auf ihn. „Henri Marchand. Erst vor ein paar Monaten hat er neunundvierzig Prozent des Weinguts gekauft. Sie werden sich sicher prächtig mit ihm verstehen.“

Da war sich Zoe nicht so sicher, aber sie widersprach natürlich nicht. Sie konnte sich gut vorstellen, dass Henri Marchand ein gewiefter Nutznießer war. Gut, vielleicht hatte er die eine Hälfte des Weinguts gekauft. Aber das hatte er erst getan, als ihr Vater plötzlich schwer krank geworden war. Wahrscheinlich hatte er es nur auf das Erbe von Jacques Moreau und damit auf die zweite Hälfte des Weinguts abgesehen.

Der Notar strich sich über das Kinn. „Darf ich denn fragen, was Sie mit Ihrem Anteil vorhaben, Mademoiselle Lambert?“

Zoe straffte die Schultern. „Ich werde ihn verkaufen.“

Der Notar nickte interessiert. „Erlauben Sie, dass ich Ihnen eine Empfehlung ausspreche, Mademoiselle?“

Zoe nickte ebenfalls. „Gern, das wäre sehr nett.“

„Ich weiß zufällig, dass Pierre Dubois Interesse an Ihrer Hälfte hat. Er ist selbst Winzer und macht hervorragenden Roséwein. Sein Gut liegt praktischerweise direkt neben dem Château La Cerise. Wenn Sie möchten, werde ich ihm sagen, dass er sich mit Ihnen in Verbindung setzen soll.“

„D’accord“, antwortete Zoe. „Sagen Sie Monsieur Dubois, ich werde ein paar Tage in Gassin verbringen und würde mich freuen, mit ihm zu sprechen.“ Sie zog eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche und reichte sie dem Notar.

Je eher sie ihren Anteil verkaufen konnte, desto besser. Was sollte sie auch mit einem halben Weingut in der Provence? Ihr Leben spielte sich in London ab, und sie hatte weiß Gott andere Pläne. Ein Weingut passte da vorne und hinten nicht. Und ein schlechtes Gewissen brauchst du auch nicht zu haben, sagte sie sich. Immerhin hatte sie Jacques Moreau nie kennengelernt, auch wenn es nicht an ihr gelegen hatte. Wie oft hatte sie sich einen Vater gewünscht? An Geburtstagen hatte sie ihn immer besonders vermisst. Sie hatte ein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter Grace, allerdings war diese zu richtiger Nähe einfach nicht fähig. Als sie noch klein gewesen war, hatte Zoe sich immer vorgestellt, ihr Vater würde gern Tee mit Zitrone trinken und in seiner Freizeit Golf spielen. Doch Tatsache war, dass sie bis zum Anruf des Notars nicht einmal seinen Namen gewusst hatte. Ihre Mutter hatte ihr nichts über den Mann erzählt, der ihr Vater gewesen war. Ob er es nicht gewollt hatte?

Entschlossen schluckte Zoe das Gefühl von Bitterkeit hinunter. Sie war nie Teil von Jacques’ Leben gewesen, und jetzt, wo er ohnehin nicht mehr lebte und sie ihr eigenes Leben hatte, wollte sie es auch nicht mehr sein.

Nach dem Termin beim Notar überlegte Zoe einen Moment. Sollte sie direkt zum Château fahren? Wenn sie ehrlich war, hatte sie keine große Lust, Henri Marchand gegenüberzutreten. Sie sah ihn schon bildlich vor sich: ein grummelnder Franzose mittleren Alters, der alles besser wusste und rauchte.

Außerdem hatte Zoe immer noch nicht viel gegessen. Die Zeit vor dem Notartermin hatte nicht für einen Restaurantbesuch gereicht. Sie war von Nizza aus gut durchgekommen, daran hatte es also nicht gelegen, aber Gassin lag auf einer felsigen Anhöhe. Das Zentrum war mit dem Auto nicht befahrbar, was der Notar zuvor leider nicht erwähnt hatte. Deshalb hatte sie das Auto am Ortseingang abstellen müssen. Zu Fuß hatte sie die schmalen, verwinkelten Gassen besser erkunden können.

Zoe hatte sich ein Croissant in einer kleinen Boulangerie geholt und war auf der Suche nach dem Notar ein wenig durch den Ort gebummelt. Gemütliche Cafés reihten sich an edle Restaurants und kleine Lädchen. Überall an den Fassaden der alten Gebäude rankten sich Bougainvilleen in sattem Pink oder Lila empor. Abgefallene Blütenblätter bildeten einen bunten Teppich auf dem Pflaster. Selbst die Haustüren hatten Zoe sofort begeistert. Es waren nicht einfach nur Türen, sondern kleine Schmuckstücke, die sowohl farblich als auch mit ihren Schnitzereien individuell waren.

Sie hatten Zoe so in ihren Bann gezogen, dass sie fast ihren Termin beim Notar verpasst hatte. So etwas war ihr noch nie passiert. Gern hätte sie mehr gesehen, doch nun war sie erst einmal erschöpft und durchgeschwitzt.

Kurzerhand beschloss sie, das Treffen mit Henri Marchand so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Sie hatte zwar Hunger, aber im Château würde sie doch sicher auch eine Kleinigkeit zu essen bekommen.

Während sie sich auf den Weg zu ihrem Auto machte, überlegte sie, ob sie sich vielleicht vorher hätte anmelden sollen. Sie schüttelte den Kopf. Warum hätte sie das tun sollen? Henri Marchand musste klar sein, dass früher oder später jemand wegen des Erbes anreisen würde. Und da ihr die Hälfte des Guts gehörte, hatte sie auch jedes Recht, sich dort aufzuhalten.

Fünf Minuten später saß sie in ihrem Cabrio und folgte den Anweisungen der weiblichen Stimme des Navigationsgeräts. Dieses Mal war es deutlich einfacher, ihr Ziel zu finden. Schon bald bog sie in eine etwas versteckt gelegene Einfahrt ein. Sie folgte der mit Bäumen gesäumten Straße zu einem hellgelb gestrichenen Haus mit weißen Fensterläden.

Neugierig betrachtete Zoe es, nachdem sie das Auto im Schatten geparkt hatte und ausgestiegen war. Es war kleiner, als sie vermutet hatte, und benötigte die eine oder andere Schönheitsreparatur. Die Farbe an den Fensterläden war abgeplatzt, und die Sonne hatte die gelbe Grundierung ausgebleicht. Vermutlich war auch die Wärmeisolierung nicht auf dem modernsten Stand. Zoe konnte sich gut vorstellen, dass es hier im Sommer sehr heiß, aber im Winter dafür kalt und zugig werden konnte. Trotzdem versprühte das Haus einen gewissen Charme.

Sie ging auf die weiß gestrichene Holztür zu, der ebenfalls ein neuer Anstrich gutgetan hätte. Zoe klopfte an, nach einer Weile klopfte sie noch einmal. Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter, als sich drinnen immer noch nichts regte.

„Monsieur Marchand?“, rief sie in den dunklen, kühlen Hausflur hinein.

Keine Reaktion. Zoe widerstand dem Drang, das Haus einfach zu betreten und zu besichtigen. Vielleicht gehörte es jetzt zum Teil auch ihr, aber Henri Marchand wohnte sicherlich hier. Sie mochte es selbst nicht, wenn Fremde ungefragt in ihre Privatsphäre eindrangen, deshalb respektierte sie diese auch bei anderen.

Also zog sie die Haustür wieder zu und sah sich einen Moment unschlüssig um. Eine leichte Brise wehte den süßen Duft von Rosen zu ihr herüber. Spontan beschloss sie, dem schmalen Weg um das Haus herum zu folgen. Und zum ersten Mal in ihrem Leben war sie einfach nur sprachlos.

Direkt hinter dem Haus gab es eine kleine Terrasse, die in einen Garten überging. Mitten auf der Wiese war ein Pool eingelassen. Links und rechts wurde das Rasenstück von zwei Kieswegen begrenzt, die jeweils in eine steinerne Treppe mündeten, und vorn von einer weißen Balustrade. Vor der Balustrade empfing sie eine regelrechte Farbexplosion: Rote Rosen, gelbe Sonnenblumen und lilafarbener Lavendel blühten hier um die Wette. Noch atemberaubender war allerdings der Ausblick, der sich Zoe hinter dem Garten bot: Die Weinreben erstreckten sich kilometerweit den Hügel hinunter. Aus den Augenwinkeln erkannte sie Wälder, doch ihr Blick wurde vom Meer angezogen. Sie wusste, dass Saint-Tropez nur etwa vier Kilometer von Gassin entfernt lag, aber damit, dass man die Bucht von dem Weingut aus sah, hatte sie nicht gerechnet. Die tief stehende Sonne hüllte alles in ein warmes Licht, sodass es fast aussah, als würde Nebel in der Luft hängen.

Der Kies knirschte unter Zoes Sandaletten, als sie dem Weg auf der rechten Seite in Richtung Treppe folgte. Eine Handvoll Stufen führte hinunter zu den Weinreben. Erst jetzt bemerkte Zoe, dass sich zwischen den einzelnen Reihen einige Männer mit Strohhüten bewegten. Sie schienen die Weintrauben zu ernten, denn sie hatten große Körbe auf den Rücken.

Einer der Männer entdeckte sie und kam auf sie zu. Er musste etwa Anfang dreißig sein und war ungemein attraktiv. Er hatte zwar ebenfalls einen Strohhut auf dem Kopf, trotzdem erkannte Zoe hellbraune Haare. Er hatte ein Grübchen im Kinn, einen Drei-Tage-Bart und trug lediglich eine Jeans. Sein muskulöser Oberkörper war braun gebrannt und glänzte von der Hitze und der Anstrengung. Zoe musste sich regelrecht dazu zwingen, ihn nicht länger als nötig anzustarren. Als er näher kam, sah sie, dass er blaue Augen hatte.

„Was machen Sie hier?“, rief er auf Französisch zu ihr hoch, nachdem er sie einen Moment ebenso neugierig gemustert hatte. „Das ist Privateigentum.“

Trotz seiner ruppigen Worte fand Zoe auch seine Stimme recht angenehm.

Pardonnez-moi, aber es hat niemand die Tür geöffnet. Ich suche Henri Marchand. Können Sie mir sagen, wo ich ihn finde?“

„Das kommt drauf an“, antwortete der Mann nun ebenfalls auf Englisch. „Was wollen Sie denn von ihm?“ Nachdem er den Korb abgestellt hatte, stieg er die Stufen, zwei auf einmal nehmend, zu ihr hinauf. Er nahm den Hut ab und fächelte sich damit Luft zu, während er sich mit der anderen Hand die etwas zu langen Haare zurückstrich.

Zoes schnippische Antwort, dass ihn das gar nichts anginge, blieb ihr im Hals stecken. „Das würde ich doch gern mit ihm persönlich besprechen. Sagen Sie ihm, mein Name ist Zoe Lambert. Dann wird er sicher Zeit für mich haben.“

„Zoe Lambert?“

Der Mann blickte sie überrascht an. Viel mehr irritierte Zoe allerdings, dass er ihren Namen nicht englisch, sondern französisch aussprach.

2. KAPITEL

„Ja, Zoe Lambert“, wiederholte die junge Engländerin. „Würden Sie mir bitte sagen, wo ich Henri Marchand finde? Es ist wichtig.“

Erst jetzt wurde Henri bewusst, dass er sie angestarrt hatte. Schnell setzte er sich den Strohhut wieder auf. Was tat sie hier? Besaß sie denn kein Telefon wie normale Menschen, um sich vorher anzumelden? Dann hätte er sich wenigstens auf dieses Treffen vorbereiten können.

Ich bin Henri Marchand“, sagte er etwas ungehalten.

Nun starrte sie ihn an. Ihr Blick glitt ganz kurz über seinen nackten Oberkörper, und er konnte sich trotz der angespannten Situation ein Grinsen nicht verkneifen. Stattdessen nutzte er die Gelegenheit, um die junge Frau selbst noch einmal zu betrachten und nach Ähnlichkeiten mit Jacques zu suchen, doch da waren keine. Mit ihren rotblonden Haaren, den grünen Augen und den Sommersprossen um die Nase musste sie wohl nach ihrer Mutter schlagen. Und obwohl Henri sie überhaupt nicht kannte, wusste er sofort, dass sie auch nicht die Lebensfreude ihres Vaters geerbt hatte.

Henri wollte nicht unhöflich sein. Trotzdem fragte er: „Warum haben Sie nicht vorher angerufen? Oder macht man das bei Ihnen in England etwa nicht so?“

Zoe verschränkte die Arme vor der Brust. Sie trug eine schwarze Stoffhose, eine weiße Bluse und cremefarbene Sandaletten und wirkte neben ihm nun noch deplatzierter als vorher. „Ich habe jedes Recht, hier zu sein. Immerhin hat mein Vater mir einundfünfzig Prozent des Weinguts vermacht.“

Henri seufzte leise. „Ja, das ist mir bekannt. Hören Sie, es passt im Moment leider gar nicht. Wir haben gerade mit der Weinlese begonnen.“ Er deutete auf die Weinreben und Arbeiter hinter sich. „Wenn Sie mir sagen, wo in Gassin Sie untergekommen sind, kann ich heute Abend dorthin kommen, und wir können uns unterhalten.“

Zoe zog die Augenbrauen hoch. „Wie meinen Sie das? Warum sollte ich in ein Hotel gehen, wenn mir die Hälfte des Châteaus gehört? Außerdem würde ich die ganze Angelegenheit gern so schnell wie möglich regeln.“

Auch das noch! Er wollte sie nicht hier haben, aber wenn sie darauf bestand, hatte er wohl keine Wahl. Immerhin gehörte ihr tatsächlich mehr als die Hälfte von allem. „Also schön“, murmelte er. Er gab Luc, der sie neugierig beobachtete, ein Zeichen, dass er gleich wieder zurück sein würde. Dann stapfte er den Kiesweg entlang. Zoe schien trotz ihrer hohen Absätze auf dem Kies keine Probleme zu haben, sich seinem Tempo anzupassen.

Vor der Haustür blieb er stehen. „Holen Sie Ihr Gepäck, ich zeige Ihnen das Gästezimmer.“

Einen Moment rechnete er damit, dass sie ihn bitten würde, das Gepäck zu tragen, doch sie tat es nicht. Stattdessen ging sie ohne zu zögern zu ihrem Cabrio und wuchtete einen großen Koffer samt Handtasche aus dem Kofferraum. Henri war ein wenig beeindruckt, ließ es sich allerdings nicht anmerken. Er öffnete die Tür des Wohnhauses und ging voran. Vor einer Treppe in der Mitte des Ganges blieb er stehen, um Zoe nun doch endlich den Koffer abzunehmen.

„Danke, sehr freundlich“, sagte sie mit einem Hauch Sarkasmus in der Stimme.

Henri antwortete nicht. Ohne ein Wort trug er den Koffer in das obere Stockwerk. Er öffnete die zweite Tür auf der gegenüberliegenden Seite der Treppe und bat Zoe mit einem Nicken zuerst hinein. An der Tür ließ er ihren Koffer stehen, dann schob er sich an ihr vorbei ins Zimmer. Er öffnete das Fenster, holte eine Garnitur blütenweißer Bettwäsche aus dem antiken Schrank und warf sie auf die auf dem Bett ausgebreitete Tagesdecke.

„Gegessen wird um acht Uhr. Sollten Sie vorher Hunger haben, bedienen Sie sich einfach. Die Küche ist unten, das Bad liegt direkt gegenüber von Ihrem Zimmer.“

„Ich würde mich gern ein wenig umsehen“, sagte sie, bevor er flüchten konnte. „Würden Sie mir das Gut vielleicht kurz zeigen?“

Er verdrehte die Augen. „Leider kann ich Ihnen jetzt keine Führung geben. Meine Trauben warten auf mich.“ Damit entschuldigte er sich und lief die Treppe hinunter, ehe sie noch weitere Wünsche äußern konnte.

Draußen in der Sonne lehnte er sich einen Moment gegen die geschlossene Haustür und atmete tief durch.

Er hatte sich nicht getraut, sie direkt darauf anzusprechen, aber er war sicher, dass sie ihren Anteil verkaufen wollte. Die Hoffnung, dass sie ein klein wenig wie ihr Vater war und dieses Land lieben lernte, begrub er in diesem Moment. Sie war tatsächlich eine von diesen verwöhnten Großstadtschnepfen. Dummerweise sah sie dabei ziemlich gut aus, doch davon würde er sich nicht beeindrucken lassen. Claire war genauso gewesen, eine regelrechte Schönheit, aber wenn es ums wahre Leben gegangen war, hatte sie vollkommen versagt.

Aber gut, er würde sich von der Engländerin nicht ins Bockshorn jagen lassen. Er wollte das Château La Cerise erhalten. Vielleicht war er gerade nicht in der besten Position, aber ihm würde schon etwas einfallen.

Mit gestrafften Schultern ging er zurück zu seinen Weinreben. Luc erwartete ihn bereits.

„War sie das?“, fragte er aufgeregt.

Henri nickte knapp. „Ja, leider.“

„Und, was hat sie gesagt? Was will sie mit ihrer Hälfte machen?“

„Sie will das Ganze so schnell wie möglich regeln. Das heißt, dass sie verkaufen will.“

„Hat sie das auch so gesagt?“, hakte Luc nach.

Henri schüttelte den Kopf. „Nein, aber das braucht sie auch nicht. Ich kenne diese Sorte Mensch.“

Luc stöhnte. „Jetzt komm mir nicht wieder mit Claire, Mann. Du solltest endlich über sie hinwegkommen. Diese Zoe ist doch ganz sexy. Rein äußerlich hat sie überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihrem Vater.“

„Glaub mir, die hat sie auch innerlich nicht. Und sexy? Da gehört schon ein bisschen mehr dazu als gutes Aussehen.“

„Also, ich finde sie ziemlich heiß“, meinte Luc und deutete mit dem Kopf Richtung Haus.

Henri folgte seinem Blick. Zoe stand am Fenster des Gästezimmers und schien direkt zu ihnen zu sehen. Sie trug ihre Haare nun offen und hatte die weiße Bluse gegen ein weißes ärmelloses Top getauscht, das ihr schönes Dekolleté betonte. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, fand er sie auch ungemein anziehend, aber das spielte keine Rolle. Er musste sie loswerden, und das so schnell wie möglich.

Henri warf ihr noch einen letzten grimmigen Blick zu, dann zog er sich den Hut tiefer ins Gesicht und widmete sich wieder der Ernte.

Zoe stand am Fenster und holte ein paarmal tief Luft, die hier so ganz anders war als in London.

Sie konnte es immer noch nicht glauben. Henri Marchand war tatsächlich kaum älter als sie und dazu noch ziemlich gut aussehend.

Sie seufzte. Wem wollte sie hier eigentlich etwas vormachen? Er sah mehr als nur gut aus. Als er mit nacktem Oberkörper vor ihr gestanden hatte, hatte er sie für einen kurzen Augenblick völlig aus dem Konzept gebracht. Auch jetzt konnte sie nicht umhin, ihn anzusehen.

Das Klingeln ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken. Sie nahm es aus ihrer Handtasche und sah, dass es ihre Mutter war.

„Hallo, Mum.“

„Zoe, na endlich. Warum sagst du denn nicht Bescheid, dass du gut angekommen bist?“ Der Ton ihrer Mutter klang vorwurfsvoll, nicht besorgt.

Zoe ließ sich seufzend auf das Bett fallen. „Tut mir leid, ich bin noch nicht dazu gekommen.“

„Schon gut, aber nun erzähl. Wie ist es in der Provence? Hast du schon mit dem Notar geredet?“

Zoe nickte. „Er war ganz nett und hat mir auch gleich einen Interessenten genannt.“

„Und was sagt der Winzer dazu, dieser … Wie war noch gleich sein Name?“

„Henri Marchand. Ich hab noch nicht mit ihm darüber geredet, er war ziemlich beschäftigt. Offensichtlich haben sie hier gerade mit der Ernte begonnen. Aber im Grunde hat er dazu gar nichts zu sagen, es ist schließlich meine Entscheidung.“

Zoes Mutter Grace seufzte. „Dann bist du also schon auf dem Weingut?“

„Ich bin vor einer halben Stunde angekommen. Viel gesehen habe ich aber noch nicht. Ich wollte mich erst einmal ein wenig frisch machen, aber gleich schaue ich mir alles in Ruhe an.“

„Tu das, Kind“, sagte Grace, die auf einmal melancholisch klang.

„Ist alles in Ordnung bei dir?“, fragte Zoe.

„Sicher, ich bin nur ein wenig müde. Ich habe nicht so gut geschlafen. Machst du ein paar Fotos und schickst sie mir?“

„Ich hab die Kamera vergessen. Aber ich kann ja mit dem Smartphone ein paar Bilder machen.“ Sie zögerte. „Sag mal, Mum, warum hast du mir nie von meinem Vater erzählt?“

Wieder seufzte Grace. „Was hätte das denn gebracht, Kind?“

Zoe setzte sich auf, mit einem Mal war sie ziemlich wütend. „Hör bitte auf, mich Kind zu nennen. Ich bin achtundzwanzig Jahre alt. Und ich hätte gern mehr über meinen Vater gewusst. Mein Gott, Mum. Er hat mir sein halbes Weingut hinterlassen, das muss doch einen Grund haben.“

„Die Sache ist kompliziert, und ich möchte das nicht am Telefon mit dir besprechen“, erwiderte Grace müde.

„Früher oder später wirst du mir aber eine Antwort geben müssen. Bis dann, Mum.“

Zoe legte auf, ohne ihrer Mutter die Chance zu geben, sie noch mehr zu enttäuschen. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht, dessen war sich Zoe mittlerweile sicher. Man vermachte jemandem, den man gar nicht in seinem Leben haben wollte, nicht so etwas Kostbares wie ein Weingut in der Provence. Sie musste herausfinden, was wirklich dahintersteckte.

Obwohl sie müde und hungrig war, raffte sie sich auf und bezog das Bett. Einen Moment überlegte sie, ihre Sachen in den mit Bauernmalerei verzierten Schrank zu räumen, doch sie entschied sich dagegen. Schließlich hatte sie nicht vor, allzu lange zu bleiben.

Sie trat noch einmal ans Fenster und sah hinaus. Die Aussicht war wirklich wundervoll. Trotzdem ertappte sie sich dabei, wie ihr Blick erneut zu Henri wanderte. Allein sein Anblick verursachte tief in ihr ein ungeahntes Prickeln.

Aber das änderte nichts an ihrem Vorhaben. Er wollte sie nicht hier haben, und sie wollte nicht hier sein, auch wenn es viel schöner war, als sie vorher angenommen hatte. Sie würde sich jetzt einfach auf eigene Faust das Haus und das Grundstück ansehen. Es wäre ihr zwar lieber gewesen, wenn Henri Marchand sie herumgeführt hätte. Aber nachdem er sie so abgebügelt hatte, hatte sie kein schlechtes Gewissen, sich selbst einen Eindruck von dem Anwesen zu verschaffen. Und dann würde sie den Interessenten aufsuchen, von dem der Notar gesprochen hatte. Pierre, wie war noch gleich sein Nachname gewesen? Egal, der Notar hatte doch erwähnt, dass sein Gut direkt neben dem Château La Cerise lag. Sie würde ihn also schon irgendwie ausfindig machen, um dem ganzen Spuk so schnell wie möglich ein Ende zu bereiten.

Einen Augenblich später trat sie hinaus auf den Flur und sah sich ein Zimmer nach dem anderen an. Sie hatte keine großen Erwartungen, war dann aber positiv überrascht. Wer auch immer das Château eingerichtet hatte, hatte Geschmack und Stil bewiesen.

Man hatte den Landhausstil mit zurückhaltender Eleganz gepaart, was perfekt zu einem Weingut in der Provence passte. Henri traute Zoe das nicht zu, obwohl sie ihn ja gar nicht kannte, und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass er so kurz nach dem Tod von Jacques Moreau die Einrichtung ausgetauscht hatte.

Ob ihr Vater all die Möbel, Bilder und Accessoires selbst ausgesucht hatte? Das würde erklären, woher sie selbst ihr Gespür als Inneneinrichterin hatte, denn von ihrer Mutter stammte es definitiv nicht.

Das Bad hatte eine frei stehende Wanne mit Löwenfüßen. Eine separate Dusche gab es nicht, aber jemand hatte über der Wanne einen Duschvorhang angebracht.

Das nächste Zimmer identifizierte sie als Henris. Das große Bett war ungemacht, und auf dem Boden lag ein T-Shirt, ansonsten sah es relativ ordentlich aus. Dem Zimmer fehlte allerdings die persönliche Note. Neben dem großen Bett gab es einen Kleiderschrank und eine massive Kommode. An der Wand hingen Landschaftsbilder der Provence: Lavendelfelder, ein Meer aus Sonnenblumen und natürlich die Weinberge.

Zoe wollte sich nicht länger als nötig in Henris Zimmer aufhalten und öffnete die letzte Tür auf der Etage. Ein Duft von Lavendel schlug ihr entgegen, und sie erstarrte, als sie sich umsah. Das musste das Zimmer ihres Vaters gewesen sein. Die Möbel waren fast identisch mit denen der anderen beiden Schlafzimmer, und auch hier hingen Landschaftsbilder an den Wänden. Doch was Zoe wirklich berührte, war die Tatsache, dass es so aussah, als könnte ihr Vater jeden Moment zurückkommen. Nur eine leichte Staubschicht überzog die Möbel. Auf dem Nachttisch lag ein aufgeschlagenes Buch, auf einem Stuhl neben dem Fenster stapelten sich fein säuberlich eine Stoffhose und ein Pullover, und neben dem Bett stand ein Paar blauer Filzpantoffeln.

Einen Moment war Zoe hin- und hergerissen zwischen ihrer Neugier und ihrem Wunsch, so schnell wie möglich zu fliehen. Die Neugier siegte. Langsam betrat sie das Zimmer. Ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, streckte sie die Hand aus und strich über die Kommode, über die Schnitzereien am Fußende des Bettes. Sie sah, dass die Schublade des Nachtschränkchens leicht geöffnet war.

Zu gern hätte sie gewusst, was sich darin befand, doch sie zögerte. Durfte sie einfach so in die Privatsphäre ihres Vaters eindringen? Wie in Zeitlupe ging sie auf den Nachttisch zu, als sie plötzlich einen herben Geruch nach Aftershave wahrnahm. Tränen schossen ihr in die Augen. Rückwärts stolperte sie aus dem Zimmer, schloss die Tür hinter sich und stieg die Stufen ins kühlere Erdgeschoss hinunter. Sie brauchte einen Moment, um sich zu sammeln, bevor sie mit der Besichtigung fortfuhr. Hier unten fand sie neben einer Toilette ein Arbeits- und Wohnzimmer sowie die Küche vor.

In der Küche fand sie etwas Käse, Obst und frisches Brot. Sie brach sich ein Stück Baguette ab und aß es mit einer Ecke würzigem Brie. Anschließend nahm sie sich einen Apfel und verließ das Château durch die Vordertür, um sich auf die Suche nach dem Weinkeller zu machen.

Allerdings konnte sie diesen nirgends finden. Vermutlich war er irgendwo in der Nähe des Weinbergs, doch obwohl Zoe jedes Recht hatte, sich hier umzusehen und aufzuhalten, zögerte sie kurz. Sie hatte keine große Lust, sich noch einmal von Henri Marchand zurechtweisen zu lassen, aber was blieb ihr anderes übrig? Seinetwegen würde sie nicht mehr Zeit als nötig hier in Gassin verbringen.

Entschlossen ging sie noch einmal ums Château herum in Richtung der Weinberge. Sie lief den Kiesweg entlang und stieg die Stufen herunter. Obwohl sie nicht zu den arbeitenden Männern sehen wollte, tat sie es doch. Keiner beachtete sie, wie sie erleichtert feststellte. Am Fuß der Stufen blickte sie sich neugierig um. Tatsächlich befand sich eine Doppeltür aus schwerem Holz direkt im Hügel unterhalb des Gartens. Doch bevor sie an dem schmiedeeisernen Ring ziehen konnte, um die Tür zu öffnen, hörte sie eine bereits vertraute Stimme hinter sich.

„Suchen Sie etwas Bestimmtes?“

Zoe drehte sich abrupt zu Henri herum. „Ich verschaffe mir einen Überblick über das Anwesen. Ist das etwa verboten?“

Henri sah sie finster an. „Sie können es wohl gar nicht erwarten, das Gut so schnell wie möglich loszuwerden, was?“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust, das schlechte Gewissen, das sie mit einem Mal verspürte, ignorierend. „Ich möchte mir wie gesagt erst einmal einen Überblick verschaffen, das ist ja wohl legitim. Immerhin habe ich die Hälfte geerbt. Tut mir ja leid, wenn Sie gerade keine Zeit haben, mir alles zu zeigen, aber ich habe auch einen Job und sollte eigentlich nicht hier sein. Außerdem ist es meine Entscheidung, was ich mit meinem Erbe mache, denken Sie nicht? Ich muss mich nicht vor Ihnen rechtfertigen.“ Sie wusste, dass sie unhöflich war, aber sie konnte nicht anders. Immerhin ging es bei der ganzen Sache nicht nur um Henri, es ging vor allem um ihr Leben.

Es sah aus, als ob Henri etwas sagen wollte, doch dann holte er tief Luft und schwieg einen Moment. „Hören Sie, mir wäre es recht, wenn Sie sich den Weinkeller und die Produktion nicht allein ansehen. Im Moment haben wir aber noch zu tun. Gedulden Sie sich bitte noch ein wenig. Später werden Luc oder ich Sie herumführen.“ Plötzlich hatte er ein leichtes Grinsen im Gesicht. „Wie wäre es denn, wenn Sie in der Zwischenzeit bei der Ernte helfen würden? Wie Sie sagten, haben Sie ja schließlich die Hälfte geerbt.“

Meinte er das jetzt etwa ernst? Doch ein Blick in seine Augen genügte. „Ich muss noch ein paar Besorgungen im Ort machen. Morgen vielleicht.“

„Ich nehme Sie beim Wort.“

Zoe zögerte einen Moment. Sie hätte gern gewusst, wo der nächste Supermarkt war, doch lieber würde sie ihn stundenlang suchen, als Henri Marchand um Hilfe zu bitten. „Also, dann sehen wir uns später.“

Sie hatte die Stufen zur Hälfte erklommen, als oben ein Mann auftauchte. Ende dreißig, maximal Anfang vierzig. Er sah gut und gepflegt aus: dunkle Haare, ein Schnäuzer, gebügeltes Hemd und Stoffhose. Er nahm seine Sonnenbrille ab und lächelte sie an. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, hörte Zoe Henris Stimme hinter sich.

„Was willst du hier, Dubois?“

Richtig, Pierre Dubois, dachte Zoe. Das musste der Nachbar und Interessent an ihrer Hälfte des Weinguts sein. Und ganz offensichtlich konnten er und Henri sich nicht leiden.

Pierre Dubois ließ sich von Henri jedoch nicht aus der Fassung bringen. „Ich habe gehört, dass Jacques’ Tochter heute angekommen ist, und wollte ihr mein Beileid aussprechen. Enchanté, Mademoiselle“, wandte er sich an Zoe.

Sie kam ihm entgegen, und er küsste ihr die Hand. Fast musste sie lachen, diese übertriebene Geste kannte sie bisher nur aus alten Hollywood-Filmen. Aber sie musste zugeben, dass sie sich geschmeichelt fühlte.

„Ganz meinerseits. Zoe Lambert.“

„Pierre Dubois, aber sagen Sie bitte Pierre zu mir. Wie gesagt, die Sache mit Ihrem Vater tut mir schrecklich leid.“

„Vielen Dank, das ist sehr nett.“ Ganz kurz drehte sie sich zu Henri um und meinte, in seinem Gesicht so etwas wie ein schlechtes Gewissen zu lesen, weil er überhaupt nichts zu ihrem Verlust gesagt hatte. „Wollen wir ein paar Schritte gehen?“, fragte sie an Pierre gewandt. „Vielleicht könnten Sie mir die Umgebung ein bisschen zeigen. Monsieur Marchand hat gerade leider keine Zeit.“

Bien sûr, Mademoiselle, es wäre mir ein Vergnügen.“

Er hakte Zoe unter. Normalerweise hätte sie es aufdringlich gefunden, immerhin kannten sie sich nicht. Aber weil sie wusste, dass es Henri wahrscheinlich zur Weißglut treiben würde, störte es sie in diesem Moment nicht so sehr.

„Bei uns hat die Weinlese auch gerade begonnen“, erzählte Pierre, „aber darum kümmern sich die Erntehelfer. Ich konzentriere mich lieber auf die Weinproduktion.“

Er sagte es zwar nicht explizit, aber er gab ihr deutlich zu verstehen, dass er nicht verstand, warum Henri sich unter die Arbeiter mischte. Zoe hatte sich bereits dasselbe gefragt, wollte jetzt aber nicht näher darauf eingehen. „Ihnen gehört das Weingut nebenan, richtig?“

„So ist es. Das Land ist bereits seit vielen Generationen im Besitz meiner Familie. Wir produzieren erstklassigen Roséwein, der in der ganzen Provence bekannt ist. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen das Gut sehr gern.“

Zoe warf einen Blick auf ihre Uhr, es war bereits früher Abend. Da sie nicht wusste, wie lange die Geschäfte hier geöffnet hatten, musste das bis morgen warten. Sie wollte auf jeden Fall noch ein paar Lebensmittel besorgen, denn auf Kosten von Henri Marchand zu leben kam nicht infrage. „Unglaublich gern. Würde es Ihnen denn auch morgen passen?“

Mais oui, es wäre mir eine Freude. Selbe Zeit, selber Ort? Ich hole Sie ab. Dann zeige ich Ihnen mein Gut, und vielleicht haben Sie ja auch Lust auf eine kleine Weinprobe?“

Zoe nickte. „Ich freue mich schon. Sagen Sie, wo finde ich denn den nächsten Supermarkt?“

„Direkt im Ort gibt es einen Gemischtwarenladen, der ist ganz einfach zu finden. Kommen Sie, ich zeige Ihnen den Weg.“

Henri kochte vor Wut. „Hast du das gesehen?“, fuhr er Luc an, so als ob der etwas dafür könnte. „Taucht hier einfach auf und spielt den Charmeur, dabei ist doch klar, dass er nur hinter ihrem Anteil her ist.“

„Und vielleicht auch hinter ihren schönen Beinen“, bemerkte Luc, hob jedoch sofort abwehrend die Hände, als er Henris Blick sah. „Versteh mich bitte nicht falsch, aber es könnte sicher nicht schaden, wenn du auch ein bisschen charmanter zu Zoe wärst. Immerhin willst du ja etwas von ihr.“

„Ich will überhaupt nichts von ihr“, widersprach Henri.

„Wie man’s nimmt, immerhin soll sie doch nicht verkaufen.“

„Das schon, aber …“

„Denk einfach mal drüber nach“, unterbrach ihn Luc. „Wenn ihr euch die ganze Zeit über nur gegenseitig angiftet, ist das vielleicht ein nettes Vorspiel, aber bezüglich des Guts kommst du sicher nicht weit.“

Henri machte sich wortlos wieder an die Arbeit. Er gab es nicht gern zu, aber vielleicht hatte Luc recht. Im Grunde sollte es ihm doch nicht schwerfallen, ein wenig mit Zoe Lambert zu flirten. Sie war eine sehr attraktive Frau, die ihn körperlich anzog, das konnte er nicht leugnen. Aber ihr Charakter war ihm schon jetzt zuwider.

Dennoch sollte er es zumindest versuchen, das war ihm klar. Sie hatten keinen guten Start gehabt, und er hatte sich vom ersten Augenblick an ein Bild von ihr gemacht und ihr überhaupt nicht die Chance gegeben, ihm das Gegenteil zu beweisen. Es war doch nur selbstverständlich, dass sie sich ansehen wollte, was sie hier eigentlich geerbt hatte. Er musste ihr das Weingut schmackhaft machen, dann würde sie schon nicht verkaufen wollen. Zumindest hoffte er das.

3. KAPITEL

Henri hatte sich ins Zeug gelegt. Er war frisch geduscht und trug eine helle Stoffhose sowie sein bestes weißes Hemd. Er hatte den Tisch auf der Terrasse gedeckt und sich auch dabei große Mühe gegeben. Leider hatten sie den Sonnenuntergang bereits verpasst. Daran hätte er denken sollen, als er Zoe eingeladen hatte. Aber vielleicht würden sie es ja an einem anderen Tag schaffen.

Sie würden allein sein. Die Erntehelfer waren schon seit einer halben Stunde fort, und auch Luc hatte sich mittlerweile verabschiedet. Normalerweise blieb er bis nach dem Essen, doch er hielt es für besser, Henri und Zoe Zeit und Raum zu geben, um sich gegenseitig beschnuppern zu können. Vermutlich war das gar nicht so falsch, dachte Henri, während er das Ratatouille umrührte.

„Das riecht aber gut“, hörte er Zoes Stimme hinter sich.

„Danke.“ Freundlich lächelnd drehte er sich zu ihr um. „Oh, Sie waren einkaufen? Das wäre doch nicht nötig gewesen. Wie gesagt, Sie können sich jederzeit einfach bedienen.“

„Ich wollte Ihnen nicht zur Last fallen.“ Zoe ging hinüber zum Kühlschrank und räumte ein paar Lebensmittel hinein.

Henri räusperte sich. „Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. Mir ist bewusst, dass ich Ihnen den Eindruck vermittelt haben muss, dass ich Sie nicht hier haben will. Sie haben mich einfach überrumpelt.“

Zoe sah ihn an und nickte. „Ist in Ordnung. Vielleicht hätte ich wirklich vorher anrufen sollen.“

„Schwamm drüber. Der Tod Ihres Vaters tut mir übrigens sehr leid.“

Sie sah verlegen aus. „Danke, und mir tut es auch leid. Sie standen meinem Vater ja näher als ich und vermissen ihn sicher. Daran hätte ich denken sollen.“

Henri schluckte, damit hatte er nicht gerechnet. Einen Moment begegneten sich ihre Blicke, bevor er sich schnell wieder zum Herd drehte. „Haben Sie Hunger? Das Essen ist gleich fertig.“

„Großen Hunger sogar. Ich bringe nur schnell meine Sachen nach oben und ziehe mich um, wenn das okay ist.“

Er lächelte ihr zu. „Kein Problem. Lassen Sie sich ruhig Zeit.“

Henri wartete, bis er Ihre Absätze auf der Treppe hörte, dann würzte er das Ratatouille mit Rosmarin, Lavendel und Thymian. Anschließend brachte er die Pfanne sowie eine Flasche gekühlten Roséwein nach draußen. Es dauerte nicht lange, und Zoe gesellte sich zu ihm. Sie hatte ein orientalisch angehauchtes Parfüm aufgelegt, das nach Sandelholz und Feigen duftete und ihn sofort an Claire erinnerte.

Wie angekündigt, hatte sie sich umgezogen. Dieses Mal trug sie ein enges schwarzes Kleid mit einer weißen Strickjacke darüber. Sein Blick fiel sofort auf ihre langen Beine, die in den hohen Schuhen noch länger wirkten. Schnell sah er weg.

„Vielen Dank für das Essen, das sieht wirklich köstlich aus“, sagte sie und nahm auf einem der Stühle Platz. Sie hatte nun die Aussicht im Rücken, obwohl diese gerade in die schönsten Blautöne getaucht wurde.

„Ein Eintopf mit frischem Gemüse aus der Region“, erklärte er, während er ihr und sich etwas Ratatouille auf die Teller füllte. „Wein?“ Er hielt die Flasche hoch.

Sie nickte. „Ja, sehr gern. Haben Sie den gemacht?“

„Genau genommen Ihr Vater und ich. Das war unser erster gemeinsamer Jahrgang.“

Bildete er es sich ein, oder wirkte Zoe für einen Moment traurig? Sie roch an dem Wein und probierte einen kleinen Schluck. „Mmh, der ist gut. Fruchtig und erfrischend. Schmeckt irgendwie nach Erdbeeren und Pfirsichen.“

Henri nickte anerkennend. „Sehr gut, vielleicht wird aus Ihnen ja noch eine richtig gute Winzerin.“

Zoe stellte das Weinglas ab und wechselte das Thema. „Sagen Sie, wie sind Sie eigentlich auf dem Weingut gelandet?“

Henri nahm ihr gegenüber Platz und stocherte einen Moment in seinem Ratatouille herum. „Ich habe vor drei Jahren hier Urlaub gemacht und bin einfach für immer geblieben. Diese Landschaft hat mich vom ersten Augenblick an verzaubert.“ Er zuckte mit den Schultern. „Entschuldigen Sie, ich wollte nicht poetisch werden. Die Provence ist einfach ein wunderschönes Fleckchen Erde.“

„Das stimmt. So schön hatte ich es mir auch nicht vorgestellt.“

„Und Sie leben in London?“

Überrascht sah sie ihn an. „Ja, richtig. Ich bin dort aufgewachsen. London ist eine tolle Stadt, deshalb bin ich auch nach dem Studium geblieben. Waren Sie schon mal dort?“

„Ein paarmal, ja.“

„Und wie kommt es, dass Sie so gut Englisch sprechen?“

Er zuckte mit den Schultern. Das war kein Thema, über das er gern redete. „In meinem früheren Job war das einfach notwendig, aber essen Sie doch bitte, bevor es kalt wird.“

Eine Weile aßen sie schweigend. Henri ertappte sich dabei, wie er immer wieder zu ihr hinübersah.

„Es schmeckt ausgezeichnet“, sagte Zoe lächelnd, als sie einen seiner Blicke auffing. „So gut habe ich schon lange nicht mehr gegessen.“

Sie hatte ein sehr schönes Lächeln, das sie sofort viel sympathischer erscheinen ließ. Henri fand, dass sie viel öfter lächeln sollte.

„Und dieser Wein.“ Sie nahm noch einen Schluck. „Verkaufen Sie den auch?“

„Grundsätzlich verkaufen wir unseren Wein natürlich, aber diesen speziellen nicht. Wir arbeiten mit vielen Weinläden in der ganzen Provence zusammen, doch die Ausbeute dieses Jahrgangs war leider nicht die beste.“

„Woran lag das?“, wollte sie wissen.

Jetzt war die Stunde der Wahrheit gekommen, sie mussten zum geschäftlichen Teil des Abends übergehen. „Die Weinlese war in dem Jahr leider nicht so besonders gut. Das Wetter, Sie verstehen. Überhaupt hat uns das Wetter, seit ich hier bin, oft einen Strich durch die Rechnung gemacht. Erst im vergangenen Jahr lief es wieder ein bisschen besser.“

„Das ist bestimmt nicht leicht, wenn man so abhängig von der Natur ist.“

Henri zuckte mit den Schultern. „Wie alles im Leben hat auch der Weinbau seine Vor- und Nachteile, aber für mich überwiegen ganz klar die Vorteile. Ich liebe die Arbeit und kann mir nicht mehr vorstellen, etwas anderes zu tun.“

Zoe nickte. „Mir geht es mit meiner Arbeit ebenso.“

„Was machen Sie noch mal?“, fragte Henri, obwohl er es bereits von ihrem Vater kurz vor dessen Tod gehört hatte.

„Ich bin Inneneinrichterin und arbeite für einen britischen Fernsehsender. Bisher nur im Hintergrund, aber erst vor Kurzem wurde eine Pilotfolge mit mir aufgezeichnet. Mal sehen, vielleicht bekomme ich bald meine eigene Show.“ Er hörte sofort, wie wichtig ihr das war, obwohl sie versuchte, gleichgültig zu klingen. Sie brach sich ein Stückchen von dem knusprigen Baguette ab und nahm damit die Soße auf dem Teller auf, bevor sie sich zufrieden in ihrem Stuhl zurücklehnte.

„Möchten Sie noch etwas?“

„Sehr nett, aber lieber nicht. Ich fürchte, ich platze sonst. So viel esse ich normalerweise gar nicht.“ Sie lächelte verlegen. „Die Einrichtung im Château gefällt mir übrigens sehr gut.“

„Dann haben Sie tatsächlich etwas mit Ihrem Vater gemein. Er hat das Château damals ganz ohne professionelle Hilfe eingerichtet. Zumindest hat er mir das erzählt.“

Zoe sah zu Boden. Es schien ganz so, als würde sie nicht gern über ihren Vater sprechen.

„Das hatte ich schon vermutet“, sagte sie. „Irgendwo muss ich das Talent ja herhaben. Würden Sie mich jetzt vielleicht ein bisschen herumführen? Ich bin doch wirklich zu neugierig, wie so ein Weinkeller von innen aussieht.“

Henri stand auf, froh darüber, den unangenehmen Teil des Abends doch noch etwas verschieben zu können. „Folgen Sie mir“, sagte er und ging voraus. „Leider ist es jetzt schon zu dunkel, um einen Spaziergang durch die Reben zu machen, aber das können wir morgen nachholen.“

Er stieg die Treppe hinab und öffnete die Tür zum Weinkeller. Mit der Hand tastete er nach dem Lichtschalter. Die in regelmäßigen Abständen angebrachten Leuchter tauchten alles in ein schummriges Licht. „Vorsicht, Stufe“, warnte er Zoe und bat sie vorzugehen.

Zoe schlang die Arme um ihren Oberkörper. „Es ist ganz schön kalt hier unten. Und der Geruch. So modrig und doch angenehm.“

Henri empfand fast so etwas wie Stolz, als sie sich neugierig in dem niedrigen Gewölbe umsah. Die Weinflaschen lagerten in den halbrunden Regalen, die links und rechts in die rote Backsteinmauer eingelassen worden waren. Ehrfürchtig strich Zoe über eine aus Massivholz gebaute Anrichte, die sich in der Mitte des Ganges befand und in der ebenfalls Weinflaschen lagerten.

„Das ist wunderschön“, flüsterte sie.

„Danke, das freut mich besonders. Diese Anrichte habe ich gemacht.“

Überrascht wandte sich Zoe ihm zu. „Sie?“ Ihre Blicke trafen sich, und Henri spürte fast so etwas wie ein Knistern zwischen ihnen. Schnell sah er weg.

„Machen Sie nur Roséwein?“, fragte Zoe.

Henri nickte. „Die Provence ist bekannt für ihren Roséwein. Außerdem mochte Ihr Vater diese Art von Wein am liebsten. Es ist eine Tradition, die ich gern beibehalten möchte.“

„Verstehe“, murmelte Zoe.

Henri ließ ihr etwas Zeit, die Etiketten auf den Flaschen zu betrachten, bevor er weiterging und sie durch einen Rundbogen führte. „Hier wird der Wein in Fässern gelagert, bevor wir ihn in Flaschen abfüllen.“

Zoe betrachtete die zahlreichen Holzfässer, die sich in mehreren Reihen entlang der Mauer reihten, bevor sie weitere Fragen stellte, die er ihr beantwortete. Henri schob den Gedanken beiseite, dass sie wahrscheinlich nur wissen wollte, wie viel er im Jahr produzierte, um den Verkaufspreis besser einschätzen zu können.

Sie folgten dem langen, schmalen Gang bis zum Ende und bogen dann links durch einen weiteren Rundbogen ab, wo sich vor ihnen ein großer Raum auftat.

„Wow“, meinte Zoe, als sie den überdimensionalen Zuber sah. „Lassen Sie mich raten, hier produzieren Sie den Wein.“

„Ganz genau. Das braucht Fingerspitzengefühl und Erfahrung. Es wird seltsam sein, das erste Mal Wein zu machen, ohne Jacques an meiner Seite zu haben.“ Er brach ab, das hatte er gar nicht sagen wollen.

„Fehlt er Ihnen?“, fragte Zoe ungewöhnlich sanft.

Ihm wurde ganz warm ums Herz. Wie ihr schönes Lächeln vorhin machte sie diese Tonart gleich sympathischer. „Sehr sogar. Er war wie ein Vater für mich.“ Sofort versteifte Zoe sich wieder, und Henri bereute es direkt, so offen gewesen zu sein.

„Es freut mich, dass er wenigstens Ihnen ein Vater war.“ Die Bitterkeit war deutlich aus ihrer Stimme herauszuhören.

„Bitte entschuldigen Sie.“ Seufzend strich sich Henri die Haare aus der Stirn. „Das hätte ich nicht sagen dürfen. Aber Sie sollten wissen, dass die Sache etwas komplizierter ist, als Sie vermutlich denken.“

„Was wissen Sie darüber?“

Henri zögerte. „Ich bin nicht sicher, ob es mir zusteht, darüber zu reden. Vielleicht fragen Sie lieber Ihre Mutter.“

Einen Moment schwieg Zoe. „Woher haben Sie Ihr Wissen über die Winzerei, wenn Sie erst seit drei Jahren hier sind?“, fragte sie nun wieder sachlich.

Er zuckte mit den Schultern. „Ich lerne schnell, und Jacques war ein guter Lehrer. Außerdem habe ich Luc an meiner Seite, meinen Vorarbeiter. Er ist schon seit vielen Jahren hier auf dem Weingut beschäftigt und macht seine Sache sehr gut.“

„Wie viele Angestellte haben Sie?“, fragte Zoe weiter.

Henri zog die Augenbrauen hoch. „Warum Angestellte? Es gibt Luc und mich, und zur Weinlese brauchen wir natürlich die Hilfe von Erntehelfern.“

Zoe sah ihn mit großen Augen an. „Ist das so üblich in dieser Branche?“

Wieder zuckte Henri mit den Schultern. „Jeder Winzer hat seine eigene Vorgehensweise. Erntehelfer sind in der Tat üblich, aber im Château La Cerise wurde schon immer in jeder Hinsicht auf Saisonarbeiter gesetzt.“

Zoe sah sich schweigend weiter um. Schließlich schlang sie erneut die Arme um ihren Oberkörper. Henri verspürte für den Bruchteil einer Sekunde das Bedürfnis, sie zu wärmen. Schnell schüttelte er den Kopf. Das war doch völlig absurd.

„Ihnen ist kalt“, stellte er fest. „Vielleicht sollten wir besser wieder nach oben gehen und uns darüber unterhalten, wie es nun weitergehen soll.“

Zoe nickte und ging voraus. Als sie wieder auf der Terrasse saßen, überlegte Henri kurz, wie er am besten vorgehen sollte. Offensichtlich war bei Zoe Lambert Fingerspitzengefühl gefragt. Er trank sein Weinglas leer und sah sie unverwandt an. „Also, Zoe, haben Sie sich schon Gedanken darüber gemacht, was Sie mit Ihrem Erbe tun möchten?“

„Ich möchte verkaufen“, sagte sie, ohne zu überlegen.

Henris Herz fühlte sich an, als hätte jemand ein Messer hineingerammt. Es hatte sich schon angedeutet, und trotzdem hatte er irgendwie gehofft, dass sie nach diesem Abend vielleicht ihre Meinung ändern würde. Er musste sie überzeugen, nicht zu verkaufen. Gleichzeitig fragte er sich aber, ob das überhaupt möglich war.

„Mir ist bewusst, dass das für Sie sicher nicht leicht ist“, setzte Zoe von Neuem an. „Offenbar hängen Sie an dem Betrieb, aber Sie müssen auch mich verstehen. Ich kannte meinen Vater überhaupt nicht, und plötzlich hinterlässt er mir ein halbes Weingut in Frankreich. Was soll ich damit? Mein Leben spielt sich in London ab.“

Henri zwang sich, ruhig zu bleiben und Verständnis zu zeigen. So wie es aussah, hatte er sie doch richtig eingeschätzt. „Natürlich verstehe ich das. Sie haben Ihren Job und sicher keine Lust, jetzt umzusatteln. Das verlangt ja auch niemand von Ihnen. Aber trotzdem ist dieses Château in gewisser Weise ein Teil von Ihnen.“

„Ein Teil, der mir allerdings rein gar nichts bedeutet.“

„Das glaube ich Ihnen nicht, und mir bedeutet dieses Land dafür umso mehr. Das Weingut ist seit Jahrhunderten im Besitz der Moreaux. Vielleicht gehöre ich nicht zur Familie, aber ich werde trotzdem alles dafür tun, um die Tradition fortzusetzen.“

„Ich verkaufe Ihnen gern meinen Anteil.“

Henri unterdrückte ein Seufzen. „Wie gesagt lief die Weinlese in den letzten Jahren nicht allzu gut. Ich werde es mir vorerst nicht leisten können, Ihnen Ihren Anteil abzukaufen. Trotzdem bitte ich Sie, mit dem Verkauf zu warten. Pierre Dubois stiert schon lange auf das Grundstück. Für Sie ist das sicher praktisch, aber Ihr Vater würde sich im Grab umdrehen, wenn Sie an Dubois verkaufen.“

Zoe zog die Augenbrauen hoch. „Sind Sie sicher, dass es hierbei nicht in erster Linie um Sie geht? Und warum sollte mich das kümmern? Mein Vater hat sich schließlich all die Jahre auch nicht für mich interessiert.“

„So einfach ist das nicht. Zoe, bitte. Verkaufen Sie nicht. Sie könnten es doch zunächst einmal behalten und zum Beispiel Ihre Urlaube hier verbringen. Ich werde mich um alles kümmern, Sie haben überhaupt nichts damit zu tun.“ Er klammerte sich an den letzten Strohhalm.

Zoe überlegte einen Moment. „Das wäre mir ehrlich gesagt nicht so recht. Allein schon finanziell gesehen kann ich dieses Risiko nicht eingehen. Was, wenn die Weinlese wieder schlecht läuft oder Sie es sich anders überlegen? Nein, ich möchte mit der ganzen Sache so schnell wie möglich abschließen. Sie können das Ganze ja noch mal durchrechnen oder mit der Bank besprechen.“ Sie stand auf. „So, ich gehe jetzt zu Bett. Vielen Dank noch mal für das gute Essen.“

Henri überlegte, wie er sie doch noch überzeugen konnte, aber er wusste selbst, dass es im Moment keinen Sinn mehr hatte. Offensichtlich war Zoe entschlossen, mit diesem Teil ihrer Vergangenheit nichts zu tun haben zu wollen. Ob sie ihre Meinung ändern würde, wenn sie erst einmal eine Nacht drüber geschlafen hatte? Hoffnung machte er sich jedoch keine, wenn er ehrlich war.

Eine Möglichkeit gab es allerdings noch. Vielleicht würde sie anders denken, wenn er ihr doch die ganze Geschichte von ihrem Vater erzählte. Er wollte ihrer Mutter nur ungern in den Rücken fallen, denn die hatte ganz offensichtlich bisher geschwiegen, aber um das Weingut zu erhalten, würde er fast alles tun.

4. KAPITEL

Zoe war verwirrt, als sie die Treppe in ihr Zimmer hinaufging. Dieser Abend war netter geworden, als sie zuvor angenommen hatte. Überhaupt war Henri Marchand ganz anders als erwartet. Schon heute Mittag hatte er trotz Schweiß und Dreck eine gute Figur gemacht, aber frisch geduscht sah er noch besser aus. Er konnte richtig gut kochen, und er schien sich wirklich etwas aus dem Weingut zu machen. Das überraschte Zoe am meisten. Sie hatte sich geirrt. Henri Marchand war nicht hinter dem Erbe ihres Vaters her, dieses Land und die Arbeit bedeuteten ihm etwas. Das hatte er gesagt, aber das hatte sie auch gespürt.

Was sollte sie jetzt machen? Konnte sie das Weingut guten Gewissens an Pierre Dubois verkaufen? Ihr war klar, dass er nur hinter ihrem Anteil her war. Er war nicht der Typ, der Beileidsbekundungen machte, wenn nicht auch etwas für ihn dabei heraussprang. Aber sie konnte das Gut auch nicht behalten. Sie hatte andere Träume und Ziele im Leben. Sie wollte unbedingt ihre eigene Einrichtungsshow haben, und sie stand kurz davor, dieses Ziel endlich zu erreichen.

Zoe trat ans Fenster und blickte hinaus. In der Ferne sah sie das Meer im Licht der Küstenorte glitzern. Sie ließ das Fenster gekippt, zog die Vorhänge zu und legte sich ins Bett.

Am nächsten Morgen wachte Zoe wie üblich gegen sieben Uhr auf. Normalerweise würde sie jetzt eine Runde joggen gehen, doch da sie ja nur vorgehabt hatte, ein paar Tage zu bleiben, hatte sie ihre Sportsachen nicht mitgenommen. Also blieb sie noch im Bett liegen und döste. Einige Minuten später hörte sie irgendwo draußen lachende Männer. Neugierig ging sie hinüber zum Fenster, zog die Vorhänge zurück und machte das Fenster ganz auf, um frische Luft hereinzulassen. Die Sonne ging gerade orangerot auf. Zoe war so fasziniert von diesem Anblick, dass sie die Männer, die sich schon wieder zwischen den Reben aufhielten, für einen Moment ganz vergaß.

„Bonjour, Mademoiselle“, rief einer der Erntehelfer. Ein anderer pfiff ihr zu.

Schnell trat Zoe ein paar Schritte vom Fenster weg und sah in den Spiegel, der sich an der Innenseite des Schranks befand. Zum Glück war ihr cremefarbenes Nachthemd nicht durchsichtig, nur ein bisschen kurz und zu weit ausgeschnitten. Aus ihrem Koffer zog sie ein weißes Sommerkleid und ihre Kulturtasche, dann machte sie sich auf den Weg zum Bad. Auf der Treppe hörte sie Schritte. Sie hoffte, dass Henri sie einfach nicht beachten würde, doch tatsächlich tauchte er nur wenige Sekunden später am Treppenabsatz auf und musterte sie von oben bis unten. Zoe wünschte, sie hätte an einen Bademantel gedacht, und versuchte, sich mit dem Kleid in ihrer Hand etwas mehr zu bedecken.

Henri räusperte sich. „Hab ich doch richtig gehört. Bonjour.“

„Guten Morgen. Wie ich sehe, sind Sie schon wieder fleißig.“

Henri trug ein altes T-Shirt, Shorts und den Strohhut von gestern. Es war offensichtlich, dass er auf dem Weg zu seinen Erntehelfern war.

„Die Weinlese braucht halt ihre Zeit. Wir arbeiten von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Trotzdem dauert es ein paar Tage, bis wir alle Trauben gelesen haben. Apropos, wollten Sie nicht heute helfen?“

Überrascht sah sie ihn an. „Wollte ich das? Nein, ich hatte vor, nach Saint-Tropez zu fahren und mich ein wenig umzusehen. Wir suchen für unsere Einrichtungsshows immer ausgefallene Möbel, und wenn ich schon mal hier bin …“

„Schon klar“, unterbrach er sie. Mit einem Mal klang er nicht mehr so freundlich, eher so kühl wie am Anfang. „Sagen Sie, tragen Sie eigentlich auch mal was anderes als Schwarz oder Weiß?“ Mit dem Kopf deutete er auf das Kleid in ihrer Hand.

„Wie bitte?“, fragte sie verwirrt.

„Egal.“ Henri Marchand winkte ab und verschwand ohne ein weiteres Wort die Treppe hinunter.

„Es tut mir sehr leid, Monsieur Marchand, aber ich kann Ihnen nicht helfen“, sagte André Roux, Filialleiter der Bank von Saint-Tropez. In seiner Stimme schwang echtes Bedauern mit.

Henri atmete hörbar aus. Vor lauter Anspannung hatte er die Luft angehalten, wie ihm jetzt bewusst wurde. „Und man kann wirklich nichts machen?“, fragte er trotzdem noch einmal nach. „Mir ist bewusst, dass die Erträge der letzten Jahre nicht so gut waren, aber das lag ausschließlich am Wetter. In diesem Jahr fahren wir eine hervorragende Ernte ein.“

„Das glaube ich Ihnen, aber mir sind die Hände gebunden. Sie sind relativ neu in der Branche, Monsieur Marchand. Wenn Jacques noch leben würde, sähe das Ganze vielleicht anders aus, aber so … Das Château können wir auch nicht belasten, solange nicht geklärt ist, was Jacques’ Tochter mit ihren einundfünfzig Prozent unternimmt. Und Ihr eigenes Kapital …“

„Ja, ich weiß.“ Henri seufzte. Er hatte fast seinen letzten Cent ins Château gesteckt, und wenn nicht ein Wunder geschah, würde er bald alles verlieren, was er noch hatte. Pierre Dubois würde die Mehrheit des Guts gehören, und das würde er ausnutzen. Und selbst wenn Henri Zoe noch einen oder zwei Prozent ihres Anteils abkaufen würde, kannte er Dubois gut genug. Er würde die Zusammenarbeit so lange erschweren, bis Henri endgültig ruiniert war oder freiwillig aufgab.

„Wie gesagt, es tut mir leid“, wiederholte Monsieur Roux. „Sie wissen, dass mir das Château La Cerise immer besonders am Herzen lag. Jacques war ein alter Schulfreund von mir, und der Wein ist wirklich ausgezeichnet.“

„Danke.“ Henri lächelte traurig und stand auf. „Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie so lange aufgehalten habe.“

André Roux winkte ab. „Nicht doch, dafür bin ich da. Ich wünschte nur, ich hätte Ihnen etwas Positiveres sagen können.“

Die beiden Männer verabschiedeten sich voneinander, und Henri machte sich auf den Weg zurück zum Gut. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er so lange fort gewesen war. Luc hatte ihm zwar gesagt, es sei in Ordnung, aber Henri wusste, dass sie jeden Mann gebrauchen konnten. Das Geld war knapp, deshalb hatte er nicht so viele Erntehelfer wie üblich beschäftigen können. Zum Glück hielt bisher wenigstens das Wetter. Es war noch für die ganze Woche Sonnenschein angesagt, aber er verließ sich nur ungern auf die Vorhersage, nachdem es in den vergangenen Jahren so schlecht gelaufen war.

„Und, wie sieht’s aus?“, fragte Luc, als Henri wieder in seiner Arbeitskleidung auf ihn zukam.

Henri schüttelte den Kopf.

„Sie geben dir keinen Kredit?“

Henri zuckte mit den Schultern. „Ich habe zu wenig Erfahrung und keine Sicherheiten zu bieten.“

„Mensch, Henri, das tut mir leid. Ich hatte so gehofft, dass es klappt. Kann ich irgendwas tun?“

„Falls du nicht gerade im Lotto gewonnen hast, sehe ich keine Möglichkeit. Es sei denn, du kannst Zoe Lambert dazu überreden, doch nicht zu verkaufen.“

Luc grinste. „Ich glaube, die Engländerin steht eher auf dich.“

„Das ist doch Unsinn. Die Frau steht auf niemanden. Wenn überhaupt, dann verspeist sie die Männer zum Nachtisch und schmeißt sie danach aus ihrem Bett.“

„Du kriegst sie schon weichgeklopft“, meinte Luc.

„Wir reden jetzt von dem Verkauf, oder?“, fragte Henri vorsichtshalber nach. „Das kannst du vergessen, da ist Hopfen und Malz verloren. Außerdem hat das ja bei Claire auch nicht geklappt.“

„Das war was anderes, da hast du es ja nicht mal versucht. Nimm’s mir nicht übel, aber bei Claire hast du dich wie eine beleidigte Leberwurst verhalten.“

„Hab ich überhaupt nicht“, widersprach Henri. „Ich war enttäuscht, und ich hatte ja wohl jedes Recht dazu. Immerhin wollte ich mein Leben mit Claire verbringen, und was macht sie? Haut einfach nach Paris ab.“

„Weil sie dort ein super Jobangebot hatte“, sagte Luc und machte sich wieder an die Arbeit. „Außerdem hat sie dich ja gebeten, mitzukommen. Du warst ihr also nicht egal.“

Henri deutete ein Schulterzucken an und begann ebenfalls, die Trauben zu lesen und in dem Korb auf seinem Rücken zu sammeln. „Und wenn schon. Sie wusste, dass das keine Option war. Immerhin hatte ich Jacques gerade erst die neunundvierzig Prozent des Guts abgekauft.“

„Zoe ist trotzdem anders.“

„Du kennst sie doch gar nicht. Sie hat überhaupt kein Auge für die Schönheiten des Lebens. Gestern hat sie sich mit dem Rücken zu dieser Aussicht gesetzt.“ Er machte eine allumfassende Geste. „Das sagt doch schon alles. Außerdem ist sie genauso in ihre Arbeit verliebt wie Claire.“ Und wie er selbst damals.

Luc schüttelte den Kopf. „Du tust ihr unrecht, mein Freund. Vielleicht hat sie im Moment nur ihre Arbeit im Kopf, aber blind ist sie nicht. Du hast selbst mitbekommen, wie fasziniert sie von dem Anblick hier war, als sie ihn das erste Mal gesehen hat. Darauf lässt sich aufbauen, du darfst nur nicht so schnell aufgeben. Vielleicht solltest du ihr von ihrem Vater erzählen.“

„Es ist nicht so, dass ich nicht auch schon darüber nachgedacht hätte, aber ich bin nicht sicher, ob ich das Recht habe, mich da einzumischen.“

„Du hängst doch eh schon mittendrin.“

„Schon, aber ich bin es leid, mir Hoffnung zu machen“, sagte Henri.

Wie versprochen holte Pierre Dubois Zoe zum verabredeten Zeitpunkt ab. Sie hatte an der Vordertür auf ihn gewartet, obwohl es ihr egal war, wenn Henri sie zusammen sah. Zumindest redete sie sich das ein.

„Wie bezaubernd Sie heute wieder aussehen.“ Pierre begrüßte sie mit Wangenküsschen und hakte sie wie beim letzten Mal unter. Sein Aftershave roch etwas aufdringlich.

Für einen kurzen Moment verspürte Zoe den Wunsch, den Abend lieber wieder mit Henri zu verbringen, doch sie verdrängte ihn.

„Hatten Sie einen schönen Tag?“

„Oh ja, den hatte ich.“

Trotz Henris Reaktion war Zoe nach Saint-Tropez gefahren und durch die edlen Boutiquen gebummelt. Ihr Chef hatte ihr gesagt, sie solle Fotos machen und sich Möbel reservieren lassen, falls sie etwas Ausgefallenes finden würde. Und tatsächlich war ihr das eine oder andere schöne Stück ins Auge gefallen. Nur schade, dass diese nicht ins Gepäck passten, denn sie hätte auch gern etwas für sich gekauft. So hatte sie sich mit einem Bilderrahmen im Vintage-Stil begnügen müssen.

Außerdem hatte sie noch ein tolles gelbes Kleid gefunden. Nachdem sie heute Morgen geduscht und noch einmal einen Blick in ihren Koffer geworfen hatte, war ihr aufgefallen, dass sie tatsächlich fast nur schwarze und weiße Sachen dabeihatte. Im Höchstfall auch mal creme- oder champagnerfarben, aber bunte Kleider oder Oberteile besaß sie so gut wie gar nicht. Sie wusste selbst nicht, warum das so war. Sicher hatte sie es mit ihren rotblonden Haaren nicht so leicht wie andere Frauen, aber ganz auf Farbe musste sie deshalb ja auch nicht verzichten.

„Was haben Sie gemacht?“, fragte Pierre nach. „Waren Sie am Strand? Der Plage de Pampelonne ist wirklich schön.“

„Nein, dafür hatte ich leider noch keine Zeit. Ich war in Saint-Tropez, ein bisschen bummeln.“ Außerdem hatte sie gar nicht daran gedacht, einen Bikini einzupacken. Vielleicht sollte sie sich noch einen kaufen, damit sie auch den Pool auf dem Weingut ausprobieren konnte. „Ich habe gar nichts zum Schwimmen dabei.“

„In den nahe gelegenen Ortschaften gibt es ebenfalls Geschäfte, meine Liebe. Vielleicht nicht so viele wie in Saint-Tropez, aber Sie werden auf jeden Fall fündig werden.“

„Dann weiß ich ja, was ich morgen mache“, sagte Zoe. Immerhin hatte sie Urlaub.

„Wie lange werden Sie bleiben, Mademoiselle?“, wollte Pierre wissen.

Zoe zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht so genau, aber nicht sehr lange. Eigentlich bin ich nur hier, um die Erbschaft zu regeln.“

Pierre nickte, seine braunen Augen schienen auf einmal zu leuchten. „Ja, schlimme Sache, das mit Ihrem Vater. Ich habe Jacques sehr geschätzt. Er hat ausgezeichneten Wein produziert, fast so gut wie meiner.“ Er lachte.

„Ich bin schon sehr gespannt auf Ihren Wein“, sagte Zoe, die sich auf einmal nicht mehr so sicher war, ob der Besuch bei Pierre Dubois eine gute Idee war. Doch dann straffte sie die Schultern. Sie hatte ihre Meinung nicht geändert, also brauchte sie einen Käufer. Wer ihren Anteil bekam, war ihr letztlich egal.

Pierre führte sie auf einen Kiesweg, der inmitten eines prächtigen Gartens lag, zu seinem Weingut. Das Château sah ähnlich aus wie La Cerise, war jedoch weiß anstatt gelb gestrichen und schien erst vor Kurzem frisch renoviert worden zu sein. Sie umrundeten das Haus, um zu den Reben zu gelangen. Auch hier waren die Erntehelfer noch vollauf damit beschäftigt, die Trauben zu lesen. Der Ausblick war allerdings nur halb so schön wie auf La Cerise, wie Zoe sofort feststellte. Der Golf von Saint-Tropez war von diesem Fleckchen aus nicht zu sehen, nur die Wälder.

„Sehr hübsch“, sagte sie trotzdem.

„Haben Sie Hunger?“, fragte Pierre. „Es gibt Fisch in Zitronensoße. Vielleicht möchten Sie ja etwas essen, bevor wir den Wein verkosten.“

Zoe nickte, das war sicher keine schlechte Idee. In Saint-Tropez hatte sie nur einen Crêpe mit Zimt und Zucker zu sich genommen, weil sie in der Mittagshitze nicht viel Hunger gehabt hatte. Da sie nicht so viel Alkohol vertrug, war es sicher besser, vorher noch etwas zu essen. „Wenn es keine Umstände macht.“

Pierre winkte ab. „Mais non, überhaupt nicht. Ich werde gleich auf der Terrasse eindecken. Setzen Sie sich doch schon einmal und genießen Sie den herrlichen Ausblick. Ich bin gleich wieder da.“

Zoe setzte sich auf einen der Stühle an den ovalen Tisch auf der Terrasse. Geschirr und Besteck für zwei Personen lagen bereits bereit. Es schien nur noch das Essen zu fehlen. Trotzdem dauerte es eine ganze Weile, bis Pierre Dubois wieder zurückkam. Ob er den Fisch erst noch zubereiten musste? Sie ertappte sich dabei, wie ihre Gedanken zu Henri schweiften. Gestern Abend war es wirklich sehr schön mit ihm gewesen, obwohl sie versucht hatte, sich aufs Geschäftliche zu konzentrieren. Er war überaus nett und zuvorkommend gewesen.

Umso mehr verwirrte sie, wie er heute Morgen reagiert hatte. War er wirklich enttäuscht gewesen, weil er gedacht hatte, sie würde tatsächlich bei der Ernte helfen? Das war doch absurd. Sie war immerhin die Erbin und nicht hier, um Trauben zu pflücken.

Voilà, das Essen ist fertig.“ Pierre trat zu ihr und stellte einen Teller mit Fisch und eine Sauciere auf den Tisch.

Neben ihm tauchte eine hübsche Brünette mit grünen Augen auf. Sie hatte eine Schüssel mit dampfenden Kartoffeln sowie eine Schüssel Salat in den Händen. „Bonsoir“, sagte sie freundlich lächelnd.

„Darf ich vorstellen? Das ist meine Frau Claudine. Claudine, das ist Zoe Lambert, die Tochter von Jacques.“

Pierres Frau? Zoe war überrascht, versuchte jedoch, sich nichts anmerken zu lassen. Sie stand auf und gab der Frau die Hand. „Bonsoir. Schön, Sie kennenzulernen.“

„Mein herzliches Beileid. Es ist wirklich schrecklich, wie alles geendet hat.“ Es klang aufrichtig.

Zoe bedankte sich und schluckte den fahlen Geschmack in ihrem Mund hinunter. Sie hatte keine Ahnung, wie alles geendet hatte. Sie wusste nur, dass Jacques sehr krank gewesen war.

Als Claudine noch ein weiteres Gedeck holte, nutzte sie die Gelegenheit und sprach Pierre an. „Ich hoffe, ich störe nicht“, sagte sie mit Blick auf die zwei Gedecke.

Mais non, dann hätte ich Sie nicht eingeladen, ma chère“, antwortete er und legte kurz seine Hand auf ihre.

Zoe war noch verwirrter. Er flirtete ganz offensichtlich mit ihr. Wollte er seinen Charme spielen lassen, damit sie ihren Anteil an ihn verkaufte? Flirtete er einfach nur gern? Oder nahm er es nicht so ernst, dass er verheiratet war?

Das Essen schmeckte ausgezeichnet, und Claudine war eine fröhliche Frau, mit der sich Zoe anregend unterhielt. Sie redeten über alles Mögliche, Zoes Erbe sprach jedoch keiner der Dubois’ an. Später bestand Claudine darauf, den Tisch allein abzuräumen.

„Aber ich helfe Ihnen sehr gern“, bot Zoe an.

Pierre unterbrach sie. „Das kommt überhaupt nicht infrage, Sie sind unser Gast. Außerdem möchte ich Ihnen jetzt den Weinkeller zeigen.“

Unter den Augen seiner Frau hakte er sie erneut unter und brachte sie zum Weinkeller. Hier war alles eine Nummer größer und moderner als auf La Cerise, aber auch eine Spur unpersönlicher. Pierre erklärte ihr die Weinherstellung bis ins kleinste Detail, sodass Zoe irgendwann der Kopf brummte. Glücklicherweise hatte Pierre Erbarmen mit ihr, als sie ihm das sagte. Sie setzten sich neben einem großen Weinfass an einen kleinen Tisch. Dort standen einige Gläser bereit, außerdem ein Brett mit Käse und Weintrauben.

„Ja, ja“, meinte Pierre, nachdem er Platz genommen hatte. „Das Weingeschäft ist keine leichte Sache. Man braucht jahrelange Erfahrung, um einen erstklassigen Wein hinzukriegen, und wenn das Wetter nicht mitspielt, ist auch der erfahrenste Winzer machtlos. Aber jetzt lassen Sie uns den Wein probieren.“

Er holte einen Korb mit mindestens fünf verschiedenen Weinflaschen unter dem Tisch hervor und zog die erste heraus.

„Oje, so viel Wein“, sagte Zoe. „Muss ich jeden einzelnen kosten?“

Pierre lächelte sie an, während er die erste Flasche Roséwein öffnete. „Sie dürfen. Aber keine Sorge, Sie müssen den Wein ja nicht jedes Mal austrinken. Et voilà.“

Mit einem Plopp löste sich der Korken aus der Flasche. Pierre schenkte Zoe und sich ein, dann stießen sie an.

A votre santé, Zoe.“

„Cheers!“, erwiderte sie und nahm einen Schluck. „Mmh, der ist wirklich gut.“ Sie nahm einen weiteren Schluck. „So süß und trotzdem sauer.“

„Danke, das freut mich. Bei dem Wein handelt es sich auch um eine echte Rarität. Eiswein, den gibt es nur ganz selten. Normalerweise haben wir hier in der Provence nicht die richtigen Bedingungen, um Eiswein zu produzieren. Eine Flasche kostet über zweihundert Euro.“

Zoe verschluckte sich fast. „Über zweihundert Euro?“

Pierre nickte stolz. „Dieses Weingut hier ist schon seit Generationen im Besitz der Familie meiner Frau, und nur ein einziges Mal haben die Wetterbedingungen mitgespielt, um Eiswein zu machen. Jetzt verstehen Sie vielleicht, warum der Wein so teuer ist.“

„Der ganze Weinbau scheint eine Wissenschaft für sich zu sein“, bemerkte Zoe.

„Das ist er“, antwortete Pierre und öffnete eine weitere Flasche. „Der Weinbau ist ein hartes Brot. Sie müssen bei Wind und Wetter raus.“

„Aber im Winter gibt es doch sicher nicht viel zu tun, oder?“

Pierre lachte. „Das denken Sie, aber es gibt immer was zu tun. Die Reben müssen zurückgeschnitten und vor Frost geschützt werden, der Wein will produziert werden, und schließlich muss das Ganze auch noch vermarktet werden. Ohne Käufer kein Winzer. Hier, probieren Sie.“

Er schob ihr ein weiteres Glas zu, und Zoe ergab sich in ihr Schicksal. In den nächsten eineinhalb Stunden kostete sie jede Menge Weine, und weil die meisten nicht billig waren, wollte sie zumindest das, was Pierre ihr eingoss, austrinken. Schon bald spürte sie, wie ihr der Alkohol zu Kopf stieg.

„Danke, Pierre, Sie stellen wirklich wunderbaren Wein her, aber nun muss ich leider passen“, sagte sie schließlich. „Wissen Sie, ich vertrage nicht allzu viel.“

Pierre schob ihr besorgt die Käseplatte herüber. „Oh, das tut mir leid. Essen Sie etwas, dann geht es Ihnen sicher gleich besser.“ Er sah dabei zu, wie sie von dem Käse probierte. „Sagen Sie, Zoe, darf ich Sie etwas fragen?“

„Natürlich dürfen Sie.“

Er strich sich verlegen übers Kinn. „Der Notar François Clement ist ein Freund von mir. Ich weiß, dass er Ihnen erzählt hat, dass ich Interesse am Château La Cerise habe. Ich hätte Ihnen das gern selbst gesagt, damit Sie keinen falschen Eindruck bekommen, aber so ist es nun mal.“

„Machen Sie sich keine Sorgen“, winkte Zoe ab. „Ich hatte ohnehin vor, Sie aufzusuchen. Wenn Sie mit Monsieur Clement gesprochen haben, dann wissen Sie ja sicher auch, dass ich vorhabe zu verkaufen.“

Pierre nickte. „Ja, das ist mir zu Ohren gekommen. Würden Sie mich denn in Betracht ziehen? Ich weiß ja nicht, was Henri Marchand Ihnen erzählt hat, aber …“

„Keine Sorge“, sagte Zoe erneut. „Ich bilde mir gern meine eigene Meinung. Fakt ist, dass ich einen Job in London habe, den ich liebe. So schön es hier in der Provence auch ist, so wenig passt das alles hier zu meinem Leben. Und ich möchte mich nur ungern mit etwas belasten, von dem ich keine Ahnung habe.“

„Das halte ich für sehr vernünftig. Sie sehen ja, was man alles beachten muss.“ Er räusperte sich. „Verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte nichts gegen Marchand sagen, aber er ist relativ neu im Geschäft. Jacques hat ihm vieles beigebracht, da bin ich sicher, aber drei Jahre reichen nicht, um aus einem Neuling einen erstklassigen Winzer zu machen.“

Zoe nickte gedankenverloren. „Ja, ich weiß. Auch wenn er wirklich mit dem Herzen bei der Sache ist. Er liebt seine Arbeit, und ich denke, das kann schon viel ausmachen.“ Sie seufzte. „Pierre, darf ich ehrlich sein? Ich will verkaufen, aber ich bin nicht sicher, ob es wirklich das Richtige ist.“

Ma chère, das kann ich verstehen.“ Er griff nach ihrer Hand. „Das ist sicher keine leichte Entscheidung. Immerhin hat das Château Ihrem Vater gehört, deshalb ist es auch ein Teil von Ihnen. Aber Sie sollten sich bewusst machen, dass so ein Weingut jede Menge Arbeit fordert. Dennoch, Sie müssen tun, was Sie für richtig halten.“

„Ich weiß nicht, was richtig ist. Als ich herkam, dachte ich, ich wüsste es. Aber jetzt?“

„Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen, Zoe?“ Er holte einen Bogen Papier sowie einen Füllfederhalter aus der Innentasche seines Jacketts. „Vielleicht wären Sie ja damit einverstanden, mir das Vorkaufsrecht zuzusichern. Das hätte auch Vorteile für Sie. Sie können sich in aller Ruhe überlegen, was Sie machen wollen, haben aber für den Ernstfall einen Käufer an der Hand, ohne noch mal herfliegen zu müssen. Mit ein wenig Abstand lässt sich die Entscheidung vielleicht einfacher treffen, denken Sie nicht?“

Zoe überlegte, so dumm klang das gar nicht.

„Sie wissen nun, dass ich auf gute Qualität bei Weinen achte“, fuhr Pierre fort. „Sie bräuchten sich also keine Sorgen um den Namen Ihres Vaters zu machen.“ Er legte eine Hand auf sein Herz. „Ich verspreche Ihnen, dass ich für das Weingut Ihres Vaters nur das Beste will. Falls Sie daran zweifeln …“

„Das tue ich nicht“, unterbrach sie ihn und griff nach dem Füller. „Ich denke, das ist die vernünftigste Entscheidung, und ich kann es mir ja immer noch überlegen, nicht wahr?“

„Auf jeden Fall“, sagte Pierre. „Wenn Sie das Erbe behalten wollen, werde ich Ihnen nicht im Weg stehen. Ganz im Gegenteil, ich würde mich freuen, Sie als meine Nachbarin hier in Gassin begrüßen zu dürfen.“

Zoe lächelte ihn an, dann setzte sie ihren Namen schwungvoll unter das Dokument. Vielleicht hätte sie es sich zuvor durchlesen sollen, aber ihr war ein wenig schwindelig, und die Buchstaben begannen, vor ihren Augen zu tanzen. Außerdem hatte sie Vertrauen. Pierre würde sie schon nicht übervorteilen.

5. KAPITEL

Am nächsten Morgen fühlte sich Zoes Kopf an, als würde ihn jemand mit einem Presslufthammer bearbeiten. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es mal wieder erst sieben war. Insgeheim wünschte sie sich, sie könnte wenigstens in ihrem Urlaub mal länger schlafen. Vorsichtig setzte sie sich auf und dachte über den gestrigen Abend nach. Alles, was sie noch wusste, war, dass der Wein gut gewesen war. Und dass sie definitiv zu viel davon gehabt hatte. Hoffentlich hatte sie sich Pierre Dubois gegenüber nicht irgendwie falsch verhalten.

Aufgeregte Stimmen drangen durchs offene Fenster zu ihr herüber. Sie stand auf, schob die Vorhänge beiseite und wollte neugierig zu den Weinreben spähen, als sie die dunklen Wolken am Horizont bemerkte. Von Pierre wusste sie, was das bedeutete: Die Trauben mussten so schnell wie möglich geerntet werden. Sollte es zu einem Sturm oder gar zu Hagel kommen, wäre ein Großteil der Ernte verloren.

Ohne nachzudenken, streifte sich Zoe ihre Jeans-Shorts und ihr ältestes T-Shirt über. Sie hielt sich nicht mit Duschen oder Frühstücken auf, sondern lief direkt hinaus zu den Männern. Zum Glück hatte sie daran gedacht, auch ein paar Sneakers einzupacken, aber notfalls wäre sie auch barfuß gegangen.

Trotz der Wolken am Himmel war die Sonne stechend, und der Wind brachte nur wenig Erleichterung. Es würde an ein Wunder grenzen, wenn es heute nicht noch gewittern würde.

Zwischen den Reben herrschte geschäftiges Treiben wie in einem Bienenstock. Im Akkord pflückten die Männer die Trauben. Zoe sah sich nach einem leeren Korb oder Eimer um, als Henri sie entdeckte. Er eilte auf sie zu.

„Hören Sie, Zoe, ich habe heute leider keine Zeit, um Ihnen irgendwas zu zeigen oder zu erklären. Sehen Sie die dunklen Wolken dahinten?“ Er zeigte mit der rechten Hand in die entsprechende Richtung. „Wenn es …“

Zoe nahm es nicht persönlich und unterbrach ihn einfach. „Haben Sie einen Korb für mich, in dem ich die Trauben sammeln kann?“

Henri konnte seine Überraschung nicht verbergen. Er musterte sie einen Moment, dann ließ er sie ohne ein weiteres Wort einfach stehen. Zoe war verwirrt. Was war denn jetzt passiert? Doch noch ehe sie sich einen Reim auf sein Verhalten machen konnte, tauchte er plötzlich hinter ihr wieder auf. Er reichte ihr einen Korb, der nur halb so groß war wie der, den er selbst auf dem Rücken trug. Außerdem gab er ihr eine Schere und seinen Strohhut.

„Hier, den sollten Sie tragen, wenn Sie sich keinen Sonnenstich holen wollen.“

Zoe nickte und setzte sich den Strohhut auf. Henri half ihr dabei, den Korb umzuschnallen. „Muss ich irgendwas beachten?“, fragte sie, während sie ihm in die Reben folgte.

Henri schüttelte den Kopf. „Nein, die schlechten Trauben sortieren wir später aus. Jetzt geht es erst einmal darum, so viele wie möglich vor dem Unwetter zu retten. Pflücken Sie sie einfach ab. So, sehen Sie?“ Er machte es ihr einmal vor. „Den vollen Korb leeren Sie direkt im Weinkeller aus. Da steht ein großer Zuber.“

„Alles klar.“ Zoe machte sich sofort an die Arbeit. Luc lächelte ihr zu, als er mit seinem vollen Korb an ihr vorbeieilte, und sie bekam auch noch kurz mit, wie die anderen Männer sie verstohlen musterten. Dann konzentrierte sie sich voll und ganz auf die Weinlese.

Die Männer und Zoe arbeiteten fast ohne Pause. Um die Mittagszeit trafen einige Frauen und Kinder der Erntehelfer ein, um ebenfalls bei der Lese zu helfen. Eine der Frauen hatte Baguettes mitgebracht, die mit Brie, Salat und Tomaten belegt waren, und verteilte sie an die Arbeiter. Zoe aß ihr Baguette wie die anderen im Stehen. In regelmäßigen Abständen brachte Henri ihr gekühlte Wasserflaschen aus dem Weinkeller mit.

„Hier, trinken Sie“, sagte er dann nur und machte sich wieder an die Arbeit.

Die Sonne wurde mit jeder Stunde stechender, obwohl die Wolken immer näher kamen. Zoe war völlig durchgeschwitzt und wünschte sich fast sehnsüchtig den Regen herbei, den sie in London so sehr verabscheute. Mehr als einmal wollte sie Henri seinen Strohhut zurückgeben, doch er bestand darauf, dass sie ihn behielt. Kurz darauf bemerkte sie, dass er ein Werbe-Cappy der örtlichen Bank trug. Er lächelte ihr zu, als er ihren Blick auffing.

Am frühen Nachmittag legte sich der Wind ganz kurz, bevor er auf einmal noch heftiger blies und die ersten dicken Regentropfen vom Himmel prasselten. Die Männer arbeiteten weiter und ließen sich auch nicht aufhalten, als das erste Donnergrollen zu hören war. Unbehaglich blickte Zoe gen Himmel. Es würde nicht mehr lange dauern, bis das Unwetter direkt über ihnen war. Dennoch trotzte sie dem Wetter.

„Komm, wir müssen uns in Sicherheit bringen“, hörte sie irgendwann Henri hinter sich sagen.

Autor

Barbara Wallace

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