Romana Herzensbrecher Band 1

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IM BANN DES STOLZEN GRIECHEN von WINTERS, REBECCA
Unwillkürlich hält Gabi den Atem an, als sie Andreas Simonides gegenübersteht. Eine Aura von Macht und Reichtum umgibt den attraktiven Geschäftsmann. Außerdem ist seine Ähnlichkeit mit den Zwillingen ihrer verstorbenen Schwester verblüffend. Gabi ist sicher, den Vater ihrer Neffen gefunden zu haben. Und verliert ihr Herz an den Mann, der unerreichbar für sie ist …

GLUT IN DUNKLEN AUGEN von REID, MICHELLE
Wie demütigend! Natasha erwischt ihren Verlobten Rico mit einer anderen! Und ausgerechnet dessen Halbbruder rettet sie in dieser Situation. Doch Leo Christakis ist ein Mann mit einer gefährlich erotischen Ausstrahlung, der Natasha mehr anbietet als eine Schulter zum Ausweinen. Hilflos vor Verlangen erkennt sie, dass er einen Plan verfolgt: mit ihr als seiner Geliebten!

WENN AUF KRETA DIE LIEBE ERWACHT von MOREY, TRISH
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  • Erscheinungstag 04.08.2017
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744304
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Rebecca Winters, Michelle Reid, Trish Morey

ROMANA HERZENSBRECHER BAND 1

1. KAPITEL

„Tut mir leid, Ms. Turner, aber Kyrie Simonides kann Sie heute nicht mehr empfangen. Sein Terminkalender ist voll. Würden Sie nächsten Dienstag um fünfzehn Uhr wiederkommen?“

Unwillkürlich verstärkte Gabi den Griff um den Riemen ihrer taupefarbenen Handtasche. „Dann bin ich nicht in Athen.“ Dieser Besuch würde darüber entscheiden, wann sie Griechenland verlassen musste – falls man sie jetzt vorließ.

Sie bemühte sich um Fassung gegenüber der älteren Empfangsdame, die wahrscheinlich gut dafür bezahlt wurde, dass sie diese nicht verlor. „Ich warte schon über drei Stunden. Sicher kann er mir dann fünf Minuten seiner Zeit widmen.“

Die Frau mit den grauen Strähnen im dunklen Haar schüttelte den Kopf. „Es ist Freitagnachmittag. Er hätte schon vor einer Stunde aus Athen wegfahren sollen.“

Da die Uhr bereits zwanzig nach sechs zeigte und es unerträglich heiß war, glaubte Gabi ihr das gern. Doch sie war nun so weit gekommen, dass sie sich nicht abwimmeln lassen wollte. Es stand zu viel auf dem Spiel. Nachdem sie einmal tief durchgeatmet hatte, erwiderte sie deshalb: „Ich sage es nur ungern, aber er lässt mir keine andere Wahl. Es geht um Leben und Tod – richten Sie ihm das bitte aus.“

Offenbar merkte die Empfangsdame, wie ernst sie es meinte. „Falls das ein Scherz sein soll, wird er nach hinten losgehen.“

„Es ist kein Scherz“, erklärte Gabi unbeirrt. Beim Betreten des Gebäudes hatte sie die Sicherheitskontrolle passieren müssen. So wusste die Sekretärin, dass sie keine Waffen bei sich trug und keine Bedrohung darstellte.

Nach kurzem Zögern stand die große Frau, die sich offenbar in einem Dilemma befand, auf und ging in das Büro ihres Chefs, wobei sie deutlich hinkte.

Erleichtert atmete Gabi auf. Das war ein Fortschritt. Während zahlreiche Geschäftsmänner seine Privaträume im Obergeschoss des Gebäudekomplexes, der sich im Zentrum von Athen befand, betreten und wieder verlassen hatten, hatte er sie bisher ignoriert. Hätte sie ihr Anliegen gleich vorgebracht, wäre sie sicher umgehend zu ihm vorgelassen worden, aber sie wollte ihn schützen.

Sie wusste lediglich drei Dinge über den dreiunddreißigjährigen Andreas Simonides. Erstens war er angeblich der neue Generaldirektor der familieneigenen Unternehmensgruppe, zu der zahlreiche Holdings in der metall- und plastikverarbeitenden Industrie gehörten und die weltweit einen hervorragenden Ruf genoss.

Ihre Informationsquelle besagte, dass zu dem Imperium, das die Familie im Laufe von Jahrzehnten aufgebaut hatte, achtzig Firmen gehörten. Die Simonides beschäftigten über zwölftausend Angestellte in aller Welt.

Zweitens war er ungewöhnlich attraktiv – wenn das Foto in der Zeitung nicht log.

Und drittens – diese Tatsache war niemandem außer ihr bekannt, nicht einmal ihm selbst. Aber sobald sie mit ihm redete, würde sein Leben sich für immer grundlegend verändern, ob es ihm gefiel oder nicht.

Während sie der ersten Begegnung mit ihm angespannt entgegensah, hörte sie die Schritte der Empfangsdame.

„Kyrie Simonides gibt Ihnen zwei Minuten, mehr nicht.“

„Einverstanden!“

„Gehen Sie den Flur entlang und dann durch die Flügeltür.“

„Vielen Dank“, sagte Gabi aus tiefstem Herzen. Dann eilte sie auf die Tür zu, wobei ihre kinnlangen blonden Locken wippten. Zuerst konnte sie niemanden sehen, als sie das Allerheiligste betrat.

„Es geht um Leben und Tod, sagten Sie?“, ließ sich im nächsten Moment eine wohlklingende Männerstimme ironisch vernehmen.

Erschrocken wirbelte Gabi herum. Vor ihr stand ein großer Mann, der gerade ein teuer aussehendes graues Jackett aus einem Schrank genommen hatte und im Begriff war, es anzuziehen. Das Spiel seiner Muskeln unter dem weißen Hemd ließ erahnen, dass er nicht seine ganze Zeit im Büro verbrachte. Unwillkürlich blickte sie tiefer und stellte fest, dass sich unter seiner Hose durchtrainierte Schenkel abzeichneten.

„Ich warte, Ms. Turner.“

Sie fühlte sich ertappt und spürte, wie sie errötete. Doch sobald sie ihm in die Augen sah, die grau und von langen Wimpern gesäumt waren, verschlug es ihr die Sprache.

Er hatte schwarzes, nicht zu kurz geschnittenes Haar, einen dunklen Teint und markante Züge, die sie ungemein faszinierten. Auf dem Foto in der Zeitung hatte man die feine Narbe an seiner linken Braue genauso wenig erkennen können wie die feinen Fältchen in seinen Augenwinkeln, die von Lebenserfahrung sprachen.

„An Sie kommt man schwer heran“, brachte Gabi schließlich hervor.

Nachdem er die Schranktür geschlossen hatte, durchquerte er den Raum zu seinem privaten Aufzug. „Ich bin schon auf dem Weg nach oben. Da Sie nächsten Dienstag nicht wiederkommen wollen, sagen Sie, was Sie zu sagen haben, bevor ich gehe.“ Schon stand er im Lift und hob die Hand, um auf den Knopf zu drücken. Zweifellos wartete ein Hubschrauber auf dem Dach, der ihn übers Wochenende an irgendeinen exotischen Ort bringen würde.

Als sie eben neben ihm stand, hatte sie sich so klein und unbedeutend gefühlt wie nie zuvor. Selbst wenn sie keinen Termin bei ihm hatte, war seine herablassende Haltung zu viel für sie. Da dies allerdings vielleicht die letzte Gelegenheit war, an ihn heranzukommen, ließ Gabi sich nichts anmerken.

Ohne Zeit zu vergeuden, öffnete sie ihre Handtasche und zog den großen braunen Umschlag heraus. Da Andreas Simonides keine Anstalten machte, diesen entgegenzunehmen, öffnete sie ihn und nahm den Inhalt heraus.

Unter den Ergebnissen der Gentests lag die Titelseite eines griechischen Boulevardblatts, das ein Jahr zuvor erschienen war und ihn feiernd inmitten seiner Partygäste an Bord seiner Jacht zeigte. Gabis ältere Halbschwester Thea, eine griechische Schönheit, gehörte auch zu der Gesellschaft und hob sich von den anderen weiblichen Gästen ab. Die Titelzeile lautete: „Neuer Boss bei Simonides gibt Anlass zum Feiern“.

Zu den Unterlagen gehörte außerdem ein nur wenige Tage alter Schnappschuss von zwei Zwillingsjungen im Babyalter, die T-Shirts und Windeln trugen. Gabi hatte ihn extra vergrößern lassen.

Jetzt hielt sie alles hoch, damit ihm auch das Foto der Kleinen nicht entging, die den gleichen dunklen Teint und das gleiche schwarze Haar wie er und Thea hatten.

Nun, da sie ihm gegenüberstand, fielen ihr auch die anderen Gemeinsamkeiten auf – der spitz zulaufenden Haaransatz in der Stirnmitte und die geschwungenen Brauen.

Allerdings schien der Anblick all dieser Unterlagen ihn nicht im Mindesten zu beeindrucken, wie seine reglose Miene verriet. „Ich sehe Sie nicht auf dem Foto, Ms. Turner. Tut mir leid, wenn Sie in einer so verzweifelten Situation sind, aber auf meiner Schwelle zu erscheinen und Almosen zu verlangen, wird Ihnen nichts nützen.“

Ärgerlich presste Gabi die Lippen zusammen. „Und Sie sind nicht der Erste, der nichts von den Kindern wissen will, die er gezeugt hat.“

„Was für eine Mutter schickt jemanden mit so einem Anliegen?“, erkundigte er sich.

„Ich wünschte, meine Schwester hätte selbst kommen können, aber sie ist tot.“

Plötzlich schien er es sehr eilig zu haben.

„Das ist eine Tragödie. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden …“

Andreas Simonides war gefühlskalt. Sie würde nicht zu ihm durchdringen. Als er auf den Knopf drücken wollte, fragte sie schnell: „Heißt das, Sie haben diese Frau noch nie in Ihrem Leben gesehen?“

Gabi deutete auf das Gesicht ihrer Schwester auf dem Foto. „Vielleicht hilft Ihnen das hier auf die Sprünge.“ Sie klemmte sich die Unterlagen unter den linken Arm, während sie auf ihn zu ging und dabei Theas griechischen Pass aus der Tasche nahm. „Hier.“

Zu ihrer Überraschung nahm er ihr diesen aus der Hand und schlug ihn auf. „Thea Paulos, vierundzwanzig, Athen. Vor fünf Jahren ausgestellt.“ Forschend betrachtete er sie. „Ihre Schwester, sagten Sie?“

„Meine Halbschwester. Daddys erste Frau war Griechin. Nach ihrem Tod hat er meine Mutter geheiratet, die Amerikanerin ist. Dies war Theas letzter Pass, bevor sie sich hat scheiden lassen.“ Gabi biss sich auf die Lippe. „Sie … hat sie mit Freunden auf Ihrer Jacht gefeiert.“

Er gab ihr das Dokument zurück. „Tut mir leid, dass Sie Ihre Schwester verloren haben, aber ich kann Ihnen nicht helfen.“

Schmerz wallte in ihr auf. „Mir tun die Zwillinge leid“, erklärte sie leise. „Dass sie ihre Mutter verloren haben, ist eine furchtbare Tragödie. Wenn sie allerdings alt genug sind, um nach ihrem Vater zu fragen, und ich ihnen sagen muss, dass er irgendwo im Ausland lebt, aber nie etwas von ihnen wissen wollte – das wäre eine noch größere Tragödie.“

Im nächsten Moment schloss sich die Aufzugtür. Wütend und enttäuscht zugleich wandte Gabi sich ab. Sie war drauf und dran, die Unterlagen der Empfangsdame zu überreichen, damit diese ihre Schlüsse daraus ziehen konnte.

Allerdings wollte sie keinen Skandal heraufbeschwören, nicht wenn es auf ihre Familie zurückfallen konnte und vor allem auf ihren Vater, der als Diplomat im Konsulat auf Kreta arbeitete. Er hatte beruflich viel mit wichtigen Geschäftsleuten und Regierungsbeamten zu tun.

Niemand hatte sie gebeten, nach Athen zu fliegen, und außer Mr. Simonides kannte niemand den Grund für ihre Reise, auch nicht ihre trauernden Eltern. Thea hatte während der Schwangerschaft Herzprobleme bekommen und war bei der Geburt an Herzversagen gestorben. So hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, für die Rechte ihrer kleinen Neffen zu kämpfen.

„Mission verfehlt“, flüsterte Gabi. Sie fühlte sich unendlich leer.

Nachdem sie die Unterlagen wieder in den Umschlag getan und diesen eingesteckt hatte, verließ sie das Büro und ging dann an der Empfangsdame vorbei, die ihr höflich zunickte. Wenige Minuten später eilte sie aus dem Gebäude und wollte sich ein Taxi rufen, das sie zum Hotel zurückbrachte.

Doch zu ihrer Überraschung stieg aus einer wartenden Limousine ein Chauffeur aus und kam auf sie zu.

„Ms. Turner?“

Verwirrt blinzelte sie. „Ja?“

„Kyrie Simonides meinte, Sie hätten lange auf ihn gewartet. Ich soll Sie fahren, wohin Sie möchten.“

Sofort beschleunigte sich ihr Puls. Hatte der Vater der Zwillinge etwa doch kein Herz aus Stein? Wenn das Foto der beiden ihn nicht überzeugt hatte, dann würde es der Vaterschaftstest tun.

Da er ihr eine Limousine geschickt hatte, wollte er sich womöglich noch einmal mit ihr treffen, doch er musste Diskretion wahren. Offenbar hatte ein Mann in seiner Position und mit seinem Aussehen gelernt, seine früheren Affären geheim zu halten.

„Danke. Würden Sie mich bitte zum Hotel Amazon bringen?“ Dies befand sich in der Nähe des Firmengebäudes im Herzen der Plaka, einem der ältesten Stadtteile Athens.

Der Chauffeur nickte, während er ihr den Schlag aufhielt.

Ihren Eltern hatte sie erzählt, dass sie sich mit einer Kollegin aus Virginia traf, die gerade in Athen war und mit der sie zusammen etwas Sightseeing machen wollte. Es war ihr schwergefallen zu lügen, doch sie hatte ihnen nicht die Wahrheit sagen können.

Bis zum fünften Schwangerschaftsmonat, als Thea ernsthafte Herzprobleme bekam und ihr Arzt sie ins Krankenhaus einwies, hatte Gabi nicht einmal den Namen des Vaters gekannt. Sobald sich dann abzeichnete, dass sie die Geburt vielleicht nicht überstehen würde, hatte Thea sie gebeten, in ihre Schmuckschatulle zu Hause zu sehen und den Umschlag mitzubringen, den sie darin aufbewahrte.

Gabi hatte ihr die Bitte erfüllt und diesen auf ihre Anweisung hin an ihrem Krankenbett geöffnet. Als sie sah, um wen es sich handelte, war sie schockiert gewesen.

„Das ist alles, was ich von ihm habe“, hatte Thea daraufhin geflüstert. „Wie alle anderen an Bord hatten wir beide zu viel getrunken.“

Gabi hatte entsetzt gestöhnt.

„Ihm hat es überhaupt nichts bedeutet. Er wusste nicht einmal, wie ich heiße. Mir ist das Ganze sehr unangenehm, und er soll nicht für einen Fehler bezahlen müssen, der genauso meiner war. Ich wollte ihn dir nur zeigen, damit du weißt, welche Gene die Kinder geerbt haben. Und nun versprich mir, es gleich wieder zu vergessen.“

Gabi hatte Verständnis dafür gehabt und ihr den Wunsch erfüllen wollen. Von dem ahnungslosen Vater einmal abgesehen, wäre es für die Familie Simonides ein Skandal gewesen. Außerdem wollte sie ihren Eltern zusätzlichen Kummer ersparen.

Da sie tief in Gedanken versunken gewesen war, zuckte sie erschrocken zusammen, als jetzt die Wagentür plötzlich geöffnet wurde.

„Bitte richten Sie Ihrem Arbeitgeber meinen Dank aus“, bat Gabi den Chauffeur, nachdem sie ausgestiegen war.

„Natürlich.“

Zuerst eilte sie in die Snackbar, um eine Kleinigkeit zu essen, bevor sie in ihr Zimmer ging. Egal, was Mr. Simonides vorhatte, er würde bestimmen, wann ihr nächstes Treffen stattfinden würde. Falls es noch eins geben würde …

Sie hoffte nur, er würde sich schnell entscheiden, denn am nächsten Tag musste sie zu ihren Eltern nach Heraklion zurückfliegen. Die beiden hatten mit den Zwillingen, die sechs Wochen zu früh geboren waren, alle Hände voll zu tun.

Als Theas Gesundheitszustand sich so plötzlich verschlechterte, hatte Gabi bis auf Weiteres Urlaub in der Werbeagentur genommen und war von Virginia nach Kreta geflogen. Seit der Geburt kümmerte sie sich um die Babys, weil ihre Eltern als Diplomaten beruflich sehr eingespannt waren und die beiden nicht rund um die Uhr versorgen konnten.

Die Zwillinge waren nun seit drei Monaten auf der Welt, und ihre Stelle als PR-Managerin bei Hewitt and Wilson war vorübergehend mit einer anderen Mitarbeiterin besetzt worden. Deswegen stand sie vor einer wichtigen Entscheidung. Falls Mr. Simonides das Sorgerecht für die beiden beanspruchen würde, musste sie ihre Tätigkeit in Virginia so schnell wie möglich wiederaufnehmen.

Ihr Vorgesetzter war zum Gebietsleiter für die Ostküste ernannt worden und hatte ihr eine höher dotierte Position in Aussicht gestellt. Um Karriere zu machen, musste sie allerdings nach Hause zurückkehren. Noch wichtiger wäre ihr gewesen, für Theas Kinder zu sorgen, aber dann hätte sie ihren Job aufgeben müssen, bis die beiden zur Schule gingen.

Nach der großen Enttäuschung, die sie fünf Jahre zuvor mit dem texanischen Rancher und Ölbaron Randy McCallister erlebt hatte, kamen eine Heirat und Kinder für sie nicht infrage. Wenn Andreas Simonides seine Söhne nicht wollte, würde sie die beiden jedoch aufziehen, weil es ihre Neffen waren. Aber sie würde nach Virginia zurückkehren, in ihre gewohnte Umgebung.

Ihr Elternhaus in Alexandria wäre das perfekte Zuhause, denn es gehörte zu einer bewachten Anlage, in der zahlreiche andere Diplomatenfamilien wohnten. Immer wenn ihre Eltern nicht in Griechenland waren, hatten sie sich dort aufgehalten. Und da es ihrem Vater gehörte, musste sie auch keine Miete oder Hypothekenzinsen zahlen.

Mit ihren Ersparnissen und der finanziellen Unterstützung durch ihren Dad würde sie sich ganz den Kindern widmen können, bis diese eingeschult wurden, und dann wieder berufstätig sein. Inzwischen hatte sie die beiden so lieb gewonnen, als wären es ihre eigenen Kinder.

Vermutlich hatte Mr. Simonides kein Interesse an den Kindern und nur sicherstellen wollen, dass sie verschwand. Also würde sie die Zwillinge in der darauffolgenden Woche mit nach Alexandria nehmen. Bestimmt würde ihre Mutter sie begleiten und ihnen helfen, sich einzugewöhnen, bevor sie nach Kreta zurückkehrte.

Nachdem sie eine Kleinigkeit gegessen hatte, ging Gabi auf ihr Zimmer in der vierten Etage. Kaum hatte sie es betreten, sah sie das rote Licht am Telefon blinken. Neugierig und ängstlich zugleich nahm sie den Hörer ab, um die Sprachnachricht abzuhören.

„Vor dem Hotel wartet eine andere Limousine auf Sie, Ms. Turner. Wenn Sie bis zwanzig Uhr dreißig nicht mit Ihrem Gepäck unten erscheinen, geht es wohl doch nicht um Leben und Tod.“ Sie blickte auf die Uhr. Es war zehn Minuten nach acht. „Ihre Hotelrechnung ist schon bezahlt.“

Als sie auflegte, hatte sie das Gefühl, als wäre alles nur ein Film und nicht das wirkliche Leben. Andreas Simonides hatte sie beobachten lassen. Offenbar waren ihm alle Mittel recht, wenn es um seine Sicherheit ging und darum, seine Privatsphäre zu wahren.

Vermutlich stellten die Paparazzi eine große Bedrohung für ihn dar, vor allem wenn jemand wie sie auftauchte und ihm vor Augen führte, dass eine einzige leidenschaftliche Nacht Folgen haben konnte. Eine Nacht, an die er sich nicht einmal richtig erinnerte, weil er, wie alle, angetrunken gewesen war.

Theas Schilderungen zufolge hatte Andreas Simonides wie ein griechischer Gott ausgesehen. Anders als sie selbst, die die weibliche Figur ihrer Mutter geerbt hatte, hatte ihre Halbschwester schon immer Modelmaße und zahlreiche Verehrer gehabt. Als Andreas Simonides sie unter allen anderen Frauen an Bord ausgesucht und mit in seine Kabine genommen hatte, war sie schwach geworden und seinen Verführungsversuchen erlegen.

Was für eine Ironie des Schicksals, dass sie schwanger geworden war, als sie ihre Scheidung feierte, und dann bei der Geburt ihrer Kinder gestorben war …

Gabi konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Andreas Simonides ihre Schwester vergessen hatte. Aber wenn er ein Mann wie Randy war, hatte es viele schöne Frauen in seinem Leben gegeben. Was für ein Schock musste es für ihn gewesen sein, festzustellen, dass er zwei Jungen gezeugt hatte, die ihm wie aus dem Gesicht geschnitten waren!

Sie hatte nur wenige Minuten Zeit, um sich frisch zu machen und ihre kleine Reisetasche zu packen, bevor sie nach unten ins Foyer eilte. Da sie nicht geplant hatte, länger als eine Nacht in Athen zu bleiben, hatte sie nur ein Outfit zum Wechseln mitgenommen.

Durch die Türen sah sie eine Limousine mit getönten Scheiben, neben der diesmal allerdings ein anderer Fahrer stand. Vermutlich würde er sie zu einem unbekannten Ort bringen, an dem Andreas Simonides sie erwartete.

„Guten Abend, Ms. Turner.“ Er öffnete ihr die hintere Tür, um ihr hineinzuhelfen. „Ich bringe Sie zu Kyrie Simonides.“

„Danke.“

Wenige Minuten später befanden sie sich mitten im dichten Feierabendverkehr. Wieder hatte Gabi das Gefühl, dass sie in einem Film mitspielte, und bei der Vorstellung, einem Fremden gegenüberzutreten, der ihr hoffnungslos überlegen war, schauderte sie.

Es wurde schon dunkel. Falls sie spurlos verschwand, würde ihre Familie niemals erfahren, was ihr zugestoßen war. In ihrem Bestreben, die Zwillinge mit deren Vater zusammenzubringen, hatte sie überhaupt nicht über die damit verbundenen Risiken nachgedacht. Nun gab es jedoch kein Zurück mehr.

Gabi wusste inzwischen nicht genau, was sie zu erreichen hoffte. Ein Junggeselle, der gern feierte und wahllos mit irgendwelchen Frauen schlief, würde keinen besonders guten Vater abgeben, es sei denn, er war bereit, sein Leben zu ändern. Andererseits konnte sie die Zwillinge auch nicht einfach mit nach Virginia nehmen, ohne ihn zumindest über deren Existenz zu informieren. Würde er am Leben der beiden teilnehmen wollen?

Sie wollte, dass er das Sorgerecht für die beiden beanspruchte, sie bei sich aufnahm und immer für sie da sein würde. Ihnen seinen Namen gab und sie als seine Erben anerkannte.

Aber natürlich gab sie sich keinen Illusionen hin. Zweifellos glaubte er, sie wollte Geld von ihm, und ihr anbieten, sie auszuzahlen. Er würde bald erfahren, dass sie nichts Dergleichen im Sinn hatte und die Jungen mit nach Virginia nehmen würde.

Vor ihrem Tod hatte Thea sie gebeten, die Kinder von einem griechischen Ehepaar adoptieren zu lassen, damit sie in ihrem Heimatland aufwuchsen. Ihnen war klar gewesen, dass es für ihre Eltern eine zu große Belastung gewesen wäre, und so hatte Gabi es ihr versprochen.

Nach dem Tod ihrer Schwester war ihr allerdings klar geworden, dass sie ihr den Wunsch nicht erfüllen konnte. Da der Vater der Zwillinge noch lebte, musste er einer Adoption zustimmen.

Außerdem hatte sie die Babys in den letzten drei Monaten lieb gewonnen. Sie selbst war zweisprachig aufgewachsen und wollte ihnen Griechisch beibringen. Die beiden würden es gut bei ihr haben. Niemand außer ihrem leiblichen Vater würde sie ihr jetzt noch wegnehmen können.

Plötzlich wurde der Schlag geöffnet. „Ms. Turner?“, rief der Fahrer ihr zu. „Wenn Sie mir bitte folgen würden …“

Erst als sie aus dem Wagen stieg, merkte Gabi, dass sie sich im Hafen von Piräus befand. Der Fahrer führte sie zu einer etwa fünfzehn Meter langen weißen Luxusjacht, die nur wenige Schritte entfernt an der Mole vertäut lag.

Ein männliches Crewmitglied mittleren Alters nahm ihr die Reisetasche ab und half ihr an Bord. „Meine Name ist Stavros“, stellte der Mann sich vor. „Kyrie Simonides erwartet Sie bereits. Bitte kommen Sie, Ms. Turner.“

Sie folgte ihm zu einer ganz mit Ledersitzen ausgestatteten Panoramalounge, deren Dach geöffnet war. Ihr Gastgeber stand vor den hohen Fenstern und blickte auf den Hafen mit den großen Fähren und den unzähligen Booten. Das Jackett hatte er ausgezogen, die Krawatte abgenommen und die Hemdsärmel hochgekrempelt. Insgeheim musste Gabi ihrer Schwester recht geben. Er sah fantastisch aus.

Nachdem sein Mitarbeiter ihn auf Griechisch informiert hatte, dass die Amerikanerin nun an Bord sei, wandte Andreas Simonides sich zu ihr um.

„Setzen Sie sich, Ms. Turner“, forderte er sie auf. „Möchten Sie etwas essen oder trinken? Stavros bringt Ihnen, was Sie möchten.“

„Nein, vielen Dank. Ich habe gerade gegessen.“

Sobald Stavros den Raum verlassen hatte, zog sie den Umschlag aus ihrer Handtasche und legte ihn neben sich auf den Sitz. Andreas Simonides kam auf sie zu, machte jedoch keine Anstalten, ihn zu nehmen, sondern betrachtete sie stattdessen.

Sie hatte ein ovales Gesicht, einen etwas zu großen Mund, widerspenstiges lockiges Haar und einen hellen Teint. Ihr Dad hatte einmal behauptet, ihre Augen hätten die Farbe von Waldveilchen. Zwar hatte sie diese Blumen noch nie gesehen, aber er hatte so liebvoll geklungen, dass ihre Augen wohl das einzig Bemerkenswerte an ihr waren.

„Mein Name ist Andreas“, erklärte ihr Gastgeber plötzlich zu ihrer Überraschung. „Und Ihrer?“

„Gabi.“

„Meinen Quellen zufolge wurden Sie auf den Namen Gabriella getauft. Ich mag die Kurzform.“

Wenn er seinen Charme spielen ließ, konnte keine Frau ihm widerstehen, so viel stand fest. Thea hatte keine Chance gehabt.

Auch sie selbst hatte Erfahrungen mit Männern wie ihm gesammelt. Früher einmal hatte sie Randy geliebt. Tauschte man die Unternehmen dieses griechischen Tycoons gegen siebenhunderttausend Morgen Ackerland in Texas, eine große Rinderherde und Ölquellen – und voilà … die beiden Männer waren austauschbar. Zum Glück hatte sie ihre Lektion nur einmal lernen müssen. Thea war es genauso ergangen, doch sie hatte dafür mit dem Leben bezahlt.

Fragend zog Andreas Simonides eine Braue hoch. „Wo sind diese Zwillinge jetzt? Bei Ihnen zu Hause in Virginia oder bei Ihren Eltern in Heraklion?“

Da er natürlich viele Leute in hohen Positionen kannte, kostete es ihn nur einen Anruf, um derartige Informationen in weniger als einer Stunde zu bekommen. Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass er die Antwort doch kannte, aber das konnte sie nicht.

„Sie sind auf Kreta.“

„Ich möchte sie sehen“, verkündete er ohne Umschweife.

Dass die Kinder ihn interessierten, schockierte sie ein wenig. Widerstrebend zollte sie ihm Respekt, weil er eingestand, dass er der Vater der beiden sein konnte, so flüchtig seine Affäre mit Thea auch gewesen sein mochte.

„Wann müssen Sie nach Heraklion zurückfliegen?“

„Meine Eltern erwarten mich morgen. Sie denken, ich würde mich hier mit einer ehemaligen Kollegin aus den Staaten treffen.“

„Schicken sie Ihnen einen Wagen zum Flughafen?“

„Nein, ich nehme mir ein Taxi.“

Andreas Simonides verlagerte sein Gewicht auf den anderen Fuß. „Wenn ich Sie in Heraklion absetze, wartet dort ein Taxi auf Sie. Stavros hat Ihnen eine Kabine hergerichtet. Werden Sie leicht seekrank?“

Er wollte sie mit der Jacht nach Kreta bringen?

„Nein.“

„Gut. Ich schätze, Ihre Eltern wissen nicht, wer der Vater der Zwillinge ist. Sonst hätten Sie sie nicht angelogen.“

„Thea wollte nicht, dass sie es je erfahren.“ Vor allem Theas Exmann Dimitri hatte es nicht wissen sollen. Da ihre Ehe nicht glücklich gewesen war, hätte er keine Skrupel gehabt, ihren Fehltritt in der Öffentlichkeit auszuschlachten.

„Aber Ihnen hat sie es anvertraut.“

„Erst als sie dem Tode nahe war.“ Thea hatte niemanden damit belasten wollen. „Sie sagte, sie hätte einen Fehler gemacht, den sie zutiefst bereuen würde. Aber sie wollte die Verantwortung nicht Mom und Dad aufbürden. Ich habe mich an Sie gewandt, um den beiden und Ihnen einen Skandal zu ersparen.“

„Und um Geld von mir zu bekommen“, bemerkte er trügerisch sanft.

„Dass Sie das glauben, kann ich Ihnen nicht verdenken, Mr. Simonides.“

„Andreas.“

Gabi atmete tief durch. „Deswegen bin ich nicht hier. Und Sie brauchen keine Angst zu haben. Thea hat sich geweigert, Ihren Namen in den Geburtsurkunden anzugeben. Mein Versprechen, die Kinder von einem griechischen Ehepaar adoptieren zu lassen, konnte ich allerdings nicht halten.“

„Und warum nicht?“

„Weil Sie noch leben. Ich habe mich über die rechtliche Situation informiert. Niemand kann die beiden ohne Ihre Einwilligung adoptieren. Eigentlich sollten Sie nie von den Kindern erfahren.“

Andreas Simonides zuckte die Schultern. „Wenn es Ihnen nicht um Geld geht, warum haben Sie sie dann nicht einfach weggegeben und die Formalitäten vergessen?“

Starr blickte sie ihn an. „Weil ich sie adoptieren möchte und sichergehen musste, dass Sie nicht das Sorgerecht beantragen, bevor sich sie mit nach Virginia nehme. Schließlich haben Sie als Vater das Recht auf Ihrer Seite.“ Sie atmete tief durch. „Ich als Tante habe es nicht.“

Krampfhaft versuchte sie, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. „Und die Zwillinge haben das Recht, bei ihrem Vater aufzuwachsen, wenn Sie sie haben wollen. Ich musste es zumindest probieren. Wenn Sie sie nicht wollen, erzähle ich alles meinen Eltern, und wir entscheiden, wie es dann weitergeht.“

Plötzlich war die Atmosphäre sehr spannungsgeladen. „Wenn Sie die Wahrheit sagen, gehören Sie zu einer aussterbenden Spezies.“

Seine zynische Bemerkung sagte einiges über ihn aus. Er hatte keine Skrupel, Frauen auszunutzen. In der Hinsicht hatten Randy und er eine Menge gemeinsam. Aber Andreas Simonides mag Frauen nicht besonders, argwöhnte Gabi.

„Wenn sie eines Tages alt genug sind, um es zu verstehen, möchte ich ihnen ins Gesicht sehen und sagen können, ich hätte zuerst alles versucht, um sie mit ihrem Vater zusammenzubringen.“

Seine Augen wirkten fast schwarz, als er sie forschend ansah. „Und was erwartet Sie in Virginia, wenn Ihre Eltern hier in Griechenland sind?“

„Mein Leben, Mr. Simonides. Genau wie Sie habe ich einen Beruf, der mir sehr wichtig ist. Meine Eltern leben und arbeiten auf Kreta. Mein Vater hat immer Verbindungen zur griechischen Regierung gehabt. Und immer wenn die beiden versetzt werden, besuche ich sie gelegentlich an ihrem neuen Wohnort. Aber ich wohne in meinem Elternhaus in Virginia.“

„Wie lange sind Sie schon hier?“

„Ich bin einen Monat vor der Geburt der Zwillinge gekommen. Sie sind jetzt drei Monate alt.“

„Und wie sieht Ihr Tagesablauf aus?“

„Wenn die beiden nicht gerade schlafen oder essen, gehe ich viel mit ihnen spazieren.“

„Wo?“

„Unter anderem in einem Park in der Nähe des Konsulats.“

„Treffen wir uns morgen dort, sagen wir, um drei. Wenn Sie verhindert sind, rufen Sie mich über Handy an, und wir machen eine andere Zeit aus.“

„Das geht in Ordnung“, versicherte Gabi.

„Gut.“ Nachdem er ihr seine Nummer auf eine Visitenkarte geschrieben hatte, reichte er ihr diese. Dann nahm er sein Handy aus der Hosentasche, um Stavros anzurufen, der eine halbe Minute später erschien.

„Kommen Sie, Ms. Turner, ich zeige Ihnen Ihre Kabine.“

„Danke.“ Als sie aufstand, wollte sie den Umschlag mitnehmen, doch Andreas kam ihr zuvor.

„Den bekommen Sie später wieder. Ich hoffe, Sie schlafen gut. Die See ist heute ruhig.“

An der Tür blieb sie stehen und betrachtete ihn. „Danke, dass Sie mich in Ihrem Büro noch empfangen haben. Ihre Empfangsdame sagte, Sie wären schon spät dran. Tut mir leid, wenn ich Sie aufgehalten habe.“

Er neigte den Kopf. „Wenn es um Leben und Tod geht, muss man handeln. Sie brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben. Kalinihta, Gabi Turner.“

Beim Klang seiner tiefen Stimme erschauerte sie. „Kalinihta.“

Während der Steward Gabi zu ihrer Kabine brachte, nahm Andreas sein Handy heraus, um Irena anzurufen – zum zweiten Mal an diesem Abend.

„Hallo, Schatz“, meldete sie sich gleich nach dem zweiten Klingeln. „Ich hatte schon auf deinen Anruf gewartet.“

„Tut mir leid wegen heute Abend“, begann er. „Wie ich dir schon sagte, ist ein Notfall eingetreten, sodass wir nicht an der Geburtstagsfeier teilnehmen konnten.“

„Aber jetzt hast du ja Zeit. Kommst du zu mir?“

Unwillkürlich verstärkte er seinen Griff um das Telefon. „Das geht nicht.“

„Es scheint also etwas Ernstes zu sein, stimmt’s?“

„Ja“, erwiderte er schroff. Nachdem er den ersten Schock überwunden hatte, machte sich Kummer in ihm breit.

„Du möchtest nicht mit mir darüber reden?“

„Doch, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist.“ Er schloss die Augen. Es gab keinen richtigen Zeitpunkt. Nicht hierfür.

„Das heißt, du musst es erst mit Leon besprechen.“

Was hatte sie gerade gesagt?

„Deinem Schweigen nach zu urteilen, hätte ich das nicht sagen sollen. Entschuldige. Aber seit ich dich kenne, wendest du dich mit allem immer zuerst an Leon. Es sollte keine Kritik sein, nur eine Feststellung.“

Irena hatte recht. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich rufe dich morgen an.“

„Egal, was dich belastet, ich bin für dich da, vergiss das nicht.“

„Natürlich nicht.“

S’agapo, Andreas.“

In den sechs Monaten, die sie zusammen waren, hatte er sie lieben gelernt. Bevor Gabi Turner in seinem Büro erschienen war, hatte er vorgehabt, sie zu heiraten, denn es war höchste Zeit für ihn, eine Familie zu gründen. Auf der Party heute Abend hatte er es seiner Familie mitteilen wollen.

S’agapo“, flüsterte Andreas, bevor er die Verbindung beendete.

2. KAPITEL

Am nächsten Nachmittag half ihre Mutter ihr dabei, die Jungen in den Zwillingswagen zu legen. „Es ist heiß draußen.“

„Ein typischer Julitag.“ Gabi hatte die Flaschen mit der Milch schon eingepackt. „Ich habe ihnen ihre dünnsten T-Shirts und Shorts angezogen. Aber im Park ist ja Schatten. Wir werden eine Menge Spaß haben, stimmt’s, ihr beiden?“

Liebevoll küsste sie die fröhlich strampelnden Kleinen auf die Wange. Obwohl sie nur eine Nacht weggeblieben war, hatte sie sie schrecklich vermisst.

„Oh Gabi … Sie sind so süß und sehen Thea so ähnlich!“

„Ich weiß.“ Allerdings waren sie auch jemand anders wie aus dem Gesicht geschnitten. Spontan drückte Gabi ihre Mutter. „Thea wird in ihnen weiterleben.“

„Dein Vater liebt die beiden über alles. Ich weiß nicht, ob er damit fertig wird, wenn du sie mit nach Amerika nimmst. Ich kann es nicht. Bitte versprich mir, es dir noch einmal zu überlegen.“

„Wir haben doch schon so oft darüber gesprochen, Mom. Dad und du habt einfach zu viel um die Ohren. Zu Hause bin ich im Kreis meiner Freunde und werde andere Mütter mit kleinen Kindern kennenlernen. Aber wir werden uns oft besuchen, ja?“

Momentan hatte sie angesichts des bevorstehenden Treffens mit Andreas zu viele Schmetterlinge im Bauch, um sich auf etwas anderes konzentrieren zu können. „Bis später!“

Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die Zwillinge es bequem hatten, verließ sie das Haus im venezianischen Stil, in dem sich das Konsulat und die Wohnungen für die Mitarbeiter befanden. Von hier aus konnte man den Hafen von Heraklion im Norden Kretas überblicken.

Die größte griechische Insel war wegen ihrer strategisch wichtigen Lage im Laufe der Jahrhunderte von den verschiedensten Völkern besetzt worden, und normalerweise schwelgte Gabi in Tagträumen über ihre geschichtsträchtige Vergangenheit. Heute sah sie allerdings angestrengt in Richtung Hafen. Dort unten musste irgendwo die Jacht liegen, mit der sie hierher gesegelt war.

Obwohl die See spiegelglatt gewesen war, hatte sie die ganze Nacht kaum ein Auge zugetan. Andreas Simonides schien doch nicht so in das Bild zu passen, das sie sich von ihm gemacht hatte. Inzwischen wusste sie überhaupt nicht mehr, wie sie ihn einschätzen sollte.

Deshalb war sie spät eingeschlafen. Am Morgen hatte Stavros sie geweckt und ihr ein fürstliches Frühstück in ihre elegante, mit Kirschholz verkleidete Kabine gebracht. Danach hatte sie geduscht und sich die Haare gewaschen und ein marineblaues und weißes Top angezogen, das sie mit weißen Shorts und Sandaletten kombinierte.

Nachdem sie ihre Sachen eingepackt und Lippenstift aufgetragen hatte, hatte sie sich auf die Suche nach Andreas gemacht, ihn aber zu ihrer Enttäuschung nirgends gefunden. Da Stavros ihr mitgeteilt hatte, dass ihr Taxi wartete, war ihr nichts anderes übrig geblieben, als von Bord zu gehen. Er hatte ihr die Tasche abgenommen und sie bis zum Wagen begleitet, und sie hatte sich bei ihm bedankt. Dann hatte der Fahrer sie durch den dichten Berufsverkehr zum Konsulatsgelände gebracht.

Nach ihrer Ankunft hatte sie ihren Eltern gegenüber erwähnt, dass es ganz schön in Athen gewesen wäre, sie die Kinder aber zu sehr vermisst hätte. Diese wiederum hatten sich so darüber gefreut, sie wiederzusehen, dass ihr das Herz aufgegangen war.

Nun, da Gabi sich dem Park näherte, beschleunigte sich ihr Puls. Unbehaglich fragte sie sich, was wäre, wenn Andreas beim Anblick der Kinder sofort beschließen würde, dass er sie haben wollte? Natürlich hatte sie darauf gehofft, doch bei der Vorstellung, sich von ihnen trennen zu müssen, verspürte sie einen schmerzhaften Stich.

Der Park war gut besucht – von Müttern mit Kleinkindern, einigen älteren Leuten, die auf Bänken saßen und sich unterhielten, sowie Touristen, die auf Fahrrädern unterwegs waren und hier eine Verschnaufpause machten. Schließlich entdeckte Gabi den auffallend attraktiven Mann, der im Schatten einer Palme saß und Zeitung las.

Er wirkte ebenso selbstsicher wie weltgewandt, was sie nicht wunderte, denn immerhin gehörte er zu den einflussreichsten Männern des Landes. Er befand sich ständig in Begleitung seiner Bodyguards, die sich allerdings im Hintergrund hielten.

In der lässigen Kleidung – hellblaues Polohemd und sandfarbene Hose –, sah er noch umwerfender aus als am Vortag.

Gabi betrachtete die Zwillinge. Sie sahen wie ihr Daddy aus, ein ungewöhnlicher Mann, der sich nur wenige Meter von ihnen entfernt befand.

Als er sie bemerkte, legte er die Zeitung weg und stand auf.

Nachdem sie den Kinderwagen vor ihm abgestellt hatte, berührte sie den Kopf eines ihrer Neffen. „Das hier ist Kris, eigentlich Kristopher“, sagte sie, ganz außer Atem vor Aufregung. „Und das hier …“, sie zauste seinem Zwillingsbruder das Haar, „… ist Nikos.“

Daraufhin hockte Andreas sich vor den Wagen, um die beiden von Kopf bis Fuß zu betrachten. Er umfasste ihr Kinn, als wollte er sich ihre Züge einprägen, und hielt dann jedem die Hand hin, woraufhin beide seine Finger umfassten und daran zu nuckeln begannen.

Nun musste Gabi lachen. „Er schmeckt gut, nicht? Ihr habt anscheinend Hunger.“ Kurzerhand nahm sie Nikos aus dem Wagen und reichte ihn ihm. „Setzen Sie sich auf die Bank, dann können Sie ihn füttern.“

Ehe er protestieren konnte, hängte sie ihm ein Tuch über die Schulter und drückte ihm eine Flasche in die Hand. „Keine Angst, falls Sie das noch nie gemacht haben. Lassen Sie ihn einen Moment trinken und dann ein Bäuerchen machen. Ich kümmere mich um Kris.“

Nachdem sie neben ihm auf der Bank Platz genommen hatte, konzentrierte sie sich eine Weile auf die Geräusche, die die Zwillinge beim Trinken machten. Schließlich tauschte sie mit Andreas, damit er Kris kennenlernen konnte.

Immer wenn einer der Kleinen ein Bäuerchen machte, lachte Andreas vergnügt. Es überraschte sie, denn am Vortag in seinem Büro hätte sie nie für möglich gehalten, dass er je Humor bewies.

Ihre anfänglichen Bedenken, ob sie das Richtige tat, verflogen nun, da sie ihn mit den Babys beobachtete. Es war ein Anblick, der sich ihr für immer einprägen würde. Thea wäre glücklich darüber gewesen, dass die Kleinen ihren Vater kennengelernt hatten.

Auch wenn sie nicht wusste, wie es sich weiterentwickeln würde, dieses Treffen war eine gute Idee gewesen.

„Wir müssen uns beeilen, weil es so heiß ist.“ Gabi warf ihm einen flüchtigen Blick zu. „Nächstes Mal – wenn Sie wollen, dass es ein nächstes Mal gibt – können Sie einen Spaziergang mit ihnen machen.“

Andreas antwortete nicht, und sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Nach fünf Minuten sagte sie: „So, jetzt sind sie satt.“

Zusammen legten sie die Zwillinge wieder in den Wagen, wobei Andreas’ Arm ihren streifte. Nachdem sie die Tücher und die Flaschen verstaut hatte, richtete Gabi sich auf und begegnete seinem Blick. „Ich muss jetzt los.“ Vielleicht irrte sie sich, aber sie glaubte, Enttäuschung in seinen Augen zu lesen. „Wenn Sie sie wiedersehen möchten, rufen Sie mich über Handy an.“

Daraufhin nahm er sein Mobiltelefon aus der Hosentasche. „Sagen Sie mir Ihre Nummer, dann speichere ich sie gleich.“

Vielleicht war das ein gutes Zeichen. Oder auch nicht? Ihr schauderte bei der Vorstellung, dass er sie anrufen und sagen würde, er würde auf das Sorgerecht verzichten und die Jungen ihr überlassen, so süß er sie auch fände.

Nachdem sie ihm ihre Nummer genannt hatte, schob er den Wagen in Richtung Straße. Eine ältere Frau auf einer Bank rief ihnen zu, dass sie wunderschöne Kinder hätten.

„Efharisto“, bedankte er sich, als würde es sich um eine alltägliche Situation handeln.

Gabi fiel es schwer, sich von ihm loszureißen, doch ihre Mutter würde sich Sorgen machen, wenn sie nicht rechtzeitig zurückkehrte. „Ich muss jetzt wirklich los“, bekräftigte sie deshalb.

„Ich weiß“, erwiderte er rau, bevor er die Babys auf die Stirn küsste. „Sie hören von mir.“

Mit großen Schritten verließ er den Park in die entgegengesetzte Richtung, und je weiter sie sich voneinander entfernten, desto mehr wuchs Gabis Angst.

Die Zwillinge waren Andreas nicht gleichgültig, das hatte sie gesehen und gespürt. Das bedeutete allerdings nicht, dass er nach einer Begegnung mit ihnen bereit war, sie anzunehmen und ein Leben lang die Verantwortung für sie zu tragen, denn neben seiner Arbeit und seinen Freundinnen würde er nicht viel Zeit für die beiden haben.

Sie hatte ihm gesagt, sie würde nächste Woche nach Virginia fliegen. Wenn er nicht wollte, dass sie die Kinder mitnahm, würde er sich bald entscheiden müssen.

Vielleicht würde er einen Kompromiss vorschlagen. Sie würde die beiden großziehen, und er würde sie gelegentlich besuchen. Das wollte sie ihnen jedoch nicht antun, obwohl es sicher besser wäre, als gar keinen Daddy zu haben. Sie liebte ihren Vater so sehr, dass sie sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen konnte.

Momentan konnte sie jedenfalls nichts anderes machen, als sich auf seinen nächsten Anruf einzustellen.

In Begleitung seiner Bodyguards eilte Andreas zu seinem Hubschrauber, der im Flughafen von Heraklion auf ihn wartete. Sobald er sich an Bord befand, wies er den Piloten an, ihn zu der familieneigenen Villa auf Milos zu fliegen, wo der ganze Clan sich übers Wochenende versammelt hatte.

Am Vorabend hatte seine Schwester Melina ihren dreißigsten Geburtstag groß gefeiert, aber er hatte nicht dabei sein können, da es sich um eine Angelegenheit handelte, bei der es um „Leben und Tod“ ging. In diesem Punkt hatte Gabi Turner recht gehabt.

Obwohl seine verheiratete Schwester ihm am Telefon gesagt hatte, es wäre nicht so schlimm, wusste er, dass sie verletzt gewesen war. Er hatte ihr versprochen, es wieder gutzumachen, aber die Gelegenheit, ihren Ehrentag im Kreis der Familie mit ihr zu begehen, würde sich erst in einem Jahr wieder bieten.

Doch so leid es ihm tat, er hatte momentan andere Dinge im Kopf und konnte an nichts anderes denken. Versonnen erinnerte er sich, wie es sich angefühlt hatte, als die beiden Kleinen an seinen Fingern genuckelt hatten. Die seltsamsten Empfindungen waren in ihm erwacht.

Zwar hatte er zehn Nichten und Neffen, aber denen war er nur nahe gekommen, als man sie nach der Geburt auf einer Familienfeier herumgereicht hatte.

Heute hingegen schien es ihm, als hätte er die ganze Zeit Scheuklappen aufgehabt, ohne es zu merken. Kris und Nikos waren nicht irgendwelche Babys, sondern ihm schon jetzt trotz ihres zarten Alters wie aus dem Gesicht geschnitten.

Gleich nachdem er die Villa betreten hatte, machte Andreas sich auf die Suche nach seiner Mutter und traf sie in der Küche an, wo sie Tina, der Köchin, bei den Vorbereitungen fürs Essen über die Schulter sah.

„Da bist du ja, mein Schatz!“, begrüßte sie ihn, lebhaft wie immer.

Er küsste sie auf die Wange. „Ich konnte leider nicht kommen.“

Daraufhin zog sie die ausdrucksvollen Brauen hoch. „Eine heikle Fusion?“

„Sehr heikel sogar“, bestätigte er leise.

„Du klingst wie dein Vater. Ehrlich gesagt, bin ich froh darüber, dass er dir endlich das Ruder überlassen hat. Seitdem hat er sich völlig verändert. Hoffen wir, dass deine zukünftige Frau mehr Einfluss auf dich hat, damit du dir ab und zu freinimmst. Du arbeitest jetzt schon zu viel, wenn du sogar Melinas Geburtstagsparty verpasst.“

Versöhnlich umarmte er sie. „Wo sind eigentlich die anderen?“ Zwar kannte er die Antwort, aber er wollte ihr nicht den Eindruck vermitteln, dass irgendetwas anders war als sonst.

„Sie laufen immer noch Wasserski. Deine Großeltern sitzen auf der Veranda und beobachten, wie dein Vater und Onkel Vasio sie übers Wasser ziehen. Wir essen in einer Stunde am Pool.“

„Dann kann ich ja noch mitmachen.“ Nachdem er sich einen Appetithappen von einem der Tabletts genommen hatte, verließ er das Haus und ging zu seiner Villa, die sich ein Stück weiter am Strand entlang befand.

Das weitläufige Anwesen, das aus mehreren miteinander verbundenen Villen im kykladischen Stil bestand, diente der Familie schon seit Generationen als Zufluchtsort. Da er beruflich stark eingebunden war und sein Penthouse in Athen nicht so oft verlassen konnte, wie er wollte, hatte er sich umso mehr auf das Wochenende auf Milos gefreut.

Wer hätte gedacht, dass kurz vor seiner geplanten Abreise eine unschuldig aussehende, nach wildem Jasmin duftende Blondine in seinem Büro auftauchen und ihn mit einer derartigen Nachricht überraschen würde?

Noch immer unter Adrenalin stehend, zog Andreas eine Badehose an und joggte zum Strand.

„Da ist Onkel Andreas!“, rief eine seiner Nichten, die am Strand wartete, und rannte freudestrahlend auf ihn zu, gefolgt von ihrem Bruder. „Kannst du uns ziehen? Großvater ist noch nicht wieder da.“

Die Kinder seiner Schwester Leila waren mit sieben und neun die Jüngsten. „Na los, ab in mein Boot“, erwiderte er jungenhaft lächelnd. „Wir zeigen es ihnen. Du lässt deiner Schwester den Vortritt, Jason.“

„Okay!“

Nachdem eine halbe Stunde lang fröhliches Durcheinander geherrscht hatte, kehrten alle zum Essen zur Villa zurück. Als Andreas sein Boot am Steg vertäute, stellte er erfreut fest, dass nur noch sein Bruder Leon am Strand war. Dessen Frau Deline war schon mit den anderen vorgegangen.

„Wie war die Feier gestern Abend?“, erkundigte Andreas sich, während er ihm beim Vertäuen half.

Leon warf ihm einen Blick zu. „Gut, aber Vater war nicht besonders erfreut darüber, dass du nicht aufgetaucht bist. Er hatte gehofft, dich mit Irena zu sehen.“

Irena Liapis war die Tochter von Freunden seiner Eltern, denen eine große Tageszeitung in Griechenland gehörte. Es war die Zeitung, in der das Foto von Thea an Bord seiner Jacht erschienen war.

Alle in seiner Familie mochten sie und hofften, dass er sich bald mit ihr verloben würde, zumal seine vier Geschwister bereits verheiratet waren.

Andreas stöhnte. Die große Liebe hatte er bisher noch nicht erlebt. Vielleicht gab es sie auch gar nicht, und er machte sich nur etwas vor, weil er schon zu lange allein lebte. Allerdings hatten sich seine Gefühle Irena gegenüber im Laufe der Monate vertieft. Sie war nicht nur schön, sondern auch klug und liebenswert. Falls er sie heiratete, würde seine Ehe funktionieren, das wusste er.

Mit Gabi Turners unerwartetem Auftauchen am Vortag hatten sich jedoch all seine Pläne zerschlagen. Momentan konnte er weder an Irena noch an etwas anderes denken.

Natürlich war es nicht fair, Geheimnisse vor seiner Verlobten zu haben, aber das ganze Leben war nicht fair, wie er gerade erfahren hatte – weder den Zwillingen gegenüber, die ihre Mutter verloren hatten, noch Gabi gegenüber, die die Verantwortung auf sich genommen hatte, die beiden großzuziehen.

In einvernehmlichem Schweigen gingen sein Bruder und er in Richtung Villa, wobei Leon seine Sandalen hochhob, die noch im Sand lagen. „Dass du nicht gekommen bist, war ein ziemlicher Schock für Vater.“

„Ja, weil er eine Schwäche für Melina hat.“ Sie war die Jüngste unter den Geschwistern.

„Wenn du die Fusion mit den Kanadiern an Land ziehst, verzeiht er es dir bestimmt.“

Andreas runzelte die Stirn. „Die findet vielleicht nicht statt. Ich überlege immer noch, ob sie für uns von Vorteil wäre.“

„Du machst wohl Witze. Stell dir vor, was wir damit verdienen würden!“

„Nein, ich meine es ernst. Ich glaube, sie haben größere Probleme, als sie zugeben.“ Er warf Leon einen Blick zu. „Apropos Probleme … Ich muss etwas mit dir besprechen.“

„Falls du von den Schürfrechten in …“

„Nein“, unterbrach Andreas seinen Bruder, der in der Firma als sein Stellvertreter fungierte. „Das war ein brillanter Schachzug von dir.“ „Was ich meine, hat überhaupt nichts mit dem Unternehmen zu tun. Komm bitte nach dem Essen in meine Villa. Ich muss dir etwas zeigen.“

Leon sah ihn neugierig an. „Das klingt ja sehr mysteriös! Was ist denn los?“

„Das wirst du früh genug erfahren.“

Andreas genoss das Essen im Kreis seiner Familie und überreichte Melina anschließend sein Geburtstagsgeschenk, das er auf einer seiner Geschäftsreisen in den Balkanländern gefunden hatte. Sie sammelte Matrjoschkapuppen und freute sich riesig über dieses Exemplar. Während die anderen beim Dessert saßen, zog er sich in seine Villa zurück. Kurz darauf erschien Leon.

„Schließ die Haustür hinter dir ab. Ich möchte nicht, dass wir gestört werden.“

Leon warf ihm einen verwirrten Blick zu, als er ins Wohnzimmer kam. „Was ist denn los? Das letzte Mal habe ich dich so erlebt, als Vater den Herzinfarkt hatte.“

Herzinfarkt war sein Stichwort.

Nach der ersten Begegnung mit Gabi Turner am Vortag stand Andreas immer noch unter Schock. Er reichte Leon den Zeitungsausschnitt.

Nachdem dieser das Foto betrachtet hatte, hob er den Kopf. „Warum zeigst du mir ein Bild von dir? Das verstehe ich nicht.“ Er reichte es ihm zurück.

„Hast du auf das Datum geachtet? Es ist vor einem Jahr erschienen. Damals war ich mit unserem großen Bruder geschäftlich in den USA. Wie immer haben die Paparazzi uns beide verwechselt. Es war zu der Zeit, als Deline und du euch vorläufig getrennt habt. Diese schwarzhaarige Schönheit, die dich auf dem Foto ansieht, war besagte Frau, stimmt’s?“

Erst jetzt fiel Andreas auf, dass Thea sowohl Deline als auch Irena vom Typ her ähnelte. Manchmal wunderte ihn, dass Leon und er ähnliche Vorlieben hatten, nicht nur beim Essen und im Sport, sondern auch was Frauen anging. All ihre Partnerinnen waren dunkelhaarig.

„Ja“, flüsterte Leon. „Und hätte ich Deline nicht alles gebeichtet, wäre meine Ehe am Ende gewesen. Dass sie mir verziehen und uns noch eine Chance gegeben hat, ist ein Wunder.“

Unvermittelt riss er ihm dann den Zeitungsausschnitt aus der Hand und zerknüllte ihn. „Warum musst du mich daran erinnern? Hör zu, Andreas …“ Zornesröte stieg ihm ins Gesicht.

„Ich habe zugehört“, konterte Andreas leise. „Da du und Deline mir sehr wichtig seid, habe ich in den letzten vierundzwanzig Stunden alles getan, um euch zu schützen und das hier geheim zu halten.“

„Was meinst du damit?“

„Ich dachte, du würdest gern den Namen der Frau wissen, mit der du auf der Jacht zusammen warst. Sie hieß Thea Paulos und war die Tochter von Richard Turner, der im amerikanischen Konsulat auf Kreta arbeitet. Ihr Exmann Dimitri Paulos ist der Sohn von Ari Paulos, dem Inhaber von Paulos Metallexporte, einer der Firmen, die wir vor einigen Jahren übernommen haben.“

Während sein Bruder regungslos dastand und mühsam schluckte, nahm Andreas das Foto der Zwillinge und die Ergebnisse des Vaterschaftstests aus dem Umschlag und reichte sie ihm.

Fassungslos sank Leon auf die Couch, um die Kinder zu betrachten, die er unwissentlich gezeugt hatte. Einerseits bedauerte Andreas ihn, weil er sich in diese unglückliche Lage gebracht hatte, andererseits hielt er ihn für den glücklichsten Mann auf Erden, weil er so wunderschöne Söhne hatte.

„Das Ergebnis des Vaterschaftstests ist zu fast hundert Prozent sicher“, fügte er hinzu, woraufhin Leon aschfahl wurde. „Ich habe sie gesehen“, fuhr Andreas dann fort, während er an das unvergessliche Erlebnis dachte, das er Gabi zu verdanken hatte.

Fassungslos blickte Leon ihn an. „Du hast sie …?“

„Ja. Sie sind drei Monate alt.“

„Drei Monate?“, wiederholte Leon entgeistert. „Wie hat Thea sich mit dir in Verbindung gesetzt?“

„Das hat sie nicht. Sie ist bei der Geburt gestorben – eine Tragödie.“

„Sie ist tot?“, hakte Leon benommen nach.

„Gabi Turner, ihre Halbschwester, kam gestern zu mir ins Büro. Sie hatte heute ein Treffen mit den Kindern arrangiert.“

Angespannt sprang Leon auf.

„Keine Panik, Leon. Ich weiß, was du denkst, aber du irrst dich. Zuerst einmal glaubt sie, ich wäre der Vater.“

„Du hast ihr nicht erzählt, dass ich der Mann auf dem Foto bin?“

„Nein.“

Leon wandte den Blick ab. „Wie viel Geld verlangt sie, damit sie den Mund hält?“, erkundigte er sich leise.

Es war eine berechtigte Frage, denn er hatte sie sich auch gestellt. „Vergiss es. Sie will mich nicht erpressen, sondern möchte etwas ganz anderes.“

„Und du hast ihr geglaubt?“, rief Leon und packte seinen Bruder bei den Schultern.

Hatte Gabi womöglich gelogen? Einen Moment lang sah Andreas schwarz, doch dann besann er sich auf seinen gesunden Menschenverstand.

„Ja. Sie hat nur Kontakt zu mir aufgenommen, damit ich erfahre, dass ich zwei Söhne habe, bevor sie Griechenland verlässt. Darauf würde ich mein Leben verwetten.“

„Und warum sollte sie das tun?“

Andreas atmete scharf ein. „Sie sagte, die beiden hätten ein Recht darauf, ihren Vater kennenzulernen.“

Für einige Sekunden betrachtete Leon ihn aus zusammengekniffenen Augen. Dann ließ er ihn los. „Es könnte ein Trick sein. Wohin will sie fliegen?“

„Nach Alexandria, in Virginia. Da hat ihr Vater seine Diplomatenlaufbahn begonnen. Ich habe es überprüfen lassen.“

Während Leon sprachlos vor ihm stand, klingelte plötzlich sein Handy. Nachdem Andreas aufs Display geblickt hatte, schaltete er es ein. „Ja, Mutter?“

„Wo bist du?“

„In meiner Villa.“ Er sah seinen Bruder an. „Leon ist bei mir.“

„Könnt ihr beide nicht wenigstens für einen Abend das Geschäftliche vergessen?“

„Ja. Wir kommen gleich.“

„Gut. Alle fragen schon nach euch. Deline hat Leon überall gesucht. Wir wollen gleich Familienfilme ansehen.“

Andreas ging in sein Arbeitszimmer und tat den Umschlag dort in die Schreibtischschublade, bevor er sich wieder an seinen Bruder wandte und diesen ernst betrachtete. „Da Gabi denkt, ich wäre der Vater, lassen wir sie erst mal in dem Glauben.“

Als Leon ihm den zusammengeknüllten Zeitungsausschnitt reichte, legte Andreas diesen in einen Aschenbecher und zündete ihn an. „Bevor du irgendeine Entscheidung triffst, musst du die Kinder kennenlernen.“

Leon stöhnte gequält.

„Ich rufe Gabi an und frage sie, ob wir uns Montag treffen können. Den anderen sagen wir, es würde sich um eine dringende geschäftliche Angelegenheit handeln. Wir bleiben ja nicht lange weg.“

Sein Bruder barg das Gesicht in den Händen. „Wie soll ich bis dahin bloß so tun, als wäre alles normal?“

Andreas straffte die Schultern. „Wir werden schon eine Möglichkeit finden.“

„Wenn Deline davon erfährt … Ich schwöre dir, ich habe seitdem alles getan, damit unsere Ehe funktioniert. Es ist nur das eine Mal passiert und wird nie wieder vorkommen. Ich liebe Deline“, fügte Leon mit bebender Stimme hinzu.

„Ich glaube dir.“

„Du weißt ja, warum wir uns damals für zwei Monate getrennt hatten. Deline hatte mir immer damit in den Ohren gelegen, dass ich zu viel arbeite und mit der Firma verheiratet wäre. Sie hat sich vernachlässigt gefühlt und mir vorgeworfen, ich sei daran schuld, dass sie noch nicht schwanger geworden ist. Als sie gesagt hat, sie wolle sich von mir trennen, weil sie Zeit zum Nachdenken braucht, bin ich durch die Hölle gegangen. Nachdem ich wochenlang versucht hatte, mit ihr zu reden, hat sie angedeutet, sie würde sich von mir scheiden lassen. Ich war so verletzt, dass ich spontan eine Party auf der Jacht veranstaltet habe, um mich abzulenken. Einige Freunde haben noch Bekannte mitgebracht. Wir haben alle zu viel getrunken. Ich hatte nie vor, mich mit einer Frau einzulassen.“

Andreas hatte das schon alles gehört. Bereits zu dem Zeitpunkt war ihm klar gewesen, wie sehr sein Bruder unter dem Fehltritt litt, doch nun hatte dieser eine ganz andere Dimension bekommen.

Nachdem er eine Weile nervös auf und ab gegangen war, blieb Leon stehen und wandte sich wieder zu ihm um. „Es war der größte Fehler meines Lebens, und es gibt keine Entschuldigung dafür.“ Gequält schloss er kurz die Augen. „Tut mir leid, dass ich dich da mit hineingezogen habe.“ Nach einer Pause fuhr er fort: „Es ist einzig und allein mein Problem, aber ich habe keine Ahnung, was ich jetzt tun soll.“

Wenigstens übernahm Leon die Verantwortung für sein Verhalten. „Wenn du die Babys erst einmal gesehen hast, wirst du es wissen. Bis dahin können wir nichts machen. Geh jetzt zu Deline. Ich komme in ein paar Minuten nach.“

Obwohl er seiner Mutter versprochen hatte, sich gleich zu ihnen zu gesellen, wollte er erst Gabi anrufen. Dass er sich so darauf freute, wieder mit ihr zu sprechen, überraschte ihn.

Gabi hatte an diesem Abend gerade zum letzten Mal die Windeln gewechselt, als sie ihr Handy klingeln hörte. Sie hatte es in die Tasche ihrer Jeans gesteckt, um Andreas’ Anruf nicht zu verpassen.

Als sie seinen Namen auf dem Display las, freute sie sich. Und da ihre Eltern mit Gästen essen gegangen waren, konnte sie frei reden.

„Andreas?“, meldete sie sich ein wenig außer Atem.

„Guten Abend“, erklang seine tiefe Stimme, die Thea offenbar auch unter die Haut gegangen war.

Dass ihre Schwester eine intime Beziehung mit ihm gehabt hatte, verstärkte ihre Schuldgefühle und ihre Wut auf sich selbst, weil sie überhaupt etwas für ihn empfand.

„Störe ich?“, hakte Andreas nach.

„Nein.“ Gabi verließ das Schlafzimmer, das momentan als Kinderzimmer diente, und schloss die Tür hinter sich. „Die Kleinen liegen im Bett und melden sich erst wieder gegen drei, wenn sie Hunger haben.“

„Dann möchte ich Sie nicht lange aufhalten. Sie brauchen Ihren Schönheitsschlaf.“

Sie ging auf seine Bemerkung nicht ein, denn er interessierte sich nur für die Zwillinge, die ihm ans Herz zu wachsen schienen – genau wie sie es sich gewünscht hatte. „Möchten Sie sie wiedersehen?“

„Ja. Können wir uns am Montag wieder im Park treffen?“

Sofort beschleunigte sich ihr Puls. „Natürlich. Wann passt es Ihnen? Vormittags oder nachmittags?“

„Gern am Vormittag.“

„Sagen wir, um zehn? Dann sind sie gefüttert und gebadet.“

„Ich freue mich darauf, sie wiederzusehen.“

Das war ein sehr gutes Zeichen. „Die beiden lieben es, wenn man sich mit ihnen beschäftigt. Also, bis dann!“

„Gabi?“

Sein Unterton ließ sie aufhorchen. „Ja?“

Andreas atmete tief ein. „Vielen Dank, dass Sie sich um sie kümmern.“

Noch wusste sie nicht, welche Pläne er hatte. Womöglich wäre das Treffen am Montag das letzte. Darauf musste sie sich einstellen. „Sie brauchen sich nicht bei mir zu bedanken. Das ist doch selbstverständlich.“

„Anscheinend mögen Sie keine Komplimente. Dann möchte ich es anders ausdrücken. Nicht jeder würde so etwas tun – weder für die Schwester noch für sonst jemanden.“

„Vergessen Sie nicht, dass ich bei der Geburt dabei war. Es war eine Erfahrung, die mein ganzes Leben verändert hat.“

„Das glaube ich Ihnen. Ta leme.

Bis später, hatte er gesagt.

Als Gabi auflegte, wünschte sie, das Treffen würde schon am Sonntag stattfinden. Sie musste wissen, was er vorhatte, bevor sie nächste Woche abreiste. Es war nicht gut, noch länger in Griechenland zu bleiben, denn sie musste endlich ihr Leben weiterleben und ihre Eltern ihres.

Am Montagmorgen nickte Kris auf dem Weg zum Park ein, denn er war noch lange wach gewesen, nachdem Gabi ihn gegen drei gefüttert hatte. Nikos hingegen war putzmunter.

Als sie zu der Bank kam, an der sie sich mit Andreas treffen wollte, nahm sie den Kleinen heraus, um ihm den Springbrunnen zu zeigen. Nach einer Weile drehte sie sich zum Wagen um und bemerkte Andreas, der sich über den Kleinen beugte.

Immer wenn sie ihn sah, verspürte sie ein Prickeln, das sie beim besten Willen nicht unterdrücken konnte. Er trug einen leichten hellgrauen Anzug und ein weißes Hemd ohne Krawatte, der Inbegriff maskuliner Schönheit – was er auch für Thea gewesen war, wie Gabi sich schuldbewusst ins Gedächtnis rief.

Früher einmal hatte sie geglaubt, kein Mann würde an Randy heranreichen. In den zwei Ferienwochen, die sie bei ihrer Studienfreundin Rachel McCallister verbrachte, hatte sie sich Hals über Kopf in deren Cousin verliebt und geglaubt, es würde ewig halten.

Zu spät hatte sie erfahren, dass sein faszinierender Akzent und seine funkelnden blauen Augen alles waren, was seinen Charme ausmachte. Er hatte sie abreisen lassen, ohne sie zu fragen, ob sie sich wiedersehen würden. Durch Rachel hatte sie dann erfahren, dass er seine alte Freundin heiraten würde, und war am Boden zerstört gewesen.

Seitdem war sie mit einigen attraktiven, erfolgreichen Männern ausgegangen, die sie durch ihre Arbeit oder über ihre Eltern kennengelernt hatte, aber immer darauf bedacht gewesen, dass nicht mehr daraus wurde. Sie hatte sich voll und ganz ihrer Arbeit gewidmet.

Zum Glück hatte sie ihre Lektion vor der Begegnung mit Andreas Simonides gelernt, denn den Fehler von damals würde sie nicht noch einmal machen.

Mit Nikos auf dem Arm ging sie auf Andreas zu. „Guten Morgen.“

„Kalimera“, grüßte er in beinah verführerischem Tonfall und betrachtete sie einen Moment lang, bevor er den Blick zu Nikos schweifen ließ. Sofort begannen seine Augen zu leuchten. „Na, erinnerst du dich noch an mich?“ Liebevoll küsste er ihn auf die Wange.

„Gabi?“ Ein wenig ängstlich, so schien es ihr, sah er sie an. „Ich habe jemanden mitgebracht, den ich Ihnen vorstellen möchte.“

Vielleicht handelte es sich um eine Frau, die er heiraten wollte. Gabi zwang sich, ruhig zu bleiben. Natürlich wäre diese Frau hoffnungslos in ihn verliebt. Aber was wäre, wenn sie erfuhr, dass er zwei Söhne hatte? Würde sie die Kinder akzeptieren und irgendwann auch lieben?

Plötzlich erwachte Gabis Kampfgeist. Keine Frau konnte sich so gut um die Kleinen kümmern wie sie, doch es stand ihr nicht zu, weil sie keinen Anspruch auf das Sorgerecht hatte.

Andreas merkte offenbar, was in ihr vorging, denn er umfasste ihren Arm und drückte ihn sanft. „Schon gut“, flüsterte er. „Ich vertraue ihm bedingungslos.“

Ihm?

Ihr Herz setzte einen Schlag aus, während Andreas um die Ecke der Mauer verschwand. Wenige Sekunden später kehrte er mit einem Begleiter zurück. Gabi erschrak, denn plötzlich sah sie ihn doppelt.

Alarmiert blinzelte sie, doch es änderte sich nichts. Als die beiden näher kamen, stellte sie fest, dass mit ihren Augen alles in Ordnung war. Andreas hatte einen Doppelgänger, der einen braunen Anzug und ein weißes Hemd trug, anders als er aber keine Narbe hatte.

Überrascht blickte sie Andreas an. „Sie haben einen Zwillingsbruder!“

„Richtig. Gabriella Turner, ich möchte Ihnen meinen besten Freund und fünf Minuten älteren Bruder Leonides Simonides vorstellen.“

„Hallo, Mr. Simonides.“ Noch immer fassungslos, schüttelte sie seinem Bruder die Hand.

„Leon? Das sind deine Söhne.“

3. KAPITEL

Thea war mit Leonides Simonides zusammen gewesen und nicht mit Andreas?

„Ms. Turner? Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

Leon wirkte genauso verblüfft, wie Gabi es war. Ungläubig betrachtete er die Zwillinge.

„Gabi hat Nikos auf dem Arm“, erklärte Andreas. „Da hinten im Wagen liegt Kris. Anscheinend ist er gerade aufgewacht.“

„Möchten Sie Nikos nehmen?“

Für Leon, der trotz seiner Sonnenbräune blass geworden war, musste es der bewegendste Moment seines Lebens sein.

„Und was mache ich, wenn er anfängt zu weinen?“

„Das wird er nicht.“ Sie reichte ihm das Baby.

Inzwischen war Andreas zum Wagen gegangen und küsste Kris auf die Wange. Damit die beiden Männer für eine Weile allein sein konnten, setzte sich Gabi in einiger Entfernung auf die Bank, um ihr Buch zu beenden, eine Biografie über die amerikanische Köchin Julia Child.

Schon seit Jahren hatte sie kein so gutes Buch mehr gelesen. Genau wie Julia hatte sie aufgrund einiger prägender Erlebnisse eine große Liebe zum Kochen entwickelt. Nachdem man ihren Vater nach Kreta versetzt und sie ihren ersten Pastitio, einen Nudelauflauf, probiert hatte, hatte sie ihre Leidenschaft für die griechische Küche entdeckt.

In den letzten Monaten hatte sie oft in der Küche des Konsulats gekocht, entschlossen, später den Zwillingen die griechische Küche nahezubringen. Inzwischen konnte sie auch Spanakopita zubereiten, die berühmte Pastete aus Schafskäse und Spinat.

Als Gabi merkte, dass sie die letzte Seite schon mehrmals gelesen hatte, klappte sie das Buch zu und ließ den Blick zu den beiden Männern schweifen. Nikos lag wieder im Wagen, und Andreas und Leon standen daneben und redeten.

Da sie nicht stören wollte, wartete sie, bis Andreas mit dem Kinderwagen auf sie zukam. Sie tat das Buch in ihre Tasche und stand auf. Dabei sah sie, dass Leon den Park verlassen hatte.

„Ich möchte mich für meinen Bruder entschuldigen“, sagte er, sobald er vor ihr stand.

„Das brauchen Sie nicht. Schließlich hat er gerade erfahren, dass er Vater ist, noch dazu von Zwillingen.“ Das Glücksgefühl, das sie noch kurz zuvor empfunden hatte, war verflogen. Nicht in ihren kühnsten Träumen hätte sie für möglich gehalten, dass sein Zwillingsbruder der Vater sein könnte!

Mit ernster Miene betrachtete Andreas sie. „Und er ist seit drei Jahren verheiratet.“

Sie stieß einen schockierten Laut aus. Hatte Thea nicht davon gewusst, oder hatten die beiden es im Rausch der Leidenschaft verdrängt?

„Offenbar braucht er etwas Zeit“, flüsterte Gabi.

„Sie sind wirklich sehr verständnisvoll. Ich bin sicher, dass er mit Ihnen reden möchte, sobald er sich wieder gefangen hat.“

Das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, doch sie behielt es für sich.

„Vielen Dank, dass Sie dieses Treffen heute ermöglicht haben, Gabi.“

Das klang wie eine Abschiedsrede. Wahrscheinlich hatte Leon ihm gerade klargemacht, dass er mit der Situation nicht umgehen konnte. Und er wäre nicht der erste Vater gewesen, der sich seiner Verantwortung entzog.

Ihr tat Andreas leid, der ihn offenbar sehr liebte und alles getan hatte, um ihm zu helfen.

„Natürlich. Ich habe mich ja auch an Sie gewandt. Dank Ihnen werde ich die Kinder niemals anlügen müssen.“ Gabi räusperte sich, bevor sie fortfuhr: „Wenn ich nach Virginia zurückkehre, werde ich einen neuen Telefonanschluss beantragen und Ihnen die Nummer mitteilen. Falls Ihr Bruder sich also je mit mir in Verbindung setzen möchte, können Sie sie ihm zusammen mit meiner Handynummer geben. Ach, und richten Sie ihm bitte aus, dass ich nie mit irgendwelchen Forderungen an ihn herantreten werde.“

Seine Augen schienen noch dunkler zu werden. „Wann fliegen Sie?“, fragte Andreas schroff.

„Übermorgen.“ Um das Unvermeidliche nicht länger hinauszuzögern, streckte sie ihm die Hand entgegen. „Leben Sie wohl, Mr. Simonides.“

Als Gabi am Dienstagabend dabei war, die letzten Babysachen in ihrem großen Koffer zu verstauen, signalisierte ihr Handy den Eingang einer Textnachricht. Ihre Eltern spielten gerade im Kinderzimmer mit den Jungen und würden diese gleich ins Bett bringen.

Nach ihrem Abschied von Andreas am Vortag hatte Gabi sich große Mühe gegeben, das Ganze zu verdrängen und sich ihren Eltern gegenüber nichts anmerken zu lassen. Natürlich war sie traurig, doch das würden die beiden auf ihre bevorstehende Abreise zurückführen.

Zum Glück ahnten sie nicht, dass sie den Vater der Zwillinge kennengelernt hatte. Zu ihrem Kummer unternahm er nichts, um sie zum Bleiben zu bewegen.

Um der Kinder willen tat es ihr unendlich leid.

Sie konnte es kaum ertragen, aber sie musste damit fertig werden, weil sie es mit Andreas so vereinbart hatte.

Seufzend nahm sie das Handy von der Kommode. Ihre Freundin Jasmin wusste, dass sie am nächsten Tag eintreffen würde, und wollte vermutlich ihre Flugnummer und Ankunftszeit wissen. Als sie allerdings sah, von wem die Nachricht stammte, begann ihr Herz wild zu pochen:

Bin gerade in Heraklion eingetroffen. Kommen Sie bitte in den Park, wenn Sie die Zwillinge ins Bett gebracht haben. Wenn es sein muss, warte ich bis morgen, denn wir müssen miteinander reden. A.

Beinah hätte sie vor Freude laut geschrien. Anscheinend hatte Leon es sich anders überlegt und wollte die Kinder doch noch einmal sehen. Und sie würde Andreas wiedersehen. Bei dieser Vorstellung beschleunigte sich ihr Puls noch mehr.

Nachdem sie den Koffer zugeklappt hatte, eilte Gabi in ihr Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Hastig streifte sie T-Shirt und Jeans ab und schlüpfte in das weiße Top und die graue Leinenhose, die sie schon für die Reise herausgelegt hatte.

Schnell kämmte sie sich und trug Lippenstift auf, bevor sie einen Blick ins Kinderzimmer warf. „Ich gehe noch mal kurz raus, um ein paar Kleinigkeiten zu besorgen.“

„Bleib nicht zu lange weg“, erwiderte ihr Dad, der Nikos gerade in den Schlaf sang, ein rührender Anblick.

„Versprochen.“

Eine Minute später winkte sie dem Wachmann am Ausgang zu und ging in Richtung Park. Im Dämmerlicht wirkte Kreta immer besonders schön, aber noch nie war ihr die Insel magischer erschienen als an diesem Abend. Es liegt daran, dass Andreas auf mich wartet, gestand Gabi sich ein.

Vielleicht hatte Thea sich auch so gefühlt, als sie Leon an jenem Abend auf der Jacht begegnete – als wäre der Himmel ganz nah und als wäre einer der Zwillingsgötter vom Olymp herabgestiegen, so nah, dass ein Mensch ihn berühren konnte.

Er war ihr sehr nahegekommen und hatte ihr zwei kleine sterbliche Wesen geschenkt. Und nun war sein Zwillingsbruder Andreas hier, um ein Geschäft zwischen beiden Welten vorzuschlagen. Als ihr das klar wurde, kehrte sie unvermittelt auf den Boden der Tatsachen zurück.

In lässiger Freizeitkleidung, einem weißen Polohemd, khakifarbener Hose und Sandalen, erwartete er sie bereits im Park, wo sonst niemand zu sehen war. Er blickte ihr entgegen, rührte sich jedoch nicht von der Stelle.

Yassou, Gabi.“

„Hallo!“ Bleib locker, ermahnte sie sich. „Ich habe mich sofort auf den Weg gemacht, weil Mutter und ich morgen sehr früh nach Athen fliegen.“

„Ich weiß.“ Die Hände in die Hüften gestützt, wirkte er überwältigend maskulin. „Aber bevor Sie Kreta verlassen, möchte ich etwas mit Ihnen besprechen.“

Verwirrt blinzelte sie. „Warum ist Leon nicht hier?“

Andreas betrachtete sie eine Weile. „Ich glaube, Sie kennen die Antwort.“

„Dann verstehe ich nicht, warum Sie gekommen sind.“

„Weil ich nicht möchte, dass Sie Griechenland verlassen.“

Mit dieser Antwort hätte sie niemals gerechnet. Hätte Randy damals zu ihr gesagt: „Ich möchte, dass du in Austin bleibst …“ Das hatte er allerdings nicht. Andreas’ Wunsch hingegen konnte nichts mit ihr persönlich zu tun haben.

„Ich verstehe nicht ganz …“

Andreas atmete tief durch. „Leon ist momentan in Panik, aber in ein paar Tagen wird er sich wieder beruhigt haben. Und dann müssen die Kinder hier sein.“

Jetzt geriet sie in Panik. „Ich kann nicht auf Kreta bleiben!“

Forschend betrachtete er sie. „Und warum nicht?“

„Weil … meine Eltern wieder ihr altes Leben aufnehmen müssen“, erwiderte sie stockend. „Und die Jungen und ich unser eigenes Zuhause brauchen.“

Nun kam er einen Schritt näher. „Sie haben doch auch hier ein Zuhause. Ich schätze, Ihre Eltern werden sehr traurig sein, wenn Sie und die Kinder abreisen. Das kann also nicht der eigentliche Grund dafür sein, dass Sie es so eilig haben. Wartet Ihr Freund in Virginia auf Sie?“

Das war die perfekte Ausrede! „Allerdings“, sagte Gabi deshalb. „Aber das geht niemanden etwas an.“ Dabei beobachtete sie ein Pärchen, das in den Park gekommen war und sich jetzt küsste.

„Sie lügen. Hätten Sie einen Freund, wäre er schon vor Wochen hierher geflogen, um Sie und die Zwillinge abzuholen“, erklärte Andreas trügerisch sanft.

Sie wandte den Blick von den beiden Verliebten ab. „Na gut, wenn Sie es unbedingt wissen wollen … Ich möchte die Kinder für mich haben.“

„Dafür müssen Sie aber nicht nach Virginia zurückkehren.“

Sie atmete tief durch. „Hier kann ich meinen Lebensunterhalt aber nicht selbst bestreiten, und in Alexandria wohne ich mietfrei. Ich kann von meinen Ersparnissen und mit Dads finanzieller Unterstützung leben, bis die Kinder in die Schule kommen und ich wieder arbeiten kann.“

Andreas schüttelte den Kopf. „Ich weiß, dass Ihr Vater genug Geld hat, um hier eine Unterkunft für Sie zu bezahlen. Warum haben Sie solche Angst davor, mir die Wahrheit zu sagen? Was ist eigentlich los?“

Er war viel zu scharfsinnig. „Meine Eltern haben keine Ahnung, wer der Vater der Zwillinge ist. Wenn Gerüchte über Ihren Bruder und Thea entstehen, werden Ihre und meine Familie darunter leiden. Deswegen möchte ich die Kinder mitnehmen.“

„Aus den Augen, aus dem Sinn, meinen Sie.“

„Ja.“

Nun fuhr er sich über den Nacken. „Das könnte eine Weile gut gehen, aber irgendwann kommt die Wahrheit zwangsläufig ans Licht. Dann wird der Schaden allerdings viel größer sein, nicht nur für unsere Familien, sondern auch für die Zwillinge.“

„Das ist mir klar, aber momentan fällt mir keine bessere Lösung ein. Es …“ Gerade noch rechtzeitig verstummte sie, doch er ließ nicht locker.

„Was wollten Sie sagen?“

„Ach, nichts.“

„Raus damit!“

Plötzlich fühlte sie sich sehr unsicher. „Ich hätte nie in Ihr Büro kommen sollen.“

„Das wollten Sie eben nicht sagen.“

Offenbar blieb ihr nichts anderes übrig, als es ihm zu erzählen – zumindest teilweise.

Gabi ging zu der Bank und setzte sich darauf. Andreas folgte ihr, blieb jedoch stehen, die Hand auf die Lehne gestützt. „Theas Exmann würde uns gern eins auswischen, weil wir bei der Trennung zu ihr gehalten haben. Er könnte uns und Leon großen Ärger machen.“

„Sie reden von Dimitri Paulos.“

Erschrocken sprang sie auf. „Woher wissen Sie das?“

Er betrachtete sie. „Ich habe Erkundigungen über Sie und Ihre Familie eingezogen. Hat er Sie bedroht, Gabi?“

Autor

Trish Morey
Im Alter von elf Jahren schrieb Trish ihre erste Story für einen Kinderbuch- Wettbewerb, in der sie die Geschichte eines Waisenmädchens erzählt, das auf einer Insel lebt. Dass ihr Roman nicht angenommen wurde, war ein schwerer Schlag für die junge Trish. Doch ihr Traum von einer Karriere als Schriftstellerin blieb.
Nach...
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Michelle Reid

Michelle Reid ist eine populäre britische Autorin, seit 1988 hat sie etwa 40 Liebesromane veröffentlicht.

Mit ihren vier Geschwistern wuchs Michelle Reid in Manchester in England auf. Als Kind freute sie sich, wenn ihre Mutter Bücher mit nach Hause brachte, die sie in der Leihbücherei für Michelle und ihre...

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