Zu stolz für die Liebe?

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Ich schaffe es auch ohne sein Mitleid! Alana ist entschlossen, die Schaffarm ihres Vaters zu retten. Und dafür braucht sie den Großgrundbesitzer Guy Balfour Radcliffe bestimmt nicht! Die stolze Alana merkt sie nicht, dass Guy tiefe Gefühle für sie hegt. Selbst in höchster Not weist sie seinen Heiratsantrag zurück, weil sie nicht glauben kann, dass seine Liebesschwüre ehrlich gemeint sind. Wie könnte einer der reichsten Männer des Landes eine arme Farmerstochter wie sie lieben? Alana ahnt nicht, wie sehr Guy hofft, dass bald die Hochzeitsglocken im Wangaree Valley läuten …


  • Erscheinungstag 23.05.2009
  • Bandnummer 1794
  • ISBN / Artikelnummer 9783862953271
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Alana hatte sich seit langem angewöhnt, noch vor denVögeln aufzuwachen. Zu dieser frühen Stunde entfaltete Wangaree Valley seinen ganzen Zauber. Nebelschwaden und dunkelblaue Schatten verhüllten das Tal, lagerten in den Schluchten zwischen den schützenden Hügeln und verschwanden mit den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne.

Manchmal kam ihr ein einzelner Kookaburra zuvor, aber meist war sie mit Einbruch der Dämmerung wach – sogar am Sonntag, dem Tag ihrer wohlverdienten Ruhe. Sie brauchte weder die schrillen Morgenrufe der Kookaburras noch das aufgeregte Kreischen der versammelten Kakadus, um munter zu werden. Ihre innere Uhr gab die Zeit an. Welche Schönheit lag doch in der Morgenstille, welche wunderbare, innere Seelenruhe, die sie behutsam in ihre Arme nahm.

Barfuß huschte Alana auf die Veranda hinaus. Der kühle Morgenwind erfrischte sie. Er fasste ihr leichtes Nachthemd und schmiegte es ihrem Körper an, wie Rosenblätter sich der Knospe anschmiegen. Sie breitete die Arme aus, eine Geste von verhaltener Sinnlichkeit. Zarter blassgrüner Dunst lag über den dicht bewaldeten Hügeln, der Himmel war von durchsichtigem Grau, mit hingetuschten gelben und violetten Streifen über dem Horizont.

Ein einzelner Stern flimmerte noch, diamanthell, umgeben von einem hauchzarten roséfarbenen Hof.

Vom Balkon konnte Alana ungehindert das ganze Tal überblicken. Der Garten unter ihr glich einem Farbenmeer. Hibiskus, Oleander, Frangipani, riesige Bougainvilleabüsche in feurigem Pink, Purpur und Weiß – alles wucherte über Lauben und Mauern und kletterte sogar die Bäume hinauf, um der Sonne näher zu kommen. Dicht daneben zog der Nektar der blühenden Büsche Scharen von Papageien und bunt gefiederten Zwergloris an. Ein Garten wie ein Paradies, der leider sehr vernachlässigt und an vielen Stellen schon verwildert war.

„Briar’s Ridge“ war der Mittelpunkt ihres Lebens, obwohl das Haus inzwischen viele Mängel aufwies. Das Tal war immer noch der schönste Platz auf Erden für sie. Hier hatte sie ihre Wurzeln. Hier war sie als Kind herumgetollt. Sie liebte den Duft von Eukalyptus, der die Berghänge überzog und ihre Lungen mit seiner würzigen Frische füllte. Man konnte ihn überall riechen, und im Frühling brachten die Bäume Unmengen von Blüten und Schoten hervor.

Widerstrebend ließ Alana das Geländer los. Der Moment war so unvergleichlich schön, als träumte die Welt vor sich hin, aber der Himmel wurde jetzt bereits heller. Es war besser, sich zu sputen. Jeder Tag war ein neuer Überlebenskampf. Trotz harter Arbeit war es während der letzten drei Jahre mit der Farm bergab gegangen. Da war zum einen die Dürre. Jeder kämpfte hier damit, aber das eigentliche Problem stellte ihr gramgebeugter, alkoholabhängiger Vater dar. Zudem quälte sie sich mit ihren Gedanken, die immer wieder um Guy Radcliffe kreisten. Er hatte ihrem Vater immer wieder geholfen – natürlich ganz unauffällig, wie es seine Art war. Trotzdem bedrückte sie dieses Wissen. Ihre Gefühle für Guy, den sie von Kindheit an kannte, waren so zwiespältig, dass es sie beunruhigte. Diese Unruhe zu verbergen, war oft nicht ganz leicht.

Guy Radcliffe war der Besitzer von „Wangaree“, einer der größten historischen Schaffarmen des Landes. Sein Reichtum und sein Erfolg waren sprichwörtlich, genauso wie seine Menschenfreundlichkeit. Er half seinen Untergebenen und Freunden, wo er konnte, und er schätzte es zudem, diese Hilfe geheim zu halten. Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft hatten Tradition bei den Radcliffes, wie es sich für die führende Familie des Tals gehörte. Guys Vorfahren hatten Wangaree Valley urbar gemacht und mit Schafzucht ein Vermögen erworben. Als es dann mit der Wollindustrie bergab ging, hatten die Radcliffes zu den ersten Schafbaronen gehört, die ihre Farm auf andere Erwerbsmöglichkeiten umstellten. Die „Radcliffe Wine Estates“ waren heute ein Teil des Familienbesitzes und zählten zu den ersten Weingütern des Landes.

Guy gelang alles, was er anfasste. Er war „The Man“ oder „Lord of the Valley“, wie Alana ihn heimlich nannte – daran gab es keinen Zweifel. Er überwachte nicht nur die Wein- und Olivenproduktion, sondern erzeugte auch noch die traditionell beste und feinste Wolle, die bei den Textilfirmen und großen Modehäusern begehrt war, weil sie sich gut zusammen mit Seide und Kaschmir verarbeiten ließ. Auf „Briar’s Ridge“ hatte man bisher Wolle von mittlerer Qualität hergestellt. Falls sie sich zukünftig nicht gewinnbringender verkaufen ließ, stand es schlecht um die Farm.

Ob sie es noch einmal schaffen würden?

Alana besprühte ihr Gesicht mit kaltem Wasser und vertrieb damit die letzte Müdigkeit. Während sie sich abtrocknete, blickte sie in den Spiegel, ohne etwas zu sehen. Wie immer hatte sie sich abends ihre Kleidung zurechtgelegt. Enge Jeans, die ihr sehr gut standen – jedenfalls behauptete das ihr guter Freund Simon –, und eine blauweiß karierte Hemdbluse. Um Socken und Stiefel anzuziehen, setzte sie sich kurz auf die Bettkante, dann war sie fertig.

Alana betrachtete sich selten im Spiegel. Wer beachtete sie schon außer den Schafen und ihren Hunden? Monty und Brig waren prächtige Border Collies und in ihren Augen etwas ganz Besonderes. Nicht alle Schafzüchter im Tal schätzten diese Rasse. Sie hielten Border Collies für zu temperamentvoll und bevorzugten Kelpies oder Australian Shepherds. Border Collies konnten tatsächlich etwas überschwänglich sein, wenn sie nicht genug beansprucht wurden, aber ihre enorme Intelligenz, ihre Fähigkeit, die Herden zusammenzuhalten, und ihre Ausdauer hatten Alanas Herz gewonnen.

Wie immer rieb sie sich Gesicht, Hals und Dekolleté mit Sonnencreme ein und trug schützendes Lippenrot auf. Nachdem sie noch ihr volles blondes Haar mit einem roten Seidentuch zurückgebunden hatte, setzte sie ihren beigefarbenen Akubra auf und verließ das Zimmer. Kaum zehn Minuten waren inzwischen vergangen, aber die Lichtverhältnisse hatten sich geändert. Das zarte Taubengrau der ersten Dämmerung war kräftigem Blau gewichen. Die Sonne schickte ihre ersten Strahlen über die Hügel und tauchte das Tal in goldenes Licht.

Alana liebte das lautstarke Morgenkonzert, das die Luft erfüllte und einem Städter unerträglich gewesen wäre. Tausend und Abertausend Vögel riefen nach ihren Partnerinnen und wollten sich nicht beruhigen. Meist dauerte es eine Stunde, bis das Gekreisch allmählich verstummte, aber einige Vögel kamen den ganzen Tag über nicht zur Ruhe.

Heute musste Alana zu den Hügeln reiten und die Hammel zusammentreiben, damit sie sich nicht über die Abhänge zerstreuen oder bis in die waldigen Schluchten verirren konnten. Gewöhnlich half ihr älterer Bruder Kieran dabei, aber heute war er in Sydney, um Geschäfte für ihren Vater zu erledigen. „Briar’s Ridge“ war so hoch verschuldet, dass die bedrückende Möglichkeit bestand, den Besitz zu verlieren. Ihr Vater verließ inzwischen kaum noch das Haus. Er hing an dem Tal, in dem man seine Frau begraben hatte. Alana spürte einen Kloß in der Kehle. Ihre eigene Trauer war auch groß, aber sie wollte und durfte nicht aufgeben.

Das Leben ging weiter – so oder so.

Unten im Haus war es still, nur das Ticken der englischen Standuhr in der Halle war zu hören. Sie ging sehr genau und war außerdem ziemlich wertvoll. Alanas Mutter hatte sie mit in die Ehe gebracht, ebenso wie die anderen antiken Kostbarkeiten. Einige Leute im Tal – vor allem die Denbys – waren der Ansicht, dass Annabel Callaghan-Denby unter ihrem Stand geheiratet hatte. Die Denbys gehörten wie die Radcliffes zu der alteingesessenen Schafzüchteraristokratie.

Alana hielt sich mit einer Hand am Mahagonigeländer fest, während sie die Treppe zur Halle hinunterstieg. Unten wandte sie sich nach links und schlich auf Zehenspitzen über das Parkett, das durch einen echten persischen Läufer geschützt war. Sie ging am großen Schlafzimmer vorbei, das nicht mehr benutzt wurde, und blieb vor einem sehr viel kleineren Raum stehen – dem ehemaligen Kinderzimmer. Dort hatte sich ihr Vater, ein stattlicher Mann von über ein Meter achtzig, ohne allen Komfort eingerichtet und lebte nur noch mit der Erinnerung an seine geliebte Frau, die nicht mehr neben ihm schlief und die er nicht mehr in die Arme schließen konnte.

Die Tür war nur angelehnt, und Alana konnte ihren Vater schnarchen hören. In diesem Geräusch lag ein gewisser Trost. Seit ihre Mutter vor drei Jahren gestorben war, fürchtete sie sich davor, auch ihren Vater eines Tages tot aufzufinden. Manche Menschen starben an gebrochenem Herzen – oder auch an schlechtem Gewissen.

Alana stieß die Tür etwas weiter auf und sah ihren Vater daliegen, mit seinem sonnengebräunten, anziehenden Gesicht und dem schwarzen, von weißen Strähnen durchzogenen Haar. Er war mit einer hübschen, besonders feinen Wolldecke zugedeckt, die Alanas Mutter gewebt hatte. Ein kräftiger Arm hing über die Bettkante, darunter auf dem Boden lag eine leere Whiskyflasche.

Alana konnte die leeren Flaschen, die sie weggeworfen oder versteckt hatte, nicht mehr zählen. Ihr Vater sorgte ständig für Nachschub. Auf dem kleinen Nachttisch stand ein antiker Silberrahmen mit dem Porträtfoto einer jungen lächelnden Frau. Ihr Haar war ebenfalls blond, nur die Frisur wirkte etwas altmodisch.

Alana hatte den zarten Teint ihrer Mutter geerbt, ebenso die grünbraunen Augen, die manchmal einen smaragdfarbenen Ton annehmen konnten. Und dann war da noch das Lächeln, das Mutter und Tochter zum Verwechseln ähnlich machte. Alana erinnerte sich lebhaft daran, wie sehr sich Annabel über diese Ähnlichkeit gefreut hatte.

„Wenn du älter bist, mein Liebling, wird man dich beim Weinfest zur schönsten Frau des Tals wählen.“

Diese Wahl war der Höhepunkt des Weinfestes von „Wangaree“. Es zog Gäste aus ganz Neusüdwales an. Weinliebhaber, Gourmets und Musikfreunde – sie alle kamen, und Guy engagierte regelmäßig berühmte Künstler, die vor der historischen Kulisse des schönen alten Herrenhauses bei Mondlicht musizierten. Die Wahl fand nicht jährlich, sondern nur alle drei Jahre statt, und dieses Jahr war es wieder so weit. Es bedeutete nicht nur eine Ehre, gewählt zu werden, sondern die Siegerin konnte auch eine Reise nach Kalifornien gewinnen, in das Napa Valley, und noch eine schöne Geldsumme dazu!

Alana hatte nicht vor, sich nominieren zu lassen. Sie betrachtete sich als ganz gewöhnliche, bescheidene Arbeiterin. Außerdem hatte sie nichts Festliches anzuziehen – abgesehen von dem hübschen Kleid, das ihre Mutter ihr zum achtzehnten Geburtstag genäht hatte. Sollte eine ihrer Denby-Cousinen den Preis gewinnen. Es waren drei – Violette, Lilli und Rose. Jede trug den Namen einer Blume, was gut zu ihrer privilegierten Stellung passte. Sie galten alle drei als schöne junge Frauen, vor allem Rose, die Jüngste. Violette und Lilli waren Snobs. Violette galt außerdem als intime Freundin von Guy, aber eine engere Bindung, wie ein Verlöbnis, stand noch aus.

Alana wollte sich nicht einmal vorstellen, Violette könnte Mrs. Guy Radcliffe werden. Eigentlich konnte sie sich kein Mädchen aus dem Tal in dieser Rolle denken. Nicht, dass sie selbst Chancen gehabt oder sich danach gesehnt hätte! Ihre Welt unterschied sich zu sehr von Guys. Sollte Violette doch die Wahl gewinnen. Alana wünschte ihr Glück dazu.

Die Wahl ging auf eine Idee ihrer Mutter zurück, obwohl das Weinfest traditionell von den Radcliffes ausgerichtet wurde. Alana glaubte nicht, dass sie je so schön sein würde wie ihre Mutter und auch nicht so geschickt. Annabel hatte in verschiedenen Fertigkeiten geglänzt – im Nähen, Weben, Kochen, Backen, Haushalten und Gärtnern. Alana verstand sich mehr auf den Umgang mit Tieren. Sie ritt ausgezeichnet, hatte verschiedene Rennen gewonnen und Violette, die ebenfalls eine gute Reiterin war, dreimal geschlagen. Das hatte den Denbys nicht sonderlich gefallen. Sie bildeten sich ein, zur Elite zu gehören und immer gewinnen zu müssen.

Mit dem längst vertrauten Kummer im Herzen schloss Alana die Tür zum Zimmer ihres Vaters und überließ ihn seiner freiwillig gewählten Einsamkeit. Jeden Tag betete sie darum, er würde aus seinem Kerker von Schuld und Reue ausbrechen.

Alle Bewohner von Wangaree Valley wussten, dass Alan Callaghan nicht an dem tödlichen Unfall schuld war, in den sein Pick-up und ein von Touristen gecharterter Jeep verwickelt gewesen waren. Der Jeep war in der Mitte der unbekannten Straße gefahren und hatte den Pick-up in einer Kurve hart gestreift. Alan war praktisch unverletzt geblieben, aber Annabel hatte die Katastrophe mit dem Leben bezahlt. Aus irgendeinem Grund war sie an diesem Tag nicht angeschnallt gewesen, obwohl sie bei ihren Kindern immer streng darauf geachtet hatte.

„Schnallt euch an, Kinder. Es ist mir egal, ob wir auf einer einsamen Landstraße sind. Tut, was ich euch sage.“

Ausgerechnet am Unglückstag war Annabel nicht angeschnallt gewesen. Darin lag die Tragik. Eine kleine Nachlässigkeit hatte sie das Leben gekostet.

Ich hätte darauf achten müssen. Warum habe ich das bloß nicht getan?“

Alan würde es sich bis zu seinem Tod nicht verzeihen.

In der großen, in Weiß und Gelb gehaltenen Küche aß Alana schnell zwei Müsliriegel und einen Apfel und verließ das Haus anschließend durch die Hintertür. Die Ställe lagen etwas entfernt vom Haupthaus, auf der anderen Seite des großen Hofplatzes. Annabel hatte einen Widerwillen gegen Pferdefliegen gehabt, darum waren die Ställe vor ihrem Einzug als junge Braut verlegt worden.

Buddy war schon bei der Arbeit und begrüßte Alana mit seinem breiten Lächeln. Er war ein Aborigine und etwa achtzehn Jahre alt. Niemand kannte sein genaues Alter – Buddy eingeschlossen. Annabel hatte ihn vor etwa zehn Jahren auf der Haustürschwelle gefunden, erst in die Badewanne und dann in alte Kleidungsstücke von Alana gesteckt und seinen Hunger gestillt. Erkundigungen nach seiner Herkunft blieben ohne Ergebnis. Niemand wollte den Jungen haben, und so wurde er inoffiziell von der Familie adoptiert.

Unter anderem zählte es zu Buddys Aufgaben, die Pferde zu versorgen und die Ställe sauber zu halten. Er tat das gründlich und gewissenhaft, voller Stolz darauf, dass die Callaghans ihn aufgenommen und gegen seinen Widerstand zur Schule geschickt hatten. Später waren noch der Job und eine hübsche Wohnung dazugekommen.

„Morgen, Miss Lana“, begrüßte er Alana.

„Morgen, Buddy“, erwiderte sie herzlich. „Schon wieder schwer bei der Arbeit?“

„Ich mag es, wenn alles ordentlich ist. Das wissen Sie. Wie geht es Mr. Alan heute Morgen?“ Buddy liebte Alanas Vater und hatte ihre Mutter verehrt. Seit Annabels Tod kümmerte er sich hingebungsvoll um den Rosengarten, den sie mit viel Mühe angelegt und gepflegt hatte.

„Nicht besonders gut, Buddy.“ Alana schüttelte den Kopf und kämpfte gegen einen Anflug von Niedergeschlagenheit.

„Wie traurig. Der Teufel setzt ihm wieder zu.“

„So ist es, Buddy. Ich werde heute Morgen Cristo reiten.“

„Ich habe ihn schon gesattelt.“ Buddy verschwand im Stall, wo es kühl und dämmrig war, und kam mit einem kräftigen rotbraunen Wallach zurück. Der gute Stammbaum war dem Tier anzusehen, ebenso wie seinen fünf Stallgefährten.

„Du bist ein Hellseher“, meinte sie und schwang sich in den Sattel.

„Schon möglich“, erwiderte Buddy stolz. „Das ist das Erbe der Wangarees. Etwas von ihrem Blut fließt auch noch in mir.“

„Die längst ausgestorbenen Wangarees.“ Alana seufzte und sah zu den Hügeln hinüber, deren hohe Bäume wie dunkelgrüne Kulissen in den klaren blauen Himmel ragten. Das Tal war einst der Weidegrund der Wangarees gewesen. In Erinnerung an den verschwundenen Stamm hatten die Radcliffes ihre Farm „Wangaree“ und das Herrenhaus „Wangaree Mansion“ genannt.

Alana plagte sich einige Stunden lang, um die Hammel aus den bewaldeten Schluchten in die Ebene zu treiben. Das Mustern der Tiere und ihre Verteilung auf verschiedene Weideplätze erforderte Geschick und Geduld. Monty und Brig waren in ihrem Element. Sie sprangen um die Herde herum und sorgten dafür, dass sie dicht zusammenblieb. Alana erteilte die Befehle, und die Hunde führten sie aus – stolz darauf, ihre Fähigkeiten zeigen zu können. Einige rebellische Hammel versuchten, auszubrechen und das weiter entfernte Buschland zu erreichen. Sie verschwanden fast im hohen goldgelben Gras, aber Monty, der nur noch am Klingeln seines Halsbands zu erkennen war, brachte sie schnell zur Herde zurück.

Der Bach, der durch das Farmgelände floss, glitzerte in der Sonne, als würde das Licht von Spiegeln zurückgeworfen. Alana trug stets eine Sonnenbrille – ein unerlässliches Accessoire, um die Augen vor der extremen Helligkeit zu schützen.

Die Hammel sollten eigentlich in den Bach getrieben werden, aber dazu brauchte sie Kierans Hilfe. Zum Glück würde er übermorgen zurückkommen. Alana vermisste ihn, wenn er fort war, besonders seit es ihrem Vater so schlecht ging. Es tat weh, dass weniger mitleidige Nachbarn ihm den Spitznamen „Talsäufer“ gegeben hatten. Seelischer Kummer wirkte sich bei den Menschen eben verschieden aus. Früher hatte ihr Vater am Tag höchstens einige Gläser Bier getrunken, aber inzwischen gab er die Whiskyflasche kaum noch aus der Hand.

Alana sah zum endlos weiten Himmel auf. Er war tiefblau wie Lapislazuli und wolkenlos. Ein Heißluftballon trieb direkt über sie hinweg. Wangaree Valley war ein Zentrum für Ballonfahrten und Fallschirmspringen. Alana winkte, und die Touristen winkten zurück. Wangaree Valley und die Nachbartäler lagen im Herzen eines der größten Weinanbaugebiete der Welt und nur wenige Autostunden von Sydney entfernt, die Touristen liebten den Blick von oben.

Gegen zehn Uhr trieben Hunger und Durst Alana ins Haus zurück. Zwei Müsliriegel und ein Apfel waren nicht gerade viel für eine Schwerstarbeiterin. Sie verweilte einen Moment, um den Rosengarten ihrer Mutter zu bewundern und ein kurzes Gebet zu sprechen. Das war ein tägliches Ritual. Sie war sich nicht sicher, ob sie noch an Gott glaubte, aber sie betete trotzdem. Ihre Mutter war gläubig gewesen, und sie vermisste sie so schmerzlich.

Buddy war erfolgreich bei ihr in die Lehre gegangen. Jetzt, im Hochsommer, standen die Rosen in voller Blüte. Die Farbskala reichte von Weiß über Gelb und Rosa bis zum tiefsten Purpurrot. Einige von Annabels Lieblingssorten strömten einen betäubenden Duft aus. Trotz der extremen Trockenheit bot der Rosengarten einen märchenhaften Anblick.

Auch die Trauben hatten nicht gelitten. Der Ertrag mochte geringer sein, aber dafür stieg die Qualität. Der Winter hatte genug Regen gebracht, und die gefürchteten Sommergewitter, die einen Weinberg in Minuten vernichten konnten, waren ausgeblieben.

„Wir bekommen einen Jahrgangswein.“

Diese Prognose hatte Guy gestellt. Alana konnte seine Stimme hören, als stünde er neben ihr. Er sprach nie mit lauter Stimme, wie es bei seiner guten Erziehung auch zu erwarten war, aber der rauhe Unterton war unglaublich sexy.

Guy strahlte so viel Lebendigkeit aus, dass man seine Gegenwart immer und überall spürte, auch wenn er gar nicht anwesend war. In seiner Art war Guy Radcliffe einen gottgleiche Gestalt, die von allen angebetet wurde. Das Musterbild eines Mannes, den das ganze Tal verehrte.

Seltsam, dass sie die einzige Ausnahme war.

2. KAPITEL

Als Alana um die Hausecke bog, tauchte Simons Range Rover aus der Baumallee auf, die zum Gutshaus hinaufführte und die nicht nur einen prächtigen Anblick bot, sondern auch kühlen Schatten spendete. Ihre Stimmung hob sich. Simon konnte ihr beim zweiten Frühstück Gesellschaft leisten. Sie waren die besten Freunde, schon seit der Vorschule. Als Kind war Simon ein Träumer und überaus schüchtern gewesen. Eigentlich war er das immer noch, schon wegen seiner ausgeprägten Empfindsamkeit. Alana hatte ihn von Anfang an unter ihre Fittiche genommen, wie einen kleinen Bruder. Seitdem spielte sie die Rolle der Beschützerin.

„Du bist nur für mich auf die Welt gekommen, Lainie!“

Das waren Simons Worte gewesen, als sie bei einem Mitternachtsgottesdienst am Heiligabend Hand in Hand vor der Krippe gestanden hatten. Alana war ihm daraufhin um den Hals gefallen.

Auf dem Spielplatz verlor Simon jeden Kampf, wenn Alana nicht dabei war. Mit ihr hingegen wagten sich auch die Rüpel nicht zu messen, von denen Wangaree Valley etliche aufzuweisen hatte. Sie war stark – und ihr älterer Bruder Kieran noch stärker. Als Guys Cousin hätte Simon eigentlich Respekt genießen müssen, aber das Gegenteil war der Fall. Er spielte immer die Opferrolle. Ein Grund für seine Ängstlichkeit mochte der frühe Verlust seines Vaters sein. Simon war erst zehn, als der Playboy Philip Radcliffe mit seinem Rennwagen tödlich verunglückte – mit einer Freundin aus der Schickeria von Sydney an seiner Seite.

Simons verwitwete Mutter trauerte nicht lange um den Toten. Verschmäht und gedemütigt, wie sie war, klammerte sie sich ganz an ihren einzigen Sohn und erdrückte ihn mit ihrer krankhaften, besitzergreifenden Liebe. Simon, intelligent wie alle Radcliffes, floh auf die Universität, wo er sich vor der Umklammerung seiner Mutter sicher fühlte, bis sie ihn „aus Angst vor dem Alleinsein“ zurückrief. Dabei brauchte man Rebecca Radcliffe nur anzusehen, um zu wissen, dass sie keine Angst kannte. Die Art, wie sie den dunklen Kopf zurückwarf, die blitzenden schwarzen Augen und die geblähten Nasenflügel bewiesen das zur Genüge.

Als Simon sein Wirtschaftsstudium erfolgreich abgeschlossen hatte, wurde er in die Familienfirma aufgenommen. Er arbeitete jetzt für „Radcliffe Wine Estates“, die qualitätvolle Chardonnay und Shiraz Weine produzierten. Speziell der Chardonnay übertraf alle Rekorde. Was Guy berührte, verwandelte sich in Gold. Man muss reich sein, um noch reicher zu werden, hatte Alana oft gedacht. Guy besaß die Hände von König Midas, die ihrem Vater fehlten!

Guy war außerdem Simons Held und männliches Ideal. Manchmal musste Alana die Zähne zusammenbeißen, wenn Simon zu sehr ins Schwärmen geriet. Das war nicht ganz fair von ihr. Guy trug große Verantwortung und leistete viel für das Tal. Verdiente er da nicht allgemeine Bewunderung? Er war nun mal die treibende Kraft in Wangaree Valley. Alle drängten sich zu ihm, Männer wie Frauen. Alana ließ sich weniger blenden als die anderen, und Guy zeigte überdies kaum Interesse an ihr. Nur manchmal sah er sie auf eine Weise an, die ihr Herzklopfen verursachte. Wenn sie ganz ehrlich war, fand sie Guy sehr faszinierend, aber sie zog es vor, das für sich zu behalten.

„Wie geht’s?“, rief Simon, als er ausgestiegen war. Wie immer hatte er seinen Wagen im Schatten der Eukalyptusbäume geparkt, die den ganzen Sommer über ihren charakteristischen herben Duft verströmten.

„Man tut, was man kann.“ Alana ließ ihm Zeit, den kiesbedeckten Vorplatz zu überqueren. Ein hübscher, seit langem versiegter Sandsteinbrunnen bildete den Mittelpunkt der Auffahrt. Drei Schalen türmten sich übereinander und wurden von der lebensgroßen Skulptur eines Knaben gekrönt. Der Brunnen war das Werk eines berühmten australischen Bildhauers und eine Errungenschaft von Annabel – genauso wie die Urnen und Statuen, die sie über den weitläufigen Garten verteilt hatte. „Ich wollte mir gerade etwas zu essen machen. Leistest du mir Gesellschaft?“

„Mit Vergnügen.“ Simon lächelte auf seine nette, unschuldige Art. „Wenigstens für eine halbe Stunde. Ich muss bald wieder zurück.“

„Wie konntest du dich überhaupt freimachen?“

Sie stiegen die Stufen zur Veranda hinauf, und Simon warf seinen Hut auf einen weißen Korbstuhl. „Ich sollte etwas für Guy erledigen. Dabei kam mir der Gedanke, auf dem Rückweg bei dir vorbeizuschauen. Du siehst großartig aus.“

Alana lachte. „Du bist verrückt, Simon. Ich sehe furchtbar aus … hungrig, müde und verschwitzt.“

„Und trotzdem großartig.“ Simon schätzte es an Alana besonders, dass sie nichts von ihrer natürlichen Schönheit wusste oder sie zumindest nicht beachtete. Alana bedeutete ihm alles. Bei ihr hatte er Trost und Frieden gefunden, solange er denken konnte. „Was macht dein Vater?“ Er ließ seinen Blick durch die Eingangshalle schweifen, als fürchtete er, dem Hausherrn zu begegnen, der ihm immer etwas unheimlich war.

„Er müsste inzwischen aufgestanden sein“, antwortete Alana. „Geh schon in die Küche, während ich nachsehe. Du könntest Kaffee aufbrühen.“

„Wird gemacht.“

Simon kannte sich bei den Callaghans so gut aus wie zu Hause. Die geräumige Küche lag an der Rückseite des Hauses, mit Blick auf den Pavillon, wo die Hausherrin ihn und Alana nach der Schule früher mit köstlichen Leckereien erwartet hatte. Die weißen Lattenwände verschwanden ganz unter einer gelben Kletterrose, deren Duft bis in die Küche drang. Simon würde den rosenumrankten Pavillon immer mit Annabel Callaghan verbinden. Er vermisste sie ebenfalls. Sie war eine wunderbare Frau gewesen – schön, warmherzig und gütig. Ganz das Gegenteil seiner eigenen Mutter. Ein größerer Unterschied war nicht denkbar.

Alana traf ihren Vater in seinem Arbeitszimmer an. Er trug knielange Khakishorts und ein frisches weißes T-Shirt. Die dicke braune Hornbrille rutschte ihm langsam von der Nase, während er einen Stapel neuer Rechnungen durchsah.

„Wie fühlst du dich, Dad?“ Sie ging um den großen Schreibtisch herum und gab ihm einen Kuss.

„Grässlich, wenn du es wissen willst.“ Alan Callaghan legte einen Arm um die Taille seiner Tochter und lehnte seinen Kopf flüchtig an ihre Schulter.

„Daran bist du selbst schuld.“ Es wäre falsch gewesen, zu viel Mitleid zu zeigen.

„Ich weiß“, gab er trocken zu, „aber es ist nicht leicht. Die Hammel müssen gebadet werden.“

Alana ließ sich in einen Ledersessel fallen. „Wenn du mir nicht dabei helfen kannst, muss ich warten, bis Kieran zurückkommt.“

„Natürlich helfe ich dir“, erklärte Alan leicht gekränkt. Sie hatte in ihrem ganzen Leben kein böses Wort von ihm gehört. „Wenn du es schaffst, erledigen wir das heute Nachmittag.“

„Wenn ich es schaffe? Ich muss sagen …“

„Schon gut, schon gut. Ich weiß, du bist ein gutes, tapferes Mädchen … das beste weit und breit.“ Er verstummte, um sich nicht von seinen Gefühlen überwältigen zu lassen.

„Du tust mir so unendlich leid, Dad.“ Alana legte alle Zärtlichkeit in ihre Stimme, die sie für ihren Vater empfand. Schließlich wusste sie nicht, was es bedeutete, einen Menschen so zu lieben, wie ihr Vater ihre Mutter geliebt hatte und immer noch liebte. Die Leidenschaft zwischen Mann und Frau war ihr noch fremd und würde es vielleicht immer bleiben. Nicht jeder hatte das Glück, den wahren Seelengefährten zu finden.

Alan nahm sich zusammen. „Ich weiß, ihr haltet mich für einen schwachen, kindischen Narren, aber mit eurer Mutter habe ich meinen Leitstern verloren. Sie war immer für mich da … am Morgen und am Abend, wenn ich nach Hause kam. Immer war dieses Leuchten um sie. Ich weiß bis heute nicht, was sie an mir gefunden hat … dem Nachfahren eines gottlosen irischen Sträflings.“

„Der lebenslänglich nach Australien verbannt wurde, weil er zwei Kaninchen für seine verhungernde Familie gewildert hatte“, ergänzte Alana düster. „Und der sich später zu einem angesehenen Dichter ländlicher Idyllen entwickelte.“

„Wie auch immer“, meinte ihr Vater mit müdem Lächeln. „Meine Annabel hätte jeden im Tal haben können … zum Beispiel David Radcliffe.“

Im ersten Moment glaubte sie, sich verhört zu haben. Sie fuhr aus ihrem Sessel hoch und fragte fassungslos: „Was sagst du da?“ Ihre Stimme überschlug sich fast. „Guys Vater?“

Autor

Margaret Way
Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
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Margaret Way
Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
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