Nachts, wenn alles schläft ...

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Derek weiß nicht, wie ihm geschieht: Mitten in der Nacht schleicht sich eine heiße Blondine in sein Hotelbett und beginnt, ihn nach allen Regeln der Kunst zu verführen. Die schöne Fremde entfacht Dereks Verlangen - bis das Licht angeht und er sieht, wen er vor sich hat …


  • Erscheinungstag 11.05.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733767761
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Trink Ananassaft“, sagte Janine Murphy, als sie das Haar ihrer Schwester zurückschob und sich die beiden Knutschflecken an ihrem Hals besah. Oder war es nur einer? Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, das Bild scharf zu bekommen. Ein zweckloses Unterfangen nach einer halben Flasche Wein auf nüchternen Magen, denn das winzige Stückchen Torte ihrer Junggesellinnen-Party zählte nicht. Sie hatte die beiden Ausrufungszeichen hinter VIEL GLÜCK, JANINE!! vergessen, aber je mehr sie im Verlauf des Abends über ihre Beziehung zu Steve nachgedacht hatte, desto passender waren ihr Fragezeichen erschienen.

„Wirklich? Knutschflecken verschwinden, wenn man Ananassaft trinkt?“, fragte Marie zweifelnd.

„Ja.“ Janine nickte, und die Kopfbewegung löste einen Funkenregen hinter ihren Augen aus. Sie befeuchtete die Lippen und strengte sich an, mit ihrer pelzigen Zunge artikuliert zu sprechen. „Das Vitamin D beschleunigt die Heilung der geplatzten Blutgefäße.“

„So ausgedrückt klingt das ziemlich widerlich.“

„Gut so.“ Janine ließ Maries Haar wieder los. „Es sieht nämlich auch widerlich aus. Du bist nicht mehr in der High School. Außerdem können Knutschflecken gefährlich sein.“

Ihre Schwester lachte. „Was kann ich tun? Greg ist durch und durch ein Sinnenmensch.“

Janine spürte einen Anflug von Neid. Sie hatte jahrelang Maries erotische Eskapaden miterlebt, hatte sich ihre Abenteuer angehört und ihr Salben gegen Wundheit nach zu starker Reibung gegeben oder homöopathische Mittel bei Hautreizungen durch parfümierte Körperlotionen. Sie hatte ihr Öl-Massagen verabreicht, wenn bestimmte Muskeln von ausgefallenen Stellungen verspannt waren. „Am besten, du sagst Greg, er soll mit seinen Mick-Jagger-Lippen von deinem Hals wegbleiben.“

„Immer die gestrenge Medizinerin“, sagte Marie und ließ sich aufs Bett fallen, das mit Geschenken überhäuft war.

Janine setzte sich neben sie auf die bunte Patchwork-Decke, sodass der Berg von Schachteln ins Rutschen geriet. Sie drehte ihr leeres Weinglas zwischen den Fingern und seufzte. „Danke für die Party, Schwesterherz. Es war unheimlich lustig.“

„Nichts zu danken, es hat mir Spaß gemacht, die Feier vorzubereiten. Aber lüg nicht. Diese Art Partys sind für den Ehrengast doch immer furchtbar langweilig.“

Janine lachte. So war ihre Schwester – sie nannte die Dinge immer unverblümt beim Namen. Es stimmte, sie hatte sich auf ihrer Party nicht sonderlich amüsiert. Statt sich als Hauptperson im Rampenlicht zu sonnen, hatte sie sich den ganzen Abend an einer Flasche Wein festgehalten und einer Schar Frauen zugehört, die mit ihrem grandiosen Sexleben angaben. Eine von ihnen hatte die Idee von der „Talk-Runde“ gehabt, mit dem Thema „mein erinnerungswürdigstes Erlebnis“. Natürlich war ein Erlebnis mit einem Mann gemeint, und als sie an der Reihe war, hatte Janine eine von A bis Z erfundene Story erzählt. Die Gewissensbisse wegen ihrer Flunkerei hatte sie mit dem Argument verdrängt, dass eine fröhliche Junggesellinnenparty nicht der geeignete Anlass sei, über intime Geheimnisse zu reden. Nicht einmal Marie wusste, dass sie noch Jungfrau war.

Nicht dass ihre Jungfräulichkeit ihr peinlich gewesen wäre oder ihr als ein persönliches Manko erschien. Aber die Vorstellung, zum bravsten Mädchen des Jahres gekürt zu werden, gefiel ihr auch nicht. Denn genau wie die übrigen Frauen hätte sie unter anderen Umständen ebenso prickelnde Abenteuer erlebt. Sie war nur nie dazu gekommen. In der High School war sie zu schüchtern gewesen, um Jungen anzuziehen. Während der zehn Jahre, in denen sie studiert und gejobbt hatte, hatte sie zu viel zu tun gehabt, um von einer Verabredung zur anderen zu flattern. Und danach lernte sie Steve kennen.

„Eins finde ich jedenfalls schade“, sagte ihre Schwester, „dass du mir nicht erlaubt hast, ein paar Stripper anzuheuern.“

Janine wurde rot. Was ihr leider zeigte, dass sie im Vergleich zu anderen Frauen doch zu prüde war. „Das ist nun mal nicht mein Stil.“

„Erzähl mir doch nichts! Du hast es auf einer Penthouse-Terrasse getrieben – das war eine saftige Story, Schwesterherz.“

Janine lächelte schief. „Ich habe die Wahrheit etwas ausgeschmückt.“

„Und wie sehr?“

„Wie ein Haus, das noch ein paar farbige Akzente braucht.“

Marie lachte. „Du hast eine tolle Fantasie. Der Teil mit dem runtergefallenen Schuh war ein Knüller.“

„Ach, das.“ Janine kannte jedes Detail ihrer Story auswendig, weil sie diese heiße Sommernachtsszene unzählige Male in ihrem Kopf durchgespielt hatte. Wahrscheinlich lag es an ihrer Klaustrophobie, dass sie Fantasien von offenen Räumen hatte. Dass sie überhaupt fantasierte, lag zweifellos an ihrer Jungfräulichkeit.

„Auch deinen Penis fand ich sehr eindrucksvoll“, fuhr Marie fort.

„Danke.“ Janine unterdrückte einen Seufzer. „Ich selbst fand ihn auch nicht so übel.“ Maries Einfall, dass alle aus einem Eis am Stiel einen Penis formen sollten, war ein Riesenhit gewesen, besonders da der Wein bereits reichlich geflossen war.

„Ich schätze, Steve hat dich zu deiner meisterhaften Skulptur inspiriert.“

Janine schob ihr langes Haar hinter die Ohren, um dem Blick ihrer Schwester auszuweichen. „In Anatomie hatte ich doch eine Eins.“

Maries Augen blitzten vor Neugier. „Nanu? Besitzt der Herr Schönheitschirurg kein Operationsbesteck?“

Bei Janines dürftigem Wissensstand konnte Steves „Operationsbesteck“ so blau wie ihre preisgekrönte Eisskulptur sein. Aber das brauchte ihre Schwester nicht zu wissen. „Ich rede nicht über die körperlichen Vorzüge meines zukünftigen Ehemannes.“

Marie zog einen Schmollmund, aber dann eilten ihre Gedanken weiter, und ihr Ausdruck wurde verträumt. „Stell dir vor, in weniger als zwei Tagen bist du eine verheiratete Frau.“

Janine blickte auf den breiten, mit diamantenbesetzten Platinreif an ihrer linken Hand, ein Stück von unschätzbarem Wert, das einst Steves Großmutter gehört hatte. „Ja, verheiratet“, murmelte sie und wünschte, etwas von der schwindelerregenden Erwartung und atemlosen Ungeduld zu spüren, von der sie in der Zeitschrift „Die Braut“ gelesen hatte. Stattdessen kam das, was sie fühlte, „kalten Füßen“ ziemlich nah. Aber bekam das nicht nur der Bräutigam?

Marie kramte in den Geschenken. „Hey, von wem ist denn dieses scharfe Teil?“

Janine musste sich die Schläfen halten, als sie den Kopf drehte. Beim Anblick des pinkfarbenen, schwarz abgesetzten Bustiers und der schwarzen Strapse runzelte sie die Stirn. „Von Sandy.“

Marie rappelte sich hoch, hielt sich die Dessous vor ihre kurvenreiche Figur und posierte vor dem Spiegel. „Hab dich doch nicht so. Ich finde es heiß.“

Janine stützte sich auf den Ellenbogen und wickelte eine Strähne ihres honigblonden Haars um den Finger. Sie wollte sich morgen die Spitzen schneiden lassen. Aber morgen war die Probe für die Trauungszeremonie mit anschließendem Dinner. Wie sollte sie da noch einen Friseurtermin unterbringen? „Vielleicht liegt’s daran, dass Steve laut Sandy Pink am liebsten an Frauen mag.“

„Oh!“, rief Marie überrascht. Dann sagte sie locker: „Na ja, sie ist seine Rezeptionistin. Da sollte sie das wohl wissen.“

„Aber ich wusste es nicht“, murmelte Janine und war den Tränen nah.

„Ach komm. Du denkst doch nicht etwa, dass Steve und diese dumme Schnecke etwas miteinander haben, oder?“

„Offen gestanden glaube ich nicht, dass Steve genug Sex-Drive hat, um überhaupt eine Affäre zu haben.“ Janine schlug die Hand vor den Mund. Hatte sie das tatsächlich gesagt?

„Was hör ich da? Du solltest dir öfter einen Schwips antrinken.“ Marie plumpste zurück auf die Bettkante, und wieder purzelten die Geschenkpakete durcheinander. „Erzähl!“

Janine zögerte. Wenn sie doch bloß wüsste, ob ihre plötzlichen Zweifel wirklich nur mit dem berüchtigten Lampenfieber kurz vor der Hochzeit zu tun hatten.

„Nun erzähl schon!“, drängte Marie. „Ich hab ja schon geahnt, dass Steve und du nicht gerade die Bettlaken in Flammen setzt. Aber ich dachte mir, das sei dir nicht so wichtig.“

„Muss es das?“

„Was?“

„Muss es mir wichtig sein. Sex, meine ich.“

Maries Augen weiteten sich. „Das fragst du mich?“

„Versuch mal, objektiv zu sein, Marie. Hattest du nicht vielleicht irgendwann mal eine gute Beziehung ohne guten Sex?“

„Lass mich überlegen – nein.“

„Du bist mir wirklich eine große Hilfe.“

„Sorry. Also gut, ich spiel mit.“ Marie setzte eine ernste Miene auf. „Was ist bei euch beiden das Problem? Das Vorspiel? Die Dauer? Die Häufigkeit?“

„Punkt drei könnte zutreffen. Die Häufigkeit.“

„Hey, es gibt viele Paare, die vor der Hochzeit wochenlang enthaltsam sind. Um das Ganze spannender zu machen.“

„Steve und ich haben uns länger als ein paar Wochen enthalten.“

„Wie lange?“

„Ein Jahr.“

„Janine, das gibt’s doch nicht!“

„Es ist aber wahr.“

„Aber du kennst den Mann doch erst seit einem Jahr.“

„Richtig.“

„Du hast mit Steve nie Sex gehabt?“

„Bingo!“

„Unglaublich!“ Marie sprang hoch und lief unruhig auf und ab. „Wieso hast du mir nie was gesagt?“

Janine bereute, ihr überhaupt etwas gesagt zu haben. „Ich war zu verlegen.“

„Habt ihr beiden je darüber gesprochen?“

„Ich habe das Thema viele Male angeschnitten, aber Steve hat immer gemeint, dass er bis zur Hochzeit warten wolle.“

„Das erklärt, warum er dir so schnell einen Heiratsantrag gemacht hat.“

Janine runzelte die Stirn.

„Und es beweist natürlich auch, dass er dich liebt“, fügte Marie hastig hinzu. „Vielleicht solltest du etwas aggressiver sein.“

Janine dachte an die wenigen peinlichen Episoden, als sie Steve ihre körperlichen Bedürfnisse verständlich machen wollte. „Glaub mir, ich habe alles versucht, außer mich an den Hals zu werfen.“

„Vielleicht wollte er einfach nur ritterlich sein.“

„Ich bin ja auch froh, dass er mich respektiert. Aber hinter seiner ablehnenden Haltung steckt mehr als pure Ritterlichkeit. Sobald ich das Thema Sex anschneide, wird er richtig ärgerlich und zieht sich von mir zurück. Manchmal ruft er mich danach tagelang nicht an.“

Marie ließ einen Pfiff aus. „Das klingt, als ob er ein Problem hätte. Vielleicht fühlt er sich ausgebrannt. Ich meine, sein Job ist sicher ganz schön anstrengend. All diese Brust- und Po- und Lippenverschönerungen …“

„Möglich.“

„Jedenfalls weißt du mit Sicherheit, dass er nicht schwul ist. Steves Exfreundinnen sind nicht gerade für ihre Zurückhaltung bekannt.“

Janine wurde es plötzlich übel, und sie schloss die Augen. „Das ist es ja, was mich so irritiert. Steve sagt, dass es zwei Sorten von Frauen gibt – die, mit denen man schläft, und solche, die man heiratet.“

Marie sog scharf die Luft ein. „Oh, oh. Das schreit nach einer Therapie.“

Janine nickte und blinzelte ihre Tränen fort.

„Wenn dich das alles so irritiert, warum hast du dann Ja gesagt?“

Janine atmete tief durch. „Gute Frage. Ich glaube, ich brauche noch ein Glas Wein.“

Marie nahm die Flasche von der Kommode und schenkte Janines Glas voll. „Für mich nichts mehr. Ich geh nachher noch zu Greg rüber.“

Janine trank einen Schluck und starrte in ihr Glas. „Warum habe ich Ja gesagt? Weil Steve toll aussieht und eine fantastische Zukunft vor sich hat und weil er charmant ist und die gleichen Interessen hat wie ich.“

„Heilkräuter ziehen und Yoga praktizieren?“

„Okay, er interessiert sich nicht für alles, was ich tue, aber wir sind gut zusammen – das hast du selbst gesagt.“

„Stopp! Ich habe gesagt, dass ihr gut zusammen ausseht. Blond und blauäugig, du das Blumenkind, er der ehrgeizige Arzt aus bester Familie. Was nicht bedeutet, dass ihr euch gut versteht.“

Die Entwicklung des Gesprächs trug nicht dazu bei, Janines Stimmung zu heben. Marie hatte ihre konfusen Zweifel auf den Punkt gebracht. Passten Steve und sie überhaupt zueinander? Sie dachte an den Beginn ihrer Beziehung. Niemand in der Klinik war überraschter gewesen als sie, als Steve Larsen, der umwerfende attraktive Chirurg, der jede Frau dahinschmelzen ließ, sich für sie zu interessieren begann. Sie hatte erwartet, schnell ihre Jungfräulichkeit an den Frauenhelden mit dem einschlägigen Ruf zu verlieren. Steve aber hatte jeglichen intimen Kontakt mit ihr vermieden.

„Er ist eben ein Gentleman“, murmelte sie.

„Janine!“, brauste Marie auf. „Du solltest diesen Mann nicht heiraten, nur weil du ihn nett findest. Bist du sicher, dass du den Rest deines Lebens mit Steve Larsen verbringen willst?“

Das hatte Janine sich in der letzten Nacht auch gefragt, als sie grübelnd wach gelegen hatte. „Sein Leben und seine Familie sind so faszinierend.“

„Du bist faszinierend!“

„Wie bitte? Ich dachte, ich wäre beschwipst und nicht du. Schwesterherz, ich habe das langweiligste Leben von allen Leuten, die ich kenne.“

„Aber in der Klinik passieren doch bestimmt andauernd aufregende Dinge.“

„Ja, ja, in der Grippezeit krieg ich vor Aufregung Magenkribbeln, und wenn jemand mit einer Magenverstimmung in die Notaufnahme kommt, rieselt mir ein Schauer über den Rücken.“

„Okay, dein Leben ist also langweilig. Was würdest du denn als aufregend bezeichnen?“

Janine lächelte verträumt. „Ich hätte gern eine leidenschaftliche Beziehung mit Steve. Ich möchte etwas Irrationales, Unlogisches, total Ungewöhnliches. Und dass es tüchtig knistert.“

Marie seufzte. „Wünschen wir uns das nicht alle? Und wer sagt, dass es uns nicht irgendwann passieren wird? Janine, wenn du Bedenken hast, musst du handeln. Sieh in den Spiegel, Mädchen. Falls es dir noch niemand gesagt hat – du musst nicht um jeden Preis unter die Haube, dir stehen noch alle Möglichkeiten offen.“

„Weise Worte einer besorgten Schwester“, spottete Janine, obwohl sie langsam in Panik geriet. „Ich habe nicht das Gefühl, mich zu etwas zu zwingen. Ich liebe Steve, und ich weiß, dass Sex nicht alles ist. Aber was ist, wenn wir körperlich nicht zusammenpassen?“

„An diesen Dingen können Paare arbeiten, obwohl Steve mir nicht der Typ Mann zu sein scheint, der freiwillig zu einer Beratung gehen würde.“

„Das siehst du völlig richtig.“ Steve rühmte sich damit, dass er sein Leben perfekt hinbekommen hatte – angefangen bei seiner erfolgreichen Praxis für plastische Chirurgie bis hin der Tatsache, dass er fabelhaft Golf spielte. „So etwas würde er bestimmt nicht tun.“

Marie zwickte sie in den großen Zeh. „Hey, noch bist du nicht verheiratet. Noch ist Zeit.“

Janine lachte kläglich. „Richtig. Ich sehe es schon vor mir, wie ich Mutter sage, dass die Hochzeit nicht stattfindet, weil Steve nicht mit mir schlafen will.“

„Nein, ich meinte, dass du noch Zeit hast herauszufinden, ob Steve und du im Bett miteinander harmoniert. Wo ist Steve heute Abend?“

„Seine Freunde haben ihm im Golfhotel eine Junggesellen-Party spendiert. Er bleibt über Nacht dort.“

„Perfekt! Sagtest du nicht, du hättest alles versucht – außer, dich an ihn heranzuschmeißen?“

Janine nickte.

Marie hielt das gewagte Bustier hoch und grinste. „Ich kann mir kein besseres Outfit für die Offensive vorstellen. In diesem sexy Ding wirst du den Mann verführen, den du übermorgen heiraten willst.“

„Aber …“ Janines Gedanken überschlugen sich auf der Suche nach einem plausiblen Einwand, doch ihr fiel keiner ein.

„Probier es an. Mal schauen, wie es bei dir aussieht.“

Misstrauisch beäugte Janine das frivole Wäschestück. „Ich weiß nicht mal, wie ich mit all diesen Haken und Ösen klarkommen soll.“

„Kein Problem, ich hab nämlich auch so ein Ding, obwohl es nicht annähernd so hübsch ist wie dieses.“ Marie studierte das Etikett. „Donnerwetter, Sandy muss hierfür ganz schön was hingeblättert haben.“

„Dann zahlt Steve ihr offenbar ein überhöhtes Gehalt“, bemerkte Janine spitz und kam sich sofort ziemlich mies vor. Steves Rezeptionistin traf keine Schuld an der Unvollkommenheit ihrer Beziehung. Vielleicht hatte Marie recht, und sie hatte Steve nicht deutlich genug ihre Bedürfnisse klargemacht. Obwohl er eigentlich wissen müsste, dass eine neunundzwanzigjährige Frau gewisse Bedürfnisse hatte. Das war doch normal, oder etwa nicht?

Janine hielt das Bustier vor ihr weites dunkelblaues Kleid und betrachtete sich im Spiegel. Ein absurdes Bild – sie sah aus wie eine Anziehpuppe mit dem falschen Zubehör.

„Damit wirst du Steves perfekte Welt erschüttern“, sagte Marie.

Janine straffte die Schultern. Warum eigentlich nicht? Pink stand ihr schließlich. „Okay. Ich tu’s.“

„Super! Ich freu mich schon drauf, die Story später deiner Tochter zu erzählen.“

Marie stand hinter Janine und zerrte das Bustier fester zusammen. „Atme ein, und halt die Luft an!“

Janine keuchte. „Ich wette, du hast mir schon die Rippen gebrochen.“

Marie kicherte. „Für Steve kann ich nur hoffen, dass man dieses Ding leichter aufkriegt, als es anzuziehen ist.“ Nach einem letzten kräftigen Ruck richtete sie sich auf. „Geschafft. Wo sind die hochhackigen schwarzen Pumps, die du letzten Monat gekauft hast, als wir in der ‚Galeria‘ waren?“, fragte sie und ging zum Wandschrank.

„Du meinst die Schuhe, die du mir aufgeschwatzt hast, weil sie angeblich ein so tolles Schnäppchen waren, und die sich dann als sinnlose Geldverschwendung erwiesen, da ich sie nie getragen habe?“

„Jetzt wirst du sie anziehen. Wo sind sie?“

„Auf dem untersten Regal in dem gelben Karton.“

Triumphierend brachte Marie ihr die Schuhe, und nachdem Janine hineingeschlüpft war, begutachtete sie sich im Spiegel. Die pinkfarbene Satinkorsage schob ihre Brüste in unglaubliche Höhen. An den oberen Rändern der Körbchen kräuselten sich schwarze Rüschen, und darüber war nichts als nackte Haut.

Sie drehte sich um und inspizierte über die Schulter die Rückenansicht. Der Verschluss, eine Kreuzverschnürung aus schwarzer Spitze, endete oben in einer koketten Schleife, die bei der leisesten Bewegung ihre Haut kratzte. Der Slip, an den Beinen irre hoch geschnitten wie ein spitz zulaufendes V, war ebenfalls mit schwarzer Spitze besetzt. Dazu trug sie hauchzarte schwarze Seidenstrümpfe, die an schwarzen Strapsen befestigt waren.

„Entzückend. Jetzt noch eine Federboa, und ich wäre der Star in ‚Rauchende Colts‘“, sagte sie trocken.

Marie lachte schallend. „Du siehst toll aus! Glaub mir, Steve wird dir nicht widerstehen können. Wahrscheinlich seid ihr beiden morgen früh so erschöpft, dass ihr die Hochzeit verschieben müsst.“

Vielleicht war es die Wirkung des Weins, aber Janine musste zugeben, dass sie sich ziemlich sexy fühlte, wenn auch etwas wackelig auf den Stiletto-Absätzen. „Und was nun?“

„Ganz einfach. Ich fahr dich zum Hotel, und dann wirst du Steve überraschen.“

„Wenn ich so ins Hotel marschiere, werden sie die Polizei rufen.“

Marie nahm einen wadenlangen schwarzen Trenchcoat aus dem Schrank. „Den ziehst du über.“

Janine schlüpfte hinein und zog den Gürtel fest.

„Siehst du, jetzt wird niemand ahnen, dass sich unter diesem Mantel eine heiße Sirene verbirgt, die darauf brennt, ihren Verführungsgesang anzustimmen.“

„Und morgen? Wie soll ich mir morgen Kleider beschaffen?“

„Keine Sorge. Ich werde früh vorbeikommen und dir dein Outfit für das Dinner bringen. So, und jetzt lass uns gehen, bevor du die Nerven verlierst.“

Janine fasste Marie am Arm. „Ich glaube, ich rufe Steve besser vorher an.“

„Aber es soll doch eine Überraschung sein.“

„Und wenn er nicht da ist? Was ist, wenn er mit seinen Kumpeln bis spät in die Nacht feiert?“ Janine fischte das Telefonbuch aus der untersten Nachttisch-Schublade und begann darin zu blättern.

Marie sah auf ihre Uhr. „Es ist nach zwölf, und zum Hotel brauchen wir eine halbe Stunde. Um die Zeit ist dort alles dicht.“

„Und wenn sie ausgegangen sind? Die Bars sind noch geöffnet.“

„Na gut, ruf an. Aber du wirst nicht reden. Wenn er sich meldet, legst du einfach auf.“

„Okay.“ Janine wählte die Nummer des Hotels und ließ sich zu Steves Zimmer durchstellen. Als es am anderen Ende zu tuten begann, hoffte sie einen winzigen Moment, dass er nicht antworten würde und ihr die Aktion erspart bliebe. Beschwipst, wie sie war, sah sie die Dinge vermutlich verzerrt, und morgen würde alles wieder Sinn machen. Ihre Beziehung mit Steve war stark und gefestigt, und bestimmt würde auch ihr Liebesleben fantastisch sein.

Sie war schon im Begriff aufzulegen, als er beim vierten Läuten abnahm.

„Hallo?“, murmelte er verschlafen.

Beim Klang seiner rauchigen Stimme fühlte sie ein erregendes Prickeln auf der Haut. Er hing also nicht mit seinen Freunden in den Stripklubs herum – nicht dass sie das gestört hätte. Eine Junggesellen-Party war schließlich das, was der Name besagte.

„Hallo?“, kam es noch einmal.

Sie lächelte und legte dann ruhig den Hörer auf. Plötzlich war sie in beschwingter Stimmung und blickte ihrem kleinen Abenteuer erwartungsvoll entgegen. Sie würden sich die ganze Nacht lieben, und morgen würde sie über ihre dummen Ängste lachen.

Janine schnappte sich ihre Handtasche und grinste ihre Schwester an. „Gehen wir.“

Doch als sie in Maries Wagen stieg – sie musste sich praktisch hinlegen, damit die Stützstangen in dem Bustier sich nicht in ihre Haut bohrten –, kam ihr ein letzter Zweifel. „Und was ist, wenn dieser Coup nicht klappt?“

Marie startete den Motor und legte den Gang ein. „Was immer passiert, Janine, diese Nacht wird entscheiden, welche Richtung deine Zukunft nimmt.“

2. KAPITEL

Derek Stillman fluchte leise, als er sich auf die Seite rollte, um den Hörer aufzulegen. Er verfehlte den Apparat, und durch das Dröhnen seines schmerzenden Kopfes nahm er das Poltern des hinabfallenden Hörers wahr. Er machte keine Anstalten, ihn aufzuheben. Das Ding konnte ruhig da unten liegen bleiben, dann würde er wenigstens nicht noch einmal aus dem Schlaf gerissen werden.

Das hatte ihm gerade noch zu seinem Glück gefehlt. Da war er endlich eingeschlafen und wurde von dem verdammten Telefon geweckt. Anzurufen, in den Hörer zu atmen und wieder aufzulegen– sehr komisch.

Derek lag da und starrte vor sich hinleidend an die Decke. Wäre er bloß in Kentucky geblieben! Anscheinend bekam man zwangsläufig Heimweh, wenn man sich so miserabel fühlte wie er, und erst recht, wenn man gar nicht hatte reisen wollen. Dieser Trip nach Atlanta passte ihm überhaupt nicht ins Programm.

Vermutlich war Steve der Anrufer gewesen, weil er wissen wollte, wie es ihm ging. Nein, Steve war sicher vollauf damit beschäftigt, den letzten Abend seiner Junggesellen-Freiheit zu genießen, um sich um ihn Sorgen zu machen.

Derek nieste heftig und hieb dann frustriert mit den Fäusten auf die Matratze. Zum Teufel mit seinem Bruder! Jack war am College viel enger mit Steve Larsen befreundet gewesen als er. Aber da Jack seit zwei Monaten mal wieder vom Erdboden verschwunden war, hatte er sich verpflichtet gefühlt, auf Steves Bitte hin für Jack als Trauzeuge einzuspringen. Wieder einmal war er derjenige, der hinter seinem jüngeren Bruder aufräumte.

Das Ergebnis waren höllische Kopfschmerzen. Anscheinend hatte er sich auf der Reise etwas eingefangen, als Quittung für seine Großherzigkeit. Die Krönung aber war das katastrophale Timing dieses Trips, da er sich gerade um den Werbeetat eines Kunden bemühte. Wenn er den Auftrag bekam, würde das die Firma wieder in die schwarzen Zahlen bringen. Aber natürlich würde er den Kunden nur an Land ziehen können, wenn er ihm eine innovative Werbe-Idee präsentierte, und zwar bald. Falls er Jack je gebraucht hatte, dann jetzt, denn sein Bruder war immer der Kreativere von ihnen beiden gewesen. Vermutlich hatte ihr Vater die Werbeagentur Stillman & Söhne mit der Absicht gegründet, Jack zu beschäftigen und aus Schwierigkeiten herauszuhalten. Bisher war sein Plan jedoch gescheitert.

Dereks Kehle war trocken wie Pergament, sodass er kaum schlucken konnte. Er quälte sich aus dem Bett und tastete sich im Dunkeln zum Bad. Auf halbem Weg stieß er sich das Schienbein an einem harten Koffer – an Steves oder an seinem. Als wäre sein Trip nicht schon nervig genug gewesen, hatte die Rezeption sein Zimmer weggegeben, da er verspätet im Hotel eintraf. Zum Glück hatte Steve ihm sein Zimmer angeboten, da er vorhatte, die Nacht durchzufeiern.

Im Bad trank Derek ein Glas Leitungswasser, das scheußlich schmeckte, aber wenigstens seine Kehle befeuchtete. Er stolperte zum Bett zurück und legte sich wieder hin. Sein Kopf brummte erbärmlich.

Zu dumm, dass er nicht schon zu Hause krank geworden war. Dann hätte er einen echten Grund gehabt, seine Teilnahme an der Hochzeit abzusagen. Warum, um alles in der Welt, konnte man heutzutage noch den Wunsch haben zu heiraten? Welcher Dummkopf verzichtete auf seine Freiheit auf eine Sache, die in zwei von drei Fällen scheiterte? War das Leben nicht auch schon ohne ein solches Risiko kompliziert genug?

Sie waren alle eingeschworene Junggesellen – er, Jack und Steve. Steve war der Playboy, Jack der Abenteurer und er selbst der Einzelgänger. Was für eine Art Frau hatte Steve Larsen so bezaubert, dass er sie für immer in seinem Leben haben wollte? Steve hatte über seine Verlobte nicht mehr gesagt, als dass sie „süß“ sei. Aber wer Steve dazu brachte, seine Affären aufzugeben, musste ein wahrer Engel sein.

Gerädert lag Derek noch eine ganze Weile wach, bis er schließlich eindöste. Seltsame Visionen von Engeln schwirrten durch seinen Kopf – blonde, weiß gewandete Wesen, rein und unschuldig.

Eine Nebenwirkung der Grippe-Medizin, vermutete er.

„Bedaure, Ma’am, aber ohne Mr. Larsens Erlaubnis kann ich Ihnen keinen Schlüssel für sein Zimmer geben.“ Der junge Angestellte an der Rezeption lächelte entschuldigend.

Janine biss sich auf die Unterlippe, um ihrer wachsenden Panik Herr zu werden. Marie war längst weg und wollte auf der Rückfahrt noch bei Greg vorbeischauen. Natürlich gab es Taxis, aber das Problem war, dass sie ihre Handtasche in Maries Auto vergessen hatte, und nun ohne Geld und Wohnungsschlüssel dastand.

„Okay, rufen Sie ihn an“, sagte sie. Es würde noch immer eine Überraschung sein, nur nicht ganz so dramatisch.

Der junge Mann wählte eine Nummer. „Es ist besetzt, Ma’am.“

Besetzt? Mit wem telefonierte Steve um ein Uhr morgens? Janine verdrängte ihr Misstrauen und setzte ein gewinnendes Lächeln auf. „Wahrscheinlich versucht er, mich anzurufen. Sagen Sie mir bitte seine Zimmernummer, dann gehe ich zu ihm hoch.“

Autor

Stephanie Bond

Das erste Buch der US-amerikanischen Autorin Stephanie Bond erschien im Jahr 1995, seitdem wurden über 60 Romane von ihr veröffentlicht. Ebenfalls schrieb sie Bücher unter dem Pseudonym Stephanie Bancroft. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, beispielsweise erhielt sie 2001 den RITA-Award. Im Jahr 1998 bekam Stephanie Bond den “Career Achievement...

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