Romana Extra Band 65

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UNTER DEN STERNEN VON NEW YORK von FAYE, JENNIFER
Wer ist diese umwerfende Frau, die mitten in der Nacht in seiner Küche steht? Er sollte sie umgehend vor die Tür setzen, denn Millionär Lucas Carrington will nur eines - allein sein. Doch die bezaubernde Kate weckt ein vergessenes Verlangen in ihm …

VERLIEBT IN DEN ITALIENISCHEN PLAYBOY von ROBERTS, PENNY
Er ist ein Playboy und ein gemeiner Betrüger! Laura will unbedingt beweisen, dass der Millionär Valentino di Felci das Tiramisurezept ihres Vaters gestohlen hat. Deshalb ist sie nach Florenz gekommen - und bestimmt nicht, um sich in Valentino zu verlieben …

HEIßE NÄCHTE IN MAROKKO von BROOKS, HELEN
Zwei Jahre ist es her, und keine Nacht ist seitdem vergangen, in der Marianne nicht von Hudsons heißen Küssen geträumt hat. Jetzt sehen sie sich wieder: ausgerechnet in Tanger. Hudson drängt nicht auf eine Erklärung, warum Marianne ihr Versprechen brach. Stattdessen verführt er sie…

NUR DIE BERGE SAHEN ZU von COLTER, CARA
Wen er liebt, den verliert er! Deshalb lebt Milliardär Kiernan McAllister zurückgezogen in seinem Haus in den Bergen Kanadas. Dann weht ein Schneesturm die bezaubernde Stacy direkt in seine Arme - und sein Vorsatz, sich niemals zu verlieben, wird auf eine harte Probe gestellt …


  • Erscheinungstag 20.02.2018
  • Bandnummer 0065
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744342
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jennifer Faye, Penny Roberts, Helen Brooks, Cara Colter

ROMANA EXTRA BAND 65

JENNIFER FAYE

Unter den Sternen von New York

Ausgerechnet an Milliardär Lucas Carrington verliert Kate ihr Herz. Er hat versprochen, ihrer kranken Tochter zu helfen. Aber kann sie ihm wirklich vertrauen – dem begehrtesten Junggesellen New Yorks?

PENNY ROBERTS

Verliebt in den italienischen Playboy

„Was machen Sie in meinem Büro?“ Als Millionär Valentino di Felci sie an seinem Schreibtisch entdeckt, will er Laura auf der Stelle hinauswerfen. Doch dann bemerkt er, wie atemberaubend schön sie ist …

HELEN BROOKS

Heiße Nächte in Marokko

Schweren Herzens verlässt Marianne die Liebe ihres Lebens, den erfolgreichen Hudson de Sance. Sie ist überzeugt, dass ihr Glück seinen Ruin bedeutet. Doch im heißen Tanger werden sie sich wiedersehen …

CARA COLTER

Nur die Berge sahen zu

Sie wollte ihn nur interviewen, doch ein Schneesturm zwingt Stacy, im einsamen Haus von Milliardär Kiernan McAllister zu übernachten. Schnell merkt sie: Dieser Mann ist für sie viel mehr als nur eine Story …

1. KAPITEL

Lauter Donner ließ das Haus erzittern. Kate Whitley presste die Hand auf die Brust, denn ihr Herz raste. Schon als kleines Kind hatte sie Gewitter gehasst. Im nächsten Moment erhellte ein greller Blitz die Diele, während der Regen ans Fenster prasselte.

Mutter Natur hatte wirklich einen verqueren Sinn für Humor. Momentan schien es Kate, als würde das Leben in seiner Ganzheit sie verspotten. Nichts lief nach Plan, sosehr sie sich auch bemühte, alles ins Lot zu bringen.

Durch die Schwingtür betrat sie die Küche, in der die Deckenlampe brannte. Sie hätte schwören können, dass sie alle Lichter ausgeschaltet hatte, bevor sie nach oben gegangen war. Seufzend schüttelte sie den Kopf. Anscheinend forderten die langen, schlaflosen Nächte allmählich ihren Tribut – und das ausgerechnet jetzt. In wenigen Stunden musste sie hellwach sein, um lebenswichtige Entscheidungen zu treffen.

Dass sie nicht zu Hause war, sondern in einem Stadthaus in New York, beruhigte ihre Nerven auch nicht gerade. Trotz seiner atemberaubenden Architektur und seiner Größe mangelte es ihm an der Gemütlichkeit ihres rustikalen Drei-Zimmer-Hauses in Pennsylvania. In einer Großstadt, in der sie kaum jemanden kannte, hatten sie und dieses Haus viel gemeinsam, denn sie waren beide einsam und vergessen. Manchmal erschien es ihr wie Schicksal, dass sie hier gelandet war. Sie hatte nie ein behagliches, liebevolles Zuhause gehabt, und gerade als sie geglaubt hatte, sie hätte sich endlich selbst eins geschaffen, drohte man, es ihr auch wegzunehmen.

Eine tiefe Traurigkeit erfüllte sie, als Kate barfuß über den Fliesenboden ging und die Kälte von ihrem ganzen Körper Besitz ergriff. Auch wenn es schon einige warme Frühlingstage gab, waren die Nächte noch kühl. Vielleicht hätte sie etwas Wärmeres anziehen sollen als ein langes T-Shirt, doch da sie aus dem Koffer lebte, hatte sie keine große Auswahl.

Gähnend öffnete sie die Tür des Edelstahlkühlschranks. Erst jetzt verspürte sie etwas Appetit, denn wegen des bevorstehenden Termins hatte sie fast den ganzen Tag an Spannungskopfschmerzen gelitten. Im Kühlschrank befanden sich allerdings nur die wenigen Lebensmittel, die sie vorher hineingetan hatte. Die Freundin, die sie hier umsonst wohnen ließ, hatte gesagt, der Besitzer wäre nicht in New York und würde vorerst auch nicht zurückkehren. Das ganze Haus wirkte, als wäre es schon länger unbewohnt.

Einen Apfel in der Hand, füllte Kate ein Glas mit Leitungswasser. Plötzlich hörte sie leise Schritte. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Entweder gab es hier Ratten … oder sie war nicht allein.

„Bleiben Sie stehen!“, rief in diesem Moment eine Männerstimme.

Die Kehle schnürte sich ihr zu. Wer war dieser Mann? Und was hatte er mit ihr vor?

Kate rang nach Luft. Ihre Hand zitterte so stark, dass sie etwas Wasser verschüttete. Warum hatte sie nur derart übereilt beschlossen, allein in diesem verlassenen Haus zu wohnen? Was wusste sie schließlich schon über ihre neue Freundin? Sie hatten sich erst vor einer Woche kennengelernt. Die ältere Frau hatte so nett und verständnisvoll gewirkt.

Kate fragte sich, ob die Nachbarn sie hören würden, wenn sie schrie. Wahrscheinlich nicht.

„Dieses Haus hat eine Alarmanlage“, sagte sie betont ruhig. „Die Polizei müsste gleich eintreffen. Ich habe Ihr Gesicht nicht gesehen. Sie können durch den Hintereingang verschwinden, und ich werde es niemandem erzählen.“

„Wohl kaum. Drehen Sie sich um.“

Um diesem Fremden nicht zu zeigen, wie viel Angst er ihr machte, stellte sie das Glas auf den Tresen und atmete tief durch. Sie schaffte es allerdings beim besten Willen nicht, sich umzuwenden. Kate biss sich auf die Lippe und zwang sich, ruhig zu bleiben.

Passierte das hier wirklich? Was hatte sie nur getan, dass das Schicksal sich derart gegen sie verschworen hatte? Nur mit Mühe schaffte sie es, ein hysterisches Lachen zu unterdrücken. Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen und drehte sich um. Angestrengt versuchte sie, etwas zu erkennen, denn zu allem Überfluss erlosch in diesem Moment das Licht, sodass sie nur die Silhouette des Mannes ausmachen konnte.

Als würde man ihre Gebete erhören, war der Strom dann plötzlich wieder da. Sobald ihre Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, fiel ihr Blick auf eine nackte Männerbrust. Erschrocken ließ Kate ihn tiefer schweifen – und stellte fest, dass der Fremde nur dunkelblaue Boxershorts trug.

Diese Nacht wurde immer seltsamer.

Kate konnte der Versuchung nicht widerstehen, einen zweiten Blick auf den verführerischen Eindringling zu werfen. Muskeln wie diese und einen solchen Waschbrettbauch hatte sie bisher nur in Hochglanzmagazinen gesehen. Der Typ musste in ihrem Alter oder etwas älter sein und maß gut einen Meter fünfundachtzig.

Als sie ihn ansah, funkelten seine blaugrauen Augen kalt. Offenbar war er genauso wenig erfreut.

„Was machen Sie hier?“, fragte er mit einem autoritären Unterton.

„Und ich hätte gern gewusst, wieso Sie in meiner Küche stehen.“

Er runzelte die Stirn. „Ist das Ihr Haus?“

Kate nickte nur, woraufhin er ungläubig die Brauen hochzog. Als sie die Hände in die Hüften stemmte, wurde ihr bewusst, dass nicht nur er leicht bekleidet war. Schnell zog sie ihr T-Shirt hinunter. Am liebsten wäre sie geflohen, um sich mehr anzuziehen, doch dann hätte sie an ihm vorbeilaufen müssen.

Kate sah wieder zur Tür. Früher oder später würde sie etwas tun müssen. Sie hätte gern geglaubt, dass es irgendeine verrückte Erklärung für seine Anwesenheit gab. Sie betrachtete ihn wieder, sein welliges dunkelblondes Haar, das zerzaust war, als wäre er gerade aufgewacht.

„Keine Panik, ich habe nicht die Absicht, Ihnen etwas zu tun.“ Seine tiefe Stimme klang sehr sexy. „Ich möchte nur ein paar Antworten.“

Energisch hob Kate das Kinn. „Damit wären wir schon zwei.“

„Ich schätze, Sie sollten es mir zuerst erklären.“ Erwartungsvoll blickte er sie an.

Trotzig verschränkte sie die Arme. Sie hatte das Recht, hier zu sein. Doch dann kam ihr ein unheilvoller Gedanke. Hatte Connie diesem Mann vielleicht ein ähnliches Angebot gemacht? Doch hätte sie in dem Fall nicht wissen müssen, dass eine peinliche Situation entstehen könnte?

Während Kate den Fremden argwöhnisch ansah, bemerkte sie etwas Vertrautes an ihm. Sie kam nicht darauf, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte, vielleicht weil sie so müde war, dass nur ihr erhöhter Adrenalinspiegel sie momentan auf den Beinen hielt. Sie brauchte unbedingt Schlaf. Wie aber sollte sie diesen Mann dazu bekommen, sich etwas anzuziehen und zu gehen?

„Keine Verzögerungstaktiken mehr.“ Lucas Carrington war mit seiner Geduld am Ende. „Wer sind Sie? Und was machen Sie hier?“

Die Fremde verzog die vollen Lippen und kniff die Augen zusammen. „Mein Name ist Kate Whitley, und ich habe das Recht, hier zu sein …“

„Bestimmt nicht. Wahrscheinlich sind Sie obdachlos und sind hier eingebrochen, um Zuflucht vor dem Gewitter zu suchen.“

Die Frau namens Kate hob das Kinn und blickte ihn aus ihren braunen Augen empört an. „Ich bin nicht obdachlos. Ich bin Innenarchitektin, und zwar eine verdammt gute.“

Tatsächlich wirkte sie wie das nette Mädchen von nebenan, doch er wusste nur zu gut, dass der äußere Eindruck manchmal täuschte. „Wollen Sie mir sagen, dass Sie hier eingebrochen sind, weil Sie den überwältigenden Wunsch verspürten, das Haus zu renovieren?“

Sie straffte die schmalen Schultern, wobei das fadenscheinige T-Shirt mit dem Comicaufdruck über ihren festen Brüsten spannte. Lucas schluckte mühsam. Okay, sein erster Eindruck von ihr war nicht ganz richtig gewesen. Fantastisch. Sexy. Weiblich. Das passte viel eher.

Kate funkelte ihn weiter wütend an, ohne zu merken, dass sie dadurch noch anziehender wirkte. Und wie ein hormongeplagter Teenager konnte er den Blick nicht von ihren verlockenden Kurven abwenden.

„Reden Sie gefälligst nicht so herablassend mit mir“, sagte sie mit einem verzweifelten Unterton.

Lucas zwang sich, ihr in die Augen zu blicken. „Ich rufe die Polizei.“ Dabei lag sein Handy nebenan, und der Festnetzanschluss war schon seit einer Ewigkeit abgemeldet.

„Nur zu.“

Ihr selbstsicherer Tonfall überraschte ihn. Glaubte sie, ihre Schönheit würde ihr aus diesem Schlamassel heraushelfen? Oder wollte sie ihn austricksen? Er hatte jedenfalls kein Problem damit, es darauf ankommen zu lassen.

„Sie scheinen sich ziemlich sicher zu sein, dass Sie nicht in Schwierigkeiten geraten …“

„Das werde ich auch nicht.“

Es fiel ihm schwer, sich auf das Gespräch zu konzentrieren, weil seine unerwartete Besucherin nur ein T-Shirt trug, das ihre Kurven und ihre unendlich langen Beine betonte. Erneut zwang er sich, ihr ins Gesicht zu sehen, was ihn allerdings nicht weniger ablenkte. War sie geschminkt? Oder war ihre Haut von Natur aus so glatt und weich?

Noch irritierender als die Faszination, die von ihr ausging, war die Art, wie Kate ihn an die Vergangenheit erinnerte. Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte eine andere schöne Frau an dieser Stelle gestanden. Sie hatte ihm Versprechen gegeben, die sie letztendlich alle gebrochen hatte. Lucas presste die Lippen zusammen. Auf keinen Fall wollte er zulassen, dass die Anwesenheit dieser Fremden Erinnerungen wachrief, die er so krampfhaft zu verdrängen versuchte.

Eine leichte Röte überzog jetzt ihre Wangen, aber Kate erwiderte unverwandt seinen Blick.

Lucas räusperte sich. „Also gut. Warum kommen Sie nicht in Schwierigkeiten?“

„Ich darf hier wohnen. Zumindest vorübergehend. Solange der Eigentümer nicht in der Stadt ist.“ Herausfordernd kniff sie die Augen zusammen. „Und jetzt sind Sie dran. Wer sind Sie?“

„Mein Name ist Lucas.“

„Dann kennen Sie sicher auch Connie.“

Forschend sah er sie an. „Hat sie Sie hier reingelassen?“

Kate nickte. „Connie Carrington.“

„Beschreiben Sie sie.“

„Klein. Brünett. Um die sechzig. Sie ist sehr nett und hilfsbereit und arbeitet ehrenamtlich im East Riverview Hospital.“

„Das ist sie.“

„Offensichtlich hat Connie mir das Haus zuerst angeboten. Und ich glaube nicht, dass es funktioniert, wenn wir es uns teilen.“

Wie konnte diese Frau – diese Fremde – es wagen, ihn aus seinem eigenen Haus zu werfen? Lucas wollte ihr die Meinung sagen, überlegte es sich dann jedoch anders. Offenbar erkannte sie ihn nicht, was ihn wunderte, nachdem man ihn in jenem lächerlichen Zeitschriftenartikel Anfang des Monats als Junggesellen des Jahres bezeichnet hatte. Seitdem war es mit seinem ruhigen Leben vorbei.

Kate stellte eine erfrischende Abwechslung zu den aufdringlichen Reportern und den heiratswütigen Frauen dar. Vielleicht hätte er sich zu einem anderen Zeitpunkt und unter anderen Umständen über ihre Anwesenheit gefreut. Momentan wollte er allerdings nur seine Ruhe haben.

„Diese Unterhaltung wäre weniger peinlich, wenn wir mehr anhätten. Ich bin gleich wieder da.“ Lucas verließ die Küche und fügte im Hinausgehen hinzu: „Gehen Sie nicht weg.“

Im Flur presste er die Lippen zusammen. Er hatte nie Gesellschaft, und so sollte es auch bleiben. Er verbrachte hier so wenig Zeit wie möglich. Als er seine Tante gebeten hatte, im Haus nach dem Rechten zu sehen, hätte er nie damit gerechnet, dass sie eine Pension daraus machte. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?

Vielleicht hatte er nie von Kate erfahren sollen. Schließlich hätte er erst in einer Woche zurückkommen sollen. Doch nach mehreren Verzögerungen waren die Bauarbeiten an der neuen Niederlassung von Carrington Gems in San Francisco zum Stillstand gekommen. Er hatte die Reise aber nicht nur abgekürzt, weil er durch die bürokratischen Hürden Geld verlor. Nein, er wollte jetzt nicht über die katastrophale Situation nachdenken, mit der er vor seinem Rückflug konfrontiert gewesen war.

Lucas fluchte leise und zog die erstbesten Jeans an. Anschließend nahm er seinen Bademantel vom Haken und ein T-Shirt aus dem Schrank und eilte damit in die Küche zurück.

„Hier.“ Er hielt Kate den Bademantel hin. „Ziehen Sie den an.“

Argwöhnisch ließ sie den Blick zu seiner ausgestreckten Hand schweifen. Nun, da er ihr herzförmiges Gesicht näher betrachten konnte, fielen ihm die Schatten unter ihren Augen auf, und sofort verspürte er Mitgefühl. Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte er ähnlich ausgesehen, weil er die schlimmste Zeit seines Lebens durchgemacht hatte. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass Kate Ähnliches durchgestanden hatte.

Er war schon immer stolz auf seine gute Menschenkenntnis gewesen. Diese war bei der Leitung von Carrington Gems von Vorteil, denn er hatte nur zuverlässige Mitarbeiter eingestellt. Also, warum hatte er Kate so falsch eingeschätzt?

War er durch seine Erfahrungen mit seiner Exfrau so abgestumpft, dass er nicht bereit gewesen war, im Zweifelsfall zu Kates Gunsten zu entscheiden? Oder lag es an ihrer Anwesenheit in diesem Haus – einem Ort, mit dem so viele schmerzliche Erinnerungen verbunden waren?

Als Kate den Bademantel entgegennahm, streiften ihre kalten Fingerspitzen seine Hand. Am liebsten hätte Lucas ihre Hände genommen und gerubbelt, doch er widerstand der Versuchung. Während sie den Bademantel anzog, wich er einen Schritt zurück und streifte das T-Shirt über. Jetzt konnten sie sich vernünftig unterhalten.

Kate blickte starr mit gerunzelter Stirn auf seine Jeans. Als er ihrem Blick folgte, entdeckte er das große Loch in der Hose über dem Knie und die weißen Flecken auf beiden Beinen. Eigentlich konnte er diese ausrangieren, aber sie war so bequem. Halt, warum interessierte ihn, was diese Frau von ihm oder seinen Sachen hielt? Schließlich würde er sie nie wiedersehen.

Nun verschränkte Kate die Arme. „Und was sollen wir jetzt tun?“

In jeder anderen Situation hätte er sie jetzt hinauskomplimentiert. Doch der Anblick ihres blassen Gesichts mit den Schatten unter den Augen ließ Lucas schwach werden. Außerdem hatte seine Tante ihr erlaubt, hier zu wohnen. Und da sie wusste, dass es für andere tabu war, musste Kate etwas Besonderes sein. Bevor er mit ihr redete, musste er allerdings etwas klarstellen.

„Ich muss Ihnen etwas sagen. Dies ist mein Haus.“

2. KAPITEL

Argwöhnisch sah Kate den verführerischen Eindringling an. Wenn dieses Haus ihm gehörte, musste er sehr wohlhabend sein. So sah er allerdings nicht aus.

„Warum sollte ich Ihnen glauben?“

Er runzelte die Stirn. „Weil ich Lucas Carrington bin. Connies Neffe.“

Sie betrachtete ihn: seine aristokratische Nase, die durchdringend blickenden blauen Augen und sinnlichen Lippen. Und überlegte. Kein Wunder, dass er ihr so bekannt vorgekommen war. Während der Zeit im Krankenhaus hatte sie eine Zeitschrift nach der anderen durchgeblättert. In irgendeiner hatte sie einen Artikel über die derzeit begehrtesten Junggesellen überflogen.

Darin hatte man Lucas Carrington als Junggesellen des Jahres bezeichnet, und er war bei Weitem der heißeste Kandidat auf der Liste gewesen. Bei der Erinnerung an den Anblick seines Sixpacks wurde ihr Mund ganz trocken. Nur allmählich wurde ihr bewusst, dass dieser überwältigend attraktive Mann aus der auflagenstarken Zeitschrift barfuß vor ihr stand. Das Ganze musste ein verrückter Traum sein.

„Anscheinend kommt Ihnen mein Name bekannt vor.“ Ein selbstgefälliger Ausdruck lag in seinen hinreißenden Augen. „Sicherlich hat meine Tante mich erwähnt.“

Dass er dieses As die ganze Zeit im Ärmel gehabt und sich nicht vorgestellt hatte, ärgerte sie. Sie setzte ihr bestes Pokerface auf. „Nein, Connie sagte nur, der Eigentümer sei für längere Zeit nicht in New York. Außerdem wirkt das Haus so, als wäre es schon seit Jahren nicht mehr bewohnt.“

Ein Muskel zuckte an seiner Wange, als Lucas den Blick abwandte. „Ich benutze nicht alle Räume. Selbst wenn ich in New York bin, halte ich mich hier nicht viel auf.“

„Ach so.“ Was hätte sie sonst auch sagen sollen? Dass es seltsam war, in einer Stadtvilla zu wohnen, in der überall Staub lag und Spinnweben hingen? Schließlich lebte sie aus dem Koffer, und am Ende des Monats wäre sie obdachlos. Bei der Vorstellung krampfte ihr Magen sich zusammen. Doch zurzeit konnte sie nur mit einem Problem fertig werden.

Unbehaglich veränderte Lucas seine Position. „Warum sehen Sie mich so seltsam an?“

„Ich weiß nicht, ob ich Ihnen glauben soll. Ein wohlhabender Mann läuft nicht gerade so rum.“ Kate deutete auf seine abgerissenen Jeans. Er musste ja nicht merken, dass sie wusste, wer er war.

Nun zuckte er die Schultern. „Das sind alte Jeans. Es hat nichts zu sagen.“

„Vielleicht sollte ich die Polizei rufen, damit die Ihre Identität feststellt.“

Wider Erwarten umspielte ein Lächeln seine Lippen. Ihr Herz setzte einen Schlag aus.

„Das habe ich wohl verdient. Warten Sie hier.“ Erneut verließ er die Küche.

Da sie immer noch ein wenig fröstelte, kuschelte sie sich in den Bademantel. Dabei stieg ihr der Duft von Lucas’ Aftershave in die Nase. Unwillkürlich schnupperte sie am Ärmel.

„Ist der Bademantel okay?“, fragte er, als er zurückkam.

„Oh … ja.“ Schnell ließ sie den Arm sinken. „Er ist so schön … weich.“

Kein Mann hatte das Recht, so gut zu duften oder so heiß auszusehen. Nun kam Lucas um die Kochinsel herum auf sie zu.

„Hier.“ Er öffnete eine schwarze Brieftasche. „Das sollte Klarheit schaffen.“

Kate nahm seinen Führerschein heraus und betrachtete das Foto, das einen adretteren Mann in Anzug und Krawatte zeigte. Es handelte sich um Lucas, aber um die elegante Version. In seinem jetzigen lässigen Aufzug gefiel er ihr seltsamerweise genauso, wenn nicht noch mehr.

„Glauben Sie mir jetzt?“, fragte er mit einem selbstgefälligen Unterton.

Demonstrativ hielt sie den Führerschein neben sein Gesicht. „Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit, aber ich bin mir nicht sicher.“

Er riss ihr das Dokument aus der Hand und sah sie starr an. „Natürlich bin ich das! Und das ist meine Adresse … diese Adresse.“

Wenigstens hatte sie ihn ein wenig aus der Fassung gebracht. Plötzlich fielen die Anspannung und der Stress der vergangenen Monate von ihr ab, und sie musste lachen. Es fühlte sich so gut an. So befreiend.

Er zog die Brauen hoch. „Haben Sie sich genug amüsiert?“

Kate riss sich zusammen. Nachdem sie sich die Augen abgetupft hatte, blickte sie zu ihm auf. „Es tut mir leid. Aber Sie ahnen ja nicht, wie sehr ich das gebraucht habe.“

Lucas fragte nicht, warum, und das war ihr nur recht, denn sie wollte ihm nicht ihre traurige Geschichte erzählen. Plötzlich fühlte sie sich jedoch schuldig, weil sie an ihr kleines Mädchen im Krankenhaus denken musste. Unter diesen Umständen hatte sie kein Recht zu lächeln, geschweige denn zu lachen.

Hätten die Krankenschwestern nicht darauf bestanden, dass sie etwas Ruhe brauchte, würde sie jetzt an Mollys Bett sitzen oder den Flur auf und ab gehen.

„Hey, was ist los?“ Lucas kam näher und streckte die Hand aus, als wollte er ihre Schulter berühren, doch dann zögerte er.

Kate unterdrückte die aufsteigenden Emotionen. „Alles in Ordnung. Ich hole nur meine Sachen und lasse Sie dann in Ruhe.“

Er blickte sich um. „Wo sind die denn?“

„Oben.“

„Aber die Räume sind nicht bewohnbar. Ich habe den Reinigungsservice gekündigt, nachdem … Egal.“

„So schmutzig ist es gar nicht.“ Auf seinen schockierten Gesichtsausdruck hin fuhr sie fort: „Der Raum, in dem ich schlafe, ist ziemlich sauber.“

„Welcher Raum?“ Besorgt blickte er sie an.

Plötzlich ertönte wieder lauter Donner, gefolgt von hellen Blitzen. Kate legte die Arme um sich. „Der am Ende des Flurs.“ Sie deutete nach oben.

Lucas ließ die Schultern sinken und seufzte. „Was hat meine Tante sich bloß dabei gedacht, Ihnen das Zimmer zuzuweisen?“

Genau das hatte sie sich auch gefragt, doch sie war zu dem Ergebnis gekommen, dass Connie nur in bester Absicht gehandelt hatte. Und jetzt war es Zeit, nach vorn zu schauen.

Lucas beobachtete, wie Kate sich in den Bademantel kuschelte. Sie erinnerte ihn an einen Welpen, den man ausgesetzt und vergessen hatte. Prompt fiel ihm der streunende Welpe ein, den er als Kind gefunden und mit nach Hause genommen hatte. Alle außer seiner Tante hatten ihn aufgefordert, die schmutzige Töle wegzubringen. Nur seine Tante hatte gemerkt, dass der Welpe geliebt werden sollte. Und vor allem dass er, Lucas, etwas brauchte, das ihn beruhigte, weil sein Leben im Umbruch war.

Doch Kate war eine erwachsene Frau, die auf sich selbst aufpassen konnte. Er hatte genug Probleme und sollte sie ihres Weges schicken.

Lautes Donnern ließ das Haus erzittern. Erschrocken blickte Kate zum Fenster. In einer solchen Nacht sollte man sich nicht im Freien aufhalten. Hätte er nur gewusst, warum seine Tante sie hierher geschickt hatte …

Nun wandte Kate sich ab und betrat die Diele.

„Warten Sie.“ Er fühlte sich unbehaglich, als ihm klar wurde, was er gerade vorhatte.

„Worauf?“ Sie kehrte in die Küche zurück.

Ihm fiel auf, dass sie das kurze dunkelbraune Haar hinter die Ohren gestrichen hatte, als wäre sie zu beschäftigt, um sich Gedanken um ihr Äußeres zu machen. Da er sonst keine Frauen kannte, die ungestylt in der Öffentlichkeit erschienen, faszinierte diese ihn umso mehr, und das war gar nicht gut.

Vor allem fiel ihm auf, dass sie bei jedem Donner zusammenzuckte und ein ängstlicher Ausdruck in ihre Augen trat. Wider besseres Wissen sagte er deshalb: „Sie müssen heute Abend nicht gehen.“

„Oh doch.“

„Seien Sie doch nicht so schwierig.“

Nun funkelte sie ihn an. „Sie sind schwierig. Sie haben mir gerade zu verstehen gegeben, dass ich verschwinden soll.“

Lucas stöhnte innerlich frustriert. „Das war vorhin. Geben Sie mir einen Moment, damit ich mit meiner Tante sprechen kann.“

„Was sollte das ändern? Es sei denn, Sie fürchten immer noch, ich könnte eine Lügnerin und Diebin sein.“

Verzweifelt fuhr er sich durchs Haar. „Warten Sie hier einen Moment, ja? Setzen Sie sich. Sie sehen aus, als würden Sie gleich umfallen.“

Erneut kniff Kate die Augen zusammen. Offenbar hatte er das Falsche gesagt … wieder einmal. Da sie sich nicht von der Stelle rührte, ging er zu ihr und zog ihr einen Stuhl unter dem Tisch hervor.

„Bitte setzen Sie sich. Es dauert nicht lange.“

Er verließ den Raum und ging in das kleine Schlafzimmer, das von der Küche abging und das er benutzte. Sein Mobiltelefon lag auf dem Nachttisch neben dem Doppelbett. Dann drückte er auf die Kurzwahltaste für seine Tante. Nach nur einem Klingeln schaltete sich die Mailbox ein.

„Ruf mich so schnell wie möglich an“, bat er.

Zu dieser späten Stunde war sie sicher nicht mehr im Krankenhaus. Jedenfalls musste er nun seinem Bauchgefühl folgen. Was sollte er jetzt mit Kate machen? Lucas rieb sich das unrasierte Kinn. Egal, in was für einer Situation sie sich befand, es hatte nichts mit ihm zu tun. Am nächsten Tag würde sie sich eine andere Bleibe suchen müssen.

Alles andere als glücklich über seinen Entschluss, kehrte er in die Küche zurück. Kate saß am Tisch, den Kopf in die Hände gestützt, und schreckte auf.

„Hat Connie meine Aussage bestätigt?“

„Sie hat sich leider nicht gemeldet. Was halten Sie davon, wenn wir eine Abmachung treffen?“

Nun gähnte sie. „Und welche?“

„Ich glaube Ihnen, wenn Sie mir auch glauben. Denn wir werden heute Nacht unter einem Dach schlafen.“

„Was? Aber ich könnte nicht …“

„Doch, Sie können. Es gießt in Strömen. Außerdem ist es spät.“

Sie presste die Lippen zusammen, als sie aufstand. „Ich brauche Ihre Almosen nicht.“

„Wieso Almosen? Sie ersparen mir eine Menge Ärger mit meiner Tante, wenn ich Sie nicht vor die Tür setze.“

Kate stemmte die Hände in die Hüften. „Meinen Sie das ernst?“

Sie hatte keine Ahnung, wie viel Überwindung es ihn kostete. Er wollte niemanden in diesem Haus haben, denn es symbolisierte sein Unvermögen, seine Familie zusammenzuhalten. Doch sie hatte etwas an sich, und das ging über ihre Anziehungskraft hinaus. Ihr Blick verriet eine Verletzlichkeit, die nur er sah. Vielleicht weil er auch einmal verletzlich gewesen war.

„Sie scheinen sich nicht sicher zu sein“, fügte sie hinzu.

Normalerweise konnte er seine Gedanken viel besser verbergen. „Das bin ich auch nicht. Lassen Sie uns einfach ins Bett gehen.“ Als sie ihn erschrocken ansah, wurde ihm bewusst, dass sie das auch falsch verstehen konnte. „Allein.“

3. KAPITEL

Als der Alarm ihres Handys sie weckte, war es draußen noch dunkel, und obwohl sie nur wenige Stunden geschlafen hatte, fühlte Kate sich besser. Sie war voller Hoffnung, dass ihre Gebete an diesem Tag erhört werden würden.

Doch als sie unter der Dusche stand, wurde sie wieder von Zweifeln geplagt. Die Prognosen waren nicht gut. Deswegen waren sie hier in New York – um mit einem Arzt zu sprechen, der bereit war, das scheinbar Unmögliche zu tun und den Hirntumor ihrer Tochter zu therapieren. Was aber wäre, wenn …?

Entschlossen verdrängte Kate diesen Gedanken und nahm ein weißes Top und einen roten Rock aus ihrem Koffer. Das Klopfen des leichten Regens ans Fenster erinnerte sie an die Nacht und an ihre Begegnung mit Lucas Carrington, und sie fragte sich, ob er bei Tageslicht genauso attraktiv war. Dann erinnerte sie sich an die Fotos in dem Artikel. Ja, das war er. Das warf wiederum die Frage auf, warum er in einem heruntergekommenen Haus wie diesem lebte, das wie ein Mausoleum anmutete.

Die Handtasche in einer, den Koffer in der anderen Hand, ging Kate die prachtvolle Treppe hinunter und blieb ein letztes Mal stehen. Sie ließ den Blick über die modernen und sichtlich teuren Gemälde schweifen, die an den cremefarbenen Wänden hingen und nicht ganz zu der altertümlichen Pracht des alten Hauses passten. Ihrer Erfahrung nach verfügten neuere Häuser nicht über so viel Charme und Liebe zum Detail, ja, Charakter. Hätte sie Gelegenheit, dieses Haus zu renovieren, würde sie sicher viel über seine Geschichte erfahren.

Resigniert seufzend stellte Kate ihr Gepäck vor der Tür ab, bevor sie durch die Diele in die Küche ging. Warum vernachlässigte Lucas dieses Haus derart? War ihm womöglich nicht klar, was er dadurch anrichtete? Einige Schäden waren offensichtlich, wie zum Beispiel die Tatsache, dass es in ihrem Schlafzimmer hereinregnete. Sie hatte dort einen Papierkorb hingestellt, um das Wasser aufzufangen. Vielleicht sollte sie etwas sagen …

Nein, lass das. Dieses Haus und Lucas gehen dich nichts an.

Vor der Küchentür blieb sie stehen und lauschte. Es war nichts zu hören. Vorsichtig trat sie durch die Schwingtür, um ihn nicht zu wecken, denn sein Schlafzimmer ging von der Küche ab. Wenn sie einen Stift und einen Zettel fand, würde sie ihm eine Nachricht hinterlassen.

„Sie sind ja früh auf.“

Erschrocken zuckte sie zusammen, und es dauerte einen Moment, bis ihr Herzschlag sich normalisiert hatte. Als sie sich umwandte, sah sie Mr. Sexy mit einem Becher Kaffee und der Morgenzeitung am Frühstückstisch in der Ecke sitzen. Ja, er war genauso attraktiv wie in der Nacht. Jetzt würde sie ihn gar nicht mehr aus dem Kopf bekommen.

Sie ging zu einem Barhocker und legte seinen Bademantel darauf. „Ich hatte gar nicht damit gerechnet, dass Sie so früh auf sind.“

„Ich bin ein Morgenmensch.“

Er schaute sie so forschend an, dass sie nervös mit ihrem Schlüsselanhänger und Glücksbringer, einer Gummiente, zu spielen begann. „Warum starren Sie mich so an?“, fragte sie, als sie es nicht mehr aushielt.

„Sie sehen ganz anders aus als in der Nacht.“

„Soll das etwa ein Kompliment sein?“

„Ja. Sehen Sie? Mein Gehirn funktioniert erst nach der ersten Tasse Kaffee richtig.“ Lucas hielt den blauen Becher hoch. „Doch wenn Sie es hören wollen, Sie sehen umwerfend aus.“

Hatte dieser wahnsinnig attraktive Typ gerade gesagt, sie würde umwerfend aussehen? Ihr wurde warm, und das Blut stieg ihr ins Gesicht.

„Oh, danke.“ Unwillkürlich verstärkte sie den Griff um den Schlüsselanhänger. „Ich bin startklar.“

„Was haben Sie da in der Hand?“

Kate folgte seinem Blick. „Nur einen Schlüsselanhänger.“ Als er nickte, fügte sie hinzu: „Haben Sie noch Kaffee?“

„Ich hole Ihnen einen Becher.“

Lucas stand im selben Moment auf, als sie zur Kaffeemaschine gehen wollte, sodass sie beinah zusammengestoßen wären. Kate erstarrte, doch vorher stieg ihr sein betörender Duft in die Nase. Er trug ein hellblaues Shirt, das oben offen stand und dessen Ärmel hochgekrempelt waren. Sein Haar war gekämmt, aber noch feucht vom Duschen. Und er war rasiert. Er sah aus wie ein Mann, der bereit war, die Welt zu erobern.

Sie musste schnell verschwinden, bevor sie sich vollends zum Narren machte. „Eigentlich habe ich gar keine Zeit für Kaffee“, erklärte sie deshalb.

„Warum so eilig? Es ist doch noch früh. Ist etwas?“

„Nein.“ Kate kreuzte die Finger hinter dem Rücken.

Er nickte, doch sein Blick verriet, dass Lucas ihr nicht glaubte. Sie hatte noch nie gut schwindeln können. Deswegen hatte ihr Vater sie früher auch immer durchschaut, wenn sie behauptet hatte, sie hätte ihr Zimmer aufgeräumt.

Ein Gefühl des Verlusts überkam sie. Warum musste sie nach all dieser Zeit an diesen Mann denken? Sie wurde wütend auf sich selbst. Für sie war ihr Vater gestorben. Sie vermisste ihn überhaupt nicht. Dass sie allein in einer neuen Stadt war, setzte ihr vielleicht mehr zu, als sie gedacht hatte. Zu allem Überfluss sah sie im Krankenhaus, wie andere Familien sich gegenseitig unterstützten. Ja, das musste es sein.

Kate unterdrückte die unerwünschten Gefühle und blickte demonstrativ auf die Uhr. „Wenn ich jetzt nicht aufbreche, komme ich zu spät.“

„Aber Sie haben noch nicht gefrühstückt. Ich möchte Sie nicht verschrecken.“

„Das haben Sie auch nicht. Ich muss einiges erledigen.“ Sie ging zur Tür und blieb dort stehen. „Haben Sie inzwischen mit Ihrer Tante gesprochen?“

„Nein. Bestimmt ruft sie bald zurück.“

„Ach so. Danke, dass ich hier schlafen durfte. Im Kühlschrank ist übrigens etwas zu essen. Bedienen Sie sich.“

Dann ging sie durch die Diele zur Haustür. Sie hatte keine Ahnung, wo sie eine günstige Übernachtungsmöglichkeit finden konnte. Und sie hatte nur noch eine Kreditkarte mit einem Guthaben, seit sie ihren Job hatte aufgeben müssen, um mit Molly von einem Spezialisten zum anderen zu reisen. Schnell verdrängte sie diesen beunruhigenden Gedanken, denn es standen momentan wichtigere Dinge an.

„Hey, warten Sie!“

Kate seufzte und drehte sich um. „Sie bestehen jetzt hoffentlich nicht darauf, mein Gepäck zu durchsuchen, oder?“

„Sind Sie morgens immer so kratzbürstig? Oder fehlt Ihnen der Koffeinflash? Sehen Sie, ich lächle.“ Lucas strahlte förmlich.

Kate verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Sie wurde aus diesem Mann einfach nicht schlau. Er wirkte gepflegt, aber abgesehen von der Küche war sein Haus in einem desolaten Zustand. In der Nacht war er sehr schlecht gelaunt gewesen, und heute Morgen lächelte er. Er war durch und durch widersprüchlich.

Nun streckte Lucas ihr die Hand entgegen. „Geben Sie mir den Schlüssel, dann fahre ich Ihren Wagen vor, damit Sie nicht nass werden.“

„Ich habe keinen.“ Sie hatte ihr Auto in Pennsylvania gelassen, weil sie sich nicht zugetraut hatte, damit in New York zu fahren.

„Haben Sie sich ein Taxi gerufen?“

„Ich brauche keins.“ Sie nahm einen roten Regenschirm aus ihrem Koffer. „Ich bin gewappnet.“

„Es gießt immer noch. Der Regenschirm wird nicht viel nützen.“

„Danke, aber ich stehe schon eine ganze Weile auf eigenen Füßen. Ich komme klar.“

Als Kate weiterging, umfasste Lucas sanft ihren Arm. Prompt rieselte ihr ein Schauer über den Rücken. Als sie den Blick zu seiner Hand schweifen ließ, gab er sie sofort frei.

„Es tut mir leid. Ich fahre Sie. Ich hole nur schnell meine Brieftasche und meine Schlüssel.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, eilte er weg.

Sie durfte auf keinen Fall schwach werden. Für Molly musste sie stark sein. Und sie würde wie schon so oft zu Fuß zum Krankenhaus gehen. Trotzdem fühlte sie sich schuldig, als sie leise das Haus verließ. Lucas war wirklich nett zu ihr, und sie fragte sich, ob sie an seiner Stelle auch so verständnisvoll gewesen wäre.

„Wir können los“, rief Lucas, als er aus der Küche kam, in Jacke und die Schlüssel in der Hand.

Noch nie war er einer Frau wie Kate begegnet. Ihre Hartnäckigkeit und der Anflug von Verletzlichkeit sprachen ihn an. Er spürte, dass sie nicht der Typ war, der andere um Hilfe bat und diese nur annahm, wenn man sie ihr aufdrängte. Vielleicht gab er sich deshalb so große Mühe, nett zu ihr zu sein – weil sie anscheinend einen Freund brauchte und nie einen einfordern würde.

Als er die Diele betrat, stellte er jedoch fest, dass Kate gegangen war. Er ging nach draußen und blickte sich nach ihr um. Der Regen wurde stärker, und der Wind frischte auf. Kate war allerdings nirgends zu sehen. Ohne zu überlegen, stieg Lucas in seinen Wagen und fuhr um den Block. Sie konnte nicht weit gekommen sein. Tatsächlich erspähte er bald einen roten Regenschirm. Kate versuchte, ihn festzuhalten, während sie mit der anderen Hand ihren Koffer umklammerte.

Er hielt neben ihr und ließ das Fenster hinunter. „Steigen Sie ein.“

Sie ignorierte ihn jedoch und ging weiter. In diesem Moment riss ihr ein Windstoß den Schirm fast aus der Hand und drehte ihn um.

„Steigen Sie ein, bevor Sie bis auf die Haut durchnässt sind.“

Einen Moment stand sie da, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Dann presste sie energisch die Lippen zusammen und straffte sich. Lucas verließ den Wagen, um ihr den Koffer abzunehmen und im Kofferraum zu verstauen, dann folgte sie seiner Aufforderung.

Danach setzte er sich wieder ans Steuer. „Wohin fahren wir?“

„Zum East Riverview Hospital.“

Ihre Miene verriet nichts. Kate hatte erwähnt, dass sie seine Tante dort kennengelernt hatte, aber keine Einzelheiten erzählt. Besuchte sie einen kranken Verwandten? Oder war sie selbst krank?

Lucas fragte sie allerdings nicht, sondern fädelte sich wieder in den Verkehr ein. Falls er es wissen sollte, würde sie es ihm schon erzählen. Ansonsten ging es ihn nichts an. Es war sicher besser, höflichen Abstand zu wahren.

Kate lehnte sich in den weichen Ledersitz. So ungern sie es zugab, sie war dankbar, dass Lucas sie fuhr, denn sie hatte nasse Füße und fror.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, drehte er die Heizung auf. Schon lange hatte sich niemand mehr um sie gesorgt. Flüchtig fragte Kate sich, wie es wäre, mit dem Junggesellen des Jahres zusammen zu sein. Sicher hatte er bei den Frauen die große Auswahl. Diese Vorstellung beunruhigte sie ein wenig.

Auf keinen Fall durfte sie sich von seinem Charme einwickeln lassen, denn sie hatte einschlägige Erfahrungen mit unzuverlässigen Männern. Warum sollte Lucas anders sein?

„Ich wäre prima allein klargekommen“, erklärte sie deshalb. „Sie mussten mir nicht zu Hilfe eilen.“

„Ich musste sowieso weg.“

„Und zufällig fahren Sie in dieselbe Richtung?“

„So ungefähr.“

Lucas hielt an einer Kreuzung und blickte sie fragend an. Er schien zu überlegen, was eine junge Frau aus einer Kleinstadt im Big Apple machte. Und wie sie sich mit seiner Tante angefreundet hatte. Vor allem aber, warum sie zum Krankenhaus fuhr.

Doch er stellte keine Fragen und drängte sie nicht. Er strahlte eine innere Ruhe und Stärke aus, die sie noch mehr in Versuchung brachte, ihm die Einzelheiten des tragischsten Ereignisses ihres Lebens zu erzählen. Aber das konnte sie nicht tun. So nett er auch sein mochte, ihn einzuweihen würde unweigerlich Probleme nach sich ziehen.

So beschloss Kate, in die Offensive zu gehen. „Was hat es mit Ihrem Haus auf sich? Warum scheint die Zeit dort stehen geblieben zu sein?“

Sofort wurden seine Züge hart. „Ich habe nicht die Zeit, mich darum zu kümmern.“

„Gehört es Ihnen schon lange?“

„Es befindet sich schon seit Generationen im Besitz meiner Familie.“

Wow! Sie konnte sich nicht einmal annähernd vorstellen, wie es wäre, solche Wurzeln zu haben. Ihre Verwandten waren eher unstet. Ihre Mutter schickte ihr nur ab und zu eine Postkarte. Und ihren Vater hatte sie zuletzt als kleines Mädchen gesehen.

Kate versuchte, nicht daran zu denken, dass sie keine richtige Familie hatte und auch keine besonders glückliche Kindheit verlebt hatte. Warum sollte man über Dinge grübeln, die man ohnehin nicht ändern konnte? Sie lebte nur für die Zukunft. Allerdings konnte sie Lucas helfen, sich einen Teil seiner Vergangenheit zu bewahren.

„Das Haus ist renovierungsbedürftig, vor allem die oberen Stockwerke sind es“, informierte sie ihn deshalb. „Ich bin Innenarchitektin und verfüge über Kontakte …“

„Kein Interesse.“

Die Vorstellung, dass dieses wundervolle Gebäude so verfiel, trieb sie an. „Aber solche Besitztümer müssen gepflegt werden, sonst verfallen sie. Und das wäre so schade …“

„Es ist gut so, wie es ist. Ende der Diskussion.“

Sie hätte Lucas gern auf das undichte Dach hingewiesen, doch er würde vermutlich nicht auf sie hören. Gekränkt und frustriert wandte Kate sich ab. Dieses Problem ließ sich so leicht lösen, und trotzdem war dieser Mann zu stur, um zum Telefon zu greifen und um Hilfe zu bitten. Hätte sie ihre Probleme nur so einfach lösen können!

Der Spezialist, bei dem sie heute einen Termin hatte, war ihre letzte Hoffnung. Sie hoffte nur, er würde sie nicht so abschmettern, wie Lucas es eben getan hatte. Kate lehnte die Stirn an die kühle Scheibe, während sie nach draußen blickte und registrierte, wie die Stadt zu Leben erwachte. Unzählige Passanten waren bereits unterwegs, und es herrschte dichter Verkehr. Ihre Welt mochte im Begriff sein, aus den Fugen zu geraten, aber für alle anderen ging alles seinen gewohnten Gang.

Als das hohe Krankenhausgebäude in Sicht kam, straffte Kate sich und atmete tief durch, alle Zweifel verdrängend.

„Wo soll ich Sie absetzen? An der Notaufnahme?“

„Nein. Ich sagte Ihnen doch, dass es mir gutgeht. Ich bin topfit.“ Sie setzte ein Lächeln auf. „Sie können mich vor dem Haupteingang rauslassen.“

„Im Krankenhaus sollte man nicht allein sein. Kann ich jemanden für Sie anrufen?“

Mit seinem Angebot überraschte er sie. „Nein, danke. Ich werde schon erwartet.“

Lucas fuhr an den Straßenrand. „Wirklich?“

Kate nickte. Dass nur die Angestellten auf sie warteten, verschwieg sie ihm geflissentlich. Keine Familie. Nur Molly. Mehr Familie brauchte sie nicht.

„Danke für alles.“ Sie stieg aus in den Regen. „Ich nehme meinen Koffer selbst raus.“

Lucas wirbelte herum. „Lassen Sie ihn im Wagen.“

„Aber …“

„Ich arbeite heute von zu Hause aus. Rufen Sie mich an, wenn Sie hier fertig sind, ich fahre Sie dann zu Ihrem Hotel.“

Sie durfte nicht lange überlegen. Eigentlich hätte sie das Ganze hier und jetzt beenden müssen, doch sie würde den Termin lieber ohne einen alten Koffer im Schlepptau wahrnehmen. „Danke für das Angebot, aber ich weiß nicht, wie lange es dauert.“

„Kein Problem. Ich gebe Ihnen meine Nummer.“

Wenige Minuten später hatte die gespeichert und eilte die Stufen zu den Glastüren hinauf. Vorerst würde sie nicht an Lucas denken, denn vor ihr lag das wichtigste Gespräch ihres Lebens.

Sie würde das Krankenhaus auch erst verlassen, wenn sie die ersehnten Worte „Ja, wir werden Ihrer Tochter helfen“ hörte.

4. KAPITEL

„Ich glaube, wir können Ihrer Tochter helfen, aber …“

Kate musste sich zusammenreißen, um keinen Freudensprung zu machen, und bekam deshalb vor lauter Aufregung nicht mehr mit, was der Arzt danach sagte. Monatelang waren sie von einem Krankenhaus zum anderen gereist, doch nirgends hatte man Molly helfen können. Und nun hatte sie endlich den richtigen Mediziner gefunden.

Als er ihr einen Stapel Unterlagen hinschob und sie ihren Namen und die enorme Summe sah, machte sich allerdings Ernüchterung in ihr breit.

„Was ist das?“

„Das ist die Vorauszahlung, die Sie vor der Operation leisten müssen.“

Es musste sich um einen Irrtum handeln. „Aber meine Krankenversicherung …“

„Kommt für experimentelle Operationen nicht auf.“ Dr. Hawthorne legte die Fingerspitzen aneinander und lehnte sich zurück. „Ich bin bereit, unentgeltlich zu arbeiten, aber für die Bereitstellung des Operationssaals und des Ärzte- und Schwesternteams müssen Sie diese Rechnung begleichen.“ Er machte eine Pause und sah sie forschend an. „Es handelt sich nur um eine Schätzung. Sollte es Komplikationen geben, könnte der Betrag sprunghaft ansteigen.“

Kate nickte, doch ihr Magen krampfte sich zusammen, und ihre Schläfen begannen zu pochen. Sie überflog die lange Aufstellung der Gebühren, angefangen von den benötigten Medikamenten bis zum Honorar für den Anästhesisten. Wie, in aller Welt, sollte sie diese enorme Summe auftreiben?

Sie sah das lächelnde Gesicht ihrer Tochter vor sich. Nein, sie konnte und wollte Molly nicht im Stich lassen. Es musste eine Lösung geben, denn diese Operation würde stattfinden.

„Außerdem sollten Sie wissen, dass wir Kinder bis zur OP normalerweise lieber ambulant behandeln. Da der Tumor jedoch so schnell wächst und bereits ihre Mobilität beeinträchtigt, möchte ich sie hier unter Beobachtung haben.“

Wieder nickte Kate. „Verstehe.“

Dr. Hawthorne räusperte sich. „Können Sie die Summe aufbringen?“

„Ja“, erwiderte sie energisch.

Der Arzt, dessen Schläfen bereits ergrauten, schaute sie ernst an, und sie erwiderte unbeirrt seinen Blick.

„Bitte unterzeichnen Sie diese Formulare. Dann wird mein Team anfangen, den Tumor zu behandeln, damit er vor der OP schrumpft.“

Erst jetzt merkte Kate, dass sie die Luft angehalten hatte, und atmete aus. Als sie zu lesen begann und ihr klar wurde, vor was für einer Herausforderung sie stand, krampfte ihr Magen sich erneut zusammen.

Eine halbe Stunde später tröstete sie sich im Fahrstuhl mit dem Gedanken, dass sie das Richtige getan hatte. Dieser Arzt hatte schon Wunder vollbracht und konnte es wieder tun. Irgendwie würde sie es schaffen. Sie brauchte nur Zeit zum Nachdenken.

In diesem Moment glitten die Aufzugtüren auseinander, und ein Mann mit einem Basecap trat ein.

Kate ging auf die andere Seite und blickte starr auf die Unterlagen in ihrer Hand.

„Kate?“, fragte plötzlich eine Männerstimme.

Die Türen glitten zu, als Kate den Kopf hob. Sobald ihr Blick auf den Neuankömmling fiel, stockte ihr der Atem. Das konnte nicht sein. „Chad, was machst du denn hier?“

Er runzelte die Stirn. „Begrüßt man so etwa seinen Ehemann?“

„Exmann.“ Wütend stemmte sie die Hände in die Hüften. „Ich habe vor Monaten versucht, dich zu erreichen, und da hattest du keine Zeit. Warum tauchst du ausgerechnet jetzt auf?“

„Meine Tochter ist krank. Meine Familie braucht mich …“

„Du irrst dich.“ Auf keinen Fall würde sie zulassen, dass er hier einfach hereinspazierte und sich als Retter aufspielte. „Wir sind die ganze Zeit auch ohne dich klargekommen.“

Nachdem er sich während ihrer Schwangerschaft geweigert hatte, sesshaft zu werden und für ihre Tochter zu sorgen, hatte er sie einfach sich selbst überlassen.

Als der Aufzug hielt, verließ Kate ihn zuerst und ging einfach weiter. Vor der Tür zu Mollys Zimmer blieb sie stehen. Auf keinen Fall wollte sie ihre Tochter beunruhigen, schon gar nicht vor diesem heiklen Eingriff.

Chad war ihr gefolgt. „Wie geht es ihr?“

„Der Tumor beeinträchtigt ihre Mobilität.“

„Hat sie Schmerzen?“

Kate schüttelte den Kopf. „Zum Glück nicht. Das wird sich allerdings ändern, wenn sie nicht bald operiert wird. Aber …“

„Aber was?“

„Die OP kostet eine Menge Geld.“ Sie stand zwischen ihm und der Tür. „Du solltest verschwinden, bevor sie dich sieht.“

Er verschränkte die Arme. „Ich gehe nirgendwohin.“ Lauter fügte er hinzu: „Mein kleines Mädchen wird sich freuen, seinen Daddy zu sehen.“

Bevor Kate antworten konnte, rief Molly von drinnen: „Daddy, bist du das?“

„Ja, Süße. Ich bin hier.“ Er beugte sich zu Kate herüber und flüsterte: „Ich war schon immer ihr Liebling.“

Kate verkniff sich eine unfreundliche Bemerkung, als sie ihm ins Krankenzimmer folgte. Es ärgerte sie maßlos, dass er in ihrem Leben auftauchte, wenn es ihm gerade passte, und dann genauso schnell wieder verschwand.

Vielleicht hatte sie sich deswegen ursprünglich zu ihm hingezogen gefühlt. Er war wie ihre Eltern, immer unterwegs auf der Suche nach dem Glück. Ihr Vater war mit einem Kind überfordert gewesen und gegangen, als sie zehn war. Ihre Mutter hatte es bis zu ihrem achtzehnten Geburtstag ausgehalten, bis sie die Stadt mit ihrer neuen Flamme verlassen hatte.

Doch als Kate schwanger wurde, waren ihr andere Dinge wichtiger gewesen. Ihr Kind sollte ein richtiges Zuhause haben, etwas, das sie nie gehabt hatte: Stabilität.

Kate fragte sich, wie es wäre, in einem Haus wie dem von Lucas zu leben, in dem die Familiengeschichte überall spürbar war. Der Mann wusste gar nicht, wie gut er es hatte. Aber warum dachte sie ausgerechnet jetzt an ihn? Und warum schlug ihr Herz dabei schneller?

„Juhu! Daddy ist da.“ Molly strahlte übers ganze Gesicht.

Chad umarmte und küsste sie, und Kate staunte, wie wenig nachtragend Kinder waren.

„Wie lange bleibst du?“, fragte Kate ihn, während sie überlegte, ob sie noch Zeit für einen Kaffee hatte.

„Eine Weile. Molly und ich haben einiges nachzuholen.“

„Willst du das mit mir gucken, Daddy?“ Molly deutete auf den Fernseher, wo gerade eine Zeichentrickserie lief.

Wenn sie alle drei länger in einem Raum wären, würde es unweigerlich Probleme geben. Chad hatte ein Talent dafür, ihre wunden Punkte zu finden und darin herumzubohren. Und auf keinen Fall sollte Molly jetzt miterleben, wie sie beide stritten.

„Ich hole mir nur einen Kaffee und bin gleich wieder da.“ Plötzlich fühlte Kate sich wie das fünfte Rad am Wagen, was ungewohnt für sie war. „Molly braucht übrigens viel Schlaf.“

„Lass dir Zeit“, sagte Chad in jenem Kommandoton, bei dem sich alles in ihr anspannte. „Was hältst du davon, wenn ich bis heute Nachmittag bleibe und du mich dann ablöst? Wir müssen ja nicht beide hier sein. Schließlich musst du Geld aufbringen.“

Ihr Puls beschleunigte sich. Am liebsten hätte sie Chad auf seine Mitverantwortung hingewiesen, doch sie musste Rücksicht auf Molly nehmen.

„Willst du wirklich so lange bleiben?“, fragte sie.

„Auf jeden Fall. Sind das Gesellschaftsspiele dahinten?“ Er deutete in die Ecke.

„Ja“, erwiderte Molly, bevor Kate etwas sagen konnte. „Wollen wir was spielen?“

So unzuverlässig Chad auch sein mochte, wenn er mit Molly zusammen war, war er ein guter Vater. „Wann soll ich kommen?“

„Um drei Uhr. Dann muss ich einiges erledigen.“

„Okay. Bis dann. Ich kann aber auch früher erscheinen.“

„Ich bin hier.“

Nachdem Kate ihre Tochter geküsst hatte, verließ sie zögernd das Zimmer. Sicher war Molly bei Chad gut aufgehoben. In der Zwischenzeit musste sie überlegen, wie sie innerhalb von vier Wochen eine derart hohe Summe auftreiben konnte. Bei der Vorstellung schnürte sich alles in ihr zusammen. Ihr Haus in Pennsylvania stand bereits zum Verkauf, damit sie in der Lage war, alte Rechnungen zu bezahlen. Was sollte sie bloß tun?

„Sei doch vernünftig, Elaina.“ Lucas versuchte, seiner Exfrau gegenüber einen ruhigen Ton anzuschlagen. „Ich bitte dich nur darum, Carrie sehen zu können, wenn ich nach San Francisco fliege.“

„Und ich habe dir gesagt, dass es sie verstört. Sie hat jetzt einen Dad – einen, der sein Leben nicht im Büro verbringt. Lass dich hier nicht wieder blicken. Du bringst sie nur durcheinander.“

„Das ist nicht wahr.“ Er verstärkte seinen Griff um das Telefon. „Du weißt, dass du es dir leichter machen könntest, indem du mich in ihrer Gegenwart nicht anschreist.“

Elaina seufzte. „Was erwartest du denn, wenn du unangemeldet hier auftauchst? Ich tue nur das Beste für meine Tochter …“

„Es ist unsere Tochter, und auf eine Einladung könnte ich ewig warten. Meinst du nicht, es ist wichtig für sie, ihren Vater zu kennen?“

„Nein. Carrie ist glücklich ohne dich.“

Dann beendete sie das Gespräch einfach. Er konnte nicht fassen, dass sie tatsächlich diese Unverschämtheit besaß, während er vernünftig mit ihr zu reden versuchte.

Der Küchenstuhl schrammte über die schwarz-weißen Fliesen, als Lucas leise fluchend aufsprang. Aufgebracht begann er, auf und ab zu gehen. Leider meinte Elaina es ernst. Sie würde ihm das Leben zur Hölle machen, wenn er sich nicht an ihre Spielregeln hielt. Sie hatte es schon einmal getan, indem sie New York mit unbekanntem Ziel mit ihrer Tochter verlassen hatte. Er wollte nicht einmal daran denken, welche Lügen sie ihr über ihn erzählte.

Deshalb hatte er auch beschlossen, seine Tochter nicht zur Schachfigur zu machen und sie in Ruhe zu lassen. Sie sollte eine schönere Kindheit verleben als er, denn seine Eltern hatten ihn zum unfreiwilligen Spion gemacht. Die beiden waren so versessen darauf, zu wissen, was der andere machte, und sich gegenseitig zu übertrumpfen, dass sie wohl nie richtig voneinander losgekommen waren.

Wenn das Liebe war, verzichtete er gern darauf. Deshalb hatte er auch Elaina geheiratet. Ihre Beziehung hatte auf Freundschaft und Gemeinsamkeiten gegründet, nicht auf Liebe. Allerdings hatten die Probleme nicht lange auf sich warten lassen. Und seine Tochter sollte nicht den Preis für seine Fehlentscheidungen zahlen.

Lucas blieb am Tisch stehen und blickte starr auf die unbeendete E-Mail. Der Cursor blinkte, aber er wusste nicht einmal mehr, was er geschrieben hatte.

Im Moment lief alles schief. Seine Exfrau hatte ihm den Krieg erklärt für den Fall, dass er sein Besuchsrecht geltend machen würde. Dann war da der Bau der Niederlassung in San Francisco, der Unsummen verschlang. Seine einzige Hoffnung war die Einführung seiner neuen Schmucklinie: Feurige Herzen – brillante Rubine in exquisiten handgearbeiteten Fassungen.

Die Markteinführung von Feurige Herzen sollte von einer großen Werbekampagne begleitet werden, die die Frauen in Scharen zu Carrington’s locken und für hohe Umsätze sorgen sollte, damit die Kosten für den Showroom schnell wieder hereinkamen. Nur leider hatte er keine zündende Idee für diese Kampagne.

Lucas klappte den Laptop zu und ging zum Tresen, um sich einen neuen Kaffee einzuschenken, doch die Kanne war leer. Spontan beschloss er, in einen Coffeeshop zu gehen und dort weiterzuarbeiten. Als er seine Schlüssel und seine Brieftasche nahm, klingelte sein Handy. Auf dem Display erschien der Name seiner Tante.

„Tante Connie, ich versuche seit heute Nacht, dich zu erreichen. Ist alles in Ordnung?“

„Natürlich. Warum sollte es das nicht sein?“

„Normalerweise bist du so spät nicht unterwegs und gehst auch ans Telefon.“

„Es tut mir leid. Ich war im Krankenhaus und habe bei einer Frau gesessen, deren Mann eine Not-OP hatte. Und, mein Lieber, wie läuft es in San Francisco?“

„Ich bin schon heute Nacht nach Hause gekommen.“

Lucas hörte, wie seine Tante tief einatmete. Sie schuldete ihm eine Erklärung dafür, dass eine Fremde ohne Erlaubnis in seinem Haus wohnte. Auch wenn er seine Tante über alles liebte, diesmal war sie übers Ziel hinausgeschossen.

„Ach du meine Güte! Ich wollte dich anrufen …“

„Du gibst also zu, dass du Kate hierher eingeladen hast, ohne mich zu fragen?“

„Ja. Aber ich wusste, dass du es verstehen würdest.“ Sie klang unsicher.

Wäre sie eine seiner Angestellten gewesen, hätte er ihr ein paar Takte erzählt. Doch sie war seine Tante, seine einzige Verwandte, der sein Glück immer mehr am Herzen gelegen hatte als der Ruf der Firma oder deren Profit. Er konnte ihr einfach nicht böse sein.

„In Zukunft solltest du mich fragen“, erklärte er in seinem autoritären Tonfall.

„Es tut mir leid. Sie hat keine Familie und keine Bleibe. Ich hätte sie bei mir aufgenommen, aber du weißt ja, dass Pauline keinen Besuch mehr duldet, seit der letzte Gast einiges hat mitgehen lassen.“

Er war so dankbar, dass Pauline sich um seine Tante kümmerte. Wäre sie nicht gewesen, hätte er auf seinen Geschäftsreisen keine Ruhe gehabt. Seine Tante war einfach zu nett und bescheiden. Man hatte wiederholt versucht, über sie an das Vermögen der Familie Carrington heranzukommen.

„Kate ist anders“, erklärte sie. „Sie hat ein gutes Herz.“

„Trotzdem hättest du sie nicht herschicken dürfen. Dieses Haus … ist tabu.“

„Ich dachte, nach all der Zeit hättest du die Vergangenheit losgelassen.“

Das würde er nie tun. Wie konnte er auch? Es würde bedeuten, dass er seine kleine Tochter losließ. Und wie immer, wenn ihm bewusst wurde, wie sehr er diese vermisste, verspürte er einen brennenden Schmerz.

„Was weißt du über Kate?“, wechselte er das Thema.

„Hat sie es dir denn nicht erzählt?“

Ein Klopfen an der Hintertür überraschte ihn. Er erwartete niemanden, da er nie Besuch bekam. „Es hat geklopft. Ich rufe dich später zurück.“

„Sei nett zu Kate, Lucas. Sie hatte eine große Last zu tragen und kann jede Unterstützung gebrauchen.“

Im nächsten Moment beendete seine Tante unvermittelt das Gespräch. Was, in aller Welt, hatten ihre Worte zu bedeuten? Als es wieder klopfte, legte Lucas sein Telefon frustriert auf die Kochinsel. Nun klopfte es ununterbrochen. „Ist gut! Ich komme ja schon.“

Lucas ging zur Tür und riss sie auf. Ein kalter Windzug wehte herein. Ihm fehlten die Worte, denn vor ihm stand Kate, völlig durchnässt. Ihre Augen waren verweint, das nasse Haar klebte ihr am Kopf, und sie zitterte vor Kälte. Ohne nachzudenken, umfasste er ihren Arm und zog sie herein. Unzählige Fragen gingen ihm durch den Kopf, doch er beschloss, ganz von vorn anzufangen.

„Warum haben Sie nicht angerufen?“ Er nahm ihr die Handtasche von der Schulter und stellte sie auf einen Stuhl. „Ich hätte Sie abgeholt.“

Liefen ihr Tränen über die Wangen, oder waren das Regentropfen? Er wusste es nicht genau.

„Sie müssen unter die heiße Dusche.“ Als sie protestieren wollte, fuhr er fort: „Keine Diskussion, sonst holen Sie sich womöglich noch eine Lungenentzündung.“

Nachdem er ihr aus der Jacke geholfen hat, streifte er ihr die völlig durchnässten roten Pumps ab. Als er sie an der Hand in sein Bad führte, fiel ihm auf, wie klein und zerbrechlich sie neben ihm wirkte. Instinktiv wollte er sie beschützen – sie an sich ziehen und seine Körperwärme auf sie übertragen. Doch er widerstand dem Drang. Wenn es um Beziehungen ging, sollte er gewarnt sein. Genau deshalb wollte er auch allein alt werden.

Lucas ließ Kate in seinem Schlafzimmer warten, während er ein Handtuch heraussuchte und das Wasser in der Dusche anließ. Hatte sie im Krankenhaus schlechte Neuigkeiten erhalten? War jemand gestorben?

Es ging ihn jedoch nichts an. Er war kein Mann zum Anlehnen. Er konnte ihr keinen guten Rat geben, denn er bekam ja nicht einmal sein eigenes Leben in den Griff.

Nachdem sie ihm versichert hatte, dass sie allein zurechtkam, holte er ihren Koffer aus der Diele. Da er ihn nicht öffnen wollte, holte er seinen Bademantel und legte ihn ihr aufs Bett, für den Fall, dass sie immer noch fror. Dann kehrte er in die Küche zurück, um Kaffee zu machen. Das mit dem Coffeeshop hatte sich erledigt. Bis er Kate in einem Hotel untergebracht hätte, wäre der Nachmittag gelaufen. Und er wäre mit seiner Geduld am Ende.

Um sich abzulenken, setzte Lucas sich wieder an den Küchentisch und klappte seinen Laptop auf. Erneut überflog er die angefangene Mail. Er verspürte überhaupt nicht das Bedürfnis zu arbeiten. Diese Erkenntnis war für einen berüchtigten Workaholic wie ihn beunruhigend. Was war bloß mit ihm los?

Den Blick auf den Monitor gerichtet und den Geräuschen aus dem Bad lauschend, begann er zu tippen. Nach einer Weile kam Kate in seinem Bademantel aus dem Schlafzimmer. Ihr dunkelbraunes Haar war nass und aus dem Gesicht gekämmt, und ihre Wangen schimmerten rosig. Da der Bademantel ein wenig auseinanderklaffte, konnte Lucas den Ansatz ihrer Brüste sehen.

Unbehaglich veränderte er seine Position und unterdrückte das aufflammende Verlangen. Sex war nicht die Antwort, sondern machte alles nur komplizierter.

Dass er noch nie jemandem begegnet war, der so eigenständig war, aber gleichzeitig derart mitgenommen wirkte, machte ihn noch neugieriger. Was war Kates Geschichte? Und was machte sie im Krankenhaus?

Lucas schluckte mühsam. „Geht es Ihnen jetzt besser?“

Kate nickte. „Es tut mir leid, dass ich Ihnen so zur Last falle.“

Sollte er sie jetzt trösten? Lucas zögerte. Er war ein Carrington – stark, stolz und gefühlskalt. Zumindest hatte seine Exfrau ihn oft so bezeichnet, und er hatte keinen Grund gehabt, ihr nicht zu glauben. Bis jetzt …

Kate hatte etwas an sich, das seinen Schutzwall, mit dem er sich umgeben hatte, gefährdete und in ihm den Wunsch weckte, wieder gutzumachen, was nicht in Ordnung war. Allerdings wusste er nicht, wie man andere tröstete. Deshalb fühlte er sich von Sekunde zu Sekunde unbehaglicher.

Schließlich stand er auf und zog ihr einen Stuhl hervor. „Setzen Sie sich, ich mache Ihnen Kaffee. Mit Milch oder Zucker?“

„Beides, bitte.“

Sobald sie den Kaffee getrunken hätte, würde er sie zu irgendeinem Hotel bringen. Dann würde sein Leben wieder in normalen Bahnen verlaufen – so normal es eben war. Außerdem würde er keine Fragen stellen. Ihr Leben ging ihn nichts an.

5. KAPITEL

Kate sank auf den Stuhl und schämte sich, weil sie vor diesem Mann – diesem Fremden – völlig die Beherrschung verloren hatte. Die heiße Dusche hatte ihr allerdings geholfen, einen klaren Kopf zu bekommen. Sie musste jetzt stark sein. Sicher hielt Lucas sie für … Was? Mitleiderregend? Schwach? Geldgierig? Oder alles zusammen? Auf keinen Fall wollte sie seinen Verdacht bestätigen.

Nun stellte er ihr einen Becher Kaffee hin. „Trinken Sie, damit Ihnen warm wird. Ich gehe schnell zum Feinkostladen und hole uns Mittagessen.“

„Danke. Es tut mir leid, dass ich Ihnen wieder auf die Nerven gehe. Ich … bin einfach drauflosgegangen und habe nachgedacht. Dann habe ich mich hier wieder gefunden.“

Kate legte die klammen Finger um den warmen Becher und beobachtete, wie Lucas zu einem der Barhocker vor der Kochinsel ging, auf dem seine Jacke lag. Anscheinend hatte er weggehen wollen, bevor sie aufgetaucht war. Seine dunklen Jeans betonten seine durchtrainierten Beine und seinen festen Po. Er hatte das Hemd gerade so weit aufgeknöpft, dass sie einen Blick auf seine muskulöse Brust erhaschte.

Er zog die Jacke an. „Sie können Solitär auf meinem Computer spielen. Haben Sie einen bestimmten Wunsch?“

Kate schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht wählerisch.“

„Ich bin gleich wieder da.“ Er eilte aus der Tür.

Sie war erschöpft, aber sie hatte keine Zeit zu schlafen, denn sie musste sich überlegen, wie sie das Geld für die Operation aufbringen sollte. Keine Bank würde ihr einen Kredit in der Höhe geben. Sie hatte auch keinen reichen Erbonkel oder eine reiche Erbtante. Also blieb ihr nur die Möglichkeit, Spenden zu beschaffen.

Lucas hatte ihr erlaubt, seinen Computer zu benutzen. Nach wenigen Minuten Recherche fand sie heraus, dass die Carringtons früher viele Benefizveranstaltungen organisiert hatten und einige sogar in diesem Haus stattgefunden hatten. Doch bevor sie nach anderen Locations suchen konnte, kehrte Lucas mit einer großen Tüte in der Hand zurück.

„Ich hoffe, Sie haben Hunger. Da ich nicht wusste, was ich kaufen sollte, habe ich von allem etwas genommen.“

Schweigend deckten sie den Tisch und packten die Sachen aus. Kate war bereits mit dem ersten Sandwich fertig, bevor Lucas seins halb aufgegessen hatte. Er schob ihr ein zweites hin.

„Das muss ein ziemlich langer Spaziergang gewesen sein“, bemerkte er, während sie es auswickelte.

„Ich musste viel nachdenken.“

„Und sind Sie zu einem Ergebnis gekommen?“

Kate wandte den Blick ab, weil sie nicht wusste, was sie antworten sollte. Er sollte nicht noch schlechter von ihr denken, weil sie die Kontrolle über ihr Leben verloren hatte, doch sie wollte auch nicht lügen. So entschloss sie sich für den Mittelweg. „Noch nicht ganz.“

„Wenn ich Probleme in der Firma habe, hilft es mir meistens, darüber zu reden. Ich mache dann immer ein Brainstorming mit meinen wichtigsten Mitarbeitern. Möchten Sie es auch mal probieren?“

Sie wusste nicht, warum er so nett zu ihr war. Die Kehle schnürte sich ihr zu, und Kate blinzelte die Tränen zurück, woraufhin Lucas ihr den Arm drückte. „Hey, so schlimm kann es doch nicht sein.“

Seine Berührung schien sie zu verbrennen und brachte sie noch mehr durcheinander. Dann zog er die Hand allerdings schnell wieder zurück, als wäre ihm bewusst geworden, dass er eine unsichtbare Grenze überschritten hatte.

Kate schniefte. „Momentan ist mein Leben ein einziger Albtraum.“

„Ihr Besuch im Krankenhaus – sind Sie krank?“

„Ich wünschte, es wäre so.“

Verblüfft sah er sie an. „Sie möchten krank sein?“

Sein entsetzter Gesichtsausdruck brachte sie zum Lachen. Vielleicht waren dies die ersten Anzeichen eines Nervenzusammenbruchs. „Nein. Aber wenn jemand krank sein sollte, dann ich und nicht meine vier Jahre alte Tochter.“

Er lehnte sich zurück und wirkte plötzlich so, als hätten ihre Worte ihn zutiefst schockiert. „Was hat sie?“

„Molly muss operiert werden. Deswegen sind wir nach New York gekommen. Kein anderer Arzt war bereit, das Risiko einzugehen. Doch vorher muss ich das Geld für den Eingriff aufbringen.“

Lucas runzelte die Stirn. „Entschuldigen Sie die Frage, aber haben Sie keine Krankenversicherung?“

„Die kommt nicht für Therapien auf, die noch nicht zugelassen sind. Und die Summe ist enorm.“

Ein mitfühlender Ausdruck trat in seine blauen Augen. Lucas nickte, als würde er verstehen.

„Es tut mir leid, das ist nicht Ihr Problem. Ich bin nur hier, um meine Sachen zu holen.“

„Wohin wollen Sie gehen?“

„Ich … weiß es noch nicht. Mir fällt schon etwas ein.“ Ein wenig zu schnell stand Kate auf. Alles drehte sich um sie, sodass sie sich an der Stuhllehne festhielt und die Lider schloss. Dann öffnete Kate sie wieder. „Es geht mir gut“, versicherte sie schnell.

„Sie sehen aber nicht so aus.“

„Ich bin nur zu schnell aufgestanden.“ Auf keinen Fall wollte sie sein Mitgefühl. Konnte sie überhaupt noch tiefer in seiner Wertschätzung sinken? Sie unterdrückte ein Stöhnen.

„Ich glaube, diese Nachricht fordert ihren Tribut.“ Unverwandt sah Lucas ihr in die Augen. „Haben Sie Familie in der Nähe, die Ihnen helfen kann?“

„Nein. Meine Mutter lebt woanders, und mein Vater … Er spielt in meinem Leben keine Rolle. Es gibt nur mich und Molly.“

„Das tut mir leid.“

Einen Moment lang herrschte peinliches Schweigen. „Wir kommen gut allein klar“, erklärte Kate deshalb schließlich. „Ich muss auch bald wieder ins Krankenhaus.“

„Sicher vermisst Ihre kleine Tochter Sie.“

Seine Worte erinnerten sie wieder an den Schlüsselanhänger. Sie nahm ihn aus der Tasche des Bademantels und spielte damit.

„Hat es mit dieser Ente eine besondere Bewandtnis? Oder brauchen Sie nur etwas, um Ihre Finger zu beschäftigen?“

Starr betrachtete Kate den Anhänger mit der Gummiente. „Meine Tochter hat sie bei einer Verlosung gewonnen und mir geschenkt, damit sie mir Gesellschaft leistet. Mittlerweile ist sie so etwas wie ein Glücksbringer.“

„Sie wirkt sehr nüchtern und verlässlich und nervt nicht durch Schnattern.“

Sie lächelte über seinen Scherz. „Auf jeden Fall hat sie mich schon durch schwere Zeiten begleitet. So, ich muss jetzt los. Mollys Dad geht bald, und ich muss ihn im Krankenhaus ablösen.“

Lucas ließ den Blick zu ihrem Ringfinger schweifen, an dem sie keinen Ring trug. „Sie sind verheiratet?“

„Nein. Chad ist mein Exmann. Und …“ Kate schüttelte den Kopf und versuchte vergeblich, ein Gähnen zu unterdrücken. „Egal. Ich habe Ihre Zeit genug in Anspruch genommen.“

„Wann müssen Sie wieder im Krankenhaus sein?“

„Nicht vor drei Uhr. Ich möchte so wenig Zeit wie möglich mit meinem Ex verbringen. Molly hat schon genug zu tragen. Wir müssen uns nicht auch noch vor ihr streiten.“

„Sie haben noch ein paar Stunden Zeit. Warum machen Sie nicht ein Nickerchen, und ich fahre Sie später zum Krankenhaus?“

Sein Angebot erfüllte sie mit einer Wärme, die sie schon lange nicht mehr verspürt hatte. „Das möchte ich Ihnen nicht zumuten. Sie kennen mich ja nicht einmal.“

„Ich biete es Ihnen an. Außerdem schulde ich es Ihnen, weil ich Sie in der vergangenen Nacht so lange wach gehalten habe. Also, abgemacht?“

„Was haben Sie davon, wenn Sie mir helfen?“

„Sagen wir einfach, es ist ein gutes Gefühl, jemanden unterstützen zu können.“

Es schien Kate, als würde sich mehr hinter seinen Worten verbergen. Wünschte sich Lucas vielleicht, jemand würde ihm helfen? Wobei konnte ein reicher, verführerischer Junggeselle Hilfe brauchen?

Sie sah ihm in die blaugrauen Augen. „Sind Sie sicher?“

„Das bin ich. Versprechen Sie mir jetzt, sich nicht wieder davonzustehlen?“

Sie war erschöpft. Und er schien entschlossen, den Samariter zu spielen. Also, was konnte es schaden, sein Angebot anzunehmen?

„Versprochen.“

Lucas verspürte Mitgefühl, und gleichzeitig war ihm unbehaglich zumute. Er wusste nur zu gut, wie furchtbar es war, wenn man die Kontrolle über das Wohlergehen seines Kindes verloren zu haben glaubte. Als seine Exfrau auf und davon war, hatte sie ihm nur die kurze Nachricht hinterlassen, dass sie gut auf ihr kleines Mädchen aufpassen würde. Bis der von ihm beauftragte Privatdetektiv sie in Kalifornien ausfindig gemacht hatte, war er nicht einmal mehr in der Lage gewesen zu funktionieren.

Diese Geschichte kam ihm nur allzu bekannt vor. Doch wie konnte er sich von Kate abwenden, wenn ihre Tochter in einer derart kritischen Situation war?

Er brauchte Zeit zum Nachdenken. Eigentlich hatte er nichts anderes getan, seit Kate sich hingelegt hatte. Jetzt war es fast drei Uhr. Vielleicht sollte er sie wecken, doch die Vorstellung, nach oben zu ihr zu gehen, behagte ihm überhaupt nicht, denn dort rief alles schmerzliche Erinnerungen an alles, was er verloren hatte, wach: an seine Familie … an seine kleine Tochter.

Lucas ging zur Treppe. „Kate!“ Keine Antwort. „Kate, sind Sie wach? Wir müssen los.“

Er wartete. Sie war doch nicht etwa wieder gegangen, ohne sich zu verabschieden? Sein Magen krampfte sich zusammen. Nein, sie hatte es ihm versprochen, und sie schien ein Mensch zu sein, der Wort hielt.

„Kate, wir müssen los!“

Immer noch nichts. Lucas ließ den Blick die Treppe hinauf schweifen. Dachte an jenen Tag, als er in den ersten Stock gegangen war und festgestellt hatte, dass seine Frau zusammen mit ihrem Baby verschwunden war. Die Erinnerung daran raubte ihm den Atem.

Er dachte an jene Nacht, die er niemals vergessen würde. In der er seine Sachen herausgesucht hatte und ins Erdgeschoss gezogen war. Er wollte die Erinnerungen … den Schmerz meiden. Und nun musste er Kate und ihrer kleinen Tochter zuliebe wieder die Stufen hinaufgehen.

Es kostete ihn große Überwindung, doch schließlich hatte er es geschafft und stand vor ihrer Tür. Nachdem er tief ausgeatmet hatte, klopfte er. „Kate, sind Sie wach?“

Nichts. Wieder klopfte er. Immer noch keine Antwort.

War sie möglicherweise krank? Lucas drehte den Knauf und öffnete die Tür. Die Vorhänge waren zugezogen, und sobald seine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, entdeckte er Kate auf dem großen Bett. Sie atmete gleichmäßig. Ihr wunderschönes Gesicht wirkte entspannt, und ihre rosigen Lippen waren leicht geöffnet und sehr verführerisch.

„Kate“, sagte er sanft. Da sie sich nicht rührte, trat er näher ans Bett heran. „Kate, wachen Sie auf.“

Nun drehte sie sich um und streckte sich. Der Bademantel klaffte auseinander. Darunter trug sie ein pinkfarbenes Top mit Spitzenborte, das hochgerutscht war und den Blick auf ihren Bauch freigab. Ihm stockte der Atem. Sie war so fantastisch. Eigentlich hätte er sich abwenden müssen, doch er war auch nur ein Mann.

Im nächsten Moment öffnete sie die Augen und setzte sich abrupt auf. „Lucas. Was machen Sie hier?“ Sie senkte den Blick und raffte den Bademantel zusammen.

„Ich habe von unten gerufen und dann angeklopft, aber Sie haben tief und fest geschlafen.“

„Was wollen Sie?“

Lucas räusperte sich und hoffte, seine Stimme würde normal klingen. „Wir müssen zum Krankenhaus. Wir treffen uns unten.“ Er wollte sich abwenden, hielt jedoch inne, als er ein Geräusch hörte. „Tropft der Wasserhahn im Bad?“

„Hm … nein.“

„Aber irgendetwas tropft.“ Frustriert ging er zum Lichtschalter. „Hören Sie es denn nicht?“

„Doch, natürlich höre ich es. Ich bin ja nicht taub.“

Nachdem er das Licht eingeschaltet hatte, entdeckte er sofort den Papierkorb in der Ecke. Als er zur Decke blickte, sah er dort einen großen Wasserfleck. Auf dem Boden lagen kleine Putzbrocken.

„Was, zum …?“ Schnell besann er sich auf seine guten Manieren. Seine Mutter hatte immer großen Wert auf richtige Umgangsformen gelegt.

„Sie brauchen ein neues Dach“, erklärte Kate.

„Danke, dass Sie mich auf das Offensichtliche hinweisen.“

„Ich sagte Ihnen ja, dass ich Innenarchitektin bin. Ich weiß mehr über Häuser, als wie man ein Bild richtig aufhängt.“

„Sie decken also auch Dächer?“

Nun lächelte sie. „Nein, für solche Gewerke suche ich qualifizierte Handwerker. Denn wenn Sie sich umsehen, werden Sie feststellen, dass es nicht die einzige Stelle ist, durch die es reinregnet.“

Diesmal scherte er sich nicht um seine Manieren. „Verdammt!“ Er hatte keine Ahnung gehabt, dass das Haus in einem derart schlechten Zustand war. Das ging weit über die Grundreinigung hinaus, mit der er gerechnet hatte.

Kate zählte alles auf, was ihrer Meinung nach repariert werden musste. Von starken Schuldgefühlen geplagt, weil er das Haus, in dem er aufgewachsen war und das seine Tochter einmal erben würde, so hatte verkommen lassen, wandte er den Blick von dem ruinierten Stuck ab.

Kate hingegen redete weiter, als wäre sie in ihrem Element. Schließlich stand sie auf und strich die Bettdecke glatt. „Wenn Sie möchten, kann ich einige Handwerker beauftragen, mit den Reparaturen anzufangen …“

„Nein. Ich will hier keine Leute haben, die etwas verändern“, stieß Lucas hervor, woraufhin sie die Stirn runzelte.

„Natürlich wird es Veränderungen geben. Nichts bleibt, wie es ist. Das Leben ist eine einzige Abfolge von Veränderungen.“

Die einzigen Veränderungen, die er in letzter Zeit erlebt hatte, hatten es ihm schwergemacht, einen Fuß vor den anderen setzen. Wie sein letzter Besuch bei seiner Tochter in Kalifornien – als sie sich abgewandt hatte, weil er nun ein Fremder für sie war.

„Hören Sie mir zu.“ Kate kam zu ihm und blieb direkt vor ihm stehen. „Sie müssen einige Entscheidungen treffen, denn Sie sehen ja, wie der Verfall voranschreitet. Sobald die nötigen Reparaturen durchgeführt sind, können Sie aus dem winzigen Zimmer unten ausziehen …“

„Ich fühle mich da aber wohl.“

Sie krauste die Stirn, als würde sie ihm kein Wort glauben. „Dann sollten Sie vielleicht in Erwägung ziehen, in ein kleineres Haus zu ziehen und dies hier an irgendeine glückliche Familie verkaufen, die seinen Charme zu schätzen weiß.“

Lucas blickte sich in dem Zimmer um. Es hatte seiner Tante gehört, als er noch ein Kind war. Hier hatte er sich immer geborgen und akzeptiert gefühlt. Dieses Haus barg sowohl schlechte als auch gute Erinnerungen. Er konnte ihnen nicht allen den Rücken kehren.

Die Geister der Vergangenheit tauchten wieder auf, und die Wände schienen auf ihn zuzukommen. Er brauchte Luft zum Atmen. Lucas ging zur Tür, wobei er Kates Bitte zu warten ignorierte. Den Blick starr nach vorn gerichtet, ging er beklommen nach unten. Es schien ihm plötzlich, als wäre kein Sauerstoff mehr im Haus.

So ungern er es auch eingestand, Kate hatte nicht ganz unrecht. Dieses Haus war in einem schlechteren Zustand, als er je gedacht hätte. Schuldbewusst ließ er die Schultern sinken. Seine Eltern und Großeltern wären entsetzt, wenn sie wüssten, wie sehr er es vernachlässigt hatte. Sie hatten es ihm anvertraut, und er war gescheitert.

Selbst wenn er seine kleine Tochter eines Tages für sich gewann, konnte er sie nicht hierher bringen. Er konnte ihr nicht die zahlreichen Porträts seiner Vorfahren zeigen, die seine Exfrau auf den Dachboden verbannt hatte. Den Staub. Den abbröckelnden Putz. Und den Schimmel, der sich vermutlich schon an vielen Stellen gebildet hatte.

In der Diele riss Lucas die Haustür auf. Ein kalter Wind wehte herein. Lucas blieb auf der Schwelle stehen, während der Regen auf den Fußweg prasselte. Tief atmete er die frische Luft ein, und das tat gut.

Während sein Herzschlag sich langsam normalisierte, war er wieder in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Kate hatte recht. Das Haus musste dringend renoviert werden, und es duldete keinen Aufschub mehr. Plötzlich hatte er eine verrückte Idee. Doch konnte es funktionieren?

6. KAPITEL

Als er ihre Schritte hörte, wandte Lucas sich um. „Sie haben recht.“

„Ach ja?“ Kate zog die Brauen hoch. „Ist das Ihre Art, sich zu entschuldigen?“

„Ja, das war eine Entschuldigung.“ Warum musste er alles aussprechen?

Schuldgefühle plagten ihn. Sie hatte so viele Probleme und machte sich Sorgen um ihn … oder vielmehr sein Haus. Eigentlich müsste er ihr helfen.

Wäre es damals besser für ihn gelaufen, wenn er jemanden an sich herangelassen hätte? Stattdessen hatte er sich völlig zurückgezogen, nachdem seine Tochter von heute auf morgen verschwunden war. Carrington Gems hatte kurz vor dem Bankrott gestanden. Selbst jetzt noch zahlte er für die Fehlentscheidungen, die er damals getroffen hatte.

Empfand Kate auch so? Lucas blickte ihr in die Augen und erkannte darin Schmerz und noch etwas … Entschlossenheit? Ja, natürlich.

Trotzdem war er noch nicht bereit, sich mit einer Frau einzulassen, die er kaum kannte … auch wenn seine Tante ihr offenbar vertraute. Andererseits hatte sie so aufgeregt gewirkt, als sie von dem Haus sprach. Er musste noch einmal in Ruhe über alles nachdenken.

Lucas blickte auf die Uhr. „Wir sollten fahren.“

„Und was ist mit dem Dach?“

„Darüber reden wir, wenn Sie vom Krankenhaus zurückkommen.“

Er führte sie nach draußen in den Regen. In seinem tiefsten Inneren wusste er, dass Kates Erscheinen sein Leben verändern würde … und auch ihres. Doch diese Erkenntnis verunsicherte ihn zutiefst. Wie schwer es für ihn aber wäre, dieser Frau mit einem kranken Kind zu helfen – einem Kind, das im selben Alter war wie seine Tochter, würde vermutlich niemand nachvollziehen können. Er hätte mehr Zeit zu Hause verbringen und sich mehr Mühe geben müssen, mit Elaina zurechtzukommen, und sei es nur der Kleinen zuliebe. Dann würde sie ihn jetzt Daddy nennen und nicht einen fremden Mann in ihm sehen.

Während der Fahrt herrschte Schweigen im Wagen, sodass Lucas zu viel Zeit hatte, darüber nachzudenken, was er verloren hatte und wie unzulänglich er sich als Mensch fühlte. Schließlich blickte er Kate an. „Warum sind Sie so still?“

„Ich überlege, wie ich das Geld für die OP aufbringen soll.“

„Haben Sie Verwandte, an die Sie sich wenden können?“

„Nein. Meine Familie ist ganz klein und steht sich nicht nahe. Meine Mutter hat uns nach der Diagnose ein bisschen unterstützt, aber ziemlich schnell die Geduld verloren … Jetzt ist sie mit ihrer neuesten Flamme in Los Angeles oder Las Vegas. Sie meldet sich ab und zu bei mir.“

Das war hart. Seine Mutter hatte nach dem Tod seines Vaters zwar wieder geheiratet und war nach Europa übergesiedelt, doch wenn er sie anrufen und um Hilfe bitten würde, würde sie sofort kommen. Sie war nie liebevoll und herzlich gewesen, beschützte allerdings, was ihr gehörte.

„Da ich außerdem nicht kreditwürdig bin, muss ich eine Spendenaktion organisieren, und zwar schnell und ohne großen Aufwand.“

Lucas überlegte. „Ich werde Sie unterstützen, so gut ich kann“, meinte er dann. „Der Zeitpunkt ist nur etwas ungünstig, weil ich gerade mitten in der Expansion von Carrington Gems an der Westküste stecke.“ Im Vergleich zu ihren Problemen erschienen seine ihm allerdings klein. „Wenn mir etwas einfällt, sage ich es Ihnen.“

„Danke. Und mein Angebot steht. Ich habe einige Kontakte in New York, die mir zuverlässige Handwerker vermitteln können.“

Ihre Hilfsbereitschaft rührte ihn an. „Das würden Sie trotz all Ihrer Probleme wirklich tun?“

„Natürlich. Sie haben mich fast eine Woche umsonst in Ihrem Haus wohnen lassen … auch wenn Sie es nicht wussten. Ich schulde Ihnen so viel.“

Er fühlte sich immer unbehaglich, wenn Leute sich bei ihm bedankten. Schließlich war er nicht selbstlos, sondern ein Workaholic, der seine Prioritäten aus dem Auge verloren hatte und nun mit einem Haus voller Erinnerungen und einem Unternehmen am Rande des Ruins dasaß, weil er die Expansion zu stark vorangetrieben hatte.

„Sie schulden mir gar nichts. Ich habe Sie nur in einem Schlafzimmer wohnen lassen, in das es reinregnet.“

Kate schniefte. „Die meisten Leute hätten an Ihrer Stelle erst die Polizei gerufen und dann Fragen gestellt.“

Sie näherten sich nun dem Krankenhaus, und nachdem er auf einem Parkplatz vor dem Haupteingang gehalten hatte, wandte Lucas sich zu Kate um. „Sie sollten mich nicht idealisieren, denn Sie kennen mich überhaupt nicht. Meine Exfrau würde sich dafür verbürgen, dass ich kein Heiliger bin.“

„Sie sind viel zu bescheiden …“

„Lassen Sie sich von meiner Freundlichkeit nicht täuschen. Ich bin ein Carrington. Dort, wo andere Menschen ein Herz haben, haben wir einen Rohdiamanten.“ Er legte sich die Faust auf die Brust. „Mein Großvater hat es mir gesagt. Damals war ich zu jung, um es zu verstehen, aber jetzt tue ich es …“

„Sie haben ein Herz, sonst wären Sie nicht so nett zu mir.“

„Und Sie sind zu gut für diese Welt.“

Die Art, wie Kate ihn ansah, weckte in ihm den Wunsch, der Mann für sie zu sein. Der fürsorgliche und großmütige Mann und nicht der ehrgeizige, besessene.

Als sie den Kopf neigte, umfasste er ihr Kinn. Verriet der Ausdruck in ihren Augen etwa Sehnsucht? Prompt verspannte Lucas sich bei der Vorstellung. Wie konnte diese Frau eine solche Wirkung auf ihn ausüben? Und warum verspürte er den überwältigenden Drang, sie an sich zu ziehen und zu küssen?

Ohne an die möglichen Folgen zu denken, beugte er sich vor und berührte sanft ihre Lippen mit seinen. Eine innere Stimme warnte ihn. Doch sobald Kate reagierte, warf er alle Bedenken über Bord. Es war so lange her, dass er sich das letzte Mal derart lebendig gefühlt hatte.

Er wollte sie enger an sich ziehen, aber die Mittelkonsole verhinderte es. Zärtlich umfasste er ihr Gesicht, streichelte mit dem Daumen ihre Wange und genoss das Gefühl ihrer seidig glatten Haut. Er konnte nur daran denken, dass er sich nach mehr sehnte …

Ein heller Blitz brach jedoch plötzlich den Bann. Lucas löste sich von Kate und rang nach Atem. Als er aus dem Fenster sah, bemerkte er sofort einen Fotografen, der ihn angrinste.

„Ich bin gleich wieder da.“ Lucas sprang aus dem Wagen und eilte dem Mann nach. „Hey, Sie! Bleiben Sie stehen!“ Er schaffte es jedoch nicht, ihn einzuholen, weil der Mann bereits in seinen Wagen gesprungen war und davonbrauste.

Lucas hatte einfach nicht darüber nachgedacht, dass sie sich in der Öffentlichkeit befanden, sondern nur Kates Wärme spüren wollen. Woher hätte er auch wissen sollen, dass ein Fotograf vor dem Krankenhaus herumlungerte? Und dass dieser ihn entdeckte? Kate hatte bereits genügend Probleme und sollte nicht auch noch mit der Presse konfrontiert werden. Die meisten Artikel waren zwar ohnehin frei erfunden – genau wie jene Story, in der man ihm ein Verhältnis mit einem der Models angedichtet und die seine Exfrau gelesen hatte. Allerdings war ihre Ehe da bereits zerrüttet gewesen.

Frustriert seufzend stieg Lucas wieder in den Wagen.

„Was ist los?“ Besorgt blickte Kate ihn an. „Warum haben Sie den Mann verfolgt?“

„Weil er ein Foto von uns gemacht …“

„Wie bitte?“ Sofort wurde sie aschfahl. „Aber warum? Warum sollte er sich für mich interessieren? Für uns?“

Er fuhr sich durchs Haar. „Letzten Monat gab es da einen Zeitschriftenartikel …“

„In dem man Sie als Junggesellen des Jahres bezeichnet hat.“

„Sie haben ihn gelesen?“ Sofort verspannte er sich. „Sie wussten von unserer ersten Begegnung an, wer ich bin, stimmt’s?“

„Das stimmt nicht.“ Kate hob die Hände und setzte eine unschuldige Miene auf. „Zuerst habe ich Sie nicht erkannt. Wahrscheinlich war ich abgelenkt, weil Sie nur Boxershorts trugen.“ Das Blut stieg ihr ins Gesicht. „Die wichtigere Frage ist, was dieser Mensch mit dem Foto macht.“

Lucas zuckte die Schultern. „Vermutlich verkauft er es an den Meistbietenden …“

„Das kann er doch nicht machen. Dann werden alle glauben, dass Sie und ich …“

„Zusammen sind.“ Dass Frauen die Vorstellung, mit ihm liiert zu sein, schrecklich fanden, war ihm fremd. „Wäre es so schlimm, wenn die Leute denken würden, dass wir ein Paar sind?“

„Ja.“

Ihre scharfe Antwort versetzte ihm einen Stich. Da er nicht wusste, was er sagen sollte, lehnte er sich zurück. Eigentlich hätte ihr mangelndes Interesse ihn freuen müssen, aber das tat es nicht, und diese Erkenntnis ärgerte ihn umso mehr.

„Es tut mir leid.“ Kate spielte mit dem Riemen ihrer Handtasche. „Ich wollte nicht so schroff klingen. Mir sind Paparazzi nur fremd. Außerdem möchte ich mein Foto nicht in den Zeitungen sehen.“

Das konnte er gut verstehen, denn seine Familie hatte schon vor seiner Geburt für Schlagzeilen gesorgt.

„Einen Tag später ist schon alles wieder vergessen.“

Sie wirkte erleichtert. „Oh, gut.“

Er glaubte es zwar selbst nicht, doch man konnte ja hoffen.

An dem Abend vergewisserte Kate sich zweimal, dass der Sicherheitsriegel vor der Tür eingerastet war. Dann blickte sie aus dem Fenster und stellte erleichtert fest, dass ihr niemand gefolgt war.

„Stimmt etwas nicht?“

Beim Klang von Lucas’ Stimme zuckte sie zusammen. „Doch, alles ist in Ordnung.“

Hatte sie sich nur eingebildet, dass jemand sie im Krankenhaus beobachtete? Bestimmt nicht, denn sie war nicht paranoid.

„Falls Sie wegen der Sache, die zwischen uns vorgefallen ist, besorgt sind, müssen Sie es nicht sein.“ Lucas konnte ihr nicht in die Augen sehen. „Es war alles meine Schuld, und es wird nicht wieder vorkommen.“

Sie wusste nicht, ob sie gekränkt oder erleichtert sein sollte. Auch sie hatte den leidenschaftlichen, berauschenden Kuss nicht vergessen. Und Lucas hatte recht – es sollte keine Wiederholung geben.

Es schien, als wollte er noch etwas sagen, doch dann wandte er sich ab und ging in die Küche. „Ich habe Pizza bestellt, falls Sie Hunger haben.“

Kate folgte ihm. „Riecht gut. Gibt es zufällig auch Salat dazu?“

„Ja“, erwiderte er, sichtlich stolz auf sich selbst, als er eine Schale aus dem Kühlschrank nahm.

„Toll.“

Immer noch beunruhigt, setzte sie sich an den Tresen. Zuerst hatte sie sich nichts dabei gedacht, aber sie hatte den Mann mehrmals im Krankenhaus gesehen.

Lucas wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht. „Kate?“ Dann schob er ihr einen Teller mit Pizza hin. „Ich wollte Sie eigentlich nicht fragen, aber was beschäftigt Sie?“

„Heute Abend war ein merkwürdiger Typ auf der Kinderstation. Zuerst dachte ich, er würde jemanden besuchen, aber er stand einfach nur da und schien jeden zu beobachten. Als ich eine Schwester daraufhin ansprach, war er plötzlich verschwunden.“

„Ich habe ihn engagiert“, erwiderte er ruhig.

Kate straffte sich. „Sie haben jemanden engagiert, der mir hinterherspioniert?“

„Er soll Sie beschützen.“

„Beschützen?“ Sie wurde lauter. „Wovor?“

„Ich möchte nicht, dass Sie von irgendwelchen Reportern belästigt werden. Deswegen habe ich einen Wachmann von Carrington abgezogen.“

„Sie glauben also, das Foto wird veröffentlicht?“

„Vermutlich“, räumte Lucas ein.

Ihre Augen funkelten. „Sie könnten das verhindern. Kaufen Sie ihm das Foto ab.“

„Selbst wenn ich das wollte, ich kenne nicht einmal seinen Namen.“

Autor

Cara Colter

Cara Colter hat Journalismus studiert und lebt in Britisch Columbia, im Westen Kanadas. Sie und ihr Ehemann Rob teilen ihr ausgedehntes Grundstück mit elf Pferden. Sie haben drei erwachsene Kinder und einen Enkel.
Cara Colter liest und gärtnert gern, aber am liebsten erkundet die begeisterte Reiterin auf ihrer gescheckten Stute...

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